“Georgien” – ein Länderporträt. Zur Buchmesse aktuell!

Ein Buch von Dieter Boden im Ch. Links Verlag Berlin

Von Christian Modehn

Über die Gegenwart des Stalin-Kultes in Georgien noch heute berichtet jetzt auch sehr anschaulich Christoph Dieckmann in “DIE ZEIT” vom 13. September 2018, Seite 21. “Alles Rote haben wir entfernt” ist der (ironische) Titel…

Georgien wird in diesem Herbst in Deutschland mit besonderem Interesse bedacht: Die Republik im Kaukasus ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2018 (vom 10.bis 14. Oktober). Eine Chance, sich mit dieser wohl immer etwas stabiler werdenden Demokratie näher zu beschäftigen. Georgien wendet seinen politischen Blick und sein ökonomisches Interesse immer mehr Richtung Europa. Die meisten Georgier, so hört man, seien optimistisch und fürchten vor allem nur Russland… (Schon 1801 geschah die erste Annexion Georgiens durch Russland…)

Als Reiseziel wird jetzt Georgien schon entdeckt und nach der Buchmesse sicher weitere touristische Leidenschaften wecken… Als 2011 Island Ehrengast der Buchmesse war, folgte ein wahrlicher Touristenstrom auf die Insel, was den Isländern nicht immer sehr angenehm ist…

Ein GEORGIEN – Länderporträt liegt jetzt aktuell vor: Dieter Boden kennt das Land durch viele Besuche, auch im Rahmen der OSZE- und UN- Missionen. Er bewertet Georgien, eine parlamentarische Demokratie seit September 2017, als „Muster der Stabilität“ (61). Ein Satz, der stimmt, zumal, wenn man das weite autokratische Umfeld in der Nachbarschaft betrachtet.

Dieter Bodens 200 Seiten umfassendes Buch bietet vor allem ein historisches und politisches Basis-Wissen sowie auch viele Hinweise zum Tourismus in der Hauptstadt Tbilissi und der Umgebung. Dass gastronomische Tipps nicht fehlen, ist bei der Qualität von Wein und Küche in Georgien klar, schon die Sowjetbürger schätzten die in dieser Hinsicht aus dem öden Rahmen der Sowjetkultur fallende „föderale“ Republik der UDSSR.

Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion hat Georgien fast 1,5 Millionen Einwohner verloren, sehr viele wanderten nach Westeuropa aus, auch in Russland leben noch 600.000 Georgier.

Dieter Boden schildert selbstverständlich die politischen Entwicklungen seit der Unabhängigkeit 1991, er erwähnt differenziert die Rolle von Eduard Schewardnaze, spricht von dem umstrittenen Präsidenten Saakaschwili: „Zuletzt sah er sich Vorwürfen der Menschenrechtsverletzung und der Toleranz von Folter in den georgischen Gefängnissen ausgesetzt“ (Seite 57), er gilt heute auch in Georgien als korrupter Politiker. Inzwischen lebt er wohl in den Niederlanden…Problematisch bleibt die durch die russische Intervention beförderte Abspaltung von Abchasien und Südossetien (2008). Russlands politische „Qualität“ zeigt sich abermals in der Errichtung eines Stacheldrahtzaunes zwischen Südosstien und dem georgischen Staatsgebiet (60). Auch über den Georgier Josef Stalin und die Fortdauer seines Kultes im Geburtsort Gori berichtet der Autor, er vermutet sogar kleine Stalin – Büsten in einigen Wohnzimmern Georgiens immer noch. (43 ff.) Ein wirkliche Aufarbeitung der Bedeutung des Massenmörders Stalin „geht man in Georgien schlicht aus dem Wege“ (44).

Dieter Boden spricht auch ausführlich über die Rolle der georgisch-orthodoxen Kirche, die seit dem 4. Jahrhundert schon eine Art Zusammenhalt unter Georgiern stiftet, nicht zuletzt auch durch ihre ausdauernde Pflege der georgischen Sprache (19), dabei aber vertritt diese Kirche gesellschaftlich gesehen heute sehr reaktionäre Positionen, etwa was den auch rechtlich fixierten Respekt der Homosexuellen angeht (164). Eine Demo für die Menschenrechte der Homosexuellen wurde 2013 mit massivem Klerikeraufgebot behindert und zerschlagen. Dieser Klerikalismus als Vorherrschaft einer Kirche passt nun gar nicht in eine Demokratie! Die Berliner Zeitschrift SIEGESSÄULE berichtet über die aktuellen Probleme homosexuellen Lebens und Respektes in Georgien in der Ausgabe Heft Juli 2018. Bezeichnenderweise wurde der „Welthomo-Tag“, also der 17.5., von der georgischen Kirche zum Tag der „Reinheit der Familie“ erklärt. Anders gesagt: Diese Christen glauben, rassistisch, immer noch, Homosexualität sei Schmutz für die Familie (siehe dazu die knappen Hinweise S. 164). Man denkt bei so viel klerikalen Hass auf Homosexuelle an die alte Erkenntnis: Am stärksten hassen verklemmte Homosexuelle die offen lebenden gays…

Von der Verständigung oder gar der Versöhnung der getrennten Christen hält diese Orthodoxie dort gar nichts, schon 1997 ist die georgische Kirche aus dem Weltkirchenrat (Genf) ausgetreten. Und man sollte diese Christen also eher besser rechts liegen und in Frieden lassen, als sich um Dialoge mit ihnen zu bemühen. Papst Franziskus tat das noch, als er im September 2016, freundlich wie er ist, den georgischen Patriarchen Ilia II. (geboren 1933) begrüßte und ihn zum gemeinsamen Gottesdienst einlud. Daraufhin wurde der Papst von georgischen Popen als Antichrist bezeichnet (S. 163). Etwa 500 Katholiken sollen noch in Georgien leben. Nebenbei: Patriarch Ilia II. war als damaliger Bischof von Batumi führendes Mitglied der kommunistisch gesteuerten „Christlichen Friedenskonferenz“ in Prag. In diesen pro-sowjetischen Kreisen fühlte er sich einst wohl, da war er auch auf der Seite der Machthaber; heute verlangt er, dass etwa Abchasien, „relativ selbständig“, immer noch unter seinem georgischen Kirchenregiment leben sollte. Dass der greise Patriarch etwas für Arme tut, soll nicht geleugnet werden, dies wird im Buch aber nicht erwähnt.

Einige interessante Details für religionswissenschftlich Interessierte etwa zu „vorchristlichen Bräuchen“ in Abchasien bietet das Buch (S. 84), die Informationen zur reichen georgischen Literatur und Poesie fallen leider knapp aus, Nikolaus Barataschwili wird erwähnt, der „Hölderlin Georgiens“ (S. 86). „ Perlentaucher.de“ hat eine Liste georgischer Autoren publiziert: https://www.perlentaucher.de/buchKSL/buecher-aus-und-ueber-georgien.html?p=2

Für mich ist es sehr bedauerlich, dass der große georgische Philosoph Merab Mamardaschwili (1930 wie Stalin in Gori geboren, gestorben 1990) in dem Buch nicht erwähnt wird; er lehrte auch in Russland und war ein humanistischer Denker als Kenner der Werke vor von Descartes und Kant. Der russische Philosoph Michail Ryklin hat kritische Würdigungen über Mamardaschwili geschrieben. Auch Gorbatschow kannte ihn. In einem Interview mit Annie Eppelboin in Frankeich sagte er: „Die totalitäre Gesellschaft erschafft eine Sprache, die das Erwachen ausschließt. Du kannst sterben, ohne je entdeckt zu haben, was wirklich dein Gefühl ist. Als ich jung war, waren die Leute vom Komsomol die Verwalter des Gemeinwesen, auch des sozialen Körpers. Sie verwalteten auch mein Denken“. (siehe „ La Penesse empéchee“).

Bei einer zweiten Auflage könnten die genanten fehlenden Aspekte noch eingefügt werden; falls nicht: Das Buch ist trotzdem sehr lesenswert…es weckt Interesse an einem sich europäisch fühlenden Land im Kaukasus.

Dieter Boden, Georgien. Ein Länderporträt. 200 Seiten. 18 Euro, Berlin 2018, Ch.Links Verlag.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wer wandern will und wer wandern muss: Philosophie des Unterwegsseins.

Dabei ist das Philosophieren selbst schon Wandern, Aufbrechen, Weitergehen, Neues suchen…

Ein Hinweis von Christian Modehn

Schon in meinem Newsletter des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons in Berlin (29.6.2018) hatte ich den 450 AbonnenTinnen das neue EXTRA Heft des Philosophie Magazins empfohlen: Und manche sagten mir, dass Sie das Heft gekauft haben!

Auf 130 Seiten werden viele unterschiedliche philosophische und literarische Aspekte des WANDERNS, manchmal kurz, manchmal ausführlicher, vorgestellt und ausgebreitet. Dieses Heft ist eine gute Inspiration in diesen Monaten der Ferien, wo doch viele unterwegs sind und etliche sogar wandern.

Und man blättert und liest dann gern in dem Heft, grafisch anregend gestaltet, dass man beim Wandern der Gedanken dann doch oft innehält und sich von Herren Thoreau, Tocqueville oder Rousseau in fernere Welten des Wanderns verführen lässt. WANDERN, das Heft, könnte fast eine Ergänzung sein zu der großen Ausstellung über das WANDERN in der Alten Nationalgalerie in Berlin (bis 16.9.2018).

Das EXTRA Heft wurde wieder von Catherine Newmark schön zusammengestellt. Am wichtigsten sind mir einige Interviews: Etwa mit dem jungen Philosophen Alexis Lavis (Paris) über Gehen im Buddhismus bzw. in der meditativen Praxis: Wenn wir Menschen gehen und wandern, so seine eigentlich ja selbstverständliche, aber oft vergessene Erkenntnis, bewältigen wir immer ein Ungleichgewicht. Wir finden gehend dann Halt sozusagen im Risiko des Schwankens und Schreitens auf unseren zwei Beinen. Halt finden im Risiko – ist ja auch ein tolles Thema.

Vielleicht sollte man die Lektüre des Heftes mit dem Beitrag von Florian Werner beginnen, (Seite 98 ff); sein Text hat den Titel „Gute Gründe zu gehen“: Florian Werner spricht von Pilgerschaft, Gedankengängen, politischen Protestmärschen und dem Kunstwandern. Fast hätte ich gesagt, dass ein Interview mit Thea Dorn, der „medial Allpräsenten“, nicht fehlen durfte, so auch in diesem Heft zum bezeichnenden dornigen Thema „Das deutsche Wandern“. Was wäre das „kenianische Wandern“ der dortigen verarmten Hirten-Völker?

Ich empfehle das Heft WANDERN nach wie vor.

Nur meine ich: Auch PhilosophInnen sollten bei einem Heft über das Wandern die globale politische Situation ausführlich in den Blickpunkt rücken. Über 65 Millionen Menschen wandern ja im Moment nicht freiwillig und aus Lust und Urlaubslaune wie wir, sondern weil sie wandern MÜSSEN: 65 Millionen Flüchtlinge sind heillos suchend und förmlich flehend unterwegs. Sie werden aber als abstrakte Zahlen von den sich immer noch christlich nennenden Regierungen in Europa behandelt, von ihnen werden sie hin – und hergeschoben, eingemauert, eingelagert; sie ertrinken nach ihren Wüstenwanderungen im Mittelmeer, werden hier oft in Deutschland erbärmlich untergebracht, bis sich rechtsradikale Deutsche aufmachen und deren Unterkünfte in Deutschland stark belästigen, um es einmal milde zu sagen. Die Zahl rechtsextremer Straftaten durch Deutsche aus dem sehr rechten Umfeld steigt! Das wird kaum öffentlich erwähnt. Über Verbrechen aber, die dann einzelne von den Medien total identifizierte „muslimische“ „Flüchtlinge“ begehen, wird eine Info – „Flut“ (um das rechtsextreme Wort zu verwenden) hierzulande verbreitet. Da wird nicht der einzelne Übeltäter angesprochen, sondern die ganze Gruppe, eine ganze Religion. So machten es auch die Nazis, als sie von „den jüdischen Dieben“ etwa sprachen.

Mit anderen Worten: Eine schöne romantische Wanderwelt mit entsprechender Mode und Ausrüstung können nur wir begüterte Europäer uns leisten. Wir wandern ja sogar in Gegenden, aus denen die Flüchtlinge stammen, beliebt sind ja die wohl – umsorgten Wüstenwanderungen reicher Europäer durch die Sahara. Vielleicht sollten diese Wüstenwanderungen mal einen Abstecher nach Libyen machen, etwa in die Lager der dort misshandelten miserabel untergebrachten Flüchtlinge aus Eritrea, dem Tschad usw. Reiseleiter sollten dort unbedingt die kundigen Herren Söder (CSU) und Söders intimer Freund) Orban (Ungarn) sein. Vielleicht blieben sie gern dort als Helfer? Wäre zu hoffen!

Mit anderen Worten: Ich würde mir bei aller Schönheit des klassischen Wanderns und Flanierens der reichen Europäer auch die ausführliche Dokumentation der Strapazen der 65 Millionen Flüchtenden wünschen. Dann würde vielleicht auch noch ein Herr Seehofer zur Räson kommen und sich wenigstens für seinen politischen Blödsinn entschuldigen und sich dann nach Oberammergau zurückziehen.

Soweit ich sehe, ist ein einziges Foto mit sehr knappem Text auf Seite 115 im Heft dem Thema Flüchtlinge gewidmet. Das geht nun aber wirklich nicht, zumal das Zitat auf dem Foto zu einer armen Wüstenwanderin in Afrika, es stammt von dem Schriftsteller Saint-Pol-Roux, so in dieser Knappheit völlig missverständlich ist und irgendwie in der „Luft hängt” Was soll das?

Man sieht also: Allein schon das Nachdenken über „das Wandern“ führt aus der Abstraktion oder der hübschen historischen Erinnerung heraus, weckt förmlich die politische Wut, die uns ja Stéphane Hessel sehr zurecht so dringend empfohlen hatte! So wandert man als wütend philosophisch weiter.  Und weiß dabei: Philosophie sollte heute explizit reflektiert politisch, humanistisch, solidarisch sein. Nur das gilt  heute!

Aber wahrscheinlich bereitet das von mir schon so oft besprochene und oft gelobte „Philosophie Magazin“ bereits ein Sonderheft über Flüchtlinge vor, in enger Zusammenarbeit mit den vielen gut ausgebildeten syrischen Journalisten in Berlin und den PhilosophInnen aus den „Flüchtlingskreisen“ hier. das ist ja ein tolles Thema, das da gemacht wird. Das Motto des Heftes wäre: „Wir alle sind auf der Flucht … vor dem Wahnsinn der Unvernunft“. Da wäre mein copyright gültig als Ideenspender…

PS: Ich habe vor zwei Jahren einen kleinen Essay geschrieben zum Thema: Philosophen als Flüchtlinge, vielleicht interessiert auch dieser Text. .

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Alltäglicher Rassismus in Deutschland, Europa, USA usw.. Ein philosophischer Salon am 22.6. 2018

Hinweise von Christian Modehn.

Dies ist keine Zusammenfassung der Debatte im Salon selbst.

Das Thema Rassismus auch in Deutschland wird täglich in der Presse dokumentiert! Nur 2 Beispiele am 9.7. 2018: Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte durch rechtsextreme Deutsche. Mangelnde Solidarität mit Opfern, wenn sie Ausländer sind.

Der Titel wurde am 3. Juli 2018 ergänzt, der Deutlichkeit wegen, mit “Rassismus in Deutschland, Europa, USA usw”… Denn: Nur zwei  von  vielen Belegen für den hiesigen Rassismus: Innenminister Salvini, Italien, von der rechtslastigsten Lega Nord, hetzt jetzt gegen Sinti und Roma aufs übelste. Und noch einmal wird deutlich, wie sich Rassismus zeigte bei den Ermittlungen deutscher Behörden im Fall der NSU Verbrechen. Klicken Sie dazu auf eine Information des newsletter Dienstes MIGAZIN.

Rassismus hier bei uns und in uns ist ein dringendes Thema: Rassismus als heutige Realität, als philosophisches Problem und als Aufforderung anders, auch politisch anders d.h. menschlich zu handeln, wenn wir Rassismus überwinden wollen.

Einige Thesen als Impuls zum Weiter – Denken:

Am wichtigsten ist: Wissenschaftlich betrachtet gibt es keine „Menschen – Rassen“. Die genetische Varianz unter verschiedenen Menschen aus verschiedenen Kontinenten z.B. mit verschiedenen „Hautfarben“ ist nicht nennenswert, die genetische Differenz ist ohne Bedeutung. Biologisch bedingte verschiedene Rassen, die Herrschende dann ideologisch trennen in wertvoll und weniger wertvoll eingeschätzte Rassen (und damit Menschen) gibt es NICHT.

Diese wissenschaftliche Erkenntnis gilt es endlich zu respektieren, Rassismus ist eine Ideologie vor allem des 19. Jahrhunderts. Die große Ausstellung Über Rassismus im „Deutschen Hygiene Museum in Dresden“ (bis 6. Januar 2019!) dokumentiert diese Tatsachen.

Wie so oft: Trotz eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnis hat sich die Ideologie des Rassismus bis heute und zwar sehr stark in den Köpfen und Herzen vieler Menschen festgesetzt. Die alte kulturelle Prägung, ist schwer „abzuarbeiten“, d.h. aus den Köpfen zu vertreiben und aus der Politik auszuschließen.

Ich meine ganz zentral: Wir sollten heute den Rassismus Begriff sehr weit verstehen als Grundlage der Kritik an aktuellen Kämpfen zwischen „Herrenmenschen“ und „Untermenschen“. Denn diese Einteilung der Menschheit ist nach wie vor Realität, politisch, ökonomisch, kulturell, religiös. Dese Begriffe und deren Inhalte bestimmten immer noch das Bewusste und Unbewusste sehr vieler Menschen.

 Meine zentrale These ist also: Rassismus ist kein seelisches oder politisches nur selten noch vorkommendes „Sonderphänomen“, wie etwa in der Apatheidspolitik Südafrikas oder im Klu Klux Klan. Rassismus ist vielmehr alltägliche Realität unter uns und auch in uns.

Rassismus in diesem weiten Sinne ist vom Wesen her die Behauptung und politische Haltung, dass es wertvolle und weniger wertvolle Menschen gibt. Rassisten glauben, und Rassismus ist eine Glaubenshaltung: Die Menschheit ist gespalten. D.h. für Rassisten: Es gibt keine wesentlich humane Gleichheit aller Menschen bei allen selbstverständlichen Unterschieden.

Zur realen, empirischen Situation:

Sich demokratisch nennende Politiker heute handeln sehr oft nach einem Prinzip, das man rassistisch nennen könnte: Etwa: Die Trennung der geflüchteten mexikanischen Kinder von ihrem Eltern durch Mister Trump. Nach Protesten wurde diese rassistische Entscheidung durch Trump etwas zurück genommen. D. h. Proteste nützen selbst bei diesem Herrscher doch noch ein bisschen was… Rassistisch ist die Sprache gegenüber Flüchtlingen in den Medien und in den Parteien, nicht nur der AFD sondern auch der sich christlich nennenden Parteien, also etwa „Menschenflut“, Massen strömen her usw… Diese Sprache verrät rassistisches Denken und Fühlen.

Auch die Zurückweisung der Armen in den reichen Ländern des Nordens ist rassistisch, wenn Menschen und ihre Politiker hier im Luxus des Nordens sagen: Diese Armen haben doch ihre so entzückenden Heimaten im Tschad, der im Niger oder in Haiti: Sie sind doch dort geboren, dort fühlen sie sich wohl, dorthin wollen wir sie wieder zurückbringen, wenn sie meinen, sich bei uns hier niederlassen zu dürfen.

Dass dabei die genannten und viele ändere Länder Afrikas und Lateinamerikas und Asiens vom „Norden“ erst arm gemacht wurden durch neokolonialistische Politik, wird von den so kultur- und heimatbeflissenen Politikern des Nordens verschwiegen… Mit diesem Argument der angestammten Heimat der Armen will man den eigenen Reichtum mit Armen bzw. Armgemachten nicht teilen, man schiebt sie wieder weg, ins Elend. Und baut Mauern rund um Europa, und tut genau das, was die einst angeblich so demokratischen Politiker des so genannten Freien Westens an den kommunistischen Regimen, etwa der DDR, kritisierten: Die Herren Söder, Orban, Kurz und die anderen tun genau das, was die SED tat: Sie bauen Mauern. Mister Trump tut es auch. Das ist rassistisch. Aber Mauern halten nicht lange: Die Berliner Mauer hatte eine Lebenszeit von 28 Jahren. Dann implodierte dieses SED Regime.

Wenn man rassistisch weit versteht als Ablehnung der Lebensrechte der anderen, dann sind rassistische Politiker an der Macht, sehr offensichtlich etwa in Brasilien heute, siehe dort den Umgang mit den von Herrschenden arm gemachten „Schwarzen“ in den Favelhas. „Schwarze“ Aktivisten werden erschossen, wie die großartige linke Aktivistin Marielle Franco. Warum kennt niemand ihren Namen hier auf Anhieb; alle aber kennen alle Namen aller Fußballer – Millionäre bei dieser verrückten Fußballweltmeisterschaft, alle kennen die Namen aller Politiker in Österreich und Ungarn und in Bayern (CSU), die Mauern rings um Europa bauen. Warum kennen wir nicht die Namen wie Marielle Franco z.B.? Wer (welche Medien, und welche innere Trägheit) blendet uns, dass wir menschliche Menschen nicht mehr kennen? Und dass wir so furchtbar viel wissen, was Trump alle halbe Minute von sich gibt an geistigem Schrott…

Es geht in der Debatte um Rassismus heute philosophisch zentral um die Erkenntnis dessen, was Gleichheit bedeutet. Eben zentral auch Gleichheit aller Menschen.

Dabei ist wichtig:

Gleichheit ist nicht identisch mit dem Begriff Identität. Identität ist ein mathematisches Symbol: Etwa die Zahl 1 ist identisch mit der Zahl 1, wo auch immer und wann auch ich und andere „1“ sagen.

Wer hingegen politisch sich als „Identischer“ darstellt, weiß entweder nicht, was er sagt, oder er will sich und seine Nation wie in einer Kapsel des „Ich bin Ich“ bzw. „Österreich ist Österreich“ analog zu 1 ist 1 einschnüren und sich total von anderen abwehren.

Gleichheit ist auch nicht zu verwechseln mit Ähnlichkeit, diese ist ein Begriff subjektiver Wahrnehmungen: Etwa: Eineiige Zwillinge sehen sich ähnlich; für den einen Betrachter mehr, für den anderen weniger.

Wer von Gleichheit spricht, muss immer sagen: Ein Etwas genannt A ist einem anderen Etwas genannt B in einer bestimmten Hinsicht gleich. Die HINSICHT ist entscheidend. Der Begriff Gleichheit will also abheben auf einen gemeinsamen Anteil von A und B hinsichtlich eines Merkmals, das für den Vergleich entscheidend ist:

Ein harmloses Beispiel: Menschen und Katzen sind gleich, aber nur hinsichtlich des ihnen beiden gemeinsamen Merkmals, aus Fleisch und Blut zu bestehen oder eben geboren zu werden und sterben zu müssen usw. Aber Menschen und Katzen sind NICHT gleich hinsichtlich der Fähigkeit, intellektuelle Leistungen, etwa Häuserbau, eigenständig zu leisten. Menschen und Katzen sind also in wesentlichen Hinsichten NICHT gleich.

Was gilt für die verschiedenen Menschen? Jeder Mensch ist einmalig und unverwechselbar. Das gilt auch für die biologische Struktur. Jeder einmalige Mensch wird in eine bestimmte Sprache und bestimmte Kultur und Landschaft und Nation hineingeboren. Der eine hat eine schwarze Hautfarbe, der andere eine weiße Hautfarbe. Der eine trommelt gern, der andere hört ständig Musik von Richard Wagner. Das ist eine normale Verschiedenheit dieser vielfältigen Menschenwelt. ABER: Der eine Mensch lebt heute im Tschad von einem Euro täglich und hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 50 Jahren. Der andere Mensch hat in Deutschland durchschnittlich (!, also Millionäre und Hartz IV-Arme im Durchschnitt miteinbezogen!) 300 Euro täglich. Und hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von etwa 80 Jahren.

Es gibt heute gravierende Ungleichheiten in den äußeren, materiellen und damit auch sozialen Lebensbedingungen.

Diese Ungleichheiten sind nicht etwa klimatisch bedingt oder durch allgemeine Eigenheiten, etwa banal verstandene (UN)Tugenden Faulheit und Fleiß, sondern diese Ungleichheiten unter den verschiedenen Menschen sind gemacht, sie sind gewollt und zumindest von den einflussreichen Leuten hingenommen. Man hat sich an diese Ungleichheiten gewöhnt innerhalb der einen Menschheit.

Es gilt immer und ewig: Mensch ist jeder, der Menschenantlitz trägt, also natürlich ein Schwerkranker, auch ein Verbrecher, der eine gerechte Strafe, aber keine Todesstrafe verdient. Menschenantlitz hat eben NICHT ein Tier. Tiere sind selbstverständlich aber auf tiergemäße Art schützenswert. Aber dies ist ein anderes Thema…

In der Diskussion um Rassismus geht es entschieden um Gleichheit der Menschen: Welche Art von Gleichheit ist wichtig?

Dabei zeigt sich:

Die Menschheit muss als vernünftige Menschheit (und Menschheit als Menschheit kann nur, wenn sie überleben will, vernünftig d.h. geistvoll sei) alle Personen als Gleiche behandeln. Nicht aber müssen deswegen alle Personen gleich behandelt werden. Ein Beispiel: Die Steuergesetzgebung hat sich mit dieser gerechten (!) Ungleichbehandlung auseinanderzusetzen: Millionäre sollten, falls der Begriff der Gerechtigkeit noch eine Rolle spielt in demokratischen Staaten, einen höheren Steuersatz haben als Leute aus der Unterschicht. In den USA etwa ist dies nicht der Fall. Trump betreibt eine durchaus die kleine Clique der Millionäre extrem begünstigende Steuerpolitik: Diese kann guten Gewissens rassistisch genannt werden.

Alle sollen gleich behandelt hinsichtlich ihrer Würde. Zu dieser Menschenwürde gehört u.a., man lese etwa die „Deklaration der Menschenrechte“ etc.: Gleicher Zugang zur Bildung, zur Gesundheitspflege, zu Wohnraum, zu Wasser, zu freier Meinungsäußerung, zur demokratischen Pluralität, ein Ja zur sexuellen Selbstbestimmung, zur frei gelebten Homosexualität, zur Abweisung von Frauenfeindlichkeit, ein Ja zur Religionsfreiheit usw.

Diese Menschenwürde als Kriterium der Gleichheit und damit als Form der Überwindung des Rassismus ist heute weithin nur Forderung. Wir fliegen auf den Mond und ins All, sind aber nicht willens, diese Formen des Rassismus zu überwinden. Jeder Mensch soll sich als einmaliges Individuum mit einmaligen Interessen und Begabungen entwickeln können. Gleichheit bedeutet also auch: Es gibt keine Nivellierung der Individualitäten, sondern gerade die Förderung der bunten Vielfalt in Gleichberechtigung.

Zwischendurch zur Selbstvergewisserung der Reflexion: Warum haben wir ein so starkes Interesse, explizite oder implizite Formen des Rassismus heute zu benennen? Um den Zustand, das Niveau, unserer Menschlichkeit festzustellen und um, was Aufgabe aller ist, eine gerechtere Welt für alle zu befördern.

Aber die Sache ist klar:

Rassismus ist die Ideologie der Herrschenden: der Weißen gegen die Schwarzen wie einst in Südafrika; der vielen deutschen Nazis gegen die Juden; Trump gegen Flüchtlinge, Söder, Seehofer und Co. für die möglichst umfassende Abschottung Deutschlands usw… Wobei es unter den Abstufungen der Armen auch wiederum gelebten Rassismus gibt, siehe Südafrika heute: Südafrikaner sind jetzt gegen „Gastarbeiter“ aus Zimbambwe usw. Leute aus der Dominikanischen Republik gegen Zuckerrohrarbeiter aus Haiti usw…

Mit der Rassismus – Ideologie wollen die Herrschenden, die jeweils Stärkeren, ihre Herrschaft, ihre Bevorzugung, ihre besondere Bedeutung, ihren Wohlstand bewahren. Rassismus ist Ausdruck von ökonomischer Vorherrschaft. Moralisch gesprochen: Rassismus ist Ausdruck von gewalttätigem Egoismus.

Worauf es mir ankommt: Es gibt eine Vielfalt des alltäglichen Rassismus. So ist es auch meiner Meinung rassistisch, wenn in so genannten demokratischen Staaten Frauen schlechter als Männer für eine ähnliche Arbeit bezahlt werden. Etwa: Dass ein Mann, der Autos repariert, viel mehr verdient als eine Frau, die sich um Kranke und Alte helfend und betreuend kümmert. Solche Ungleichbehandlung kann man in dem weiten Begriff von Rassismus eben Rassismus nennen.

Dazu gehört auch die hoch gepuschte, sehr übertriebene, auch medial total inszenierte Berichterstattung über „den“ „muslimischen“ „Flüchtling“ aus dem arabischen Algerien, der etwa Böses getan hat in Deutschland:

Wer sich derart auf wenige einzelne Merkmale eines Menschen und auch eines Übeltäters fixiert, denkt und handelt rassistisch.

Bei dieser eindimensionalen Fixierung wollen Medien, von Politikern angestachelt, eine äußerst negative Stimmung gegen „die“ Flüchtlinge, „die“ Muslime, „die Araber“ bewirken und verstärken. So haben sich auch die Medien der Nazis schon vor 1933 verhalten: Ein Dieb, der zufälligerweise Jude war, wurde als „der“ „jüdische“ Dieb gebrandmarkt.

Wie würden wir reagieren, wenn heute Politiker und Zeitungen permanent berichten, dies nur als ironisches Beispiel:

Im brandenburgischen Dorf C. wurde ein „braves“ deutsches Mädchen, 14 Jahre alt, getötet, von einem aggressiven Bayern, er ist 19 Jahre und katholisch, und sogar Ministrant. Und man hat ihn nach seiner Flucht nach Altötting von dort wieder in die Uckermark zurückgebracht, dort wurde er unter Geschrei und Pöbeleien des „Volkes“ ins Gefängnis gebracht… Wenn Untaten passieren, denken viele automatisch bereits: das waren Flüchtlinge, das waren „die“ Muslime. Dabei wird vergessen, wie viele Untaten, auch Morde, aus rechtsxtremen DEUTSCHEN Kreisen Jahr für Jahr begangen werden gegen „andere“ Menschen, Flüchtlinge, Ausländer, Homosexuelle, Frauen etc. Die Erregung über diese deutschen rechtsextremen Täter (die ja doch sooooo gebildet sind) ist vergleichsweise eher gering.

Ein demokratischer und nicht – rassistischer Umgang mit Tätern ist in Kanada Realität: Dazu hat sich der Botschafter Kanadas in Berlin, Stéphane Dion, im Tagesspiegel vom 13.6. 2018 sehr treffend geäußert: „In Kanada versuchen wir nicht (bei Verbrechen) eine Bevölkerungsgruppe ins Visier zu nehmen. Das Justizsystem basiert auf individueller Verantwortung. Wenn ein Mensch kriminell geworden ist, gucken wir uns dessen individuelle Situation an. Wir sehen ihn nicht vor allem als Teil einer Gruppe. Das führt dazu, dass man immer dann, wenn man jemanden aus dieser Gruppe sieht, sofort denkt: Auch der neigt zur Kriminalität“… Rassistisch ist das Verhalten gegenüber Tätern, wenn die Öffentlichkeit diese auf eine oder zwei Eigenschaften festgelegt, also nur von „dem“ „islamischen“ Täter oder „dem“ arabischen Täter spricht. Der bekannte französische Soziologe Edgar Morin sagt in „Lettre International“, Heft 121 vom Sommer 2018, Seite 62: „Am schlimmsten ist die Beschränkung eines Menschen auf einen Wesenszug…Wir müssen zu guten Umgangsformen zurückfinden“.

Eine entscheidende Frage zum Schluss: Wie entsteht, philosophisch gesehen, Rassismus, als die aggressive Ablehnung des anderen Menschen oder bestimmter anderer Menschen?

Nur ein kurzer, etwas abstrakter, grundsätzlicher Hinweis auf die philosophisch begriffene Struktur des Ich, als des Subjekts oder des Individuums. Der Ausgangspunkt ist:

Das Ich steht von Beginn des menschlichen individuellen Lebens in Verbundenheit mit anderen „Ichs“. Das Selbstbewusstsein des einzelnen Ich erwacht in der Begegnung mit anderen menschlichen Wesen.

Zum Leben des Individuums gehört auch von Anfang die normale Selbstbehauptung, die Sorge um sich selbst, auch die materielle Sorge um sich selbst. Dieses Besorgtsein um das eigene Wohl führt aber auch zur Konfrontation und Auseinandersetzung mit anderen, die sich mit gleichem Recht auch um sich selbst „kümmern“ müssen. Gerade in Situationen des Mangels (an Wohnraum, Essen, medizinischer Hilfe etc.) entsteht ein Kampf derer, die sich alle um sich selbst kümmern. Daraus kann letztlich Streit und Hass und Krieg werden. Dann werden Schuldige gesucht und bestimmte Menschen ausgegrenzt und benachteiligt usw.

Wichtig ist hier: Rassismus als Form der Ausgrenzung im Rahmen „meiner“ Selbstbehauptung gehört förmlichzunächst einmal zum Dasein. Nur wer das sieht, kann den eigenen Rassismus überwinden. Es kommt auf die Erkenntnis des sozusagen existential immer mitgegebenen Rassismus in mir und anderen an. Und ich als Mensch weiß aber genau: Überleben können wir alle nur in der Zurückweisung rassistischer Tendenzen. Ein Krieg aller gegen alle anderen Rassisten endet tödlich für alle. Dies ist ein sehr pragmatisches Argument gegen den Rassismus. Wichtiger ist: Dass wir Menschen als Wesen mit Geist und Vernunft in uns selbst eine von uns gar nicht abzuschaffende Empathie für andere spüren. Diese erst bedeutet Menschlichkeit.

Rassismus darf nicht und kann nicht die Dominanz im Leben haben. Denn: Wir wissen aus Erfahrung: Dass wir unser Leben höchst ungemütlich machen, wenn wir rassistisch gefärbte Kämpfe zulassen und ihnen nicht widerstehen. Es entsteht eine Welt, die nicht mehr aus Mitmenschen, sondern aus Feinden besteht. Menschen werden Objekte, werden zu Dingen, die man auch auslöschen kann. In diesem Krieg können alle, auch ich, zugrunde gehen. Wer will das im Ernst, falls er nicht ein Sadist ist?

Dem Rassismus und der Grausamkeit kann jeder einzelne nur begegnen und ihn hoffentlich überwinden, auch schon durch eine philosophische Erkenntnis: Warum sollen wir uns an diese Erkenntnis nicht halten, wo wir uns doch auch sonst an Vernunft Erkenntnisse halten, um unseres eigenen Wohles und der Welt willen.

Die entscheidende Erkenntnis ist: Ich lebe selbst immer schon von dem Wohlwollen, der Solidarität, dem Mitgefühl, der Empathie der anderen. Ich bin immer schon und bleibend einbezogen ein Wir.

Selbst die schlimmsten grausamen Menschen hatten noch Freunde unter den anderen Folterern, hatten also noch Restbestände von Emotionen und Restbestände von Mitgefühl. Diese konnten die Täter und Massenmörder nicht töten! Selbst Himmler entschuldigte sich bei den Massentötungen in Posen (am 4. Okt.1943) und bat bei den erschöpften SS Mördern um Verständnis für dieses Abschlachten der Juden und der Fremden, darin sind allerletzte Spuren des Humanen noch erhalten. Himmler sagte „Ein Grundsatz muss für den SS-Mann absolut gelten: ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und sonst zu niemandem“.

 Warum sage ich das: Ich will philosophisch zeigen und möchte plädieren: Es gibt eben kein „relatives“ Gleichgewicht zwischen Grausamkeit (Rassismus) und Menschlichkeit, also Respekt der Würde eines jeden, der Menschenantlitz trägt.

Man kann also nicht mehr aus Denkfaulheit sagen: Na ja, es gibt halt böse Rassisten und es gibt halt von Empathie geleitet Menschen. So ist das halt in dieser Welt. Beides ist gleich viel wert.

Nein: Selbst in den schlimmsten Handlungen der Rassisten gibt es implizit und für die Täter oft nicht bewusst Restbestände einer noch so begrenzten Solidarität und Empathie.

Das heißt: Menschliche Gefühle für den anderen Menschen sind selbst auf den Schwundstufen bei den Tätern noch vorhanden. Menschliche Gefühle der Liebe und Empathie sind also niemals total vom Menschen auszuschalten. Sie sind stärker als Rassismus und Hass. Wir „entkommen“ der Bindung an die Dimension des Guten nicht. Selbst der Rassist glaubt zumindest, für seine Rasse noch Gutes zu tun! Die „Idee“ des Guten ist stärker als der Wille, Böses zu tun, wenn auch Böses getan wird. Rassismus hat nicht das letzte Wort!

Damit will ich sagen: Es bedarf der Bildung, der Reflexion, des Widerstandes gegen Rassismus. Und man sollte endlich wahrnehmen, wie viele Untaten durch “deutsche” Verbrecher aus der rechstextremen Szene gegen Flüchtlinge  und “Fremde” verübt werden. Nur ein Hinweis: Rechte Gewalttäter schlagen nach Informationen des “Tagesspiegel” unvermindert zu. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr (2016) nach vorläufigen Erkenntnissen 914 Gewaltdelikte, dabei wurden 692 Menschen verletzt. (Tagesspiegel 12.2.2017) Und: „ Bis 2015 zählte das BKA 75 Todesopfer rechtsextremer Gewalt; die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) zählt aktuell (Oktober 2017) 188 Todesopfer rechtsextremer Gewalt und verweist zudem auf mindestens zwölf Verdachtsfälle. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Todesopfer_rechtsextremer_Gewalt_in_der_Bundesrepublik_Deutschland)

Also: Diejenigen, die sich über „Grapscherein“ und schlimme Belästigungen von „deutschen“ Frauen durch „die“ Flüchtlinge und „die“ Araber in Deutschland aufregen, mögen bitte mit der gleichen Intensitäten Untaten und Mord durch Deutsche, durch deutsche Verbrecher, verurteilen und sich darüber öffentlich erregen… wenn man schon diese identischen Zuweisungen (Deutsch/Flüchtling) überhaupt will. In jedem Fall sind die vielen Untaten durch „deutsche Täter“ seit Jahren genauso schlimm wie Untaten durch Menschen anderer Herkunft hier in Deutschland.

Der us – amerikanische Philosoph Jason Stanley (Yale University) wird im Herbst 2018 sein neues Buch „How Facism Works“ veröffentlichen. In „Die Zeit“ vom 7. Juni 2018, Seite 37, zeigt er eindringlich, wie mangelhaft sich Deutsche mit dem tief sitzenden eigenen nationalen Gefühl der Überlegenheit über andere, minderwertig Gemachte, auseinandersetzen. Etwa indem sehr viele Deutsche bis heute glauben, sie hätten ein besonders hohes Arbeitsethos etwa gegenüber angeblichen Faulenzern aus dem Süden Europas. Es gibt für Stanley – und nicht nur für ihn – einen neuen aufflammenden deutschen Nationalismus. Überheblichkeit und Überlegenheit bestimmen das Gefühl so vieler Deutscher auch heute! „Wir sind derzeit mit einer weltweiten Krise konfrontiert, in der sich dominante Gruppen als Opfer von faulen und kulturell minderwertigen Eindringlingen sehen“, so Jason Stanley in „Die Zeit“. Diese Haltung der dominanten Gruppe ist rassistisch.

Nimmt aber der Rassismus zu, nimmt die Bedeutung demokratischer Strukturen ab. Je mehr Rassismus, um so weniger Demokratie. Das sind die Perspektiven der Zukunft der Menschheit.

Wir kehren jetzt, im Sommer 2018, in Europa und den USA in die Zeiten des Nationalismus zurück. Und Nationalismus ist immer kriegerisch, ist immer tödlich. Das haben bayerische CSU Politiker vergessen. Sie und und ihre Freunde der ÖVP/FPÖ in Österreich oder Orban in Ungarn sind eine Gefahr für den Frieden. Dies ist eine Meinungsäußerung,  alle Historiker  bestätigen hingegen die absolut gültige Erkenntnis: Nationalismus ist letztlich tödlich, weil er kriegerisch ist, nach innen wie nach außen.

Copyright: Christian Modehn. Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der 17. Juni 1953: Für Albert Camus ein Tag der “Revolte” in Berlin

Der 17. Juni 1953 in Berlin: Für den Philosophen Albert Camus ein Tag der Revolte
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.

Albert Camus hat sich schon früh, seit Ende der vierziger Jahre, von den französischen Freunden kommunistischen Denkens und kommunistischer Parteien, vor allem der  Hochschätzung der Sowjetunion, etwa durch Jean Paul Sartre, abgesetzt. 1934 war Camus selbst für kurze Zeit Mitglied der KP gewesen, weil er meinte, diese Partei könne die Autonomisten in Algerien unterstützen; darin hatte er sich gewaltig getäuscht, die KP folgte blind den Weisungen Stalins.

2.

Camus hat seit seiner “Übersiedlung” nach Paris 1944 die sich links (meist kommunistisch) nennenden Pariser Intellektuellen eher gemieden, später verachtet, was entsprechende Polemiken von deren Seite hervorrief. Die Camus – Spezialistin Brigitte Sändig schreibt in „Albert Camus“, Rowohlt Monographie, Hamburg, 2000, Seite 109, dass in der Sicht von Camus die kommunistenfreundlichen Literaten in Paris „für jede totalitäre Maßnahme der russischen Regierung eine vorgefertigte Entschuldigung bereithielten“. Camus hingegen setzte auf die offene Opposition, auf die intellektuelle Unterstützung der Opposition in Ost – Europa. Seine Texte, die der Unterstützung der Aufständischen in der DDR, Polen und Ungarn galten, wurden in Dissidentenkreisen dort herumgereicht. Insofern ist Camus einer der wenigen, die damals schon an das größere Europa, eben auch an ein Europa MIT Ost – Europa, glaubten.

3.

Von daher ist auch selbstverständlich, dass Camus zur Revolte des 17. Juni 1953 in Ost – Berlin klar Stellung nahm:
In einer Rede am 18. Juni 1953 wandte sich Camus gegen die Meinung der kommunistischen Tageszeitung “L Humanité”, die die Ereignisse des 17. Juni auf die Taten einiger Rädelsführer herunterspielen wollte. Dagegen sagte Albert Camus: „Wir können nicht mehr ignorieren, dass es sich zuerst um eine Arbeiter- Revolte (révolte ouvrière) gegen die Regierung und gegen eine Armee handelt, die vorgaben und so taten, als ob sie im Dienst der Arbeiter stehen“.
Camus forderte auf, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und wahrzunehmen, dass auch Arbeiter in Ost – Berlin, so wörtlich, „massakriert“ wurden. Allen, die diese Wahrheit nicht sehen wollten, rief Camus zu: „Bevorzugt nicht länger eure Vernünfteleien und eure Träume diesem Elend gegenüber, das nun schon seit Wochen uns entgegen schreit. Entschuldigt nicht länger das Blut und den Schmerz von heute dadurch, dass ihr – ideologisch – die (große) historische Zukunft erwägt, die ohne jeden Sinn ist zumindest für die Menschen, die jetzt getötet wurden. Glaubt uns, zum letzten Mal, wenn wir euch sagen: Kein Traum des Menschen, so groß er auch sein mag, rechtfertigt, dass man jemanden tötet, der arbeitet und der arm ist“. Wenige Tage nach dem 17. Juni 1953 organisierte Albert Camus “einen Grand Meeting” im berühmten Saal Mutualité in Paris; Camus war der “Präsident” der Veranstaltung, das Motto war “Les Ouvrièrs insurgés de Berlin-Est”, bei dem auch ein Film über den Aufstand gezeigt wurde; die Redner waren Gewerkschaftsführer (CGT – FO) und CFTC (christliche Gewerkschaft), Politiker der Sozialistischen Partei sowie ein Vertreter der “Revolution prolétarienne”.

4.

In ähnlicher Weise hat sich Albert Camus auch für den Aufstand in Poznan, Polen, am 28. Juni 1956 eingesetzt und für jene, die dem Totalitarismus in Ungarn 1956 Widerstand leisteten. “Die Oppositionellen in den osteuropäischen Staaten haben diese Unterstützung dankbar als eine Ausnahmeerscheinung inerhalb der westeuropäischen Linken wahrgenommen”, so Brigitte Sändig, a.a.O. 110. (Im übrigen empfehlen wir dringend allen, die sich erstmals oder wieder mit Albert Camus befassen wollen, diese ausgezeichnete Arbeit von Brigitte Sändig im Rowohlt Verlag).

5.

Es ist interessant, dass sich erst in den letzten Jahren deutsche Historiker der Einschätzung von Camus anschließen, den 17. Juni 1953 als Revolte, wenn nicht gar als Revolution zu deuten. Und noch ein Hinweis, eigentlich überflüssig zu betonen: Albert Camus hat sich mit seinem Eintreten etwa für die Rebellen des 17. Juni 1953 alles andere als “ein konservativer Denker” gezeigt. Er behielt sich als “linker, aber unabhängiger” Denken die Freiheit auch im Handeln, sich nicht Parteidoktrinen zu unterwerfen…Und Camus machte seit 1944 einen Unterschied zwischen Revolte und Revolution, 1953 erklärte er: “Das große Ereignis des 20. Jahrhunderts war das Aufgeben der Werte der Freiheit durch die revolutionäre Bewegung und der Rückzug des Sozialismus der Freiheit vor dem imperialen und militärischen Sozialismus” (zit. in “Dictionnaire Albert Camus”, ed. par Jeanyves Guérin, Edition Robert Laffont, Paris 2009, Seite 789).

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de (Berlin)

Über Karl Marx hinausdenken … anläßlich seines Geburtstages

Zum Beispiel: Mit Max Horkheimer

Ein Hinweis von Christian Modehn.  Über die Bedeutung des Denkens von Karl Marx für HEUTE, besonders zu seinen Aussagen zur Religion und zur Gesellshaftsanalyse (Klassenkampf),  hat der Religionsphilosophische Salon Berlin schon einige Hinweise veröffentlicht. Jetzt ein Hinweis zur Marx Deutung von  Max Horkheimer.

Die Bedeutung von Karl Marx, jetzt, angesichts der Erinnerungen und der für die Zukunft inspirierenden Reflexionen zu seinem 200.Geburtstag, wird umfassender sichtbar, wenn man die weitere Entwicklung seines Denkens, etwa auch in der Kritischen Theorie, untersucht. Dazu nur einige Hinweise, sie gelten dem Denken Max Horkheimer. Im Zusammenhang einer kritischen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist an die Interviews “Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen” (1970) und an die “Notizen”, 1974, zu erinnern.

In einer ersten, eher oberflächlichen Lektüre dieser Horkheimer Texte glaubten viele, Horkheimer sei im Alter völlig religiös geworden. Tatsächlich aber differenzierte er: Theologie kann für ihn nur als erneuerte Theologie existieren: D.h: Sie solle eine tiefe menschliche Sehnsucht, aber kein Dogma aussprechen. Es gibt für Horkheimer einen legitimen Wunsch im Menschen, dass das Faktische, das, was in der kapitalistischen Gesellschaft angerichtet wurde und wird, nicht alles ist und so nicht so bleiben darf, wie und was es ist. Marx wandte sich gegen eine reaktionäre Religion, die Opium ist und nur wirkungsloser Protest gegen das materielle Elend. Bei Horkheimer ist der Gegner eher die aktuelle positivistische Weltanschauung, die den Menschen in das Greifbare und Sichbare und Anaylsierbare und naturwissenschftlich Feststellbare einsperrt und begrenzt in seiner menschlichen Fülle. Zu der auch die Sehnsucht, eine Art Streben nach dem “ganz anderen”, gehört.

Horkheimer bleibt dabei in einer zwiespältigen Einschätzung der Kirche: Sie hat einerseits das Evangelium Jesu von Nazareth für die Nachwelt bewahrt; andererseits aber hat die Kirche als klerikale Institution das Evangelium im Sinne der Herrschaft dieser Kirchen – Institution verfälscht. Mit der Freiheit der Interpretation hat die Kirche förmlich das Evangelium als umfassende, auch gesellschaftliche Befreiungsbotschaft beschnitten und verkürzt. Aber das Evangelium ist ja noch da, es könnte seine ursprüngliche Kraft noch entfalten. Ich denke dabei an die Befreiungstheologie.

Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen: Diese will Max Horkheimer bewahren, dabei aber nicht auf die Kapitalismus Kritik von Marx verzichten. Große Hoffnungen auf ein Gelingen seines  Projekts hat Horkheimer nicht, dafür ist er zu deutlich wohl von Schopenhauer geprägt, den er, zeitlich gesehen, vor seiner Marx- Lektüre studiert und rezipiert hatte.

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Seehofer, Scheuer und Dobrindt in schlechter Gesellschaft: In der Gesellschaft des Front National.

Die CSU “Spitze” übernimmt Formulierungen des Front National

Ein Hinweis von Christian Modehn

„Der Islam gehört in allen seinen Formen nicht zu Deutschland“, sagen Führer der CSU spätestens seit Beginn der großen Koalition 2018. Mit diesem undifferenzierten, Angst vor „dem Islam“ weckenden Urteil befinden sich die Christlich – Sozialen (und sicher auch etliche Herrschaften in der CDU) leider in merkwürdiger Gesellschaft. Meiner Meinung nach: Sie befinden sich in schlechter Gesellschaft. Und diese christlichen Politiker tun so, als wüssten sie das nicht. Offenbar wird das Gedächtnis der Menschen und der Politiker auch immer schlechter und offensichtlich sind für viele nur noch kürzeste Zeitabstände bewusst. Darum eine nicht gefährliche Erinnerung:

Marion Maréchal Le Pen, die damals noch politisch aktive rechtsextreme FN Politikerin in Frankreich und Enkelin des Gründers der rechtsextremen Partei Front National, Jean Marie Le Pen, sagte bei einer Art Sommerakademie Ende August 2015: „Ich fühle mich verbunden mit der Laizität und der Freiheit des religiösen Kultes. Aber wenn es heute Franzosen der muslimischen Konfession gibt, so ist Frankreich darum nicht auch ein Land des Islams.“ Das „Pikante“ an dieser Aussage: Diese Veranstaltung wurde organisiert von dem ebenfalls der sehr rechten Szene zuneigenden Bischof Dominique Rey von Toulon (er ist Mitglied der katholischen charismatischen Bewegung „Emmanuel“). Noch einmal vertrat Madame Maréchal le Pen öffentlich ihre Überzeugung am 1. Dezember 2015 in Toulon: „Wir sind kein Land des Islams. Und wenn Franzosen zum islamischen Bekenntnis gehören können, dann unter der Bedingung: Dass sie sich unseren Sitten und unserer Lebensweise anpassen, einer Lebensweise, die die griechische, die römische Kultur und seit 16 Jahrhunderten die Christenheit (Chrétienté) gestaltet hat“.D.h.: Wir die Herren Europas verlangen, dass alle anderen, die bei uns leben, so werden wie wir. Das ist kolonialistisches Denken, imperiales Denken. Dialog mit den anderen und Respekt vor den anderen sind ausgeschlossen. Einige Tage zuvor hatte die rechtsextreme FN Politikerin gegenüber der rechtsextremen Tageszeitung Présent erklärt: “Die Muslime können bei uns nicht denselben Rang haben wie die Christen“. Also: Der Islam gehört für die FN Politikerin nicht nach Frankreich. Und nun ebenso, gleich lautend, als hätten sie von der rechtsextremen Politikerin abgeschrieben, heißt die Kampfparole der CSU Führer: „Der Islam gehört nicht nach Deutschland“. Die CSU Führer befinden sich also, im politischen Vergleich, inmitten der FN Propaganda, sie befinden sich in schlechter Gesellschaft.

Mein Hinweis auf diese bisher wenig beachteten Zusammenhänge hat nichts mit „Moral“ zu tun, sondern nur mit einer Tatsache: Der Anerkennung einer rechtsextremen Ideologie innerhalb des FN und deren verbaler Übernahme durch einige CSU Führer. Und diese CSU Führer setzen förmlich noch eins drauf: Sie bekennen sich zu weiteren nicht gerade vorbildlich demokratischen Gesinnungsgenossen: Etwa zum Freund der CSU, dem Ministerpräsident Orban in Ungarn; er ist ja offenbar sehr anregend in seiner perfekten Errichtung von Grenzzäunen und in der Gestaltung eines Europas, das sich einschließt wie eine bedrohte Festung.

Was soll das heißen? CSU Politiker müssen sehr aufpassen, dass sie nicht völlig ins Fahrwasser rechtsradikaler Parolen geraten. Wollen diese Politiker die Menschen verblenden, für deren Verdummung sorgen mit ihren Sprüchen? Hat Bayern diese Politiker verdient? Hat die deutsche Demokratie (den Menschenrechten bekanntlich verpflichtet) etwa gar diese Minister verdient? Meine Antwort und die Antwort vieler Demokraten und Verteidiger der Menschenrechte ist klar.

Quellenangaben: Die Hinweise zu MarionMaréchal le Pen beziehen sich auf das sehr lesenswerte Buch des Politologie Professors Jerome Fourquet, „à la Droite de Dieu“, erschienen im katholischen Verlag Edition du Cerf, Paris 2018, Seite 88 f.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Zu denken geben. Das neue Philosophie-Magazin

Ein Hinweis auf das „Philosophie Magazin, Ausgabe April, 2018.   (Und: dies ist kein „Leser – Brief“.)

Von Christian Modehn

Eine philosophische Zeitschrift, selbst eine „populäre“, sollte man selbstverständlich nicht wie eine Zeitung oder irgendein Nachrichten -Magazin lesen und dann „durch – gelesen“ beiseite legen. Sondern als eine Sammlung von Texten, „die zu denken geben“. Dieses Wort „zu denken geben“ habe ich lange Jahre nicht mehr gehört. Leider. Ich finde es wichtig. Und hilfreich. Es deutet als Konsequenz an: Nur mit Unterbrechungen im Alltag, beim Verweilen bei dem, was zu denken gibt, gelingt Philosophieren. Und Philosophieren ist bekanntlich der entscheidende Grundvollzug von Philosophie “als Wissenschaft an der UNI”. So, wie das Malen absolut notwendig ist beim Künstler für das Gestalten von Bildern.

Und dieses Wort „zu denken geben“ fällt mir ein, wenn ich die neue Ausgabe (April/Mai 2018) des Philosophie – Magazin lese. Da sind, wie gewohnt, Kommentare, Buchbesprechungen, Interviews, Gespräche versammelt, bei denen man während der Lektüre innehält, sich im Denken unterbricht. Ich will aus der Fülle der Beiträge nur auf einiges hinweisen. Dass die Philosophin (und Journalistin) Svenja Flaßpöhler die neue Chefredakteurin ist, haben wir ja auch schon aus der Presse entnommen.

Diese Zeitschrift hat Philosophie nie im engen und begrenzten Sinne verstanden, als wäre das Blatt eine Verlängerung des akademischen Lehrbetriebs an den Unis. Politische Fragwürdigkeiten werden also auch analysiert, etwa die Debatte um die „Tafel“ genannte Armenspeisung in der Stadt Essen. Nils Markwardt schreibt (S. 19) sehr treffend: „Die flächendeckende Notwendigkeit der Tafeln ist vor allem Ausdruck einer politisch gewollten Almosenökonomie, die aus dem jahrzehntelangen Rückbau des Sozialstaates resultiert“. Und, das ist explizit philosophisch: „Die Armen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“. Als nächstes Thema würde ich Nils Markwardt vorschlagen: Was nützt ein C bei bestimmten Parteien, was nützt das sozial bei einer anderen Partei in Deutschland, wenn auch diese herrschenden Parteien, mit einem nach außen propagierten humanen ethischen Anspruch, dann doch, „politisch gewollt“ auch schon hierzulande (und nicht bloß durch eine imperiale Wirtschaftspolitik gegenüber Afrika) Almosenempfänger erzeugen. Und zwar in einer Anzahl, die in die Millionen geht. Und die Kirchen ersetzen offenbar gern den Sozialstaat…Verhältnisse entstehen wie in den USA: Wo die Milliardäre darum beten, dass die Kirchengemeinden und ihre hilfsbereiten Geister die schlimmste Armut mildern und so Hunger – Rebellionen verhindern. Dies wäre ein Thema im Marx – Gedenken 2018. Der religionsphilosophische Salon wird sich damit befassen. Dass „Religion oft Opium“ (Marx) ist, haben wir ja in einem Salon schon besprochen… Die Debatte geht weiter angesichts des Zustandes der Kirchen in Europa und der Religionen im allgemeinen.

Ebenso inspirierend fürs WEITER – Denken ist der leider so kurze Beitrag des Philosophen Philipp Hübl (Uni Stuttgart) zum so häufig gebrauchten und missbrauchten „Argument der schiefen Ebene“. Das da populär verbreitet wird und unbefragt so oft hingenommen wird: Wenn A passiert, dann passiert doch furchtbarerweise auch gleich B und C und D. Man nennt dies den „Domino-Effekt“ oder das „Dammbruch Argument“. Philipp Hübl zeigt den Unsinn dieses Dammbruch Arguments am Beispiel der rechtlichen Zurückweisung einer Suizidassistenz, etwa auch in den Worten des in christlichen Kreisen hoch beliebten ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio.(Seite 20). Dieses Dammbruch Argument (auch Slippery-Slope Argument genannt) wurde und wird oft noch dummerweise verwendet, kürzlich in der Debatte zugunsten der Ehe für alle: Da sieht sich die absolute Mehrheit der Heterosexuellen (etwa 90 % der Bevölkerung) total bedroht, wenn auch die Ehe für Homosexuelle möglich wird. In einigen Staaten Skandinaviens, in Holland etc. gibt es seit vielen Jahren die Ehe für Homosexuelle: Niemals wurde bekannt, dass dadurch die armen Heterosexuellen verfolgt, diskriminiert wurden oder gar die Geburtenziffern gegen Null stürzten. Das Dammbruch Argument ist das hilflose Geplapper reaktionärer Leute, es ist auch in den Kirchen immer noch gültig: „Wenn wir als Katholiken mit Protestanten selbstverständlich das Abendmahl feiern würden, dann verschwindet die uralte Identität des Katholizismus und damit ein Stück absoluter Wahrheit usw“. Oder: „Wenn der Zölibat als Gesetz aufgehoben wird, dann könnten ja auch Frauen Priesterinnen werden und ähnliche „furchtbare“ Dinge passieren“

Also, man sieht: Jeder und jede wird bei der Lektüre des Heftes in eigenes kritisches Denken geführt. Über die eher kleine, aber lesenswerte Rubrik „Erzählende Zahlen“ (S. 26) wäre weiter zu berichten, etwa über die Tatsache, dass es in Las Vegas ein „Luxe Pet Hotel“ gibt, also ein luxuriöses Hunde – und Katzen -Hotel mit Kingsize – Betten in einem hübschen Raum von 15 Quadratmetern. Leider wird nicht berichtet, ob denn Herrchen und Frauchen mit ihren Allerliebsten Kötern das Bett teilen etc. Wer noch einen minimalen Restbestand an ethischem Bewusstsein hat, wird wohl dieses Hotel (200 Dollar Pro Nacht por Zimmer) eine Schande pervers gewordener Tierfreunde nennen. Dieses Hunde Luxus Hotel dürfte allenfalls existieren, wenn die Nutzer gleichzeitig dieselbe Summe (200 Dollar pro Tag) an Obdachlosen – Initiativen überweisen. Die Frage entsteht: Kann man in dieser offenbar verrückten Welt noch vernünftig denken, ohne dabei in einen Zustand von dauernder Wut zu geraten.

Wohin mit der Wut, wäre mal ein Thema fürs Philosophie Magazin. Ich habe kürzlich die Einrichtung von öffentlich gepflegten Räumen des Schreiens und Brüllens in den Großstädten empfohlen, als ersten (!) Ansatz, die eigene maßlose (hilflose) Wut rauszulassen, klicken Sie hier.

Parallel zur Nutzung des Hundeluxus Hotels in Las Vegas passt das Bedürfnis der ganz Reichen (wohl ebenfalls Hundebesitzer) im Silicon Valley, Californien. Es geht letztlich um die Abschaffung oder doch stärkste Einschränkung des eigenen Todes, der Sterblichkeit, der Übermensch als Herrenmensch wird aktuell. Selbstverständlich ist dieses Ersehnen nur Sache der Reichen dort aus dem Umfeld von Google, Amazon, Facebook: Die Mieter aus dem benachbarten San Francisco wurden nachweislich von den ewig Lebend Wollenden schon vertrieben, so dass sie lange und abgeschottet leben dürfen in der hübschen Stadt S.F. Interessant ist, dass auch im sozialistischen Russland, Sowjetunion, an der Idee des ultralangen Lebens gebastelt wurde. Offenbar war es für einige Revolutionäre so schön dort, dass sie gern ad aeternum diesen Kommunismus erleben wollten. Sehr passend, als Kontrast zum bisher Gesagten und im Heft Angesprochenen, ist der Hauptartikel „Einfach leben“. Beeindruckend der Hinweis auf den „Minimalismus“: Leere deinen Geist. Das sollten vor allem die Verblendeten tun, etwa als Therapie für Herrn Trump und andere zu empfehlen. Ernüchternd die Reportage über das sich einfach nennende, aber rundum versorgte Leben der Mönche, etwa im Benediktiner Kloster Ettal in Bayern. Leider hat der Autor nicht herausgefunden, wie reich denn an Immobilien, Wald, Wirtschaftsunternehmen etc. die sich arm nennenden und Armut gelobten Mönche tatsächlich sind. Bekanntlich ist das Vermögen (nicht das geistige) der Klöster und Mönche in Deutschland sehr groß und ein absolut gehütetes Geheimnis. Eher erfährt man das Monatsgehalt von Kardinal Wolki, Köln, nämlich 12.000 Euro, als auch nur den leisesten Ansatz des Vermögens der reichen Orden, die immer um Spenden betteln…

Passend zur Debatte über ein Heimat – Ministerium (im Rahmen des Innenministeriums unter Leitung von Herrn Seehofer CSU („Der Islam passt nicht zu Deutschland“ ist sein pauschaler und deswegen dummer Satz) veröffentlicht Thea Dorn jetzt ihr Buch über Deutschland. Wie man es dreht und wendet, und die Interviewerin Svenja Flaßpöhler gibt sich alle Mühe, Kritisches und Klares der Frau Dorn (vergeblich) zu entlocken: Dass nun in dieser Zeit des neuen Miteinanders, des dringenden Dialogs der Kulturen, der Wandlungen der althergebrachten Identitäten usw. dass da nun ausgerechnet ein Buch „Über Deutschland“ erscheinen muss, ist schon befremdlich, der Untertitel verheißt dialektisch, aber unklar einen „Leitfaden für aufgeklärte Patrioten“. Welcher Patriot würde sich denn auch öffentlich als unaufgeklärt bezeichnen? Patrioten nennen sich heute Leute aus dem Umfeld der AFD oder Leute von Rechtsrock Bands etc. Da hätte sich Frau Dorn bei Kenntnis dieserTatsachen wohl gehütet, nun den Begriff Patriotismus selbst in der Form der „Aufgeklärtheit“ in die Debatte zu werfen. Der Titel Aufgeklärter Patriot – das ist eine pure Schutzmaßnahme, um als National-gebundener oder Heimatfreund noch einen Rest Anstand zu wahren in einer Welt, die neue offene, übernationale Lebensformen verlangt, eben auch kosmopolitisches Leben. Nur dieses hat Chancen, Frieden wiederherzustellen in dieser zerrissenen Welt voller Politiker, die national denken und handeln. Um den neuen Kosmopolitismus sollten sich PhilosophInnen bemühen und nicht alte Themen aufwärmen. Peinlich berührt ist der Leser, wenn Thea Dorn sich förmlich entschuldigt, dass sie öfter mal an einer türkischen, also muslimischen, Hochzeit teilnahm: „Ich war recherchehalber auf traditionellen türkischen Hochzeiten….“(S. 71) Bemerkenswert: bloß recherchehalber also, nicht aus Gründen eines neuen menschlichen Miteinanders, um miteinander zu feiern….

Insofern müsste Derridas Konzept der Dekonstruktion – wird im Heft vorgestellt – auch auf den Heimatbegriff und den Nationen-Begriff angewendet werden. Ob es dann bei einer Dekonstruktion bleibt und nicht in dem Falle in die gebotene Destruktion der Begriffe führt, wäre dringend zu bedenken. Denn Nationales Denken versteckt sich im Heimat-Denken. Und beides führt zum Krieg. Philosophinnen sollten doch mehr historisches Wissen haben. Ein Hinweis noch von Heinrich Heine:

 

“Fatal ist mir das Lumpenpack,

das, um die Herzen zu rühren,

den Patriotismus trägt zur Schau,

mit allen seinen Geschwüren.”

 

(Heinrich Heine, Ein Wintermärchen, entnommen

aus dem Internet am 8. Dezember 2015, [http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/heine_

wintermaehrchen_1844?p=143]. )

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.