Vor 5 Jahren erschien das Buch „Der Gotteswahn“ des englischen Biologen Richard Dawkins. Es wurde weltweit millionenfach verkauft und löste tiefe Irritationen aus: Ist der Glaube an Gott nichts als eine Krankheit, wie behauptet wurde. Lässt er sich allein von naturwissenschaftlicher Perspektive aus erklären? Ist er wirklich „überholt“? Inzwischen weisen kritische Atheisten und Philosophen die Position Dawkins und seiner Mitstreiter zurück. Und Theologen sind dankbar, weil sie jetzt klar erkennen: Es gibt die von Menschen gemachten und leidenschaftlich verehrten Götter tatsächlich. Heute heißen sie z.B. Erfolg“ und „Wachstumsgesellschaft“. So führt der „Gotteswahn“ zur Frage nach dem „göttlichen Gott“, wie die Mystiker sagen.
Benedikt XVI. – Kritische Hinweise
Hier werden Hinweise zu Radiosendungen und Artikeln geboten sowie Hinweise zu philosophischen Diskussionen.
Gegen die Räuberbanden. Zur Rede des Papstes im Bundestag. Seine Hauptquelle wird vom Verlag der Piusbrüder vertrieben
Gegen die „Räuberbanden“. Zur Rede des Papstes im Bundestag. Mit einer theologischen Nähe zu den Piusbrüdern.
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In seiner Rede im Bundestag kritisiert der Papst erneut die Demokratie und beruft sich auf einen Freund der alten lateinischen Messe , der dem Opus Dei nahe steht: Wolfgang Waldstein. Auf dessen Bücher bezieht sich Benedikt XVI. mehrfach, sie werden im Verlag der traditionalistischen Piusbrüder „Sarto“ angeboten und verkauft.
Der Papst hat in seiner Rede im Bundestag (am 22.9.2011) seinen neuen Gegner im modernen Europa benannt: Den (Rechts) Positivismus, also die Überzeugung, dass die Gesetze von Menschen in einer bestimmten Zeit nach entsprechenden Diskussionen „gemacht“ werden, also in gewisser Weise relativ sind: Damit rückt der Papst den Positivismus in enge Nähe zu seinem schon seit längeren bekannten polemischen Begriff der „Diktatur des Relativismus“, von der Benedikt XVI. z.B. kurz vor seiner Wahl zum Papst im Jahr 2005 ausdrücklich sprach.
Nun gilt es also für den Papst, die Herrschaft des Rechtspositivismus zu überwinden, indem er die deutschen Parlamentarier (und von da aus die ganze Welt) über die Grundlagen des Rechts belehrt. Dabei ist der focus der Papstrede: Das positive, demokratisch erarbeitete Recht sei einer höheren Rechts – Instanz, dem (klassischen griechisch- römischen Naturrecht) zu unterstellen.
Einleitend weist er auf seine Kompetenz in dieser Frage hin: Der Papst sieht sich als „Heiliger Stuhl“, d.h. als herausgehobener Bischof von Rom, der nach traditioneller katholischer Lehre die Staaten und Politiker belehren darf; im Bundestag nannte er das seine „internationalen Verantwortung“. Als dieser traditionelle Lehrmeister (= Heiliger Stuhl) will er, so wörtlich, „Gedanken über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates vorlegen“.
Er erinnert daran, dass Staaten Gesetze schaffen können, die inhuman sind. Daran zweifelt niemand. Aber kann man die moderne positive Rechtsordnung mit dem Beispiel einer Diktatur relativieren, wenn nicht zur Seite schieben, wenn man, wie der Papst, auf das Ermächtigungsgesetz der Nazis (1933) anspielt? Weil hier Gesetzgebungsgewalt auf die Exekutive übertragen wurde. „Das beliebte Argument, das Ermächtigungsgesetz von 1933 belege die notwendige Selbstgefährdung einer jeden Demokratie, ist über die immanenten Stabilisierungsbedingungen von Demokratie so wenig aufgeklärt, dass es wider besserer Absicht antidemokratische Traditionen vertritt“, so die Philosophin Ingeborg Maus in „Enzyklopädie Philosophie, Meiner Verlag, Hamburg 2010, Band 2, Seite 1746). D.h. Der Papst rechnet nicht mit internen Stabilisierungsformen der Demokratie, er hält Demokratien a priori für schwach und fixiert sich auf das Abgleiten in Diktaturen. Dieses Abgleiten wiederum hat tatsächlich aber sehr viele komplexe Ursachen, sicher nicht bloß die vermeintliche Schwäche des demokratischen positiven Rechts.
Benedikt XVI. jedenfalls ist über die „immanenten Stabilisierungsbedingungen der Demokratie nicht gut informiert und schließt kurz: Überall, wo keine Naturrechte herrschen, so zitiert er seinen Lieblingstheologen Augustinus aus dem 4. Jahrhundert, werden Staaten zu „Räuberbanden“.
Wie kann ein „wahrer Staat“ entstehen, der niemals zur Räuberbande wird? Benedikt lässt keinen Zweifel daran: Nur in der Hochschätzung des Naturrechts, also einer philosophischen Lehre, seiner Meinung von der Stoa aus dem 2. Jahrhundert vor Christus gegründet. Diese „klassische“ Naturrechtslehre erkennt „das“ Wesen „des“ Menschen.
Es ist keine Frage, dass Demokratien heute den Wert der Menschenwürde respektieren und auch in ihre Verfassungen eingetragen haben.
Das weiß auch der Papst.
Aber er will mehr: Er sieht die Menschenrechte, also die moderne Form des Naturrechts, in der Bindung an den Schöpfergott begründet. Er behauptet, der Glaube an den biblischen Weltenschöpfer, sei der Hauptmotor gewesen in der Formulierung und Durchsetzung der Menschenrechte. Das ist historisch schlichtweg falsch, das weiß jeder (Historiker). Die Französische Menschenrechtserklärung von 1789 wurde aus philosophischen Überlegungen gegen die Kirchenhierarchie durchgesetzt. Die Päpste waren bis 1960 immer heftigste und deutliche Feinde der Menschenrechte. Sie wussten nicht, wie einer ihrer Nachfolger, dass die Menschenrechte vom Schöpfergott her stammen. Dann hätten sie diese ja verteidigt. Nebenbei: Bis heute hat der Vatikan nicht die Menschenrechtserklärung der UN anerkannt, aus formalen Gründen heißt es, aber offenbar will man diese formalen Hindernisse nicht überwinden. Das etwas großspurige Eintreten für Menschenrechte/Naturrechte aus päpstlichem Mund ist also heute höchst zwiespältig, manche nennen es verlogen.
Aber ein Einwand ist noch wichtiger: Indem Benedikt XVI. den Glauben an den Schöpfer – Gott zur Voraussetzung einer „wahren“ Rechtsordnung macht, will er unterschwellig die Hörer darauf vorbereiten: Der wahre Interpret der wahren Rechtsordnung bin ich, also der heilige Stuhl. Fragt bitte mich und meine Nuntien, was recht und gut ist, wenn ihr positive Gesetze macht, also etwa die Homo –Ehe einführt. Das hat der Papst so deutlich explizit in Berlin nicht gesagt, dazu ist er zu diplomatisch. Aber es ist als das Ungesagte eindeutig hörbar für alle, die die katholische Theologie kennen. In dieser Kritik am positiven Recht und der Behauptung, als Papst Spezialist fürs Naturrecht zu sein, äußert sich ein Machtanspruch eines religiösen Führers.
Bezeichnenderweise fragt der Papst in seiner Rede auch, ob das demokratische Mehrheitsprinzip ausreicht. Er glaubt nicht, dass es ausreicht! Was will er dagegen setzen? Die Antwort bleibt verschwommen, er will offenbar nur Zweifel wecken am demokratischen Mehrheitsprinzip, siehe oben das Zitat der Philosophin Ingeborg Maus. .
Der Papst erinnert an -einen im übrigen gar nicht so dogmatisch orthodoxen Kirchenvater- Origines aus dem 3. Jahrhundert: Er rief zum Widerstand auf gegen die damalige unmenschliche Politik; ruft Benedikt indirekt zum Widerstand auf gegen die demokratische „positivistische“ Kultur auf mit ihren Mehrheitsentscheidungen? Sollen also die „Besten“ herrschen, vielleicht nur die Minister, die Wenigen, die Klugen, die Philosophen? Über diese Demokratie Kritik des Papstes in Berlin wird noch lange nachzudenken sein.
Auffallend ist, dass der Papst auch in der auf die moderne Demokratie bezogenen Rede mit Vorliebe Theologen und Philosophen aus dem 3 und 4. Jahrhundert zitiert.
Diese Bezogenheit auf vordemokratische Denker mutet sehr befremdlich, manche sagen ein wenig senil an.
Und auffällig ist, dass er in der mir vorliegenden Redefassung (kath. Net, 22. 9. Um 21 Uhr) den großen demokratischen (!) und international respektierten Rechtsgelehrten Hans Kelsen (er stammte aus einer jüdischen Familie, geb. 1881 in Prag, später von Bürgermeister Konrad Adenauer als Prof. nach Köln berufen, emigriert, gestorben 1973 in Berkeley) nicht mit dem Vornamen nennt.
Viel wichtiger ist, dass der Papst nicht etwa aus einem Werk Hans Kelsens selbst zitiert, dessen Erkenntnisse er ablehnt, sondern sich ganz auf ein Buch des Rechtshistorikers Wolfgang Waldstein, geb. 1928, stützt und aus diesem zitiert. Wolfgang Waldstein war als traditionalistischer Katholik auch Professor an der päpstlichen Lateran Universität, er hat Aktionen „zum Erhalt der alten Tridentinischen Messe“ aus dem 16. Jahrhundert (dafür sind auch die Piusbrüder) gestartet: Er behauptete im Jahr 2000, die katholischen Bischöfe in Deutschland würden „eine Messe einführen, die nicht mehr katholisch sei“ . Darauf folgte dann die damals sehr heftig diskutierte Großanzeige in der FAZ gegen die deutschen Bischöfe. Peter Hertel weist in seinem Buch „Glaubenswächter“, S. 149, darauf hin, dass Graf Wolfgang Waldstein „in korporativen Vereinigungen des Opus Dei sprach“. Waldstein ist Mitglied der äußerst konservativen päpstlichen „Akademie für das Leben“ in Rom; er ist in der sehr konservativen theologischen „Gustav Siewerth Akademie“ tätig: Sie wurde z.B. von dem reaktionären Bischof und Papstfreund Kurt Krenn gemeinsam mit dem pädophilen Ordensgründer Marcial Maciel (Legionäre Christi) eingeweiht. Waldstein ist u.a. durch ein Interview mit dem Titel „Die Fristenregelung ist verfassungswidrig“ hervorgetreten.
Es ist hoch interessant, dass in der Papstrede im Bundestag Wolfgang Waldstein sozusagen als Inspirator und wissenschaftlicher Beleg verwendet wird, das beweisen auch die 3 Fußnoten im gedruckten Rede Text des Papstes.
Es ist keine Frage: Der Papst bezieht sich ganz offen in seiner Rede auf Argumente eines Rechtshistorikers (Wolfgang Waldstein, em. Prof. in Salzburg), der am sehr rechten Rand des römischen Katholizismus angesiedelt ist und mit dem Opus Dei offen sympathisiert. Diese ganz deutliche Verbindung zu einem rechtslastigen Denkmilieu verträgt sich offenbar gut mit Benedikts Lieblingen Augustinus und Origines, 4. Jahrhundert.
Was war also die Rede des Papstes im Bundestag? Bedenkenswert? Das ist sicher. Aber nicht so, wie einige nicht sonderlich informierte Journalisten sagten, die das Ganze für einen (bloß feuilletonistisch erhebenden und harmlosen bzw. für Nichtphilosophen ) sehr schwierigen Vortrag eines Gelehrten halten. Diese Rede des Papstes war – trotz aller bekundeten Sympathien für ökologische Bewegungen – nicht gerade hilfreich für die Demokratie. Dass er die Ökologie lobt, hängt, nebenbei gesagt, nur mit seiner Vorliebe für die Naturrechte zusammen, die er im Zusammenhang seines Ökologie Lobes offenbar tatsächlich als kosmische (Pflanzen/Tiere/Menschen) Natur versteht und damit den Vernunftbegriff im Naturrechtsbegriff sehr naturhaft – material deutet, auch das ist philosophisch hoch problematisch … und überholt. Beinahe esoterisch mutet der Satz des Papstes an, „wir sollten den Weisungen der Natur folgen“. Seit wann hat die Natur (Pflanzen, Tiere, Steine usw.) ALS Natur Weisungen zu geben? Weisungen kann vernünftigerweise nur die Vernunft geben!
Dass es weltweit um den Schutz der Grundrechte geht, wissen inzwischen alle. Wenn sich der Papst als Hüter der Grundrechte empfiehlt, wird es aus bekannten Gründen problematisch. Sie gelten ja in seinem eigenen „Heiligen Stuhl“ und im Vatikan nicht. Der Vatikan kennt keine Gewaltenteilung, der Papst ist dort absoluter Monarch.
So war diese Rede in Berlin von vorgestern. Aber das soll ja wohl sein. Am wichtigsten bleibt die Erkenntnis: Aktuelle Inspirationen zu aktuellen politischen Fragen holte sich der Papst (von den Theologen des 4. Jahrhunderts abgesehen) aus einem Buch eines traditionalistischen Opus Dei Freundes: Wolfgang Waldstein, „Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft“ (Augsburg, St. Ulrich Verlag, 2010)
copyright: christian modehn, berlin
Für den Relativismus. Ein Widerspruch gegen Benedikt XVI.
Der Papst nennt den Relativismus eine Dikatur. Eine Entgegnung
Benedikt XVI. wird, wenn er sich selbst treu bleiben will und nicht bloß diplomatische Floskeln verbreitet, im Berliner Bundestag wie sonst auch überall die Ehe von Mann und Frau als einzige Lebensform verteidigen. Sein Kampf gilt dabei der von ihm so genannten „Diktatur des moralischen Relativismus“. Darauf weist der Publizist und Buchautor Alan Posener hin: „Ich bin der Meinung, dass der Papst nicht einfach ein alter Mann mit gestrigen Ideen ist, sondern auch jemand, der eine geschlossene Weltanschauung hat. Er kritisiert unsere demokratische Gesellschaft als Diktatur des Relativismus. Und ich sage, diesen Relativismus wollen wir uns bewahren. Was wäre Gegenstück, das wäre die Diktatur der Wahrheit. Diese Diktatur lässt keine Opposition zu.
Der Papst repräsentiert eine Weltmacht. Wenn man nach Afrika schaut, etwa Angola, dort sind die meisten katholisch, und die richten sich meist nach den moralischen Geboten der Kirche, etwa im Verbot der Kondome. Deswegen darf man nicht sagen, was hat der Papst schon zu sagen. Man muss sehen, was er weltweit immer noch zu sagen hat.
Wenn er also unsere Gesellschaft als Diktatur des Relativismus kritisiert, dann kritisiert er unsere Gesetzgebung in Sachen Abtreibung, in Sachen Homo Ehe usw. Und wenn er solches und anderes sagt, dann darf im Bundestag kein Abgeordneter widersprechen, weil es sich um ein Staatsoberhaupt handelt, dem man nicht widersprechen darf. Das finde ich problematisch“.
Dieser Einsicht schließt sich der Philosoph, Medienwissenschaftler und Autor Umberto Eco an. Er schreibt in der Berliner Zeitung vom 19.9.2011, Seite 10:
“Die Polemiken Benedikt XVI. gegen den so genannten Relativismus sind, wie ich finde, einfach nur sehr grob. Nicht mal ein Grundschullehrer würde es so formulieren wie er. Seine (d.h. Benedikts) philosophische Ausbildung ist sehr schwach. Man könnte also sagen, ich betrachte Papst Benedikt als guten Kollegen. Frage: Sie lachen. Aber Sie haben Benedikt scharf für seine These kritisiert, der Atheismus sei für einige der schlimmsten Verbrechen der Menschheit verantwortlich. Antwort von Eco: Das zielte genau auf den Kampf gegen den Relativismus ab. Geben Sie mir sechs Monate, dann organisiere ich Ihnen ein Seminar zum Thema Relativismus. Und Sie können sicher sein: Am Ende werde ich Ihnen mindestens 20 verschiedene philosophische Positionen vorlegen. Sie alle in einen Topf zu werfen, wie Papst Benedikt das macht, als gäbe es eine einheitliche Meinung dazu, das finde ich schlichtweg naiv“.
Widerspruch. Proteste zum Papstbesuch in Berlin
Widerspruch
Proteste zum Papstbesuch in Berlin: “Relativismus ist demokratisch”
Von Christian Modehn
Dieser Text geht auf eine Radiosendung in WDR 5 am 18.9.2011 zurück.
Berlin wird eine „atheistische Stadt“ genannt. Das ist übertrieben, immerhin sind noch 28 Prozent der Einwohner Mitglieder der großen christlichen Kirchen. Aber wer weiß schon so genau, ob die Konfessionslosen nicht doch auch ihren privaten „lieben Gott“ verehren. Eins ist aber sicher: Wenn der Papst am Donnerstag die Hauptstadt besucht, wird er nicht nur voller Jubel empfangen: Seit einigen Monaten macht das kirchenkritische „Bündnis Der Papst kommt“ in der Stadt von sich reden. Jörg Steinert vom „Lesben – und Schwulenverband Berlin“ gehört zu den Initiatoren des Bündnisses „Der Papst Kommt“.
„Das Bündnis ist ein Spiegelbild de Gesellschaft, über 60 Organisationen sind mittlerweile in unserem Bündnis vereint und die Vielfalt der Gesellschaft wird am Tag des Besuches des Papstes demonstrieren gehen, denn aus unserer Sicht ist die Sexual – und Geschlechterpolitik des Papstes menschenfeindlich, und dagegen demonstrieren wir“.
Das vom Veranstalter gewünschte „Brandenburger Tor“ kommt als zentraler Ort für die Kundgebung nicht in Frage , „aus Sicherheitsgründen“, wie es offiziell heißt. Nun beginnt die Demo am Potsdamer Platz und endet vor den Toren der Sankt Hedwigskathedrale am Bebelplatz. Jörg Steinert mit mindestens 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern:
„Wir werden eine lustige Veranstaltung sein, z.T. provokant sein.
Ganz sicher werden wir keine Gewalttaten und Straftaten zulassen. Wir haben im Bündnis explizit beschlossen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Jeder der Straftaten begeht, fliegt runter von der Demonstration, der hat nichts mit uns zu tun“.
Auch wenn etliche Katholiken sowie die ökumenische Arbeitsgemeinschaft „Homosexuelle und Kirche“ ihre Teilnahme zugesagt haben: Die breite Unterstützung für die Proteste kommt aus der „konfessionslosen Mehrheit“ der Berliner Bevölkerung, betont Werner Schultz vom „Humanistischen Verband Deutschland“:
„Wir werden den Papst kritisieren, aber wir werden natürlich versuchen, nicht die Gläubigen zu beleidigen in ihrem Selbstverständnis. Es werden mehrere Reden stattfinden, auch zu Fragen der Trennung von Staat und Kirche, zu Menschenrechten. Es wird ein Brief an Frau Merkel verlesen werden, wo kritisiert wird, dass der Papst im Bundestag redet und dort in einer ungewöhnlichen Art privilegiert wird, die nicht nachvollziehbar ist“.
In zahlreichen Konferenzen im Vorfeld wurden theologische und politische Fragen debattiert. Auch ein Fachmann fürs Staats- kirchenrecht, der emeritierte Professor Horst Herrmann, war dabei; er hat sich in Berlin aus rechtlichen Bedenken gegen eine Rede des Papstes im Bundestag ausgesprochen:
„Ich meine, das ist ein Präzedenzfall, den man sich nicht hätte erlauben sollen. Wenn nächstens der Dalai Lama kommt, dann kann der auch im Bundestag reden usw. Beide, der Dalai Lama, eure „Heiligkeit“ betitelt und Ratzinger, ebenso eure Heiligkeit, sind zutiefst vordemokratische Monarchen. Und von denen müsste sich ein Bundestag nicht sagen lassen, was Recht und Moral ist“.
Denn der Papst wird in Berlin – so viel ist heute schon deutlich – wie überall die Ehe von Mann und Frau als einzige Lebensform verteidigen. Sein Kampf gilt dabei der von ihm so genannten „Diktatur des moralischen Relativismus“, betont der Publizist und Buchautor Alan Posener:
„Ich bin der Meinung, dass der Papst nicht einfach ein alter Mann mit gestrigen Ideen ist, sondern auch jemand, der eine geschlossene Weltanschauung hat. Er kritisiert unsere demokratische Gesellschaft als Diktatur des Relativismus. Und ich sage, diesen Relativismus wollen wir uns bewahren. Was wäre Gegenstück, das wäre die Diktatur der Wahrheit. Diese Diktatur lässt keine Opposition zu.
Der Papst repräsentiert eine Weltmacht. Wenn man nach Afrika schaut, etwa Angola, dort sind die meisten katholisch, und die richten sich meist nach den moralischen Geboten der Kirche, etwa im Verbot der Kondome. Deswegen darf man nicht sagen, was hat der Papst schon zu sagen. Man muss sehen, was er weltweit immer noch zu sagen hat.
Wenn er also unsere Gesellschaft als Diktatur des Relativismus kritisiert, dann kritisiert er unsere Gesetzgebung in Sachen Abtreibung, in Sachen Homo Ehe usw. Und wenn er solches und anderes sagt, dann darf im Bundestag kein Abgeordneter widersprechen, weil es sich um ein Staatsoberhaupt handelt, dem man nicht widersprechen darf. Das finde ich problematisch“. Dieser Einsicht schließt sich der Philosoph, Medienwissenschaftler und Autor Umberto Eco an. Er schreibt in der Berliner Zeitung vom 19.9.2011, Seite 10:
“Die Polemiken Benedikt XVI. gegen den so genannten Relativismus sind, wie ich finde, einfach nur sehr grob. Nicht mal ein Grundschullehrr würde es so formulieren wie er. Seine (d.h. Benedikts) philosophische Ausbildung ist sehr schwach. Man könnte also sagen, ich betrachte Papst Benedikt als guten Kollegen.Frage: Sie lachen. Aber Sie haben Benedikt scharf für seine These kritisiert, der Atheismus sei für einige der schlimmsten Verbrechen der Menschheit verantwortlich. Antwort von Eco: Das zielte genau auf den Kampf gegen den Relativismus ab. Geben Sie mir sechs Monate, dann organisiere ich Ihnen ein Seminar zum Thema Relativismus. Und Sie können sicher sein: Am Ende werde ich Ihnen mindestens 20 verschiedene philosophische Positionen vorlegen. Sie alle in einen Topf zu werfen, wie Papst Benedikt das macht, als gäbe es eine einheitliche Meinung dazu, das finde ich schlichtweg naiv”.
Zurück zur Auseinandersetzung mit dem Papst in Berlin:
Auch einzelne evangelische Gemeinden haben den Mut, sich kritisch mit dem Papstbesuch zu befassen. Zwei Veranstaltungen wirdmen sich z.B. über die Zukunft der Ökumene. In der evangelischen St. Thomas Gemeinde in Kreuzberg werden am Vorabend des Papstbesuches, also am Mittwoch, 21. September, zwei offen schwule Priester –aus Köln – eine katholische Messfeier zelebrieren. Der zuständige Superintendent Bertold Höcker vom Kirchenkreis Berlin Mitte unterstützt dieses Vorhaben:
„Welchen kirchenrechtlichen Status die Priester haben, das wissen wir auch nur in der Hinsicht, dass sie gültig geweihte Priester sind. Ob sie suspendiert sind, ob die Messe gütig aber nicht erlaubt ist, das müssen die Priester nun mit ihrer Kirche selbst klären und in welcher Lebensform sie leben, das sind für uns keine Fragen. Wir sind gefragt worden, ob wir Gastfreundschaft gewähren, und da wir eine gastfreundliche Kirche sind, tun wir das“.
Wird man auf die Gastfreundschaft wieder verzichten, wenn die katholische Kirchenführung darum bittet? „Wir haben eine Zusage gegeben. Und wenn ein Christ sein Wort gibt, gilt das“.
Die Piusbrüder sind politisch sehr rechtslastig. Erinnerung an Fakten
Die Piusbrüder sind politisch rechtslastig. Erinnerungen an Fakten.
Wieder muss der Religionsphilosophische Salon sich mit aktueller Religionskritik befassen, man hat manchmal den Eindruck, als lebten wir in einer Phase der Aufklärung rund um Voltaire, der das ancien régime überwinden wollte …
Wir möchten jene zur Vorsicht und intellektuellen Auseinandersetzung einladen, nicht länger die tatsächlich nachweisbare und indiskutable Rechtslastigkeit der Pius Brüder herunterzuspielen, wie das auch deutsche Bischöfe gern tun Sie wollen den Eindruck vermitteln, die Piusbrüder seien bloß einbesonders frommer Club. Die Tatsachen sind anders. Und insofern hat Volker Beck mit seiner Kritik auch recht.
Nur kurz diese Hinweise, die wir schon öfter publizierten und die sich auf Fakten allein beziehen:
Der Gründer der Piusbrüder, der Priester und spätere Erzbischof Marcel Lefèbvre, war schon in jungen Jahren mit der „action francaise“ verbunden, diese „intellektuelle“ Bewegung war bekanntermaßen antidemokratisch und antisemitisch. Das weiß jeder Historiiker.
Der Gründer der Piusbrüder, Marcel Lefèbvre, ist nach wie vor so etwas wie „das heilige Vorbild“ dieser Herren, er lobte bekanntlich mehrfach den Faschisten Franco und die faschistischen Diktatoren in Chile und Argentinien Ende der 1970 Jahre. Diese Diktatoren wurden zwar von Johannes Paul II. gern bei sogenannten “Pastoralreisen” besucht, sie haben viele engagierte Katholiken erschossen und die Befreiungstheologie kaputt machen wollen.
Die französischen Piusbrüder in ihrem Zentrum St. Nicolas du Chardonnet in Paris 5. Arrondissement, haben mehrfach Messen für die äußerst rechtslastige Partei Front National Le Pens zelebriert. Das weiß jeder, der sich nicht nur im Osservatore Romano informiert. Diese Piusbrüder hatten diese Kirche übrigens der Gemeinde entrissen und halten sie bis heute besetzt. Es stände den deutschen Verteidigern der Piusbrüder gut an, sich endlich mal im Ursprungsland der Piusbrüder, das ist Frankreich, kundig zu machen und erhebliche Wissens – Lücken zu überwinden.
Nur so viel:
Kardinal Ratzinger, damals Chef der Glaubenskongregation, versöhnte sich z.B. mit dem Le Pen freundlichen (und Lefèbvre freundlichen) Kloster Le Barroux bei Avignon, dort gingen Le Pens Ideologen ein und aus. Ratzinger holte diese Herren wieder in die römische Kirche.
Einzige Bedingung für die sogen.”Versöhnungmit Rom”: den Papst anerkennen….
Diese und viele andere Fakten zur äußerst rechtslastigen Tradition der Piusbrüder und zur alten Liebe Joseph Ratzingers für diese sehr rechtslastigen Herren ist nachzulesen in dieser website unter dem Titel: Benedikt XVI. ist politisch rechtslastig.
copyright: Christian Modehn.
Die Hierarchie des lieben Gottes
Wir wurden von verschiedenen Seiten gebeten, unser Manuskript (2009) über das Wesen bzw. Unwesen der katholischen Hierarchie noch einmal zugänglich zu machen, es ist gerade angesichts des Papstbesuches in Deutschland interessant und angesichts der bevorstehenden Versöhnung mit den politisch wie theologisch reaktionären Pius – Brüdern.
Das Manuskript wird hier in einer Form präsentiert, wie es für Hörfunkzwecke üblich ist; ich hoffe, dass die Lektüre dennoch leicht möglich ist, die Vielfalt der O Töne unterstreicht den Wert der Arbeit. copyright: christian modehn
Lebenszeichen WDR
Die Pyramide des lieben Gottes
Über die Macht und das System in der römischen Kirche
Von Christian Modehn
Ein Motto, am 19. Juni 2024 von C.M. notiert:
Die Pyramide ist immer das Bild, um Diktaturen zu beschreiben. Der Faschismus Italiens z.B. war als Pyramide konzipiert und organisiert, an der Spitze konzentrierten sich alle Gewalten. So ähnlich ist auch der Vatikan, die Leitung der katholischen Kirchem bis heute organisiert. Alles dreht sich um den – bis jetzt noch – allmächtigen Papst. (vgl. den Aufsatz “Antithese des Faschismus”, von Roberto Scarpinato, in “Lettre International”, Nr. 145, S. 7).
1. Spr.: Berichterstatter
2. Spr.: Zitator
32 O TÖNE
1.O TON, 010“, Pesch
Egal, wie man das Wort Hierarchie versteht: Herrschaft kann und darf es nicht bedeuten. Wenn es das tut, ist es Missverständnis und Missbrauch.
1. SPR.:
Otto Hermann Pesch, katholischer Theologe in München, plädiert für menschenfreundliche Strukturen in der römischen Kirche:
2. O TON, 0 14“, Pesch
Dass die Fakten oft anders sind, muss in diesem Sinne also dann als Defekt bezeichnet werden, als ein Missbrauch, der geändert werden muss.
1.SPR.:
„Ändern“ wollten Papst und Bischöfe ihren Umgang mit der Macht tatsächlich schon einmal: Vor fast 50 Jahren, beim Zweiten Vatikanischen Konzil, verpflichteten sich die „Oberhirten“, ihre Vorherrschaft zu begrenzen.
3. O TON, 0 21“, Pesch
Wenn sich eins im Vergleich zur Zeit vor dem Konzil bleibend im Bewusstsein der katholischen Gläubigen festgesetzt hat, dann ist es das Bewusstsein: Wir sind die Kirche. Und nicht wie früher: Wir haben an ihr Teil, während die Kirche die Hierarchie eben ist. Wir sind die Kirche!
1.SPR.:
Worte, auf die sich Kirchenreformer bis heute wie auf eine göttliche Utopie berufen. Unmittelbar nach dem Konzil wurden zahlreiche Landessynoden und Beratungen in den Bistümern veranstaltet. Dort versammelte sich das „Volk Gottes“ im Geist der Gleichheit und Brüderlichkeit. Den Weg der Kirche mitzubestimmen, sollte kein frommer Wunschtraum der Laien bleiben.
4. O TON, 0 15“, Pesch
Auf der anderen Seite fällt auf, dass man aus Furcht vor Demokratisierung der Kirche mit dem Volk-Gottes-Begriff in den lehramtlichen Äußerungen nach dem Konzil sehr zurückhaltend geworden ist.
1. SPR.:
Das Prädikat „zurückhaltend“ findet Otto Hermann Pesch dann doch zu beschönigend. Er entschließt sich, deutlicher zu werden:
5. O TON, 0 17“, Pesch
Manche sprechen ja regelrecht schon von einer Art roll back hinter das Konzil zurück., Man fürchtet, dass doch wieder daran gearbeitet wird, faktisch doch wieder die alten Überordnungs- und Unterordnungsverhältnisse, oder wenn sie wollen, Herrschaftsverhältnisse wiederherzustellen.
1. SPR.:
Die Hoffnungen auf eine möglichst herrschaftsfreie Kirche ließen sich nicht verwirklichen. Kritische Theologen wissen spätestens seit dem Regierungsantritt Benedikts des XVI: Papst und Bischöfe bevorzugen wieder verstärkt uralte Modelle geistlicher Herrschaft. Professor Otto Hermann Pesch:
6. O TON, 0 37“ , Pesch
Der Ausdruck Hierarchie für die kirchliche Ämterverfassung kommt zum ersten Mal auf im 5. und 6. Jahrhundert im Zusammenhang mit einem berühmten Buch eines Verfassers namens Dionysius vom Areopag. Und der hat ein Buch geschrieben über die himmlische Hierarchie, und das bedeutet die Abstufung, der Stufenweg, von Gott zur Schöpfung und der Stufenweg von Gott zu den Menschen. Und dieser Hierarchie, der himmlischen Hierarchie, muss auch die kirchliche Hierarchie entsprechen. Das heißt, auch da muss es dann auch die Abstufungen geben.
1. SPR.:
So gibt es also auch seit dem 4. Jahrhundert eine regierende Spitze und eine gehorsame Basis. Dieses Modell ist nicht von Weisungen des Evangeliums inspiriert, sondern vom Meisterdenker Platon aus dem 3. Jahrhundert vor Christus. Der Kopf als „Ort“ des Geistes sei wichtiger als der übrige Körper, meinte der griechische Philosoph, und so seien auch die führenden Häupter wichtiger als der Leib mit seinen niederen Organen. Diese untergeordneten Glieder sind für die geweihten Amtsinhaber „natürlich“ das Volk, die „Laien“. Das griechische Wort laikós (Betonung hinten!) bedeutet ja: Zum Volk gehörig. Auch mit dem Urbild des altägyptischen Sakralbaus, der Pyramide, konnte sich das Papsttum anfreunden: An der obersten Spitze thront mit Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist der Papst, der Stellvertreter Christi auf Erden. Mit diesem eher unbescheidenen Denken hat sich der katholische Theologieprofessor Josef Imbach aus Basel befasst:
7. O TON, 0 46, Imbach
Faktisch wird das so gehandhabt, dass man von diesem pyramidalen Denken ausgehen muss. Aber theologisch hat dieses pyramidale Denken eigentlich keinen Rückhalt. Wenn wir auch die Konzilstexte in Betracht ziehen, letztes Konzil, und natürlich auch die Anfänge der Christenheit, dann stellen wir da schon ein anderes Denken fest. Wenn wir dann zurückschauen auf die frühe Christenheit, die haben schon gestritten, aber das Communio prinzip, das war natürlich maßgebend, das Gemeinschaftsprinzip, Austausch usw. Von daher ist das pyramidale Denken theologisch gar nicht haltbar.
1. SPR.:
Zeitgemäße theologische Kritik hat für viele Kirchenführer in Rom keine Bedeutung, meinen etliche Beobachter. Und mit dem Kirchenmodell des Neuen Testaments, der „brüderlichen Gemeinschaft“, wollten sie auch nicht so viel zu tun haben. Statt dessen bestimmten autoritärer Umgang, Kontrollen, Überprüfungen, Treue – Eide, Zensurbestimmungen das kirchliche Leben.
Nur ein Beispiel: Der Minoritenpater Josef Imbach, Professor an der Päpstlichen Fakultät San Bonaventura, wurde vom vatikanischen Machtapparat gemaßregelt: Auf Betreiben der römischen Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger musste er im Jahr 2002 seinen Lehrstuhl aufgeben. Der Grund: Er hatte die Lehre über die von Gott gewirkten Wunder modern interpretieren wollen. Ein fairer Prozess nach demokratischen Grundsätzen wurde ihm wie so vielen anderen „verdächtigten“ Theologen nicht zugestanden. Inzwischen arbeitet der Katholik Josef Imbach an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Basel. Aber viel schwerwiegender als die eigenen Erfahrungen sei die Personalpolitik des Papstes, meint der angebliche Irrlehrer.
8. O TON, 0 24“, Imbach
Da werden Bischöfe ernannt von Rom. Welche Personen kommen da in Frage? Personen, die von vornherein sich die römische Denkart voll und ganz zu eigen gemacht haben. Dann ist es klar, dass dann der Weltepiskopat einheitliche Positionen von vornherein vertritt, eben aufgrund dieser Auswahlkriterien.
1. SPR.:
Die Stromlinienförmigkeit der „Oberhirten“ weltweit spiegelt sich auch in den Synoden wieder, das hat der frühere Leiter des Karmeliterordens, Pater Camillo Macisse, beobachtet und aufgeschrieben:
2. SPR. (bitte deutlich machen als Zitierung):
Sogar die Bischofssynoden in Rom werden von der Kurie des Papstes kontrolliert und in den Diskussionen und in ihren Ergebnissen genau überwacht. Einige Bischöfe haben die Heftigkeit der Kontrollmaßnahmen beklagt, die von Neokonservativen mit einer anachronistischen Theologie ausgeübt werden. Wer es wagt, diese Autoritäten zu kritisieren, wird bedroht, angeklagt, verurteilt.
1.SPR.:
Auch die gesamte theologische Lehre und Forschung steht unter der Kontrolle der Ortsbischöfe oder des Vatikans selbst. In Deutschland dürfen nur Theologen an eine katholische Fakultät berufen werden, die die offizielle Genehmigung, das nihil obstat der Kirche haben; eine Politik des Verdachts, die Joseph Ratzinger schon als Kardinal offiziell verteidigt hat:
9. O Ton mit Applaus 0 21“, Ratzinger
Deswegen verursachen wir manchmal mit dem nihil obstat Ärger, es zieht sich hin usw., aber ich nehme diesen Ärger auf mich. Weil ich glaube, es ist wichtig, dass wir eben Ärger eben einkaufen müssen. Beifall.
1. SPR.:
Fröhlichen Beifall für eine harte Linie spenden hier Mitglieder des ultra konservativen „Linzer Priesterkreises“. Ganz anders ist dem katholischen Theologen Josef Imbach zumute:
10. O TON, 0 28“, Imbach
Das ist der Tod der theologischen Forschung. Denn wer irgendwie eine akademische Laufbahn einschlagen möchte, wird sich natürlich von vornherein hüten müssen, irgendwelche heißen Eisen auch nur anzurühren. Und so wird auch hier langfristig eben dirigiert. Und das ist natürlich katastrophal für die theologische Forschung. Es ist nicht so, dass alles gesagt wurde, was hätte gesagt werden sollen. Es ist so, dass sich niemand zu sagen traut, was zu sagen ist.
1.SPR.:
Theologen an katholischen Fakultäten wagen es nicht mehr, für das Priestertum der Frauen einzutreten. Ihnen kommt es nicht mehr in den Sinn, die buddhistische Meditation als einen Weg zur Erlösung offiziell anzuerkennen. Und sie haben den Mut verloren, z.B. eine authentisch –afrikanische Liturgie zu entwickeln…Über den Umgang mit den Theologen hat der amerikanische Dominikanerpater Matthew Fox dem Papst geschrieben:
2. SPR.
Ihre Behandlung von Gelehrten ist Bücherverbrennung faschistischer Regime nicht unähnlich. Auch Ihre Entscheidung, autoritäre Persönlichkeiten zu belohnen ist problematisch. Denn diese sind oft krank, gewalttätig, sexuell besessen.
1.SPR.:
Matthew Fox, der radikale Kritiker, wurde aus seinem Orden ausgeschlossen. Eine Diskussion führte der Vatikan nicht mit ihm. Im offiziellen Katechismus der Katholischen Kirche von 1993 wird die Herrschaft von Papst und Bischöfen bezeichnenderweise als „heilige Gewalt“ beschrieben. Rom setzt seine Linie mit allen Mitteln durch, zum Beispiel wenn Bischofskonferenzen einmal eigene Reformvorschläge veröffentlichen wollen. Als vor zwei Jahren im brasilianischen Aparecida (sprich: Appareßida mit Betonung auf dem i!) Bischöfe aus ganz Lateinamerika behutsam die Basisgemeinden unter Führung von Laien fördern wollten, korrigierte der Vatikan vor der Veröffentlichung kurzerhand das Papier. Der katholische Theologe und Lateinamerika Experte Gerhard Kruip hat diesen Vorgang unmittelbar beobachtet, wie ein progressives Reformpapier „gesäubert“ wurde:
11. O TON, 0 40“ Kruip
Die Änderungen sind erfolgt aus einem großen Misstrauen heraus gegenüber kritischen Kräften innerhalb der katholischen Kirche. Die Änderungen sind geprägt von einer Haltung der Ängstlichkeit. Man betont immer wieder den hierarchischen Aspekt der Kirche! Man betont immer wieder die Kontrolle, die die Bischöfe ausüben müssen über ihre Ortskirchen, man ist insgesamt skeptisch gegenüber allem, was ein Neuaufbruch sein könnte. Wenn es vorher hieß, die Basisgemeinden sind ein Zeichen der Vitalität der lateinamerikanischen Kirche: Dann ist das nachher unter die Bedingung gestellt worden, dass die Basisgemeinden treu zur katholischen Lehre und zum jeweiligen Ortsbischof stehen.
1. SPR.:
Pfarrer sind die Stellvertreter der Bischöfe in den Gemeinden und damit ebenfalls Glieder der Hierarchie. Weil aber der Mangel an Priestern auch in Europa immer größer wird, haben viele tausend Gemeinden keinen eigenen Pfarrer mehr. Aber anstatt kompetente Laien, Frauen und Männer, mit der Leitung der Gemeinden zu beauftragen, werden die wenigen verbliebenen Priester mit immer mehr Aufgaben belastet, berichtet der Baseler Theologe Xaver Pfister:
12. O TON, 0 30“ Pfister
…wobei bei uns jetzt Pfarreien zusammengelegt werden! Da muss immer ein leitender Priester dabei sein. Wenn ein Regionaldekan in 17 Pfarreien die Pfarreiverantwortung hat, dann ist dem Buchstaben Genüge getan, aber dem Leben überhaupt nicht. In dieser Zeit ist ganz klar die Tendenz, dass der Bischof Kirche repräsentiert und jede Pfarrei vom Bischof her ihre Form hat und nicht eine Vielfalt hat.
1. SPR.:
Diese Entwicklung ist in ganz Europa und auch in Amerika zu beobachten. Den autoritären Führungsstil der Kirchenführung erleben Betroffene als heftigen Widerspruch zur Kultur ihrer Länder:
13. O TON, 0 29“, Pfister
Man hat keine Mühe damit, dass etwas entschieden wird, wenn das einmal einsichtig ist. Aber man möchte eigentlich eine Einsicht haben und ernst genommen sein als Mensch, der handelt, weil er etwas einsieht. Und der nicht handeln muss, weil es ihm etwas aufoktroyiert ist oder befohlen ist. Das ist sicher ein sehr wichtiger Aspekt, dass man demokratisch verhandeln kann und aushandeln kann, dass das so gehandhabt wird.
1. SPR,;
Xaver Pfister sagt, er habe unter den so wenig demokratischen Maßnahmen der kirchlichen Hierarchie über viele Jahre schwer gelitten. Als langjähriger Leiter der Pressearbeit im Bistum Basel ist er schließlich an Depressionen erkrankt, darüber hat er später ein Buch geschrieben. Wie er freimütig bekennt, hat ihn auch das Erleben kirchen-amtlicher Autorität psychisch geschädigt.
14. O TON, Pfister, 0 32“
Ich hatte da zu wenig Rollendistanz gehabt, und ich hab mich von meinem Naturell her ganz reingegeben, und immer wieder was Neues probiert und noch mal probiert. Da kommt mal an eine Grenze. Es fehlt auch die nüchterne Bilanz: Was ist der Spielraum, was ist möglich, was ist erwartbar. Aber es gibt eine Grenze. Und jetzt beschränke ich mich darauf meine Überzeugung zu sagen.
1. SPR.:
Der stille Rückzug der Reformer stört die meisten „Hierarchen“ wenig. Gemeint sind mit dem Wort Machthaber in der Kirche, geweihte Männer, die die Herrschaft des Klerus über die Laien verteidigen. Wer noch katholisch sein will, soll gehorsam sein und dem „Mitarbeiter der Wahrheit“ Folge leisten! Diesen anspruchsvollen Wahlspruch hatte sich Joseph Ratzinger als Kardinal in München ausgesucht: An seinem Motto „Mitarbeiter der Wahrheit“ hält er auch als Papst unbeirrt fest, meint der katholische Theologe Herman Häring aus Tübingen.
15. O TON, 0 40“, Häring
Nach meinem Wissen gibt es keinen Fall, also keinen Kollegen, keine Kollegin, kein betroffenes Kirchenmitglied, das vorher Sanktionen erfahren hat und bei dem, bei der er sich mal entschuldigt hätte oder was revidiert hätte. Es wurde auch nichts zurück genommen. Für ihn war katholischer Glaube von Anfang an ein autoritätsgebundener Glaube. Mich hat er immer erinnert an ein Kirchenlied, das wir als Kinder gesungen haben: Fest soll mein Taufbund immer stehen, ist der erste Vers, und der zweite: Ich will die Kirche hören. Nicht: ich will die Bibel oder Christus, sondern die Kirche. Und das war für ihn dann schon immer der Rahmen.
1. SPR.:
Schon als Kardinal ermunterte Joseph Ratzinger besonders „rom-treue“ Theologiestudenten, ihre möglicherweise häretischen Theologieprofessoren aufzuspüren und zu benennen. Von „Spitzeln“ wollte er bei einem Vortrag im Jahr 1990 doch lieber nicht sprechen.
16. O TON, 0 34“, Ratzinger
Mir scheint, dass also ein erster Punkt der ist, dass solche Theologiestudenten in aller Offenheit dies dem Bischof offenbaren in einer Weise, die ihm auch verständlich macht, dass es hier nicht um Denunziation oder irgendetwas geht, sondern wirklich um die Not des Gewissens und um die Verpflichtung des Glaubens, den Dienst der Kirche und die Verkündigung ihres Glaubens rein zu halten.
1.SPR.:
Der „reine Glaube“ wird als ein wertvoller Schatz gedeutet, als „Glaubensdepositum“, wie man in Rom sagt, als ein dogmatisches System, das es zu hüten und pflegen gilt: Der katholische Theologe Hermann Häring:
17. O TON, 0 15“ , Häring
Für ihn ist der Glaube halt von Anfang an sozusagen das Glaubensdepositum gewesen. Man denkt automatisch an Fort Knox, mit Goldbarren, die drin liegen, und da ist alles, und das muss unberührt bleiben, und da kann man mal was abrufen.
1. SPR.:
Was einmal als Dogma formuliert wurde, behält nach amtlicher Lehre ewige Gültigkeit. Revisionen und Korrekturen sind unerwünscht. Eines von vielen Beispielen ist die Erbsündenlehre aus dem 4. Jahrhundert, der zufolge alle Menschen mit der Geburt als Sünder definiert werden, für den Philosophen Herbert Schnädelbach ein eher abstoßender Gedanke:
18. O TON, 0 34“, Schnädelbach
Das geht ja vollkommen gegen den Augenschein. Also, wir haben das Glück, drei sehr niedliche Enkel zu haben Und wenn ich mir jetzt vorstelle und gucke mir die an und sehe wie die aufwachsen. Und dann zu sagen: So sind das sind geborene Sünder und die müssen erst mal getauft werden. Das ist ja eine Geschichte, die hat die Menschen Jahrhunderte tyrannisiert. Da wurden Halb- und Totgeborene noch schnell getauft, dann gab es diese Lehre von der Vorhölle für die ungetauften Kinder alle sind. In dieser ganzen Debatte wird ja klar gemacht, sie sind unfähig zum Guten. Und das ist ja etwas, wo gegen man sich auflehnen kann.
1.SPR.:
Denn ohne Taufe, also ohne die entscheidende Mitwirkung der Kirche, bleibt jeder Mensch ein unwürdiger Sünder… Zwar lehnen sich auch Theologen gegen diese Lehre und andere Dogmen auf. Sie ganz abzuschaffen, dürfen sich Theologen nicht erlauben. Selbst bei vorsichtigen Interpretationen uralter Traditionen stoßen sie in Rom keineswegs auf offene Ohren, meint Otto Hermann Pesch:
19. O TON, 028“
Wenn da eine offenere Gesprächsatmosphäre wäre, auch mit dem Risiko, dass man einen Konfliktfall im Moment nicht beilegen kann, sondern darauf vertraut, dass in der öffentlichen Disputation innerhalb der Kirche sich dann die Wahrheit herausstellt, wenn solches Vertrauen mal wachsen und ein Papst auch mal sagen würde: Habt keine Angst vor dem streit in der Kirche bei einer so wichtigen Sache wie den Dingen, die christliche Glaube vertritt, ist doch natürlich, dass man darüber sich streitet, wie das richtig zu verstehen ist. Habt keine Angst, wenn es solchen Streit gibt, als ob dann der Untergang der Kirche bevorstünde, wenn so etwas mal von päpstlicher Seite aus gesagt würde, das würde Mut machen.
1.SPR.:
Aber das bleibt ein frommer Wunsch. Die meisten Oberhirten halten sich lieber an die Gruppen und Zirkel treu ergebener Schäfchen. Hubert Gindert vom sehr konservativen „Forum deutscher Katholiken“ hat diese Vorliebe Roms mit Kardinal Ratzinger besprechen können:
20. O TON, 0 14“
Er hat sich einmal geäußert, ihm kommt es nicht auf die große Zahl an. Nein, ihm kommt es drauf an: Gibt es innerhalb der Volkskirche, gibt es also hier missionarische Bewegungen, missionarische Zellen.
1. SPR.:
Die Kirche als kleine Herde der hundertprozentig treuen Seelen: das ist das Kirchenbild heutiger Hierarchen. Kritische Beobachter fürchten, die römische Kirche könnte sich bald dem intellektuellen Niveau einer großen Sekte nähern. Der Baseler katholische Theologe Xaver Pfister hat diese Mentalität der Behüter und Bewahrer genau beobachtet:
21. O TON 0 14“
Wir müssen die sammeln, die noch übrig sind. Und die sollen zusammenbleiben und die sollen eine Heimat finden. Und in dieser Einseitigkeit, denke ich, ist das wirklich der Selbstvollzug des Endes.
1. SPR.:
Aber selbst vom Schwund an Gläubigen lassen sich Bischöfe wie der Kölner Kardinal Joachim Meisner nicht irritieren. Sie sind eher stolz darauf, dass noch einige Kreise der offiziellen Lehre treu ergeben sind und dies auch lautstark bekennen, wie Pater Klaus Einsle vom Orden der Legionäre Christi:
22. O TON, 0 30“ Einsle
Wir wissen, dass Christus die Kirche gegründet hat mit einer bestimmten Struktur, einer bestimmten Hierarchie und diese Hierarchie ihre Funktion hat. Und in dem Sinn haben wir ein ganz krampfloses Verhältnis und positives Verhältnis zum Papst, den Christus bewusst eingesetzt hat. Die Kirche ist für uns das Lehramt und die Bischöfe, die in Einheit mit dem Lehramt sind. Da würde ich sagen, dass unsere Denkart sehr die des Lehramtes ist.
1. SPR.:
Wie das Lehramt denken und alle Glaubenssätze möglichst unverändert bewahren: Darin sieht auch die weltweite Gemeinschaft der konservativen Neokatechumenalen Gemeinschaften ihre Aufgabe, betont der Missionar Bruno Caldera:
23. O TON, 0 14“ Caldera
“Unsere Theologie ist das Katechismus der katholischen Kirche. Gott ist derjenige ist, der uns lehrt. der jenige, der uns lehrt, der uns die Antwort gibt. Ich bin der Meinung, dass Gott da ist, um uns Antworten zu geben”.
1. SPR.:
In den Kreisen der neuen geistlichen Gemeinschaften, also der Neokatechumenalen und Legionäre, der Charismatiker und Opus Dei Mitglieder, fühlten sich konservative Amtsträger sehr wohl, betont der katholische Theologe Pfarrer Ferdinand Kerstiens aus Marl. Er hat sich als Mitglied im „Freckenhorster Kreis“, einem Forum von Kirchenreformern, mit diesen „Bewegungen“ auseinander gesetzt.
24. O TON, 0 17″ Kerstiens
Solche Gruppierungen sind immer bei der Hierarchie beliebt, weil sie keine Schwierigkeiten machen, weil sie keine kirchlichen Strukturen in Frage stellen, weil sie keine kirchlichen Gesetze in Frage stellen, weil Sachen wie Zölibat und Priestertum der Frau und solche Fragen bei ihnen nicht diskutiert werden.
1. SPR.:
Angesichts der machtvollen Hierarchie ist die römische Kirche heute gespalten: Selbstbewusste, kritische Gläubige sehnen sich noch immer nach dem geschwisterlichen „Volk Gottes“. Ihnen steht die einflussreiche Gruppe derer gegenüber, die den Ruhm des Papsttums und der Hierarchie wie ein Glaubensbekenntnis verstehen:
25. O TON, 0 22“, Meisner
Der Petrus von heute heißt Benedikt XVI. Sein Verkündigungsdienst ist heilsnotwendig für Kirche und Welt. Mit hoher Authentizität verkündet der Papst die rettende Kraft des Evangeliums, um dann einen überzeugenden Weg zum Heil aufzuweisen.
1. SPR.:
Kardinal Joachim Meisner bei einer Messe zu Ehren des Papstes in der Berliner Sankt Hedwig – Kathedrale im April 2007:
26. O TON, 0 33“. Meisner
Papst Benedikt XVI ist es gegeben, die den Menschen heil machende Botschaft des Evangeliums in ihrer Schönheit, in ihrer Faszination und Harmonie aufzuzeigen, so dass man ihn Mozart unter den Theologen nennt.
Seine Worte klingen wie Musik in den Ohren und Herzen des Menschen. Ihm gelingt es wirklich meisterhaft, die Noten des Evangeliums in hinreißende Musik umzusetzen.
1. SPR.:
Diese „hinreißende Musik“ päpstlicher Stellungnahmen enthält aber auch kritische Töne, zum Beispiel den Vorwurf: In den Staaten der westlichen Welt herrsche „der Relativismus“.
27. O TON, 0 24“, Meisner
Als Diktatur des Relativismus bezeichnet der Papst das Grundübel unserer westlichen Gesellschaften, für die es keine oberste und unveräußerlichen Wahrheit und Werte mehr gibt, für sie ist alles gleichgültig, was die Menschen dann gegenüber der Frage nach gut und böse gleichgültig macht.
1. SPR.:
Relativismus bedeutet für die modernen demokratischen Gesellschaften das Ringen verschiedener, aber gleichberechtigter Positionen um die Wahrheit. Niemand „hat“ die Wahrheit, alle suchen sie. Relativismus und Demokratie sind untrennbar! Die Frage drängt sich auf: Ist die Zurückweisung des Relativismus durch den Papst zugleich eine Zurückweisung der Demokratie? Ein Jahr vor seiner Wahl zum Papst hat Kardinal Ratzinger mit dem damaligen italienischen Senatspräsidenten Marcello Pena über den Relativismus in den westlichen Gesellschaften diskutiert, dabei nannte er ein typisches Beispiel:
2. SPR.:(Zitat Ratzinger)
Dass Homosexualität, wie die Katholische Kirche lehrt, eine objektive Ordnungsstörung im Aufbau der menschlichen Existenz bedeutet, wird man bald nicht mehr sagen dürfen.
1. SPR.:
Ein wenig irritierend ist die Aussage Kardinal Ratzingers! Könnte denn für die Kirche eine Zeit kommen, in der eine freie kirchliche Stellungnahme nicht mehr möglich sei? Befürchtete der damalige Kardinal Ratzinger etwa eine „Diktatur“ der Demokraten? Eine Angst, die er übrigens mit vielen muslimischen Machthabern gemeinsam hat, wie kürzlich der Publizist Alan Posener zeigte, in seinem Buch „Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikan auf die moderne Gesellschaft.“
2. SPR.:
Der Vatikan ist sich mit fundamentalistischen islamischen Staaten immer einig, wenn sie sich gemeinsam gegen kritische, angeblich blasphemische Karikaturen wehren. In diesen Fällen treten sie gemeinsam für die Einschränkung der freien Meinungsäußerung ein.
1. SPR.:
Die Entwicklung solcher Denkmodelle findet der protestantische Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf aus München alles andere als erstaunlich:
28. O TON, 0 37“, Graf
Es gibt keine römisch-katholische Demokratie-Theorie, in der nicht die Zustimmung zur Demokratie von Vorbehalten abhängig gemacht worden ist. Es heißt immer: die wahre Demokratie, die rechte Demokratie, nie die Demokratie als solche. Und die eigentliche Demokratie ist die Demokratie, die sich den sittlichen Einsichten, den moralischen Vorschriften des Lehramtes öffnet. Es ist jedenfalls nicht eine parlamentarische, pluralistische Parteiendemokratie, in der die Kirche in ihren Mitbestimmungsansprüchen an den Rand gerückt wird.
1. SPR.:
Die römische Kirche kann zwar nicht mehr die Gesetze der Staaten bestimmen. Aber sie kann in der Gesellschaft versuchen, ihre traditionellen Moralvorstellungen durchzusetzen, etwa zu Fragen der Schwangerschaft. Die katholische Ethik gilt den Konservativen innerhalb der Hierarchie als die letzte Bastion, die es unbedingt zu verteidigen gilt. Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf:
29. O TON, 0 40“. Graf.
Man kann sagen, dass die Römisch-Katholische Kirche seit 200 Jahren den Prozess der Modernisierung darin kritisch begleitet, dass sie sich als eine Gegeninstitution etabliert. Deshalb hat sie die Autorität des Papstes zunehmend verstärkt im 19. Jahrhundert, deshalb hat sie immer stärker auf römischen Zentralismus gesetzt. Was wir jetzt erleben ist im Grunde genommen eine innerlich stimmige, konsequente Kirchenpolitik: Je mehr religiösen Pluralismus es gibt, desto konsequenter stellt die Römisch katholische Kirche ihre spezifischen Merkmale in den Raum. Hier RAUS GEHEN
1. SPR.:
Hingegen meint der katholische Theologe Hermann Häring, Relativismus und Katholizismus seien durchaus zu versöhnen:
30. O TON, 1 03“. Häring
Ich bin Relativist, weil ich weiß, ich hab nicht die ganze Wahrheit. Und nicht, weil ich die andere Meinung als Bedrohung, sondern als Ergänzung, als Erweiterung, als eine andere Perspektivierung meiner eigenen erfahre. Deshalb verstehe ich nicht, dass manche Leute Relativismus so schlimm finden. Jeder, der die Wahrheit in einer Organisation sieht, der kann keine Abweichung dulden, für den ist die Wahrheit in der Sprachregelung. Das verstehe ich wohl. Aber das Problem, dass man eben meint, diese Organisation sei die Wahrheit. Ich halte bei Gott viel von der katholischen Kirche oder von den christlichen Kirchen, aber sie sind nicht die Wahrheit, sondern sie haben sie weiter zu tragen. Es gibt ein rabbinischen Spruch, der sagt: Ein Schriftwort, das nicht 99 Auslegungen zulässt, hat die Wahrheit Gottes nicht.
1. SPR.:
Aber von jüdischer Weisheit lässt sich der Vatikan nicht so häufig inspirieren: Vielfalt der Meinungen zuzulassen, könnte ja bedeuten, den demokratischen Staat nachzuahmen und demokratische Prinzipien für die Kirche selbst anzuerkennen. Tatsächlich gleicht der Vatikan eher einem spätantiken Feudalstaat. Dort vereinte der eine Herrscher alle Gewalten in seiner Person. Der Vatikan glaubt, diese Rolle habe der Papst von Anbeginn gehabt. Aber gibt es wirklich eine ungebrochene Linie vom ersten Papst, dem Fischer Petrus vom See Genezareth, hin zu Benedikt XVI. in seinem Palast? Der katholische Theologe Otto Hermann Pesch warnt vor einer allzu weitgehenden Interpretation:
31. O TON, 0 30“. Pesch
Wie kommt es dann, dass die Nachfolger des Petrus bis hin zu Clemens absolut legendarische Figuren sind. Auf festem Boden einer römischen Gemeinde mit ganz bestimmter Leitungsstruktur sind wir wieder erst mit dem ersten Clemens, der nach Corinth schreibt, aber nicht mit Weisungsbefugnis, sondern mit Ermahnung. Dieser Clemens ist nun mitnichten Papst Clemens der Erste, sondern Mitglied des römischen Presbyteriums.
1. SPR.:
Der Papst als der erste unter vielen anderen Bischöfen inmitten vieler Gemeinden: Ist diese frühchristliche Tradition wirklich nicht mehr gültig? Könnte sich der Stellvertreter Christi auf Erden nicht daran orientieren, fragt Otto Herman Pesch:
32. O TON, 0 43“.
Er sollte sein Amt verstehen und auch ausüben, wie es allein vom Neuen Testament her begründet werden kann, nämlich als Petrusdienst. Man sagt heute schon mal ganz gerne Petrusdienst und meint das Petrusamt, das ist aber in der Form dann etwas eine Schönfärberei. Petrusamt heißt Vollmacht des Papstes in jede einzelne Diözese hineinregieren zu können, nach gutem Ermessen, um nicht zu sagen nach Gutdünken. Petrusdienst heißt, dass der Papst als Bischof von Rom und eben Haupt des Bischofskollegiums einen Dienst tut, da, wo er helfen muss und helfen kann.
1. SPR.:
Der Papst als bescheidener Helfer, als Ratgeber, als Freund und Begleiter: Das ist keine Utopie, sondern biblischer Auftrag. Ein Zitat aus dem Markus Evangelium:
2. SPR.:
„Wer bei euch groß sein will, der sei der Diener aller“.
1. SPR.:
Joseph Ratzinger hat bei einem Vortrag im österreichischen Aigen vor 15 Jahren einmal angedeutet, dass es den Amtsträgern nicht in erster Linie auf Macht und Einfluss ankommen sollte:
33. O TON, 0 43“ Ratzinger,
Auch in der Kirche ist nicht das entscheidende, welche Funktion einer einnimmt. Sondern das Höchste, was wir erreichen können, ist nicht, dass man Kardinal wird oder ich weiß nicht sonst etwas wird, sondern das Höchste, was wir erreichen können, ist, dass wir Gott nahe und ihm ähnlich werden, dass wir heilig werden. Und wenn ein Bischof oder Kardinal es nicht wird, dann nützt ihm seine ganze Würde nichts, dann ist er wirklich eben bei den geringsten im Reich Gottes, wo wir immer noch hoffen, dass er wenigstens noch drinnen ist. Lachen und Beifall.
1. SPR.:
Kritische Äußerungen zum Umgang mit päpstlicher Macht hat man von Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. nicht gehört. Darum sind sich viele kritische katholische Theologen in aller Welt einig: Das vom Vatikan geförderte System kann nur zu einer in sich geschlossenen Herrschaftselite führen, zu Abwehr, Ausgrenzung und neurotischem Freund – Feind – Denken. Trotzdem: Mit dieser Vorherrschaft maßgeblicher kirchenamtlicher Kreise wollen sich Kirchenreformer nicht abfinden, falls ihnen nicht zuvor die so viel beschworene „Freude am Glauben“, also die positive Zustimmung, katholisch zu sein, verloren geht. Pater Josef Imbach:
34. O TON, 0 32“, Imbach
Wie können wir eigentlich froh unseren Glauben leben, wenn es in unserer Kirche so unfroh zu- und hergeht? Der französische Schriftsteller Paul Claudel hat einmal gesagt: Dort, wo die meiste Wahrheit ist, ist auch die meiste Freude. Ja, wenn sie sich dann so umschauen innerhalb unserer Kirche, dann muss ich mich ja fragen, wie viel Wahrheit ist eigentlich in unserer Kirche, in meiner Kirche?
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LITERATUR:
Graf, Friedrich-Wilhelm: Missbrauchte Götter. Zum Menschenbilderstreit in der Moderne. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-58478-7
Graf, Friedrich-Wilhelm: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur. C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51750-1
Häring, Hermann: Im Namen des Herrn. Wohin der Papst die Kirche führt. Gütersloher Verlagshaus. 2009, 192 Seiten.
Imbach, Josef: “Der Glaube an die Macht und die Macht des Glaubens.
Woran die Kirche heute krankt”. 248 Seiten, Patmos Verlag Düsseldorf, 2.
Aufl., 2005,
Modehn, Christian: „Alles, was rechts ist.. Politisch theologische Optionen Joseph Ratzingers“, S 143 – 162. in: Sommer, Norbert. und Seiterich, Thomas (Hg.): Rolle rückwärts mit Benedikt. Wie ein Papst die Zukunft der Kirche verbaut. Publik – Forum- Edition, Oberursel, 2009, 222 Seiten.
Pesch, Otto-Hermann: Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung, Bd. 1/1: Die Geschichte der Menschen mit Gott, Ostfildern 2008
Posener, Alan: “Benedikts Kreuzzug. Der Kampf des Vatikans gegen die moderne Gesellschaft” (Ullstein 2009)
Sommer, Norbert und Seiterich, Thomas (Hg.): Rolle rückwärts mit Benedikt. Wie ein Papst die Zukunft der Kirche verbaut. Publik – Forum- Edition, Oberursel, 2009, 222 Seiten.