Heterosexuell geprägte Kultur ist nicht “normal”

Ein Beitrag aus PUBLIK FORUM vom 22.5. 2009

Was heißt schon »normal«?

Ein Blickwechsel erschließt eine neue Welt: Unsere heterosexuelle Kultur ist nicht einfach »richtig«. Aber was könnte bloß falsch daran sein? Ein Essay

Von Christian Modehn

In Berlin wurde vor einigen Wochen ein großes Hotel eröffnet, das sich offiziell »heterofriendly« nennt. Dort wollen sich Schwule und Lesben als die Mehrheit unter den Gästen besonders freundlich gegenüber der heterosexuellen Minderheit verhalten. Homosexuelle werden an vielen Orten, am Arbeitsplatz oder bei Vermietern, in Restaurants oder Hotels, nur selten »friendly« behandelt. So möchte das Berliner Hotel zeigen: Selbst eine weltweit immer noch verachtete und oft verfolgte Minderheit kann freundlich sein zur Mehrheit.

Als ich mir das Hotel kürzlich anschaute, erlebte ich, wie schwule Paare sich selbstverständlich an der Bar küssten. In dieser erfreulich freien Atmosphäre saßen irritiert zwei Heteropaare, so als würden sie sich fragen: Dürfen wir uns hier auch mal umarmen? Aber je länger sie sich am Abend in der Bar an die ausgelassene Stimmung gewöhnten, umso spürbarer fühlten sie sich in dieser Runde wohl. Eine Französin begann hier mit ihrem Mann ihre Deutschland-Reise zur Silberhochzeit: »In diesem Haus erlebe ich mich zum ersten Mal bewusst als ›Hetero‹ oder sagt man ›Hetera‹?« Sie lachte. »Wir als sexuelle Mehrheit nennen uns selbst sonst nie so! Nur die Minderheit wird von uns mit einem Titel ausgegrenzt, zu ›anderen‹ gemacht.«

Auch wenn die Heterosexuellen statistisch die absolute Mehrheit unter den Menschen darstellen: Sind sie deswegen »die Normalen«? Sind sie automatisch die »Natürlichen«, die bestimmen sollten, was gut und richtig ist? Schon die mittelalterlichen Logiker lehrten: Die Mehrheit hat nicht automatisch recht! Wahrheit ist keine Frage der Quantität. Damit ist aber auch nicht gesagt, dass die Minderheiten recht haben.

In den Debatten der letzten Jahre über die Geschlechterrollen kamen ausführlich feministische Forderungen zur Sprache, auch die Rolle der (Hetero-)Männer wurde Thema zahlreicher Studien. »Nur die soziale Bedeutung und historische Herkunft der Heterosexualität wurde bisher kaum untersucht«, berichtet Louis-Georges Tin. Der 35 Jahre alte Historiker, Literaturwissenschaftler und Publizist hat vor Kurzem in Paris das viel beachtete Buch »Die Erfindung der heterosexuellen Kultur« veröffentlicht. 2003 hatte er bereits ein umfangreiches wissenschaftliches Lexikon zum Thema »Homophobie« herausgegeben. Diese Bücher wurden mit viel Zustimmung aufgenommen, unter anderem von der renommierten Tageszeitung Le Monde.

Für Louis-Georges Tin ist die heute wie selbstverständlich erscheinende heterosexuell geprägte Kultur alles andere als eine naturwüchsige Gegebenheit. Sie ist wie jede Kultur von Menschen geschaffen. Aber sie hat sich als einzig legitimes und allseits propagiertes Verhalten durchgesetzt: im Recht, in der Kunst, der Literatur, der Religion.

Das Hauptargument dieses »Heterosexismus«, so Tin, sei die »universale Verwiesenheit« des Menschen auf »den anderen«. In dieser weltweit propagierten Ideologie könne sich der Mensch nur mit diesem sexuell anderen »entwickeln«. Und das heiße: Die biologische Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen werde als notwendige Verwiesenheit aufeinander gedeutet und zur Norm erklärt. Wer sich anders verhalte, werde als »Anormaler«, »Kranker«, »Perverser« ausgegrenzt. So werde aus dem Biologismus ein universaler Wert.

»Aber erst seit dem 12. Jahrhundert ist dieser Heterosexismus in Westeuropa absolut bestimmend«, schreibt Tin. »Bis dahin hatte die von den Rittern geprägte homosexuell bestimmte Kultur ihr Lebensrecht. Ich denke auch an die Lieder, die männliche Freundschaften preisen, etwa im Rolandslied. Oder im Lied Claris und Lars.«

Diese homoerotisch dominierte Zeit der Ritter begann etwa im 8. Jahrhundert. Louis-Georges Tin empfiehlt sie keineswegs pauschal als Vorbild. Denn: Viel Gewalt bestimmte diese Zeit. Dem Pariser Autor liegt nur daran zu erinnern: Es gab einmal eine längere Epoche in Europa, die »anders« war. Das »christliche Abendland« sei nicht »immer« von der Ehe zwischen Mann und Frau bestimmt gewesen.

Tins Studien werden von angesehenen Mittelalter-Historikern unterstützt, etwa von Georges Duby. Er schrieb: »In der Ritterschaft ist die normale Liebe, die dazu drängt, sich selbst zu vergessen, sich zu überschreiten zu Ehren eines Freundes, tatsächlich homosexuell. Ich meine nicht, dass diese Liebe zwangsläufig immer zu einer körperlichen Vereinigung führte. Aber es ist ganz klar, dass die Gelehrten damals angesichts dieser Liebe zwischen Männern überhaupt erst das Wort Liebe erfanden.« Unterstützt werden diese Überlegungen auch von Studien des US-Amerikaners Jonathan Katz über »Die Erfindung der Heterosexualität« (New York 1995); auch sie sind in Deutschland fast unbekannt.
Seit dem 12. Jahrhundert setzt die Kirche die Verbindung von Mann und Frau als einzig mögliche Form sexueller Begegnung durch. In dieser Ehe wird sexuelle Praxis nur als Kinderzeugung respektiert; seit dieser Zeit ist sie auch eine gottgewollte Institution, ein Sakrament.
Dadurch sollte Ordnung und Übersichtlichkeit in Staat und Gesellschaft geschaffen werden, der Ehegatte wurde zum allmächtigen Vater der Familie. Sexuelle Lust als solche wurde verboten. Ledige Mütter, Unverheiratete, »Junggesellen«: Alle, die dieser patriarchalen Ehe nicht entsprachen, wurden diskriminiert, am meisten natürlich die »Perversen«. Es ist sehr bezeichnend, dass gleichzeitig im 12. Jahrhundert der Pflichtzölibat für Priester eingerichtet wurde: Unverheiratete Männer darf es nur noch als Priester geben. Aber in gewisser Weise hat dort eine gelegentliche schwule Vorliebe für die Travestie überlebt: Denn die Priester- und Bischofsgewänder erinnerten weiterhin an die Frauenmode der Antike. »Die langen Gewänder waren ursprünglich Frauen vorbehalten«, schreibt der Kulturwissenschaftler Thomas Hauschild: »Die Priester ließen es zu, dass ihre Kleidung immer weibischer wirken musste. Zur Messe präsentierten sie sich prächtig wie Paradiesvögel auf der Altarbühne …«

In dieser Epoche einer totalisierten Heterosexualität und einer nach außen hin asexuellen Zölibatswelt konnten nur sehr wenige Mutige offen vom Glück ihrer Männerfreundschaft sprechen. Einer von ihnen war der Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592). Für ihn war die Verbindung mit seinem Freund Etienne de la Boétie überhaupt das Höchste und Reinste. Deren Freundschaft zeigte: Es gibt ein »Wachsen des Einzelnen durch die Liebe zum anderen Menschen des gleichen Geschlechts …«

In einigen wenigen demokratischen Ländern haben Schwule und Lesben in den letzten vierzig Jahren erfolgreich für die Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit gekämpft. Dort wurde die »Homo-Ehe« eingeführt. In Schweden, aber auch in Holland, können homosexuelle Ehepaare sogar Kinder adoptieren. Den Gesetzgebern ist klar: Heterosexualität ist nicht automatisch eine Qualifizierung für die Kindererziehung. Die hohe Anzahl verwahrloster oder getöteter Kinder aus Hetero-Ehen ist dafür nur ein Beleg.

Mit der Einführung der Homo-Ehe beginnt eine neue, eine menschlichere Epoche, eine Zeit der Gleichberechtigung. Und dabei verändert sich auch die »Hetero-Ehe«: Vom klassischen »Herrn der Familie« ist in unseren Breiten nicht mehr oft die Rede. Und Hetero-Männer dürfen sich heute auch mal schwach fühlen, sich der Zärtlichkeit hingeben, ja auch »passiv«, »empfänglich« werden …

Aber gerade die gesetzlichen Verbesserungen im Leben schwuler und lesbischer Menschen haben auch die Homophobie – also die Angst vor der Homosexualität – erneut angefeuert. Evangelikale Kreise wollen Lesben und Schwule zur »einzig wahren Heterosexualität« bekehren. Kürzlich wurde bei einem Kongress in Marburg für solche »Gehirnwäschen« geworben.

Aber in der zivilisierten Welt setzt sich die Meinung durch: Heterosexualität ist nichts anderes als eine sehr häufig vorkommende Variante in der Vielfalt gleichberechtigten sexuellen Lebens. Wer das (noch) nicht sieht, könnte ja mal »heterofreundliche« Orte besuchen …
COPYRIGHT: Christian Modehn; Religionsphilosophischer Salon Berlin

Pierre Hadot: Philosophische Lebenskunst, philosophische Lebensgemeinschaften

Der Philosoph als Exerzitienmeister
Pierre Hadot – Porträt eines ungewöhnlichen Denkers
Von Christian Modehn (2009)

Wenn er sich auf schwierige Herz – Operationen vorbereiten musste, fand er Trost in der Philosophie. „Die innere Ausgeglichenheit haben mir die Philosophen der Stoa gegeben“, berichtet Pierre Hadot, „meine individuelle Situation konnte ich relativieren, wenn ich mir vorstellte, wie ich, gleichsam fliegend, von hoch oben, auf die Welt schaue. Diese Übung gegen alles egozentrische Denken zeigt: Wie unbedeutend alles ist“.
Pierre Hadot hat erlebt und erfahren, dass philosophisches Nachdenken wie eine Therapie heilsam ist: „Lebe jeden Tag so, als wäre er ein erster Lebenstag. Und lebe ihn so, als wäre er der letzte. Dann freust du dich entweder über das Aufgehen einer Welt in dir und um dich herum. Oder du siehst im Blick auf das Ende die Ganzheit des Lebens. Nur in dieser meditativen Haltung, ein Vorschlag antiker Philosophen, entdeckt man die Tiefe des Lebens, die Freude, jetzt diese Gegenwart zu erfahren“.
Philosophie ist für Pierre Hadot mehr als abstraktes Debattieren, mehr als systematisches Reflektieren in den Universitäten: Sie ist eine Lebenshaltung. Nebenbei gesagt, hat sie Pierre Hadot ein langes Leben geschenkt: 1922 in Paris geboren, hat er sich schon als Jugendlicher für die Philosophie leidenschaftlich interessiert. Er erinnert gern an ein Erlebnis ungewöhnlicher Art, das er als „ozeanisches Gefühl“ beschreibt: Er erlebte die Wellen in einem unendlich erscheinenden Ozean, und plötzlich fühlte er sich einbezogen in eine geheimnisvolle Welt. Diese Unendlichkeit hat er nicht mit Gott in Verbindung gebracht. „Es war sozusagen ein religionsfreie philosophische Erfahrung der Unendlichkeit“.
Pierre Hadot lehrte als Professor für Philosophie am berühmten „Collège de France“ in Paris. Sein Fachgebiet: Die antike Philosophie, aber auch das Denken von Montaigne und Kant, Goethe und Wittgenstein.
Seine zahlreichen Bücher  haben vielen Menschen vor allem die antike Philosophie nahe gebracht: Die Schulen der Stoiker und Epikuräer, der Platoniker und Skeptiker. Befreit man deren Lehren von zeitgebundenen Vorstellungen und Einflüssen, wie bestimmten Ideen vom Kosmos oder den Atomen, dann zeigen diese so alten Denker ihre aktuelle Bedeutung für die Lebensgestaltung heute. „Pierre Hadot hat grundlegend unsere Vorstellung von Philosophie verändert“,  schreibt der auf Philosophie spezialisierte Publizist Roger – Pol Droit aus Paris. „Philosophen wie Seneca, Marc Aurel oder Epiktet haben nicht systematische Lehrbücher hinterlassen“, betont Hadot, „sondern Reflexionen, die ihnen selbst wie auch ihren Schülern Lebenshilfe sein sollten.
Dabei hatte zu Beginn seiner Studien alles darauf hingedeutet, dass er eine Karriere innerhalb der katholischen Kirche macht: Von den „Christlichen Schulbrüdern“ ausgebildet, „hatte ich  einen naiven Kinderglauben ohne Enthusiasmus“. Er studierte Theologie, 1944 wurde er zum Priester geweiht, weil das Seminar in Reims dringend einen Geistlichen als Philosophie Dozenten brauchte. Die gegen alles Moderne  gewandte Enzyklika „Humani Generis“ von Papst Pius XII. war für ihn ein Schock; die stereotypen Wiederholungen der liturgischen Sprache empfand er als Ärgernis, den immer wieder propagierten Glauben an übernatürliche Wunder konnte er nur ablehnen. „1953 habe ich die Kirche verlassen“, er gab sein Priesteramt auf. 1964 heiratete er in Berlin die Philosophin Ilsetraut Marten, mit ihr hat er das  gleiche Thema bearbeitet: Die Philosophie als Exerzitium, als geistige Übung.
Die antiken Philosophen wollte den Geist ihrer Zuhörer anregen, „bearbeiten“, sie wollten nicht nur den Geist  informieren, sondern – durchaus mit einem missionarischen Anspruch- die Seele formen. In den zahlreichen und in allen Städten weit verbreiteten philosophischen Schulen wurde mit dem „Meister“ über diese Exerzitien diskutiert. Aber wirklich praktizieren muss die Übungen der einzelne Mensch. Er muss es lernen, philosophische Lebenshilfe in jeder Lebenssituation zur Verfügung zu haben. Darum muss er zentrale Einsichten auswendig lernen und wie in einem inneren Dialog seinen Geist formen: „Bald wirst du alles vergessen haben, und bald werden dich alle Menschen vergessen haben“. Ein Lehrspruch von Marc Aurel, er verhindert blinden Übermut oder gar den Wahn, ewig jung bleiben zu können. Philosophische Übungen als verinnerlichtes Bedenken der Weisheit fördert die geistige Präsenz. Die Versuchung, wie im Dämmerzustand durch das eigene Leben zu tapern, wird zurückgewiesen. Was brauche ich wirklich zum Leben? Epikur lehrte zum Beispiel: „Das Elend der Menschen besteht darin, dass sie Dinge fürchten, die gar nicht gefürchtet werden dürfen, zum Beispiel den Tod oder die Götter: Von unserem Tod können wir nichts wissen. Und von den Göttern wissen wir auch fast nichts, weil sie im fernen Himmel sind“. Innere Ruhe tritt ein, wenn wir uns sagen: „Wir dürfen nicht wollen, dass das, was sowieso eintritt, doch besser nicht eintritt. Sondern wir müssen wollen, das anzunehmen, was nun einmal unabänderlich kommt“.
Zu den Exerzitien der antiken Philosophen gehört für Pierre Hadot entscheidend die Achtsamkeit auf meine Gegenwart: Darum empfiehlt er, wie die Meister der Antike, die reflektierende Meditation am Morgen: Nach welchen Grundsätzen will ich heute handeln, aus egoistischem Antrieb oder gemäß einer vernünftigen Ethik. Und am Abend findet die Gewissenserforschung statt, nicht etwa, weil ein Gott das verlangt, sondern weil es vernünftig und deswegen heilsam ist. Habe ich heute mit Wohlwollen die Menschen behandelt, lebe ich für die anderen, ist mir die Freundschaft das höchste Gut? Habe ich mich der Resignation hingegeben? Marc Aurel hat gelehrt: „Erwarte nicht die ideale Republik, sei zufrieden wenn eine kleine Sache vorankommt. Und bedenke, was dann daraus wird, das ist dann oft gar keine kleine Sache mehr“.
Die Exerzitien der antiken Philosophen haben später die Exerzitien der Kirche geprägt, Pierre Hadot hat das nachgewiesen. Die Christen haben sogar diese freien philosophischen Übungen vereinnahmt, als sie die Philosophie seit dem Mittelalter zur „Dienerin der Theologie“ erklärten  und das Dogma über das kritische Fragen stellten. Philosophie soll noch heute in der Ausbildung der Priester zur Annahme der Kirchenlehre bewegen.
Pierre Hadot lässt keinen Zweifel daran, dass auch heute die philosophischen Exerzitien eine spirituelle Hilfe sind. Der einzelen muss sie leisten, wie in einer Form von „Selbsterziehung“, und diese einzelnen können sich zu philosophischen Gesprächskreisen zusammenschließen. Der zeitliche Abstand zu den Texten antiker Philosophen ist ja nicht größer als zu den Texten der Bibel. In beiden Fällen muss historisch – kritisch gelesen werden. Die Philosophien bleiben zumindest genauso relevant wie das „Buch der Weisheit“ . Denn im Unterschied zu kirchlichen Exerzitien wollen die philosophischen Exerzitien einzig den freien, selbständigen Menschen fördern, er muss sich keiner kirchlich vorgegebenen Moral anpassen. Vielmehr zählt einzig die Achtsamkeit auf die Stimme der Vernunft. Sie führt zum inneren Frieden. „Ein Geschenk, das gerade in Zeiten globaler Krisen lebensrettend sein kann“.

Copyright: Christian Modehn

Das wichtige Buch von Pierre Hadot auf Deutsch “Philosophie als Lebensform” (Fischer Verlag) ist leider immer noch vergriffen. Auf Französisch ist wichtig als Einführung das Interview mit Hadot “La Philosophie comme manière de vivre” (Livre de Poche) aus dem Verlag Albin Michel, Paris. 2001, 6 Euro!

Laien leiten katholische Gemeinden in POITIERS, Frankreich.

Gegen den Trend

Im französischen Bistum Poitiers leiten Laien die Gemeinden. Hier ist der Weg von unten die Antwort auf die Kirchenkrise

Von Christian Modehn.

Dieser Beitrag wurde im Jahr 2009 publiziert. Inzwischen gab es einen Wechsel in der Leitung des Erzbistums Poitiers, nach der altersbedingten Pensionierung des sehr verdienten und mutigen Erzbischofs Albert Rouet. Er hat das Programm “Laien leiten Gemeinden” und “Laien leiten Sonntagsgottesdienste mit Kommunionempfang (!)”  entworfen und immer unterstützt. Manche sahen in dem (unten beschriebenen Projekt) eine Chance, auch kleine Gemeinden, auf dem Land zumal, lebendig zu erhalten und mit dem üblichen (und bei dem zunehmenden Mangel an Priestern für die Gemeinden zerstörerischen) dominanten Klerus-Modell endlich Schluss zu machen. Der neue Erzbischof ist seit 2012 Pascal Wintzer. Er baut dieses stark auf die verantwortliche Mitwirkung der Laien setzende Modell langsam ab und kehrt zur römisch willkommenen Klerus-Vorherrschaft in den Gemeinden wieder zurück. In der vorzüglichen Studie “Trombinoscope des Eveques 2016-2017 (Edition Golias, Villeurbanne, Nov. 2016) wird jeder (!) französische Bischof, wie es sich journalistisch gehört, krititisch, also nicht kirchenabhängig, gewürdigt. Auf den Seiten 316 bis 320 wird über Erzbischof Pascal Wintzer, Poitiers, berichtet; der Beitrag über ihn hat den bezeichnenden Titel “Fossoyeur”, also Totengräber … für diese neuen Gemeindeformen. In diesen Tagen tritt eine Synode in Poitiers zusammen, dort treffen sich die Katholiken, die dem Erzbischof treu ergeben sind (“identitaires”, wie die “Trombinoscope” S. 320 berichtet. Sie sollen die Laien ablösen, die noch für das Laien-Gemeinde-Modell eintreten, schreiben die Autoren der “Trombinoscope” (= “Jahrbuch”)…Wir empfehlen allen Interessierten dieses in unserer Sicht einmalige Buch über den realen Zustand der französischen Hierarchie. Und bitten alle, die enthusiastisch einst die unten notierten Zeilen gelesen haben, und das sind auch in Deutschland viele, mit ihrer (üblichen) Frustration fertig zu werden. Im Reformationsgedenken 2017 gilt das Motto: Der Klerus beherrscht die römische Kirche … nach wie vor. Insofern bleibt Luther aktuell…

Ergänzung im November 2016: Die Gemeinden in Frankreich sterben aus, weil der Klerus ausstirbt. So einfach ist das. Und so schlimm, wenn man an den Tod der Kommunikation dadurch in den Dörfern und den möglichen Verlust an Spiritualität denkt. Über jüngste (2016) Entwicklungen, zum Thema, im Bistum Tulle (Corrèze) klicken Sie hier.

Der publizierte Text von 2009:

Die Vergangenheit wirkt so beruhigend, weil sie tot ist.« Albert Rouet, Erzbischof von Poitiers im Westen Frankreichs, liebt klare Worte, wenn er von der »Pfarrgemeinde« als Organisationsform kirchlichen Lebens spricht: Sie ist für ihn überholt. »Bei der Pfarrei ging es seit Jahrhunderten um Macht: Die Priester bestimmten alles. Jetzt sind sie noch mehr überlastet. Ständig müssen sie Messen feiern. Eine grundlegende Erneuerung ist so nicht möglich.« Weiterlesen ⇘