Religion ohne Gott. Ein Salongespräch am 25.7.2014
Hinweise von Christian Modehn
Das neue Buch von Ronald Dworkin „Religion ohne Gott“ ist in meiner Sicht ein kulturelles Ereignis. Man darf wohl einmal etwas vollmundig werden und sagen: Es gehört zusammen mit anderen philosophischen Veröffentlichungen der letzten Jahre zu den Büchern, die eine Korrektur, eine Wende, in den Debatten über Glauben und Nichtglauben, Theismus und Atheismus, signalisieren. Darin drückt sich etwas aus, was Hegel den „objektiven Geist“ (in Staat, Gesellschaft) nannte.
Ich nenne nur das viel zitierte Buch von Herbert Schnädelbach „Religion in der modernen Welt“. Schnädelbach drückt seine persönliche Trauer und den Schmerz aus, als Ungläubiger nicht glauben zu können.
Man denke an das äußerst inspirierende und sehr lebendig geschriebene Buch von Alain de Botton „Religion für Atheisten“, der in London die sehr bemerkenswerte School of life gegründet hat . Oder an Bruno Latour und sein Buch „Jubilieren. Über religiöse Rede“ wäre zu denken. Oder das für diese Thematik sicher bahnbrechende Buch von André Comte Sponville „Woran glaubt ein Atheist?“, französisch 2006.
Zu nennen wären auch die Studien von Thomas Nagel, der auf die geistigen Verbindungen hinweist, die zwischen der objektiven Natur und dem diese Natur erkennenden Menschen bestehen. (Vgl. das Buch Geist und Kosmos 2013) Es gibt also eine Verbindung geistiger Art zwischen Objekt und Subjektwelt. Das heißt, die rein materialistischen Erklärungen haben keine Gültigkeit mehr. Dabei versteht sich Nagel keineswegs als religiöser Metaphysiker. Aber er will das banale Denken des Materialismus und Naturalismus aufbrechen.
Die genannten Autoren bezeugen meines Erachtens eine bemerkenswerte „Synchronität“, es geht um ein tieferes Verstehen der Wirklichkeit in Richtung eines Erstaunlichen, Wunderbaren, vielleicht „Heiligen“.
Wenn man diese Titel und eben auch das Buch von Ronald Dworkin „Religion ohne Gott“ auf einen gemeinsamen Nenner bringen sollte: Da wird deutlich, dass es ausdrücklich Philosophen sind, die bekennen, nicht an eine göttliche Wirklichkeit, an Gott, glauben zu können! Diese Philosophen sind also, wenn man diese schlichte Etikette will, Atheisten; aber sie sind überzeugt: Es gibt eine Haltung im Denken und im Leben, die zwar ohne die Wirklichkeit Gottes auskommt, die aber doch tief spirituell ist, also geistvoll, menschlich im tiefen Sinne des vernünftigen Wesens. Diese Bücher sind sozusagen die andere Seite gegenüber dem polemischen, atheistisch – missionarischen Kampfbuch des Biologen Richard Dawkins, Der Gotteswahn, das 2006 erschien, und millionenfach verkauft wurde, weil die Werbung in den Medien entsprechend enthusiastisch war. Dieses Buch ist unter dem Schock des geistigen Erscheinungsbildes fundamentalistischer Kirchen und wahnhafter Lehren vor allem im amerikanischen Raum entstanden, so dass Dawkins ein aktuelles Interesse bediente. Aber sein Naturalismus ist einfach zu platt, zu grob, eben falsch.
Schnell wurden die Texte des Biologen Dawkins als vulgäratheistische Zeugnisse bewertet, wie der spirituelle Atheist Joachim Kahl sagt. Oder Dawkins wurde in die Gruppe der genannten Krawallatheisten eingereiht, wie der langjährige Leiter der Humanistischen Akademie Horst Groschopp sagte.
Vielleicht noch ein Hinweis zur Person des us – amerikanischen Philosophen ronald Dworkin: Geboren 1931, gestorben 2013. Er ist weltbekannt als Rechtsphilosoph und politischer Philosoph. Als solcher wehrte er sich gegen eine positivistische Rechtsphilosophie und trat ein für eine in der Menschenwürde und den Menschenrechten begründeten Rechtsordnung. Dworkin war ein Verteidiger der Gleichheit der Menschen, er kämpfte entschieden gegen alle Formen von Zensur, er verteidigte absolut die Meinungsfreiheit, trat für die religiöse Neutralität des demokratischen, liberalen Rechtsstaates ein.
Zum Buch „Religion ohne Gott“. Dabei muss man wohl von vornherein sehen: Dworkin hat den deutlichen Willen, praktisch zu wirken, er will als Philosoph sozusagen Mauern einreißen, ideologische Trennwände aufbrechen, ein unvermitteltes Gegeneinander von gläubig und atheistisch überwinden. Er will einen gemeinsamen philosophischen und spirituellen Boden bereiten, auf dem Gläubige und Atheisten gemeinsam friedlich und konstruktiv leben können. Das Buch will praktisch etwas bewegen.
Im Jahr 2011 hat Dworkin zu dem Thema an der Universität Bern Vorträge gehalten, sie sind in dem Buch Religion ohne Gott? Versammelt. Dworkin konnte die Vorträge nicht mehr bearbeiten, er ist am 14. Februar 2013 gestorben.
Für Dworkin ist“ Religion etwas Tieferes als Gott“ (S. 11). Gott ist sozusagen eine zweitrangige Vertiefung in der allen Menschen gemeinsamen religiösen Dimension.
Das Religiöse ist eine „grundlegende und umfassende Weltsicht, dass nämlich ein inhärenter, objektiver Wert alles durchdringt; dass das Universum und seine Geschöpfe Ehrfurcht gebieten; dass das menschliche Leben einen Sinn und das Universum eine Ordnung hat“ (S.11)
Es geht Dworkin um die absolute Hochachtung von Werten oder Idealen, die den Gläubigen wie den Atheisten gemeinsam sind. Sie sind verbunden in der Wertschätzung, ein (ethisch) gutes Leben zu gestalten, und zwar für sich selbst wie auch in Verantwortung für andere. Sie wollen fundamentale menschliche Entscheidungen für humane Werte in den Mittelpunkt stellen.
Dabei ist ausdrücklich die Frage nach Gott zurückgestellt. Nicht die Frage, ob ein Gott existiert, ist nach Dworkin zentral, sondern das Leben nach einem gemeinsamen humanen Ethos. Wer so lebt, kann „Religiöses“ erleben.
Dadurch, so Dworkin, könne die ideologische Zerrissenheit heutiger Gesellschaften ein Stückweit überwunden, wenn nicht geheilt werden. Man stelle sich ja tatsächlich einmal vor, die sich heute im Irak und anderswo totschlagenden Gott-Gläubigen würden auf den Begriff Gott/Allah verzichten, sie würden sich also Gottes und Allahs nicht mehr bedienen für die Begründung ihres Mordens: Sie würden vielmehr sich selbst „nur“ als spirituelle Menschen, also bloß als Menschen betrachten: Negative Power wäre damit sicher überwunden. „Wenn es gelingen sollte, Religion und Gott auseinanderzudividieren, könnten wir jenen Scharmützeln etwas von der Hitzigkeit nehmen, indem wir zwischen wissenschaftlichen Fragen und Wertfragen (an die alle Menschen gebunden sind CM) unterscheiden“ (S. 18).
Dworkin will zeigen: Es gilt, diese Einsicht unter allen Menschen zu pflegen, dass das Leben in der Welt nicht darauf verzichten kann, das grundlegende Geheimnis des Lebens wahrzunehmen.
Es gibt Lebenserfahrungen, die niemals angemessen mit der Begrifflichkeit der Naturwissenschaften erklärt und durchleuchtet werden können.
Das Buch von Dworkin „Religion ohne Gott“ wurde auch in Deutschland mit großem Interesse aufgenommen, d.h. es wurde in den Medien oft erwähnt. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass das Buch manchmal für Nichtphilosophen nicht gerade eine „leichte Lektüre“ ist. Explizit wird der Titel des Buches auch vor allem (nur) im ersten Kapitel des Buches behandelt. Das dritte Kapitel etwa behandelt Fragen rund um die Religionsfreiheit, dabei spürt man, dass Dworkin ursprünglich ein sehr starkes Interesse an Rechtsphilosophie hat und als solcher vor allem auch international geschätzt wird!
Es wird also die These zur Diskussion gestellt: „Religion ist etwas Tieferes als Gott“. Offenbar ist gemeint: Gott meint immer historisch gewordenen Gottesbilder, während Religion sich auf absolut geltende Werte bezieht.
Wichtiger noch ist die philosophische Kritik, dass Dworkin in seiner Konzeption die Werte in einer sehr objektivistischen Weise versteht. So, als würden die Werte aus dem Umfeld eines moralisch guten Lebens uns wie feste Bilder vor Augen stehen, also objektiv und immer „vor uns“ gegeben sein. Wir müssen diese objektiven Werte nur betrachten und ihnen dann bitte schön folgen.
Mit anderen Worten: Wir haben den Eindruck, dass Dworkin einer allzu objektivistischen (alten) Wertelehre folgt. Dabei hat er unseres Erachtens kein Gespür dafür, dass „die Werte“ spätestens seit Nietzsche auch ein Werk des schöpferischen Subjekts sind. Von Werten kann nur noch gesprochen werden, wenn man allen Nachdruck auf den Werte erlebenden Menschen, „das Subjekt“, setzt. Und auch auf die schöpferische Kraft der Menschen, Werte zu setzen. Diese können ja auch unbedingte Geltung haben, selbst wenn sie in einer bestimmten Kultur entstanden sind. Arnim Regenbogen schreibt in dem Lexikonbeitrag „Wert/Werte“ in dem dreibändigen Lexikon „Enzyklopädie Philosophie“ Band 3, Seite 2974: “Werthaftigkeit ist keine objektive Eigenschaft von Dingen, sondern muss als Beziehung bewertender Subjekte auf Gegenstände betrachtet werden. Durch eine Wertung wird ein Gegenstand menschlichen Handelns selbst zum Wert“.
Religionsphilosophisch gesehen ist es fraglich, ob ein religiöser Mensch beim Erleben des Erhabenen sozusagen aufhört, weiter zu fragen und sich etwa bloß an diese weltliche Erfahrung eines (angeblich) wunderbaren Kosmos hält und damit „begnügt“. Die Fragebewegung geht weiter, nicht in dem Sinne, dass klassisch metaphysisch nach der „ersten Ursache“ in Form eines alten Gottesbeweises gefragt wird. Aber in der Reflexion auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Erhabenes und Wunderbares in dieser Welt zu erleben, wird die (vom Menschen unabwerfbare, „gegebene“) Kraft des menschlichen Geistes in neuem Licht erscheinen, als eine ständige, ruhelose Fragebewegung. Mit dieser Erfahrung und der ihr entsprechenden Aussage erlebt sich der Mensch neu, als hineingestellt in eine ständige geistige Bewegtheit ohne Ende (und unbekannter Herkunft). Dabei wird sozusagen dann „das Wesen des Menschen“ (um diesen klassischen begriff einmal zu verwenden) ganz neu gesehen. Nämlich: Der Mensch kann sich nie ganz umfassen und begrifflich durchsichtig machen. Er ist sich selbst der Unbekannte, das Geheimnis, das etwas Gegebenes ist, manche sagen eine „Gabe“. Von daher tasten sich dann einige Philosophen doch weiter zu Frage: Wie kann eine umfassende Anwesenheit eines unabwerfbar „Gebenden“ in der Gabe (also dem Menschen!) gedacht werden?
Mit anderen Worten: Die Thesen von Dworkin sind insofern inspirierend, als sie auf ein dringendes Thema aufmerksam machen und so im Denken über seinen Text hinausführen – in eine größere Weite. Es gibt dann ein Denken, in dem Gott in der Schwebe sozusagen bleibt, zwischen personal und a-personal gedacht. Eine Überzeugung, für die der protestantische Theologe Paul Tillich eingetreten ist, auf ihn weist Dworkin ausdrücklich hin (Seite 41). „Vielleicht sollte man davon ausgehen, dass Tillich beides war, ein religiöser Theist und ein religiöser Atheist, der glaubte, dass die ´numinose` Beschaffenheit der religiösen Erfahrung den Unterschied zwischen beiden (Theisten und Atheisten) zum Verschwinden bringt“: (ebd.). Diese Einschätzung wird von Dworkin leider nicht weiter vertieft. Daran aber sollte man weiter „arbeiten“.
Deutlich ist jedenfalls: Wir stehen in einem tief greifenden religiösen Wandel, der theologisch und religionsphilosophisch von aufmerksamen Denkern Ausdruck findet.
Zu diskutieren wäre etwa das häufige und immer wieder kehrende Eingeständnis von Literaten, Künstlern und Philosophen, sie könnten nicht glauben. Das wird oft mit dem Ton des Bedauerns gesagt. Etwa auch von Herbert Schnädelbach, er könne sich vorstellen, was Glauben wäre, aber er kann nicht glauben (In: Religion in der modernen Welt, S. 85). Auch von dem spirituell sehr sensiblen, christlich interessierten Dichter Antoine de Saint Exupéry (am 31. Juli 1944 als Pilot im 2. Weltkrieg abgestürzt) wird berichtet: Er habe in einem Brief ein Jahr vor seinem Tod geschrieben: „Hätte ich den Glauben, stünde es fest, dass ich, sobald dieser Job (des Fliegers) vorüber ist, nur noch das Kloster Solesmes (und die dortigen gregorianischen Gesänge) ertragen könnte. …Man kann nicht mehr leben ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe“ .
Die Frage ist also: Ist die Sehnsucht nach dem Glauben, die Suche nach ihm, das Auslangen nach ihm, das Verzweifeln an ihm, kurz: das Leiden darunter, nicht glauben zu können, nicht bereits die entscheidende Form des Glaubens? Ist denn der „eigentliche Glaube“ die totale Sicherheit, das Eingeschlossensein in eine fixe Glaubenswelt? Wer solcher Defionition folgt, entspricht der Lehre der Herren der Kirche, die bestimmen und verfügen wollen und eigenmächtig definieren, was glauben ist und was nicht. Die Definition wird hingegen von allen, auch den Suchenden, Fragenden, usw. festgelegt.
Also: Glauben ist immer nur als Sehnsucht (nach Erfüllung, Frieden, dem Göttlichen) möglich, selbst, dann wenn man meint zu glauben, “hat” man doch Gott oder den Glauben niemals. Sind dann also diese Suchenden und Fragen nicht bereits wesentlich Glaubende? Und wenn man es theologisch will: Sind diese Menschen, die nicht glauben können, nicht bereits schon Teilnehmer der Gemeinde, auch wenn sie das selbst nicht so sehen oder auch gar nicht wünschen. Aber aus dem theologischen „Innenblick“ sind sie Glaubende.
Wenn sich das jene eingestehen würden, die meinen, „sicher“ und „zweifelsfrei“ zu glauben, wäre die Teilname all der anderen, der Fragenden, Zweifelnden usw. eine große „Bereicherung“ für das Miteinander derer, die nach dem Sinn des Lebens suchen, also versuchen, Gemeinde zu sein. Wir brauchen also eine philosophische Debatte darüber, was Nicht-Glauben (Können) eigentlich bedeutet!
Ronald Dworkin, Religion ohne Gott. Suhrkamp, 2014, 146 Seiten, 19.95€.