Walter Jens – Für die Freiheit im Katholizismus

Walter Jens – Für die journalistische Freiheit im Katholizismus
Erinnerungen an den Berliner Katholikentag 1980
Von Christian Modehn

1.

Die Erinnerungen an die Beiträge von Walter Jens auch für ein Neuverständnis des christlichen Glaubens und für eine Reform der Kirchen – im Sinne der Aufklärung und der Vernunft ! – sind vielfältig. Sie bleiben anregend, etwa sein Wort über den Prediger, das der „Tagesspiegel“ am 11. Juni 2013 noch einmal zitiert. Walter Jens sagt: “Ein Prediger, der von Gott sprechen will, muss von der Welt reden, von der Lebenswirklichkeit und dem Hier und Heute des Menschen: Hat Jesus von Nazareth anders geredet?“

2.

Wenn der Religionsphilosophische Salon auch an den Religionskritiker Walter Jens (geboren am 8. Mai 1923, gestorben am 9. Juni 2013) erinnert, dann denken wir vor allem an einen – innerhalb des umfangreichen Lebenswerks gesehen – doch eher bescheidenen Artikel von ihm. Dieser Beitrag sorgte aber im Jahr 1980 im katholischen Milieu Deutschlands für viel Beachtung. Auch an diesem Beispiel wird die Kraft des engagierten Aufklärers deutlich: Der Artikel, den Walter Jens unter seinem (schon damals bekannten) Pseudonym „Momos“ am 13. Juni 1980 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichte, ist also im Rückblick dann doch alles andere als marginal.

3.

Zur Erinnerung: West – Berlin, in der ersten Juniwoche 1980: Der 86. Deutsche Katholikentag (vom 4. bis 8. Juni) ist ein außergewöhnliches Ereignis: Zum ersten Mal laden kritische Katholiken, vor allem junge Menschen von der Basis, zu einem „Katholikentag von unten“ ein. Die Veranstaltungen dürfen nicht in den Räumen des offiziellen Katholikentages stattfinden, so wollen es die Bischöfe und das Zentralkomitee „der“ deutschen Katholiken. Die “Basis – Katholiken” finden Zuflucht bei einigen protestantischen Gemeinden. Für den Sender Freies Berlin (SFB) realisiere ich zusammen mit den beiden anderen Filmemachern Wolfgang Fietkau und Wolfgang Tumler einen Film von 30 Minuten Länge: er wird gleich am Sonntag, den 8. Juni, um 17.30 Uhr ausgestrahlt. In dem Film wird aus dem Blickwinkel von Teilnehmern einer Gemeinde (Eschborn bei Frankfurt a.M.) berichtet. Dabei wird selbstverständlich auch über den auch sonst von den Medien stark beachteten “Katholikentag von unten” berichtet. Vor allem dieser journalistische Respekt in der ARD vor dieser neuen Initiative löst eine wahre Welle der Empörung im offiziellen deutschen Katholizismus aus. Heute würde man das bösartig – polemische Phänomen wohl „shitstorm“ nennen, unter dem besonders der verantwortliche Redakteur Johannes Huthmann zu leiden hatte. Bei ihm sammelten sich hunderte von üblen Beschimpfungen streng konservativer Katholiken. Dies war wohl auch eine Form der Zurückweisung der Pressefreiheit im Katholizismus, sie wurde offensichtlich angefeuert durch den für das Bistum Berlin verantwortlichen Bischof Joachim Meisner und seine Umgebung; Meisner war erst am 17. Mai 1980 offiziell als Bischof von Berlin eingeführt worden, ernannt von Papst Johannes Paul II, arbeitete er zuvor im DDR Bistum Erfurt. Er “residierte” nun in Ost- Berlin.

4.

Diese etwas ausführliche Vorrede ist nötig, um die Bedeutung des Beitrags von Walter Jens in „Die Zeit“ vom 13. Juni 1980 richtig einschätzen zu können. Jens lobte ausdrücklich, dass die ARD (SFB) die Bilanz des Katholikentages nicht „von den Kardinälen und Funktionären des Zentralkomitees, den großen Meistern jener zugleich ein- und vieldeutigen Kommuniqués, sondern von Teilnehmern ohne großen Rang und glanzvolle Namen gezogen wurde. Eine Bilanz von unten, ein Bilanz im Zeichen der Religion Christi, nicht der christlichen Religion“. Dann weist Walter Jens auf einen Zwiespalt im Katholikentag hin: „Wurde auf der einen Seite (im Film, CM) die Praktik der Oberen getadelt, sich nach außen hin offen zu geben, um nach innen rigoros abzuschotten- nur nicht zu viel Ökumene usw. – so sah sich auf der anderen Seite der gemachte, geplante professionell inszenierte Jugend Rummel attackiert…“. Walter Jens weist außerdem eindringlich darauf hin, wie vom offiziellen Katholikentag jegliches Gespräch mit Homosexuellen zurückgewiesen wurde, während es entsprechende Gespräche und Veranstaltungen auf dem “Katholikentag von unten” selbstverständlich gab: Dank der evangelischen Freiheit protestantischer Gemeinden.

5.

Der Beitrag von Walter Jens in „Die Zeit“ hat die Herren der offiziellen Kirche zwar nicht zu einer Meinungsänderung bewegen können in Richtung Pressefreiheit. Aber Walter Jens hat mit seiem Beitrag auch mit dafür gesorgt, dass eine von den Kirchenoberen nicht allzu sehr kontrollierte journalistische Arbeit – etwa in der ARD – weiter gestärkt wurde und kritische Journalisten und Redakteure ihre Arbeit weiter machen konnten.

Walter Jens hat vor allem den Christen an der Basis zweifellos Mut gemacht, den Weg „von unten“ weiterzugehen. Und es hat lange gedauert, bis zur Jahrtausendwende, als sich die offiziellen Katholikentagsveranstalter mit den Organisatoren des Katholikentags von unten zu einem friedlichen Nebeneinander und gelegentlichen Miteinander durchringen konnten. Heute haben sogar Homosexuelle einen offiziellen Platz auf dem offiziellen Katholikentag, „aber nur, wenn sie für ihre Lebensform keine Reklame machen“, wie mir der ZDK Pressesprecher Theodor Bolzenius im Interview im Jahr 2006 sagte.
Der Versuch, vor allem durch das konservative Umfeld von Bischof Meisner (seit 1989 Erzbischof von Köln), die Pressefreiheit in der Kirche einzuschränken, hat sich nicht ausgezahlt, wenn man nur auf die Attraktivität der Katholikentage schaut. Gab es 1980 in Berlin ca. 75.000 Dauerteilnehmer, so waren es im Jahr 2000 nur noch 40. 000, im Jahr 2006 nur noch ca. 23. 000. (Quelle: http://fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Katholikentage_1968_2008.pdf, gelesen am 11. Juni 2013, 12. 15 Uhr). Was kann daraus geschlossen werden: Ohne umfassende Meinungsfreiheit, ohne gelebte Pluralität, ohne den Mut, dogmatische Fixierungen zu überschreiten, haben Katholikentage wohl keine große Zukunft mehr. Sie werden zu marginalen Ereignissen in der Provinz.

6.

Man muss sich im Rahmen unseres Forschungsprojekts „Philosophische Religionskritik“ an solche Ereignisse erinnern, vor allem an solche Menschen von den Dimensionen eines Lessing, also an Walter Jens, um den Wandel des Religionen und Konfessionen in den letzten 30 Jahren in Deutschland tiefer verstehen zu können und um einige der vielfältigen Ursachen zu begreifen, die zur (Selbst-) Marginalisierung des Katholizismus führen.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin