Ist Kant jetzt wieder tot? Oder lebt er weiter nach den Geburtstags – Feierlichkeiten?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 23. April 2024

1.
Die Geburtstagspartys zu Ehren Immanuel Kants, in allen Medien veranstaltet, sogar mit ehrenden Worten von „prominenten“ Politikern, sind zu Ende: Kants großer Tag war der 22. April 2024, da feierte er mit vielen Menschen in aller Welt seinen 300. Geburtstag. Schon Monate vorher lief der Geburtstagstrubel auf Hochtouren: So wollen es nun die Gesetze des Kulturbetriebes und des Journalismus: Große Gedenktage großer Namen bringen eben auch großes Geld … Sollten aber vor allem Erkenntnisse fördern.

2.
Die Gemeinde der „Kulturschaffenden“ hat sich bereits voller Publikationslust den nächsten runden Gedenktagen zugewandt: Bis zu seinem 100. Tagestag, am 3. Juni 2024, wird Franz Kafka noch weiter gefeiert, bedacht, geehrt, „gewürdigt“, hoffentlich auch gelesen und der Vernichtung vieler seiner Familienmitglieder durch Deutsche, Nazis, gedacht… Dann folgt der große Caspar David Friedrich, sein 250. Geburtstag am 5. September treibt schon jetzt viele Tausend Menschen zum Staunen und Entzücken in die Sonderausstellungen. LINK.  Wer denkt bei so vielen Größen noch daran, dass der Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus am 28. April 2024 seinen 150. Geburtstag feiert? LINK. Wer hat sich musikalisch und religiös bereits auf den Komponisten Anton Bruckner eingestellt, der am 4.9. seinen 200. Geburtstag begeht? Wird höchste Zeit, z.B. seine 8. Symphonie wieder zu hören … oder sein Heimatland Oberösterreich zu besuchen (zu Bruckner, siehe Fußnote 1)

3.
Man hat den Eindruck: Die Präsentation von Kultur bewegt sich heute hart an der Grenze der „Gedenktageritis“, der Fixierung auf runde Geburts – und Todestage. Dabei könnte man doch prinzipiell jeden Menschen und dessen einmalige Individualität auch an „eckigen“ Gedenktagen bedenken…

4.
Zurück zu Kant: Ist er ab heute, 23. April 2024, schon wieder tot für die meisten Menschen? Philosophen werden sein Werk zwar weiter studieren und die schon jetzt unübersehbare Fülle der Kant – Studien ausbauen. Aber muss man wirklich erst 10 Jahre abwarten, um zu wissen: Welche breite Wirkung hatten denn nun die vielen Bücher, Reden, Beiträge, Sendungen anläßlich von Kants 300. Geburtstag? War alles eine kulturelle Zwangshandlung oder bleibt „etwas hängen“ im Bewusstsein der Menschen?

5.
Um nicht gleich in ein kulturkritisches Jammer zu verfallen: Besser ist die Antwort auf die Frage, die eigentlich als Leitmotiv alles öffentlich Kant-Gedenken und Kant – Besprechen hätte bestimmen sollen: Was soll denn jeder Menschen von Kants universell geltenden Erkenntnissen wissen:

– Jeder Mensch soll wissen, was der „Kategorische Imperativ“ deutlich erklärt. Er könnte eine Art ethisches „Allheilmittel“ sein. Und er bietet große Sicherheit bei der Frage: Wie gestalte ich mein menschliches Leben mit anderen? Es geht um die Förderung der Würde des Menschen! Dann entsteht aber die Frage: Welche Lebensphilosophie, welche Ideologie, welche Maxime ist für mich wichtig, hat sie auch Bestand vor der universell für alle Menschen geltenden Vernunft? So, wie doch die meisten Menschen gewisse mathematische Kenntnisse haben (etwa die schlichte Erkenntnis: „Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“), so sollte eben auch jeder den Kategorischen Imperativ kennen.

Jeder Mensch sollte mit Kant wissen: Angesichts des zunehmenden Fundamentalismus in der Politik und in den Religionen und Kirchen, ist eine noch zu schaffende universale vernünftige Menschheitsreligion der Humanität entscheidender als die Bindung an eine konkrete historisch gewachsene Religion und Konfession. Diese Menschheitsreligion braucht keine Institution, braucht keinen Klerus: Die einzelnen Menschen sollen erfahren und wissen: Es gibt eine göttlich genannte schöpferische Urkraft, im Geist der Menschen ist sie verstehbar. Und diese einfache Vernunftreligion hat wenige Grundsätze, allgemein vernünftig einsehbar: Diese Menschheitsreligion gebietet die Toleranz, den Respekt, empfiehlt die Liebe. Kant spricht in dem Zusammenhang von der unsichtbaren Kirche.

Auch wenn es um Frieden und Krieg geht, ist eine große Leitlinie für Kant zentral: Jeder Krieg ist zuerst und vor allem ein Unrecht, weil er die Menschenrechte verletzt, d.h. Weil er die Würde eines jeden Menschen verletzt. Und gegen diese schlimmste aller Degradierungen, den Verlust der Würde des Menschen, können aufgeklärte Bürger und deren Politiker nach Kant – schon im 18. Jahrhundert gedacht – Entscheidendes tun: Sie können z.B. Verträge untereinander schaffen, die den Krieg verhindern, sie können einen Völkerbund organisieren, sie sollen ein „Weltbürgerrecht“ schaffen, das die Rechte eines jeden gegenüber jedem anderen Staat garantiert. Diese Vorstellung mag „idealistisch“ erscheinen: Aber nur unter der globalen Perspektive einer anderen, also einer gerechten, friedfertigen Welt, von den Menschenrechten geregelt, lässt sich die Hoffnung bewahren, die Hoffnung, dass es sinnvoll ist, auf dieser Erde als Mensch mit anderen leben zu können.

6.
Mit diesen sehr knappen Hinweisen wird kein Spezialwissen zu Kant verbreitet, sondern mit Kant werden die Grundlagen des Menschseins freigelegt.
Kant hat natürlich nicht auf alle Fragen richtige Antworten. Aber er hat einige bleibende, richtige Antworten auf die ewige Frage: Wie kann ich als Mensch – jeder Kultur – menschlich leben? Einige zentrale Erkenntnisse des Philosophen Immanuel Kant zu kennen, sie im Gedächtnis zu behalten, sie praktisch im Leben als Orientierung zu gebrauchen: Das sollte nun wirklich ein Resultat all der vielen Feierlichkeiten, Publikationen, Reden usw. zu Kants 300. Geburtstag sein. Es ist doch wohl nicht so, dass wir von dem Gefühl bestimmt sein sollten: Na ja, gibt es halt zu unserer Abwechslung immer wieder runde Gedenktage, und die “haken wir ab“, und dann geht ungebrochen der alte Trott weiter. Mit neuen runden Gedenktagen. Das wäre dann wirklich der Kulturbetrieb…

Fußnote 1: “Durch Oberösterreich mit Anton Bruckner: Dickschädels Reisen” von Florian Sedmak, Verlag Anton Pustet, 2024, 256 Seiten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin