Zum neuen Handbuch „Religionsphilosophie und Religionskritik“ von Michael Kühnlein (Hg)
Eine Buchempfehlung von Christian Modehn
Um einmal persönlich zu beginnen:
Endlich haben wir in unserem „Religionsphilosophischen Salon Berlin“ überhaupt keinen Grund mehr, uns bei der Zuspitzung unseres philosophischen Interesses irgendwie einsam oder marginal zu fühlen. Das war immer dann der
Fall, wenn fundamentalistisch Fromme aus allen Konfessionen und Religionen die kritische und freie Betrachtung des Religiösen, der Transzendenz, des Unendlichen, des Göttlichen und des atheistischen Nichts als störend für den
(naiven) Glauben (und störend für die selbstsicheren Institutionen vor allem!) abgewiesen haben.
Nun also liegt ein wichtiges Buch über „Religionsphilosophie und Religionskritik“ vor, der Titel in dieser Zusammenstellung ist glücklich gewählt: Denn immer geht es auch um Religionskritik.
Das Buch enthält 80 Beiträge zu religionsphilosophischen Texten von Platon bis Charles Taylor, wobei 47 Beiträge auf Autoren des 20. bzw. 21. Jahrhunderts bezogen sind! Deutlicher kann die breite Aktualität religionsphilosophischer Überlegungen kaum dokumentiert werden. Die oft vorausgesagte totale Säkularisierung als Verzicht auf „transzendenzoffene Situationen“ (M. Kühnlein) ist also im Denken (und damit auch im Leben der europäisch geprägten Kulturen) nicht eingetreten.
Jedes Kapitel stellt einzentrales Werk eines Philosophen vor. Nach sehr knappen biografischen Hinweisen wird der Kontext des jeweiligen Buches/Textes gewürdigt, dann folgt im 3.Schritt die ausführliche Darstellung des Werkes, es folgen dann Hinweise zur Rezeption und zusammenfassende Überlegungen, bevor die wichtigsten Quellen und Interpretationen genannt werden. Der Herausgeber, der Philosoph Michael Kühnlein (Frankfurt/M.), bedauert selbst, dass einige große Autoren fehlen (müssen – aufgrund des begrenzten Umfangs des Buches). Wer das Inhaltsverzeichnis studiert, wird etwa Lessing vermissen oder Hamann oder Troeltsch oder Martha Nussbaum oder Erich Fromm. Und er wird sehr bedauern, dass Religionsphilosophen aus dem asiatischen, afrikanischen oderlateinamerikanischen Raumvöllig fehlen! Religionsphilosophie ist heute ein weltweites Thema. Vielleicht wäre dies ein Thema für einen Fortsetzungsband. Auch wenn nordamerikanische Religionsphilosophen wie Taylor gewürdigt werden,das Buch ist eben doch noch euro-zentrisch angelegt.
Aber sein Wert liegt in der meistens wohl doch noch für philosophisch Nicht-Promovierte Leser meistens erreichbaren und mitvollziehbaren Lektüre. Ich habe alle Beiträge bisher nicht lesen können, mir fällt nur auf, dass etwa der hoch aktuelle Philosoph Meister Eckart („Opus tripartitum“) in einem leider sehr fachwissenschaftlich orientierten Duktus vorgestellt wird, so, als wollte man damit unter Eckart Spezialisten glänzen, wobei der Autor, Dietmar Mieth, ja durchaus allgemein zugängliche Texte zu Eckart schon anderswo geschrieben hat. Dieser Beitrag weckt dann doch wieder die Befürchtung, dass die Texte eher Fachphilosophen und Hauptfach Studenten hilfreich sein sollen,. Dabei ist etwa der Text über Ludwig Feuerbach (Das Wesen des Christentums) sehr zugänglich, verfasst von Ursula Reitemeier. Philosophieren und Philosophie sollte nach meinem Verständnis immer „Sache aller sein“. Man freut sich, dass Holger Zaborowski die vom Umfang her eher kleine (und nicht so viel beachtete) Schrift „Phänomenologie und Theologie“ (1927) von Martin Heidegger zugänglich macht, selbst wenn ich persönlich eher eine Interpretation der späteren Werke Heideggers, etwa „Vom Ereignis“ (1936), unter religionsphilosophischer Sicht gewünscht hätte. Aber da hätte man auf die Nazi-Verquickung im Denken Heideggers eingehen müssen…
Wie weit das Verständnis von Religionsphilosophie bei Michael Kühnlein als Herausgeber reicht, zeigt sich deutlich an der Auswahl der Autoren des 20. Jahrhunderts, da werden etwa die Theologen Metz und Moltmann als religionsphilosophisch relevante Autoren verstanden. Auch der äußerst schwierige, explizit katholische Jean Luc Marion ist im Buch vertreten.
Diese Hinweise machen einmal mehr deutlich, dass Religion ein ganz breites Thema ist in der Philosophie sowie der Religionssoziologie (Peter L. Berger) und Psychologie (Freud).
„Religionsphilosophie und Religionskritik“. Ein Handbuch, hg. von Michael Kühnlein. 946 Seiten. Suhrkamp Taschenbuch, 2018, 36 €.
Christian Modehn Berlin