„Große Freiheit“: Nur ein Traum für homosexuelle Katholiken. Der § 175 besteht nach wie vor in der römischen Kirche.

Ein Hinweis von Christian Modehn.   Um die wichtigste Erkenntnis kurz, aber wahr vorweg zu sagen: Es sind die maßgeblichen Herren der Kirche(n), die in Europa und Amerika und Afrika bis jetzt immer noch und unverschämt gegen die völlige Gleichberechtigung homosexueller Menschen (abgekürzt bekanntlich: LGBT) agieren und hetzen.  Der demokratische Staat sollte diesen Herren eine Kinokarte schenken, damit sie sich möglichst gemeinsam den Film “Große Freiheit” ansehen und wenigstens mal kurz zu Tränen gerührt werden. Um menschlich und christlich zu werden…Ist aber unwahrscheinlich…

1. Jetzt (am 18.11.2021) kommt der Film „Große Freiheit“ von Sebastian Meise in die Kinos. Der Film erzählt das Leben eines Homosexuellen,  er heißt Hans, der viele Jahre seines Lebens, in der Nazi-Zeit und danach in der BRD, in Gefängnissen zubringen musste. Aus dem „einfachen“ Grund: Er liebte Männer, diese Liebe durfte nicht sein, sie störte die Hetero-Moral und den Männlichkeitswahn….die Liebe galt als „widernatürliche Unzucht“. Liebende Männer wurden zu Verbrechern erklärt. Die BRD – Gesetzgeber und Richter, bekanntlich oft noch Nazis, hatten die Nazi-Gesetze ziemlich unverändert übernommen. Erst 1994 wurde in der BRD dieser verbrecherische Paragraph aufgehoben.

2. Der Film „Große Freiheit“ wurde schon in Cannes ausgezeichnet; er ist ein Meisterwerk, nicht zuletzt durch die großartige Leistung von Hans Rogowski („Hans“) und Georg Friedrich (als „Viktor“, Zellennachbar von Hans).

Der Film wird hoffentlich über das individuelle Schicksal und das Leiden hinaus das Thema Homosexualität in den Mittelpunkt der Diskussionen stellen, hoffentlich. Denn Wichtiges gibt es zu besprechen, zu analysieren, zu kritisieren, anzuklagen. Etwa die Unterdrückung und Ermordung von Homosexuellen weltweit, vor allem in den meisten Staaten Afrikas und Asiens, im arabischen Raum vor allem, in Regimen, die sich islamisch nennen, also angeblich den barmherzigen Gott Allah verehren. Diese, nach außen hin religiösen Regime sind besonders mörderisch gegenüber Homosexuellen. „In 69 Staaten wird gleichgeschlechtliche Sexualität noch strafrechtlich verfolgt, in einigen Ländern sogar mit der Todesstrafe bedroht“, berichtet die Website des Lesben – und Schwulenverbandes LSVD. (https://www.lsvd.de/de/ct/1245-LGBT-Rechte-weltweit-Wo-droht-Todesstrafe-oder-Gefaengnis-fuer-Homosexualitaet). Genauso schlimm ist die Diskriminierung Homosexueller mit Gewaltattacken in so genannten westlichen Staaten, wie Brasilien unter dem de facto-Diktator Bolsonaro (er nennt sich katholisch, aber gleichzeitig auch evangelikal!).

3. Aber man mache sich nichts vor: Auch in Europa, dem freiheitlichen, gibt es noch vielfältige versteckte oder offene Repression gegenüber Homosexuellen. Für den „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“  ist besonders interessant: Um von den genauso anzuklagenden evangelikalen, sich evangelisch nennenden Kirchen gar nicht zu sprechen: Der Vatikan und mit ihm die oberste katholische Zentrale der Glaubenslehre und Moralverbreitung kennt bis heute de facto den § 175: Das heißt: Priester und Gemeindemitarbeiter, etwa Pastoralreferenten, die sich als schwul outen, werden entweder gar nicht erst in einem Dienstverhältnis zugelassen. Oder sie werden, etwa als junge Priesteramts-Studenten oder junge Ordensmitglieder, sofort entlassen. Selbst Priester, die sich nach etlichen Jahren der Gemeindearbeit outen, haben es schwer und sind bedroht, aus dem Priesteramt gedrängt zu werden, mit all den finanziellen Problemen, die sich dann ergeben.

4. Der § 175 wirkt in der katholischen Kirche auf subtile, aber skandalöse Weise: Wer sich noch für den geistlichen Beruf entscheidet, verschweigt diplomatischerweise seine Homosexualität, er verleugnet seine eigene Identität, lügt und lebt bis zum Lebensende in ständiger Angst, irgendwann dann doch entdeckt und bestraft zu werden. Die versteckten, also nicht offen homosexuell lebenden Priester und Ordensleute sind dann oft nach außen hin, etwa in Predigten, die größten Feinde von selbstverständlich frei gelebter Homosexualität. Der Soziologe Frédéric Martel hat in seiner großen empirischen Studie „Sodom“ diese Zusammenhänge aufgezeigt, besonders in dem verlogenen Verhalten zahlreicher Priester im Vatikan und in hohen klerikalen Kreisen, man denke an den theologisch reaktionären Kardinal Lopez Trujillo aus Kolumbien. LINK

5. Papst Franziskus, den einige immer noch für insgesamt progressiv halten, fährt auch in dieser Frage einen Zickzack-Kurs, mal sagt er dies, mal jenes zum Thema Homosexualität. Das ist bekannt. Besonders ärgerlich war sein Nein zur Segnung homosexueller Partnerschaften, wohl gemerkt, es ging um eher schlichte, freundliche Segnungen, so, wie die katholische Kirche seit Jahrzehnten Autos segnet und Hunde, Rinder und Handys, selbst ein Walross im Hamburger Zoo hat Bischof Hesse gesegnet.  LINK . Aber nein: Diese eher bloß freundliche Geste einer Segnung darf für Menschen, für Homosexuelle, NICHT sein. Sie sind (als Untermenschen?) weniger wert als Walrösser und Handys, welch ein Skandal für das ohnehin total ramponierte Ansehen der römisch-katholischen Kirche. Bei den Orthodoxen ist es nicht anders… Wie weit diese verkrampften, verlogenen Homo-Prälaten, Kardinäle und der Papst aus der Gegenwart der Vernunft gefallen sind, sieht man daran: Es ging bei den aktuellen Debatten doch gar nicht um das eigentlich heute gebotene Thema der kirchlichen Segnung (katholisch: ein Sakrament) der Ehe, also der Homo-Ehe. Allein diese Homo-Ehe-Debatte wäre interessant gewesen angesichts der Tatsache, dass einige demokratischen Staaten längst per Gesetz die Homo-Ehe eingeführt haben. Bei den gegebenen Verhältnissen also wird die römische Kirche, um nur diese zu nennen, nach wie vor zu den Verteidigern des §175 zählen. Was diese Haltung mit Menschlichkeit, geschweige denn mit der Lehre des Propheten Jesus von Nazareth zu tun, ist klar: gar nichts!

6. Ich habe früher schon zu dem Thema einige Hinweise veröffentlicht, sie zeigen: Fast nichts bewegt sich in der katholischen Kirche.

Am 2. Dezember 2018: LINK :

Am 20.6.2019: LINK

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Magnus Hirschfeld: 150. Geburtstag: Homosexualität ist normal.

Am 14. Mai vor 150 Jahren wurde der Sexualwissenschaftler und Gründer eine homosexuellen “Bewegung” Magnus Hirschfeld geboren. Er war ein Aufklärer, ein Wissenschaftler und Arzt, der einen kulturellen “Durchbruch” schaffte, auch wenn es weltweit immer noch sehr viele Staaten gibt, die Homosexuelle ausgrenzen, verfolgen und töten.

Ich möchte aus diesem Anlass, aus dem Gedenken an Magnus Hirschfeld, auf meine Beiträge hinweisen, die hier publiziert wurden zu dem nach wie vor aktuellen Thema: “Der § 175 besteht in der römisch – katholischen Kirche noch immer”.

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der § 175 besteht noch: In der katholischen Kirche

Wir wurden gefragt, was der “Religionsphilosophische Salon Berlin” zur Emanzipation der Homosexuellen an Informationen und Kommentaren “bietet”. Sie lesen also jetzt hier die immer noch gültigen Beiträge, die vor einigen Monaten zu dem Thema “Der § 175 besteht in der katholischen Kirche noch immer” veröffentlicht wurden.

Man muss in dieser Deutlichkeit sprechen, um die Dimension der (seelischen, körperlichen) Unterdrückung und Ausgrenzung von Homosexuellen (auch der Theologen, der Priester, der Theologie – Studenten, der Gemeindemitarbeiter) in der Kirche zu begreifen. Diese Kirche hat weltweit so viel Macht, so viel Einfluß, dass sie mit dieser so genannten “Moral” auch noch die staatliche Gesetzgebung beeinflussen will und so die Menschen schädigt und knechtet; auch dadurch, dass so viele fromme, aber theologisch dumm gehaltene Leute diese “Moral” ihrerseits auch politisch vertreten, wie in Frankreich jetzt deutlich wurde oder in Lateinamerika und Afrika und auf den Philippinen.

Ich bin der Meinung, dass eine moderne liberale und freisinnige Theologie, wie ich sie als Remonstrant vertrete, keineswegs zur allgemeinen und naiv – pauschalen Anerkennung aller nur möglichen auch indiskutablen theologischen Überzeugungen führen kann. Auch liberale und freisinnige Theologie hat normative Elemente. Sie werden von der aktuellen, kritisch reflektierten Vernunft (!) vorgegeben. Diese Vernunft ist selbstverständlich Ausdruck des Geistes, des heiligen Geistes, um es klassisch theologisch zu sagen! Das heißt, ein paar übliche Bibel-Sprüche zum Thema helfen überhaupt nicht weiter! Wenn man so will: Der (heilige) Geist “sagt”: Homosexualität  ist normal. Sie verdient kirchlichen Segen, auch der homosexuellen Ehen, wie die Ehen der Heterosexuellen. Die niederländischen Remonstranten waren 1986 die erste Kirche weltweit, die sich zum Segen homosexueller Paare entschlossen hatte, selbstverstädnlich auch solcher, die nicht zur Remonstranten Kirche gehören. Die katholische Kirche ist so borniert, dass sie lieber Autos, Handys, Walrösser (wie durch den Hamburger Erzbischof) usw. segnet als homosexuelle Menschen. Dieses arrogante Verhalten der Kirchenführung ist eine Schande.

Eine aktuelle Ergänzung zum Thema am 28.4. 2017: Klicken Sie hier. 

Am 23.1. 2017 wurde publiziert::

Der Vatikan hat in diesen Tagen erneut davor gewarnt, homosexuelle Männer zu Priestern zu weihen. Damit werden schwule Männer in ihrer religiösen Berufung und in ihrer Freiheit, ihren Glaubens auf ihre Weise (eben als Priester) zu gestalten, eingeschränkt. Schwule erleben insofern ein Berufsverbot, sie werden diskriminiert und zurückgewiesen. Diese Vorgänge erinnern an Zeiten, als der § 175 in Deutschland homosexuelle Männer ausgrenzte und verfolgte, die Nazis brachten viele von ihnen ins KZ, viele wurden dort ermordet. Der Vatikan ist also einer der letzten Staaten und eine der letzten Organisationen in der westlichen Welt, die dieses Berufsverbot und diese Fortdauer des § 175 betreibt. Erst jetzt beginnt der demokratische Staat Deutschland langsam die eigenen Verfehlungen auch gesetzlich “aufzuarbeiten”.

Also: Tatsache ist, überall bekannt: Männer, die sich offen als homosexuell bekennen, haben keine Chance, Priester zu werden oder als Laientheologen, etwa als Pastoralassistenten, zu arbeiten. Selbst Mitglieder eines katholischen Laiengremiums oder Angestellte der Kirche, etwa in katholischen Privatschulen, sind gut beraten, sich nicht zu “outen“. Sie sollten um ihrer Karriere willen schweigen zu ihrer Identität! Diese Regelung gilt weltweit, sie wurde unter Kardinal Joseph Ratzinger bzw. Papst Benedikt XVI. erneut bestätigt. Und jetzt wieder einmal (römisches Dokument „Das Geschenk der Berufung zum Priestertum“ vom 8.Dezember 2016) durch die neuen Weisungen aus Rom zur Priesterausbildung bekräftigt. Das hat jedenfalls Papst Franziskus zugelassen, der angeblich ein bißchen liberale… Die offizielle katholische Lehre betont, so wörtlich, dass homosexuelle Handlungen „auf keinen Fall zu billigen sind“ (so im „Katechismus der katholischen Kirche“ von 1993, § 2357). Homosexuelle werden offiziell nur geduldet, wenn sie auf Sexualität, also auf körperliche Liebe, auf homosexuelle Ehe, auf Miteinanderleben und Lebenteilen verzichten. Sie sollen also verzichten auf das, was bekanntlich im Neuen Testament das Höchste genannt wird, die Liebe. Niemals hat eine andere Religionsgemeinschaft ein so drastisches Liebes-VERBOT erlassen… Diese Katechismus-Formulierungen könnten jedoch wörtlich auch von fundamentalistischen muslimischen „Gelehrten“ stammen… Und dieses Fortleben des § 175 im römischen Katholizismus zeigt sich weltweit: Im katholischen Polen wird diese päpstliche „Missbilligung“ Homosexueller politisch von der klerikalen Rechten “umgesetzt”. In katholischen Ländern Lateinamerikas gibt es immer noch heftige Attacken gegen homosexuelle oder transsexuelle Menschen, etwa in Brasilien oder Mexiko und in Zentralamerika, vor allem in Honduras. Von den dort ermordeten Aktivisten spricht hierzulande fast niemand. Und Homophobie ist nach wie vor auch in Deutschland vorhanden, in dem zunehmend rechten, manchmal fundamentalistisch-rechten christlichen Milieu.

Dabei ist es – auch theologisch gesehen – längst zweifelsfrei und eigentlich keiner theologischen Diskussion mehr wert:  Homosexualität ist eine Variante der menschlichen Sexualität, eine normale Variante, “eine gute Gabe des Schöpfers”, wie sich Pater Jan van Kilsdonk SJ, Amsterdam , gern ausdrückte; Homosexualität ist also  genauso gut wie die Hetero-Variante. Weil Homosexualität normal ist, deswegen ist auch die so genannte HOMO – Ehe, die Ehe für alle, selbstverständlich normal. Und deswegen eigentlich kaum der Rede wert. Wenn denn auch Homosexuelle die Ehe wünschen…

Die Bibel (auch der Koran) sagt zur modernen Erfahrung von Homosexualität gar nichts. Man setze also auf die Vernunft, nicht auf religiöse Traditionen in dieser Frage! Lege also Bibel und Koran in dieser Frage guten Gewissens beiseite!

Wer sich in diesem 21. Jahrhundert als homosexueller Theologe in der Kirche allerdings verleugnet, also sein wahres Wesen verstellt und es verschweigt, hat durchaus – wie früher schon immer – Chancen, in der römischen Kirche als Priester (Bischof, Kardinal, Papst etc.) bzw. Pastoralmitarbeiter zu arbeiten und Karriere zu machen. Und insofern ist die römische Kirche heute voller “verschwiegener” homosexueller Priester. Der “Preis” dafür ist für den Betroffnen nicht nur hoch, sondern für die psychische Gesundheit katastrophal: Es führt zu verlogenen, verkrümmten Gestalten, eben zu solchen, die nie ihr wahres Wesen offen mit anderen teilen können und eben auch nicht Liebe erfahren, und wenn, dann nur heimlichen Sex –etwa in Saunen und Dark Rooms – haben oder in versteckten Beziehungen. Dies alles ist weltweit bekannt inzwischen. Und wer sich als Journalist mit kritischen Insidern der römischen Kirche in Rom, Paris, Barcelona, New York, Warschau, Köln oder Berlin usw. unterhält, der kann förmlich ganze lange Listen von versteckt homosexuell lebenden Priestern zusammenstellen. Und es sind unter den Jüngeren, so wird glaubhaft, auch aus Kirchen-Gemeinden, berichtet, sehr viele schwule „Geistliche“, gerade in den so genannten neuen „geistlichen Bewegungen“. Das sind dann eben jene Priester, die versteckt ihr Schwulsein ausleben, also den Normen der Kirche nicht entsprechen, aber zum Beispiel frommen wiederverheirateten katholischen Eheleuten den Empfang der Kommunion verweigern. Und diese Priester schimpfen auf der Kanzel laut gegen die Ehe von Homosexuellen und organisieren, wie in Frankreich, Massen-Demonstrationen: Sie haben die sozialistische Regierung letztlich auch zu Fall gebracht…

Darum merke: Je stärker die Homophobie eines Priesters, um so stärker das eigene, homosexuelle Betroffensein…

Der § 175 besteht also in der römischen Kirche weiter. Und es gibt förmlich eine gut vernetzte klerikale Sittenpolizei der Kirchenbehörden. “Sittenpolizei” kannte man auch im Umfeld des § 175 etwa zur Zeit der Nazis oder der frühen BRD.  Zu Folter und Feuertod, wie bis ins 17. Jahrhundert, dürfen die heute „entdeckten“ homosexuellen Priester bzw. Priesterkandidaten nicht mehr verurteilt werden. Denn einige Staaten Europas sind, gegen den Willen der Kirche von einst, inzwischen Demokratien und Rechtsstaaten, die Homosexuelle jetzt – offiziell – schützen.

Die Verteidigung von Menschenrechten aus offiziellem katholischem Munde ist angesichts dieser Situation heute oft nicht mehr als leere Propaganda. Das elementare Menschenrecht, etwa das Recht, auch „anders“ zu lieben und Sexualität „anders“ zu leben, gilt in dieser Kirche eben nicht(s). Die katholische Kirche, auch der Papst, müssten eigentlich vor Scham erbleichen, wenn sie nur wahrnehmen könnten: Eigentlich gilt in unserer Kirche immer noch ein Naziparagraph.

Mit dieser Haltung „verliert“, so möchte man sagen, die römische Kirche heute nicht nur ganze Generationen von (jungen) Schwulen und Lesben, sondern auch deren vernünftige Freundinnen und Freunde. Und dann wird über die „Säkularisierung“ und Kirchendistanz auch noch kirchlicherseits offiziell geklagt… Es ist die römische Kirche selbst, die religiös interessierte Menschen, eben auch Homosexuelle, schädigt, aus spirituellen, kirchlichen Zusammenhängen vertreibt und vertrieben hat. Es gibt also eine Form der kirchlichen Selbst-Marginalisierung.

Alles wurde tausendmal gesagt: „Es ist ein purer Wahn, wenn die römische Kirche behauptet: Sie habe eben ihr eigenes, ihr katholisches Gesetz in ethischen Fragen“. D.h.: Die allgemeine, vernünftige Ethik, die sich immer weiter entwickelt, gelte also nicht innerhalb der Rechtsprechung der Kirche!

Es ist merkwürdig, dass die Verurteilung lesbischen Lebens und Liebens in der römischen Kirche kaum ein Thema ist, Gott sei dank, möchte man im Sinne der Frauen sagen. Man soll ja keine – in diesem Fall- schlafenden Glaubenswächter wecken… Aber dieses römische Verhalten hat nichts mit partieller Toleranz zu tun. Denn Frauen sind im römischen Kirchensystem ohnehin nicht wichtig, ob lesbisch oder nicht. Sollen doch in den Klöstern viele Lesben leben, denkt der Klerus; Frauen nun auch auf diese Weise – Gott sei dank in diesem einen Fall – ignorierend.

Copyright: Christian Modehn

Es wäre wert, in historischen Studien  zu untersuchen, wie der § 175 schon in der Weimarer Zeit und auch nach 1933 von der Kirche, den Kirchen, verteidigt wurde. Wie faschistische Diktaturen (und kommunistische) die „Ideen“ dieses Paragraphen anwandten und etwa faschistische Diktaturen auch in der Hinsicht katholische Unterstützung fanden. Eine extreme Leidens-Geschichte würde freigelegt werden. Eine ähnliche Forschung könnte sich etwa auf die Klöster und Orden beziehen. Ein weites Feld, wie mit schwulen Mönchen umgegangen wurde und wird. Aber es gehört zur Marginalisierung der Homosexuellen in der Geschichte, dass Verfolgung und Unterdrückung (und Tötung durch die Inquisition) kaum dokumentiert sind. Es fehlen heute einfach viele Fakten. Alle Dokumente wurden vernichtet oder sind als Dokumente nicht zugänglich in den Kirchenarchiven.

Die Ausgegrenzten, die Schwulen, wurden auch auf diese Weise ins Nichts des Vergessens gestürzt. Die Erinnerung an schwule Priester usw. wurde und wird offiziell sofort ausgelöscht und verhindert und wer davon spricht, muss mit kirchlichen – römischen Strafen rechnen.

Nicht zu verheimlichen ist hingegen die allgemein bekannt gewordene, offen gelebte und als solche bekannte Homosexualität einiger katholischer Bischöfe, wie Kardinal Spellman, New York; Bischof Juan Carlos Maccarone, Santiago del Estero, Argentinien; oder Bischof Juliusz Paetz, Posznan, Polen. Die Liste ist unvollständig. Die genannten Namen wurden in diesem Fall zuverlässigen wikipedia entnommen.

Zu den Erfahrungen des Philosophen Michel de Montaigne in Rom, im Jahr 1580/81. Dargestellt in dem Buch “Tagebuch einer Reise nach Italien”, Diogenes Verlag, 2007, Seite 223 f.

Dort berichtet Montaigne, wie er, vom Petersdom kommend, einen Mann trifft, der berichtet: In der Kirche “San Giovanni a Porta Latina” hätte es vor kurzem eine Bruderschaft gegeben, von Portugiesen gegründet. “Während einer Messe dort schlossen damals Mann und Mann die Ehe. Und zwar nach denselben Ritualen, die in unseren Trauungen üblich sind…um dann zusammen zu ziehen und einander beizuwohnen”, soweit berichtet Montaigne von der Begegnung. Er selbst habe dann, so wörtlich, “mit römischen Kirchenrechtlern gesprochen”, die die Männer als Schlaumeier bezeichneten, weil diese glaubten: Die korrekte Imitation einer (Hetero) Eheschließung  sei dann auch für sie als Männer gültig… Montaigne beendet seine ungewöhnliche Notiz ziemlich lapidar: “Dies war also ein Irrtum, den acht, neun der Portugiesen auf dem Scheiterhaufen büßten”. Glaubwürdig ist dieser Bericht Montaignes durchaus, zumal in Rom damals ja allerhand “moralisch” möglich war: Bekanntermaßen gab es Päpste wie PAUL II. oder Julius II. und Julius III.,  die offen homosexuell lebten! Andere waren hetero-verheiratet waren, wie Alexander VI.. Und in den Orden, wie den Piaristen, dominierten schon nach der Gründung pädophile Kreise, (Stefano Cherubini u.a.), über die der Religionsphilosophische Salon ebenfalls berichtet hat. Nur eben der Unterschied: Homosexuelle Katholiken wurden damals verbrannt, wenn sie nicht gerade Päpste und Kardinäle waren…

copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin.