Philosophie ist immer auch praktisch, insofern verständlich für viele, insofern auch populär ?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Beim Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Philosophie“ in Berlin (24.9. – 27.9.2017) gab es am 26.9. auch ein Forum zum wichtigen Thema „Populäre Philosophie“. Es war nach meinem Eindruck gut besucht mit ca. 80 TeilnehmerInnen. Leider kam der wohl am meisten interessierende Philosoph, Prof. Michael Hampe, Zürich, nach meinem Eindruck viel zu wenig, auf dem Podium sitzend, zu Wort. Er hätte so viele Fragen zu seinem Buch „Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik“, Suhrkamp, 2014, beantworten können.

Deutlich wurde in der 90 Minuten dauernden Veranstaltung die Mühe, mit der die meisten hier versammelten, an Universitäten und Hochschulen lehrenden und forschenden Philosophinnen mit der Wirklichkeit und Möglichkeit einer populären Philosophie haben. Sie sind offenbar so stark eingebunden in die akademische Welt, dass sie die nun einmal notwendig gegebene Verwurzelung des Philosophierens, allen Philosophierens möchte ich sagen, nicht so deutlich sehen. Philosophieren ist als Praxis der Philosophen in die Alltagswelt, auch in die politische Welt, eingebunden. Dabei ist wohl jeder noch so schwierige philosophische Text („Kritik der reinen Vernunft“, „Phänomenologie des Geistes“, „Sein und Zeit“ usw.) “letztlich” aus praktischen, drängenden Lebens-Fragen entstanden! Diesen praktischen (populären ?) Ursprung aller Texte darf man überhaupt nicht verleugnen. Man muss sich nur fragen, warum diese alltäglichen Fragen dann in einer oft so schweren Zugänglichkeit erörtert wurden und beantwortet werden, siehe etwa einige der sich in ihrer Sprache esoterisch gebenden, aber “medial” hoch angesehenen französischen Philosophen heute. Dabei ist auffällig, dass es andererseits in Frankreich durchaus kein Schimpfwort ist, als populärer Philosoph zu gelten, man denke natürlich an Alain, vielleicht sogar an Albert Camus oder sicher auch an den vielseitigen und gut lesbaren Philosophen André Comte-Sponville.

Philosophie jedenfalls ist weltweit eine akademische Disziplin neben anderen geworden, und dabei sicher eine der, quantitativ gesehen, kleinen Disziplinen, nicht ganz so klein gemacht im Wissenschaftsbetrieb wie die Ethnologie, aber ähnlich. Philosophie in dieser sicher auch politisch gewollten Begrenzung kümmert sich trotzdem oder deswegen fast nur um sich selbst: Es wird also Zeit, nach allen Seiten Philosophien der Philosophien zu entwickeln. Dies wäre ein dringendes Themen der nächsten 100 philosophischen Promotionen! Man hat natürlich nichts dagegen, wenn zum 100. Mal Kant und Hegel hinsichtlich ihrer Transzendentalität oder Geschichtlichkeit verglichen werden und dazu nicht gerade preiswerte Bücher in kleiner Auflage publiziert werden. Keine Frage: Forschung muss sein. Genauso wichtig wäre es aber dann doch, populär, also nachvollziehbar, also verständlich für alle, für die etwas Nachdenklichen und für die etwas Gebildeten (wer ist schon vollständig nachdenklich und umfassend gebildet ?) zu schreiben und zeigen: Was ist die Aktivität unseres Geistes im Sich – Orientieren, im Fragen, im Zweifeln, im Hoffen, im Lieben, im Sterben usw. Diese philosophischen Fragen „brennen“ (hoffentlich noch) den Leuten im Herzen und im Kopf. Warum fordert eigentlich niemand einen verpflichtenden Philosophie Unterricht in den Schulen, wie in Frankreich (obwohl dort die Realität des Unterrichts oft betrüblich ist, weil man Philosophie dort paukt wie Physik). In jedem Fall: Die Frage ist dringend: Was ist praktisches Philosophieren mitten im Alltag? Und diese Fragen müssten natürlich unter den Menschen, den so genannten Nicht-Philosophen, die aber philosophisch gesehen selbstverständlich als Menschen eben doch auch Philosophen sind, gemeinsam mit den Fach- Philosophen diskutiert werden. Das passiert aber nicht. Ansatzweise wird in den (populären ?) philosophischen Zeitschriften wie „Philosophie Magazin“, „Der blaue Reiter“, “Hoheluft“ dieser Dialog gesucht. Es müsste vielleicht ein gewisser philosophischer Ortswechsel stattfinden: Philosophen sollten öfter raus aus der akademischen Welt der Seminare und Schreibzimmer, und rein in die Gesellschaft, etwa in die bestehenden und noch zu gründenden philosophischen Gesprächskreise und Salons. Oder in die Kunstgalerien oder in die politischen und ethischen Debattierclubs, die Flüchtlings-Initiativen, die antirassistischen Initiativen und so weiter. Da spielen sich die Fragen ab unter den „Bürgern aller Fakultäten“, also aller weltanschaulichen und politischen Orientierungen. So könnte ein philosophischer Beitrag entstehen gegen das polemisch sich darstellende Auseinanderfallen der Gesellschaft, die wir gegenwärtig erleben. Neue Fragen würden so entstehen, eine neue Sprache würde entstehen, der Geist könnte etwas sprühen. Die Berliner bzw. Potsdamer Philosophin Prof. Susan Neiman wurde im Tagesspiegel (vom 27. 9., Seite 22) mit der treffenden Worten, gesprochen während des Kongresses, zitiert: „Man hat (also die Philosophen, CM) die richtigen Ideen. Aber Gespräche werden nur untereinander geführt und in einer Sprache, die nur ein paar Leute erreicht“…Zwar sehnen sich alle nach Theorie, aber was wir anbieten, befriedigt nicht das Bedürfnis“.

Nach meinem Eindruck, ich hoffe, ich irre mich, hat die Presse (in Berlin) den großen philosophischen Kongress jetzt im September 2017 kaum wahrgenommen. Welcher Nicht- Philosoph lässt sich von einem sicher philosophisch wichtigen, aber nach außen hin esoterisch wirkenden Thema „Norm und Natur“ in ein Uni-Gebäude bewegen? Bei dem Thema, so das populäre Verständnis, geht es doch auch irgendwie um (angebliche) natürliche Geschlechter – Identiät, sagte mir ein Freund, der allerdings eine philosophische Vorbildung hat. Da geht es um die Unfähigkeit, Natur als Natur überhaupt zu erleben, weil eben alles längst zur Kultur gemacht ist, sagte mir ein anderer Freund, sicher treffend. Aber dieser abstrakte Titel! Er ist Ausdruck der akademischen Begrenztheit auf die Innenwelt akademischer Lehr-Philosophie. Will “man” wirklich unter sich bleiben?

An wird also ab sofort viel mehr diskutieren, dass Philosophie doch etwas Merkwürdiges, Besonderes, ja Einmaliges ist: Wissenschaft auch, aber eben nicht nur! Immer bezogen auf (politische) Lebenspraxis, sich thematisch dieser verdankend. Philosophie fällt aus dem Rahmen der üblichen Zuordnungen. Sie ist dann doch gebunden an die orientierenden Dimensionen des Lebens, nicht im Sinne des Rezepte – Verteilens, aber der Klärung, Erhellung, Differenzierung usw. Philosophie bringt Licht ins Leben, oder neue Dunkelheit als gewusste. Aber sie ist niemals „Glasperlenspiel“.

Mich haben für diese Gedanken die Ausführungen von Michael Hampe inspiriert. Und sein Buch „Die Lehren der Philosophie“ muss weiter diskutiert werden, vor allem das erste Kapitel. Denn es gibt keinen Zweifel: Philosophie ist immer  „auch“ nicht-doktrinäre Philosophie, wie Hampe treffend und  provozierend schreibt.

Wir kommen darauf auch in unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin zurück.

Copyright: Christian Modehn, Berlin.

Wenn Gott schwarz wäre…Ein Buchhinweis

Wenn ein katholischer Pfarrer aus der „Demokratischen Republik Kongo“ von Rassisten aus München vertrieben wird

Ein Buchhinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 25.9.2017

So schlimm ist es bereits gekommen: Rassisten gelingt es, mit ihren Attacken einen katholischen Priester aus seiner Gemeinde in München – Zorneding (9.000 Einwohner) zu vertreiben: Über die Ereignisse berichtete 2016 sogar das ERSTE in den Tagesthemen. Nun hat der betroffene Pfarrer und habilitierte Philosoph Olivier Ndjimbi-Tshiende eine Art Rückblick auf die Ereignisse in München – Zorneding geschrieben und dabei die Chance genutzt, auch einige seiner theologischen Überzeugungen vorzutragen unter dem Titel „Und wenn Gott schwarz wäre…“

Im September 2012 wird Pfarrer Olivier, wie er allgemein wohl genannt wird, in Zorneding in sein Amt eingeführt. Nicht allen gefällt die Anwesenheit dieses afrikanischen Geistlichen im so gut katholischen, aber eben weiß – blau bayerischen Bayern. Vor allem die Ortsvorsitzende der CSU im Kreisverband Zorneding Sylvia Boher, eine promovierte Politologin, beginnt im Oktober 2015 in ihrem Parteiblättchen gegen Flüchtlinge einerseits zu hetzen und Pfarrer Olivier zu attackieren: Er hat sich erlaubt, die humane Geste in der frühen Flüchtlingspolitik von Angela Merkel öffentlich zu loben und richtig zu finden. Die AFD unterstützt die Äußerungen der CSU Frau (S. 25). Der 2. führende CSU Mann dort, Johann Haindl, nennt den Pfarrer „unseren Neger“ (S. 23).

Aus dieser Polemik der CDU Ortsvorsitzenden entwickeln sich heftige verbale Attacken gegen Pfarrer Olivier, bis hin zu unsäglichen Beleidigungen und Drohungen, die um Leib und Leben fürchten lassen. Anonyme Morddrohungen werden abgeschickt, später wird ein Rentner zu 10 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt: Er hatte gedroht, den Pfarrer während der Messe zu ermorden. Aber in Zorneding ist die Bevölkerung keineswegs geschlossen aufseiten des attackierten Opfers. „Die Leute machen ihn und seinen Pfarrgemeinderat dafür verantwortlich, dass der ganze Aufruhr um den Text der CSU Frau Boher solche weiten Kreise zieht“ (s. 34). Und das Ergebnis? Das Opfer, der afrikanische Priester, soll schuld sein am öffentlichen Streit über Flüchtlinge und „den Neger – Priester“. Pfarrer Olivier will in diesem widerlichen Milieu nicht weiter leben und arbeiten: Am 6. März 2016 kündigt er seine Abreise aus Zorneding an. Heute arbeitet der Theologe und Philosoph an der katholischen Universität Eichstätt über Flucht und Migration.

Offen bleiben in dem Buch zu den Zornedinger Ereignissen einige Fragen: Wie stark war die Unterstützung der Pfarrer Kollegen für ihren afrikanischen „Mitbruder“? Wie stark war von Anfang die Unterstützung des Münchner Kardinals Marx? Hat er dazu Stellung genommen? Wie hat sich die Parteiführung der CSU in München zu dem rassistischen Skandal verhalten? Warum wagt man es nicht in der Kirchenverwaltung des Erzbistums München, Pfarrer Olivier eine andere Stellung als Pfarrer zu geben, wenn er denn das noch will. Offenbar sind Christen in Deutschland oft nur in der Lage, Geld für Afrika zu spenden, für die armen Heidenkinder, wie man früher sagte. Aber sie sind nicht bereit, sich darüber zu freuen, dass nun aus Afrika selbst ein kompetenter Theologe seine spezielle Sicht des Glaubens erläutert. Diese Leute in Zorneding und anderswo haben offenbar wenig Interesse am Dialog, am Fragen, am Neues Entdecken. Ich hätte mir noch sehr viel mehr harte Fakten in dem Buch gewünscht. Aber offenbar ist der Autor so betrübt, dass er die Zusammenhänge rassistischer Überzeugungen von Katholiken über die CSU bis zur AFD nicht weiter ausführlich freilegen will. Angesichts der Bundestagswahlergebnisse in Bayern wäre darüber erneut zu sprechen.

Pfarrer Olivier ist so höflich, dass er seine eigenen theologischen Vorschläge zur Reform der Katholischen Kirche sehr vorsichtig formuliert. Der 2. Teil des Buches, also ca. 140 Seiten, handelt davon. Es geht um die “ewigen” katholischen Reformthemen, wie Abschaffung des Pflichtzölibates, Zulassung von Frauen zum Priestertum, mehr Barmherzigkeit, und auch dies ist wichtig für den Autor: Weniger Dogmen in einer Kirche, die tausend und einen Lehrsatz kennt und predigt.

Dies sind alles Themen, die in der europäisch dominierten Theologie seit Jahrzehnten – ohne Erfolg selbstverständlich – vorgeschlagen werden. Denn gäbe es nicht den Pflichtzölibat, bräuchte kein polnischer, indischer oder nigerianischer Priester in Deutschland die Lücken stopfen, die der Priestermangel in Deutschland und ganz Europa erzeugt. Und Pfarrer Olivier hätte von vornherein, seiner Ausbildung angemessen hierzulande die afrikanischen Formen des Christentums erklären können….

Bei dem Titel des Buches „und wenn Gott schwarz wäre“ erwartet der Leser zudem auch Hinweise zu afrikanischen Theologien und Spiritualitäten, etwa Berichte über die Inkulturation des Glaubens in den afrikanischen Kulturen. Über die Rolle des Tanzes in der katholischen Eucharistiefeier. Oder Hinweise zu den unterschiedlichen Strömungen afrikanischer Philosophien. Oder Hinweise zu dem von Rom verbotenen Ritus der „Messe von Kinshasa und Zaire“. Oder Stellungnahmen zur heftigen und in Europa als absurd empfundenen Abweisung von gelebter Homosexualität durch die allermeisten katholischen und evangelischen Bischöfe in Afrika. Das Buch „und wenn Gott schwarz wäre“ hinterlässt den Leser also nach großen Erwartungen bei dem Titel sehr ratlos. Das muss bei allem Respekt fürs Leiden Pfarrer Oliviers in Zorneding gesagt werden. Wenn Gott schwarz wäre: Würden dann die weißen Europäer den schwarzen Gott verehren? Jesus von Nazareth, geboren in Kinshasa, warum eigentlich nicht? Aber welchen Sinn haben überhaupt, philosophisch betrachtet, Farbzuweisungen zur geheimnisvollen Wirklichkeit Gottes? Unseres Erachtens gar keinen. Gott und das Göttliche haben keine Farbe und kein Geschlecht. Zentral bleibt die jesuanische Botschaft von der prinzipiellen gleichen Werthaftigkeit aller Menschen! Dies ist die Mitte des Glaubens, auch die politische. Sie passt nur all jenen Christen nicht, die sich als Europäer und CSU Mitglieder für etwas Besseres halten. Und das bedeutet: Vom Christentum haben diese Herrschaft eigentlich nichts verstanden, trotz der Predigten, Wallfahrten, Messen usw., die seit 1000 Jahren im Land der Bayern und anderswo gefeiert werden. Sind alle diese kirchlichen Veranstaltungen wirkungslos geblieben? Manchmal möchte ich das glauben.

In jedem Fall würde ich mir wünschen, wenn Pfarrer Olivier die Kraft fände, die oben genannten Themen zur Inkulturation des Christentums und des Katholizismus in Afrika oder wenigstens rund um den Kongo in einem weiteren Buch zu besprechen. Klar ist, dass uns Lesern hier dann auch die Frage dringend bewegt, wie es denn weiter geht mit der Diktatur in der „Demokratischen Republik Kongo“? Wann wird sie von wem vertrieben und verschwinden? Welche Europäer profitieren von den vielen Diktaturen in Afrika? Braucht Europa das elende Afrika für den eigenen Profit? Diese Fragen sind endlos. Sie werden selbst von aufgeschlossenen Politikern in Europa kaum noch gestellt. Und selten von Kirchenleuten, die es eigentlich wissen (müssten). Zurecht kritisiert Pfarrer Olivier,so wörtlich, die Prunksucht einiger Bischöfe hierzulande. Interessant wären seine Schilderungen, wie denn afrikanische katholische Bischöfe leben? Wie diese dann wahrscheinlich eher armen Bischöfe die Prunksucht ihrer so netten Bischofskollegen in Deutschland erleben? Denken sie dann vielleicht zu recht an Klassenunterschiede in der einen, angeblich so brüderlichen Kirche. Heiße Themen, an die sich niemand heranwagt. Weil die armen Bischöfe, wenn sie denn relativ, auf ihre Bevölkerung bezogen, tatsächlich arm sind, die paar Euros brauchen, die ihnen die Prunkbischöfe mit ihrem Milliardenhaushalt in Deutschland zuwerfen. Und man fragt sich zum Schluss, was die einst kolonisierten und misshandelten Völker Afrikas eigentlich an die Religion, also das Christentum, ihrer gar nicht so lieben Kolonialherren damals wie heute innerlich und spirituell bindet.

Olivier Ndjimbi – Tshiende, „Und wenn Gott schwarz wäre…“ Gütersloher Verlagshaus, 2017. 17,99 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Was tun? Wie können wir das Bessere und das Wertvolle tun in politischen Krisenzeiten?

Hinweise für ein Gespräch im religionsphilosophischen Salon am 15.9.2017

Von Christian Modehn

Der Titel des Buches der Philosophin Hilal Sezgin „Nichtstun ist keine Lösung“ hat uns zum heutigen Salon inspiriert, einige philosophische Hinweise zu diskutieren: Über das Tun, unser Tun, in einer radikal als Krise und Umbruch erfahrenen Gegenwart. Dabei wird jeder selbst entdecken, wo und wann und wie er sich im politischen Tun neu orientiert. Kriterium bleibt wohl immer: Mein Tun soll vor den Kriterien der allgemeinen Vernunft bestehen.

Eine Reflexion über unser Tun:

Was kann ich tun im Sinne der Verbesserung der Verhältnisse, denn darum geht es. Es soll besser werden, d.h. nicht Krieg geben, sondern Frieden. Nicht dumme Politiker, sondern reflektierte wollen wir wählen können. Und vor allem: Weil ich nie als einzelner und Isolierter lebe und denke: Was können wir gemeinsam tun im Sinne einer Verbesserung der Verhältnisse?

Was kann das Philosophieren da leisten?

Es ist sicher die aus dem Abstand geleistete Reflexion auf einige Begriffe wie TUN und Handeln, beide sehe ich jetzt mal noch als Einheit.

Dabei ist es philosophisch wichtig, bereits auf die Implikationen zu achten, die in meinem Tun immer schon indirekt, oft aber unreflektiert, mit enthalten sind. Dann nämlich ist das neue Handeln zugunsten des Besseren durch uns gar nicht mehr so fern und fremd. Neues und Besseres tun ist keine ferne Idee und unerreichbare Utopie. Mit einem Wort: Wenn wir handeln und immer schon handelten, dann wollen und wollten wir immer schon das Bessere. Wir müssen JETZT nun nur sehen, was denn in dieser Situation das Bessere ist! Das heißt: Wenn ich etwas tue, wenn ich mich um mich kümmere, meine Bildung, meinen Beruf, dann ist darin immer enthalten eine grundsätzliche Lebensbejahung. Ich will durch mein Tun leben! Und zwar möglichst gut leben und damit wohl auch besser als in meinem jetzigen Zustand, weniger krank,, gebildeter, kommunikativer. Selbst wenn ich das Gegenteil von all dem wähle, glaube ich noch, dass der Rückzug oder der Egoismus oder das Verharren auf einem ungebildeten Niveau für mich dann doch das “Beste” sein soll.

Mit anderen Worten: Ich entkomme in meinem Leben nicht und niemals der Praxis, gut und möglicherweise besser als in meinem jetzigen Zustand zu leben.

ABER: Das gute Leben hat für uns hier in Europa eine andere Bedeutung hinsichtlich des materiellen Wohlstandes als für einen armen Bauern in Brasilien. Er hat sehr berechtigte Wünsche, dass es ihm auch materiell besser geht. Bei uns hier ist der Wunsch nach materiell besserem Leben eher auch problematisch, gebunden an das unreflektierte Dogma des ständigen ökonomischen Wachstums… Fortschritt hat für den Bauern in Brasilien eine andere Bedeutung als für uns. Fortschritt ist für uns hier eher auch Askese, möglicherweise Verzicht, den aber alle leisten sollten, nicht nur die Rentner und prekär Beschäftigten.

Diese Hinweise sind also keineswegs als Bejahung der Wachstums – Ideologie zu verstehen. Das gute Leben ist mehr als das finanziell gute Leben.

Dabei ist aber auch eine weitere Implikation klar: Mein Leben kann ich nur gestalten in meinem Tun, wenn ich anerkenne: Alles, was ich tue, verdanke ich den anderen. Andere haben mich meine „Mutter“ – Sprache gelehrt; andere liefern das Getreide, andere sind bereit, mich zu informieren usw. Das heißt: Wenn ich also handle zu meinen Gunsten, bin ich immer schon eingebunden in ein Netz von anderen. Und das ist entscheidend: Ich kann mich also nur um mein gutes Leben kümmern, wenn ich mich auch gleichzeitig um die anderen kümmere und ihnen die gleichen Chancen einräume wie mir. Und das neue Tun zugunsten des Besseren kann nur in einer neuen Gemeinschaft gelingen.

Diese Implikationen zu erkennen, scheint mir fürs persönliche Philosophieren zentral zu sein.

Indem ich leben will, will ich auch, dass andere gut leben. Das heißt in meiner gesamten Alltags – Praxis ist indirekt der Wunsch nach einem guten und besseren, im Sinne des ethisch besseren Lebens, für alle enthalten. Aber das gute Leben ist jeweils weltweit inhaltlich abgestuft, das ist eine Form der Gerechtigkeit.

Aber was ist eigentlich Tun/Handeln?

Wir müssen erkennen, dass Tun und Erkennen, also Theorie, stets eine Einheit sind. Es ist nicht so: Hier erkenne ich sozusagen erst mal isoliert vom Tun am Schreibtisch etwas, widme mich also dem Geistvollen und der Theorie. Und dann trete ich aus der Studierstube hinaus und handle in einem eigenen, vom Erkennen, getrennten Vorgang. Diese falsche Vorstellung einer totalen Trennung von Theorie und Praxis fällt mir immer ein, wenn ich an die Parteitage der SED oder der KPDSU denke: Da hieß es: Wir müssen die Beschlüsse, also die angehoben theoretischen Erkenntnisse der Parteitage, nun in die Praxis umsetzen, also in der Außenwelt gegenüber der Innenwelt der Theorie realisieren. Grüner Tisch gegen Realität könnte man diese Konzeption nennen. Diese Praxis – Vorstellung herrscht immer noch vor. Sie ist falsch.

Alles menschliche Leben ist immer schon Tat. Darauf hat Heidegger in „Sein und Zeit“ hingewiesen: Er beginnt seine Analysen mit dem In-der-Welt-Sein des Menschen.

Wir sind jeweils als ein sich wissendes Ich entstanden aus einer ursprünglichen Tathandlung, darauf hat der Philosoph Fichte schon in seiner Wissenschaftslehre von 1794 hingewiesen. Ihm geht es um die Erkenntnis der innersten geistigen Struktur, wie der Geist erwacht, mein Geist, und wie er sich in der Gleichzeitigkeit als Ich weiß und als Ich bejaht, „setzt“, sagt Fichte. Der Mensch als jeweiliges Ich ist also Ergebnis eines Tuns. Geist und Tun sind also identisch.

FICHTE zeigt den Primat der Praxis vor der Theorie und spricht „von einer Subordination, Unterordnung, der Theorie unter das Praktische“.

„Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind (also immer schon handeln müssen, CM). Die praktische Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft“ (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, 1794).

Der Mensch setzt sich selbst als vernünftiger Mensch, das Tun des Setzens ist mit dem Produkt, dem sich gesetzten Menschen, identisch: “Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Sein, vermöge seines bloßen Seins“ . Das Ich ist also zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und Tat sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das: Ich bin Ausdruck einer Tathandlung“. (Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre. Hamburg, Meiner, 1997, S. 16). Ich bin also im tiefsten und wesentlichen immer tätig. Ich bin immer tätig, auch wenn ich nur nachdenke.

Wir müssen ein neues Verständnis fürs Reflektieren als Tun gewinnen: Dieses Reflektieren ist ein Präsentsein in der Gegenwart, es ist das Beobachten der Wirklichkeit, das lebendige und kritische Dasein in der Gegenwart. Denken ist Tun.

Erst, wenn es Handlungsmöglichkeiten gibt, das Bessere zu tun, sollten wir eingreifen. Es ist dies der Kairos, der richtige Augenblick, den es manchmal abzuwarten gibt. Ein Kairos mag später noch einmal wieder kommen, aber dann unter erschwerten Bedingungen für eine bessere Zukunft. Man denke etwa an die Abweisung der Klimaverträge durch die Trump – Regierung. Den verpassten Kairos zu reparieren ist mühevoll, manchmal unmöglich.

Auf dieses INNERE TUN gilt es zu achten:

In jedem Denken als Tun spielt auch eine Entscheidung hinein: Also die Reflexion ist dabei: Was will ich jetzt als im Augenblick Wichtiges tun? Erlebe in mir eine Art Aufruf: Was ist jetzt wichtig für mich? Ich stehe in einer Situation der Entscheidung. Und folge dann dem Üblichen, dem Eingespielten, dem Ritus, oder entscheide mich neu für was anderes.

Dieses innere Erleben und innere Reflektieren der Entscheidungssituation ist der Ursprung der Handlung und der Tat: Ich bin stets inmitten von Entscheidungen, die meisten alltäglichen aber „laufen“ förmlich nach Gewohnheit ab. Ich tue also immer etwas, und die Frage ist nur: Was ist das richtige Tun für mich und was ist in diesem Tun auch für die anderen, die Gesellschaft hilfreich und gut?

Dies ist die Frage, die im Übergang, im Zwischenraum der Entscheidung fürs Tun, für neues Tun, gestellt wird. Dies ist aber entschieden eine Frage, die auch nach einem Sollen fragt, was denn sein soll zumindest für eine Gruppe, im Grunde aber für die Welt der Menschen im ganzen. Denn alle Menschen sind als Menschen bekanntlich gleichberechtigt. Das Tun des Guten, vermittelt durch den kategorischen Imperativ oder durch eine abwägende Ethik, ist nötig. Aber es muss eben das Tun des Guten sein. Etwa die Entscheidung, viel weniger Fleisch zu essen, vegetarisch zu leben, dann gerate ich in ein neues Lebensmodell: Ich bin aus der Welt der Fleischkonsumenten in die Welt der Vegetarier eingetreten. Ich bin sozusagen ein Konvertit. Der Dialog ist die Mitte fürs Denken als Tun: Das Sich Aussprechen mit anderen, die Korrekturen, die gemeinsamen Verabredungen fürs Tun in der Gesellschaft sind Mittelpunkt des Tuns als Reflexion.

Wer meint, politisch absolut nichts zu tun und nicht einmal wählen geht, stärkt mit seinem Nichtstun die Rechten und Rechtsextremen. Denn diese militanten Leute gehen eben unbedingt zur Wahl und machen ihre Partei gegenüber demokratischen Parteien stark. Die Demokratie kann an der Faulheit der Demokraten zugrunde gehen.

Was also leistet das Philosophieren?

Es ist die Denkpraxis der Analyse, der Kritik, der Selbstkritik, es ist das Abstandnehmen von Selbstverständlichkeiten, es ist der Mut, Neues im Denken zu entdecken und diese Entdeckung nicht bloß als Theorie abzutun, sondern als Beginn einer Handlung und Tat, weil das Denken selbst schon Tat ist. Die konkrete Arbeit, etwa in der Kritik der Ökonomie, etwa gegen Steuertricks vorgehen im Rahmen von ATTAC: EU muss gegen Steuertricks von Facebook, Apple, Amazon und Co. vorgehen. Die philosophische Analyse öffnet Wege ins Tun, in andere Wissenschaften, in politische Praxis, wobei die Philosophie immer das Kriterium vorlegt: Ist das ethisch gut, was ich da tue. Das heißt: Das philosophische Denken verlässt niemals das geistvolle Leben.

2. Die antike und mittelalterliche Philosophie hat streng getrennt zwischen Theoría und Praxis. Theoria also als Kontemplation verstanden, die mit dem politischen Tun des Bürgers, und dies war damals Praxis, nichts zu tun hatte. Mit dem Göttlichen wird der Mensch vereint in der Theoria, der Kontemplation, nicht in der Praxis: Man bedenke den radikalen Unterschied etwa zur Weisheitslehre Jesu: Da wird von Jesus das Tun des Guten (Helfen, Speise geben, Kranke Besuchen, Nackte bekleiden usw.) als Praxis beschrieben, die mit Gott verbindet. Praxis also ist Gottesdienst. Heute bedeutet religiöse Praxis, sonntags zur Kirche zu gehen und zu beten, das heißt dann Gottesdienst, welch ein Unterschied zu Jesu Weisheit. Da wäre über jüdisches Denken und griechisches Denken, also über die Rolle der Theoria jeweils.

Wegen der Bindung an griechische Philosophie (und der Distanz von jüdischem Denken) hat sich die spätere Kirche von Jesu Weisheit distanziert und das kontemplative beschauliche Dasein der Mönche lange Zeit als den besseren Weg zu Gott gehalten, besser und gottgefälliger als den Weg der Laien, die in der Welt zu tun hatten. In der Reformation wurde diese Sicht aufgegeben.  In der Philosophie Geschichte hat Kant förmlich auch einen philosophischen Trost zu bieten für Menschen, die handeln, aber im Handeln zur Resignation, zur Hoffnungslosigkeit neigen, „weil mein kleines Handeln ja nichts nützt“, sagen viele.

Diese Frage im Hintergrund, beantwortet Kant in mehreren seiner Hauptschriften. Zusammengefasst:

Bei KANT wird dann Praxis als Tätigkeit verstanden, die eine Anwendung von Begriffen und Prinzipien bedeutet. Und diese Tätigkeit bezieht sich auf die sinnlich vermittelte Erfahrung, also auf die Außenwelt der Dinge und der Natur um uns herum.

Dieses Tun hat als Voraussetzung den freien Willen. Der Wille reagiert nicht passiv auf etwas, sondern er entscheidet sich frei etwas zu tun.

Aber dieses Tun ist geleitet von den allgemeinen moralischen Prinzipien. Ein Beispiel: Ich will jetzt Gutes tun, mich für eine Klinik der Armen engagieren z.B. Ich erkenne das in meinem moralischen Bewusstsein, dass ich das unbedingt tun soll, weil die Not um mich herum oder in der Ferne so groß ist.

Da ist es interessant, dass Kant dieses – selbstverständlich im Umfang immer begrenzte – Tun des Guten vor der Verzweiflung bewahrt, zu der einzelne, wenn er etwas Gutes tut, oft neigt: Es gibt Rückschläge, Widerwärtigkeiten, Erfolglosigkeiten usw…

Kant will gegen den sich einstellenden Defätismus vorgehen. Er will gegen die Verzweiflung vorgehen, die sich in der Praxis ergibt.

Er sieht durchaus, dass die christliche Religion da Hilfen bietet, indem sie sagt: Dein Tun wird gottwohlgefällig sein und letztlich dem Aufbau des Reiches Gottes beitragen. Dieser Gedanke, dass nichts gut Getanes vergeblich ist, tröstet religiöse Menschen.

Kant will aber die religiösen Inhalte in eine rationale Argumentation für alle (!), auch für Nicht – Christen, überführen, darum sagt er: Das Tun des Guten, das Entsprechen also dem moralischen Sittengesetz also, befördert „das höchste Gut“ der Menschheit, das ist sozusagen ein säkularisierter Begriff des christlichen Reiches Gottes. Habermas spricht davon, dass Kant, Hegel und Marx dabei noch den „Stachel des religiösen Erbes“ spüren lassen.

3.  Was führt uns ins TUN und was führt uns im Tun?

Da muss über den MUT gesprochen werden. Dabei ist zu erkennen, dass Mut eine zwiespältige Praxis ist. Mut kann Tugend und Untugend sein: Wer sein eigenes Leben gefährdet und einen Ertrinkenden rettet, ist mutig. Wer voller Stolz eine Bombe an seinen Körper legt und diese zündet und sich und andere tötet, ist zwar nach außen hin mutig, de facto aber ein Verbrecher. Tugendhaft mutig sind diejenigen, die immer noch Flüchtlinge auf Schlauchbooten im Mittelmeer retten, eher feige und einfallslos sind diejenigen Politiker, die ihre Nationen einmauern, die die verbrecherischen libyischen Machthaber um Hilfe bitten, doch die Flüchtlinge von unseren Wohlstandsinseln fernzuhalten.

Mut als Tugend hat also immer mit dem Schutz des Lebens und der Förderung anderer zu tun. Martin Seel sagt in seinem empfehlenswerten Buch „111 Tugenden, 111 Laster“, S. 178: „Mut ist eine Tugend von irritierender ethischer Neutralität“. (siehe das Beispiel des mutigen Verbrechers). „Mutig sind Personen, die bereit sind, unter bestimmten Umständen ihr eigenes Wohl aufs Spiel zu setzen oder zu gefährden… „Nur wer Angst verspürt, kann Angst überwinden“, also dann doch mutig eingreifen.

Mut ist auch die Tugend, etwas (neu) zu beginnen. Und die Tugend, das richtig Begonnene weiter zuführen. Mut ist die Tugend, sozusagen im Gegenwärtigen transzendierend auf das Bessere zu hoffen. Man muss kämpfen, weil alles andere unwürdig ist. Feiglinge sind meist unangenehme Typen.

Dem Mut gegenüber steht vor allem die Willensschwäche: Thomas von Aquin sagt, der Willensschwache halte sich nicht an seine eigene Erkenntnis, „er geht nachlässig mit den eigenen Erkenntnissen um“ (Seel, S 54). „Die Willensschwachen verlieren die Selbstbeherrschung, indem sie einer Verlockung nachgeben, die ihren eigenen generellen Vorsätzen direkt widerspricht“ (ebd.) Gute Vorsätze haben mit der Zukunft zu tun, aber die jetzige Gegenwart steht uns näher: Wer da in der Gegenwart genießt, vergisst die bessere Zukunft. „Ein bisschen Regression darf sein“, denken wir dann falsch und handeln falsch

Der Mut als Tugend als Engagement für das bessere Leben der andern und deswegen auch meines Lebens ist eine Art Dynamis, eine Art innerer Schwung, der das Leben begleitet. Mut ist die geistige Triebkraft im Handeln, also im Leben.

Was bedeutet das heute? Wo können wir noch mutig sein?

Mut die richtige Sprache sprechen. Nicht nachplappern. Die richtigen Analysen machen, die der Selbstkritik standhalten. Selbst reflektierend sprechen. Fakten als Fakten anerkennen. Mutig ist, wer als Abweichler auffallen. Mut ist, nicht allen Blödsinn etwa der Parteien als Parteimitglied noch mitzumachen, sondern eben auszusteigen. Das gilt selbstverständlich auch für religiöse hierarchische Machtorganisationen.

Mut ist als politische Tugend die Haltung des reflektierten Ungehorsams.

Was tun, wenn ich nichts mehr machen kann in offenbar ausweglosen Situationen? Eine schwere Frage religionsphilosophische und theologische Frage, die jeder und jede aufgrund seiner je eigenen Spiritualität beantworten kann.

Da gibt es etwa den in der Türkei gefangenen, aus Berlin stammenden Journalisten und Menschenrechts- Aktivisten Peter Steudtner. Er ist mit der evangelischen Gethsemane Gemeinde in Mitte verbunden.

Was können seine Freunde tun in dieser Situation der Gefangenschaft? Natürlich kann jeder individuell an ihn denken und versuchen, diese Gedanken ihm im Gefängnis irgendwie zu übermitteln.

Etwas anderes ist möglich im gemeinsamen Tun:

In der Gethsemanekirche wird regelmäßig Peter Steudtner in öffentlichen Gottesdiensten gebetet.

Was heißt da Beten und Bitten? Gott soll Peter Steudtner aus dem Gefängnis holen? Dies kann nicht das Ziel des Gebetes sein. was wäre dies für ein unvernünftiges Gottesbild. Wer an Gott glaubt, will doch nicht an einen unvernünftigen Gott glauben: Etwa: Gott soll Peter Steudtner retten, nicht aber die andere in der Türkei gefangene Menschenrechtsaktivisten, für die vielleicht niemand betet usw…

Das Gebet gilt den Betenden, den Versammelten: Sie wollen sich in der Gemeinschaft in einem Raum besonderer Art, einer Kirche, sammeln und sich stärken, Peter Steudtner niemals zu vergessen. Nicht das Elend in der Türkei zu vergessen, nicht das – geistige, politische – Elend der Welt zu vergessen. Die stärkende Kraft des Ritus ist nicht zu unterschätzen: Kerzen anzünden. Sprechen, Stammeln, Singen, einander die Hand reichen… und wissen, dass andere da sind, die die eigene Lebensauffassung teilen. Glauben diese Menschen, dass sich ihre geistige Energie, nennen wir dies Gebet, sich förmlich bündelt? Sich überträgt, dass sogar die betreffende Person diese Energie spürt? Davon sind manche überzeugt, auch wenn es dafür selbstverständlich keine Beweise gibt. Ich erinnere nur an die Widerstandskämpfer in der Nazizeit: Wenn diese Männer dann Briefe von ihren Frauen im Gefängnis erhielten, die versicherten: Ich denke an dich, war dies eine unglaubliche Stärkung, den eigenen Weg, wie auch immer, möglicherweise bis zur Hinrichtung, zu gehen, weil sie sich nicht nur in der Welt der Familie geborgen wussten, sondern in einem letzten Sinngrund, der größer ist als alle Gewalt und Politik.

Dass es sinnvoll ist, in solchen Situationen weiterzuhandeln, hat ja Kant gezeigt: Wir können in unserem Handeln, das sich immer in komplexen Zusammenhängen gestaltet, niemals alle einzelnen Wirkungen unseres so begrenzten Tuns voraussehen. Wir wissen nur, dass es Wirkungen gibt in jeglicher Aktivität, in jeglichem Sprechen… sicher auch in unserem philosophischen Salon….

Es gibt aber durchaus Situationen der Aussichtslosigkeit, wo sich der einzelne nur noch in seiner persönlichen Poesie, seinem Gebet, dem jeweiligen persönlichen Gott anvertrauen kann. Um aus dieser poetischen Praxis Energie für sein und unser Leben, auch für den Ungehorsam, den Widerstand, zu finden…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Literaturtipps zum Salon am 15.9.2017

Philipp Blom, Was auf dem Spiel steht. (Für eine neue Aufklärung unter den Prämissen des 21-. Jahrhunderts). Hanser Verlag 2017, 223 Seiten, 20 Euro.

Hilal Sezgin, Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs. Dumont Verlag, 2017, 159 Seiten, 14 Euro.

Martin ROTH: WIDERREDE. 2017, 96 Seiten, 9,95 Euro. Edition Evangelisches Gemeindeblatt: Auf der Spiegel Bestseller Liste! Mit großer Sorge beobachtete Martin Roth – bis Herbst 2016 Direktor des Victoria and Albert Museums in London – die aktuellen politischen Entwicklungen in Europa. Entsetzt über den Brexit verließ er seine Position als Museumsdirektor in Großbritannien und kehrte nach Deutschland zurück. Roth sah die politische Kultur und die Idee Europas in großer Gefahr – nicht nur, weil Politiker in seinen Augen die Politik allzu oft als bloße Machterhaltungsmaschinerie begriffen, sondern auch, weil die Bevölkerung den Politikern zu viel überließ… Martin Roth ist am 6.8. 2017 plötzlich gestorben…

Zur Philosophie über die Tugend des Mutes:

Sehr inspirierend ist das Buch über Tugenden und Werte des von mir schon oft empfohlenen französischen Philosophen André Comte – Sponville. „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben“, RoRoRo, meine Ausgabe von 2001 kostete damals nur 8, 90 Euro. Zum Mut dort S. 59 bis 75.

Nach wie vor empfehlenswert das Buch des Frankfurter Philosophen Martin Seel, „111 Tugenden, 111 Laster“. S. Fischer Verlag, 2011, zum MUT S. 178 ff.

Zur Tugend des Ungehorsams: immer noch grundlegend:

Das Buch des Freundes von Montaigne, also von Etienne de La Boétie: Von der freiwilligen Knechtschaft, mehrere Ausgaben, etwa auch: Europäische Verlagsanstalt.

Henry David Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Viele Ausgaben.

 

“Nichtstun ist keine Lösung”

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn am 3.9.2017

Die Philosophin und Journalistin Hilal Sezgin (geboren 1970 in Frankfurt am Main) hat ein wichtiges, gut lesbares Buch verfasst, das reflektierte Klarheit bringt zu der Frage: „Was tun?“ Und das, damit zusammenhängend, Kritik übt an der alltäglichen beliebten Ausrede: „Ich kann nichts politisch Wirksames tun durch mein Engagement“. Oder: „Die Welt ist so ungerecht, da hilft mein Tun zugunsten von mehr Gerechtigkeit nichts“.

Es ist das kritische, und das ist immer auch das selbstkritische Nachdenken, das sich gegen diese gängigen, dummen Sprüche wehrt. Grundsätzlich gilt: „Wenn wir das Gute nicht tun, wird das Schlechte überhand nehmen und uns in den Abgrund reißen“ (S. 13), schreibt die Autorin. „Das Gute“ gibt es als solches selbstverständlich in dieser abstrakten Allgemeinheit nicht, gemeint ist: Das Tun zugunsten konkreter politischer Gerechtigkeit; der Respekt vor der immer mehr zerstörten Natur; die Anerkennung, dass die Menschen im reichen Europa ihre Lebenshaltung ändern müssen, wenn sie glücklich sein wollen usw. „Das Schlechte“, ebenfalls in überschaubarere Strukturen übersetzt, kann dann bedeuten: Der ausbeuterische Welthandel zugunsten der reichen Länder; das Zulassen des Elends etwa in Afrika; die Ignoranz gegenüber dem Rassismus; die Gewöhnung an die unmoralische Tatsache, dass die Armen immer ärmer werden; die Angst, Flüchtlinge seien prinzipiell eine Bedrohung auch ökonomischer Art usw.

Hilal Sezgin präsentiert keine langen Listen von den vielen lebendigen Menschen, die aus dem resignativen Nichtstun herausgefunden haben. Sie argumentiert sehr freundlich, aber immer sehr überzeugend und nachdrücklich dafür: Du kannst noch handeln in dieser verrückten Welt: Wenn du dich selbst nicht überforderst; wenn du nicht der Illusion verfällst, die ganze Welt zu retten, sondern realistisch einen kleinen, dir typischen Bereich der Hilfe und des Nachdenkens aussuchst; und vor allem: Wenn du mit anderen zu handeln lernst.

Hilal Sezgin weist auf unbequeme Tatsachen hin: „Warum diffamieren wir Gutestun und diejenigen, die Gutes tun, so häufig?“ (S. 31), etwa so: „Der Gutmensch will sich doch nur noch vorne drängen“. Wir sollten im gemeinsamen Tun vor allem Konkurrenz – Denken überwinden. Nicht jeder muss das gleiche tun, der hilfsbereite Nachbar hat andere Fähigkeiten zu helfen als ich. Jeder und jede sollte aber entdecken: Wo sind meine eigenen Stärken und Möglichkeiten meiner mir denkbaren Hilfe. Und: Wer Ungewöhnliches, Störendes, Provokatives ausspricht, sollte erst mal gehört und ernst genommen werden.

Man lese etwa die Reflexionen Hilals zu den Menschen, die absolut nicht mehr helfen wollen, weil sie, so sagen sie gern, „einmal geholfen hatten und dabei schlechte Erfahrungen gemacht haben“ (S. 58). Wenn dieses Prinzip des „Einmal“ immer gelten würde, dürfte man nie mehr eine Kneipe betreten: Denn einmal wurden wir sicher schon sehr schlecht bedient. Die Autorin weist auf skandalöses Verhalten, auch von CDU Politikern, hin, die etwa angesichts so vieler Ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer empfehlen: Man müsse nicht zu viel Rührung zulassen, und sich von diesen Fotos nicht erpressen lassen und eben auch mal wegschauen (S. 63).

Lesen wir auch die von der Autorin empfohlenen Bücher des Ökonomen Branko Milanovic (er hatte eine leitende Funktion in der Weltbank, ist also alles andere als ein Sozialist oder Kommunist…) „Es gibt einen Ortsbonus, d.h. die Geburt in einem reiche Land. Wer in einem armen Land zur Welt hat sozusagen eine „Ortsstrafe“ ( 79). Viele Menschen in den reichen Ländern handeln nach der ins Grausame verkehrten Formel der Goldenen Regel, die nun heißt: “Was du nicht willst, das man dir tu, das füg halt einem anderen zu“ (S. 78).

Sehr dringend erscheinen die Hinweise von Hilal Sezgin zu einer neuen Pflege und Kultur des VERZICHTS (82). Mit besonderer Aufmerksamkeit ist sicher das Kapitel zu lesen „Ethik als Verbundenheit“ (87 ff.)

Interessant sind die persönlichen Hinweise der Autorin: Ihr Leben als Veganerin oder etwa ihre Verbindung mit den Sufis, vor allem mit Hazrat Inayar Khan.

Insgesamt: Ein empfehlenswertes Buch, auch geeignet für Gruppengespräche.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Europadämmerung: Ein neues Buch von Ivan Krastev (Suhrkamp)

Hinweise zu einem wichtigen Buch des Politologen Ivan Krastev

Von Christian Modehn

Über die Krise der EU und die Krise Europas im ganzen sind in den letzten Monaten etliche Studien von Politologen erschienen. Jetzt liegt ein wichtiges, weil zu weiteren Diskussionen inspirierendes Buch des Politologen Ivan Krastev vor: „Europadämmerung“ ist der deutsche Titel (aus dem Suhrkamp Verlag). „After Europe“ der Titel des kurz zuvor in Philadelphia, USA, 2017 erschienen Buches.

Ivan Krastev wurde 1965 in Bulgarien geboren, er ist als international geschätzter Politologe u.a. Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien, außerdem hat er am International Institute for Strategic Studies mit gearbeitet; er ist Vorsitzender des Centre for Liberal Strategies in Sofia usw… Er ist einer der führenden Politologen, von dessen Studien man sich weitere Übersetzungen wünscht!

Krastev trifft die Erfahrungen und die Gefühle sehr vieler Europäer, wenn er betont, dass die Desintegration der EU heute schon so weit fortgeschritten sei, „dass dies den Kontinent in Unordnung stürzen und zu globaler Bedeutungslosigkeit verdammen wird“ (17). „Der Traum eines freien und geeinten Europa dürfte ausgeträumt sein“ (ebd.). Selbst „das Überstehen“ (ebd.) dieser Krise wird nicht einfach sein. Die Gründe dafür zeigt er in seinem (leider zu knapp gehaltenen) Buch.

Krastev will allerdings nicht in die Ecke der oberflächlichen Euroskeptiker gestellt werden. Er „meditiert“ nur über etwas, was nun „wahrscheinlich bald geschehen wird“ (18). Seine entsprechenden Hinweise auf den Ersten Weltkrieg und auf dieses historische „déjà vu“ sind alles andere als ermutigend, gegenüber dem, „was denn bald geschehen wird“ …

Dabei sieht Krastev die wichtigste Ursache für den Zerfall der EU in „der Flüchtlingskrise“ (21). Und diese Krise, so führt er weiter aus, bedeutet: Die Bürger vertrauen nicht mehr ihren politischen Eliten, die Krastev „meritokratische Eliten“ (21) nennt, also solche, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Kompetenzen und damit ihrer Verdienste (merito-kratisch) gewählt wurden, um als diese – auch intellektuellen Eliten – die Länder zu regieren und die EU zu prägen.

Die aktuelle Migration nach Europa nennt Krastev im Erleben der Europäer, aber sicher auch der Fliehenden, „eine Revolution“: Menschen aus den armen, einst kolonisierten Regionen der Welt, brechen auf wie in einem „Exodus“ nach Europa. „Für viele Verdammte dieser Erde ist es eine menschliche Notwendigkeit, die Grenzen zur Europäischen Union zu überqueren…“ (22) Es geht oft ums Überleben, und weil sich diese Elendssituation in Afrika nicht so schnell ändern wird, deswegen wird dieser Exodus auch dauern.

Wenn man diesen Aufbruch so vieler Menschen aus der Not eine neue und sicher so ungeahnte Revolution nennt, dann muss auch die alt vertraute europäische „Fähigkeit“ mitbedacht werden, dass die Revolution, wie so oft schon, „eine Gegenrevolution auslöst“ (22), eine Gegenrevolution derer, die um den Schutz ihres Besitzes bangen und sich national einschließen wollen. Und die über Macht, Medienmacht und Netzwerke verfügen.

Und Krastev ist so einfühlsam und voraus denkend, was diese ja zweifellos schon vorhandene Gegenrevolution betrifft, dass er zwei erschütternde “Träume“ nennt: „Heute träumt man von einer fernen Insel, auf die man unerwünschte Ausländer ohne die geringsten Gewissensbisse schicken könnte“ (21). Das heißt, der Traum der Nationalisten in Europa heute ist eigentlich eine gewisse Variante der früheren KZs der Nazis: Die Unerwünschten sind wegzubringen und abzuschließen und eines Tages auch abzuschießen… Krastev erinnert daran, dass schon 1994 treffend die Erkenntnis verbreitet wurde, dass der Turbokapitalismus „eine faschistische Neigung“ hervorbringt (47). Liberale und eigentlich sich tolerant nennende Gesellschaften „driften in die schlimmste Art von Identitätspolitik ab“ (48) Man will nur noch die gleichen, die „gebürtigen“ Deutschen bei sich haben. Anders gesagt: “Touristen anlocken und Migranten abweisen – das ist in Kurzfassung die von Europa erwünschte Weltordnung“ (24).

Im Exodus der Verarmten aus den alten Kolonialgebieten ist also in gewisser Weise eine „Wiederkehr der Dekolonisierung“ (33) gemeint: „Die Kolonisierten wandern aus und flüchten in die kolonialen Mutterländer“ (34). Leider wird der komplexe Niedergang der in die Selbständigkeit geratenen einstigen Kolonien nicht ausführlich genug beschrieben, nicht die Schuld und das Versagen Europas gegenüber diesen neuen Staaten, etwa in Afrika, benannt. Man könnte zeigen, wie in der (Wirtschafts-)Politik Europas gegenüber den selbständigen Staaten Afrikas immer noch ein rassistisch geprägtes Verhalten bestimmend war und ist. Was sich staatliche Entwicklungshilfe nennt, war und ist vorwiegend Wirtschaftshilfe für die Konzerne in Europa usw. All das fehlt in dem Buch von Krastev!

Der Autor bezieht sich auch auf die explizit reaktionären Ideologen, man denkt automatisch an Steve Bannon, USA, wenn er schreibt: “Für Reaktionäre sei die einzig gesunde Antwort auf die Apokalypse (in reaktionärer Sicht ist die Flüchtlingskrise eine Apokalypse), eben eine andere Apokalypse herbei zu führen und auf einen Neuanfang zu hoffen“ (22). Steve Bannon (er bestimmt nach wie vor das Denken von Mister Trump) hat ja bekanntlich die Idee eines großen reinigenden Krieges, einer großen Katastrophe mehrfach beschworen und gewünscht. Nebenbei: Solche destruktiven Nihilisten laufen vielfach bejubelt einfach so privilegiert herum…

Man sieht bei der Verwendung des Begriffs Apokalypse, wie aus dieser christlich-jüdischen Angst – Vorstellung religiös gefärbte politische Ziele weiterleben. Bis heute ist das äußerst schwierige und ohne kritischen, wissenschaftlichen Kommentar niemals als solches „so einfach mal“ zu lesende „Buch der Apokalypse des Johannes“ Bestand – Teil des offiziellen Neuen Testaments. Die Kirchen haben nicht den Mut, dieses verwirrende und verstörende Buch beiseite zu legen, eine offizielle Distanzierung täte gut, aber das ist ein anderes Thema. Die Kirchen sind zu feige sich von einem eigenen damals wie heute durchweg nur irritierenden Text zu lösen…

Jedenfalls stehen die sich liberal und demokratisch nennenden europäischen Staaten vor dem großen Widerspruch: Sie bekennen sich nach außen zu einer universalen Philosophie der Menschenrechte. Andererseits sollen die europäischen Bürger diese Rechte und ihren Wohlstand ungebrochen und unverändert, sondern eher noch wachsend (Wirtschaftswachstum!) genießen. Der Begriff Teilen und Verzichten und Gerechtigkeit sind in Europa Worte, die bestenfalls noch in einer spirituellen Sprache vorkommen. Nicht aber als Gestaltungsprinzipien für eine Welt, die noch ein Weilchen bestehen möchte. Das sagt Krastev so nicht, das ist mein ergänzender Kommentar. Aber der Autor sagt ganz klar: Entscheidend ist und bleibt für das Wohlergehen eines Menschen, WO er/sie geboren wird: Ob in Europa oder etwa in den Hungerländern Afrikas. Durch Google und Interet wissen fast alle Armen, d.h. die von Europa weithin arm Gemachten, wo sie noch halbwegs gut leben können: Eben in Europa.

Als Osteuropäer erklärt der auch in Bulgarien lebende Politologe Ivan Krastev, warum etwa Polen, Bulgarien, die Slowakei usw. keine (muslimischen) Flüchtlinge aufnehmen wollen. Die Fixierung aufs Nationale ist dort offenbar jetzt kaum zu überwinden. Polen war etwa vor dem 2. Weltkrieg eine multikulturelle Gesellschaft, aus Deutschen, Polen, Ukrainern, Juden usw. „Die Rückkehr zu ethnischer Vielfalt erscheint dort daher vielen als Rückfall in die schwierigen Zeiten zwischen den beiden Weltkriegen“ (59). Solche Hinweise sollen das Verstehen fördern, sicher gelten sie nicht als Entschuldigung für antieuropäisches und anti-humanes Agieren osteuropäischer Politiker. Aber auch westliche Staaten, etwa das wohlhabende und immer noch überwiegend katholische Österreich, sind ja auch heftig dabei, Flüchtlinge vom eigenen Land absolut fernzuhalten… Schließlich „kosten“ die Flüchtlinge auch einiges… Dabei muss doch der oberste Glaubenssatz des reichen Europa berücksichtigt werden: „Es gibt keine alternative Politik, es gibt keine Alternative zur Sparpolitik, dies ist „das Mantra Europas“ (83).

Das Buch von Ivan Krastev stärkt den kritischen Blick auf Europa heute. Gerade am Ende des leider nicht so umfangreichen Buches weist es Perspektiven auf, die doch etwas Mut machen, sich für Europa und die EU – auch in reformierter Gestalt – weiterhin einzusetzen. Die Kunst des Überlebens (auch der EU), so meint der Autor, ist die „Kunst der Improvisation“ (132).

Das besondere Interesse Krastevs gilt naheliegenderweise der Europa-Bindung der mittel- und osteuropäischen Staaten. Den meisten Menschen dort ist die eigene Nation jetzt wichtiger als die Verbundenheit mit der EU, dem Europa-Parlament, den universalen Menschenrechten usw. Der Autor will Verständnis wecken, nicht Entschuldigungen für den heftigen Nationalismus und Populismus dort vorbringen: Seit 1989 haben 2,5 Millionen Polen ihr Land verlassen; 3,5 Millionen Rumänien haben ihre Heimat verlassen, jeder zehnte Bulgare ist weggezogen. Diese Menschen wollen im Westen besser (materiell besser) leben, obwohl sie eigentlich westliche Werte (“Menschenrechte zuerst !”) gar nicht so schätzen. Sie wollen zuerst Geld verdienen. Die Zurückgebliebenen, die Alten, in Polen, Rumänien, Polen usw. fühlen sich verlassen, um so stärker wollen sie ihre (zahlenmäßig) schwächer werdenden Nationen stützen….

Wir müssen uns vor allem fragen, meint Krastev, wie wir (Demokraten) mit der Gefährlichkeit des Populismus umgehen sollen. Um ein „Besiegen“ des Populismus geht es Krastev nicht, ihm ist die „Versöhnung Europas als der höchsten Priorität“ (ebd) wichtig; diese Versöhnung schließt für ihn die – in meinem Sinne jedoch gefährliche – Bereitschaft ein, „Teil ihrer (der Populisten-) Politik und sogar einige ihrer Einstellungen (freier Handel ist nicht immer ein Win-Win-Spiel)“ zu übernehmen (132). Da würde man sich eine breitere Erläuterung des Autors wünschen. Allgemein philosophisch ist jedenfalls Krastevs Satz ganz am Ende seiner Studie nicht falsch: „Linear ist der Fortschritt nur in schlechten Geschichtsbüchern“(ebd).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Das Buch “Europadämmerung” von Ivan Krastev, ein “Essay”, ist 2017 im Suhrkamp Verlag erschienen. Es hat 144 Seiten und kostet 14 Euro.

Neues zur Erbsünde: Muss der christliche Glaube Angst machen?

Einige weiter führende Thesen von Christian Modehn am 20.7. 2017

Meinen zuerst veröffentlichten Beitrag, in der empfehlenswerten Zeitschrift Publik Forum, Heft 11/2017, lesen Sie hier mit einem weiteren Thesenpapier, das aus einer Diskussion hervor gegangen ist. Dass selbst Mitglieder des Augustinerordens heute wenigstens leise, aber deutliche Kritik an Augustins Erbsündenlehre äußern, lesen Sie bitte am Ende dieses Beitrags! Und sogar der treu-katholische Theologe und Historiker der frühen Kirche und der so genannten Kirchenväter, Pater Joseph Barbel, kritisiert den “kaum begreiflichen Eifer Augustins zur Widerlegung seines theologischen, die Freiheit verteidigenden Gegners, des Bischofs Julian von Eclanum”. Auch dazu mehr, siehe am Ende dieses Beitrags.

Die Diskussion über Sinn und Unsinn der christlichen Erbsünden-Lehre geht weiter, das zeigen die vielen Weiterlesen ⇘

Über den Begriff der Geschichte. Von Walter Benjamin.

Eine kleine „Verstehenshilfe“ zu einem manchmal schwierigen Text von Christian Modehn. Diskutiert im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 14. 7. 2017.

Der Text Walter Benjamins gehört in das weite Feld der Geschichtsphilosophie.

Es geht um die Fragen: Was ist Geschichte? Noch grundlegender: Was ist Zeit? Was ist unsere Erfahrung mit den Zeitstrukturen? Wie entsteht Geschichte unter den Menschen? Ist sie eigentlich als solche ein letztlich unsichtbares Objekt? Nur in den Produktionen der geistvollen Menschheit im Laufe der Zeit wird Geschichte also sichtbar?
Was ist unser inneres Erleben von Geschichte, auch von meiner Lebensgeschichte? Wer macht Geschichte, wer liest und interpretiert die Geschichte? Was ist mit dem Opfern in der Geschichte, die keine Chance zum menschenwürdigen Leben hatten? Was zählt der einzelne in einer Geschichte, die als Fortschritt, technischer Fortschritt zu immer Mehr und vielleicht immer Besserem und vielleicht immer Gerechterem wird? Und: Wenn ein Gott die Welt geschaffen hat, also auch die Menschen, die Geschichte gestalten in ihrer Freiheit, ist dann Gott anwesend auch in der Geschichte? Wie ist Gott mit der Geschichte unterschiedlich verbunden im Judentum und im Christentum?

Benjamins Thesen sind im Kern eine Kritik der herrschenden Fortschritts-Philosophie (- Ideologie). Sie plädieren für einen neuen „Zugriff“ auf die Geschichte in der Stunde höchster Not, im Falle Benjamins: Bei dem machtvollen gewalttätigen Faschismus und der Zerstörung einer letzten Hoffnung, dass irgendetwas Humanes von der Sowjetunion noch zu erwarten ist, wo doch der Hitler – Stalin – Pakt alle letzten positiven Erwartungen zerschlagen hat! Für Benjamin gab es fast keine Hoffnung mehr auf Rettung in der weltgeschichtlichen Lage im Jahr 1940.

Walter Benjamin stellt sich der Universalgeschichte: Weil er den Begriff der Erlösung denkt, den er die künftige Gegenwart des “Messianischen”, nennt.

Benjamin will die Vorstellung überwinden, Geschichte sei ein bloß ins Unendliche dahin laufender, eher monotoner Entwicklungsverlauf. Er will sich der Herausforderung stellen: Was ist der Sinn des Daseins im Jetzt, in der Ausweglosigkeit des Faschismus. Das war seine persönliche Leidenssituation 1940! Er hatte zudem schon in früheren Jahren geahnt und deutlich gesagt, dass eine neue Katastrophe, auch ein weiterer Weltkrieg bevorsteht.

Die 18 kurzen Kapitel wirken zwar sehr in sich gekehrt,”geschlossen”. Tatsächlich aber sind sie eng mit einander verflochten. Im 1. Kapitel tritt der schon aus der „Berliner Kindheit“ bekannte „bucklige Zwerg“ auf, diesmal in einer positiv erlebten Rolle: Er lenkt nämlich – ungeahnt für die Sozialisten – ihr Tun. Wie er diesen Einfluss hat und haben kann, wird von Benjamin nicht gesagt!

Höhepunkt ist das berühmte und viel besprochene 9. Kapitel zum „Engel der Geschichte“. Ganz am Ende, eher versteckt im Anhang B, stehen die ungewöhnlichen, letzte Hoffnungen weckenden Sätze: Es gebe in jeder „Sekunde, eine kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“.

Was uns vor allem ins Nachdenken bringt, ist die Behauptung einer geheimen Steuerung des Sozialismus/ Marxismus (trotz Stalin ?) durch die Theologie, Kapitel I. Wenn denn der „historische Materialismus“, also der Marxismus im Sinne Benjamins, die Theologie „in ihren Dienst nimmt, dann könne der Marxismus es „ohne weiteres mit jedem aufnehmen“. Auch wenn die Theologie im Augenblick „klein und hässlich ist“. Sie ist wohl un–ansehnlich, sie hat gerade in der jüdischen Tradition keine Bilder, sie hat keine Macht. Aber stimmt das für die an kirchliche Institutionen gebundene Theologie? Sicher nicht!

Aber: Haben diese Sätze auch eine Bedeutung nach dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“? Sollte ein von Partei – Dogmen gereinigter Marxismus mit Hilfe der Theologie (welcher ?) „es mit jedem wieder aufnehmen können“ ? Diese Frage müsste aktuell diskutiert werden.

Die Lektüre dieses knappen Textes der 18 Thesen erschließt sich, wie alles in der Philosophie, nicht im Tempo einer Zeitungslektüre.

I.Kapitel

Es geht hier grundlegend um den Zusammenhang von historischem Materialismus (so nennt Benjamin seine Philosophie, in ihrem Bezogensein auf den Marxismus) und Theologie (im jüdischen Sinne der Erwartung des Messias).

Versteckt ist, im Bild gesprochen, unter dem Tisch, im Zusammenhang des „Spiels“, der Geschichte also, die Theologie, also der theologische Gedanke, der unsichtbar ist und die sichtbare Puppe, den historischen Materialismus als Täter der Geschichte und des Geschehens, mit – bestimmt und zum Sieg führt. Die Theologie wird erwähnt, nicht etwa die institutionelle Religion, also eher der „freie theologische Gedanke“. Er wird von Benjamin als klein und hässlich beschrieben, in seinem unsichtbaren Untergrund. Aber der Marxismus soll die Theologie „in (seinen) Dienst nehmen“, wie Benjamin sagt.

ALSO: Ohne Theologie als Erwartung der Erlösung gibt es keine erfolgreiche Geschichtsgestaltung im Sinne des Marxismus. Dies muss wohl so verstanden werden: Im Sinne der Befreiung der Armen. Denn das ist das Wesentliche und Befreiende im Marxismus – Begriff von Benjamin. Er will ja bekanntlich Hoffnung artikulieren, „für die, die keine Hoffnung haben“. Nur das Mitspielen der Theologie ermöglicht eine Durchsetzung des historischen Materialismus, des Marxismus. Durch die Präsenz des Theologischen IN der Geschichte wird schon auf das später genannte Spirituelle hingedeutet.

II.Kapitel

Gemeint ist im Zitat am Anfang Herman Lotze. (1817 – 1881, einer der damals bedeutenden und viel zitierten Philosophen zur Zeit Benjamins)

Das Zitat geht weiter, es wird von Benjamin abgebrochen. Lotze sagt: „Wir opfern uns auf für die Herstellung eines Besseren in der Zukunft, eines Besseren, das wir nicht genießen können, darin zeigt sich entweder eine Liebe für die Zukunft oder ein unbewusster Trieb“. (Quelle: LINK.

Das Wort „tingiert“ bedeutet gefärbt. Unser Denken, so Benjamin, ist also von der Zeitstruktur gefärbt. Alles Denken ist von der Zeit geprägt.

Die Grundaussage ist: Wir Menschen wollen das Gute für die Zukunft der Menschen. Wir wollen das Glück. Es geht Benjamin wirklich darum, das Glück zu fördern. Wir wollen das Glück der Zukunft der anderen. Das wollen wir ohne Neid, ohne neidisch zu werden. Neid (im Sinne von schlechte, schuldhafte Stimmung) hingegen entsteht nur, wenn wir an unsere Versäumnisse in der Vergangenheit denken (etwa mit Menschen, mit denen wir hätten reden können).

Was zeigt sich da: Wir leiden zwar unter den Versäumnissen unseres eigenen Lebens, sind aber bereit, das Gute für die Zukunft zu wollen. Darin zeigt sich eine Art Sehnsucht, darin zeigt sich ein Sehnen nach Erlösung im Sinne der vollständigen und glücklichen Existenz in der Zukunft.

Wir sind verbunden mit der Geschichte, mit der Geschichte unserer Verwandten und Vorfahren. Wir hören in den Stimmen heute auch die Stimmen von einst.

Wir sind also mit der Vergangenheit verbunden. Es gibt eine „geheime Verabredung zwischen den gewesenen Geschlechtern und unserem Geschlecht“. Das heißt: Wir sind keine isolierten Existenzen. „Wir wurden auf der Erde erwartet“, sagt Benjamin dann: Erwartet von wem? Von einem Vorgänger, von einem früheren Menschen. Dieses Erwartetwerden gilt für alle Menschen. Alle wurden erwartet … von anderen. Das ist wohl eine zurückhaltende Aussage für die Erkenntnis: Alle Menschen wurden gewünscht, alle wurden gewollt, kann man sagen: alle haben einen Sinn. Dies anzuerkennen bedeutet: Den Menschen ist eine schwache messianische Kraft eigen, das heißt eine Kraft, die auf den Messias hindeutet, also auf eine umfassende Erlösung hin. Auch die Vergangenheit (das vergangene Leben der Menschen früher) hat an dieser messianischen Kraft Anteil. Diese messianische Kraft kann kein historischer Materialist, also ein Marxist im Sinne Benjamins leugnen: „Der historische Materialist“ (also der Marxist) weiß darum“.

III. Kapitel

Jetzt steuert Benjamin seine Kritik an der herrschenden Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie an. Hier zeigt er zunächst ein partielles berechtigtes Verständnis für den Chronisten, also für den Historiker, der fein und säuberlich alle Ereignisse, auch die unbedeutend erscheinenden, aufzeichnet und bewahrt. Nichts darf für die Geschichte verloren gehen, schreibt Benjamin.

Aber der Gesamt – Überblick über die gesamte (Welt-) Geschichte und damit über die Menschenwelt im ganzen ist erst der erlösten Menschen, in der messianischen Zeit also, am Ende der Geschichte, möglich. Benjamin spricht von dem „jüngsten Tag“, an dem alle Ereignisse zitierbar, also klar vor Augen eines jeden, treten. Das ist die große Übersicht der Erlösten über die Geschichte.

IV.Kapitel

Der völlig irritierende, nach Marx klingende Vorspruch, also das Hegelzitat von 1807 „Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen“ ist tatsächlich von Hegel. Das Zitat wirkt wie ein materialistischer Ausrutscher des Idealisten Hegel möchte man sagen.

Dieses Zitat hat Benjamin von Ernst Blochs Hegel Studien entnommen: Bloch schreibt: ….ein unbewachter Satz des großen Idealisten Hegel gehört hierher, und nicht nur der junge, auch der entschieden materialistische MARX hätte ihm wohl zugestimmt. Denn 1807 schrieb HEGEL aus Bamberg, wo er als Redakteur sich durchschlug, an seinen Jenenser Freund, den Major KNEBEL: «Ich habe mich durch Erfahrung von der Wahrheit des Spruches in der Bibel überzeugt und ihn zu meinem Leitstern gemacht: Trachtet am ersten nach Nahrung und Kleidung, so wird euch das Reich Gottes von selbst zufallen» (XVII, S. 629 f). Der Spruch lautet in der Bibel (Matth. 6, 33) bekanntlich genau umgekehrt. Quelle: aus dem Beitrag von Bloch, Marx und die idealistische Dialektik: http://www.trend.infopartisan.net/trd0411/t290411.html.

Der Text wurde entnommen aus:
Bloch, Ernst, Karl Marx und die Menschlichkeit, Reinbek 1969, S. 139-149.

Zum Kapitel IV selbst:

Benjamin steht als Marxist, trotz der Distanz zu Moskau, der marxistischen Grundidee vom Klassenkampf positiv gegenüber. Die Weltgesellschaft ist ein Kampf der Klassen.

Und dieser Klassenkampf ist ein „Kampf um die rohen Dinge, Nahrung und Kleidung“, siehe das Hegelzitat.

Dann aber folgen hoch interessante Einsichten:  Aber „ohne diese rohen Dinge gibt es keine feinen und spirituellen“.D.h. ohne den Kassenkampf um materielle Güter gibt es keine spirituellen Güter. Es gibt also im Sinne des Marxisten Benjamin durchaus spirituelle Dinge!! Die Klischee – Vorstellung des „Materialisten“ stimmt also nicht, es gibt im Klassenkampf spirituelle Dinge! Das verweist wieder auf die erste These mit dem Schachspiel.

Benjamin sagt: Diese spirituellen Dinge dürfen nicht dem Herrscher als Beute zufallen, das heißt: Die Herrschenden dürfen nicht die spirituellen Dinge missbrauchen und sie sich aneignen. Was sind spirituelle Dinge? Sehr lehrreich noch heute für uns: „Zuversicht, Mut, Humor, List, Unentwegtheit im Kampf“. Diese Haltungen und Tugenden sind menschliche, humane Tugenden, es sind keineswegs explizit religiöse. In einem christlichen Sinne könnte man ja denken: Gebet, Meditation, Gottesverehrung sind die typisch spirituellen Dinge. Nein, für Benjamin sind im Sinne der AT – Botschaft der Propheten, eben weltliche Dinge spirituelle Dinge!

Dann die merkwürdige Formulierung Benjamins: „Diese spirituellen Dinge wirken in die Ferne der Zeit zurück“. Sie sind rück – wirkend. Was heißt denn rück wirkend sein: Sie gelten auch in der Vergangenheit, und sie verändern unser Bild der Vergangenheit. Spirituelle Dinge sind also auch in der Vergangenheit anwesend, in jeder Vergangenheit, also in der Geschichte. Die Geschichte ist geprägt von spirituellen Dingen, Zuversicht usw.. Mit diesen weltlichen spirituellen Werten ( also der Unentwegtheit im Kampf der Klassen zugunsten der Leidenden) wird jeder Sieg der Herrschenden, wie er schreibt, „in Frage gestellt“. Weil jeder Sieg gemessen wird an den Werten der weltlichen Spiritualität.

Jetzt wird es „mystisch“ bei Benjamin: Er glaubt an eine Sonne, die aufgeht und den Leidenden im Klassenkampf Licht und Hoffnung bringt. Das Gewesene (in der Geschichte im Klassenkampf) strebt der Sonne zu, „die am Himmel der Geschichte am Aufgehen ist“, so wörtlich ein eher hoffnungsvoll stimmendes Zitat aus Benjamins Thesen. Auf dieses Hin-Streben zu der letztlich siegreichen Sonne muss der historische Materialist, so wörtlich, „sich verstehen“. D.h.: Er muss diese geheime spirituelle Kraft sehen lernen!

V. Kapitel

Wer die Vergangenheit sucht und darin eben das wahre Bild (!), wie Benjamin sagt, erlebt, also das Bild von einst, das die damalige Wahrheit des Klassenkampfes zeigt: Der nimmt wahr: Dass dieses wahre Bild von einst (gerade als hilfreich für heute) nur „vorbeihuscht“. Es ist „ein Aufblitzen“ (im Sinne einer plötzlichen geschenkten Erkenntnis, einer Einsicht), in diesem Aufblitzen ist jedoch ist „die Vergangenheit festzuhalten“.

Ganz anders denkt die bürgerliche Geschichtsforschung, die meint über alles Vergangene fixierend ständig verfügen zu können. „Die Vergangenheit läuft ja nicht davon“, sagen die bürgerlichen Historiker, als Historismus, verstanden. Die Vergangenheit steht uns als gleichförmig fließende Zeit mit ihren vielen tausend „interessanten“ Ereignissen immer zur Verfügung, meinen diese Historiker.

Für Benjamin hingegen gilt: Jede Gegenwart muss erkennen, ob ein Bild der Vergangenheit zu meiner Gegenwart (immer im Sinne des Klassenkampfes als des Kampfes der Unterdrückten um Gerechtigkeit) „passt“. Die Gegenwart muss erkennen: Ich bin „gemeint“, wie Benjamin sagt, in dem Bild der Vergangenheit.

Jeder wird Beispiele etwa der jüngeren Geschichte, etwa der Befreiungskämpfe in Lateinamerika. finden: man wird sich des Mordes an dem Menschenrechtler Bischof Oscar Romero El Salvador erinnern, mit seinem Einsatz zugunsten der Armen. Und man wird denken, vielleicht: „Da bin ich gemeint“ als Teil der ausbeuterischen Welt….

VI. Kapitel

Diese These macht noch einmal deutlich, dass Benjamin diesen für ihn selbst so ungemein wichtigen Text schreibt „im Augenblick einer Gefahr“ (eben des Faschismus, des Krieges). Die Gefahr ist für ihn und so viele Juden, Kommunisten, Freidenker, Homosexuelle, total. Sie bedroht den Bestand der Tradition, also die Kultur. Und bedroht ist die Qualität der Religionen, und bedroht sind die Empfänger dieser Tradition, also die jetzt lebenden Menschen. Die Gefahr ist auch, dass sich Kultur und Menschen heute „zum Werkzeug der herrschenden Klasse hergeben“. Diese Haltung ist der auch heute bekannte „Konformismus“ mit den Herrschenden. Der dumme Konformismus überwältigt, zerstört die gute Tradition. Dieser Konformismus mit den Herrschenden ist für den Juden Benjamin interessanterweise das Anti-Christliche: Diesen Antichrist, so wörtlich, gilt es zu überwinden durch die Gestalt des Messias, der kommen wird. Es gilt zu beachten, dass für jüdisches Verständnis der Messias immer der kommende ist. Die reale Weltgeschichte ist total – versteckt, wie der Zwerg in Kapitel I andeutet – bezogen auf den künftigen Messias.

Nebenbei: Im Christentum ist der Messias (Jesus Christus) schon als Mensch da gewesen, hat seinen heiligen Geist in der Welt hinterlassen, so dass die Weltgeschichte immer schon prinzipiell und wesentlich Heilsgeschichte ist. Der kommende Messias ist für die Christen nur die Vollendung der schon begonnenen Heilsgeschichte.

Zu Benjamin: Es gilt, für den Historiker in seinem Sinne, so wörtlich: Funken der HOFFNUNG (!) anzufachen. Sie gelten auch den Verstorbenen, zumal sich der Feind, also die Herrschenden, selbst der Verstorbenen noch bemächtigt (das Gedächtnis auslöscht, etwa die Friedhöfe schändet…)

„Dieser Feind (der Faschismus) hat zu siegen nicht aufgehört“, so die letzten Worte dieses Kapitels VI.

VII. Kapitel

„Wir leben im Dunkel“, darauf weist das Motto am Anfang hin, von dem engen Benjamin Freund Bert Brecht.

Hier geht es noch einmal um die Geschichtsphilosophie Benjamins in seinem marxistischen Sinne. Es geht für ihn der Geschichtsforschung nicht darum, die Herrschergeschichte möglichst total zu re-konstruieren, so, wie sie selbst einmal als Herrschergeschichte für diese Herrscher war. Benjamin nennt diese Methode die Methode der Einfühlung, das hat nichts mit der psychologischen Compassion zu tun. Sondern Einfühlung ist für Benjamin nur ein anderer Begriff für das bürgerliche, hermeneutische Verfahren des Sich Hineinversetzens, des mitdenkenden Verstehens mit allen und jeden in der Vergangenheit. Benjamin vermutet, es gehe dieser Geschichtsforschung nur darum, “sich nur in den Sieger“ einzufühlen.

Diese herrschende Haltung nennt Benjamin eine träge und traurige Haltung. Wer sich dieser Geschichtsdeutung anschließt, „marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die Menschen hinwegführt, die heute am Boden liegen“. Das heißt, es kommt auf etwas ganz Anderes an: Auf eine Geschichtsdeutung, die die heute am Boden Liegenden respektiert!

Die Herrschenden haben im Kampf Beute gemacht und diese Beute schleppen sie mit sich herum. Diese Beute sind die Kulturgüter. Es sind die offiziellen, großen Kulturgüter der Mächtigen. Diese Kulturgüter werden, so Benjamin, von den historischen Materialisten, distanziert, also kritisch betrachtet. Denn diese angeblich große Kultur entstammt für Benjamin aus der Fron der Menschen, Benjamin muss mit Grauen an den Werdeprozess der Kulturgüter denken. Kulturzeugnisse sind immer auch Zeugnisse der Barbarei. (Man denke vielleicht an das Schloss in Versailles, an andere Luxus bauten heute, an die Paläste eines Mister Trump, an Kaufhäuser und Konsumtempel, an die gängige, hoch erfolgreiche Massen – Musik, Theater, Oper…

Der historische Materialist muss die Geschichte gegen den Strich bürsten. So Benjamin!

VIII. Kapitel

Wer die Geschichte betrachtet und dabei an die Unterdrückten in den Focus der Betrachtung nimmt, muss feststellen: Angesichts der permanenten Unterdrückung ist immer „Ausnahmezustand“ (die Menschenrechte werden eigentlich immer und fast überall unterdrückt). Unser Begriff der Geschichte muss zum Begriff des Ausnahmezustandes kommen (d.h. aber auch: Es sollte diesen aktuellen Zustand eigentlich nicht geben, das meint ja die „Ausnahme“). Wir müssen, fordert Benjamin, einen wirklichen Ausnahmezustand anstreben, der den Faschismus (hier wird Faschismus von Benjamin explizit eingeführt) überwindet.

Die Gegner Benjamins betrachten den Faschismus gar als Fortschritt und Norm der Geschichte…

Dann spielt Benjamin noch auf den alten Definitions-Begriff des philosophischen Staunens an, in der klassischen Philosophie ist ja bekanntlich Staunen, to taumazein, der Beginn der Philosophie. Nicht Staunen über den Faschismus heute also ist angesagt, da gibt es gar nichts zu bestaunen, da gibt es nur etwas zu verstehen und zu bekämpfen;. Mit der Erkenntnis: Der Faschismus und die Unterdrückung gehören zur Geschichte (der Herrschenden).

IX. Kapitel

Dieses Kapitel ist das berühmteste und am häufigsten zitierte aus Benjamins Werken. Und es ist das am schwierigsten, in seiner offenen Aussage zu deutende Kapitel.

Nur einige Hinweise auf das Bild vom Engel „Angelus Novus“ von Paul Klee aus dem Jahr 1920. Das Aquarell hat Benjamin als begeisterter Sammler und Kunstkenner 1921 gekauft und ist nie mehr von diesem Bild denkend und fragend losgekommen. Benjamin bietet keine kunsthistorischen Erläuterungen zu dem Bild!

Ein Engel guckt entsetzt beim Fliegen den Betrachter an.

Für Benjamin ist dies der Engel der Geschichte. Der Engel hat den Überblick über die Geschichte. Er ist sozusagen in der Rolle des Philosophen. Die haben in der Reflexion, dem „Raufschauen“ auf das Denken, den Überblick.

Der Engel/Philosoph blickt auf die Geschichte als einer Abfolge von Katastrophen. Er möchte wohl heilen und verweilen, aber der Wind aus dem Paradies, also aus dem Ursprung der Welt, treibt den Engel in die ferne Zukunft, dies ist ja das messianische Reich. Diese ferne Zukunft sieht der Engel nicht, weil er auf die Vergangenheit starrt. Und er sieht nur die Trümmer in der Geschichte.

Der Sturm vom Paradiese her, der den Engel in die ferne Zukunft treibt, also für Benjamins ins messianische Reich des Endgültigen, „dieser Sturm ist das, was wir Fortschritt nennen“. D.h.: Fortschritt ist ein vom Urzustand, dem Paradies, ausgehende Bewegung, der selbst ein Engel nicht widerstehen kann.

Im Fortschritt werden viele Trümmer erzeugt. Ist das Paradies für die Trümmer mitverantwortlich, also der Gott, der das Paradies geschaffen Hat? Fortschritt ist dann nicht mehr Tat des Menschen, wir sind dem Fortschritt als Erzeugung von Trümmern und Elend sozusagen ausgesetzt (diesem Wind ausgesetzt) und werden aber in den Endzustand getrieben. Da erwartet uns der Messias. Ein anderer, besserer Gott?

X. Kapitel

Der Gedankengang ist: „Das politische Weltkind“, also die politisch bewussten Bürger, gilt es aus der Verklammerung, aus den „Netzen“ zu lösen, in die die Faschisten das Weltkind hinein verflochten haben.

Diese Politiker folgen einem blinden Fortschrittsdenken, sprechen von Massenbasis. Alles das ist Lüge, meint Benjamin. Mit diesem herrschenden Denken der Herrschenden darf man nicht gemeinsame Sache machen, darf man nicht Komplize werden. Diese Haltung kommt dem Oppositionellen aber „teuer zu stehen“. Sie gefährdet sein Leben und das der anderen. Widerstand ist gefährlich.

Diese Denkhaltung des Marxisten nennt Benjamin Weltabgewandtheit in den ersten Sätzen des Kapitels X. D.h.: Wir müssen dieser Welt der Herrschenden entziehen und ihrem Treiben ,wie die Mönche einst, „abhold“ werden.

XI. Kapitel

Dies ist sicher eines der politisch besonders problematischen Kapitel; sicher auch von pauschaler Ungerechtigkeit Benjamins gegenüber der SPD bestimmt.

Die SPD sei konformistisch mit den Herrschenden, sagt Benjamin pauschal. Als Marxist lässt Benjamin auch 1940 nichts Gutes an der SPD. Die Kommunistische Partei, zu der er als Mitglied nie gehörte, erwähnt er nicht in ihrer taktischen Haltung; die KP Frankreichs hatte ja 1939 den Hitler Stalin Pakt unterstützt.

Jedenfalls meint Benjamin: Die SPD – Arbeiterklasse glaubt, es sei richtig, mit dem großen Strom der Herrschenden zu schwimmen, also mit den Strukturen der Herrschenden mitzutun. Durch die Fabrikarbeit würden die SPD Proletarier zum Fortschritt gelangen. Durch die Arbeit der SPD Proletarier würden Reichtum und Kultur auch für die SPD Arbeiter entstehen. Dabei wird, so behauptet Benjamin, nicht gesehen, dass diese Arbeiter keinen Anteil haben an den Produktionsmitteln. Verbesserung der Arbeit (nicht etwa Neuorganisation der Eigentumsverhältnisse) bringe ERLÖSUNG, meint für Benjamin irrtümlich Josef Dietzgen, ein SPD Philosoph (1828 bis 1888 im Exil in Chicago!).

Die DDR feierte übrigens Dietzgen! Der SPD gehe es um Ausbeutung der Natur, sie sei technokratisch, so der Marxist Benjamin.

XII. Kapitel

Noch einmal wird von Benjamin eine Abgrenzung von der SPD betrieben: Die SPD will nicht die Befreiung der unterdrückten Klassen. Benjamin behauptet, die SPD will den Arbeitern nur die Erlösung künftiger Generationen versprechen… nebenbei: Als würde die KP diese Erlösung jetzt schon realisieren. Blanqui (Louis Auguste B., 18195 – 1881 gestorben) wird von Benjamin lobend erwähnt, er war einer der ersten Theoretiker des Sozialismus in Frankreich…

Benjamin meint: In der SPD verlernte die Arbeiterklasse den Hass wie den Opferwillen, sie beziehe ihre Kraft aus dem geknechteten Vorfahren. Die SPD verspreche nur eine Erlösung künftiger Generationen, meint Benjamin. Meine Frage: Machen es denn die KPs anders? Und ist das messianische Reich nicht auch nur eine Erlösung in der fernen Zukunft? Der letzte Satz in Anhang B deutet jedoch auf etwas anderes hin.

XIII. Kapitel

Noch einmal kritisiert Benjamin die Haltung der SPD zum Fortschritt. Zu pauschal, zu dogmatisch sei dieses SPD Fortschrittsdenken. Darin zeigt sich der Gedanke einer ständig ganz nach vorn dringenden Kraft, einer Geschichte als einer Linie nach vorn. Dies ist für Benjamin eine homogene, das heißt gleichmäßig gemachte Zeit und Geschichte, die keine Höhepunkte kennt, und deswegen „leer“ ist, also bedeutungslos für ihn ist.

Diese Deutung muss die materialistische Geschichtsdeutung überwinden!

XIV. Kapitel

Jetzt kommt Benjamin zu seiner eigenen Sache, zu seiner Deutung der Geschichte!

Für ihn wird Geschichte heute KONSTRUIERT, diese Geschichtsdeutung geht aus von dem JETZT. Da wird aus dem Kontinuum der Geschichte, vom Jetzt ausgehend, Wichtiges und Hilfreiches, für das JETZT „HERAUSGESPRENGT“, so wörtlich.

(Robespierre sprengte für sein Revolutionsverständnis das Bild vom antiken Rom heraus, meint Benjamin).

Man muss das Aktuell – Hilfreiche in der Geschichte „wittern“. Man muss in die Geschichte wie mit einem Tigersprung reinspringen und sich das Wichtige entreißen. Solch ein Sprung ist die Revolution.

XV. Kapitel

Es gilt das von den Herrschern suggerierte gleichmäßig dahin strömende „Kontinuum der Geschichte aufzusprengen. Wenn das geschieht, dann geschieht die revolutionäre Aktion.

Dann werden neue Zeitrechnungen eingeführt. In der Juli Revolution in Frankreich 1830 wurde auf die Uhren geschossen, um das Erlebnis großer Zeit deutlich zu machen, einer Zeit, die man festhalten will.

XVI. Kapitel

Stillstand ist ein merkwürdiges, aber das entscheidende Wort:

Benjamin meint, die Geschichte komme im JETZT, dem Kairos, zu einem Stillstand, nur so kann das messianische Element gesehen werden. Gegenwart ist eine neue Dimension, man möchte sagen eine Dimension der Heils-Zeit. Darauf kann der historische Materialist, also der Marxist, nicht verzichten.

Es geht Benjamin um den in seinem Sinne positiven und notwendigen Stillstand der Zeit. Der Stillstand der Zeit ist Gegenwart. Das so beliebige und immer wieder zitierbare „Es war einmal“ als allgemeine Erinnerung gilt nicht mehr. Das Kontinuum der Geschichte wird aufgesprengt, es wird die wesentliche Vergangenheit sozusagen vor Augen gehalten.

XVII. Kapitel

Ich sprenge das in der Not Wichtige für mich heraus aus der Geschichte. Darin ist alles „aufbewahrt und aufgehoben“….

Noch einmal setzt sich Benjamin von der bürgerlichen Geschichtsforschung, Historismus genannt, ab. In dieser fließt alles in die ewige Zukunft dahin und alles ist gleich – gültig, alles ist gleich viel wert. Der historische Materialist wählt aus, er wählt aus der Geschichte Wesentliches aus. Er legt die Elemente, die für ihn wichtig sind, dann förmlich still. Da wird im Sinne Benjamins dann Wichtiges aus „dem homogenen Geschichtsverlauf heraus gesprengt“, ein bestimmtes Leben wird aus dem Geschichtsverlauf herausgesprengt. Darin kann sich dann das Wesentliche eines Geschichtsverlaufes sammeln.

XVIII. Kapitel

In der Jetzt-Zeit kann die Geschichte der ganzen Menschheit versammelt werden. Es gibt eine Gesamtfigur der Geschichte, die die ganze Geschichte der Menschheit zusammenfasst. Dies aber in der Endzeit, der Messianischen Zeit.

Im Anhang A wird nochmals die historistische Geschichtsdeutung abgelehnt; da werden, so meint Benjamin, alle Begebenheiten gleichförmig. Daran sieht man, wie wichtig für Benjamin der neue Umgang mit Geschichte ist!

 Im Anhang B wird unterstrichen, dass die authentische jüdische Haltung nicht die Zukunft in allen Details wissen will. Also nichts Genaues über die Zukunft, messianische Zeit usw., wissen will. Da braucht man keine detaillierten Kenntnisse des absolut endgültig Zukünftigen

Dann folgt eine schöne, trostreiche Einsicht für alle: Keine Zeit ist eine total messiasferne Zeit! „Vielmehr ist jede Sekunde der Jetztzeit „eine kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“. D.h. immer kann der Messias kommen.

Einige Aphorismen von Walter Benjamin…

„Der Ernährer aller Menschen ist Gott. Und der Staat ihr Unterernährer“.

„Menschen suchen das ewige Reisen. Sie sind Melancholiker, da sie die Berührung mit der Muttererde (zu Hause) scheuen…“

Im „Kaiserpanorama“:
„Die Leute haben ihre Privatinteressen an erster Stelle, folgen aber dem Massentrend.

Oder:„Die Freiheit des Gespräches geht verloren….unabwendbar drängt sich in jede gesellige Unterhaltung das Thema… des Geldes“

Im ganzen sieht Benjamin: Die Menschen wollen das alte, längst verlorene Leben starr erhalten, sie sehen nicht die Gefahren; es gibt eine Ohnmacht, einen Verfall des Intellekts.

Es gilt, die messianischen (d.h. die erlösenden) Momente in der Geschichte wahrzunehmen: “Die Elemente des Endzustands liegen nicht als gestaltlose Fortschrittstendenz zutage, sondern sind als gefährdeste Schöpfungen und Gedanken tief in jeder Gegenwart eingebettet.”

Sehr interessant der Unterschied zwischen einer Spur (etwa auf einem Weg) und der Aura einer Sache: In dem unvollendetem „Passagenwerk“ stellt Benjamin Aura und Spur gegeneinander: „Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.