Heiliger Stuhl, Vatikanstaat, Papst: Was Sie schon immer wissen wollten…

Was Sie schon immer vom “Heiligen Stuhl” wissen wollten…
Eine Neufassung des Beitrags vom 21. Juli 2011.
Immer wieder erreichen uns Fragen, auch anlässlich des Papstbesuches in Deutschland, die wir gern weitergeben …mit einer knappen Antwort vor allem aus Originaldokumenten. Wir verstehen unsere Hinweise lediglich als Beitrag zu einer Philosophie der Aufklärung.

– Ist der Papst Staatschef des Vatikanstaates?
Antwort:
Eigentlich nicht. Denn der Papst repräsentiert als Person den Heiligen Stuhl. Der „Heilige Stuhl“, auch „apostolischer Stuhl“ genannt, bezeichnet den Sitz (Stuhl, „cathedra“, von daher „Kathedrale“) des römischen Bischofs.
Seit Papst Damasus I. (366- 384) verbreiten römische Bischöfe die Idee, nur (!) der Bischof von Rom habe den Anspruch, sich „Heiliger Stuhl“ zu nennen. Unter Papst Siricius (384) setzt sich der Titel „Papa“ (Papst) als Monopol – Begriff für den römischen Bischof durch. Unter Papst Leo I. ( 440-461) wird der Titel „vicarius Christi“, also „Erbe aller Vollmachten Christi“, auf das Papstamt bezogen, Unter Leo I. wird das Papstamt gleichwertig neben das römische Kaisertum gestellt.
Die politischen Machtansprüche des Heiligen Stuhls wachsen: Im 8. Jahrhundert wird das zweifelsfrei gefälschte Dokument verbreitet, die sogen. „Konstantinische Schenkung“, wonach Kaiser Konstantin dem Papst Silvester I. ( 314 – 335) als dem Heiligen Stuhl den absoluten Anspruch auf weltliche Macht“ übergeben hätte, (so der katholische Theologie Professor Josef Imbach in seinem empfehlenswerten seinem Buch „Der Glaube an die Macht und die Macht des Glaubens, Düsseldorf 2005, Seite 107).
Wer an der Echtheit dieses „ominösen Schriebs zweifelte“, so Josef Imbach, wie ein gewisser Johannes Drändorf in Heidelberg, der wurde 1425 noch, als Ketzter (!) verbrannt. Heute sprechen Historiker nur von der „Konstantinischen Fälschung“.
Die Macht des Heiligen Stuhls beruht also auf höchst zweifelhaften Dokumenten und man distranziert sich zumindest nicht offiziell bis heute nicht von diesen merkwürdigen Traditionen.
Denn weiter ging der Ausbau der politischen Macht des „Heiligen Stuhls“, also des Papstamtes, in der sogen. Pippinischen Schenkung“ (754- 756), wonach der zuvor vom Papst zum König gekrönte Pippin dem Papst nicht nur Rom, sondern weite Teile Mittelitaliens – nach der Verdrängung der Langobarden) – „schenkt“. Somit ist der heilige Stuhl auch politischer Herrscher (Vatikanstaat).

In dieser Doppelfunktion handelt der Papst bis heute. Am wichtigsten ist ihm, als Inhaber des Heiligen Stuhls“ zu gelten, als solcher IST der Papst „Völkerrechts – Subjekt“. Dies ist eine einmalige völkerrechtliche Erscheinung. Der Heilige Stuhl (der Papst) ist die höchste Institution der katholischen Kirche, er steht über allen Bischöfen und Konzilien. Man kann seine Macht absolut nennen, von niemandem kontrolliert.
Das Papsttum will aber seine Souveränität auch politisch international sichtbar und wirksam machen, eben durch einen Staat, dies ist heute der heute winzige Vatikanstaat, der mit den Lateranverträgen (mit Benito Mussolini) am 11. 2. 1929 geschaffen wurde.
Der Heilige Stuhl ist also mehr als der faktische Vatikanstaat, er geht nicht in diesem Staat auf. Entscheidend ist, dass der Heilige Stuhl auch heute mit aller Machtfülle ausgestattet sein will. Darum ist er Mitglied in zahlreichen Internationalen Organisationen.
Die Menschenrechtserklärung des Europarats hat er nicht unterzeichnet.

– Sind die „Nuntiaturen“ diplomatische Vertretungen des Vatikanstaates?
Antwort:
Trotz einer immer wiederkehrenden Behauptung auch in journalistischen Kreisen heißt die Antwort: Nein. Die päpstlichen Nuntien sind diplomatische Vertretungen des Heiligen Stuhls. D.h. Der Papst als die höchste Institution der katholischen Kirche meint Botschafter in möglichst allen Ländern, zur Zeit 174, zu brauchen, um das Wohl „der“ Kirche zu sichern, auf die Staaten und Gesellschaften einwirken zu können, möglichst auch durch Konkordate. Diese Nuntien üben auch Kontrollfunktion aus über die Kirche ihres jeweiligen Landes und melden „Missbräuche“ dem Papst und seiner Administration. Man könnte Nuntius also auch mit „Kontrolleur“ und „Geheimdienst“ übersetzen. Innerhalb des diplomatischen Corps hat der Nuntius immer eine Vorrangstellung.

– Welche Regierungsform besteht im Vatikanstaat?
Antwort:
Die klare Antwort gibt der Katechismus selbst:
„Die Regierungsform ist die absolute Monarchie. Staatsoberhaupt ist der Papst, der die absolute gesetzgebende, ausführende und richterliche Gewalt inne hat“.
Gewaltenteilung gibt es also nicht.
Quelle: http://www.vaticanstate.va/DE/Staat_und_Regierung/Geschichte/Die_Vatikanstadt_heute.htm

– Will der Papst auf die Politiker Einfluss nehmen?
Antwort:
Wieder gibt der Katechismus eine klare Antwort: „Einzig die göttlich geoffenbarte Religion (also das Christentum und dort die katholische Kirche unter päpstlicher Leitung, CM) hat in Gott, dem Schöpfer und Erlöser, klar den Ursprung und das Ziel des Menschen erkannt. Die Kirche lädt die politischen Verantwortungsträger ein, sich in ihren Urteilen und Entscheidungen nach dieser geoffenbarten Wahrheit über Gott und den Menschen zu richten“. Quelle: Katechismus der Katholischen Kirche, 1993, Nr. 2244.
Man lese parallel das mittelalterliche „dictatus Papae“ von Papst Gregor VII. (1073 – 1085), dort steht der ähnlich klingende Satz: „Der Papst darf von niemandem gerichtet werden“. (Nr 19 des Dictatus).

– Spielt diese Lehre von der politischen Führung des Heiligen Stuhls heute noch eine Rolle?
Antwort:
Selbstverständlich, nur ein Beispiel für viele andere: .
Man lese eine Stellungnahme von Erzbischof Rino Fisichella, (am 30. Juni 2010 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Präsidenten des neu errichteten Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung). „Aufgrund seiner demokratischen Verfassung muss der Staat die Auseinandersetzung mit der Kirche nicht nur akzeptieren, sondern er muss etwaige Einmischungen der Kirche auch aufgreifen und erst in einem zweiten Moment zu temperieren wissen…. Die Kirche hingegen, die sich auf Prinzipien beruft, die einen höheren als den menschlichen Ursprung haben (sic), könnte niemals eine irgendwie geartete Einmischung des Staates in ihre Inhalte akzeptieren“.
Quelle. R. Fisichella, Identita dissolta, zit in C. Augias, Die Gehimnisse des Vatikan, 2011, S. 443.)

– Ist der Papst tatsächlich die letztlich alles entscheidende Person im Katholizismus?
Die Antwort bezieht sich auf eine wortwörtliche Interpretation des Neuen Testaments: „Der Herr (also Jesus Christus, CM) hat einzig (!) Simon, dem er den Namen Petrus gab, zum Felsen seiner Kirche gemacht“.
Quelle: Katechismus der katholischen Kirche: (Nr. 881) ….
„Der Römische Bischof (also der Papst, CM) hat kraft seines Amtes, nämlich des Stellvertreters Christi und des Hirten der ganzen Kirche, die volle, höchste und allgemeine Vollmacht über die Kirche, die er immer frei ausüben kann“ .
Quelle: Das Dokument Lumen Gentium vom 2. Vatikanischen Konzil, im Katechismus zitiert als unter Nr. 882).

– Sind die beiden „Rollen“ des Papstes als geistliches Oberhaupt UND als politisch agierender Chef des Heiligen Stuhl bzw. auch eines Staates klar getrennt?
Antwort:
Nein. „Wenn der Papst das Wort ergreift, ist es fast nie ganz eindeutig, ob er dies als Oberhaupt einer großen Religion oder als Oberhaupt eines souveränen Staates tut, als Monarch, der in seiner Person alle Gewalten,vereint“.
Quelle: C. Augias, Die Geheimnisse des Vatikan, München 2011, S. 8.

– Wie wird im Römischen / päpstlichen Katechismus der Begriff Demokratie behandelt?
Antwort:
Der Begriff Demokratie kommt im Römischen Katechismus nicht vor!
Lediglich Anklänge an das, was die moderne Demokratie meint, gibt es im § 1901. Dort heißt es: „Während die Autorität als solche auf eine von Gott vorgebildete Ordnung verweist (damit wird auf „die“ menschliche Natur verwiesen, CM), muss die Bestimmung der Regierungsform und die Auswahl der Regierenden dem freien Willen der Staatsbürger überlassen bleiben“.
Interessant ist, dass der Katechismus ausdrücklich dann auch „unterschiedliche Regierungsformen als sittlich zulässig beurteilt“, um welche dann offenbar nicht mehr demokratische Regierungsformen es sich im einzelnen handelt, wird nicht gesagt. Monarchien, Autokratien, Plutakratien, Anarchien?? Offenbar will man sich im Katechismus einen Weg freihalten, um Verständnis zu wecken, dass der Vatikan Staat eben eine „absolute Monarchie ohne Gewaltenteilung“ ist (siehe oben). Allerdings wird im Katechismus zugegeben, das Regierungen, deren Wesen den Grundrechten der Personen widersprechen, “nicht das Gemeinwohl verwirklichen können“ (also aus päpstlicher Sicht abzulehnen sind, CM). An welche Regierungen, etwa absolute Monarchien, dabei gedacht wird, bleibt im Text völlig unklar.

Auch in den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils kommt – laut Register im “Kleinen Konzilskompendium”, Herder Verlag – der Begriff Demokratie nicht vor.

—Wir weisen auf einen Text hin, in dem sozusagen “typischerweise” deutlich wird, wie der Heilige Stuhl, also der Papst, schwere Menschen­rechts­ver­letz­ungen, etwa in Uganda, ignoriert bzw. aus diplomatisch – taktischen Gründen im Gespräch mit Diplomaten nicht erwähnt!
Pope Benedict commends Uganda
Sunday, 20th December, 2009

By Steven Candia, Quelle: http://www.newvision.co.ug/D/8/13/704876, gelesen am 10.8.2011

POPE Benedict XVI has commended Uganda for the freedom and respect extended to the Catholic Church, enabling it fulfill its goals.

Speaking at the Vatican at a function in which Ugandas Ambassador to the Holy See, Canon Francis Butagira, presented his credentials, the Pope said the cordial relations between the Holy See and Uganda had borne tangible fruits.

The climate of freedom and respect in your nation towards the Catholic Church has allowed her to be faithful to her proper mission.

The fruits of cooperation between the Church and the State, especially in areas related to development, education and healthcare, are widely recognised, the Pope said.

He added that such a solid foundation should promote personal integrity, justice and fairness in local communities and hope for the whole nation, an important factor in stability and growth.

The Pope, however, noted that despite the sound economic growth Uganda has enjoyed lately, there was still need to promote more productive forms of agriculture, the proper use of the countrys resources and the implementation of concrete policies of regional cooperation.

The Pope singled out Northern Uganda, which he said had been devastated by the LRA insurgency and hoped that lasting peace would soon return to the region.

The Pope assured Butagira of the Vaticans continued support.

Wikipedia schreibt:
For its part, the Holy See has maintained excellent relations with Uganda, with Pope Benedict XVI receiving the Ugandan ambassador in December 2009 and commending the climate of freedom and respect in the country towards the Catholic Church. During this meeting, there was no mention of the anti-homosexuality bill.
Quelle:

http://www.google.de/search?q=catholic+church+in+uganda+against+gays&ie=utf-8&oe=utf-8&aq=t&rls=org.mozilla:de:official&client=firefox-a

copyright: christian modehn.

gelesen am 10.8. 2011
Tags: Benedikt XVI. Staatschef oder religiöser Führer, Corrado Augias, Demokratie und katholische Kirche, Heiliger Stuhl und Vatikan, Homosexualität und katholische Kirche, Nuntius, päpstlicher Nuntius, politische Macht der katholischen Kirche

Kommentar wurde abgehakt.

Der Papst: Oberster Bischof und Staatschef. Zu einem neuen Buch von Corrado Augias

Der folgende Text ist eine “etwas längere Fassung” eines Beitrags für NDR INFO am 10.7. 2011.

Buchbesprechung:
Die Geheimnisse des Vatikan
Von Christian Modehn

In einigen Wochen, Ende September, wird Papst Benedikt XVI. Berlin, Erfurt und Freiburg im Breisgau besuchen. Dabei wird eine Frage viel zu selten diskutiert: In welcher Funktion unternimmt eigentlich der Papst seine so genannten „apostolischen Reisen“, die er auch gern „Pilgerfahrten“ nennt. Wann tritt der Papst als spirituelles, geistliches Oberhaupt der katholischen Kirche auf? Und wann äußert er sich als ein Politiker von höchstem Rang, nämlich als Repräsentant des „Heiligen Stuhls“ in Rom, dem der Staat Vatikanstadt untersteht. Ist der Papst also in erster Linie Theologe und Seelsorger oder doch mehr Diplomat und Politiker? Auf diese Fragen gibt ein neues Buch Antwort, es hat den Titel: „Die Geheimnisse des Vatikan”

Mit seinem Buch „Die Geheimnisse des Vatikan“ will der italienische Journalist Corrado Augias keine finsteren Schauergeschichten verbreiten. Entscheidend ist der Untertitel „Eine andere Geschichte der Papststadt“. Der vielseitig gebildete Autor bietet einen gründlichen Einblick in die Geschichte Roms und der Vatikanstadt. Aber immer sind seine Beschreibungen der Renaissance Paläste oder der barocken Prunk – Kirchen von der zentralen Frage geleitet: Wie äußerte sich dort politischer Einfluss und geistliche Macht der Päpste? Seit dem frühen Mittelalter hatte das Papsttum ein doppeltes Gesicht: Der Bischof von Rom wollte als maßgebliches Staatsoberhaupt in allen ethischen Fragen das Leben aller Menschen weltweit bestimmen; gleichzeitig wollten die Päpste auch als die fürsorglich agierenden Hirten der Gläubigen erscheinen.

Die Pointe dieses umfangreichen Buches ist: Jeder Papst verhält sich je nach Situation einmal als geistliches Oberhaupt, ein anderes Mal als hochrangiger Politiker und Diplomat. Wehren Päpste das Priestertum der Frauen in der Kirche ab, sprechen sie als theologische Lehrmeister. Wollen sie, etwa in den Gremien der Vereinten Nationen, die Geburtenkontrolle verbieten, dann sprechen sie als Staatsmänner. Welche der beiden Funktionen ein Papst in den Vordergrund stellt, wird einzig von dem Kalkül geleitet: Was fördert die kirchliche Macht im Vatikan und was bringt die katholische Kirche voran? Diese Überlegungen waren maßgeblich für den Umgang Papst Pius XII. mit der Nazi Diktatur in Deutschland. Auch heute denken Kirchenfürsten in Kategorien der Überlegenheit und Unterordnung: Der Autor zitiert Erzbischof Rino Fisichella, er organisiert jetzt in päpstlichem Auftrag die „Neuevangelisierung Europas“:

„Der Staat muss Einmischungen der Kirche aufgreifen. Die Kirche hingegen, die sich auf höhere Prinzipien beruft, kann niemals Einmischungen des Staates akzeptieren“.

Dieses gar nicht so demokratische Denkmuster bestimmte über viele Jahrzehnte den Umgang des Vatikans mit den pädophilen Verbrechen durch Priester und Ordensleute, das Motto war: „Unsere Angelegenheiten regeln wir heimlich selbst“. Der Autor erinnert auch an die Verschleierungstaktiken vatikanischer Behörden bei der Aufklärung von Verbrechen im Umfeld der Schweizer Garde im Mai 1998. Augias schreibt:

„Drei Stunden nach dem Mord und noch vor den Ermittlungen, den Verhören usw. verbreitet der Vatikan bereits seine offizielle Version des Tat – Hergangs, so soll jeder Zweifel im Keim erstickt werden: Schuldig soll einzig der Vizekorporal Cédric Tornay sein. Weitere Hintergründe sollen nicht ermittelt werden“.

Das Buch „Die Geheimnisse des Vatikans“ liest sich fast wie ein Krimi, wenn man mit Schicksal der 15 jährigen Emanuela Orlandi konfrontiert wird, der Tochter einer Familie mit vatikanischer Staatsangehörigkeit. Das Mädchen wurde 1983 in Rom entführt. Der Vatikan hat die Ermittlungen des italienischen Staates massiv behindert und sogar terroristische Hintergründe herbeigeredet. Dem Vatikan war es äußerst peinlich, vermutet der Autor mit vielen anderen Beobachtern, öffentlich einzugestehen, dass das Mädchen von einem Priester missbraucht und anschließend ermordet wurde. Augias schreibt:

Diese Beispiele demonstrieren: Es gibt von vatikanischer Seite nicht die geringste Unterstützung bei polizeilichen Ermittlungen, keine Reaktion oder aber absolute Zurückhaltung bei Anfragen der Justiz.

Auch weitere „Geheimnisse“ werden in dem Buch dargestellt: Kein Außenstehender darf z.B. wissen, wie viele Milliarden Euro der italienische Staat jährlich dem Vatikan aufgrund des Konkordates überweist. Kein Journalist hat je erfahren, wie viele kriminelle Transaktionen über die Konten der Vatikanbank abgewickelt wurden.
Darum kann „Die andere Geschichte der Papststadt“ keine Sympathiewerbung für den institutionell verfassten Katholizismus sein. Der Autor lässt seine Enttäuschung über diese Zustände gelegentlich durchblicken. Er erwähnt aber auch die wenigen Katholiken, die den armen, den machtlosen Jesus nicht ganz vergessen haben; er findet diese kritischen Katholiken in den römischen Basisgemeinden und bei Mitgliedern einzelner Ordensgemeinschaften. Im ganzen gesehen aber kann Augias keine Verbindung mehr erkennen zwischen den machtgierigen Herren des Vatikans und der Gestalt, vom dem diese klerikalen Politiker so oft sprechen, von Jesus Christus.
Auch Benedikt XVI. wird sich in Deutschland als liebvoll lächelnder oberster Hirte zeigen … und als gewiefter Diplomat. Dass er im Deutschen Bundestag reden wird, hängt damit zusammen, dass er als „Völkerrechtliches Subjekt“ der Heilige Staat IST, der den Staat Vatikanstadt mit 500 Bürgern, leitet. Es spricht also im Bundestag ein Staatschef! In Lexika wird diese einmalige rechtliche Konstruktion (nirgendwo sonst IST eine lebende Person ein völkerrechtliches Subjekt!) des Heiligen Stuhls und der Vatikanstadt als „absolutistische Monarchie“ beschrieben. Wer also dem geistlichen Oberhaupt, dem Papst folgen will, folgt also gleichzeitig auch einem absolutistischen Herrscher. Er folgt einer Person, die ihm zugleich religiöse Weisungen und politische Vorschriften vorlegt, also etwa an die Gottheit Jesu zu glauben und die absolute Zurückweisung der Geburtenkontrolle zu akzeptieren. Es ist diese Doppelrolle, die heute demokratisch gesinnte Menschen nicht gerade zu Fans des Papsttums macht.

Corrado Augias, Die Geheimnisse des Vatikan. Eine andere Geschichte der Papststadt.
Aus dem Italienischen von Sabine Heymann. Verlag C.H. Beck, München 2011, 496 Seiten, 22,95 Euro.

Welche Spiritualität braucht Berlin? Dialog im Radial -System

Termin: 14. September | 20 Uhr
Gastgeber: Ursula Richard, Literaturmanufaktur

Welche spirituellen Formen und Angebote braucht Berlin? Was kann eine urbane Spiritualität leisten?

Auch eine Großveranstaltung mit dem Papst kann nicht darüberhinwegtäuschen, dass die Bindung an die christlichen Kirchen nachlässt und ihnen die Mitglieder abhanden kommen, aber auch der Zulauf zu traditionellen Zentren östlicher Spiritualität ist rückläufig. Mehr als 50 Prozent der BerlinerInnen bezeichnen sich als konfessionslos. Doch gleichzeitig kann man feststellen, dass das Interesse an spirituellen Fragen und Erfahrungen gerade in Großstädten wie Berlin zunimmt. Was braucht Berlin, um diesen Bedürfnissen mehr Raum zu geben? Welche (neuen) Formen und Angebote einer urbanen, undogmatischen Spiritualität sind hilfreich und anschlussfähig? Wie können Respekt, Offenheit und Stille im Miteinander einer Großstadt gelebt werden?

Diese und weitere Fragen werden an diesem Abend näher beleuchtet und diskutiert von der Autorin und Verlegerin Ursula Richard (Autorin u.a. von “Stille in der Stadt” (Kösel Verlag), dem buddhistischen Lehrer und Arzt Dr. Wilfried Reuter, Christian Modehn, Initiator des religionsphilosophischen Salons Berlin sowie In-Sun Kim, Leiterin des Interkulturellen Hospizes Berlin.

Ein philosophischer Sommer – Spaziergang im Salon. “Der Feldweg”

Dem “Feldweg” Martin Heideggers nachdenken
Michael Braun, unser Gesprächspartner am 26. Juli, schreibt:

Jeder von uns kennt die Momente, da wir uns nach Ruhe und Besinnung sehnen.
Der eine oder andere ist vielleicht sogar der Meinung, Besinnung sei angesichts der weltweit immer drängender werdender Probleme besonders wichtig.
Was aber heißt Besinnung? Ist Besinnung eine Form von Passivität oder vielleicht genau das Gegenteil? Gehen Besinnung und Veränderung vielleicht Hand in Hand?
Diesen und anderen Fragen können wir anhand des Textes „Der Feldweg“ von Martin Heidegger nachgehen. Doch stehen zuerst einmal Ihre Leseerfahrungen und die daraus sich ergebenen Fragen im Mittelpunkt unseres Philosophischen Cafés.

Muße muss sein. vom zweckfreien Genießen des Daseins. Ra­dio­sen­dung NDR KULTUR.

Viele Menschen können ihr Leben nicht genießen, weil sie sich dauernd überfordern, in Arbeit stürzen und Stress normal finden. Sie verlieren das Gespür für den Wert der eigenen Lebenszeit. Andere wiederum haben so viel freie Zeit, dass sie aus Langeweile Tage und Stunden „totschlagen“. Die vielen langen und leeren Momente können aber eine Schule der Nachdenklichkeit werden: Ist unser Dasein wirklich nur Arbeit, nur andauernde Beschäftigung? Können wir die Muße einüben, diese spielerische Unterbrechung, diese Lust am zweckfreien Genießen des Daseins? Denn Muße gibt dem Leben den ersehnten Glanz: „Das ruhige Verweilen ist Göttliches“, wußten schon die spanischen Mystiker.