Die Russisch-Orthodoxe Kirche und ihr Patriarch Kirill I. von Moskau. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Edgar Dusdal, verfasst Ende April 2022.

Edgar Dusdal ist Pfarrer der Evangelischen Gemeinde in Berlin-Karlshorst. Dort befindet sich auch das „Deutsch-Russische Museum“. Seit Beginn des Krieges Russlands bzw. Putins gegen die Ukraine heißt das Haus „Museum Berlin-Karlshorst“. Am Museum wurde mit Kriegsbeginn die Ukrainische Flagge gehisst.

„Russland, Ukraine, Belarus, das ist die Heilige Rus!“ So betont es seit Jahren immer wieder das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, der Patriarch Kyrill I. Sogar auf Rockkonzerten tritt er, für uns ungewöhnlich, mit dieser Botschaft auf und wird dafür von seinen Zuhörern gefeiert.
Die russisch-orthodoxe Kirche meint ihre historische Rolle wieder wahrnehmen zu müssen, die sie vor der Oktoberrevolution 1917 innehatte. Aus ihr leitet sie den Anspruch ab, das heilige Russland vor den Versuchungen des Antichristen zu bewahren und die Einheit von Orthodoxie, Autokratie und Volkstümlichkeit zu garantieren – eine Formel, die unter Zar Nikolaus I. erstmals artikuliert wurde und seit Mitte des 19. Jahrhunderts die drei Säulen bezeichnet, auf denen das russische Imperium ruhe: ein starker Staat, eine starke kirchliche Stütze desselben und die Gemeinschaft des gläubigen Volkes.

Die liberale Kirchenhistorikerin Jelena Beljakowa formuliert es für die Entwicklung Ruslands seit dem Ende der Sowjetunion so: „Es hieß immer, Russland brauche eine nationale Idee, die alle eint. Nun ist sie gefunden. Es ist die Orthodoxie. Die Macht nutzt die Kirche als ideologische Basis: Die Idee des Isolationismus, des russischen Sonderweges, der Gegenüberstellung zu Europa. Die Kirche in Person von Patriarch Kirill vertritt diese Ideen aktiv.“

In einer Rede vor der Staatsduma Anfang 2015 sprach Kirill von einer „großen politisch-religiösen Synthese“, die es zu verwirklichen gelte. Den westlichen Gesellschaften stellte er das Ideal einer „Solidargesellschaft“ gegenüber. In diesem Rahmen rief er die politischen Parteien auf, ihren Wettbewerb einzustellen. Kirche und Politik hätten mit einer Stimme zu sprechen. Mit Putin hat Kyrill diese einheitliche Stimme gefunden.
Die westliche Zivilisation sieht Kyrill an sich selbst zugrunde gehen. Dem Kult um eine Freiheit, die alles verspricht, aber nichts hält, stattdessen in ihrem Namen durch Gay Pride-Paraden, eine vorgegaukelte Emanzipation der Frau und die Auflösung der Familie bereit ist, alle moralischen Werte zu zerstören, steht positiv die russisch-orthodoxe Kirche gegenüber. Dazu führte Kyrill aus:
„Den Tendenzen zu Chaos und Konflikt setzten wir eine große religiös-politische Synthese entgegen, ein soziales Ideal. In dieser Synthese arbeiten die verschiedenen ethnokulturellen, sozialen, beruflichen, religiösen Altersgruppen um des Allgemeinwohls willen zusammen. Auch das Volk und die Macht arbeiten zusammen, statt Konflikte auszutragen. Die Ethnien und die Religionen und selbst die politischen Parteien verzichten auf Konflikte. Ich bezeuge und danke Gott, dass die heutige Zusammensetzung der Staatsduma praktisch das verkörpert, wovon ich jetzt gesprochen habe.“
Dass Putin zuvor verhinderte, dass oppositionelle Parteien überhaupt zur Wahl antreten konnten, wird durch Kyrill mit diesen Worten noch einmal religiös legitimiert.

Und so wie Kyrill die Politik Putins religiös beglaubigt, räumt Putin im Gegenzug der Kirche eine wichtige Rolle in der Gesellschaft ein. In einer Rede zur Lage der Nation betont er:
„Die moralischen Grundlagen des orthodoxen Glaubens haben unseren nationalen Charakter und die Mentalität der Völker Russlands in vieler Hinsicht geprägt, haben die besten schöpferischen Eigenschaften unseres Volkes geweckt und Russland geholfen, einen würdigen Platz in der europäischen und in der Weltzivilisation einzunehmen. Für die russische Staatlichkeit, für unser Nationalbewusstsein, ist die Orthodoxie eine geistige Stütze geworden.“ Und weiter: „Wir müssen jene Institute, die für traditionelle Werte stehen und historisch bewiesen haben, dass sie in der Lage sind, sie von Generation zu Generation weiterzugeben, mit allen Mitteln unterstützen.“

Auf dem Allrussischen Weltkongress 2016 in Moskau  betonte Kyrill I. dazu noch: „Die traditionellen Werte des heiligen Russland haben Vorrang vor dem Konzept allgemeingültiger Menschenrechte. Russland befindet sich im Kriegszustand mit dem Westen.“ Seinen Bischöfen gegenüber äußerte Kyrill: „Gegen das russische Volk werde ein gut geplanter, unblutiger Krieg geführt, der seine Vernichtung zum Ziel hat. Im Westen ist eine gewaltige Industrie der moralischen Verkommenheit am Werke. Die russische Orthodoxie ist die einzige Kraft, die dem etwas entgegensetzen kann.“
Putin begrüßt das gedeihliche Wirken der Kirche. Wenn er in Kirchen Kerzen anzündet, für die im Donbass für Neurussland gefallenen Soldaten, dann ermutigt er auch die Freiwilligen, die dort auf russischer Seite kämpfen. Es gibt sogar einen Zusammenschluss von Kämpfern, die sich als „Armee der russischen Orthodoxie“ bezeichnen und meinen, in einem heiligen Krieg zu stehen.

Die Allianz zwischen Kirche und Staat hat also, wie wir gerade sehen, auch außenpolitische Konsequenzen. Denn die russische Führung zieht die Religion heran, um damit Russlands Anspruch auf die orthodoxen Nachbarländer Weißrussland und die Ukraine zu erheben. Besonders auf Kiew, wo einst die heilige Rus, das mittelalterliche russische Reich gegründet wurde. Präsident Putin begründet auch den Anspruch auf die im Frühjahr 2014 annektierte Halbinsel Krim unter anderem mit der Orthodoxie. In seiner Rede zur Lage der Nation Ende 2014 sagte er:
„Auf der Krim befindet sich der geistige Quell der russischen Nation und des zentralisierten Russischen Staates aus den unterschiedlichen Stämmen der slawischen Welt. Denn auf der Krim nahm Fürst Wladimir das Christentum an und taufte dann die ganze Rus. Für Russland hat die Krim eine sakrale Bedeutung. So wie der Tempelberg in Jerusalem für Muslime und Juden. Und ebenso werden wir uns dazu verhalten. Heute und für immer.“
Allerdings, und das muss man wissen, handelt es sich bei der Taufe von Fürst Wladimir I., durch die er 988 auf der Krim den byzantinischen Glauben annahm, eher um eine Legende. Wahrscheinlicher ist es, dass er im Dnepr getauft wurde und im Anschluss an seine eigene Taufe seine Untertanen prügeln ließ, damit auch sie die Taufe annahmen. Es ist erst Katharina die Große, die die Krim 1783 für Russland eroberte.
Bei Kyrill I. liest sich das so: „Die heilige Taufe am Dnepr hat ein großes christliches Volk geboren, das Volk zu dem wir gehören, die heilige Rus, das ist die Kiewer Rus.“
Der ursprüngliche Name des Fürsten Wladimir lautet übrigens Valdamarr Sveinaldsson, handelt es sich bei ihm doch um einen schwedischer Wikinger, oder Waräger, wie sie in Kiew genannt wurden. Denn bei der Kiewer Rus handelt es sich um eine Gründung der Waräger, Kriegshändlern aus Schweden, die in die weitverzweigten Flussnetze Russlands eindrangen und ein riesiges Tribut-Imperium errichteten.
Diese Leute aus dem Land jenseits des Meeres wurden die Rus genannt. Das Wort wurde (wahrscheinlich) von „Ruotsi“ – die Ruderer – abgeleitet. Doch von dieser sogenannten „normannistischen These” möchte Putin nichts wissen. Er renationalisiert diese verrufene Gründungsgeschichte der Kiewer Rus. Deshalb legt er besonders großen Wert auf das Bekenntnis zur Orthodoxie. Denn in ihr findet er die entscheidende Klammer für seine These von der historischen Einheit von Russland, der Ukraine und Belarus, die auch Kyrill I. zu behaupten nicht müde wird.
Der Historiker Leonid Reschetnikow, immerhin Direktor des russischen Instituts für strategische Forschung, äußert sich in einem Film über die Bedeutung der Krim für Russland wie folgt:
„Hier begann die historische Mission des russischen Volkes, das Licht Christi, unser Verständnis vom Leben um unsere orthodoxe Zivilisation der ganzen Welt zu bringen. In dieser Kapelle wurde Fürst Wladimir getauft.  Wir haben diese Quelle lange vergessen und müssen sie säubern, sonst begreifen wir die Mission Christi nicht, mit der er das russische Volk betraut hat, und die durch die Wiedervereinigung mit der Krim  unter Präsident Wladimir erfüllt wurde. Putin ist nicht nur ein geopolitisches Ereignis, es ist ein göttliches Ereignis, ein Neubeginn der göttlichen Mission, die das russische Volk seit 1000 Jahren erfüllt.“
Dass sich Putin ähnlich geschichtstheologisch äußert, konnten wir bereits oben lesen. Es sind diese Elemente, die die Eroberung der Krim legitimieren, ja zu der es sogar einen göttlichen Auftrag gibt: Es ist eine göttliche Mission, mit der Russland betraut ist, denn wie Putin bemerkte, hat die Krim für Russland eine sakrale Bedeutung. Und um die Qualität dieser Bedeutung zu charakterisieren, zieht Putin den Vergleich mit dem Tempelberg und dessen Bedeutung für Juden und Moslems heran.
Und es wirkt wie eine Steilvorlage, dass der Direktor des russischen Instituts für strategische Forschung durch die Namensgleichheit den ersten Wladimir als Begründer der orthodoxen Mission bezeichnet und den zweiten Wladimir (Putin) zum Erneuerer dieser göttlichen Mission stilisieren kann.
Doch nicht die Krim, sondern Kiew ist die Wiege der russisch-orthodoxen Kirche. Dort befindet sich das Patriarchat, Kiew wird zum neuen Jerusalem. Als das ostslawische Reich, die Kiewer Rus, durch die Mongolen zerstört wird, ist das der Anfang für den Aufstieg der Moskowiter, die bald auch das Patriarchat 1589 übernehmen. Russland, Weißrussland und die Ukraine gehen seit der Zerstörung der Kiewer Rus unterschiedliche Wege, die nachzuzeichnen hier nicht der Ort ist.
Der Mönch Filofei formuliert den neuen religiösen Anspruch Russlands und Moskaus 1520 mit folgender Theorie: „Der Zar ist auf der ganzen Erde der einzige Herrscher über die Christen, der Lenker der heiligen göttlichen Throne, der heiligen Kirche, die statt in Rom und Konstantinopel in der gesegneten Stadt Moskau ist. Sie allein leuchtet auf der ganzen Welt heller als die Sonne. Denn wisse: Alle christlichen Reiche sind vergangen gemäß den prophetischen Büchern. Zwei Rome sind gefallen, aber das dritte steht. Und ein viertes wird es niemals geben.“ Moskau ist also das Dritte Rom. Zentrum des wahren Christentums und Erbe und Verfechter des Glaubens in der Welt. Bis 1917 spielte diese Idee eine große Rolle für das Sendungsbewusstsein der Orthodoxie, wie für das Zarentum. Im 19. Jahrhundert verband sich die Rom-Idee mit dem Panslawismus, der Befreiung aller slawischen Völker vom osmanischen Joch durch Russland. Selbst der Sowjetkommunismus kann noch als säkulare Form dieses Sendungsbewusstseins angesehen werden. Der russische Imperialismus speiste sich also schon immer auch aus den Quellen der Orthodoxie. An diese Traditionen knüpfen sowohl Putin als auch Kyrill I. an.
Einen Tag vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, also am Mittwoch den 23.Februar, fand in Russland der „Tag des Verteidigers des Vaterlandes“ statt. Patriarch Kyrill I. gratulierte Putin aus diesem Anlass: Versehen mit der Anrede „Exzellenz, lieber Wladimir Wladimirowitsch“ schreibt der Patriarch: „Heute ehren wir die Leistung derer, die einen verantwortungsvollen Militärdienst leisten, über die Grenzen ihres Heimatlandes wachen und sich um die Stärkung seiner Verteidigungsfähigkeit und nationalen Sicherheit kümmern.“ Eigenschaften wie Tapferkeit, Mut und Entschlossenheit, „glühende Liebe zum Vaterland und Bereitschaft zur Selbstaufopferung“ hätten jahrhundertelang das russische Volk ausgezeichnet, „das durch den Schmelztiegel vieler Prüfungen“ gegangen sei.
Die russisch-orthodoxe Kirche habe immer versucht, einen bedeutenden Beitrag zur patriotischen Erziehung der Landsleute zu leisten, betonte der Patriarch und hebt hervor: „Die Kirche sieht im Militärdienst eine aktive Manifestation der Nächstenliebe,… ein Beispiel für die Treue zu den hohen moralischen Idealen der Wahrheit und Güte.“
Kyrill I. bekundete zwar   seinen „tiefen Schmerz“ über den Krieg, doch äußerte er kein Wort dazu, dass Putin einen ungerechten Angriffskrieg führt. Statt dessen gehören für ihn die ukrainischen Soldaten zu den „Kräften des Bösen“.
So bleiben weiterhin seine Worte bestehen, in denen er die Wahl Putins zum Präsidenten als „Wunder Gottes“ bezeichnete und dessen „Aufmerksamkeit für das spirituelle Leben der Menschen, für Ihr Verhältnis zwischen Politik und Moral“ würdigte. Dass Putin ein auf Geschichtsverfälschungen und Lügen aufgebautes Politikverständnis praktiziert, werden wir von Kyrill wohl kaum erfahren.
Stattdessen betonte er, sich an Putin wendend:
„Sie haben für sich den Weg des spirituellen und moralischen Dienstes gewählt und Sie gehen ihn mit Würde, Weisheit und einem tiefen Verständnis der Verantwortung für das Schicksal unseres Volkes, für das Schicksal Russlands.“ Putin, so Kyrill, sei von Gott gesandt und habe „die schiefe Kurve der russischen Geschichte begradigt“.
In der Christ-Erlöser Kirche nannte Kyrill den Krieg, der Sprachregelung Putins folgend, nicht Krieg, sondern einen Kampf, allerdings einen „Kampf, der keine physische, sondern eine metaphysische Bedeutung hat“. Das heißt, das was wir vor unseren Augen physisch sehen, ist nicht die eigentliche Realität. Diese liegt hinter den Kampfhandlungen verborgen und zeigt sich nur den Wissenden. Und denen offenbart sich, dass hier das Volk Christi gegen die Anhänger des Antichristen kämpft. Damit wird für Kyrill der Krieg zu einem heiligen Krieg, in dem die höchsten Werte der Orthodoxie auf dem Spiel stehen.
Wissen sollte man noch, dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kirche, nach dem Soziologen Detlef Pollack „zum Hoffnungsträger einer gedemütigten Nation“ wurde. „Demnach stieg die Zahl derer, die sich mit der Orthodoxie identifizieren, von 1990 bis 2020 von einem Drittel auf mehr als zwei Drittel der Bevölkerung, die Zahl der Gläubigen wuchs von 44 auf 78 Prozent. Die orthodoxe Kirche sei zur Trägerin nationaler Identität geworden. „Seit Jahrzehnten meint eine Mehrheit, um ein wahrer Russe zu sein, müsse man orthodox sein“.
Zu Putins und Kyrills Weltbild gehört es, dass Russland das angegriffene Opfer westlicher Mächte sei. „Kultureller Pluralismus, Homosexualität und Meinungsvielfalt gefährden in diesem Weltbild die Identität der russischen Kultur“, unterstreicht Pollack. „Russland muss sich schützen und für seine bedrohte Identität eintreten.“

Für Putin und Kyrill sei Russland eine unbesiegbare Nation, deren einstige Bedeutung seit dem Ende der Sowjetunion aber bedroht sei. „Aus dem Gefühl der Bedrohung entsteht ein Bedürfnis nach kultureller Selbstbehauptung, eine hochgefährliche Mischung von Demütigungsgefühlen und Überlegenheitsansprüchen.“ „Anstatt die Wirtschaftsleistung zu stärken, verfolgt die Regierung das Projekt einer Stärkung des Nationalbewusstseins, das die eigene Kultur überhöht und für alle Probleme im Land den Westen verantwortlich macht.“
Doch das heilige Russland, und darin stimmen Putin und Kyrill überein, dürfe durch andere Kulturen nicht beschmutzt werden.

Es wäre allerdings eine zu einseitige Darstellung, wenn man es bei diesem Befund beließe. Zumindest unter den russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland gibt es viele, die sich vom Kurs ihrer Heimatkirche distanzieren, ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland helfen, auch wenn sie das nicht groß öffentlich machen, Geld sammeln, Unterkünfte bereitstellen und bei ihrer Integration hier behilflich sind. Dazu zählen auch russisch-orthodoxe Gemeinden in Berlin.

Copyright: Edgar Dusdal, Berlin-Karlshorst.

“Der Moskauer Patriarch glaubt an Putin”: Religionskritische Hinweise zum Moskauer Schauprozeß im August 2012

„Der Patriarch glaubt an Putin“

Religionskritische Hinweise zum Moskauer Schauprozess im August 2012

Von Christian Modehn.

Dieser Beitrag hat seit seiner Veröffentlichung im August 2012 sehr viel Interesse gefunden, vielleicht stellen sich die LeserInne Fragen, angesichts des orthodoxen Weihnachtsfestes, was sich denn hinter den weihrauchgeschwängerten Zeremonien mit ihrem Chefliturgen Patriarch Kyrill, an materiell – politischen Interessen verbirgt. Vielleicht warten sie auch gespannt auf die Konversion Gérard Dépardieus zur russisch – orthodoxen Kirche. Es wird die Meinung geäußert, dass sich Dépardieu durchaus gut mit Patriarch Kyrill verstehen könnte…

Aktuell ergänzen wir am 11. 5. 2014 diesen Beitrag mit einem Hinweis auf das sehr empfehlenswerte Buch von Mischa Gabowitsch “Putin kaputt!? Russlands neue Protestkultur” (Suhrkamp, 2013). Diese ausgezeichnete Studie verdient viel Aufmerksamkeit. Sie enthält auch ein Kapitel “Strukturwandel der Kirche” (der Russisch-orthodoxen Kirche). Die Ausführungen dort (auf den Seiten 205 ff.) unterstreichen die hier seit 2012 notierten Hinweise zur engen ideologischen Verbindung des Moskauer allmächtigen Patriarchen Kirill mit Putin. Mischa Gabowitsch zeigt, dass die kirchliche Gier nach Macht und Einfluß im Putin Regime auch Ausdruck der tatsächlichen Schwäche der Kirche ist. Denn es ist ja keinesweges so, wie manchmal behauptet wird, als sei die Russisch-orthodoxe Kirche bei den Menschen tief verwurzelt und geradezu massenhaft anerkannt. Gabowitsch zitiert den Religionssoziologen Nikolay Mitrokhin:“Die russisch-orthodoxe Kirche lässt sich als konsequent antiliberal, antiwestlich, ethnischen Minderheiten gegenüber xenophob, mit einer monarchistischen (oder zumindest autoritären) Staatsform sympathisierend, etatistisch und marktfeindlich beschreiben”(S. 208). Interessant ist der Hinweis von Gabowitsch, dass liberale Priester wie Gleb Jakunin und Jakow Krotow (in den neunziger Jahren) aus der Kirche gedrängt wurden und “alternative orthodoxe Kirchen gründeten” (S. 208), dieses Thema sollte weiter bearbeitet werden…  Aber noch ein erhellendes Zitat des Religionssoziologen Nojkolay Mitrokhin: “In wenigen Monaten haben Kirill und seine Helfer vollbracht, wofür ihre Vorgänger im zaristischen Russland Jahrzehnte brauchten:die Kirche gleichzeitig mit Diktatur, stumpfsinniger Grausamkeit und Korruption in enge Verbindung zu bringen” (S. 209).

Hier unsere nach wie interessanten Hinweise aus dem Jahr 2012:

Drei Künstlerinnen, Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch, werden drastisch wie in einem politisch gesteuerten Schauprozess bestraft: Die Musikerinnen der Gruppe „Pussy Riot“ werden wegen „Rowdytum aus religiösem Hass“ für 2 Jahre ins Straflager geschickt. Sie hatten am 22. Februar 2012 in der Moskauer Erlöser – Kathedrale, dem “prunkvoll – kitschigen Symbol des wiederauferstandenen orthodoxen Rußland”, vor der Ikonenwand ein gleichermaßen religionskritisches wie regimekritisches Lied angestimmt: Es beginnt wie ein klassisches Bittgebet: „Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin! Vertreibe Putin! Vertreibe Putin“.  Darin kommt auch der Vers vor: “Der Patriarch glaubt an Putin, besser sollte er, der Hund, an Gott glauben“. Gemeint ist der enge Verbündete Putins, Patriarch Kyrill, ein Mönch, seit 2009 im höchsten kirchlichen Amt in Moskau.

Das Urteil kam nur durch die übliche und seit Jahren selbstverständliche enge Übereinstimmung von russisch –orthodoxer Kirchenführung und dem Putin – Regime zustande.

Unser Salon ist der Religionskritik verpflichtet, sie ist wesentlicher Aspekt eines freiheitlichen und aufgeklärten Bewusstseins. Und damit für die Demokratie. Deswegen bieten wir als Hintergrundinformation zu dem Urteil einige Zitate des russischen Philosophen Michail Ryklin, der in Berlin an der Humboldt – Universität lehrt und in der sehr empfehlenswerten Zeitschrift Lettre (Berlin) regelmäßig seine „Korrespondenz aus Moskau“ veröffentlicht. Es wird schon in diesen wenigen Zitaten aus Lettre deutlich, wie eng sich die russisch – orthodoxe Kirchenführung an die Machthaber gebunden hat.

In Heft III/2005 berichtet Michaeil Ryklin von einer Bewegung, die eine „orthodoxe Hagiopolitik“ etablieren will (vertreten durch Gleb Pawlowski). Kern dieser theologischen Lehre, sie fordert ausdrücklich das Neu – Mittelalter !, ist „das Eingreifen von Heiligen und die Einwirkung geweihter Gegenstände in den Gang der Geschichte; dem Anthropozentrismus wird ein Primat des Wunders gegenübergestellt“ (S 130).  Ryklin berichtet weiter, dass Fundamentalisten aus der Russisch – Orthodoxen Kirche wesentliche Teile der säkularen Kultur verfolgen; diskriminiert werden von den Kirchenfürsten Opernaufführungen, Kunstausstellungen usw. „Die Russisch –Orthodoxe Kirche reklamiert für sich den Status einer staatsbildenden Religion“  (ebd.) Interessant schon 2005 die Bemerkung Ryklins: “Menschenrechtsaktivisten werden immer häufiger als Feinde der Orthodoxie und des russischen Volkes diffamiert“. (ebd).

Im Herbst 2007 schrieb Michail Ryklin unter dem Titel „Der heilige Bolschewik“: Die Russen kehrten in eine Kirche zurück, die sich von Stalin und ihrer Unterstützung eines atheistischen Regimes nicht nur nicht distanziert! Sondern die Stalin zu einem konsequenten Freund und Förderer des Glaubens erklärt“. (s. 128). Der christliche Glaube, den diese Orthodoxie vertritt, sei nur ein Ritual, der Glaube als ein seelischer Zustand (Liebe, Toleranz, Gnade) werde negiert.

In der Ausgabe I/2008 berichtet Prof. Ryklin in Lettre (S. 128) von einem TV Film, der in Russland sehr viel Aufmerksamkeit findet: „Der Untergang des Imperiums“ von Abt Tichon Schewkunow. Dieser Abt soll der Beichtvater des Präsidenten Putin sein. (ebd). In der Interpretation dieses vielfach gesendeten TV Films schreibt Prof. Ryklin „ Die Russisch – Orthodoxe Kirche, die kein Charisma besitzt und den weltlichen Machthabern keine Unannehmlichkeiten zu bereiten scheint, drängt den Staat auf einen gefährlichen Weg: Indem sie dem Staat für all sein Tun automatisch Ablass erteilt und damit jegliche Reformen für unnötig erklärt“. Abt Tichon spräche im Blick auf Europa von „den Barbaren in Brüssel“… Die Verquickung der russischen Kirche mit dem Staat nennt Prof. Ryklin eine „Verstaatlichung des Glaubens“. Er erwähnt weiter die Prozesse gegen den Galeristen der Tretjakow Galerie und gegen die Mitarbeiter des Sacharow- Zentrums. „Die Kirche redet dem Staat zumunde und verdammt die weltliche Kultur“, so das Faszit dieses Beitrags in Lettre I/2008.

In Heft IV/2008 von Lettre schreibt Michail Ryklin:“ Das Gefährliche am jetzigen Regime ist, dass es die Demokratie diskreditiert und dem Einfluß religiös- nationalistischer Gruppen Vorschub leistet, insgesamt habe – so 2008, heute ist das wohl anders – eine Entpolitisierung der Gesellschaft stattgefunden.

Insgesamt lassen die Beiträge Michail Ryklins keinen Zweifel daran, dass diese Haltung der russischen Kirche gerade bei jungen und kritischen Menschen nur auf zunehmende Abwehr und Distanz stößt. Diese absolute Regimeverbundenheit der Kirchenführer und weiter Kreise des Klerus ist die beste Form, intelligente und freie Menschen aus der Kirche definitiv zu vertreiben…

In Heft 97 von Lettre (Sommer 2012, Seite 134) widmet sich Prof. Ryklin erneut der Gestalt dieses machtgierigen Patriarchen. Durch Kyrill “ist die (russisch – orthodoxe) Kirche zu einem integralen Teil der =Machtvertikale= geworden. Hatte die atheistische Sowjetmacht die Kirche versklavt, ihren Zielen unterworfen, so verschmilzt nun die operative Macht Putins mit der Kirche”.  Seine Studien über das Umfeld der Moskauer Kirche mit ihrem Patriarchen Kyrill fasst Prof. Ryklin zusammen: ” In der Kirche wird Askese gepredigt und Luxus gefördert, Demut gepredigt und Intoleranz praktiziert, manch einer lobt den Herrn und benimmt sich gottloser als einst Atheisten”. Selbst der Sprecher von Patriarch Kyrill muss zugeben, so Ryklin, dass der Mönch Kyrill (eigentlich der Armut verpflichtet) einen Wagenpark (Cadillac Escalade, Mercedes der S-Klasse, Toyota Land Criser) und Residenzen (u.a. Villa in der Schweiz, Privatflugzeug usw.)  zu seiner Verfügung hat. “Doch es seien alles Geschenke….”(so in Lettre, 97, Seite 134, 3. Spalte). Ryklin weist auf eine Studie von Alexander Soldatow vom 15. 2. 2012 hin, nach der Patriarach Kyrill ein persönliches Vermögen von ca. 4 Milliarden Dollar hat (ebd, Spalte a).

Vielleicht werden angesichts dieser Informationen die Umstände dieses Prozesses deutlicher, in einem angeblich frommen und christlichen Land, das jeglichen Sinn für Kritik und freie Meinungsäußerung verloren hat.

Wir fragen, welchen Sinn es hat, wenn der Vatikan heute kein dringenderes Verlangen in der ökumenischen Bewegung hat, als sich ausgerechnet mit den „theologisch so nahe stehenden orthodoxen Kirchen“ (so ist immer wieder von höchsten Kreisen der römischen Kurie und des Papstes zu hören) möglichst bald zu versöhnen und zu einer Kirche zu vereinen? Was wäre der spirituelle, was der politische Gewinn, wenn Leute wie Patriarch Kyrill, Moskau,  auch noch ein Wort in Rom zu sagen hätte? Wir fragen weiter, welchen kritischen Beitrag eigentlich die sogen. “Ostkirchen – Kunde” an den deutschen Universitäten leistet. Studiert sie nur die Werke Didymus des Blinden, fragt ein Leser unserer Website.

Abgesehen von den zahlreichen Studien von Prof. Ryklin weisen wir, eher zufällig gefunden, auf einen Beitrag der Wochenzeitung DIE ZEIT hin. Diana Laart berichtet aus Moskau in der Ausgabe vom 16. August 2012, Seite 9 unter dem Titel “Gefährliche Freunde”, gemeint sind Putin und das Oberhaupt der Russisch – Orthodoxen Kriche Kyrill I.

Wir zitieren nur einige Sätze aus dem gut dokumentierten Beitrag: “Auch der Patriarch besitzt nicht nur einen Maybach, sondern für einen Mönch (das ist der geistliche Stand des Patriarchen, CM)) recht viele Residenzen. Vor allem nennt er eine luxuriöse Penthouse – Wohnung gegenüber dem Kreml sein Eigen. Sein Vermögen soll sich auf 4 Milliarden Dollar belaufen. Das Geld verdiente er in den neunziger Jahren, als er im Namen der orthodoxen Kirche mit Zigaretten und Öl handelte…..” Interessant ist, dass Diana Laarz unsere Einschätzung bestätigt: Der Patriarch sei die beste Voraussetzung, dass die Russen scharenweise die Kirche verlassen…Es ist wieder einmal der klassisch zu nennende klerikal bedingte Atheismus, der aufgrund bestimmter Kirchenführer entsteht. Diana Laarz schreibt:”Staatliche russische Meinungsforschungsinstitute schätzen, dass nur noch 10 Prozent der Kirchenmitglieder in die Kirche gehen”.

Copyright: Christian Modehn