Sartre vor 40 Jahren gestorben: Die menschliche Freiheit verteidigen – ohne Gott

Ein Hinweis von Christian Modehn zum 40.Todestag von Jean-Paul Sartre am 15.4. 1980 (geboren wurde Sartre am 21.6.1905)

Aus dem sehr umfassenden Werk von Jean Paul Sartre will ich hier, nahe liegend für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon, an einen Aspekt erinnern: Den Atheismus, zu dem sich Sartre ausdrücklich bekannte. In seiner Philosophie der menschlichen Freiheit, die sich zweifellos aus atheistischen Motiven entwickelt, sind Hinweise gegeben, wie sich atheistische Philosophie auch sonst – bei weniger prominenten Leuten – entwickelt hat oder entwickelt haben könnte.
1.
Sartre selbst hat in seinem Werk „Le Mots“ gezeigt: Seine Familie verstand unter Religion etwas bloß Ererbtes, etwas Fremdes, das man sich nicht persönlich “angeeignet“ hatte. Glaube war nichts anderes als eine Art äußerliche Zeremonie. Die katholische Mutter erzieht ihn in der „Gefühlswelt des Katholischen“. Ein Atheist galt in diesen Kreisen sogar als ein seltsamer Mensch, wenn nicht als komischer Kauz, der in seinem Unglauben noch eine Form des Glaubens sich bewahrt. Aber Sartre selbst wird den Gottesbegriff und das Gottesbild, in der Kindheit vermittelt, auch im ständigen Widerspruch nicht mehr „los“.
2.
Sartre konnte die ihm übermittelte Vorstellung der „göttlichen Vorsehung“ nicht ertragen, also die populäre Idee, dass Gott im Himmel alles Leben eines jeden einzelnen Menschen schon im voraus kennt und gestaltet. Sartre nannte den Blick eines von oben, vom Himmel aus, alles sehenden, alles wissenden Gottes, eine Art „ständige Vergewaltigung“ des Menschen (so in “Le Sursis“). Dieser allmächtige, immer zur Bestrafung der Menschen bereite Gott (der „oberste Chef“) ist für Sartre nicht akzeptabel – im Namen der Menschlichkeit des Menschen.
3.
Andererseits müsste an „L etre et le néant“ erinnert werden: Da wird Gott gedacht als ein Ideal, das für den Menschen nicht erreichbar ist, das der Mensch zwar suchen kann, aber immer verfehlt. Der Mensch lebt förmlich von dem Begehren, dem Wunsch, mit Gott verbunden zu sein. Aber dieses verlangen geht nicht in Erfüllung. Sartre weiß und sagt das oft, wie anstrengend sein Atheismus ist, er fühlt sich „wie ein Reisender ohne Fahrkarte“.
4.
Sartre „verlagert“ förmlich das „Gottesproblem“ in ein menschliches Problem, in die Frage, wie wir als Menschen frei leben können. Es geht um die Beziehung der Menschen untereinander und miteinander, als Menschen, „die zur Freiheit verurteilt sind“. Allerdings taucht die Idee des verstörenden „Blickes“ (regard) auch im menschlichen Bereich wieder auf: Menschen können den anderen „objektivieren“ und einander zu Feinden werden.
5.
Es bleibt für Sartre entscheidend: Menschen müssen Tag für Tag für die Menschlichkeit kämpfen. Auch wenn alles grundlos ist. Und es keinen Trost gibt für den ins Nichts gehaltenen Menschen.
6.
Über diese philosophische Haltung kann man natürlich – später – in ein ausführliches Gespräch kommen.
7.
Interessant ist, dass Sartre 1940 als Kriegsgefangener in Deutschland für seine eingeschlossenen Kameraden ein „Weihnachtsspiel“ geschrieben, das so gar nicht zu seinem philosophischen Lebensentwurf zupassen scheint. Mit einem Priester im Lager, Marius Perrin, las Sartre „Sein und Zeit“ (von Martin Heidegger). Perrin hat sich später sehr dankbar geäußert zu der philosophischen Lebenshilfe und der Ermunterung zur Flucht aus dem Lager durch Sartre (siehe auch Thomas Ebinger, Verkehrte Freiheit?, Tübingen 2010, S. 108).
8.
Rupert Neudeck, der Gründer von „Cap Anamur“ und Initiator zahlreicher anderer Aktionen zur Rettung bedrohter Menschen, hat über Sartre seine philosophische Promotion verfasst. 1979 konnte er Sartre in Paris interviewen. Wie zum Abschied sagte er: “Man muss versuchen zu lernen, dass man sein Sein, sein Leben nur suchen kann, indem man für andere tätig ist. Darin liegt die Wahrheit. Es gibt keine andere“ (zit. in Orientierung, Zürich, 2005, Seite 128. Titel des Beitrags von Neudeck „Die riskante Freiheit und ihre Verantwortung“). Dieses bemerkenswerte Bekenntnis des alten Sartres, ein Jahr vor seinem Tod gesprochen, ist auch das Bekenntnis der Christen und anderer religiöser Menschen.
9.
Dass sich Sartre voller Gehässigkeit über seinen berühmten Onkel Albert Schweitzer (Lambarene) äußerte, soll hier nur vermerkt werden. Dieser Hinweis könnte ein Element sein für ein Bild des zweifellos sehr widersprüchliches Charakters Sartres. Er sagte in einem Interview mit Jean Cau (Sekretär Sartres von 1946 bis 1957): „Onkel Albert hat Lambaréné aufgebaut dank des Geldes von Eléonor Rooselvelt. Er hinterließ bei ihr den Eindruck eines heiligen Eremiten, der Orgel spielt unter den Palmen“. Schlimm war es also für den damals dem Kommunismus sehr nahe stehenden Sartre, Geld von einer sehr prominenten US Amerikanerin, eigentlich einer geschätzten Wohltäterin, anzunehmen… Es ist diese gelegentliche ideologische Blindheit, die viele bei Sartre nicht besonders mögen, milde gesagt.
(Siehe: https://www.lefigaro.fr/actualite/2006/07/20/01001-20060720ARTFIG90006-albert_schweitzer_le_grand_docteur.php).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin