Mit Kant denken: Das neue Buch von Marcus Willaschek

„Die Revolution des Denkens“. Der treffende Untertitel des großartigen Buches
Ein Hinweis von Christian Modehn am 12.1.2024

1.
Wer das Buch „Kant – Die Revolution des Denkens“ von Marcus Willaschek gelesen, also dem Text folgend mit-gedacht hat, versteht sicher das Wichtigste, was der Philosoph Immanuel Kant in seinem umfangreichen Werk an Erkenntnissen vermittelt. Und dann kann man sich auch getrost heranwagen an die Lektüre von Kants Werken.
2.
Die Lust nachzudenken und vorauszudenken sowie die eigene Gegenwart im Mit- Denken mit Kant zu erleben: Das ist ja kein Hobby von einigen Philosophen und Historikern. Es geht in den Philosophien um vernünftige Vorschläge zur Lebensgestaltung. Diese Bindung des philosophischen Denkens an die Praxis des Lebens, unterstreicht Willaschek deutlich. In der Praxis des Lebens entsteht Philosophie, auch für Kant!
Es geht in dem Buch „Kant.Die Revolution des Denkens“ nicht um die Verehrung einer großen vergangenen Gestalt der Geschichte der Philosophie, sondern um ein eigenständiges Philosophieren heute, nur in der Übung entsteht dann Philosophie. „Philosophie lässt sich nur durch selbsteigenen Gebrauch der Vernunft lernen“, betont Kant (S 381).
3.
Marcus Willascheks Kant – Buch (C.H.Beck Verlag) ist eine Inspiration, vernünftig zu leben in dieser verrückten Welt heute.
Das Buch ist hoffentlich auch eine Einladung, bis zu Kants 300. Geburtstag am 22. April 2024 jeden Tag den nicht sehr umfangreichen Text des Buches zu lesen, zu meditieren, mit anderen zu debattieren, in Frage zu stellen … um dabei entdecken: Das Buch umfasst 30 in sich geschlossene Essays. Sie sind alle leicht zugänglich auch für philosophisch „nicht so Geübte“. Und je nach Interesse kann man beliebig bei einem der 30 Essays „einsteigen“.
4.
Wie oft hat Kant recht bei entscheidenden Themen der Lebensorientierung, auch heute:
Etwa: Hinsichtlich der Begründung menschlicher Erkenntnis von „Objekten“: Da bringt der Mensch, jeder Mensch, in seinem Geist die entscheidenden Kategorien von Raum und Zeit „immer schon“ schon mit. Nur durch diese „Subjektivität“ wird Objektivität und Wahrheit möglich.
Oder: Kants Verteidigung des Weltbürgers anstelle des kleinkarierten, ängstlich – fanatischen Nationalisten: „So ist es Kant zufolge notwendig und sinnvoll, sich aktiv um Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu bemühen, egal wie unwahrscheinlich es ist, dass wir damit in absehbarer Zeit Erfolg haben“ (S. 25).
Angesichts des furchtbaren religiösen Fundamentalismus in allen Religionen ist Kants Verteidigung einer Vernunft – Religion und einer „unsichtbaren Kirche“ der vernünftigen, d.h. der nicht – dogmatisch gebundenen Frommen von höchster Aktualität.
Oder: Kants Erkenntnis, dass der einzelne Mensch immer auch als Mitglied der allgemeinen, universellen Menschheit zu verstehen ist. Oder, dass in der Ethik immer auch universale Kriterien von gut und böse gelten. Kant formuliert diese Erkenntnis in den Gestalten des „Kategorischen Imperativs“. Aber Willaschek betont: „Kant ist kein moralisches Orakel, das auf jede moralische Frage die richtige Antwort weiß, sondern Kant ist ein fehlbarer Mensch, wenn auch ein besonders kluger, klarsichtiger und reflektierter Mensch“ (S. 109).
5.
Marcus Willaschek ist ein international anerkannter Kant-Spezialist, er arbeitet als Professor für Philosophie der Neuzeit an der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Sein neues Buch ist keine Biographie Kants, auch wenn im Text immer wieder überraschende biographische Hinweise geboten werden, zu seinem Freundeskreis, zu seinen Wohnverhältnissen, auch zu seinem Reichtum aufgrund von Sparsamkeit.
Der Autor bietet natürlich keine Verklärung Kants. Kritische Fragen und Relativierungen und Zurückweisungen einiger Kant – Positionen sind für ihn selbstverständlich, etwa zu seiner Geringschätzung afrikanischer Menschen, zu seiner Geringschätzung von Frauen im allgemeinen. Willaschek meint zu diesen Fehlern Kants: „Sie sind mit dem kosmopolitischen Geist und dem humanen Universalismus der kantischen Philosophie nicht zu vereinbaren“ (S. 379).
6.
Die Grundeinsicht zu Kants Werk bleibt trotzdem gültig: Kant hat eine „Revolution des Denkens“, wie es im Untertitel heißt, eingeleitet.. Wo denn, wenn nicht im Denken sollen denn auch Revolutionen überhaupt beginnen?
Dabei ist die Hochschätzung des Begriffs Revolution durch Kant eigentlich erstaunlich. Er hat zwar immer die Französische Revolution einerseits hoch geschätzt, andererseits die Terrorherrschaft 1792 verurteilt.
7.
Aber von einer Revolutionen wollte Kant nicht viel wissen, öffentlich dafür einzutreten, wäre bei der politischen Herrschaft Friedrich Wilhelm II. höchst gefährlich gewesen. So blieb Kant ein Mann der Mitte, er plädierte für Reformen. Kant war diese Reformer-Haltung etwas Realistisches, er wusste, dass der Mensch aus „krummem Holz“ gefertigt ist, also auch eine Schlagseite zum Bösen hat. Dennoch ließ er sich nicht zur Resignation odergar zum Zynismus hinreißen: Zweifelsfrei stand für ihn fest: Die Menschen müssen sich für eine universelle Rechtsordnung in einem Rechtsstaat entscheiden, sonst geben sie ihr Menschsein selbst auf.
Auch die Bedingungen für einen „ewigen Frieden“ hat Kant gedacht, der ewige Friede als politische Realität muss ein Ziel der Menschheit bleiben, ein Ziel, utopisch jetzt noch, das niemals aufgegeben werden darf, selbst wenn die politischen Umstände im Augenblick noch dagegen sprechen. Internationale Friedensgremien, wie die UN, sind durchaus von Kants Friedens-Philosophie inspiriert. Kant, der manchmal an einer guten , erfolgreichen Wirkungsgeschichte seines Denkens und seiner Publikationen zweifelte, wirkt heute, inspiriert heute, stellt heute richtige Fragen!
8.
Nur zwei Vorschläge hat der Rezensent: Bitte noch vor Kants 300. Geburtstag dieses Buch preisgünstig als Taschenbuch veröffentlichen, Kant würde sich über dieses Geburtstagsgeschenk freuen. Und viele nicht so wohlhabende LeserInnen mit ihm. Und: Bitte ein Stichwort – Register auch zu SACH – Themen anbieten.
Und …. Ein Hinweis auf einen Druckfehler: Hegels Vorname ist korrekt Georg Wilhelm Friedrich… (Vgl. S. 385).

9. Kant als Lehrer der Weisheit: Siehe einen Beitrag von Christian Modehn   LINK

Marcus Willaschek, „Kant. Die Revolution des Denkens“. C.H.Beck Verlag München, 2023, 430 Seiten, 28 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophioscher Salon Berlin, www.religionsphilosophischer-salon.de