Jeder Mensch ist spirituell. Jeder und jede hat immer schon eine Spiritualität.

Eine Podiumsdiskussion im Kulturzentrum “Radial-System” in Berlin am 14.9.2011 über das Thema: Welche Spiritualität braucht Berlin?

Der Beitrag von Christian Modehn.

Einige Teilnehmer dieser sehr gut besuchten Veranstaltung (200 TeilnehmerInnen) fragen nach dem kurzen Vortrag, den ich am 14.9.2011 hielt. Deswegen diese Publikation!

Ich will in meinem Beitrag einige philosophische Überlegungen zum Thema Spiritualität vorstellen. Wir haben ja ursprünglich den Titel für unsere Veranstaltung gegeben: Welche Spiritualität braucht Berlin?.

Ich bin der Initiator des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin. Entscheidend ist die philosophische Überzeugung:

Philosophie ist von der Sorge um Klarheit und Kritik geprägt.

Sie ist undogmatisch und daran interessiert herauszustellen, was allen Menschen als „Vernunftwesen“ gemeinsam ist.

Philosophieren ist mehr als ein „Werkzeug“ des Denkens, das dem Menschen bloß äußerlich bliebe. Ich meine: Der Vollzug des Philosophierens ist selbst Spiritualität, weil ich im Philosophieren zu grundlegenden Fragen und Antworten komme und in meinen Entscheidungen mein eigenes Leben gestalte.

Spiritualität gibt es stets im Plural. Und stets sind Spiritualitäten verankert sind in einer konkreten Zeit und verbunden mit einem bestimmten Ort.

Die Rede von zeitlosen und ortlosen Spiritualitäten verschleiert nur die Unfähigkeit, sich auf ein konkretes Heute und ein konkretes Hier kreativ zu beziehen. Statt dessen werden dann Formeln und Floskeln von gestern und vorgestern propagiert und als Wahrheit den eher autoritätshörigen Menschen verkauft.

Das kommt für mich nicht in Frage.

Spiritualität auf dem Niveau heutigen Denkens darf nicht fremdbestimmt sein, sie darf niemals bloß blinden Gehorsam fordern und fördern. Spiritualität, die den Namen verdient, muss Freiheit fördern, die eigene Freiheit wie die der anderen, sie muss Fremdbestimmung vermeiden. Sie muss letztlich ein Suchen sein, ein Fragen derer, die die Wahrheit nicht gepachtet haben.

Ich will im Gespräch mit anderen meine Spiritualität, meine Geistigkeit, selbst entwickeln.

Spiritualität „hat“ jeder Mensch. Sie ist kein Privileg von „Hochbegabten“. Das liegt daran, dass der Name Spiritualität auf spiritus, auf Geist, verweist. Spiritualität ist lebendige Geistigkeit. Jeder Mensch hat als Vernunftwesen bekanntlich Geist, jeder hat Spiritualität, bewusst oder unbewusst.

Wir erleben heute einen globalen Wandel im Verständnis von Demokratie, Ökonomie, Wachstum, Gerechtigkeit. Ich bin überzeugt, wir erleben auch einen globalen Wandel, der uns als Akteuren zur kreativen Mitgestaltung aufgetragen ist, auch auf dem weiten Feld der Spiritualitäten. Wir brauchen in dieser Zeit des Umbruchs neue Spiritualitäten: Die Zeit der utalten, vorgegebenen Dogmen und der Hierarchien ist meines Erachtens vorbei. Es kommt auf einen Neubeginn an.

Mir liegt eine Statistik vor, sie bezieht sich auf den 31. Dezember 2008. Danach sind im Bundesland Berlin 600.000 Menschen Mitglieder der evangelischen Kirche, das sind 21 % der Bevölkerung; ferner gibt es 280.000 Katholiken, das sind fast 10 Prozent der Bevölkerung; zum Islam bekennen sich fast genauso viele, nämlich 250.000 und zum Judentum 10.700, wie viele Buddhisten, Hindus, Taoisten, Candomblé – Anhänger usw. im Bundesland Berlin leben, wird nicht gesagt.

Wichtig ist vor allem die Feststellung: 1, 9 Millionen Bewohner Berlins nennen sich konfessionslos, also etwa 60 Prozent.

Jetzt kommt der entscheidende Punkt: Als Menschen haben selbstverständlich auch diese Konfessionslosen ihre je eigene Spiritualität, eben aufgrund der Tatsache, dass sie Geist haben, Vernunft haben.

Auch wenn viele Konfessionsfreie eine große Scheu haben, für sich selbst eine bestimmte Spiritualität anzuerkennen.   Aber ist nicht die Sorge um die Familie, die Nachbarn, die Kranken, das Wohl der Stadt etc. immer schon auch Ausdruck einer Spiritualität, als eines geistvollen Interesses?

Jeder Mensch hat immer schon Spiritualität, weil er als Mensch eben auch vom Geist und der Vernunft geprägt ist und sich in diesem Geist im Laufe seines Lebens, bewusst, oft unbewusst, für bestimmte Lebensentwürfe entscheidet und diese Lebensentwürfe dann auch für sich gut findet. Oder: Wenn man in prekären Lagen ist, träumt man wenigstens von einem glücklichen Leben auf seine Art. Jeder Mensch hat seinen eigenen Mittelpunkt im Leben. Da liebt jemand das Reisen, das Wegfahren, das Aufbrechen, das Entdecken, vielleicht auch die Begegnung mit Fremden, die Solidarität. Dann ist das ein Lebens – Mittelpunkt. Oder jemand lebt seine starke erotische Sehnsucht aus und widmet ihr viel Energie, oder wieder ganz anders, jemand spürt die starke Verpflichtung, andere fürsorglich und unterstützend zu begleiten. Oder jemand ist aktiv bei Greenpeace oder Amnesty International.

Von jedem Mittelpunkt geht immer eine Art Appell aus, so eine Art Imperativ: Dass es gut ist, dieses eigene persönliche Zentrum zu haben: Das ist es, was mich aufrecht hält, was mich leben lässt, daran will ich mich halten, mache sagen dann, „unbedingt“ halten will. Dieser Mittelpunkt spendet mit meine geistige Vitalität aus.

Natürlich gibt es Mittelpunkte im Leben, die nicht konstruktiv sind, die schädlich sind, Gewalt, Geld, Macht, das muss die Philosophie kritisieren, das kann niemals Quelle menschlichen Wachstums sein.

Die nächste philosophische These ist: Es zeigt sich dabei in jedem Leben jeweils unterschiedlich erlebtes Unbedingtes, etwas, das unter möglichst allen Umständen befolgt werden soll, weil ich dabei glücklich werde. Man ist da ganz in der Nähe von dem, was man „heilig“ nennt für einen Menschen.

Ich will es einmal plakativ sagen: das Unbedingte ist bereits in unserem Leben. Wir müssen es uns nicht von anderswo, von fremden Lehren und Lehrern, holen, es ist in uns. Noch einmal: Noch VOR jeder konfessionellen oder religiösen Bindung folgen wir einem von uns gewählten unbedingten Lebensmittelpunkt.

Mit liegt viel daran, diese allgemeine Basis der Spiritualität zu unterstreichen. Sie ist das, was uns Menschen insgesamt verbindet noch vor jeder konfessionellen Aufsplitterung. Ich meine: Berliner brauchen vor allem diese Spiritualität der kritischen Selbstbefragung.

Aber: Welches Unbedingte macht frei? Das die entscheidende Frage.

Und: Wo können sich die unterschiedlich spirituellen Menschen austauschen? Wo sind die Orte dafür? Das müssen nicht exklusive religiöse Orte sein. Das können Wohnzimmer und Cafés sein, alltägliche Räume, geprägt von Stille und Ruhe. Räume, in denen der Small Talk und das bla bla keinen Raum haben.

Wir brauchen neue Orte des spirituellen Austauschs, das können auch alte Orte sein, leere Kirchen, Kapellen, Tempel. Wichtig ist nur, dass immer ein Gespräch zustande kommt, über das was uns Leben, was uns Sinn stiftet in unserem Leben.

Philosophische Spiritualität kommt erst dann zu ihrem Wesen, wenn sie in der Selbstreflexion der Vernunft denkend den Grund des Lebens, das Gründende, erreicht; der späte Wittgenstein sprach von „Berühren“ des Geheimnisses. Von dem ich als Mensch nicht mehr weiß, als dass ich es denkend berühre, aber niemals umfasse und ergreife. Wittgenstein sagte: „Nicht Wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern DASS sie ist“. Allen Menschen gemeinsam ist die Frage: warum ist etwas und nicht vielmehr nichts.

Was aber ist das Geheimnis, das Mystische, das wir berühren? Ich denke, dass das Geheimnis irgendwie selbst Freiheit ist, in einem analogen Sinne verstanden, denn vom Geheimnis kann man nicht objektiv fixierend sprechen; deutlich ist aber: Nur Freiheit kann andere Freiheit, also unsere, meine Freiheit, wecken und hervorrufen und gründen kann. Freiheit aber ist selbst immer Geistiges. Wir sind also über unseren Geist mit dem all gründenden geistigen Verbunden.

Aber inhaltlich ausführlicher kann ich das frei Gründende nicht beschreiben, da gibt es keine Dogmatik, keine ausgefeilte Lehre. Ich weiß nur: Menschliches Leben ist freies Leben, das sich einem Gründenden verdankt. Philosophisch können wir über das Lebensgeheimnis als bleibendes Geheimnis ansatzweise sprechen und können einander helfen, frei zu werden – in einer gerechten Gesellschaft. Über den Philosophen Immanuel Kant schreibt Karl Jaspers: „An den Grenzen der Vernunft steht das Unbegreifliche und das Geheimnis. Das Unbegreifliche aber ist nicht das Unvernünftige, sondern das durch Vernunft als Grenze der Vernunft Erfahrene und in das Licht der Vernunft Aufgenommene“ (Karl Jaspers, Die großen Philosophen, S. 511).

Welche Spiritualität braucht Berlin? Jeder kann sich in aller Unterschiedlichkeit kultureller Prägungen auf seine Weise auf dieses gründende Geheimnis beziehen, schweigend, poetisch, musikalisch, erotisch, politisch, kämpferisch, für den gleichen Wert eines jeden Menschen. Darum ist diese Spiritualität in sich politisch. Sie ist interessiert, einen Beitrag zu leisten zum Aufbau einer gerechteren Welt.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich auf das Gründenden, das Geheimnis des Lebens zu beziehen. Insofern ist jegliche Bindung mit ihm immer relativ, bezogen auf unterschiedliche Erlebtes und Gedachtes.

Bald kommt der Papst Benedikt XVI. nach Berlin, er wird auch hier wieder warnen vor dem, was er die „Tyrannei des Relativismus“ nennt; dabei will er nur werben für sein eigenes, katholisches und päpstliches, angeblich nicht relatives, sondern absolut wahres Glaubenssystem. Wir sollen dann offenbar den demokratischen Relativismus ablegen zugunsten einer Treue zum Absolutismus.

Philosophen erleben Relativismus als Wohltat, als Befreiung, als Ja zu Freiheit. Wir suchen den Austausch der unterschiedlichen Positionen, wir wollen den Dialog Gleichberechtiger, ohne Meister, ohne Päpste, ohne Gurus. Und das ist für mich philosophische Spiritualität, die in Berlin, aber zweifellos auch anderswo gelten kann. Austausch über das, was uns unbedingt angeht, was uns unbedingt bewegt in unserem Leben, in der Kultur, im sozialen Leben, und auch in den Religionen. In einem solchen permanenten Dialog gleichberechtigter Partner lernen alle, wachsen alle, da entsteht – hoffentlich eine lebenswerte Stadt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

Ordentliche Orden? Neue sehr konservative Ordensgemeinschaften im Katholizismus

Ordentliche Orden? Es gibt immer mehr Ordensgemeinschaften, die kritische Theologie ablehnen.

Hinweise von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht am 27.3. 2015. Im Jahr 2019 weiter aktualisiert, weil die reaktionären Ordensgemeinschaften weiterhin blühen und Anlass bieten für religionskritische Hinweise…

Ergänzung am 24.1.2019: Das neue Buch von Doris Wagner, “Spiritueller Missbrauch” (Herder Verlag 2019) lenkt das allgemeine Interesse wieder einmal auf die Welt der katholischen Ordensgemeinschaften und so genannten “geistlichen Gemeinschafen” innerhalb der römischen Kirche.

Ergänzung am 26.4.2019: Viel mehr kritische Beachtung in Deutschland verdient die aus Peru stammende neue geistliche (Ordens-und Laien-) Gemeinschaft Sodalicium Vitae Christianae, in Lateinamerika nur sodalicio genannt, dort stark verbereitet, sehr reaktionäre Theologie, Insidern in Peru haben die Korruption, den sexuellen Mißbrauch usw. nachgewiesen. Selbst Bischöfe in Peru fordern eine vom Vatikan ausgehende Auflösung dieser Vereinigung. Vor allem Bischof Eguren von Piura, Peru, sodalicio Mitglied, ist sehr umstritten. Siehe den LINK.

Auch Bischof Anselmi vom Sodalicium in Piura, Peru, muss “wegen Vertuschung!” im April 2024 abtreten. LINK:

In dem Zusammenhang ist es wichtig wahrzunehmen, wie viele sehr konservative Orden und geistliche Gemeinschaften in den letzten Jahrzehnten tatsächlich entstanden sind. Von einem “Aussterben der Orden” kann also nur differenziert berichtet werden: Viele Orden sterben in Westeuropa aus, neue werden gegründet mit einem theologischen Background, den man schlicht reaktionär nennen muss. Die Kirchenführung stört das weiter nicht: Sie ist froh, dass wieder Menschen zölibatär leben wollen und als Männer dann auch die klerikale Priesterkirche weiter stützen. Ich habe auf dieser website ausführlich über die Legionäre Christi berichtet, die Neokatechumenalen, dem Engelwerk mit seinem “Kreuzorden”, dem Instititut des Inkarnierten Wortes usw… andere haben das Opus Dei dokumentiert. Man vergesse nicht, dass Kardinal Joseph Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation eng mit den Schwestern der Gemeinschaft DAS WERK verbandelt war, die Damen führten ihm den Haushalt… Diese Dokumentation biete ich an, um der immer notwendigen Religionskritik heute ein greifbares Format zu geben. Damit ist freilich nicht gesagt, dass sich reaktionäres Denken nur in den “neu gegründeten Orden” etc. finden lässt. In den mit Rom versöhnten Klöstern der Traditionalisten wird die sehr konservative Theologie gepflegt, wie in Le Barroux, bei Avignon,  oder in den nach Benedikt XVI. benannten theologischen Hochschule der Zisterzienser in Heiligenkreuz im Wiener Wald…Zur ausführlichen Dokumentation des “rechtslastigen Benedikt XVI.” klicken Sie„Sodalitium christianae vitae“, also mit dem neutral klingenden Titel „Vereinigung des christlichen Lebens“. Ihr Gründer ist der Peruaner Luis Fernando Figari, in kirchenrechtlicher Sicht ein Laie, der jetzt wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt wird. Gegründet wurde diese Gemeinschaft 1971 von Mitgliedern der peruanischen Mittel – und Oberschicht mit dem erklärten Ziel, die Theologie der Befreiung und alle linken „Basisgemeinden“ zu bekämpfen, vor allem aber, um die Inkulturation des christlichen Glaubens unter den Indigenas im Süden Perus zu bekämpfen. Es ist bezeichnend, dass diese „Soladicio“, wie man auf Spanisch sagt, von dem nicht gerade linkslastigen polnischen Papst Johannes Paul II. offiziell anerkannt wurde! Er fand bekanntermaßen alle Katholiken toll und heiligmäßig, die theologisch–reaktionär und ebenso politisch absolut anti-links waren. Dafür gibt es tausend Belege…Aber er ist ein „heiliger Papst“…
Aber schon 2016, nach dem Tod des polnischen Papstes, wurde dieser konservative „Club“ von vatikanischen Sonderbeauftragten untersucht. Einzelne intensive Recherchen zu den Soladicio – Leuten haben Parellelen zu sektenähnlichen, stramm autoritären Gruppen gesehen, etwa zu „colonia Dignidad“ in Chile.
Der des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Herr Figari versteckt sich wohl zur Zeit in Rom. „Peruanische Abgeordnete und mit dem Fall befasste Journalisten fordern die peruanische Regierung auf, darauf zu bestehen, dass der Vatikan die Rückkehr von Figari nach Peru anordnet, damit er der peruanischen Justiz und einer Untersuchungskommission des Parlaments Rede und Antwort stehen müsse. Ein Aspekt dabei sei auch die Untersuchung wirtschaftlicher Machenschaften; das Vermögen von Sodalicio wird auf ca. 800 Millionen US-Dollar geschätzt“, so der empfehlenswerte Bericht von Heinz Schulze, den die Infostelle Peru in Freiburg im Breisgau herausgegegen hat: : http://www.infostelle-peru.de/web/die-unheiligen-machenschaften-des-sodalicio-in-peru/
……..

Sie prägen das Gesicht der katholischen Kirche, die 1 Million Ordensfrauen und Ordenmänner. (a). Unter 1,2 Milliarden Katholiken bilden sie eine Minderheit. Aber sie sind Avantgarde, wenn es etwa um Menschenrechte oder theologische Forschung geht. Heute haben die Orden vor allem in Europa und Nordamerika Mühe, ihre radikale „Ganzhingabe an Jesus Christus“, wie sie sagen, verständlich zu machen. Manch eine Nonne fragt, gar nicht so witzig, wer denn als Letzte im Kloster das Licht ausmacht. 2013 bereiteten sich in Deutschland insgesamt 62 Novizinnen auf ihren Dienst in einem „aktiven Frauenorden“ vor. 60 Jahre zuvor gab es noch 3.500 Novizinnen (1). Das Durchschnittsalter der Jesuiten in den deutschsprachigen Ordens-Provinzen beträgt 65 Jahre (2) Die meisten anderen Gemeinschaften haben einen noch höheren Altersdurchschnitt. Einige Orden, wie die Unbeschuhten Karmeliter, können in Deutschland nur durch den Zuzug von Mönchen aus Indien bestehen. Die Augustiner haben in den letzten 20 Jahren 11 Klöster in Deutschland aufgegeben … und einen Konvent neu gegründet (3). Der Theologe Ulrich Engel OP fasst die Stimmung zusammen: „Die Lage scheint hoffnungslos und die Zeit der Orden hierzulande vorbei. So zumindest macht der statistische Überblick glauben“ (4)

Papst Franziskus hat 2015 zum „Jahr der Orden“ erklärt. In Deutschland werden die üblichen Veranstaltungen organisiert: Tage der Offenen Tür, Wochenenden der Besinnung, spirituelle Kurse usw. (5) Ein öffentlicher Kongress rund um das Ordensleben hätte im Mai in Berlin eine kritische Bestandsaufnahme leisten können. Die Tagung wurde unvermittelt abgesagt, aus „organisatorischen Gründen“ sagen die Oberen. Aber sie „haben Angst vor der eigenen Courage bekommen“, meint der Dominikaner Pater Ulrich Engel (6). Denn bei dem Kongress wäre mehr Transparenz, mehr Aufklärung, eingefordert worden. Große Orden, wie die Jesuiten, Franziskaner oder Steyler Missionare, können insgesamt nur noch ihr zahlenmäßig hohes Niveau halten, weil viele hundert Inder, Philippinos oder Indonesier in diese Gemeinschaften eintreten. Drängend ist die Frage, welche Bedeutung das Armutsgelübde in einer Umgebung hat, in der Millionen Einwohner bettelarm sind. Wird das Armutsgelübde in den Ländern des Elends zur Farce? Ist das Ordensleben – wie in Europa im 19. Jahrhundert – ein Sprung in die „Mittelklasse? Durchaus, meint heute der Benediktiner Pater Ghislain Lafont aus Frankreich „Unser Leben als Mönch ist doch sehr auf dem Niveau der Mittelklasse, von einer wirklich armen Kirche sind wir weit entfernt“.(c)

Viele traditionell fromme Katholiken lehnen die „bürgerlichen Orden“ ab und wenden sich neu gegründeten Reformorden zu. Dieses Thema ist für die anderen peinlich, es wird theologisch nicht bearbeitet. Da gibt es die „Franciscan Friars of the renewal“: Sie spalteten sich 1987 vom Kapuzinerorden ab und sind mit 120 Mitgliedern bereits weltweit tätig. Sie vertreten eine sehr konservative Theologie und legen allen Wert darauf, stets das Ordensgewand zu tragen. (d). Von den Minoriten hat sich 1970 der Orden der „Franziskaner-Immakulaten“ abgespalten, heute mit über 300 Mitgliedern. Päpstlich anerkannt, sind diese Franziskaner stark ins traditionalistische Milieu abgedriftet. Diese Mentalität findet sich bei vielen anderen neuen, stark wachsenden Orden, wie dem „Institut vom inkarnierten Wort“ (400 Priester weltweit) oder dem „Institut Christus König und Hoher Priester“, 1990 gegründet, heute 150 Mitgliedern. Die Titel dieser und vieler anderer so genannter neuer Reformorden drücken eine Spiritualität aus, die aus dem 19. Jahrhundert stammt.. Mit diesen Gemeinschaften wächst ein extrem konservativer Klerus heran, der nur darauf wartet, den progressiven Konzils-Klerus zu ersetzen. Diese Gemeinschaften verändern das Gesicht des Katholizismus. Richtung Fundamentalismus eigener Art?

Verdrängt wird insgesamt die Frage: Können die drei klassischen Ordensgelübde überhaupt heute noch gelebt werden, sind sie eine seelische Überforderung?

Über das Gelübde der Keuschheit wird seit vor 5 Jahren diskutiert, seit zahlreiche Missbrauchsfälle in Ordensschulen und Internaten offen gelegt wurden. Das römische Verbot, offen homosexuelle Männer in die Orden aufzunehmen, besteht immer noch. Einzelne Orden gehen –aus Angst stillschweigend – einen anderen Weg. Und noch nie wurde offen besprochen, ob lesbische Frauen in den Klöstern ausdrücklich willkommen sind.

Relativ harmlos erscheint heute das Ordensgelübde des Gehorsams. Bei dem Mangel an Personal kann sich heute jedes Ordensmitglied die Arbeit aussuchen, die ihm gefällt und zu ihm passt. Fordert ein Ordensoberer ein Mitglied auf, eine bestimmte Arbeit zu übernehmen, „dann ist der einzelne so frei, sich ganz oder teilweise oder auch gar nicht darauf einzulassen“, schreibt Pater Thomas Eggensperger OP (7). Aus dem Gehorsamsgelübde wird also eine Art „freie Wahl“.

Wirklich brisant wird es beim Ordensgelübde der Armut. Da bieten die Orden keine Transparenz, sie sind nicht bereit, präzise Auskunft zu geben zum Vermögen einer Ordensprovinz oder eines selbständigen Klosters. Arnulf Salmen von der Zentrale der Deutschen Ordensoberen (Bonn) begründet diese Haltung: „Ordensgemeinschaften erhalten keine eigenen Kirchensteuermittel und müssen für ihren Lebensunterhalt, ihre Altersversorgung sowie für die Finanzierung ihrer sozialen und pastoralen Projekte Sorge tragen. Der Deutschen Ordensobernkonferenz liegen keine Erkenntnisse über die Etats ihrer Mitglieder vor“. (13)

Tatsache aber ist: Die Orden profitieren von der Kirchensteuer: „Etwa 70 Prozent der Ordenspriester sind mit so genannten Gestellungsverträgen in den Diensten der Diözesen tätig“, berichtet Pater Ulrich Engel. (8) Das heißt: Ordensprovinzen sind Nutznießer der von Laien bezahlten Kirchensteuern! Hinzukommt: Die Ordensprovinzen sind „Körperschaften des öffentlichen Rechts“, genießen also einige Steuervorteile. Warum ist dann Aufklärung unerwünscht? Sind Orden also doch eine „Familie“, wie sie gern sagen, die sich abschottet? Wer etwa bei der deutschen Jesuitenprovinz nachfragt, erhält die Auskunft: „Die Jesuiten wissen selbst nicht genau, wie viel Vermögen der ganze Orden in Deutschland hat“ (e). Da stellt sich die Frage: Weil die Orden nun einmal offiziell als arm gelten wollen, haben sie Angst, ihre reale Armut bzw. ihren realen Reichtum zu dokumentieren. Dabei hatte der oberste Leiter des vatikanischen „Ordensministeriums“ Kardinal Joao de Aviz, 2014 gefordert: „Das Zeugnis des Evangeliums verlangt eine absolut transparente Verwaltung der Werke…“ (9).

Einen Hauch von Transparenz bieten einige der großen Klöster in Österreich. Die Prämonstratenser in Schlägl beziffern ihren Waldbesitz mit 6.500 Hektar (also 65 Quadratkilometer). Einnahmen bietet ihnen auch die Brauerei, ein Hotel, und die Produktion von Ökostrom in Wasserkraftwerken usw.(9b) Das Augustiner-Chorherren-Stift Klosterneuburg nennt selbst als Eigentum 8000 Hektar Wald! Es hat 108 Hektar Weinanbau, 700 Wohnungen und 4.000 Pachtverträge für Immobilien. Natürlich kostet der Erhalt des prachtvollen Kloster-Palastes viel Geld, allerdings hilft bei Renovationen kräftig der österreichische Staat. Das sehr wohlhabende Klosterneuburg hat 2013 15.000 Euro für Hochwasseropfer gespendet, auch der Armen in Rumänien wird mit Spenden gedacht (9a).

Wie kann ein einzelnes Ordensmitglied arm sein in finanziell gut ausgestatteten Klöstern und Ordensprovinzen? Wenn der Orden reich ist, warum kann sich ein armer Ordensmann nicht sein Privatauto leisten oder eine eigene Kreditkarte? Jeder Mönch und jede Nonne lebt in einem finanziell absolut sicheren Netz. „Wir geloben die Armut“, sagt mir ein Ordensmann, „aber die Armut leben die anderen, etwa die allein erziehenden Mütter“.

Aber manchmal können die Ordensleitungen nicht mehr verheimlichen, über welches Vermögen sie verfügten. So musste der Generalobere der Franziskaner, P. Anthony Perry, Ende 2014 zugeben (10): Die Ordenszentrale der Franziskaner in Rom sei pleite, weil sich ihr Ökonom, P. Giancarlo Lati, mit vielen Millionen Euro, verspekuliert hat: Er hat in das luxuriöse Hotelprojekt „Il Cantico“ in Rom fehl investiert und in der Schweiz dubiose Anlagen, zum Teil im Rüstungsbereich, gemacht. Aus gesundheitlichen Gründen, so wörtlich, wurde der Mitbruder entlassen. Nicht erwähnt wurde von dem obersten Chef der „Minderbrüder“, aus welchen Quellen den Bettelmönchen diese (nicht genau bezifferten) Millionen überhaupt zur Verfügung stehen.

Seine guten Geschäftsbeziehungen zu dubiosen Managern, wie die italienische Presse vorsichtig sagt, wollte sich der Generalobere des Kamillianerordens, Pater Renato Salvatore, nicht nehmen lassen. Um sein Neubauprojekt bei Neapel mit dem Geschäftspartner Paolo Oliveiro durchzuziehen, ließ er einfach zwei kritische Mitbrüder im Orden verhaften, von falschen Polizisten. So hoffte er ohne deren Stimme noch einmal zum Ordensgeneral wiedergewählt zu werden. Pater Salvatore war gern gesehener Teilnehmer auf Synoden und vatikanischen Tagungen. Diese Schmierenkomödie ums Geld eines „armen Ordens“ endete zunächst mit der Verhaftung des Ordenschefs. Auch die „Ordensgemeinschaft der Armen-Brüder des heiligen Franziskus“ in Düsseldorf hat 7, 2 Millionen – Spenden durch Spekulation verloren (12) Und der ohnehin steinreiche Orden der Legionäre Christi hat Teile seines Vermögens in der Finanzoase Panama bei einer fingierten Briefkastenfirma plaziert, wurde auf einem Kongress lateinamerikanischer Journalisten von berichtet. (14)

Selbst wenn diese Beispiele zur gelebten Ordensarmut die Ausnahmen sein sollten: Die Orden können ihr Ansehen nur wiedererlangen, wenn sie Transparenz zu einer ihrer höchsten Tugenden machen. Vielleicht wäre ein viertes Gelübde, das der Transparenz, angebracht?

Fußnoten.

(a) http://www.k-l-j.de/katholische_kirche_zahlen.htm

 

  1. In HK 2015, Seite 66.

2 (https://www.jesuiten.org/wir-jesuiten/der-orden/zahlen.html;)

3 eigene Recherche: Es handelt sich um die Augustinerklöster:

Messelhausen, Walldürn, Weiden, Regensburg, München Maria v. g. Rat in München; Neu Ulm, Bielefeld, Würzburg Pfarrgemeinde, Dülmen, Zwiesel, Stuttgart,

neu gegründet: Erfurt.

4. HK 2015, 66).

www.orden.de

c: http://www.la-croix.com/Religion/Actualite/P.-Ghislain-Lafont-et-F.-Jacques-Benoit-Rauscher-L-un-des-maitres-mots-de-la-vie-religieuse-c-est-l-humanite-2015-02-02-1275830,   2.2.2015

d: http://franciscanfriars.com/

6 HK S 68

7 Pater Eggensperger OP in: Kontakt, Miteilungen der Dominikaner, 2013, Seite 59.

8 HK s 66.

( e) Mitgeteilt an Modehn vom Pressesprecher der Jesuiten Thomas Busch.

9.

Zu Transparenz: Quelle http://www.dbk-shop.de/media/files_public/mntyhcpvoyq/DBK_2198.pdf

9a Klosterneuburg:

Spenden des Klosterneuburg:

http://www.stift-klosterneuburg.at/suche/

9b

Schlägl: Der Waldbesitz beträgt derzeit ca. 6500 ha. Damit liegt das Stift auf dem 6. Rang der Stifte Österreichs.

In: http://www.stift-schlaegl.at/prodon.asp?peco=&Seite=373&UID=&Lg=1&Cy=1

10-

http://www.ilfattoquotidiano.it/2014/12/19/crac-ordine-francescani-investimenti-in-societa-legate-traffici-droga-armi/1288136/

 

Quelle: http://www.panorama.it/news/urbi-et-orbi/francescani-sullorlo-bancarotta/

 

11.

Zu kamillianer [Esplora il significato del termine: confratelli, padre Rosario Messina e padre Puca] confratelli, padre Rosario Messina e padre Puca http://www.corriere.it/cronache/14_gennaio_07/parlamentari-boss-prelati-nell-archivio-segreto-fiscalista-a567a07e-7763-11e3-823d-1c8d3dcfa3d8.shtml

Mit Mafia:

In realtà – come accerta il Ros – si tratta di Paolo Oliverio. Un tipo che di mestiere fa il commercialista, traffica con l’ordine dei Camilliani, e che ha come clienti, tra gli altri, uomini della P3 e che verrà arrestato dalla Finanza nel gennaio scorso. Mettendogli le manette, il Gico scoprirà che

Quelle: http://www.repubblica.it/cronaca/2014/12/08/news/mafia_capitale_diotallevi-102386631/ 8.Dez. 2014.

 

http://www.giornalettismo.com/archives/1204773/padre-renato-salvatore-il-superiore-dei-camilliani-arrestato/

 

Arme Brüder:

 

http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article124742300/Arme-Brueder-verlieren-wohl-7-2-Millionen-Euro.html

 

13 Arnulf Salmen in einer mail an Christian Modehn

14

http://www.lenversdudecor.org/Legionnaires-du-Christ-Panama-la-route-de-l-argent.html

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin