Ein Katholik wird “ungläubig”: Reinhold Schneider vor 60 Jahren gestorben

Vor 60 Jahren, am 6.4.1958, dem Ostersonntag,  ist der Schriftsteller Reinhold Schneider in Freiburg i.Br. gestorben.

Ich habe an Schneider erinnert, als Glaubenden, der als Glaubender aus dem Glauben heraus geführt wurde in eine Gott- Ferne, die man mystischen Atheismus nennen könnte, wenn man überhaupt “Einordnungen” mag… Von diesen Tiefen – Erfahrungen  handelt sein letztes Buch “Winter in Wien”. Inzwischen sind die freundlichen Stellungnahmen von Heinrich Böll über Schneider wieder ins allgemeine Bewusstsein gekommen. Klar istnun einmal mehr: Reinhold Schneider, der Pazifist, wurde auch von der Klerus-Kirche nach 1945 kaputt gemacht, die keine Hemmungen kannte, für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik einzutreten. Die Gestalt des Nazi – Bischof Gröber in Freiburg wurde dabei klerikal oft und gern übersehen.

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Prof. Herbert Schnädelbach entgegnet Manfred Lütz

Herbert Schnädelbach: Die Anatomie eines Vorworts, oder: Wie lanciert man einen Bestseller ?

Bemerkungen zu: Manfred Lütz, Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums, Freiburg/Berlin (Herder) 2018.

[Der Text des Vorworts erschien unter dem Titel ‘Die Religion, die niemand kennt’ am 25.2.2018 in der WELT AM SONNTAG]

Das Wichtigste für einen strategisch geplanten Bestseller ist der Buchtitel; er muss neugierig machen auf etwas Aufregendes und radikal Neues. “Der Skandal aller Skandale” ist so ein Titel. ‘Skandal’ hätte ja schon genügt, aber nein: es muss ein Superlativ her, also der Skandalöseste aller Skandale. Dieser Superskandal wird mit einem weiteren Superlativ beschworen, mit der Behauptung im Vorwort, das Christentum sei “die unbekannteste Religion der westlichen Welt”; da möchte man fragen, welche Religion hierzulande weniger unbekannt sein soll. Der nachdenkliche Leser wird sicher bezweifeln, dass es sich überhaupt um einen Skandal handelte, wäre das Christentum wirklich so wenig bekannt, wie der Verfasser behauptet; es gibt doch in unserer Zeit andere Skandale genug und darunter alternative Kandidaten für den Titel ‘Skandal aller Skandale’. Der berühmte “Mann auf der Straße” wird bestenfalls mit der Achsel zucken, wenn er gefragt wird, wie er es findet, dass das Christentum so wenig bekannt ist. Er wird es sicher bedauern, denn schließlich sei die Religion wichtig für die Moral und für die soziale Wohlfahrt, aber einen Skandal wird er dies sicher nicht nennen. Die Lützsche Skandalrhetorik jedoch entlarvt den Verfasser als einen höchst engagierten Religionspolitiker, der vor keiner Übertreibung zurückschreckt, und der sich erst zufrieden gibt, wenn er verbal das Skandalmaximum erreicht hat

Für Manfred Lütz ist das Christentum “die Religion, die niemand kennt”, wie es beim Zeitungsabdruck des Vorworts seines Buches heißt. Diese in einer Gesellschaft von Millionen Kirchenmitgliedern geradezu absurde These begründet er nicht mit einem “Mangel”, sondern mit einer “Überfülle an Informationen”, die aber “gewöhnlich eine merkwürdige Eigenart” hätten, nämlich die, “grotesk falsch” zu sein. Wie ein Verschwörungstheoretiker beschwört er die angeblich totale Unkenntnis des Publikums in religiösen Dingen und führt sie auf vorherrschende Desinformation zurück, ohne freilich hinzuzufügen, wer dafür verantwortlich sein könnte. Mit dieser Frage hält sich dieser Autor aber nicht auf, sondern er verspricht sofortige Abhilfe; wie ein Enthüllungsjournalist beansprucht er, “die geheime Geschichte des Christentums” endlich aufzudecken und wahrheitsgemäß zu erzählen. Tatsächlich sei diese Geschichte nur als Skandalgeschichte präsent; die Gräuel der Kreuzzüge, der Inquisition, der Hexenprozesse und der Christianisierung der Kolonien dienten dabei als Grundlage für Auffassungen vom Christentum, die allgemein für wahr gehalten werden. Was hier tatsächlich für wahr gehalten wird, möge die Meinungsforschung klären, aber darum kümmert sich Manfred Lütz nicht; schließlich besitzt er dafür einen Kronzeugen, nämlich den “hochgebildeten Menschen…Herbert Schnädelbach”. Dieser “namhafte Philosoph” habe mit seinem “aufsehenerregenden Text aus dem Jahr 2000 mit dem Titel ‘Der Fluch des Christentums’ ein “Todesurteil” über diese Religion gefällt. Dabei argumentierte er nicht theologisch, sondern “fast ausschließlich geschichtlich”. Er bezog sich dabei nicht auf “irgendwelche historische Studien, sondern er konnte sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens über die skandalöse Christentumsgeschichte stützen”. Was er davon anführte, “präsentierte er unbefangen als genauso unbestreitbar” wie unsere Überzeugungen über den Mond oder den Mount Everest, und so drückte jener Text nur “prägnant aus, was ohnehin alle dachten.”

Wie man einen Philosophen “hochgebildet” nennen kann, der ohne eigene Recherche nur wiedergibt, was “ohnehin alle” denken, ist das Geheimnis von Manfred Lütz. Tatsächlich ist der genannte Artikel ‘Der Fluch des Christentums’ denkbar ungeeignet als Beleg für christentumsfeindliche Skandalgeschichte, die Lütz überall am Werke sieht; vielmehr distanzierte sich sein Verfasser damals gleich zu Beginn des Textes von einer solchen Sichtweise. Es ging ihm nicht um die Hinrichtung des Christentums durch ein “Todesurteil”, sondern um eine Analyse der verhängnisvollen kulturgeschichtlichen Wirkungen, die durch die Ablösung des entstehenden Christentums vom Judentum in die Welt gekommen sind. Diese “Geburtsfehler” erzeugten schwere Hypotheken für unsere europäische Kultur – vor allem die Erbsündenlehre, die blutige Opfertheologie und die schreckliche Eschatologie – die durch die neuzeitliche Aufklärung in mühsamen Schritten abgetragen werden mussten. An diesem Prozess war die christliche Theologie selbst beteiligt, denn sie hatte seit ihren Anfängen immer auch Aufklärung betrieben. Weil es dabei immer auch um die Substanz des christlichen Glaubens ging, kann man an dieser Stelle von einer Selbstauflösung des Christentums durch Aufklärung sprechen. Die forderte einen hohen Preis – den der zunehmenden theologischen Entleerung des spezifisch Christlichen und seiner anwachsenden Bedeutungslosigkeit für den Alltag in der modernen Welt. Die Überlebenschancen des heutigen Christentums lassen sich sicher nicht durch skandalgeschichtliche Gegenrechnungen verbessern, sondern bestenfalls durch die nüchterne Einsicht, dass es auf dem besten Wege ist, sich selbst abzuschaffen. Der Text schließt mit der Vermutung, dass dieser Vorgang sich schließlich als segensreich erweisen könnte.

Manfred Lütz erzählt dann, wie Schnädelbach genötigt wurde, “sich zu korrigieren”, was er im Sinn seiner Skandalrhetorik als “spektakulär und völlig unerwartet” bezeichnet.(Warum eigentlich ?) Es seien die Gründlichkeit und die Qualität des wissenschaftlichen Werkes ‘Toleranz und Gewalt’ (2007) von Arnold Angenendt gewesen, die Schnädelbach nach seinem eigenen Zeugnis zum Umdenken gebracht hätten. Da jener Artikel gar keine Skandalgeschichte enthalten hatte, brauchte sich sein Autor freilich auch nicht davon zu distanzieren; die Bemerkung, die Lütz wörtlich zitiert, betrifft nur “einige optische Verzerrungen in meinem Rückblick”, und die bezogen sich im Zusammenhang des damaligen Briefes vor allem auf das Problem der gewalterzeugenden Intoleranz in der christlichen Tradition. Die übrigen Themen des Textes blieben davon fast unberührt.

Skandaltitel genügen freilich nicht, um einen Bestseller zu lancieren; das war auch nicht der Fall bei anderen Kandidaten von Manfred Lütz: “Irre. Wir behandeln die Falschen” und von “Bluff! Die Fälschung der Welt”. Man benötigt den Nachweis von Seriosität und Reputation, von Autoritäten, auf die man sich berufen kann, vor allem aber die Sicherung der Wissenchaftlichkeit; kein Skandalautor kommt ohne dies aus. Lütz nennt nicht weniger als vier bekannte Historiker und einen Theologen, die er habe sein Werk “lesen lassen”, “damit alles stimmt”. (Man beachte: Manfred Lütz lässt lesen !) Er fährt fort: “Und wie üblich hat es mein Friseur kontrolliert, damit alles allgemeinverständlich, locker und lesbar bleibt.” Dieses eindrucksvolle Kontrollgremium wird freilich in den Schatten gestellt durch die alles überragende Autorität des “international renommierten Historikers” Arnold Angenendt, an der tatsächlich nicht zu zweifeln ist; sein großes Werk “Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert” (2007, 6. Auflage 2012), dessen Entstehung nach eigenem Zeugnis durch Schnädelbachs ZEIT-Artikel angeregt wurde, ist die Grundlage alles dessen, was Manfred Lütz in seiner revidierten Christentumsgeschichte vorzubringen hat. Sein Buch enthält in der Tat nichts anderes als den in erzählende Prosa übersetzten Gehalt des Angenendtschen Buches; es soll dessen “entscheidende Ergebnisse…einer breiteren Öffentlichkeit in lesbarer Form zugänglich machen”. Dazu heißt es: “Ich habe den Text verfasst, aber die historisch wissenschaftliche Substanz dieses Buches verdankt sich zu einem guten Teil Prof. Dr. Dr. h.c. Arnold Angenendt und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die dafür gesorgt haben, dass dieses Buch noch über “Toleranz und Gewalt” hinaus den neuesten Stand historischer Forschung vermittelt.”

Es handelt sich somit nicht um eine Übersetzung, sondern um den Transfer eines Buches von einer Buchgattung in eine andere; trotz der eindrucksvollen Schrumpfung des ursprünglichen Umfangs von 800 auf 287 Druckseiten soll der Gehalt gleichgeblieben sein. Diesem Übergang ist der gesamte wissenschaftliche Apparat zum Opfer gefallen; abgesehen von einigen eignen Einzelnachweisen wird man stattdessen auf die Originalfassung verwiesen, wo alles im Einzelnen nachprüfbar sein soll. Der so nachdrücklich erhobene Wissenschaftlichkeitsanspruch ist somit für den durchschnittlichen Leser einer auf Treu und Glauben, es sei denn, er macht sich die Arbeit und legt, wenn ihn Zweifel plagen, das Original von Angenendt und die Lützsche Version wirklich nebeneinander. Diese entschlossene Auslagerung jeglicher Kontrollmöglichkeit soll das Buch zusätzlich unangreifbar machen – über die leere Beschwörung der wissenschaftlichen Reputation des ursprünglichen Autors hinaus. Und dann stellt sich die Frage nach der Autorschaft: Ist Manfred Lütz wirklich der Autor dieses Buches, sondern nicht vielmehr nur der Hersteller der Paraphrase eines anderen Buches, dessen Autor Arnold Angenendt heißt ? Man erfährt: “Gewisse Texte sind aus “Toleranz und Gewalt” übernommen, aber völlig neu zusammengestellt”. Damit wird verschleiert, was es mit der tatsächlichen Autorschaft auf sich hat. (Der Verlagsprospekt des Herder-Verlags spricht deshalb an dieser Stelle auch nur von “wissenschaftlicher Mitarbeit”.) Man braucht nur wenige Seiten des Buchtextes zu lesen. um sicher zu sein, dass der kurzweilige und zuweilen flapsige Erzählton von Lütz nicht der wissenschaftliche Sprachgestus von Angenendt sein kann.

Skandalrhetorik, erborgtes Renommee und fremde Federn der Wissenschaftlichkeit – damit kann der Bestseller gestartet werden.

(Der Artikel ‘Der Fluch des Christentums’ ist nach wie vor im Internet verfügbar.)

Hans Blumenberg und die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach

Ein Hinweis von Christian Modehn (ergänzt am 26.6.2020)

Hans Blumenberg (1920 bis 1996) ist ein sehr „vielschichtiger“, gerade darin aber ein sehr anregender Philosoph. Auch wenn er in einer Distanz zur christlichen Religion und zu den Kirchen lebte: Die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach war ihm wichtig.
Der Text der Matthäuspassion, das Gottesbild, das da erscheint, ist Blumenberg sehr befremdlich. Darüber hat er 1988 ein recht umfangreiches Buch, eine Art „Meditation“, veröffentlicht (bei Suhrkamp). Die Bibel-Sprüche und Texte der Arien usw. aus der “Matthäuspassion” Bachs sind ihm, dem modernen, kritischen, aber für grundlegende Sinnfragen sehr aufgeschlossenen Hörer letztlich kaum erträglich. Blumenberg deutet die Botschaft der Matthäus-Passion als traurige, irritierende abstoßende Botschaft. Sie enthält den unerträglichen Gedanken, dass Gott seinen eigenen Sohn aufopfert in dem grausigen Tod. “Sonst verlassen die Söhne die Väter. Dieses Mal lässt der Vater den Sohn in dem Elend, das er ihm auferlegt hat”(S. 249). Und mit dem Schrei Jesu am Kreuz “Mein Gott, warum hast du mich verlassen?” deute Jesus an, meint Blumenberg: Gott selbst ist in dem Moment gestorben..

ABER: Der heutige Hörer der Matthäus-Passion Blumenberg kann, trotz dieser Einwände, die Matthäuspassion doch noch hören und schätzen lernen. Er kann die Texte als Metaphern verstehen. Und allein durch die Musik wird der Hörer bewegt. Er kommt selbst z.B. in eine eigene Stimmung des eigenen Leidens und Mitleidens. Er wird in eine Schwebesituation geführt. Musik bringt etwas zum Tönen, was Blumenberg ergreifend/tröstlich findet. Es gibt für ihn diese transzendierende Erfahrung. Franz Josef Wetz schreibt in seiner Blumenberg Studie (Junius Verlag, Hamburg, 2011,S 64): “Sie (die Matthäuspassion Bachs) mache das Unerträgliche erträglicher und tröste den Menschen selbst dann noch, wenn die Auferstehung Christi niemals stattgefunden haben sollte… Die Musik sei so stark, dass sie den Menschen selbst über den Verlust dieses Trostes hinwegzutrösten vermöge”.

Zu diesen Einsichten kommt aber Blumenberg, indem er die historisch kritische Bibelwissenschaft eigentlich ablehnt und in der unmittelbaren Reflexion auf die Bibeltexte seine eigenen, sehr persönlichen Einsichten gewinnt. Eine ungewöhnliche Bibellektüre, die eigene Fragen aufwirft. Der Philosoph Franz Josef Wetz hat in seinen Blumenberg-Studie den sehr eigenwilligen Umgang des kirchenkritischen, aber religiös “suchenden” Philosophen mit den Texten der Bibel treffend beschrieben: “Geradezu ratlos steht man vor seiner (Blumenbergs) gewaltsamen Auslegung biblischer Texte …und dann diese werkwürdigen Exegesen und irrationalistischen Erzählungen im schlechtesten Sinn des Wortes” (S. 64 f.) Wetz bezieht sich dabei etwa auf eher esoterisch wirkende Vorstellungen Blumenbergs von einer misslungenen Schöpfung, also einem letztlich unvollkommenen Gott…

Aber es bleibt wohl dabei: Über die Ästhetik der Musik allein findet der Mensch einen Halt, selbst in einer Matthäus-Passion, deren Texte sehr fremd erscheinen.
Nebenbei gefragt: Wie viele Gläubige und Ungläubige weinen beim Hören der Matthäuspassion oder der Johannespassion? Entsprechende “Geständnisse” sind bekannt. Was bedeutet diese Sprache der Tränen? Wird ein Verlust beweint? Was aber hat man vor dem Verlust im Umgang mit den Texten erlebt? Was hat den Menschen zum Abschied von diesen Texten, diesen Inhalten, geführt, zu einem Abschied, den der Mensch jetzt als Verlust erlebt? Eine Rückkehr in die alte Glaubenswelt war für Blumenberg ausgeschlossen, für ihn, der zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn noch die klassische katholische Scholastik kannte und mitvollzogen hatte. Der alte Glaube gehörte für ihn zu einer “alten Welt” mit einem alten, im Sinne des nicht mehr erträglichen Weltbildes. Dieser Sprung in die “alte Welt” war ihm – wie vielen anderen – nicht möglich. Wäre Blumenberg der Glaubenswelt der Kirche verbunden geblieben, wenn diese Glaubenswelt reformiert und “modernisiert” wäre? (Nebenbei zum Thema Tränen: Der Philosoph Herbert Schnädelbach hat in seinem Aufsatz “Der fromme Atheist” darauf hingewiesen, dass ein “frommer Atheist” – also er selbst – etwa den Schlusschoral der Johannes-Passion von Bach “nicht anzuhören vermag, ohne mit den Tränen zu kämpfen. Was sich da einstellt, ist eine Mischung aus Trauer und Wut, dass das alles (also die kirchliche Botschaft, CM) nicht wahr ist” (Herbert Schnädelbach, Religion in der Moderne, 2009, S. 80).

Die Frage aber bleibt: Sollen Gläubige und Ungläubige sich der Tränen beim Hören von Bach schämen? Bitte nicht! Vielleicht ist das (gemeinsame) stille (ungetröstete ?) Weinen eine sonderbare Form eines momenthaften, verbal gar nicht artikulerten „Halt gefunden haben“? Darüber wird kaum gesprochen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Philosophie in Deutschland in der Krise?

Ein Ortswechsel der Philosophen könnte der Beginn einer Besserung sein.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Krise „der“ Philosophie in Deutschland, wie sie Wolfram Eilenberger in “DIE ZEIT” vom 1.3. 2018 (S. 69), unter dem Titel “Wattiertes Denken” sogar wörtlich als „desolaten Zustand“, beschreibt, ist meines Erachtens etwas übertrieben. Er erwähnt ja selbst zwei relativ neue und noch nicht pleite gegangene philosophische Zeitschriften (- Magazine) in Deutschland; vergisst dabei leider die schon seit langem sehr wertvolle und rundum philosophische Zeitschrift “Der blaue Reiter“. Philosophische Autoren, viel gelesen, wie Wilhelm Schmid, erwähnt er namentlich nicht. Er denkt dabei wohl an seinen Begriff des „Populärphilosophischen“, und muss zugeben, dass diese Populärphilosophen, zu denen er offenbar sich selbst gar nicht rechnet, zu den Bestseller Autoren gehören. Gibt es also einen gewissen Hunger auf Philosophie? Gewiss! Denn die Fragen und Antworten der Religionen und Kirchen interessieren immer weniger Menschen, weil die Vertreter dieser Religionen argumentativ oft nicht erklären können, wo sich Göttliches im Leben zeigt. Und viele halbwegs Gesunde haben nach 100  psychotherapeutischen Sitzungen auch Lust, etwas anderes, eben Philosophie, die Fähigkeit des Selberdenkens, zu erleben. Die Frage nach dem Sinn meines Lebens ist eine philosophische Frage, über die man gern mit Philosophen diskutieren würde… Auch erwähnt Eilenberger nicht die wöchentliche Sendung „Philosophie“ auf ARTE usw. Bedauerlich ist vor allem dies: Dass er nicht erwähnt, obwohl er es weiß aus seiner früheren Zeit als Chefredakteur des Philosophie Magazin: Es gibt sehr viele philosophische Gesprächskreise (Philosophische Salons etc.) im ganzen Land und überall in Europa und Amerika! Er hätte ja nicht gleich vom Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin sprechen müssen, den es als private Initiative, ohne jeglichen öffentlichen Zuschuss etc., seit 11 Jahren gibt. Der TIP, das Berliner Stadtmagazin, hat den “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin” kürzlich etwas ausführlicher erwähnt. Die philosophischen „Cafés“ sind ja bekanntlich eine Erfindung (1992) des Philosophen Marc Sautet in Paris (Café des Phares, direkt an der Bastille gelegen!) .

Dennoch ist die Frage von Eilenberger interessant: Warum spielen Philosophen heute in der Öffentlichkeit keine große Rolle? Ob das so stimmt, ist eine weitere Frage, wenn man doch an die gelegentliche Medienpräsenz etwa Frankfurter Philosophen oder von Dieter Thomä von St. Gallen denkt usw. Aber Eilenberger hat im ganzen wohl recht: Die großen Namen der großen Philosophen fehlen, die sechziger und siebziger Jahre sind vorbei, als etwa die Bücher von Karl Jaspers noch stapelweise verkauft wurden. Die Frage ist natürlich: Wem nützen die großen Namen und die angeblich sehr bedeutenden Köpfe? Sicher ist: Der Kult der großen Namen in der Philosophie ist, durch die heutige (auf Massen hin orientierte) Kultur vorbei, es gibt sehr viele hochinteressante, aber nicht weltberühmte Philosophen, viele gute und bis mittelsprächtige. Und das ist zunächst als Ausdruck des kulturellen Wandels zu verstehen. Sehr berühmte Musiker mag es immer geben, etwas berühmte Philosophen gibt es auch jetzt.

Gemeinsam ist den meisten, und das ist gelinde gesagt ein „Problem“ (ich hätte am liebsten angesichts der Traditionen der Philosophien im „alten Griechenland“ gesagt eine „Schande“): Diese Herren und oft auch Damen Dr. phil., Dozenten, Professoren etc.  haben eine unbremsbare Lust daran, sich ultra kompliziert auszudrücken. Man könnte denken, damit möchten sie eine gewisse öffentliche Bedeutungslosigkeit kompensieren. In Frankreich ist es noch heftiger: Dort muss ein Philosoph förmlich sehr absolut unverständlich und esoterisch schreiben, um als Philosoph öffentliche Anerkennung etwa in “Le Monde” zu finden. Die Leser sollen staunen, von welcher „Geburt“ denn etwa Foucault gerade redete, leider sprach er nicht von der Geburt der Kirche aus dem Geist des Maskulinen…Vorbei sind offenbar in Frankreich die Zeiten von Camus oder Voltaire.

Durch ihre höchst komplexe Sprache, die keineswegs immer sachlich notwendig ist, bauen die Philosophen selbst unheimliche Barrieren. Ausnahme: Michael Hampe, Zürich, zum Beispiel. Mit anderenWorten: An der Krise der Philosophie, ja an ihrem möglicherweise desolaten Zustand, wie Eilenberger sagt, sind die PhilosophInnen auch selbst schuld. Philosophie ist im eben keine höhere Mathematik und keine Astrophysik, keine Immunforschung usw.. Diese Wissenschaften müssen von ihrer Sache her notwendigerweise kompliziert sein, sie können nicht für den “Mann auf der Straße” sofort verständlich sein.

Anders die Philosophie, die ja eigentlich niemals eine „strenge Wissenschaft“ sein kann und sein will, von der Logik als Philosophie vielleicht abgesehen. Philosophie hat in ihrer bleibenden Bindung an das alte Griechenland und Rom eben sehr viel mit dem Mann und der Frau auf der Straße zu tun. Mit der Agora, dem öffentlichen Disput auf öffentlichen Orten! Also mit Sokrates. Er wurde nie zum ersten “philosophischen Heiligen” erklärt…

Das Desaster der Philosophie in Deutschland ist vor allem die Fixierung auf den engen Raum der Universität. Philosophen hocken in ihren Bibliotheken und brüten immer neue Themen aus, oft sind es alte Themen (warum nicht mal wieder, zum geschätzten 100. Mal,  ein „Vergleich der Wissenschaftslehren von Fichte“ oder „Was meint Heidegger eigentlich mit seinem Gestell?“) Solche ironischen Fragen zu stellen, hat nichts mit Banausentum zu tun. Es geht schlicht um die Frage der öffentlichen (!) Relevanz der Philosophien. Man könnte heulen, wenn Philosophen in Lateinamerika in den Universitäten vorwiegend den deutschen Idealismus vortragen (nichts gegen Kant!) und nicht analysieren: Was ist Korruption? Was ist öffentlich zugelassene Verelendung der Massen usw. In Europa würde mich interessieren, wie viele hundert Dissertationen und Habilitationen über Heidegger seit 1945 verfasst wurden: Und ich würde die obszöne Frage stellen: Cui Bono? Der Öffentlichkeit sicher nicht. Bestimmt nicht wurde durch so viel Fleiß zu “Meister Heidegger” der Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins gedient; bestimmt nichts zur Überwindung von Rassismus und Antisemitismus wurde getan. Hätten diese Philosophen doch lieber die Ethik von Kant vielen Menschen, dem Mann auf der Straße,  erklärt oder die Tugend – Ethiken usw. Mit anderen Worten: Viele dieser sicher spekulativ anspruchsvollen und sprachlich hoch komplexen Studien haben den Büchermarkt bereichert, aber nur wenige zum Selber – Denken, also zum eigenen Philosophieren, veranlasst. Denn das ist ja im Unterschied zur Astrophysik die Sache der Philosophie: Nicht jeder kann Astrophysiker werden, aber jeder und jede kann Philosophieren lernen und die je eigene Philosophie leben. Klar ist also: Der messbare und irgendwie auch hilfreich – orientierende Beitrag so vieler Heidegger – Deutungen über das Seyn statt das Sein oder die Vierung oder „das Göttern“ ist wohl äußerst gering.

Will also Philosophie wieder relevant werden, in dieser tiefen Krise der Menschheit heute (Ökologie, Krieg, zugelassenes Massensterben, Ertrinken der unerwünschten Flüchtlinge im Mittelmeer, Zulassen von immer mehr Armen in den reichen Städten Europas und so weiter), muss sie diese brennenden Fragen aufgreifen. Und sie muss diese dringenden Fragen da besprechen, wo diese Frage auftauchen: An der Basis eben, unter den Leuten, in den Cafés, den Wohnheimen, den Asylen, den Kulturzentren, den Kirchen und Moscheen usw. Aber auch unter Politikern und Bankern. Und diesen Herren eben nicht beruhigend zu Munde reden, sondern sie mit ein paar Thesen von Karl Marx vertraut machen. Philosophen sollten unter den Menschen sein. Und der Staat hätte bei aller Förderung der etablierten Kultur die dringende Pflicht und Schuldigkeit, auch Philosophie an der Basis, an den beschriebenen Orten, ohne jede ideologiche Vorgabe zu fördern. Wäre das nicht einmal ein Thema für Frau Grütters?? Konkret: Der Staat sollte auch philosophische Gesprächskreise finanziell fördern und die vielen offenbar auch arbeitslosen jungen Philosophen zu einer anständigen Bezahlung verhelfen in diesen neuen Orten des Philosophierens. Philosophie als öffentliche Kultur verdient genauso viel öffentliche Förderung wie diese ewigen Wagner Opern in Bayreuth, um nur eines von vielen tausend anderen Beispiel zu nennen. Philosophie ist ja nicht neidisch auf das, was Kunst und Museen, Opern, Konzerthäusern und Literaturhäusern und Literaturfestival alles an Unsummen von Geld so überwiesen wird. Aber Philosophie verdient endlich viel mehr Aufmerksamkeit und Förderung. Philosophieren kakann Demokratie fördern, weil sie im Dienst umfassender aufklärung steht. Der Beitrag von Herrn Eilenberger ist da eher kontraproduktiv…

Eine bzw. treffender viele neue Philosophien also! Dann könnte ein Wechselspiel von Praxis und Theorie entstehen. Wie würde denn eine Philosophie von und mit Obdachlosen aussehen? Von Leuten der TAFEL? Von ausgepowerten Krankenschwestern und Altenpflegern? In diesen Kreisen werden sich junge Philosophen bewegen, hören und zuhören, elementare Fragen stellen, vorsichtige Antworten geben, die Mut zu Überleben machen.

Die Krise der Philosophie in Deutschland und anderswo ist also auch und meines Erachtens vor allem eine Krise des Ortes und der Plätze, auf denen sich Philosophen philosophisch aufhalten und fragen und denken und schreiben. Vielleicht wäre dies ein Beitrag zum 50 Jahre Jubiläum des Mai 68: Philosophen: Raus aus den Unis! „PhilosophInnen hört und fragt an der Basis, und kehrt dann mit neuen Themen wieder in die Unis zurück“. Eine spannende Dialektik könnte entstehen.

Damit man mich richtig versteht: Ich habe nichts gegen die akademische und universitäre Arbeit der Philosophen in Deutschland und anderswo. Ich plädiere “nur“ für eine dringende Vertiefung und Verbreiterung ihres Denkens durch unmittelbares Mitleben und Mitdenken an der so vielfältigen Basis. Dieser Basis-Bezug als ORTSWECHSEL führt aus dem von Herrn Eilenberger behaupteten „desolaten Zustan“ sicherlich  heraus. Das Lamentieren hätte ein Ende. Es wäre auch die Wiedergewinnung einer „griechischen und römischen“ Kulturen der Philosophien seit Platon. Man lese bitte die Bücher des großen Pierre Hadot. Und in der philosophischen Ausbildung an der Uni würden diese praktischen Einsätze der Philosophinnen selbst Thema, in Seminaren und Vorlesungen. Vielleicht würden so einige kleine “Sokrates” ausgebildet…

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Wer heute Heimat sagt, meint die Nation

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. In letzter Zeit wird in Deutschland wieder heftig und häufig von Heimat gesprochen und für das (deutsche) Recht auf Heimat eingetreten! Bezeichnenderweise seit 2017. Nach Ankunft der Flüchtlinge wurde gleich unterstellt, die Flüchtlinge aus Afghanistan oder Syrien hätten ihre „Heimat verlassen“: Da wurde mit dem Wort Heimat die übliche Assoziation geweckt: Sie hätten im Grunde doch wohlbehütete Regionen voller Freundlichkeit und Wonne verlassen, also Heimat im emphatischen deutschen Sinne. Sozusagen den mit Heimat meist imaginierten „Brunnen vor dem Tore“ des Romantikers Wilhelm Müller. Nur: Kann es Heimat mit dem „Brunnen vor dem Tore“ jetzt in Kabul oder Aleppo geben? Nein, die Flüchtlinge haben ihr Herkunftsland verlassen, um sich aus dem tödlichen Chaos dort zu retten. Wer von vornherein den Flüchtlingen den so tief traurigen Verlust ihrer Heimat unterstellt, will sie am liebsten gleich wieder in die doch hübsche, sichere, eigene Heimat Syriens, des Irak usw. wieder zurückschicken. Denn lieber Flüchtling: „Dein ständiges Leben in dieser deiner Heimat ist dein gutes Recht!“ Übersehen wird: Ehe dieses Chaos dort wieder einmal Heimat werden kann, vergehen Jahrzehnte bei dem Tempo einer angeblich auf Frieden bedachten (Welt)

Politik. Wichtiger aber ist in dem deutschen Argument: Auch meine Heimat ist mein gutes Recht! Meinen wunderbaren Ort mit meinem relativen Luxus und den Restbeständen eines Sozialstaates lasse ich mir doch nicht von euch Flüchtlingen und Fremden (und Muslims obendrein) nehmen.

2.

Der Begriff Heimat wird also jetzt propagiert und mit bestimmten präzisen politischen Interessen beladen, voller Ideologie und versteckten Ressentiments. Auch der kurz vor dem Hungertod stehende Afrikaner in seiner Heimat Tschad möge doch in dem chaotischen Wüstenstaat als seinem Zuhause bleiben, weil er doch in seiner Heimat „groß geworden“ ist. Dass er dort verhungert, finden wir Europäer alle schlimm, sagen das auch, tun aber tatsächlich Wirksames nichts dagegen. Eher geben wir unser Geld für Libyen aus, wo die Flüchtlinge aus Afrika wie Sklaven missbraucht werden. Aber die verbrecherischen Verhältnisse in Libyen halten jedenfalls die Fremden fern…

Heimat, so meint man in Deutschland, sei nun einmal die Region, in der Menschen geboren wurde. Der Wechsel in andere „Heimaten“ wird so ausgeschlossen. Nur DDR Deutschen wurde bis zum Mauerbau schweren Herzens in der BRD eine neue, antikommunistisch glänzende Heimat bereitet. Bauprogramme hießen bekanntlich „neue Heimat“: Das waren winzige Wohnungen für kinderreiche Familien.

3.

Und es waren nachweislich die Bayern und ihre Partei, die CSU, die begannen, wieder die Heimat als sehr hohen Wert zu propagieren. Markus Söder (CSU) zeigte sich beim „politischen Aschermittwoch 2018“ wie ein bayerischer Heimatminister. Ihm ist klar: Heimat hat sehr wohl mit Grenzziehung zu tun: „Wir überlassen Bayern nicht den anderen“, ruft Söder. Und übrigens: „Ich bin der Markus, da bin i dahoam, und das will ich auch bleiben!“ (Der Tagesspiegel, 14.2. 2018). Wen meint Herr Söder unter den „anderen“, denen er sein Heimatland nicht „überlassen“ will? Sicherlich auch die in Bayern mächtiger werdende AFD. Die AFD Leute will Herr Söder lieber in seine CSU integrieren, damit diese Partei wieder richtig zahlenmäßig stark wird …und die CSU dann zur halben AFD wird. Aber auch: Die „anderen“, das sind für Söder auch die Fremden und Flüchtlinge, die „uns“ „unser“ so hübsches und sauberes und gerechtes Bayern zerstören….

4.

Heimat ist ein exklusiv deutscher Begriff. Das Wort kommt in anderen europäischen Sprachen in dieser Prägnanz, also ohne weitere Umschreibungen, nicht vor. Ein gewisser Kult um die deutsche Heimat wurde vor allem in der Romantik betrieben, also seit Beginn des 19. Jahrhunderts, als die singenden Wandergesellen aus ihrem Zuhause, Heimat genannt, in die Fremde aufbrachen, um alsbald wieder in dieses gelobte Land zurückzukehren, zum Lindenbaum, wo man so schön in dessen Schatten träumte.

5.

Wer möchte diese traumhafte Idylle prinzipiell schlecht machen? Sie hat damals vielleicht wie Opium beruhigt? Aber die romantische Heimatidylle ist nur ein Bild, ein Traumbild der Geborgenheit und wunderbaren Beziehung zwischen Natur, Mensch, Kunst, Kirche, Gott, einer Welt, in der sich der Romantiker befand. Und in dieser Welt eingezwängt war, darum wanderte er ja so viel…

6.

Heimat wurde oft als politische Zielvorstellung missbraucht. Das war extrem bei den Nazis der Fall. Alle Nazi – Organisationen hatten letztlich das Ziel, die „Verwurzelung“ der „echten deutschen Herrenmenschen“ in ihrer Heimat durchzusetzen. Heute gibt es bezeichnenderweise in der rechtsradikalen Pegida Bewegung auch „Heimatschutz“ Leute. Nils Minkmar schreibt in „Spiegel Essay“: „Für die Nationalsozialisten war Heimat ein Bollwerk gegen alles Fremde, Städtische, Andersartige. Wer heute über Heimat reden will, muss daher diese unselige Verklärung von Natur und Gemeinschaft kennen“. Wie viele Nazi-Propaganda Filme hatten eigentlich das Wort Heimat im Titel?

Nebenbei: Seit Mitte der fünfziger Jahre nutzte auch die allein herrschende SED den Heimat – Begiff für ihre Propaganda, um irgendwelche heimatlichen Gefühle der DDR Bevölkerung zu wecken. „Bauen wir die Heimat“ auf, hieß es im bekannten „Choral“ der FDJ, den Erich Honecker noch als Greis mit erhobener Faust sang. Bis 1961 verließen viele DDR Deutsche sehr gern diese erzwungene Heimat.

7.

Heutige Politiker in Deutschland, wenn sie nicht ganz ungebildet sind, kennen natürlich diese heftigsten Verbindungen des Heimat-Begriffes mit der Nazi-Ideologie. Natürlich darf man nicht alle Begriffe, weil von Nazis verdorben, beiseite legen. Aber die inhaltlichen Bestimmungen des Heimatbegriffs sind so eng, so miefig, dass der Begriff besser heute nicht mehr verwendet werden sollte. Zumal wir erleben, dass Menschen mehrere Heimaten haben bzw. als Flüchtlinge haben müssen. Heimat ist also der Ort, wo ich, wo wir menschlich leben können, dies muss nicht eine bestimmte Stadt, die Geburtsstadt, sein. Wenn Heimat als der Ort der Geburt und der Kleinfamilie definiert wird, ist sie automatisch etwas sehr Statisches, nicht Entwicklungsfähiges, nicht Lebendiges.

8.

Aber „Heimatfans“ schüchtern ihre Kritiker gern ein, indem sie von dem „Wesen des Menschen“ schwärmen, der nun einmal „seinen heimatlichen Platz“ braucht etc. Aber: Heimatpropaganda ist etwas andere als die vernünftige Anerkennung, dass Menschen kulturelle und sprachliche Herkünfte haben.

9.

Die naturwüchsige Heimatbindung, kritisch reflektiert, soll überwunden werden, über die naturhaften, sozusagen automatischen “Heimat“ – Bindungen sollen wir ins Offene gelangen, Teil der „einen“ Menschheit werden. Wir sind eben nicht nur Niederbayern oder Ostfriesen, sondern auch Menschen dieser EINEN Menschheit, die den Menschenrechten zu entsprechen haben und nicht nur den hübschen kulturellen und kirchlichen Bräuchen unserer Region, man denke an die Tier – und Autosegnungen im katholischen Raum. Nebenbei: Katholische homosexuelle Paare werden nicht katholisch gesegnet, hingegen Handys und Walrösser, wie kürzlich vom Hamburger Erzbischof vollzogen…

Das miefige Milieu der Heimatverbundenen kann tödlich sein, das hat der Film „Jagszenen aus Niederbayern“ einst gut herausgearbeitet. Und philosophisch hat Martin Heidegger in seinem späteren Werk, seit 1930, gezeigt: Die ihm eigene philosophisch behauptete Heimatliebe ist auch im Denken regressiv, sie führt zu Bindungen an ein ereignishaften SEYN, dessen Schickungen sich niemand entziehen kann. Sehr viele Briefe, etwa an den Theologen Bernhard Welte, hat Heidegger noch in den fünfziger Jahren „mit landmannschaftlichen Grüßen“ unterzeichnet. Und er hat in seinen „Schwarzen Heften“ sich unverfroren und seelisch erkaltet zur NSDAP Ideologie bekannt. Als Heimatfreund fiel ihm in den Jahren der Ausrottung der Juden nichts ein, kein Bedauern, kein Protest, kein Schmerz. Seinem Bruder Fritz hingegen gratulierte er immer zum Namenstag und schrieb Erbauliches aus der Familie. Kein Wort des Heimatfreundes Heidegger aus seiner behaglichen Schwarzwald-Hütte zur Judenverfolgung, zum tausendfachen Morden und Metzeln in dem von Deutschen losgetretenen Krieg! Heidegger ist das klassische Beispiel, wie Heimatliebe zu einer gewissen geistigen Starre führt, milde ausgedrückt.

10.

Horst Seehofer CSU soll nun Minister eines sehr aufgeblähten Innenministeriums werden. Er soll ausdrücklich die Pflege der Heimat fördern, gleichzeitig aber auch die Sicherheitsaufgaben und Flüchtlingsintegration (!) betreuen, auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt soll der Heimatminister/Innenminister fördern. Es ist bezeichnend, dass in dieser Zeit der viel besprochenen Flüchtlingskrise ein Heimatministerium eingerichtet wird! Für wen eigentlich? Für die AFD Wähler, damit sie sehen: Auch die CSU liebt unsere Berge und Weiden und Kühe. Und die Deutschen im allgemeinen sollen wissen: Meine kleine Heimat ist so unglaublich wichtig und wert zur Verteidigung, genau so wichtig, wie die „Kleine Kneipe in unserer Straße, wo das Leben noch lebenswert war“, wie es in einem alten beliebten Schlager heißt. Kurz: Die Idylle soll wiederkehren und mit ihr letztlich auch die Nation, die man ja als Summe vieler regionaler Heimaten verstehen kann. Es wird also von Heimat gefaselt, gemeint ist aber das Erstarken der Nation (trotz aller formalen und wirkungslosen Bekenntnisse in Deutschland zu Europa und seinen – abendländischen – Werten). Die Nation aber muss sich wehren, Nation ist immer tendenziell schon Nationalismus und damit Krieg, das ist evident. Heimat bereitet also Nationalismus vor, bzw. verstärkt ihn auf die süße romantische Art. Die AFD und auch Gruppen in der CDU/CSU denken bereits nationalistisch, das macht die Situation in Deutschland und Europa so gefährlich…

11.

Soll der neue Heimat/Bundesinnenminister aus Oberbayern etwa (neue) Heimat schaffen? Oder ist nur gemeint, dass die ökonomisch und kulturell „abgehängten“ Regionen und Provinzen stärker gefördert werden sollen? Das wäre ja sinnvoll. Dabei ist es aber   problematisch, immer wieder zu hören: Diese armen ländlichen Regionen seien eigentlich so etwas wie der Inbegriff von Heimat. Und man wolle diesen armen, „abgehängten“ Menschen etwa in der nördlichen Oberpfalz oder in Franken, in Pommern oder in der Oberlausitz, wieder echte Lebensaussichten und Arbeitsaussichten und damit Heimatgefühle gewähren. Aber was vermag ein solcher Heimatminister angesichts der politisch schon nicht mehr kontrollierbaren Macht der internationalen Konzerne? Kann der Heimatminister für die Heimat verbundenen Franken etwa Arbeit beschaffen, sie vor dem Pendler Dasein ins ferne Nürnberg oder München bewahren? Und vor allem, wenn man schon den Heimat begriff noch mal politisch abklopft: Haben denn Menschen in Großstädten etwa keine „Heimatgefühle“? Werden im Zuge der Vertreibung von Mietern durch Investoren nicht auch Heimatvertriebene in einer Stadt wie Berlin erzeugt? Etwa der Rentner, der seit Jahrzehnten in Prenzlauer Berg wohnt, nun aber nach Modernisierung und damit Unbezahlmachung seiner Wohnung etwa ins ferne und fremde Spandau umziehen muss? Wenn das überhaupt klappt und die Heimatvertriebenen in den Großstädten nicht auf der Straße landen. Es gibt „Heimatvertriebene“ heute aus den angestammten Bezirken der Großstädte. In Paris haben die Reichen Jahrzehntelang ihre ärmeren angeblichen Mit – Bürger der Metropole Paris aus der Stadt vertrieben und in die Weite der hässlichen und grausamen Banlieue geschickt. Dort kocht die Wut der Vertriebenen, zurecht…, aber bislang wirkungslos.

12.

Was ist das eigentlich ein deutscher „Heimat“ – Staat für die Deutschen, wenn dieser Staat vielen tausend Menschen, Bürgern und europäischen Gästen und Flüchtlingen, keinen Wohnraum bietet und sie auf den Straßen leben und frieren lässt? Wie wagen es Politiker überhaupt noch, sich sozial und christlich zu nennen, angesichts der Unfähigkeit, wenigstens Menschen in Deutschland menschenwürdig leben und wohnen zu lassen, also die viel behauptete „Heimat“ zu bieten?

13.

Heimat ist heute ein gefährlicher, ein ideologisch aufgewärmter Begriff der Romantik, sehr gelegentlich für träumerische Reisen bei Schubert Liedern ganz hübsch. Aber dann muss doch wieder die Vernunft herrschen: Heimat ist heute ein politisch reaktionärer Begriff. Ein Begriff, der Nation meint. Das ist der Kern der Debatte..

14.

Wir sollten unsere Heimat als humanes Miteinander pflegen, in unseren Sprachen, in der miteinander geteilten Kunst, in der Gesellschaft der „vielen“ Kulturen. Möglicherweise auch in den Gemeinden der Religionsgemeinschaften und Kirchen, wenn sie sich nicht ihrerseits auch “heimatlich” abschließen und „die anderen“ zwar nicht verbal, aber de facto ausgrenzen.

15.

Darüber sollte weiter diskutiert werden: Heimat, die nicht in Nationalismus umschlägt, gibt es heute nur im kosmo-politischen Denken und kosmopolitischen Leben.

 

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die Herzlichkeit der Vernunft. Eine Buchempfehlung

Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge im Gespräch

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Dieser Beitrag wurde als kurze und knappe Rezension in PUBLIK – FORUM veröffentlicht.

Die Autoren, auch international geschätzte Intellektuelle, lassen die LeserInnen teilnehmen an ihren privaten Gesprächen. Diese Plaudereien auf hohem Niveau beginnen etwa bei Reflexionen über Sokrates, Voltaire und Kleist, gelangen aber schnell zu einer Fülle philosophischer, juristischer und politischer Fragen. Bei allem Charme des oft assoziativen Miteinander – Denkens werden grundsätzliche Erkenntnisse vorgestellt: Keine Ideologie, keine Religion sollte in der Gesellschaft maßgeblich sein; auf die Maßstäbe der Vernunft sollten alle achten: Sie sei keineswegs kalt oder abstrakt, sondern in ihrer Klarheit auch menschenfreundlich, eben herzlich. Die Vernunft begleitet das schwierige Leben auf der Suche nach Maß und Mitte. Dauerhaften Trost, so Ferdinand von Schirach, können wir in der Literatur finden. Manche Sätze dieses kleinen, aber großen Buches wirken wie gute Spruchweisheiten: „Das Eigentliche ist das Trotzdem: Trotz Sterblichkeit und Bösartigkeit können wir lieben“.

Das Buch ist im Luchterhand Verlag erschienen, es hat 192 Seiten und kostet 10 EURO

Wenn Europa islamisch wird: Die Ängste der jüdischen Forscherin Bat Ye´Or

Zur neu erschienenen Autobiographie der umstrittenen Islam – Forscherin

Ein Hinweis von Christian Modehn am 26.2. 2018

Warum ist es wichtig, die Ideen und Vorstellungen von Bat Ye Or kritisch zu beobachten?  Diese Ergänzung schreibe ich am 26.2. 2018, um noch einmal auf das sich wissenschaftlich gebende “Gift” hinzuweisen, das heute in rechtsradikalen Kreisen verbreitet wird. Bat Yeor ist tief in diesen Kreisen verwurzelt, etwa bei Renaud Camus, selbst wenn sie (scheinheilig) diese Verbindungen öffentlich eher herunterspielt.

Die Auseinandersetzung mit Bat Yeor ist auch wichtig, weil ihre globalen und längst als falsch erwiesenen, nur Angst erzeugenden Thesen zur „Ersetzung der europäischen Bevölkerung durch die Muslime“ Eingang finden in höchste Kreise der katholischen Kirche Frankreichs. Der neue Erzbischof von Strasbourg Luc Ravel spricht auch öffentlich von dem „grand remplacement“, dem großen Ersetzen (Austausch), der „französischen“, also der angeblich christlichen Bevölkerung Frankreichs durch die, wie er sagt, so geburtenfreudigen Muslime. Darin folgt der Erzbischof Ravel von Strasbourg wiederum dem rechtsextremen Schriftsteller Renaud Camus, der zu dem Thema bereits 2010 ein Buch publizierte, das auch auf Deutsch erschienen ist bezeichnenderweise im Verlag von Götz Kubitschek.

Renaud Camus bezieht sich auch in neuesten Interviews (siehe unten) ausdrücklich positiv zustimmend auf Bat Yeor. Renaud Camus publiziert auch in der rechtsextremen französischen website „riposte laique“. Wikipedia France hat darauf hingewiesen, dass der rechtsextreme Autor Renaud Camus sich bemüht, eine französische Sektion der deutschen „Bewegung“ PEGIDA (zusammen mit dem “Bloc Identitaire”) zu lancieren. Der Bloc Identitaire war massiv, gelinde gesagt, bei den landesweiten Demonstrationen gegen die gesetzliche Ehe für alle in Frankreich aktiv. Dabei wurden diese Demonstrationen von katholischen reaktionären Gruppen in enger Verbundenheit mit den rechstextremen Kreisen unterstützt, selbstverständlich auch von einigen genauso denkenden französischen Bischöfen. Quelle: http://ripostelaique.com/author/bat-yeor    http://ripostelaique.com/author/renaud-camus   https://www.renaud-camus.net )

Zur Verbindung Pegida und Renaud Camus (und damit indirekt zu Bat Yeor): https://www.nouvelobs.com/rue89/rue89-politique/20150119.RUE7514/renaud-camus-lance-pegida-en-france-et-recupere-l-islamophobie-allemande.html  ”

Der am 16. Februar 2018 publizierte Text von Christian Modehn:

Bat Ye´or , die inzwischen 84 jährige Forscherin zum Islam und zur Rolle des Judentums und Christentums in islamischen Ländern einst und heute, hat auch außerhalb der Kreise interessierter Spezialisten, nicht nur in Deutschland, Aufmerksamkeit gefunden: Und zwar als bekannt wurde, dass der rassistische Massenmörder Anders Breivik aus Norwegen in seinen Schriften mehrfach Verweise und Namensnennungen auf Bat Yeor niedergeschrieben hatte. Über diese Verbindungen ist viel diskutiert worden. Wichtig ist auch das lebhafte Interesse an Bat Yeors Schriften in rechtsextremen Kreisen. Sie finden dort Argumente für ihre eigene pauschale Islam – Verurteilung bzw. Bekämpfung. Darum ist für demokratische Kreise die Auseinandersetzung mit Bat Yeors Büchern nach wie vor dringend. Jetzt hat die Forscherin ihre Autobiographie in Paris veröffentlicht.

Deutlich ist tatsächlich, dass die Forscherin Bat Yeor bzw. Gisèle Littmann, eigentlich aber wohl auch Gisèle Orebi, mit ihren zahlreichen Büchern (einige sind auch auf Deutsch publiziert worden) zum Thema Islam die These vertritt: In den Zeiten eines machtvollen Islams haben Juden und Christen praktisch keine menschenwürdigen Lebenschancen gehabt, sie waren und sind Menschen zweiter Klasse. Meist sind die Betreffenden, die Bat Ye Or vor Augen hat, aus den islamischen Ländern geflohen. So auch Bat Yeor selbst, die aus einer jüdischen Familie in Ägypten stammt und aus Angst um Leib und Leben diese Heimat 1957 Richtung England verließ. Diese Erfahrung mag prägend sein für das Denken von Bat Yeor. Heute lebt sie in der Nähe von Genf. Die Biographie wird also zur Perspektive der Forschung!

Bat Yeor hat auch dadurch eine geradezu weltweit Bedeutung erlangt, als der Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem letzten Roman „Unterwerfung“ explizit die Forscherin erwähnt, in der französischen Ausgabe von „Soumission“ auf Seite 157. Da sagte einer der dort erwähnten Gestalten: „In einem gewissen Sinne hat die alte Bat Yeor nicht Unrecht mit ihren Wunsch – bzw. Wahnvorstellungen eines Komplottes in Eurabia“: Damit bezieht sich Houellebecq auf einen Begriff, den Frau Bat Yeor für ihre Prognose benutzt: Dass Europa eines Tages bald arabisch –muslimisch beherrscht werden könnte, wenn denn die Menschen in Europa, so wörtlich, die jüdisch – christliche Kultur, also ihre Kultur, vernachlässigen…

Als Buch Eurabia erschien 2005. Daraus haben viele Leser die von ihnen geradezu ersehnte und so oft propagierte Konsequenz gezogen: Der Islam als solcher ist gefährlich für Europa. Man muss sich erinnern, dass die rechtsextremen Parteien Front National, FPÖ oder AFD heute nicht etwa antisemitisch gegen “die” Juden sind, sondern die jüdisch- christliche Kultur (scheinheilig) verteidigen gegen die Gefahr „des“ Islams. Aus alten Antisemiten wurden nun Anti-Islam-Kämpfer und Freunde von Judentum und Christentum. Was für ein „Witz“, aber das nebenbei.

Die Rezeption der Forschungen und Interpretationen von Bat Yeor ist heute besonders heftig in rechten und rechtsextremen Kreisen in der westlichen Welt, gerade in Frankreich ist sie heute eine Art „Vordenkerin“. Dies ist wohl die Grund, dass Le Monde vom 16.2. 2018 gleich zwei ganze Seiten der Veröffentlichung der Autobiographie der jüdischen Islam-Forscherin widmet, mit einem langen Beitrag des für diese Fragen sehr kompetenten Journalisten Jean Birnbaum. Das Buch „Politische Autobiographie“ ist Ende Januar 2018 in den éditions „Les Provinciales“ erschienen. Und es ist bezeichnend: Wer dieses Buch im Netz sucht, gelangt schnell bei Bestellungswünschen zu Verlagen der Rechtsextremen. Einen Hinweis auf die Bücher der Autorin in französischer Sprache finden Sie am Ende des Beitrags. „Bat Yeor ist zur Stütze des Hasses auf den Islam geworden“, sagt jetzt Ivan Jablonka, der in Frankreich schon vor einigen Jahren eine ausführliche Studie über die islamfeindliche jüdische Forscherin geschrieben hat. Diese Zusammenhänge werden in Le Monde dokumentiert!

Es gibt bei einigen kritischen Beobachtern in Frankreich bereits eine gewisse Scheu, die Thesen von Bat Yeor grundsätzlich abzuweisen, das ist interessant in der politischen Szenerie Europas: Aufgeklärte Islamkenner fürchten sich bereits, für eine gewisse Berechtigung der Thesen von Frau Bat Yeor einzutreten, weil sie Angst haben, dadurch ins rechtsextreme Lager gesteckt zu werden. Aber sind diese Thesen von Bat Ye Or überhaupt berechtigt? Entsprechen sie dem Niveau hermeneutischer Arbeit? Sicher NICHT. Wer wirklich kompetent ist als Islam-Forscher, auch das zeigt Le Monde, sagt: Diese Dame denkt in ihren „Pamphleten“, so die Qualifizierung in Frankreich, unhistorisch; sie vergisst, dass in der von ihr beschriebenen mittelalterlichen Welt der Islam-Herrschaft überall sonst auch die herrschende Konfession intolerant war. Wie tolerant waren denn später die Katholiken gegenüber den „Indianern“ in Amerika usw…Le Monde zeigt ferner eine gewisse Inkompetenz der Forscherin, wenn sie etwa im Interview gefragt wird: Welche heutigen Islam-Forscher sie denn tolerant und wichtig finde. Da fällt Frau Bat Yeor nur ein einziger Name ein, der Name des aus dem Islam konvertierten Algeriers Boualem Sanal. Unreflektiert und pauschal und angstbestimmt sind auch ihre Aussagen zur Vorliebe des Massenmörders Breivik für ihre Werke: „Ich habe mit dem Mörder Breivik nichts zu tun… Mich in dem Zusammenhang zu erwähnen ist nur eine Rache der linken (!) norwegischen Regierung. Ich habe deren Nachsicht gegenüber dem Islamismus angeklagt. Für die Regierung ist dies ein Grund, mich zum Schweigen zu bringen“.

Kein Wunder auch, dass Madame Bat Ye Or sehr den Roman „Unterwerfung“ von Houellebecq schätzt. Gegenüber Le Monde sagt sie: „Houellebecq hat einen großen Roman geschrieben, sehr einfach, genial, wie eine pointillistische Malerei. Er zeichnet letztendlich Eurabia. Ja, der Roman ist sympathisch“.

Interessant ist, dass in Frankreich zumindest einige Katholiken in Deutschland Bat Yeor schätzen, weil sie auch auf die miserable Behandlung der Christen, etwa der Kopten, in islamischen Staaten aufmerksam macht. Man wird gespannt sein, wie sich der auch theologisch sehr konservative Autor Martin Mosebach nach seiner Reise zu den koptischen Märtyrern von Ägypten zu Frau Bat Yeor äußert… In konservativen Kreisen des deutschen Katholizismus, wie in der Zeitschrift „NEUE Ordnung“, hg. von dem Dominikaner Pater Wolfgang Ockenfels, wird eher zustimmend über Bat Yeor geschrieben, so etwa im Jahrgang 2012 von Hans Peter Raddatz. Die umfassende und umfassend kritische Debatte über die Thesen von Frau Bat Yeor alias Gisèle Orebi oder auch Gisèle Littmann könnte in Deutschland eigentlich beginnen. Vielleicht mit einem Blick nach Norwegen (Breivik) und in die sehr heftige Szene der rechtsextremen französischen katholischen Sympathisanten dieser Forscherin. Die Rezeptionsgeschichte eines Denkens sagt schon vieles..

Eine Liste der Bücher in französischer Sprache: https://www.amazon.fr/s/ref=dp_byline_sr_book_1?ie=UTF8&text=Bat+Ye%27or&search-alias=books-fr&field-author=Bat+Ye%27or&sort=relevancerank

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin