„VON BEFREIENDER PÄDAGOGIK ZUR PÄDAGOGIK DER AUTONOMIE“
Eine Begegnung mit Paulo Freire (1927-1997)
Von Hernán Silva-Santisteban Larco. Biografische Hinweise zur Person am Ende dieses Beitrags.
Der nächste Salon am 23. März 2012 wird sich mit wichtigen philosophischen und pädagogischen Anregungen des brasilianischen Philosophen und Pädagogen Paulo Freire befassen.
Unser Referent, der Philosoph Hernán Silva -Santibestan Larco, hat schon einige Thesen und Fragen zusammengestellt:
Die besondere Leistung von Paulo Freire lag in dem Widerstand, den er mit seinem Werk in der
Praxis der Erwachsenenbildung gegen die Unterdrückung der Menschen in der sogenannten
„Dritten Welt“ geleistet hat. Die von ihm genannte „Pädagogik der Befreiung“ ist eine
Erziehungstheorie, die aus dem alltäglichen Leben hervorgeht, sich in dem alltäglichen Leben
bewährt und eine mögliche „Praxis der Befreiung“ einleitet zur Überwindung der sozialen-,
kulturellen-, ökonomischen-, und politischen Unterdrückungen. Das eigentliche Ziel der
Pädagogik Paulo Freires ist die Ausbildung einer konkreten „Utopie der Befreiung“ um die Welt
menschlicher zu gestalten. In Hinblick auf die Erfüllung dieser Aufgabe, entwickelte Paulo Freire
eine Methodik und Didaktik der Bewusstmachung, das sogenannte Alphabetisierungsprogramm,
dessen wesentliches und einziges Erziehungsinstrument die „Haltung des Dialogs „ ist.
Laut Gustavo Gutierrez „stellen die Erfahrungen und Arbeiten Paulo Freires eines der
schöpferischsten und fruchtbarsten Werke dar, die in Lateinamerika je entstanden sind“ (1). Auch
im gesellschaftlichen Kontext der Industrienationen des Westens wird die These vertreten, dass
man von Paulo Freire lernen kann, denn seine Pädagogik ist „als eine Art allgemeiner Didaktik
anzusehen, die sich auf jede potentielle Lernsituation anwenden lässt“ (2)
I.- Einige Frage für unsere Teilnehmer des Religionsphilosophischen Salons:
– Welches ist mein Bewusstsein von mir als Mensch in der heutigen Leistungs-, Konsum-,
Unterhaltungs-, und Massenmedien Gesellschaft?
– Wie ist mein Lebensprojekt? Ist es das Resultat einer Selbstgestaltung als Ausdruck meiner
Initiativkraft, oder ist mein Lebensprojekt eine Anpassung an die Welt?
– Wie kann ich ein klareres Bewusstsein meines Menschsein und damit Selbstsicherheit, Stärke,
Authentizität und Autonomie gewinnen?
– Wie kann ich eine Distanzierung gewinnen, um damit zu lernen, die fraglos akzeptierten
unterdrückerischen Normen und sozialen Strukturen zu relativieren und schließlich aufzuheben?
– Inwiefern bin ich ein Teilnehmer einer „Kultur des Schweigens“, der unmenschliche soziale
Umstände unkritisch gelten lässt, anstatt ein Teilnehmer einer „Kultur des Sprechens“ zu sein, der
diese Umstände kritisch versucht zu hinterfragen und zu verändern?
– Wie können wir „die spezifische Unverständlichkeit systematischer verzerrter Kommunikation“
(J. Habermas) in unserer heutigen Gesellschaft der Massenmedien aufklären
– Wie können wir uns in unserer Lebenswelt vernünftig verhalten und „Verantwortung als
Ausdruck der Freiheit“ (Joachim Gauck) für diese tragen?
– Wie können wir unsere heutigen Konflikte in Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen,
Kulturen, Länder in unserer heutigen Welt menschlich lösen?
II.- Einige Frage in Beziehung zu staatlichen Schulen und staatlicher Erziehung (3):
– Wie werden Schüler mit ihren Bedürfnissen, Interessen und Vorstellungen von den Lehrern
wahrgenommen und angenommen?
– Wie werden Kenntnisse und Erfahrungen der Schüler, ihr kulturelles Umfeld und ihre
„Schichtenherkunft“ von der Schule aufgenommen?
– Welchen Stellenwert haben die konkreten Lebenszusammenhänge der Schüler?
– Erscheint der Unterricht eher als Programmierung der Schuler mit Fremdwissen und fremder
Wirklichkeit anstatt als Erkenntnisvorgang zur Veränderung des Lebens?
– Wie werden die Unterrichtsabläufe im Verhältnis zu den Entfaltungsmöglichkeiten der Schüler
gestaltet?
– Gründet sich das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler auf einem respektvollen und kreativen
Dialog, oder unterdrückt der Lehrer den Schüler (oder der Schüler den Lehrer) unter seiner
angebliche Autorität als Ausdruck der Macht?
– Welche Möglichkeiten haben die Schüler in der Bestimmung am Lernprozess teilzunehmen?
– Welchen Stellenwert bekommt die Freiheit der am Erziehungsprozess Beteiligten?
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(1) Gustavo Gutierrez, Theologie der Befreiung. Mit einem Nachwort von Johann Baptist Metz,
3. Auflage, München 1978, S.90.
(2) René Bendit/ Achim Heimburger, Von Paulo Freire lernen. Ein neuer Ansatz für Pädagogik
und Sozialarbeit, München 1977, S.125.
(3) mehr über das Thema in: Joachim Dabisch, Die Pädagogik Paulo Freires im Schulsystem,
Saarbrücken 1987. Auch in: Dimas Figueroa, Paulo Freire zur Einführung, Hamburg 1989
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Zur Person: Hernán Silva-Santisteban Larco
• Geboren 1948. Deutsch-Peruaner.
• Primär- und Sekundarschule in Lima.
• Universitätsstudium der Philosophie, Theologie
und Pädagogik in Peru, Argentinien und Chile.
Master of Arts in Philosophie.
• Hochschuldozent für Philosophie in Peru.
• Dozent in indigenen Bauerngemeinschaften in
den Zentral-Anden und dem Amazonasgebiet in Peru.
• Ausbildung zum Waldorflehrer am Waldorflehrerseminar
in Berlin. Lehrertätigkeit (Primär- und
Sekundarstufe) an Waldorfschulen in Deutschland
und Mexiko.
• Langjähriges Studium der Anthroposophie
und Dozent in der anthroposophischen
Erwachsenenbildung.
• Ausbildung als Biographie-Berater und Leiter von
Seminaren zur Biographiearbeit bei Hellmuth ten
Siethoff (Schüler von Bernard Lievegoed) in Frankreich
und Deutschland.
• Veröffentlichung von drei Gedichtsammlungen sowie
Aufsätzen zu philosophischen und pädagogischen
Themen.