Anglikaner kehren nach Rom zurück
Die Ökumene erhält eine neue Richtung
Von Christian Modehn , ein Beitrag für NDR INFO am 24. 10. 2009
—Im RELIGIONSPHILOSOPHISCHEN SALON wird aus der gebotenen kritischen Distanz das religiöse Geschehen beobachtet und kommentiert. Wenn jetzt offenbar “massenweise” konservative Anglikaner zum Katholizismus konvertieren, ist das auch für uns ein Thema. Angesichts des sogenannten Ökumenischen Kirchentages in München 2010 kommen da gewisse Fragen auf… Trotz aller ökumenischen Gespräche wird allmählich dem letzten ökumenischen Optimisten klar: Die römische Kirche fühlt sich als das einzig wahre Zentrum der vielen christlichen Kirchen —
Konservative Gläubige der Anglikanischen Kirche, Bischöfe, Priester und Laien, werden jetzt mit offenen Armen in die katholische Kirche aufgenommen; und es können viele tausend werden, die zur sogenannten „Mutter – Kirche“, also nach Rom zurückkehren. Diese Nachricht wird dieser Tage verbreitet, und sie kann ein historisches Datum markieren. Denn bisher stand das Gespräch der getrennten Christen, nicht aber die Konversion im Mittelpunkt der ökumenischen Bemühungen um die Einheit der Kirchen. Christian Modehn berichtet.
Heute gehören etwa 70 Millionen Menschen weltweit zur Anglikanischen Kirche, die aus der „Church of England“ hervorgegangen ist. Wer an ihren Gottesdiensten teilnimmt, fühlt sich angesichts der liturgischen Pracht oft an katholische Messen erinnert. Diese Kirche entstand, als sich König Heinrich VIII. im Jahr 1534 vom Papst lossagte und sich selbst zum Kirchenoberhaupt ernannte. So konnte er die päpstliche Ehegesetze ignorieren und problemlos mehrfach heiraten, immer aber mit kirchlichen Zeremonien, die ihm das römisch-katholische Kirchenrecht verweigert hatte. Auch seinen Priestern gestattete der König die Heirat. Und so sind auch die anglikanischen Pfarrer, die sich jetzt von ihrer Kirche trennen und in die Katholische Kirche eintreten, keineswegs zölibatäre Geistliche. Der Vatikan hat für diesen Fall bereits eine Ausnahmeregelung geschaffen, und so dürfen die anglikanischen Pfarrer jetzt als katholische Priester ihre Ehe selbstverständlich weiterführen. Diese verheirateten katholischen Priester werden allerdings in einer eigenen kirchlichen Struktur arbeiten, also nicht einem Ortsbischof unterstellt sein, sondern einem weltweiten „anglikanisch – katholischen Bistum“ mit einem eigenem Oberhirten, der muss allerdings unverheiratet sein. Soweit geht die päpstliche Toleranz in Zölibatsfragen dann doch nicht.
Interessant ist es in jedem Fall, wie schnell sich der Papst bereit findet, den sonst mit höchstem dogmatischen Eifer verteidigten Zölibat doch als relativ und sekundär anzusehen, wenn es um ein noch höheres Ziel geht, nämlich um die Rückkehr der von Rom getrennten Seelen zur „Mutter Kirche“, wie man gern sagt, zum Katholizismus. Die Freude über die Rückkehrer ist in konservativen Katholischen Kreisen nicht zu überhören, wird dadurch doch das Selbstbewusstsein gestärkt, der Katholizismus sei die wahre Kirche, die für alle getrennten Brüder und Schwestern Raum bietet. Die Konvertiten gehören zum Teil zu einer unabhängigen traditionalistischen Gruppierung der Anglikaner, andererseits sind sie aber noch Mitglieder dieser Kirche selbst. Sie haben seit 17 Jahren dagegen protestiert, dass es nun auch Priesterinnen in der Anglikanischen Kirche gibt, sie haben sich gegen alle Formen eines zeitgemäßen Glaubens ausgesprochen, etwa gegen die Segnung homosexueller Paare in der Kirche. Sie haben entsetzt aufgeschrieen, als in den USA ein homosexueller Priester Bischof ihrer Kirche wurde. Vertreter des Vatikans haben diesen Kreisen schon immer deutlich gemacht, dass der Papst ihre Überzeugungen mit Sympathie begleitet.
Durch die Massenkonversion erhalten aber jene römischen Kreise weitere Verstärkung, die sich ebenso vehement gegen das Priestertum der Frau wehren oder gegen die Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften polemisieren. Die römische Kirche wird durch die Massenkonversion also noch konservativer. Die Einrichtung eines neuen weltweiten anglikanisch – katholischen Bistums dürfte als Vorbild gelten für die bevorstehende Integrierung traditionalistischer Katholiken aus den Kreisen der berüchtigten Pius Brüder. Und es bleibt abzuwarten, ob sich nun auch konservative Lutheraner etwa aus Schweden, den USA oder Lettland berufen fühlen, sich mit dem Papst versöhnen. Die Ökumene hat schon jetzt eine neue Richtung genommen, nicht mehr nur auf freundliche Gespräche kommt es an, Konversionen sind als Ziel der Ökumene in Rom durchaus erwünscht. Nach diesen Ereignissen sind die Aussichten für die wenigen noch verbliebenen progressiven Katholiken eher düster: Sie sehen sich einer konservativen Übermacht in ihrer eigenen Kirche gegenüber und müssen erleben, wie Rom offenbar nach dem Motto handelt: Je traditionalistischer ein Christ denkt, um so stärker ist er beim Papst willkommen.
Darüber wird hoffentlich beim Ökumenischen Kirchentag in München im nächsten Jahr gesprochen werden. Die Massenkonversion traditionalistischer Anglikaner sollte die Programmgestaltung bestimmen. Es geht um die Frage: Ist der Katholizismus die einzig wahre christliche Religion, zu der alle Christen streben sollten, oder ist er eine von vielen gleichberechtigten christlichen Kirchen? Die Ereignisse der letzten Tage geben bereits eine – vorläufige – Antwort auf diese Frage.