Gewalt und Monotheismus. Über Jan Assmann

Einige kurze Erläuterungen für ein Gespräch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin im Jahr 2018.

Ein Hinweis von Christian Modehn, bearbeitet Anfang November 2023.

1. Jan Assmann ist ein sehr bekannter und geschätzter Ägyptologe und umfassender Kenner der monotheistischen Religionen. Jahrgang 1938, war er Professor in Heidelberg, jetzt lebt der in Konstanz. Die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen beträgt etwa 50. Zusammen mit seiner Frau, der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, erhielt er am 14. 10.2018 den „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“. Prof. Aleida Assmann, geb. 1947 hat etwa 20 Bücher vor allem über Erinnerung und Kultur veröffentlicht.,

2. Jan Assmann macht seit 1997 darauf aufmerksam, in immer neuen Ansätzen nach zahlreichen Debatten mit anderen Wissenschaftlern: Der Monotheismus (Assmann spricht fast ausschließlich vom biblischen, also vor allem auch alttestamentlichen Monotheismus) enthält in seinen „heiligen“ Texten Aufforderungen zu gewalttätigem Handeln im Umgang mit anderen, „Fremden“, die als Feinde verstanden werden sollten.

3. Assmann hat den Begriff „mosaische Unterscheidung“ geprägt: Durch Moses, als dem Empfänger der göttlichen Offenbarung, kam der „Unterschied“ ins Bewusstsein der Menschheit: Es gibt die eine wahre Religion, also den Monotheismus. Und die vielen, in monotheistischer Sicht, falschen Religionen, die poly-theistischen Religionen.
Assmann unterscheidet zwischen einem „Monotheismus der Treue“, der emotional sich auf den Gott des Bundes bezieht: JAHWE führte das Volk Israel aus Ägypten. Dieser Gott ist eifersüchtig… Ihm müssen die Israeliten absolut treu ergeben sein (Nebenbei: Moses ist für Assmann KEIN Ägypter, er kannte nicht den altägyptischen König Echnaton, den radikalen Religionskritiker zugunsten der Sonnenverehrung. Moses war wohl ein Angehöriger des israelitischen Volkes.)
Zum Monotheismus der Treue schreibt Assmann: „Diese Völker in Kanaan muss Israel vertreiben und ausrotten, um sich nicht zur Anbetung ihrer Götter verführen zu lassen“. Oder: „Was im Umgang mit den Kanaanäern gefordert wird, ist ein heiliger Vernichtungskrieg, der mit der Formel, den Bann vollstrecken bezeichnet wird“. (Totale Religion, S. 50). „In der Bundesidee (Gottes mit Israel) wurzelt die religiöse Gewalt“, meint Assmann, in „Monotheismus unter Gewaltverdacht“, S. 265.
Daneben kann man im Alten Testament auch vom „Monotheismus der Wahrheit“ sprechen: Da machen sich etwa die Propheten lustig über die vielen von Menschen gemachten Götter der Heiden. Etwa Jeremia, Kap. 10: „Die Gebräuche der Völker sind leere Wahn…Ihre Götzen sind nur Holz“ Es folgt dann logisch: Die Zerstörung der Götterbilder. Denn Heidentum ist Verblendung.
Es gab auch eine bestimmte Form jüdischer Toleranz -Theorie: Etwa im Gefolge der Abraham-Tradition und in den (bei Laien kaum bekannten) jüdischen Zentren in Ägypten und Babylon (dort gab es den jüdischen Dialog mit den „Heiden“)
Im Alten Testament, im Buch Genesis, ist die auf die Schöpfung bezogene Theologie wichtig für den toleranten Umgang der Israeliten mit anderen Völkern. Nur ein Beispiel: Joseph wird in Ägypten zum Zweiten Mann im Staate, er heiratet die Tochter des Hohen Priesters, „es geht um die Anbetung desselben Gottes“.

4. Aber für Jan Assmann ist klar: Die zur Gewalt an den „Anderen“, den „Poyltheisten“, aufrufenden alttestamentlichen Texte muss man vor allem als Literatur verstehen, sie sind keine unmittelbaren politischen Appelle zur Tat zu schreiten: Denn, was etwa die biblischen Texte als Gewalt der Israeliten gegen die im Land lebenden Kanaäer beschreiben, ist historisch längst überholt: Die Ereignisse der Landnahme waren etwa im Jahr 1200, die Texte hingegen sind ca. 500 vor unserer Zeitrechnung geschrieben worden. Das heißt: Die Gewalt sollen die Israeliten eher auf sich selbst richten, weil sie immer vom Unglauben und Heidentum bedroht sind. Dennoch hat wohl die aggressive Landnahme stattgefunden…

5. Die polytheistischen Religionen haben tatsächlich auch einen obersten Gott, etwa Zeus. Sie sind also in gewisser Weise auch mono – theistisch strukturiert. Zeus ist der Oberste von allen Göttern. Aber griechische Götter, etwa Zeus, können in andere Kulturen/Sprachen übersetzt werden, etwa Jupiter als lateinischen Titel. Diese Übersetzungsmöglichkeit funktioniert im biblischen Monotheismus nicht. Er kapselt sich sozusagen ein. Anhänger polytheistischer Religionen sind zwar auch gewalttätig, aber sie sind dies nicht aus religiösen Gründen, sondern etwa aus politischen. Polytheisten betreiben keine Mission. Konvertiten bei ihnen sind eher selten, vielleicht im Bereich der brasilianischen Religion Candomblé; aber da kann man gleichzeitig mehreren Religionen angehören…
Assmann spricht anstelle von polytheistischen Religionen von kosmo – theistischen Religionen, weil diese Kosmisches, Weltliches, als heilig und als göttlich deuten. Wichtig auch: „Anders als die monotheistischen Offenbarungsreligionen kennen die kosmotheistischen Religionen keine absolute Wahrheit“ („Monotheismus und Gewaltverdacht“, S. 251.)

6. Warum erhält Jan Assmann den FRIEDENSPREIS des deutschen Buchhandels? Meine Antwort: Weil Assmann in seinen jüngsten Publikationen über die Dialektik Monotheismus -P olytheismus hinaus geht: Er plädiert für eine Vernunftreligion der Menschheit. Da hat jeder Fromme „seine“ (möglicherweise durch Offenbarung vernommene) Religion, ohne diese persönlich für die einzig mögliche und einzig richtige zu halten. Der Fromme glaubt also noch an eine zweite, übergeordnete vernünftige Religion. Dies hat keine institutionelle Struktur, sie ist förmlich nur eine geistige Realität, so wie der Kategorische Imperativ ja auch eine geistige Realität ist.

7. Assmann spricht deswegen von „religio duplex“. Die übergeordnete Vernunftreligion hat Vorbilder bei Lessing oder bei dem großen Berliner jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn: Man lese seine „Jerusalem – Schrift“ von 1783. Maßstab für eine ins Objektive gehende Bewertung der Inhalte der verschiedenen Religionen kann nur etwas übergreifend Vernünftiges sein, nicht etwas Inner – Religiöses, Konfessionelles: „Alles, was das Zusammenleben auf diesem Planeten verbessert, verschönert, erleichtert“, also, was die Menschenrechte befördert, ist Maßstab für die Qualität einer Religion. Hingegen Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung, so Assmann, passen nicht zu den angenehmen, förderungswürdigen Religionen… Assmann weist darauf hin, dass Gandhi in dieser religiösen Doppelstruktur im Bewusstsein des einzelnen Frommen dachte: „Alle konkreten Religionen zielen auf die eine, noch versteckte Religion der Wahrheit“ (Monotheismus unter Gewaltverdacht, S. 259). Diese hat mystischen Charakter, betont Assmann, mit ausdrücklichen Bezug auf Jacob Böhme. Dessen Wort steht in der Tradition der negativen Theologie „Gott sei nichts und alles“ ihm entscheidend ist (im Buch „Religio Duplex“, Buch von 2010, S.127)

8. Das Plädoyer Assmanns für eine vernünftige, tolerante, friedfertige Menschheitsreligion entspricht unseren religionsphilosophischen Interessen und Überzeugungen, zumal wenn man Kants „Religionsschrift“ mitbedenkt. Darüber hinaus stellt sich für die individuelle Lebensphilosophie die Frage: Welche absoluten Werte (also meinen persönlichen „Monotheismus“) leiten mich? Wie setze ich diese durch? Meine jeweilige, vielleicht für absolut eingeschätzte Wahrheit kann niemals objektive absolute Wahrheit auch für andere sein. Absolute Wahrheit hingegen ist das allen einzelnen religiösen Überzeugungen Gemeinsame, die Vernunftreligion … und die ihm entsprechende Lehre vom Kategorischen Imperativ!

9. Der gewaltbereite Monotheismus ist keineswegs nur ein religiöses Phänomen, sondern auch ein politisches. Etwa im Stalinismus oder im Faschismus gab es mono-„theistische“ Gewalt, indem die Führer sich für absolut erhabene „Götter“ hielten… Zum politischen „Monotheismus“, dem Stalinismus: Siehe etwa das Buch von Michail Ryklin, „Kommunismus als Religion“. Verlag der Weltreligionen, 2008.; „Die politische RELIGION des Bolschewismus nannte sich selbst eine wissenschaftliche Ideologie“ (S. 40) …auch der französische Soziologe Raymond Aron sprach vom Kommunismus als säkularer Religion. „Der Sozialismus (à la Moskau) ist Religion in dem Maße, in dem er Anti-Religion ist“. (S.41). Die „Pilger“ aus ganz Europa strömten in den dreißiger Jahren nach Moskau zu Stalin. Sie sahen in der UDSSR ein heiliges Land, ließen sich dort auch materiell verwöhnen und ihren Verstand verwirren. „Clara Zetkin forderte an der sowjetischen Grenze alle Mitreisenden auf, ihre Schuhe auszuziehen, denn der Boden, den man betrete, sei, so wörtlich, heiliger Boden“ (S. 58, zit. von Karl Schlögel). Aber: Andere Reisende empfanden die UDSSR treffender als Hölle: (S. 59.)
Viele Intellektuelle wurden Konvertiten zum Kommunismus: Die neue kommunistische Religion versprach, besser zu sein als Christentum oder philosophischer Atheismus. „Bei den inszenierten Feierlichkeiten in Moskau erweckte das System den Eindruck, die Erlösung habe bereits stattgefunden“ (S. 60)

10. Tatsache ist: Der Polytheismus macht sich heute auch philosophisch breit, indem etwa der Philosoph Odo Marquard in dem Buch (Reclam – Verlag) „Abschied vom Prinzipiellen“ einen Aufsatz über „Lob des Polytheismus“ veröffentlicht und damit u.a. meint: Die moderne Demokratie als Gewalten – Teilung sei „polytheistisch“. Dabei vergisst Marquard, dass die Demokratie durch die Bindung an die universal geltenden (!) Menschenrechte durchaus, wenn man so will, mono-theistisch geprägt ist. Die neue Rechte bzw. die Rechtsextremen denken polytheistisch. Rechtsextreme definieren sich oft als Heiden mit entsprechenden Kulten, Ku Klux Klan etc…Da gibt es explizit Übermenschen und bedeutungslose Untermenschen.

11. Assmann weist auch darauf hin, wie einzelne gewaltfördernde Texte im Alten Testament im Laufe der Kirchengeschichte als ideologische Entschuldigung für Gewalt verwendet werden: etwa: Kaiser Karl V. hat im Rahmen der imperialistischen Gewalt gegen die indianischen Völker täglich aus dem Buch Deuteronomium Kapitel 20 gelesen.

12. Das monotheistische Bilderverbot: Für Assmann DAS Kennzeichen des Monotheismus: Gott lässt sich in kein Bild zwingen und zwängen. Die Götter der Polytheisten haben viele Bilder. Auch in einigen protestantischen Kirchen, vor allem in der Tradition Calvins, gibt es ein Bilderverbot. Dies war auch eine polemische Entscheidung gegen die Bilderflut im Katholizismus. Diese barocke Bilderwelt war eine Propaganda der Ablenkung der Frommen bei der Messe, die sie, auf Latein gefeiert, ohnehin nicht verstanden.
Dabei ist klar: Jeder Fromme denkt sich dann doch – zunächst – irgendetwas Konkretes, wenn er an Gott denkt. Innere Bilder sind nicht zu verbieten, sie sind oft wirksamer als äußere.
Das Bilderverbot ist aktuell: Vor allem als absolute Warnung, etwas Weltliches zu Göttlichem zu erklären: Geld, Nation, eine Partei, einen Menschen etc. Das ist aktuell, leben wir doch in der Zeit des heiligsten Geldes und des heiligen Finanzkapitals.

13. Eine Frage, die Assmann nicht bearbeitet hat, nach meiner Kenntnis: Ist das Christentum, vor allem der Katholizismus, tatsächlich selbst „streng monotheistisch“? Die Frage spüren moderne, kritische Theologen, wie Edward Schillebeeckx, in: „E. Schillbeeckx im Gespräch“, Luzern 1994. S. 103 ff. Er betont seine Zurückhaltung, wenn er von der göttlichen Trinität spricht. „Wenn ich sage, dass Gott in drei Personen existiert, fürchte ich eine Art Tri–Drei -Theismus, drei Götter, drei Personen wie eine Art Familie. Ich scheue mich, eine spekulative Theologie über die drei Personen und ihre Beziehungen zueinander zu entwickeln…. Was soll die Rede von drei Personen“? „Ich bin im Hinblick auf eine Trinitätstheologie fast ein Agnostiker“ (S. 107). Da gibt es viele theologische Aufräumarbeit in den Kirchen. Auch so viele Kirchenlieder müssten umgeschrieben werden oder besser: ganz verschwinden!

14. Ist der Katholizismus monotheistisch, etwa angesichts des immer noch ausufernden Marienkultes und der Heiligenverehrung? Maria als Königin, Maria als dominante all präsente Mutter und Herrscherin, als erhabene Figur über den Barockaltären.. Es gibt das Gebet zu Maria, „durch Jesus zu Maria“ als Spruch, die Orte, wo die Mutter Gottes erschien, Fatima, Lourdes etc… Wer denkt da nicht eine Mit – Erlöserin, an eine Art Göttin Maria? Das Thema wird in der Theologie und Lehre der katholischen Kirche tabuisiert und ignoriert. Was wäre aber eigentlich schlimm, wenn es eine christliche Muttergottheit gäbe?
Siehe etwa das beliebte Marienlied „Gegrüßet seist du Königin“… Da heißt (es in der 6. Strophe „O mächtige Fürsprecherin, o Maria. Bei Gott sei unsere Mittlerin, o Maria…“ (Zit aus „Mythos Maria“, S. 92, von Hermann Kurzke, Beck Verlag)… Oder aus dem Lied „Wunderschön prächtige…“ In der 6. Strophe heißt es „Du bist die Helferin, die bist die Retterin“, Kurzke S. 238.)

15. Die Arbeiten von Jan Assmann über den Monotheismus führen zu mehr Klarheit im Umgang mit monotheistischen Religionen. Im Christentum, in den Kirchen, gilt doch jetzt die Erkenntnis: Wer sich heute Christ nennt, ist einbezogen in eine breite Gewaltgeschichte, die nur mit Mühe von offizieller Seite anerkannt wird. Diese Gewaltgeschichte erhält jetzt durch den sexuellen Missbrauch durch Priester weltweit noch ein neues Gesicht. Angesichts dieser überwiegend äußerst dunklen Geschichte bleibt meines Erachtens für einen spirituellen Christen nur der Weg der Mystik: Der Suche nach dem Göttlichen in der eigenen Seele, dem „ewigen“ Seelenfunken“ in jedem Menschen, dieser göttliche Seelenfunken verlässt den Menschen nicht – aufgrund des Geschaffenseins durch Gott, verlässt den Menschen auch nicht im Tod: Dies ist die „Auferstehungserfahrung“.

16. Jesus von Nazareth ist in unserer Sicht ein wegweisender Prophet und Lehrer, der heute die allgemeine, die säkulare, vernunftgesteuerte Ethik mit seinen eigenen Vorschlägen verstärken bzw. weiter führen könnte: Man denke an die jesuanische Feindesliebe, an die wesentliche Gleichheit ALLER Menschen als gelebte Brüderlichkeit. Man denke an die Abwehr von autoritären religiösen Meistern (Abwehr des Klerus etc.), an die Bevorzugung der Armen – als Weg der spirituellen wie politischen Befreiung.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„DIE ZEIT“ verbreitet Legenden und Fake News zur Kirchengeschichte

Manfred Lütz und sein Skandalbuch „Skandal der Skandale“ wird von Jens Jessen (DIE ZEIT) verteidigt.

In der Ausgabe DIE Zeit vom 6. September 2018, Seite 40.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Nun verbreitet auch die eigentlich ja oft geschätzte Wochenzeitung „DIE ZEIT“ theologische und kirchenhistorische Legenden, fake news: Offenbar nämlich durfte, so meine Vermutung, der angeblich „prominente Psychiater und Theologe“ Manfred Lütz, so diese Einschätzung durch „Die Zeit“, dort dem Redakteur Jens Jessen seine eigene Buchkritik fürs Feuilleton dieser Wochenzeitung vorlegen. Auf andere Weise kann ich als Theologe und Kritiker des Skandalbuches „Der Skandal der Skandale“, verfasst von Manfred Lütz, nicht verstehen, dass so viel Unsinn auf einer Spalte verbreitet wird, unterschrieben von Jens Jessen. Man hat den starken Eindruck, dass der Rezensent Jessen das Buch selbst nicht gelesen hat. Denn dann wäre dem Kulturjournalisten wenigstens aufgefallen, dass das Lütz Buch, das sich ja als wissenschaftliches Buch und nicht als Märchen – Buch versteht, keinen einzigen Quellenverweis bei den vielen Zitaten enthält. Wenigstens ein kleines Zitat aus dem Lützbuch hätte ein lesender Rezensent doch mal einfügen können, macht Jessen aber nicht. Zu den Quellenangaben: Lütz redet sich da raus und sagt, dann sollen die LeserInnen eben das umfangreiche Buch des Kirchenhistorikers Angenendt lesen, auf das sich Lütz ja bezieht. Wie nett.

Es ist schon komisch, dass die sonst auf Aktuelles auch im Feuilleton so fixierte ZEIT dieses Lütz Buch erst 6 Monate nach Erscheinen publiziert. Meine Vermutung ist: Offenbar ist aus dem von Anfang an als Bestseller hoch gejubelten Buch doch nicht so viel geworden an Auflagen, so dass nun kurz vor der Buchmesse in Frankfurt mit Hilfe dieser Werbung der ZEIT noch mal das Geschäft befeuert werden soll.

Der Gesamttendenz des ärgerlichen Textes:

Diese Buchbesprechung in DIE ZEIT ist eine Reinwaschung des Skandalbuches von Lütz.

Jessen (bzw. Lütz, wenn man so will) unterstellt, der Philosoph Herbert Schnädelbach würde „landläufigen Urteilen“ folgen in seiner Buchkritik zu Lütz. Was für eine Unverschämtheit, einem renommierten Philosophen eine unreflektierte Folgsamkeit zu „landläufigen Urteilen“ zu unterstellen….Die Rezenten tut weiter so, als sei der Historiker Prof. Angenendt völlig einverstanden mit diesem Lütz Opus. Ich höre von Insidern, dass Prof. Angenendt selbst gar nicht so glücklich ist mit der Reinwascherei, genannt Popularisierung, seines umfangreichen Buches, die Herr Lütz da liefert. Wusste Arnold Angendt, em. Prof. in Münster, Jahrgang 1934, überhaupt vor Drucklegung von dem Lützbuch? Das ist alles nie geklärt worden. Man frage doch mal bei Angenendt nach, wie zufrieden er denn als Wissenschaftler ist mit der Popularisierung seiner umfassend wissenschaftlichen Studie. Das wäre Aufgabe eines Recherche-Journalismus in DIE ZEIT etwa..

Selbst der erzkatholische Politologe und einstige ZK Chef der Laien in Deutschland kritisierte das Skandalbuch von Lütz in „Christ in der Gegenwart“, Ausgabe 8.4.2018.

Mir unterstellte Lütz in einem Leserbrief für PUBLIK FORUM (Heft 7/2018) „böse Absichten der Manipulation“, nur weil ich erwähnte, dass zweifelsfrei zustimmend Lütz den amerikanischen Politologen Gary Remer in seinem Skandal Buch zitiert. Remer schreibt: „Hätte im Mittelalter ein jüdischer Staat bestanden, dürften manche Heiden der Verfolgung ausgesetzt worden sein“… In einem Interview mit Joachim Frank, Frankfurter Rundschau, 28. März 2018, Seite 32, hat Lütz immerhin einen gravierenden Fehler seinerseits eingestanden, als er in dem Skandal Buch schrieb: „Manches“, was die Christen den Juden antaten, „mag skandalös gewesen sein“. Manches, und mag gewesen sein, behauptet Lütz. Gegenüber Frank sagte Lütz, er wolle diese Formulierung korrigieren…

Aber darum geht es jetzt nicht primär:

Die Rezension in DIE Zeit verfälscht die Tatsachen: Die Liste der kirchlich verursachten und von der Kirche in Gang gebrachten Verfolgungen und Tötungen ist grenzenlos. Kirchen und Staaten waren damals, bis ins 18. Jahrhundert, ideologisch eins, es ist darum nur „Weißwäscherei“ zu sagen: Die Verfolgung und Tötung hätte der Staat übernommen. Er musste es in gutem Einvernehmen mit der Kirche tun. Kirche und Staat wollten beide keine „Abweichler“ in ihrem Territorium, darum töteten sie in gutem Einvernehmen (!) die Abweichler…

Es ist auch die Kirchenführung selbst, die eine grausame Verfolgung aller Häretiker einführt, etwa im Verdammungsdekret gegen Petrus Valdès und seine Freunde, siehe dazu den nun einmal wirklich prominenten Historiker Jacques Le Goff, „Die Geburt Europas im Mittelalter“, 2004, Seite 119. Auch die tötende Gewalt der Kirche gegen Homosexuelle seit der Frühzeit der Kirche schreit förmlich zum Himmel.. “Bei den Mächtigen wurde die Sodomie mehr oder weniger (von der Kirche) geduldet“ (S. 126, ebd.) Eine interessante Parallele zur Jahrzehnte, Jahrhunderte langen kirchenoffiziellen Verschleierung des Kindesmissbrauchs durch Priester, Bischöfe, Kardinäle.

Die Hexenverfolgungen sind von den Kirchenleuten eingeleitet worden: „Eine führende Rolle bei der Einstimmung auf die Hexenjagd übernahm das Buch, der so genante Hexenhammer, der beiden Dominikaner Mönche, Jacob Sprenger und Heinrich Institoris,“ so Le Goff, ebd. 215….

Kaum Hinrichtungen habe es in Spanien gegeben, meinen Jessen/Lütz in ihrer Rezension. Welch ein Blödsinn! Wird es wirklich erst unerträglich fürs kirchliche Selbstbild, wenn keine Hinrichtungen geschehen. Sind Verfolgungen, Folter usw. noch kirchlich hinnehmbar? Man studiere nur die Geschichte der frühen Protestanten in Spanien, man studiere, wie dort Juden und selbst konvertierte Juden aufs übelste belästigt, verfolgt (Teresa von Avila, etc.) und z. T. auch getötet wurden.

Der größte Skandal in der ZEIT Rezension ist die unsägliche Behauptung: Die Kritiker, die die Verbrechen der Kirche freilegen, seien Geschichtsklitterer oder schlimmer noch, so wörtlich, moderne Religionsfeinde. Lütz wird doch wohl noch Religionskritik als Kritik von Feindschaft unterscheiden können. Hat der fromme Herr Lütz den Satz Jesu vergessen: „Die Wahrheit wird euch frei machen“?

Wenn Philosophen und kritische Theologen umfassend und ohne Apologetik die furchtbaren Seiten der Kirchen freilegen, sind sie heute in bester Gesellschaft mit Papst Franziskus, der ja wohl kein Religionsfeind ist, nur weil er die furchtbaren, tausendfachen Verbrechen des höheren und niederen Klerus im sexuellen Umgang mit Kindern und Jugendlichen offenbar langsam aber sicher freilegen will?

Ich habe in meiner ausführlichen Rezension gleich nach Erscheinen des Skandal Buches von Lütz gezeigt, in welchen theologischen Kreisen sich der angeblich prominente Herr bewegt, es ist das Gebiet des katholischen Rechtsaußen, aus dem Umfeld des Opus Dei, das ja bekanntlich gern Apologetik betreibt.

Man lese bitte anstelle der Zeit Rezension die ausführlichen Besprechungen zum Skandal-Buch von Manfred Lütz, verfasst von Christian Modehn, Herbert Schnädelbach und des Historikers Josef Breinbauer.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Der Glaube an den “einen” Gott und die Gewalt: Der philosophische Salon im September

Ein religionsphilosophischer Salon am Freitag, den 28. September 2018, um 19 Uhr in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9

Den „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ erhalten in diesem Jahr 2018 in Frankfurt/M. die beiden Wissenschaftler Aleida und Jan Assmann. Aleida Assmann arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Jan Assmann noch berühmter, wenn man so sagen darf, hat als Ägyptologe einen international hochgeschätzten Ruf: Er hat sich als universal gebildeter Religionsforscher in vielen Veröffentlichungen mit der „Gewalt im Monotheismus“ auseinandergesetzt und dadurch auch viele Kontroversen ausgelöst.

Wir wollen uns in diesem Salon – Gespräch dem zentralen Thema von Assmann kritisch nähern und uns fragen, wie in einem auch persönlich strukturierten Salongespräch üblich: Wo und wann haben wir Gewalt des Monotheismus erlebt? Und: Wann sind atheistische Ideologien als säkulare Mono-„theismen“ gewalttätig (gewesen)? So wird die Frage nach der Möglichkeit “absoluter Wahrheiten” aufgeworfen. Ist dann “alles” relativ?

Und vor allem: Wie lässt sich durch uns (!) eine Welt nicht nur der elementaren, aber oberflächlichen Toleranz, sondern des gewaltfreien Respekts aufbauen?

Lektüreempfehlung: Jan Assmann, Totale Religion. Picus Verlag Wien, 2016. Einige grundlegende Aufsätze und Hinweise zum Weiterforschen.. 183 Seiten.

Als philosophischer Hintergrund: Peter Sloterdijk, Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. Verlag der Weltreligionen, 2007. 218 Seiten.

Siehe auch die große Debatte im Perlentaucher Magazin, online sind die Texte als pdf verfügbar.

Bei Interesse an diesem Thema: Bitte um Anmeldung: christian.modehn@berlin.de

Europa unterstützt Diktatoren in Afrika: Wie Europa seinen Rassismus heute lebt. Ein Buchhinweis

Ein Buch – Hinweis von Christian Modehn

Vorweg: Ich veröffentliche diesen Hinweis bezogen auf den 15. August, den Tag von “Marias leiblicher (!) Aufnahme in den Himmel”, ein z. T. staatlicher (Bayern!, Frankreich, Italien usw.) wie insgesamt katholischer Feiertag. Diesen 15. August auf die Flüchtlinge zu beziehen, soll bedeuten: Eine humanistische, auf Jesus bezogene Religion täte gut daran, diesen intellektuell ohnehin kaum nachvollziehbaren Marien-Feiertag neu zu bestimmen: Als Tag der humanen leiblichen Aufnahme der Flüchtlinge in Europa. Dazu wird sich aber kein Kirchenfürst im Vatikan und anderswo aufraffen.

Europa, die EU und damit auch Deutschland, bedient sich einiger Diktatoren in Afrika, damit diese die Anwesenheit von afrikanischen Flüchtlingen in Europa massiv und gewalttätig verhindern. Für viele Millionen Euros tun Diktatoren und verbrecherische Clans bekanntlich alles. So krepieren viele tausend Flüchtlinge in der Sahara. Etwa der alles andere als demokratische Staat Niger wird von Deutschland und der EU finanziell großzügig ausgestattet, um die in dieses Transitland gelangenden Flüchtlinge aufzuhalten, auszubeuten, zurückzuschicken. Die EU unterstützt so das in Niger regierende autokratische Regime.  Die Flüchtlinge, die auf “Schleichwegen” durch die Sahara doch noch nach Libyen gelangen, werden dann in den von der EU bezahlten “Lagern” (dies sind moderne KZs) in Libyen festgehalten, gequält, missbraucht, verkauft. Viele ersaufen dann im Mittelmeer.Und die reaktionäre, katholisch geprägte PP Partei wird in Spanien alles tun, damit die bis jetzt hilfsbereite sozialistische spanische Regierung gerade der Flüchtlingshilfe wegen wieder “verschwindet”… So zeigt ein sich gelegentlich noch christlich bzw. humanistisch nennendes Europa sein wahres Gesicht gegenüber Menschen in Not. Die Schikanen gegenüber den rettenden Helfern auf ihren Booten sind eine Schande. Werden diese Helfer den Friedensnobelpreis erhalten?

Es wird von europäischen Politikern nicht erklärt: Wie denn nun die oft angedeuteten umfassenden, Strukturen verbessernden europäischen Hilfen für eine insgesamt menschenwürdige Zukunft der Armen in Afrika wirklich aussehen werden. Vielmehr ist es eine Tatsache: Es wird auch in Deutschland eine Art rassistische Abwehr betrieben, damit diese Armen bloß nicht unseren Wohlstand in Europa irgendeiner Weise in Frage stellen. Moralisch nennt man dieses Verhalten “tödlichen Egoismus”. Wie Skalven werden die Flüchtlinge dann auf den Obstplantagen in Spanien gern benutzt oder als unterbezahlte Tellerwäscher in europäischen Restaurants usw…

Zu dem umfassend verstörenden Thema ist schon vor einigen Wochen ein sehr lesenwertes Buch erschienen, auf das wir schon früher hingewiesen haben und noch einmal nachdrücklich hinweisen: „Diktatoren als Türsteher Europas”. Von Christian Jakob und Simone Schlindwein (Ch. Links Verlag, Berlin 2017).  Meinen ausführlichen Text zu dem wichtigen Buch können Sie hier nachlesen.

Wenn der Dialog heute verweigert wird

Die Philosophie und das Verschwinden vernünftiger Kommunikation heute

Ein Hinweis von Christian Modehn zur Philosophie von Karl-Otto Apel

Die Krise der Kommunikation heute, als Verleumdung, Lügenpropaganda, Abbruch des Dialogs, Niveauverlust in den Gesprächen usw. ist auch eine Krise der Demokratie heute. Zu diesem Krankheitssyndrom kann die Philosophie hilfreiche Hinweise geben, wenn sie auf die unaufgebbaren Voraussetzungen der Kommunikation aufmerksam macht. Wer sie nicht beachtet, schädigt sich selbst auf Dauer.

Philosophieren als Praxis der Philosophie kann die Welt zwar nicht unmittelbar, nicht sofort, nicht „ad hoc“, verbessern. Aber Philosophie bringt Klarheit in die von Menschen verwendeten Begriffe und Werte bzw. Unwerte: Wer will schon selber in einem widersprüchlichen Wirrwarr von Meinungen und Behauptungen leben, wie im Nebel orientierungslos herumirren? Philosophie zeigt Irrtümer und Lügen auf und stellt die Frage: Ob Menschen mit der Lüge leben wollen.

Die Stärke der Philosophie ist die tief greifende Analyse der Sprachwelten, in denen die Menschen sich heute bewegen. Philosophie klärt auf über das, was wir sagen und tun und welche Konsequenzen das hat.

Philosophen sagen also eher selten, was denn konkret jetzt im einzelnen zu tun ist. Sie sind dem Allgemeinen verpflichtet, der Reflexion auf das allen Gemeinsame, die Vernunft. Aber gerade darin liegt die Bedeutung der Philosophie bzw. einer bestimmten Form des Philosophierens. Philosophie hat Wesentliches in der Krise zu sagen. Leider sagen das so wenige PhilosophInnen heute. Die demokratischen Gesellschaften haben heute ein tief greifendes Kommunikationsproblem. Man könnte sagen: Menschen unterschiedlicher Herkunft, Bildung, Parteienzugehörigkeit, Religionsbindungen usw. verstehen einander nicht mehr. Und das ist in dieser radikalen Dimension neu. Heute haben sich die Feinde der immer zu verbessernden (!) Demokratie innerhalb der Demokratie auch in Europa breit gemacht, das ist das Besondere und Gefährliche.

Jetzt reden Menschen aneinander vorbei, auch wenn sie noch die gleich klingenden Begriffe verwenden. Einen gemeinsamen sachlichen verbindenden und verbindlichen Inhalt gibt es oft nicht mehr: „Demokratie“, „Rechtsprechung“, „Gleichheit vor dem Gesetz“ usw. werden in widersprüchlichen Bedeutungen verwendet. Und die Kontrahenten sehen nicht mehr, was ein gemeinsames inhaltliches Verstehen leisten könnte.

Mister Trump erschüttert das Zusammenleben vernünftiger Menschen durch sein von Psychologen auch bestätigtes verrückt zu nennendes Agieren. Er sieht sich, der Autokrat, als der Herr der Wahrheit (ebenso Putin und die vielen anderen, die sich in Europa Politiker nennen): Um bei Mister Trump zu bleiben: Er kann heute die Wahrheit A und schon ein paar Stunden später die der Wahrheit A völlig widersprechende Wahrheit B verkünden. Die Bürger bzw. wenigstens seine Getreuen sollen gehorsam dem herrschaftlichen Umgang mit seiner Wahrheit folgen. Trump etabliert sich so als „der Führer“. Durch diese krankhafte Weise permanenter Verwirrung werden Menschen auf Dauer dann müde und zermürbt. Ihr Vertrauen in Erkenntnisse und Sätze mit Wahrheitsanspruch schwindet; ebenso wird das elementare Vertrauen in einen Mann, der sich Präsident nennt, zerstört. So bilden sich feinselige Fraktionen in ein und derselben Gesellschaft: Die einen halten sich an Wahrheit A, die anderen an Wahrheit B, und einige noch an die tatsächliche Wahrheit; vielen aber wird dieses ganze Thema dann doch ganz egal: Sie überlassen den Führern das Feld. Die permanente Verwirrung angesichts der Fakes und der Fakes – Behauptungen zerstört letztlich die letzten Reste von Demokratie. Und das wollen diese Herren, man befasse sich intensiver mit dem rechtsradikalen Freund von Mister Trump, mit Steve Bannon, der jetzt sein Netz knüpft zwischen allen rechtsradikalen Parteien Europas, auch die AFD hat Kontakte zu Bannon. Angesichts dieser eher hoffnungslos stimmenden Situation fragen sich einige: Und was haben Philosophen zu diesen Verhältnissen zu sagen? Philosophie hat es bekanntlich mit den „allgemeinen“ Fragen zu tun. Sie beschäftigt sich kritisch reflektierend mit der Vernunft und weiß, dass es tatsächlich nur eine gemeinsame Vernunft der Menschen geben kann. Selbst wer als Philosoph etwa in der Postmoderne von der Vielfalt verschiedener historisch – kulturell differenter „Vernünfte“ spricht oder sprach, verbindet doch die Vielfalt dieser „regional“ verschiedenen Vernünfte in seiner vernünftigen, von allen Lesern nachvollziehbaren Beschreibung zu einer gemeinsamen Verständlichkeit zusammen; d. h. wer von vielen Vernünften spricht, MUSS sich doch wieder einer gewissen „einheitlichen“ Sprache zur Erklärung dieser Behauptung bedienen. Noch einmal: Alle Interpretationen der vieler Vernünfte gelingen nur in der Verwendung dann doch einer gemeinsamen Sprache, der sich der darstellende Philosoph bedient.

Eine Privatsprache, die nur ich und vielleicht ein Freund verwenden und verstehen, kann man ja als Hobby entwickeln, nur wird sie als Privatsprache nie allgemeine Sprache werden (dürfen). Darauf hat der späte Wittgenstein bekanntlich hingewiesen.

Selbst wenn man die, kulturell bedingt, inhaltlich differenten Begriffe respektiert, etwa die unterschiedliche Bedeutung von „Welt“ oder „Transzendenz – Immanenz“ in Westeuropa und in China, wird man doch bei aller Differenz dann in einer gemeinsamen (englischen ?) Sprache die kulturell bedingten inhaltlichen Verschiedenheiten herausstellen. Man wird sich also verständigen, weil es eben doch eine allgemeine Verstehensmöglichkeit auch begrifflicher Art gibt. Selbst wenn große kulturelle Errungenschaften wie die Menschenrechte in einem bestimmten Teil dieser Erde entstanden sind, eben in Westeuropa, haben die Menschenrechte doch als solche universale Gültigkeit. Die regionale Herkunft einer Erkenntnis schließt nicht die universale Geltung aus! Das verstehen leider viele immer noch nicht! Alle, die die Menschenrechte sozusagen auf den europäischen Raum begrenzen wollen (auch aus machtpolitischen Gründen), müssen sehen: Selbst die heutigen Chinesen wollen sich für den allgemeinen Respekt der Menschenrechte einsetzen, man denke an die Dissidenten, an das Nein der Leidenden zum Regime. Im Nein der Leidenden zeigt sich die Universalität der Empfindung für die Menschenrechte und in der Empfindung dann für die Inhaltlichkeit der Menschenrechte und deren universeller Geltung. Dass die Menschenrechte heute in den Ländern, in denen sie einst formuliert wurden, nicht praktisch umfassend genug gelebt werden, ist ja kein Widerspruch zu ihrer universalen Gültigkeit. Menschnrechtler aber protestieren gegen den Verfall der Humanität etwa im neuen nationalistischen Wahn in Europa. Aufgrund des Nichtrespekts der Menschenrechte durch Herrscher und Autokraten in der westlichen Welt zu behaupten: Dann gelten in dieser Situation die Menschenrechte eben nicht mehr, wäre eine Art Suizid der Menschheit.

Diese hier nur kurz in Erinnerung gerufenen Tatsachen sind allgemein bekannt oder sollten allgemein bekannt sein.

Wichtiger ist es, sich in dieser Situation allgemeiner Kommunikationsverwirrung mit der Diskursphilosophie von Karl-Otto Apel (1922 – 2017) wieder intensiver zu beschäftigen. Er ist zweifellos einer der ganz großen Philosophen der Gegenwart, sein Einfluss auf das Denken von Jürgen Habermas ist eine Tatsache. Nachteilig ist nur für viele nicht so geübte Leser philosophischer Autoren: Karl-Otto Apel schreibt eher sehr anspruchsvoll, die Mühe des denkenden Lesens sollte man aber unbedingt wagen. Empfehlenswert ist die Einführung in sein Denken von Walter Reese-Schäfer erschienen im Junius Verlag.

Um den Kern der Sache, um die es Apel und uns in dieser Krise der Kommunikation geht, kurz zu skizzieren:

Apel geht davon aus, dass mit dem Eintritt verschiedener Menschen in ein gemeinsames Gespräch, in einen Disput oder Diskurs, bestimmte Voraussetzungen von selbst (!) mit – gegeben sind; diese müssen philosophisch freigelegt werden. Nur so kann jeder Sprechende wissen, was er/sie eigentlich im Argumentieren schon mit-bringt an nicht thematisierten Voraussetzungen. Philosophie wird so bei Apel – in der Bindung an Kant – zu Implikationsforschung bzw. Freilegung von Implikationen, die immer schon in unserem geistigen Handeln, im Reden etwa, mitgegeben sind. „Apels Weg ist die hermeneutische Besinnung auf die notwendigen Voraussetzungen der Argumentation“, schreibt Reese-Schäfer, S. 56.

Diese Voraussetzungen sind nicht in erster Linie Voraussetzungen äußerer Art, etwa ein angenehmes Gesprächsklima mit entsprechenden Räumen oder die Entscheidung für eine allen Gesprächsteilnehmern gemeinsame Sprache.

Entscheidend sind vielmehr die „unsichtbaren“ Voraussetzungen im Sprechen und Zuhören und Antworten selbst. Diese unsichtbaren Voraussetzungen (Aprioris im Sinne von Kant, er spricht von transzendentalem Apriori) ) bringen die Menschen IMMER SCHON mit, als mit Geist/Vernunft ausgestattete Wesen, ob sie das wollen oder nicht, ob sie diese apriorischen Voraussetzungen für sich bejahen oder nicht. Man entkommt diesen Voraussetzungen förmlich gar nicht. Es geht also um Dimensionen de Vernunft „die man nicht bestreiten kann“ (Reese- Schäfer, S. 47). Wer diese immer schon mitgebrachten Voraussetzungen bestreitet, bedient sich aber ihrer noch einmal gerade im Bestreiten selbst; er wird diese Voraussetzungen nicht los. Sie sind „unhintergehbar“, wie Apel sagt. Im Reflektieren auf sie kommt der Geist/die Vernunft auf etwas Letztes, das er als Geist/Vernunft nicht noch einmal tiefer begründen kann.

Im Gespräch/Diskurs gehen die Redner, Zuhörer, Antwortenden immer schon de facto davon aus, dass sie einander verstehen wollen. Der Eintritt in den Diskurs ist freiwillig, es sei denn, es handelt sich um Friedensverhandlungen etwa nach einem Krieg. Wenn in Krisenzeiten Menschen sich dem Diskurs entziehen, kann dies Ausdruck von Misstrauen, Schwäche, Ablehnung von kommunikativer Nähe sein, diese Haltung wäre eigens zu bedenken.

Aber: Im allgemeinen gilt: Wer in die Kommunikation eintritt, will tatsächlich kommunizieren. Will verstehen, will sich selbst und andere verstehen in Richtung auf ein gemeinsames Ziel.

Dies ist die Voraussetzung ihrer Zusammenkunft. Selbst wenn ein Gesprächsteilnehmer an dem Diskurs teilnimmt, um sein Nichtverstehen und Nichteinverstandensein bald zu dokumentieren, so sagt er das in Worten, die alle anderen verstehen. Er will sich gerade als „Nichteinverstandener“ ja für andere verständlich etablieren. Selbst wenn er seine Haltung (nur) durch symbolisches Agieren dokumentiert, muss dieses symbolische Agieren, etwa durch Schreien, Aufstehen, den Raumverlassen usw. als symbolische Tat von den anderen verstanden werden. Ein symbolisches Handeln in einer „Privatsprache“, die nicht allgemein verstanden würde, wäre total sinnlos auch für diesen Agierenden.

Das heißt: Alle Gesprächsteilnehmer binden sich, meist unbewusst, aber doch gültig und tatsächlich, an die gemeinsam geteilte Überzeugung: zu einer einzigen Kommunikationsgemeinschaft zu gehören. Sie bekennen förmlich: Wir sind eine sich verstehende bzw. verstehen wollende Gemeinschaft. Nur aus diesem Grund kommen wir ja zusammen, nur aus diesem Grund sprechen wir miteinander.

Inhaltlich kann natürlich wirklich alles Mögliche gesagt werden. Nur: Formal steht das inhaltlich Gesagte immer unter einem nicht abzuwerfenden Apriori: Alles Gesagte darf nicht dem formal festzustellenden inneren Widerspruch unterliegen. Wenn jemand sagt: “Alle Sätze, alles Urteilen, sind sinnlos“, dann ist in diesem einfachen Beispiel natürlich auch sein Satz sinnlos und bedarf keiner weiteren Debatte. Dieser Redner lebt in einem Selbstwiderspruch, der für ihn nicht nur blamabel, sondern wohl auch seelisch schädlich ist. Der Selbstwiderspruch im Denken und Sprechen muss kommunikativ gelöst werden.

Wenn jemand sagt: „Jetzt behaupte ich als Faktum: Die Einwohnerzahl von Berlin beträgt zur Zeit 3,7 Millionen Menschen“. Was wissenschaftlich betrachtet korrekt ist. Wenn dieselbe Person dann aber ein paar Stunden später sagt: „Jetzt sage ich als Faktum, die Einwohnerzahl von Berlin beträgt zur Zeit nur 2 Millionen Einwohner“, dann ist das nicht nur ein dummer, autoritärer Umgang mit Fakten. Diese Person, die ja Kenntnis hat von der Einwohnerzahl hat, also durchaus gebildet ist, fühlt sich überhaupt nicht gebunden an die innere Verpflichtung des Geistes, der Vernunft, die Wahrheit zu sagen. Anders formuliert: Diese Willkür im Umgang mit Fakten kann vor dem universalen Wahrheitskriterium des Kategorischen Imperativs nicht bestehen. Eine Person, die die formale Bindung eines jeden Menschen an den Anspruch der Wahrhaftigkeit autoritär überspringt, muss zudem damit rechnen, dass Menschen auftreten und sagen: Jetzt ist diese Person noch der Präsident, ein paar Stunden später ist er es nicht mehr, weil wir Bürger ihn in ein Altersheim einweisen…Subjektive Willkür im Umgang mit Wahrheit rächt sich also.

Die große Frage ist: Wie gehen vernünftig und selbstkritisch argumentierende Gesprächsteilnehmer mit einem Menschen um, der gar nicht ernsthaft argumentieren will? Es ist ja im persönlichen, privaten Bereich möglich, sich vernünftigen Argumenten zu entziehen. Schwierig wird es, wenn diese Person auch politisch sehr einflussreich ist und etwa über das berühmte Knöpfchen verfügt, um einen Atomkrieg anzuzetteln…Walter Resse- Schäfer behauptet sogar, die Diskurstheorie von Apel enthalte „die stille Drohung , diese Irrationalisten in eine Heilanstalt zu sperren“ (Seite 51), was ja im Falle der für Atombomben Verantwortlichen, aber unvernünftigen Politiker so falsch wohl nicht wäre… Reese – Schäfer verweist auf Seite 157, Fn. 17, auf Apels Aussage in „Diskurs und Verantwortung“, S. 336 und er weist auf eine ähnliche Position bei Habermas hin, „Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln“, S. 109ff.

Wie auch immer man dieses schwere Problem weiter diskutiert: Wie Demokratie mit den inneren Zerstörern der Demokratie umgeht, ist eine der Hauptfragen der Zukunft. Der Krieg im Innern der Demokratie ist ja seit dem Faschismus und dem Nazi-Wahnsinn bekannt. Damals handelten nur sehr wenige rechtzeitig gegen die „Feind im Innern“, der letztlich ein Feind der vernünftigen Kommunikation war: Wenn Goebbels 1943 rief: „Wollt ihr den totalen Krieg“, war das, philosophisch betrachtet, auch der Wille von Goebbels, selbst in diesem totalen (!) Krieg unterzugehen. Es waren Massen, die manipuliert wurden und schon im nationalistischen rassistischen Wahn lebten, sie waren von kritischer Reflexion nicht mehr erreichbar. Solche Niederlage der Vernunft geschieht durch populistische Agitatoren immer wieder. Widerstand muss rechtzeitig sein!

Wenn Philosophie etwas beitragen kann in dieser Krise, dieser Zerstörungssucht der Demokratien in Europa von innen her: Dann ist es das umfassende kritisches Nachdenken für alle und mit allen pflegen. Auf die inneren Widersprüche der Feinde der Demokratien aufmerksam machen. Wer den dummen Spruch sagt „Merkel muss weg“, muss sich logischerweise auch gefallen lassen. „Auch du rechtsextremer Politiker musst als Politiker weg“. „Denn du passt mit diesen brutalen Sprüchen nicht in eine demokratische Gesellschaft“. Diese rechtsradikale Argumentationsstruktur, falls sie noch den Namen verdient, lebt von inneren Widersprüchen. Philosophen müssen mit Psychologen zeigen, was es bedeutet, wenn Menschen mit logischen und inneren Widersprüchen leben. Wir sind wieder beim Thema, das schon in Punkt 6 angesprochen wurde.

10 Wenn der Mensch sich doch wesentlich noch als Wesen des Geistes, des Verstandes, der Empathie versteht, denn nur dann ist er Mensch und eben kein irrational agierendes Tier, dann muss er offen sein für Argumente, Diskussion, Ringen um die gemeinsame Wahrheit. Oder er verweigert sich und will eben Krieg aller gegen alle (siehe die zerstörerisch – apokalyptischen Visionen von Steve Bannon).

Es geht um die Frage: Wollen wir wirklich noch menschlich bleiben, wollen wir mental gesund bleiben? Wollen die allen Menschen gemeinsame Vernunft, die sich in den Menschenrechten äußert, als oberste Instanz anerkennen, wirklich als oberste Instanz, also auch über allen verschiedenen Religionen und sonstigen Weisheitslehren stehend. Über die Versöhnung der Differenzen in den unterschiedlichen Religionen können ja bekanntlich nicht die einzelnen Religionen befinden: Das Gemeinsame, Friedvolle, Humane kann nur die übergeordnete Philosophie entdecken und freilegen. Es ist also die Aktualität eines Hegelschen Gedankens, dass die Philosophie ÜBER den Religionen steht, die beachtet werden sollte. Womit nicht gesagt ist, dass nicht religiöse Menschen ihre Religion leben dürfen, im Rahmen der Menschenrechte, d.h. der allen gemeinsamen Vernunft.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Georgiens Philosoph der Freiheit: Merab Mamardaschwili. Anläßlich der Frankfurter Buchmesse 2018

Über den Philosophen Merab Mamardaschwili, geboren am 15.9.1930

Ein Hinweis von Christian Modehn

Über die Gegenwart des Stalin-Kultes in Georgien berichtet jetzt auch sehr anschaulich Christoph Dieckmann in “DIE ZEIT” vom 13. September 2018, Seite 21. “Alles Rote haben wir entfernt” ist der (ironische) Titel…

Georgien ist der „Ehrengast“ der Frankfurter Buchmesse 2018. Endlich ein Grund mehr, an den großen georgischen Philosophen Merab Mamardaschwili zu erinnern und sogar zu bitten, wenn nicht zu fordern, dass an sein Werk, an seine Art, Philosophie zu lehren und zu leben, auch in Deutschland endlich viel mehr erinnert wird.

Merab Mamardaschwili wurde am 15. September 1930 in Gori geboren, der Stadt, aus der auch Stalin stammt.

Aber mit dem Stalinismus und dem Sowjetsozialismus hatte der Philosoph nichts im Sinn. Er war ein origineller Interpret der Werke von Descartes, den er besonders schätzte, weil er in seiner Philosophie das Individuum über die Gesellschaft gestellt wurde. Und Mamardaschwili schätzte Kant, den “Philosophen der individuellen Freiheit”, der er selbst auf ganz eigenwillige Art in Moskau war; als ein Individuum, ein Mann außerhalb der Massen. Seine Studenten und seine Freunde verglichen ihn durchaus gern mit „Sokrates“. Das will etwas heißen im Sowjetsystem. Großes Interesse hatte Mamardaschwili für die französische Literatur, für Artaud und Proust. Ins Deutsche sind keine Arbeiten von Mamardaschwili, meines Wissens bis jetzt (Juli 2018), übersetzt worden.

Es ist wohl eine seiner bemerkenswertesten Leistungen, dass er als Philosophie – Professor an staatlichen Universitäten und Hochschulen in Moskau und Tbilissi (von 1980 bis 1990) als freier Denker lehren und leben konnte. Seine Vorlesungen fanden einen enormen Zuspruch. Sein Name hatte in der Sowjetzeit schon eine bestimmte „Aura“ der Freiheit.

Dissident und damit Verfolgter im Sowjetreich war er nicht. Er hatte förmlich das Glück, unter den Zuständen damals trotzdem noch frei zu bleiben und frei zu denken. Der russische Philosoph Michail Ryklin nennt Mamardaschwili „einen Denker von europäischen Format und einen Lehrer im sokratischen Sinne, der eine ganz Generation von georgischen und russischen Intellektuellen geprägt hat“. Er war als Georgier zwar mit seiner Heimat verbunden, wandte sich aber heftig gegen den Nationalismus. Er sagte: „Die Wahrheit steht höher als die Heimat“. Daraufhin begann förmlich eine Hetzkampagne gegen ihn.

Mamardaschwili wurde nach seiner Promotion über Hegel nach Prag geschickt, das war schon ein kleiner Schritt in ein bisschen mehr Freiheit. Eigenmächtig blieb er in Paris und wurde darauf , bei seiner Rückkehr, 1966, dazu verurteilt, die UDSSR 20 Jahre Jahre lang nicht zu verlassen. Gorbatschow erwähnt ihn positiv, in den Zeiten der „Öffnung“ Ende der achtziger Jahre konnte er frei reisen, etwa in die USA und Frankreich. Am 25. November 1990 ist er an einem Herzinfarkt auf einem Moskauer Flughafen, im Transitbereich, auf dem Weg nach Georgien, gestorben. Ausgerechnet im Transit möchte man sagen, lebte doch Maradaschwili selbst insgesamt wie im Übergang.

Seine Werke gilt es in Deutschland und wohl außerhalb Georgiens insgesamt zu entdecken, genauso wie seine außergewöhnliche Persönlichkeit. Unsere hiesige Philosophie erlebt Überraschungen, wenn sie über das allzu Vertraute hinausschaut. Wer hätte schon damit gerechnet, dass solch ein Denker im Sowjetsystem überhaupt leben und eine Art „philosophische Gemeinde“ damals formen konnte?

In einem Interview mit Annie Eppelboin (Frankeich) sagte Mamardaschwili: „Die totalitäre Gesellschaft erschafft eine Sprache, die das Erwachen ausschließt. Du kannst sterben, ohne je entdeckt zu haben, was wirklich dein Gefühl ist. Als ich jung war, waren die Leute vom Komsomol die Verwalter des Gemeinwesen, auch des sozialen Körpers. Sie verwalteten auch mein Denken“. (in dem Buch „ La Pensée empéchée“).

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

Gegen das Entgleisen der Moderne und das Verschwinden des demokratischen Rechtsstaates

Ein Salonabend zur Aktualität von Jürgen Habermas am 20.7. 2018

Hinweise von Christian Modehn

1.

Diese Hinweise (von 2018) sind bestimmt für Menschen, die sich bisher eher beiläufig oder fast gar nicht mit dem Denken von Jürgen Habermas befasst haben. Es werden hier sozusagen elementare Verstehenshilfen zu zwei zentralen Begriffen vorgeschlagen, mit dem Zweck: Selbst Habermas zu lesen und die Habermas Texte zu bedenken.

2.

Jürgen Habermas (geb.1929) ist Philosoph und Sozialwissenschaftler. Sein leidenschaftliches Interesse gilt einer Philosophie, die Kants Erkenntnisse neu formuliert und die dabei die Ethik in den Mittelpunkt stellt. Moralphilosophie, Ethik, wird deutlich durch vernünftiges, allen Denkenden zugängliches Argumentieren.

Dabei darf man das persönliche Profil von Jürgen Habermas nicht vergessen: Er ist ein aufmerksamer Dialog – Partner, er versucht, den anderen vorbehaltlos zu verstehen, er äußert sich gern in der Öffentlichkeit: Sein philosophisches Profil begann wohl damit, als er 1953 die bruchlose Ausgabe von Heideggers Vorlesungen „Einführung in die Metaphysik“ von 1935 kritisierte, die Veröffentlichung nach dem Krieg war bruchlos deswegen, weil Heidegger ohne jeden Hinweis einen in der Nazizeit veröffentlichten Text „einfach so“ publizierte. Habermas zeigte, wie in dem Text versteckt Nazi – Ideologie enthalten ist. Überhaupt reagierte der junge Habermas sehr früh empört über die Tatsache, wie sich in den frühen Jahre der BRD unter Adenauer Nazi – „Größen“ in führender Stellung etablieren konnten.

Habermas hält sich gegen die postmodernen Philosophen an eine universal geltende Ethik: Diese hat nichts mit willkürlichen Entschlüssen, nichts mit Befolgung von Machtsprüchen oder mit unreflektierter Realisierung religiöser Weisheiten zu tun. Die Vernunft prüft – wie Kant – alle inhaltlichen ethischen Weisungen auf ihre vernünftige formale Geltung (siehe „Kategorischer Imperativ“). Die Vernunft will dann jeweils historisch – konkret inhaltliche vernünftige Normen erzeugen. Dabei stellt Habermas Mythos gegen Philosophie. Die Wahrheiten der Mythen müssen, falls sie – auch weltlich, politisch, relevant sein sollen – in Vernunft-Sätze übersetzt werden.

Das ist grundlegend: Die Vernunft steht im Dienst der Bewahrung und Rettung des menschlichen Miteinanders in demokratischen Rechtsstaaten. Nur in einer „Mobilisierung“ der Vernunft, zu der auch Empathie, Gefühle gehören, kann die Moderne vor der „Entgleisung“ bewahrt werden.

3.

Habermas prangert gerade in seinen Stellungnahmen der letzten Jahre den „unverfrorenen Wirtschaftsegoismus“ an, er fürchtet den „Zerfall Europas“, will die Solidarität mit vernünftigen Gründen in den Mittelpunkt stellen.

Habermas ist ein politischer Philosoph, ein engagierter Philosoph. Er weiß: Der Mensch ist nicht ein in sich verkapseltes (egoistisches) Individuum, sondern zuerst „Sein mit anderen“, also inter-subjektitiv von vornherein bestimmt. Nur durch das Mitsein mit anderen entsteht individuelles Selbstbewusstsein. Es ist also auch vernünftig, solidarisch zu sein. Wer unsolidarisch ist und nur das Ego pflegt, widerspricht der Struktur seines eigenen Menschseins.

4.

Ein Hinweis zur Diskursethik:

Hier wäre vom Einfluss des mit Habermas befreundeten Philosophen Karl-Otto Apel zu sprechen.Die These ist: Durch den Diskurs, d.h. das vernünftige Gespräch möglichst mit allen, kann die Demokratie gerettet werden. Weil der Diskurs von der Erkenntnis ausgeht, dass im Sprechen und Miteinander Diskutieren implizit eine (formale) Wahrheit anerkannt wird: Eben, dass wir einander verstehen können (wenn wir die gleiche Sprache sprechen…) Zum Diskurs selbst: „Alle relevanten Stimmen finden Gehör“. Alle „beim gegenwärtigen Wissensstand besten Argumente gelangen ins Gespräch und damit zu einer Geltung“.

Wenn es Ja und Nein Stellungnahmen, also Entscheidungen, der Teilnehmer gibt, dann unter dem „zwanglosen Zwang (Habermas) des besseren Arguments“.(J.H., Diskursethik, Studienausgabe, S. 162). Es zählt nur das Argument, unabhängig von sozialen Status etc. Es geht um die Vorrangstellung des kommunikativen Handelns (anders als das instrumentelle Handeln, also Arbeit). Kommunikatives Handeln ist vor aller Arbeit das durch gemeinsames Sprechen ermöglichte Schaffen einer gemeinsamen vernünftigen Welt.

Sprechen IST Handeln.

Sprechen ist nicht nur faktischer Informationsaustausch („es ist 10 Uhr“), sondern eine Tathandlung, die in der Zusage den anderen verändert („Ich wünsche dir gute Gesundheit“)

Noch einmal: Allem Sprechen „wohnt“ als implizites, nicht abzuschaffendes Ziel die Verständigung mit anderen inne. Wir sind im Sprechen a priori auf Verständigung mit anderen aus. Auch auf die Erzeugung von einem gemeinsamen Projekt. Etwa ist das Urteil „Alles ist sinnlos“ ein Selbstwiderspruch, denn dieses Urteil ist dann selbst sinnlos. Wer dies leugnet, lebt in einem Selbst-Widerspruch. Wie ein jeder mit Selbstwidersprüchen umgeht, ist ein anderes Thema. Mit der eigenen (Lebens)Lüge (bequem) leben, wäre ein Ansatz dafür, welche Krankheitsbilder sich dabei zeigen, ein anderes Thema.

Jeder Gesprächsteilnehmer sieht sich genötigt im Diskurs, die Perspektive des anderen zu übernehmen, um zu prüfen, wie dadurch ein vernünftiges Miteinander gefunden werden kann. Diese Vernunft findet – sehr schnell verkürzt gesagt -in ihren Ausdruck in gerechten Gesetzen.

5.

Zum wechselseitigen Lernen von säkularen (also explizit nicht-religiösen) Menschen und religiös/konfessionell gebundenen Menschen.

Habermas geht davon aus, dass in den Lehren, Weisheiten, der (meist uralten) Religionen Erkenntnisse enthalten sind, die heute wichtig sein können auch für die Rettung der Demokratie. Habermas spricht oft von der Gefahr der „Entgleisung der Moderne“, die nur durch die vernünftige Einbeziehung religiöser Ideen und religiöser Energien verhindert werden kann.

Für Habermas sind Religionen Ausdruck des „objektiven Geistes“, darin folgt er Hegel: Kunst, Religionen, Philosophien sind Ausdruck (Aussage), je unterschiedlich, des einen universalen Geistes. Auch Religionen haben auf ihre Art Wesentliches zu sagen. Ein Beispiel für eine Übersetzung religiöser Weisheit von der Sicht von Habermas: „Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative.’ (Jürgen Habermas, Zeit der Übergänge, Suhrkamp, 173 ff)

6.

Habermas sieht heute „knapper werdende Sinn -, Solidaritäts- und Gerechtigkeitsressourcen“ (S. 99) Darum sein Interesse an der vernünftigen Pflege religiöser Weisheiten und deren reflektierte Einbeziehung ins gesellschaftliche Miteinander. Diese Weisheiten will er aktuell retten, dadurch, dass er die religiösen Menschen auffordert, ihre eigenen religiösen Weisheiten allgemein verständlich, vernünftig, auszudrücken.

Dies ist wichtig, um das Entgleisen der Moderne zu verhindern: Denn die Philosophie selbst zeigt, auch in der Bindung an Kant, „es gibt eine motivationale Schwäche der Vernunftmoral“ (J.H.: „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt“, Suhrkamp, S. 97). „Die säkulare Moral ist nicht von Haus aus in gemeinsame Praktiken eingebettet. Demgegenüber bleibt das religiöse Bewusstsein wesentlich mit der fortdauernden Praxis des Lebens in einer Gemeinde verbunden und mit der im Ritus vereinigten Glaubensgenossen“ (ebd.). (Meine Frage: Wenn Kirchengemeinden verschwinden, verschwindet auch die hilfreiche solidarische Praxis? Und: Sind pauschal alle sich Religion nennenden Religionen in der Hinsicht relevant ? Wer unterscheidet die religiöses Qualität von Mystikern von Scientology oder den Zeugen Jehovas? Das kann nur die mit eigenen Massstäben argumentierende, allen Religionen übergeordnete Philosophie. Diesem Satz würde Habermas nicht zustimmen.

7.

Aber darüber hinaus: Schon Kant sah ein Defizit der praktischen Vernunft. Er sah, dass kollektive Ziele etwa in der Gesellschaft mit der Kraft der Vernunft eher schwach nur verwirklicht werden (Die Religion, meinte er, habe kräftige Begriffe der Sittlichkeit… Kritik der Urteilskraft, S 603). Ob diese Einschätzung heute noch so stimmt, ist die Frage…

Habermas fordert jedenfalls von den säkularen Menschen Respekt vor den religiösen Weisheitslehren. Der barmherzige Samariter praktiziert als Fremder die Fernsten/Fremden Liebe, indem er spontan einen Fremden umfassend pflegt. Das heißt: Nächstenliebe ist immer Fernsten/Fremdenliebe. So viel Verständnis für Religiöses haben säkulare Kritiker dem erklärtermaßen „religiös unmusikalischen“ Habermas übel genommen. Habermas verteidigte sich angesichts seiner Dialoge mit Kardinal Ratzinger und den Jesuiten, es sind ja Exempel gelebter Dialgpraxis und zudem sagte er: Er sei nicht im Alter auch noch fromm geworden. Obwohl er bekennt, manches doch in seiner Herkunft aus einer liberal – protestantischen Familie gelernt zu haben. Nach meinem Eindruck hat sich Habermas zu diesem wechselseitigen Lernen zwischen muslimisch Frommen und säkularen Menschen nicht sehr ausführlich geäußert.

8.

Religiöse Menschen übersetzen ihre religiösen Glaubensweisheiten nur für die und in der Gesellschaft! Um ein besseres Verstehen in der pluralen Gesellschaft zu erzeugen. Sollten aber religiöse Menschen in den Dienst des säkularen Staates treten, und Rechtsstaaten sind immer säkular !, dann müssen sie sich strikt an die allgemeinen säkularen Überzeugungen halten. Religiöse Menschen dürfen also nicht ihre religiösen Weisungen als solche etwa zum staatlichen Gesetz machen wollen. Ein religiöser Staatsbeamter handelt insofern als säkularer Bürger wie alle anderen Beamten. Dass das gerade sehr schwierig ist gerade in der ideologischen Bindung so vieler Richter in Deutschland ist klar. Darum fallen ja auch Urteile so unterschiedlich aus, weil die Richter eben doch bestimmte Vorlieben haben… Das heißt grundsätzlich: Der religiöse Bürger muss seine religiösen Weisheiten im staatlichen Bereich als sekundär wahrnehmen und entsprechend säkular handeln.

Eine Einschätzung des Theologen und Habermas Kenners Edmund Arens, Prof. in Luzern „Habermas bleibt bei aller respektvollen Annäherung an Religion ein auf Abstand bedachter Beobachter, der sich gegen Vereinnahmung wehrt. Er bleibt ein scharfsinniger Diagnostiker der postsäkularen Gesellschaft, der gegen religiös-fundamentalistische Selbstabkapselung ebenso dezidiert Stellung bezieht wie gegen säkularistisch-bornierte Selbstgewissheit. Er bleibt ein verständigungsorientierter Anwalt der öffentlichen Vernunft, der sich dafür stark macht, dass die Religion in die gesellschaftliche und politische Öffentlichkeit gehört, dass sie darin ihre Beiträge einzubringen und im Diskurs zu prüfen, zu präzisieren und nötigenfalls zu korrigieren hat. Er bleibt ein nachmetaphysischer Denker, der der Theologie hilft, sich ihres eigenen Vernunftpotenzials ohne metaphysische Aufblähung einerseits und postmoderne Schwächung andererseits zu vergewissern. Er bleibt ein zugleich lernbereiter und herausfordernder Gesprächspartner, der in seinem der Wahrheit und Gerechtigkeit, der Solidarität und Gleichheit verpflichteten Denken unberechtigte Macht- und unbegründete Geltungsansprüche einschließlich religiöser, kirchlicher und theologischer kritisiert und gleichzeitig zur wechselseitigen Verständigung über begründete und gerechtfertigte Geltungsansprüche aufruft“. (Herder – Korrespondenz, 2009)

9.

Habermas ist überzeugt: Entgegen früherer Prognosen von Soziologen: Religionen verschwinden nicht. Darum nennt er sein Denken „post—säkular“, also einer Zeit zugehörig, die die Dominanz des Säkularen überwunden hat.

Gleichzeitig nennt er sein Denken nach–metaphysisch, um den Abschied von der alten metaphysischen Traditionen und Systemen deutlich zu machen. Dabei hält an der Qualität philosophischer Reflexion selbstverständlich fest.

Es gibt also eine neue gemeinsame Basis in der zersplitterten Gesellschaft von säkularen und religiösen Menschen: Säkulare Menschen lernen von religiösen Weisheiten, SOFERN diese in allgemein zugängliche vernünftige Sprache übersetzt werden und praktisch fruchtbar gemacht werden: Man denke etwa auch an praktisches Tun religiöser Menschen, etwa an die Praxis des Kirchenasyls, dies ist eine moderne, säkulare Form der biblischen Forderung, den Fremdling als Nächsten zu behandeln… Man denke aber auch andererseits an die Lernschritte einiger fundamentalistischer Christen, Homosexuelle zu respektieren bis hin zur entsprechenden Ehe: Dies haben diese Christen gelernt durch die von säkularen Wissenschaftlern vorgetragenen Argumente, dass zum Thema der modernen Homosexualität die Bibel nichts, aber auch gar nichts zu sagen hat, das selbe gilt für den Koran etc.)

„Die Säkularisten haben das Verdienst, energisch auf der Unverzichtbarkeit der gleichmäßigen zivilgesellschaftlichen Inklusion aller Bürger zu bestehen. Weil eine demokratische Ordnung ihren Trägern nicht einfach auferlegt werden kann, konfrontiert der Verfassungsstaat seine Bürger mit Erwartungen eines Staatsbürgerethos, das über bloßen Gesetzesgehorsam hinauszielt. Auch religiöse Bürger und Religionsgemeinschaften dürfen sich nicht nur äußerlich anpassen. Sie müssen sich die säkulare Legitimation des Gemeinwesens unter den Prämissen ihres eigenen Glaubens zu eigen machen“. (Jürgen Habermas, 2007, in: Blätter für deutsche und intern. Politik…)

10.

In der Einleitung seines Bandes “Zwischen Naturalismus und Religion” (Frankfurt 2005) nennt Habermas wichtige Ressourcen und Potenziale von Religionen: „Religiöse Überlieferungen leisten bis heute die Artikulation eines Bewusstseins von dem, was fehlt. Sie halten eine Sensibilität für Versagtes wach. Sie bewahren die Dimensionen unseres gesellschaftlichen und persönlichen Zusammenlebens, in denen noch die Fortschritte der kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung abgründige Zerstörungen angerichtet haben, vor dem Vergessen. Warum sollten sie nicht immer noch verschlüsselte semantische Potenziale enthalten, die, wenn sie in begründende Rede verwandelt und ihres profanen Wahrheitsgehaltes entbunden werden, eine inspirierende Kraft entfalten können? Religion verfügt offenbar über eine Sprache, welche zum Ausdruck zu bringen vermag, was einerseits noch fehlt, weil es noch nicht realisiert beziehungsweise was fehlt, weil es verschwunden, verdrängt oder verloren ist. Mit dem Bewusstsein für das Unabgegoltene, Unrealisierte oder Unversöhnte verbindet sich eine Sensibilität für das Vorenthaltene. Religion hält Intuitionen für verweigertes Recht, verwehrte Solidarität sowie vorenthaltene Lebensmöglichkeiten wach. Religiöse Überlieferungen bewahren elementare Erfahrungen und Perspektiven des persönlichen Lebens und gesellschaftlichen Zusammenlebens, welche durch “entgleisende” Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse bedroht sind, vor dem Vergessen und Verschwinden“.

11.

Zur politischen Krise Deutschlands und Europas heute: Rede am 5. 7. 2018 in Berlin (Die ZEIT hat den Text veröffentlicht!) „Dass sich eine Bundesregierung, die mit dem Rücken zur Wand steht, ihren zähen Widerstand gegen jeden einzelnen Integrationsschritt scheibchenweise abkaufen lässt, ist skurril. Ich kann mir nicht erklären, warum die deutsche Regierung glaubt, die Partner zur Gemeinsamkeit in Fragen der für uns wichtigen Flüchtlings-, Außen- und Außenhandelspolitik gewinnen zu können, während sie gleichzeitig in der zentralen Überlebensfrage des politischen Ausbaus der Euro-Zone mauert… Die Bundesregierung steckt ihren Kopf in den Sand, während der französische Präsident den Willen deutlich macht, Europa zu einem globalen Mitspieler im Ringen um eine liberale und gerechtere Weltordnung zu machen….

Heute werden die nationalen Bevölkerungen von politisch unbeherrschten funktionalen Imperativen eines weltweiten, von unregulierten Finanzmärkten angetriebenen Kapitalismus überwältigt. Darauf kann der erschrockene Rückzug hinter nationale Grenzen nicht die richtige Antwort sein“.

12.

Habermas unterstützt den zivilen Ungehorsam:

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat zivilen Ungehorsam folgendermaßen definiert: „Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“ (Jürgen Habermas, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, in: Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/M. 1983, S. 35.)

Quelle: http://www.bpb.de/apuz/138281/ziviler-ungehorsam-ein-umkaempfter-begriff?p=all

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin