Wo sind die Grenzen des Menschen? Warum die Bewegung des “Transhumanismus” die Religionen überflüssig macht. Ein Salonabend

WO SIND DIE GRENZEN DES MENSCHEN? Diskussion über die weltweite Bewegung des “Transhumanismus”

Von der bald verwendbaren “Datenbrille” ist jetzt oft die Rede, da verschmelzen Körper und digitale Technik zu einer Einheit. Ein erster Erfolg der Möglichkeiten menschlicher Optimierung, die von den Vertretern des “Transhumanismus” schon beschrieben wurde. Die Transhumanisten, d.h. vor allem Biotechniker, Naturwissenschaftler, Philosophen, weltweit vernetzt, wollen u.a. den “alten”, d.h. den uns bisher vertrauten, begrenzt lebenden Menschen möglich ins Unendliche und Perfekte umbauen und ausbauen: Der neue Mensch, einst vom Christentum als religiöser Begriff der Verheißung (im Himmel) verkündet, soll nun von Transhumanisten gemacht und mit allerlei technischer Hilfe umgebaut, d.h. perfektioniert werden: Lebensverlängerungen bis hin zu einem Dasein von 200 Jahren werden angestrebt. Der Transhumanismus, eine vielfältige Bewegung, ist alles andere als ein Laboratorium von (versponnenen) Utopisten. Der Transhumanismus, so etwa der Kritiker, der Biochemiker Leon Kass, Chicago, ist eine ernsthafte Bedrohung des Humanismus: Der Mensch wird weiter manipuliert und kontrolliert, er wird in einem neuen Netz von Herrschaft gefangen. Religiöse Verheißungen werden überflüssig, angesichts zunehmender Optimierungen ist der neue Übermensch bloß irdisch, also ohne wahre geistige Transzendenz.
Der Religionsphilosophische Salon weiß sich den (klassischen) Ideen der Aufklärung verpflichtet. Deswegen wollen wir in einem ersten Schritt uns dem Phänomen des Transhumanismus zuwenden und zu weiteren Diskussionen und Studien dadurch inspirieren.
Der Salon findet am Freitag, den 6. September 2013 um 19 Uhr pünktlich in der Galerie Fantom in der Hektorstr. 9, in Wilmersdorf statt. Wir bitten dringend um Anmeldung, weil ein Salon ein von der Anzahl eher überschaubarer Gesprächskreis ist und weil den angemeldeten Teilnehmern vorweg einige Informationen zur Vorbereitung (!) zugesandt werden.Der Beitrag beträgt 5 Euro. Studenten haben freien Eintritt.
An dem Abend sind einige Gäste aus Eindhoven, Holland dabei, die in ihrer “Remonstranten Gemeinde” ebenfalls philosophische Gesprächskreise haben und ebenfalls – wie die Initiatoren des Salons – verbunden sind mit einem humanistisch – christlichen Glauben protestantischer Prägung.
Anmeldung: christian.modehn@berlin.de

Adieu – zur Philosophie des Abschiednehmens

Adieu

Leben ist Abschiednehmen

Von Christian Modehn

Vor kurzem erhielt ich eine ungewöhnliche Einladung: „Herzlich willkommen zur Abschiedsparty! Viele Grüße von Anne und Richard“. Als ich dann, etwas verspätet, eintraf, plauderten die Gäste im Wohnzimmer, es war leer geräumt. Etwa 20 Bücherkartons standen in der Mitte, waren eine Art Buffet für Gläser und Tassen. Anne wandte sich an ihre Gäste: „Wir ziehen also um. Morgen geht’s los. Wir beide wollen nur noch halbtags arbeiten. Eine große Wohnung können wir uns nicht mehr leisten. Darum die Abschiedsparty, von euch … und von der Wohnung“.

Die beiden führten uns in die anderen Zimmer. „Hier, am Fenster, habe ich meine Magisterarbeit geschrieben“, sagte Anne. „Dort das Schlafzimmer “, meinte Richard schmunzelnd, „es war unser aller liebster Raum“. Zwischendurch berührten die beiden noch einmal die Wände und die Fenster, fast so, als streichelten sie ihre alte Wohnung. Dann machten sie jede Tür zu, fest entschlossen, diese Räume nicht mehr zu betreten. Wir Gäste schauten ein wenig verwundert. Aber Anne rief uns zu: „Seid ihr etwa traurig? Richard und ich freuen uns, wir sind glücklich über einen Neubeginn.“

Ein wenig irritiert verließ ich das Haus: Die beiden hatten sich von einem Abschnitt ihres Lebens mit einem kleinen Ritual verabschiedet. So wurde ihnen das Fortgehen erträglicher. Normalerweise überspielen wir das Abschiednehmen. Wie viele  „Tschüß“ und „Auf Wiedersehen“ sagen wir täglich. Meinen wir es ernst? Wir verdrängen gern, dass die herzliche Umarmung von einer guten Freundin oder einem lieben Kollegen vielleicht die letzte sein kann, für sie …oder auch für mich.

Ich hatte das Glück, in der Kindheit und Jugendzeit fast täglich ein kleines Abschiedsritual zu erleben. Meine Mutter war fest überzeugt: Ihren Kindern tue es gut, wenn sie uns vom Balkon aus nachwinkt. So drehte ich mich winkend um, auf dem Weg zur Schule oder auch nachmittags unterwegs zum Spielen oder Einkaufen. Das Winken war Tradition geworden, aber es war keine leere Geste, sondern Ausdruck der Verbundenheit. „Das Winken, diese sanfte Handbewegung, überwindet noch mal den Abstand“, sagte meine Mutter. „Wenn zwei Hände sich noch suchen und berühren wollen, entsteht eine Bewegtheit, etwas Lebendiges. Aber sofort müssen wir es akzeptieren, dass wir uns schließlich aus den Augen verlieren. Wir müssen unseren Weg weitergehen, allein oder mit anderen.“.

Seit einigen Jahren befassen sich Philosophen mit dem Abschiednehmen. Wilhelm Weischedel z.B. hat in seinem Buch „Skeptische Ethik“ den Begriff der „Abschiedlichkeit“ geprägt. „In dieser Haltung können wir uns von selbst distanzieren. Wir klammern uns nicht an einen Moment des Lebens. „Der abschiedlich lebende Mensch wird sein Herz und seine Vernunft nicht endgültig an das hängen, woran er sich bindet“, schreibt Wilhelm Weischedel.

Voraussetzung ist: Wir müssen denkend und meditierend einüben, dass das Leben ein Weg ist, und den kann es ohne Neubeginn gar nicht geben, sondern nur mit Brüchen und Umbrüchen, mit dem ständigen Weitergehen.

Mit dieser oft verdrängten Erkenntnis beginnt eine „abschiedliche“ Lebensphilosophie. Wer den Abschied in sein Leben integriert, hütet sich davor, allzu zu sehr zu „klammern“. Loslassen ist entscheidend, und diese Haltung können wir praktisch einüben: Volkshochschulen z.B. bieten spezielle Gesprächskreise zum Abschiednehmen an. In einer „Projektbeschreibung“ heißt es: „Mit dem Ausstieg aus dem Berufsleben beginnt eine neue Lebensphase. In einer ganz auf Aktivität und Arbeit fixierten Welt ist der Ruhestand oft verpönt. Wer abrupt aus der Arbeitswelt ins Rentnerdasein entlassen wird, ist oft in seinem seelischen Gleichgewicht erschüttert. Wer bewusst und langsam Abschied nimmt, erlebt nicht diese Erschütterungen“.  Ja Sagen zum Wandel, zu neuen Lebensphasen, zu Aufbrüchen, das spendet Energie.

Manchmal sind wir irritiert, wenn wir nach Jahren alte Bekannte unverhofft wieder treffen und feststellen müssen: Der Rolf oder die Ingrid sind immer noch so starrsinnig und festgefahren wie früher. Fast als Bonmot gilt inzwischen ein Satz aus den „Geschichten vom Herrn Keuner“ von Bertold Brecht: „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: “Sie haben sich gar nicht verändert.” “Oh! sagte Herr K. und erbleichte“.

Bertold Brecht war überzeugt: Menschliches Leben gibt es nur als Veränderung. Wer sich an eine bestimmte Lebensphase klammert, hat Angst vor dem Unbekannten, im letzten auch Angst vor dem definitiven Abschied, dem eigenen Tod. Es ist die Ungewissheit: Werde ich definitiv verschwinden, in ein Nichts stürzen oder gibt es etwas Bleibendes, was die Tradition „Ewigkeit“ oder „bei Gott sein“ nennt.  Beweise für die eine oder andere Meinung gibt es nicht. Aber die Erfahrung könnte weiterhelfen, dass wir in unserem Alltag meist unbewusst von einem Grundvertrauen in die Wirklichkeit leben. Wir glauben, dass es besser ist, die Wahrheit zu sagen als zu lügen, dass es besser ist gut als böse zu sein. Trotz vieler Enttäuschungen und Katastrophen halten wir daran, dass wir der Wirklichkeit im ganzen vertrauensvoll begegnen können, trotz widriger Zustände in der Welt gibt es eine letzte Geborgenheit. In dem „trotz allem“ zeigt sich doch eine Stärke menschlichen Geistes. Trägt uns die geistige Wirklichkeit auch über den Tod hinaus? Wer kann das grundsätzlich ablehnen?

Philosophen der Abschiedlichkeit drängen allerdings darauf,  sich nicht in diese Spekulationen zu verlieren, sondern die vielen kleinen Abschiede bewusst und achtsam wahrzunehmen, zu bedenken und im eigenen Herzen zuzulassen. Kinder sind froh, wenn sie nach dem Abitur nicht mehr unter der Aufsicht der Eltern leben müssen und endlich eine eigene Wohnung haben. Wenn Verliebte zusammen leben wollen, erleben sie Abschied von zuhause als Befreiung in die Selbständigkeit. Selbst der Umzug in ein Haus betreuten Wohnens im Alter kann als Befreiung erlebt werden, vorausgesetzt, man entschließt sich noch als „jüngerer Rentner“ und nicht erst als Schwerkranker für diesen Neubeginn.

Religiöse Traditionen empfehlen zudem, den Abschied mitten im Alltag regelmäßig auch rituell zu gestalten. Im Sabbat, also am Freitagabend, verabschieden Juden ausdrücklich die vergangene Woche mit ihrer Mühe und Last. In der Sabbat Feier zu Hause zündet die Mutter Kerzen an und begrüßt mit diesem Ritus den Sabbat als einen neuen, einen „ganz anderen“ Tag. Auch in der Synagoge verabschieden sich die Gläubigen von der alten Arbeitszeit und  heißen den Tag der Ruhe wie eine „Braut“ willkommen:

„Auf, mein Freund, der Braut entgegen,

Das Angesicht des Sabbat wollen wir begrüßen.

Auf mein Freund, der Braut entgegen,

Die Königin Sabbat wollen wir begrüßen“.

Rabbi Shlomo Alkabez hat diese Worte im 17. Jahrhundert geschrieben, Worte, mit denen die Gläubigen am Sabbat für ein paar Stunden die alte Welt hinter sich lassen, die Arbeit und Plackerei, die Gier nach Erfolg und Geltung. Ist es  nur ein Traum, dass dieses Fest „der neuen Welt“  „auf ewig“ Bestand haben sollte?

Wer den Tod, den definitiven Abschied, mitten in sein eigenes Leben einbezieht, muss nicht in eine Angststarre geraten. Von Kurt Marti, dem weltweit geschätzten Dichter und Theologen in Bern, berichten seine Freunde: Kurt Marti habe jetzt als 90 Jähriger tatsächlich losgelassen und sich aus dem früheren Leben verabschiedet. Seine schöne Wohnung hat er aufgegeben und sich in einem Heim für alte Menschen sozusagen ein „leeres Zuhause“ geschaffen. Wer ihn besucht, findet tatsächlich neben dem Bett nur einen Sessel. In der Mitte steht ein Tisch mit zwei Stühlen, in einem Regal sind nur noch wenige Bücher. Kurt Marti, der Bücherliebhaber und Schriftsteller, nennt diese wenigen verbliebenen Gegenstände, sein „Gepäck“, von dem er sich leicht verabschieden kann, wenn das Leben zu Ende geht. In diesem Abschieds Zimmer hat er vor kurzem ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Heilige Vergänglichkeit“. Darin heißt es:

„Erwünscht wäre im Alter wahrscheinlich: Heitere Resignation. Noch besser ist allerdings – womöglich dankbare – Bejahung unserer Vergänglichkeit. Sie ist vom Schöpfer gewollt und deshalb: Heilige Vergänglichkeit“.

Die Vergänglichkeit kann Kurt Marti, der Christ und Theologe, „heilig“ nennen, weil sie von Gott so gewollt ist: Wir sind als endliche Wesen mit einer begrenzten Lebensdauer für eine unvollkommene Welt von Gott geschaffen. Das ist eine Grundüberzeugung christlicher Spiritualität. Was wäre denn auch die Alternative? Die Vorstellung etwa, wir bräuchten als Unsterbliche uns niemals von unserer Existenz zu verabschieden, könnten also ewig leben auf Erden: Da würde man jede Entscheidung auf ewig verschieben, ohne Entscheidung aber gibt es keine Freiheit. Unsterblichkeit auf Erden: Das wäre zutiefst unmenschlich.

Darum bleibt die Frage entscheidend: In welcher Weise und in welcher Stimmung, können sich Menschen würdig verabschieden? Die christliche Religion hat darauf eine provozierende Antwort: Jesus von Nazareth hatte noch die Kraft, einen Tag vor seinem Leiden, den definitiven Abschied im Kreis seiner Freunde zu feiern, also in Ruhe zu speisen und Wein zu trinken. Die Bilder vom Letzten Abendmahl, etwa das Gemälde Leonardo da Vincis, sind weithin bekannt. Jesus hat sich hier die Gelassenheit bewahrt in tiefster Erschütterung, im Angesicht der bevorstehenden Verurteilung, nicht völlig verloren zu sein. Selbst sterbend am Kreuz betete er noch einen Psalm.

Aber wer kann heute seinen eigenen definitiven Abschied wirklich feiern? Sterben nicht die meisten abgeschoben, isoliert, verlassen?  Ich habe in Holland schwerstkranke Menschen erlebt, die im Kreis ihrer Familie und manchmal in Anwesenheit eines Pfarrers im Rahmen der frei gewählten Sterbehilfe würdig Abschied nehmen konnten. Letzte Küsse, letzte Worte, ein Lächeln. Ein „Adieu“. Wer das miterleben konnte, scheut sich vor übereilten Urteilen und Vorurteilen über die gelegentlich angewandte aktive Sterbehilfe…

Aber darüber hinaus gilt: Diese Gelassenheit, in schweren Stunden zuversichtlich „das endgültige Adieu“ zu sagen, verstehen viele Menschen als Geschenk göttlichen Energie. Der Briefwechsel zwischen James Graf Moltke mit seiner Frau Freya ist dafür ein Zeugnis. James Moltke, der Widersacher der Nazis, wartet im Gefängnis Berlin – Tegel auf sein Todesurteil. Beinahe täglich konnten die  Liebenden einander schreiben und so ihre Verbundenheit ein wenig spürbar werden lassen. Als dann das definitive Ende für ihren Gatten nahte, schrieb Freya Moltke: „Ich verlasse dich nicht, denn meine Gefühle und alles, was lieben kann in mir, gehört ja Dir“.

Eine Philosophie des Abschieds wird keine treffenderen Worte finden: Trotz der definitiven Trennung blieben wir im Geist verbunden, im Geist der Liebe. Denn „die Liebe währet ewiglich“, sagen die Weisen aller Religionen.

Dieser Beitrag erschien am 5. November 2011 in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM,

copyright: christian modehn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Papst im Bundestag: Er beruft sich auf einen Historiker, dessen Bücher im Verlag der Piusbrüder verkauft werden

Hielt der Papst eine Rede im Bundestag im Geist der Piusbrüder?
Wir haben schon die Rede des Papstes im Bundestag aktuell analysiert, dazu gibt es einen eigenen Beitrag auf dieser Website. Interessanterweise wurde die Rede, wenn sie vollständig abgedruckt wurde, wie in der FAZ, ohne die Fußnoten dokumentiert. Das ist äußerst bedauerlich, denn Papst Benedikt verweist unter insgesamt 5 Fußnoten gleich 3 mal auf ein Buch des Rechtshistorikers Wolfgang Waldstein, “Ins Herz geschrieben”, das ursprünglich im katholischen St. Ulrich Verlag, Augsburg, erschienen ist. Dort werden katholische Kirchenzeitungen verlegt, etwa auch für das Erzbistum Berlin. Dieses Buch von Waldstein wird aber ohne weiteres auch vom Verlag der traditionalistischen Piusbrüder Deutschlands (Sarto Verlag) vertrieben, dort kann u.a. alle Schriften des Gründers, Marcel Lefèbvre kaufen. Diese Information wurde am 25.9. um 14 Uhr auf der Sarto Website gelesen. Die Piusbrüder vertreiben selbstverständlich nur Bücher, die voll und ganz der eigenen Ideologie entsprechen. Das Buch von Wolfgang Waldstein entspricht offenbar dieser Ideologie. Hat der Papst also im Bundestag zumindest indirekt Positionen der Piusbrüder vertreten, die ja bekanntermaßen keine sehr großen Freunde der westlichen liberalen Demokratie sind? Es ist für den Papst äußerst blamabel, dass sein 3 mal zitierter Gewährsmann Wolfgang Waldstein ein enger Freud aus dem politisch sehr rechtslastigen kreuz.net ist, dort wird er 14 mal positiv erwähnt (gelesen am 25.9. um 14.30 Uhr), kreuz.net so meinen viele Beobachter, gilt als eine der übelsten polemischen Presseorgane. Es ist ein bißchen problematisch, dass der Papst sich in seiner Bundestagsrede auf einen kreuz.net Freund beruft.
copyright: christian modehn.

Spiritualität in Berlin – die erste Zusammenkunft: Ein erster Erfolg

Welche Spiritualität braucht Berlin?

Das Gespräch über „Spiritualität in Berlin“ im Radialsystem, AGORA, am Mittwoch, den 14. September 2011, war sehr gut besucht: Mehr 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dabei. Wir werden auf diese Veranstaltung noch ausführlicher zurückkommen und ankündigen, in welcher Form dieser offene Austausch von Menschen unterschiedlicher Spiritualität und von verschiedenen „spirituellen Basisinitiativen“ fortgesetzt wird.

Ursula Richard, Autorin des Buches „Stille in der Stadt“, und eine Initiatorin des Treffens, plädierte dafür, dass wir in Berlin mehr Orte der Stille brauchen. Ohne Stille kann es keine innere Sammlung und damit keine spirituelle Entwicklung geben. In der gemeinsam erlebten Stille können sich unterschiedliche Menschen näher kommen. Auf das neue Buch der Verlegerin Ursula Richard haben wir auf dieser website schon empfehlend hingewiesen.

In- Sun Kim, Leiterin des interrreligiösen Hospizes Berlin, betonte: Mitgefühl ist die Basis für eine allen Menschen zugewandte Spiritualität. Dieses Mitgefühl kann eingeübt, gelernt, gepflegt werden. Ohne Mitgefühl kann es keine Kultur in der Stadt geben. Frau Kim Sie forderte erneut, dass die vielen Menschen aus asiatischen Kulturen ein eigenes großes „Haus des Abschieds“ brauchen. Die Trauerriten der meisten Asiaten verlangen nach längeren Totenwachen, nach großen Räumen, in denen sich Freunde und Angehörige der Verstorbenen treffen können. Sponsoren für ein „interreligiöses Abschiedshaus“ werden dringend gesucht. Wer sich dafür einsetzt, fördert ein Modell – Projekt! Frau Kim erinnerte daran, dass die etwa 100 ehrenamtlichen Mitarbeiter des Hospizes selbst viel über Leben und Sterben und Tod gelernt haben. “Hospizausbildung” kann eine Schule des Abschieds sein…

Dr. Wilfried Reuter vom Lotus Vihara Zentrum in Berlin-Mitte (Neue Blumenstr. 5) zeigte, dass von der Basis aus in Privatinitiative ein wichtiges und wegweisendes Meditationszentrum aufgebaut werden konnte, ein Haus, das vielen Menschen auch Lebensorientierung in Krisenzeiten bietet. Dr. Reuter, Frauenarzt in Kreuzberg, forderte die Gründung eines Krankenhaus in buddhistischem Geist.

Christian Modehn vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon meinte, dass eigentlich jeder Mensch als „Wesen der Vernunft, also des Geistes“, bereits seine eigene, ganz persönliche Spiritualität immer schon lebt und praktiziert; oft hat der einzelne darüber noch kein deutliches Wissen. Diese immer schn gelebte eigene Spiritualität kritisch zu befragen, ist die entscheidende Aufgabe. Aber es gibt auch eine Form der Ermunterung zur eigenen Spiritualität, die das Leben begleitet und orientiert. Denn jeder hat seinen oft noch ungewussten Mittelpunkt im Leben, dem alles Interesse gilt, alle „Opfer“ gebracht werden, wenn etwa in der Kultur, Film Musik, Kunst, „Unbedingtes“ erlebt wird. Christian Modehn wies darauf hin, dass Spiritualität heute ein „Marktbegriff“ geworden ist, damit wird – oft von selbst ernannten Meistern – viel Geld verdient. Nicht überall, wo Spiritualität drauf steht, ist auch wirklich Geistvolles, kritisch Inspirierendes und Belebendes, also wirkliche Spirituaität, drin.

Viele Teilnehmer wünschten, dass diese offenen Debatten ohne konfessionelle Bindung und ohne dogmatische Voraussetzungen weitergeführt werden soll.
Berlin ist eine spirituelle Stadt (nicht mehr eine kirchenfromme und in dem Sinne auch keine religiöse Stadt), aber der Geist, spiritus auf Lateinisch, ist da, er belebt die Vernunft und …. auch das Herz.

Europa im Hausflur: Zum internationalen “Tag des Nachbarn”

Philosophie als Orientierung und Lebensgestaltung kann nicht darauf verzichten, auch praktische Beispiele eines humaneren Miteinanders vorzustellen. Alleinsein und Einsamkeit sind Themen der Philosophie. In der Praxis werden am “Tag des Nachbarn” Brücken gebaut, Verbindungen gestiftet für mehr Nähe und Solidarität unter den Menschen.

Europa im Hausflur
»Das Fest der Nachbarn« – damit die Stadt menschlicher wird
Von Christian Modehn

Sieben Jahre wohne ich in dem Hochhaus zusammen mit 80 anderen Mietern. Im Fahrstuhl schauen die meisten eher weg, wenn jemand einsteigt. An der Haustür ist ein zaghaftes Nicken schon eine Meisterleistung der Kommunikation. Seit ein paar Monaten ist das anders: Ich kenne die Namen einiger Mitbewohner; eine afrikanische Familie hat mich zum Aperitif eingeladen; als ein Pärchen verreiste, habe ich die Blumen gegossen; an einem Sonntag hat mich ein älteres Ehepaar gebeten, sie zur Ambulanz zu begleiten: Allmählich wird das Leben hier menschlicher, freundlicher.«

Gisèle Perroux, 46 Jahre, sie lebt in Paris und ist Versicherungsangestellte, Single, wie die meisten Bewohner ihres Hauses. Vom Charme der Seine-Metropole ist hier, im 13. Stadtbezirk, wenig zu spüren: Ein Wohn-Turm steht neben dem anderen, es gibt wenig Grünflächen, durch die Straßen donnert der Verkehr, die typischen »Pariser Bistros« muss man anderswo suchen. Auf engstem Raum wohnen hier 300 000 Menschen zusammen aus 45 Nationen. »Vor einem Jahr hatten wir in unserem Hausflur ein kleines Fest veranstaltet: Mit einem Plakat an der Eingangstür hatte ich alle Mieter eingeladen, am Abend zu einer kleinen Stehparty zusammenzukommen: Immerhin: 30 Nachbarn fanden sich ein; vier Leute brachten Rotwein mit, eine Familie aus Spanien hatte gleich drei Flaschen Sherry dabei, ich hatte für etwas Käse gesorgt, eine Dame aus Vietnam brachte Frühlingsrollen: Drei Stunden feierten wir gemeinsam.«

Gisèle Perroux hatte im Radio von einer neuen »Bürgerbewegung« gehört. Sie heißt »Immeubles en fete«, »Wenn Mietshäuser feiern«: Einmal im Jahr, immer im Mai, werden die Bürger in ganz Frankreich eingeladen, den Tag der guten Nachbarschaft zu feiern. In diesem Jahr, am 25. Mai, haben mehr als drei Millionen Menschen in 210 verschiedenen Städten zusammen gefeiert. »Bei unserem Haus-Fest in der Rue Barni hatten wir sogar einen Akkordeonspieler dabei, wir haben im Hof etwas gegrillt, eine marokkanische Familie war ganz glücklich, dass sie dabei sein konnte, zum ersten Mal hat sie sich mit jungen Chinesen aus unserem Haus unterhalten. Eine pensionierte Lehrerin hat mit meinem Sohn lange Zeit diskutiert; sie will ihm jetzt Nachhilfeunterricht in Mathematik geben. Ich konnte von meiner Vorliebe für die Homöopathie vielen Nachbarn erzählen«, berichtet Carole Minois aus Lille. Sie ist begeistert: »Das Leben in unserem Haus macht wieder Spaß.«

Für die Initiatoren von Immeubles en fete ist das schon eine Überraschung: Viele tausend Franzosen lassen sich von der Idee ansprechen, etwas Sinnvolles für ein menschlicheres Zusammenleben in den Städten zu tun. Vor fünf Jahren hatte der Sozialwissenschaftler Atanase Périfan ganz bescheiden in seinem Wohnbezirk in Paris seine Nachbarn zum gemeinsamen Fest eingeladen. Bürgermeister hörten von der Initiative, Journalisten meldeten sich, Städteplaner, Pfarrer, Ärzte, Lehrer, alle wollten Näheres wissen. Sie alle fanden die Idee »ganz toll«. Ein Jahr später war Immeubles en fete längst in ganz Frankreich bekannt: Im Jahr 2002 waren bereits 126 Städte beteiligt, ein Jahr später machten auch Städte in Belgien, Spanien, Rumänien, Österreich, Irland, Italien mit. Immer mehr Europäer lassen sich von der französischen Kunst, zu improvisieren, begeistern: Einen ganzen Abend im Haus zu feiern, im Flur, im Hof, im angrenzenden Garten oder auf der Straße. Jeder bringt etwas mit. Wichtig ist nur, dass sich jemand für diese Feier verantwortlich fühlt.

Immeubles en fete« ist inzwischen ein professionell arbeitender Verein mit eigenen Büros in Paris. Atanase Périfan versorgt mit seinem kleinem Team aus sechs hauptamtlichen und vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern inzwischen europaweit die Bürger mit allen nötigen Informationen. Der Verein ist politisch unabhängig und weltanschaulich neutral. »Wir wollen von der Basis her, von den Interessen der Bewohner, das Leben in der Stadt etwas menschlicher machen. Jammern nützt nichts, auf bessere Zeiten warten auch nichts. Wir Bürger können jetzt was tun, können jetzt unser Zuhause freundlicher gestalten, können uns aus den Zwängen der Anonymität und des Individualismus befreien. Unser Motto heißt: Wir überlassen unser Viertel nicht der Gleichgültigkeit. Wir ermuntern die Menschen, den anderen wieder wahrzunehmen, aus der Einsamkeit der eigenen vier Wände herauszukommen.«

Im August 2003 sind bei der großen Hitzewelle in Paris einige tausend alte Menschen in ihren Wohnungen umgekommen, sie sind verhungert, verdurstet, haben den Schlaganfall nicht überstanden. Angesichts der Opfer der Hitzewelle wurde den Franzosen einmal mehr bewusst, wie es um die Menschlichkeit in den großen Städten bestellt ist. Darum fördern jetzt Politiker aller Parteien die große Volksbewegung »Immeubles en fete«. Die Bürgermeister sind voll des Lobes für diese Basisbewegung, die den Städten »das menschliche Herz« wiedergeben kann. Und Sozialwissenschaftler fragen sich, warum eigentlich noch niemand vorher auf diese Idee gekommen ist: »800 000 Singles wohnen in Paris, dass die Einsamkeit groß ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Viele ältere Leute haben niemanden. Die gute Nachbarschaft wieder zu entdecken ist geradezu lebensrettend, sie führt zur Vitalisierung des urbanen Lebens«, sagt Robert Rochefort, er ist Direktor des »Pariser Studienzentrums für die Lebensbedingungen in den großen Städten«.

Um die aufwändige Werbung und die nötige Lobbyarbeit zu fördern, haben sich Firmen als Unterstützer gemeldet. In den Filialen der Supermarktkette Monoprix liegen Informationen aus; auch das katholische Verlagshaus Bayard-Presse mit seiner Tageszeitung La Croix macht ordentlich Werbung. Der menschliche Zusammenhalt ist in Metropolen wie Paris mit seinen 9 Millionen Einwohnern, Marseille oder Lyon (jeweils mit mehr als einer Million Bewohner) längst zerbrochen. Verbindung mit den Kirchengemeinden haben nur noch verschwindende Minderheiten, die Kneipe als Treffpunkt ist für viele längst zu teuer. Die gute Nachbarschaft kann das soziale Netz wieder stärken, das Gefühl der Verantwortung wecken: So wird selbst eine schlichte Sozialwohnung ein Stück Zuhause, vielleicht sogar »Heimat«.

Kontakt: Immeubles en fete. 1 bis, Rue Descombes, F-75017 Paris; www.immeublesenfete.com
copyright:Christian Modehn, Berlin