Freiheit muss man sich nehmen. Das philosophische Wort zur Woche.

Freiheit muss sich der Mensch nehmen
Das “Philosophische Wort zur Woche“
Von Christian Modehn

Das „philosophische Wort zur Woche“ fällt diesmal etwas kürzer aus. Wir schlagen heute dringend die (nicht immer leichte) Lektüre des „ewig“ aktuellen Kant vor, und zwar seines Buches „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (von 1793). Wir beziehen uns auf die Ausgabe von Felix Meiner, Hamburg, 2003. Diese Aufsätze enthalten zahlreiche aktuelle Anregungen, etwa den ausführlichen Hinweis:
Die Religion hat ihren Ursprung in der Ethik und nicht umgekehrt. Religionsführer irren, wenn sie aus ihrer Religion eine allgemeine Ethik herleiten! Weiter: Dogmen und Liturgien haben nur Sinn, wenn sie ethisches Handeln fördern; Beten hat als Poesie einen gewissen Sinn usw…

Auf Seite 254 in dem genannten Buch schreibt Kant über die Abwehr vieler autoritärer Regime, Freiheit zuzulassen, nach dem alt bekannten Motto: Die Leute seien noch nicht reif die Freiheit usw… Kant hatte wohl die Abwehr der Französischen Revolution in Deutschland im Blick. Auch heute gibt es zahllose Beispiele in autoritären politischen und religiösen Systemen, die ihren Machtanspruch mit Fürsorglichkeit kaschieren und so sehr “mütterlich” Freiheit und Menschenrechte unterdrücken.

Kant schreibt:
„Nach einer solchen Voraussetzung aber wird die Freiheit nie eintreten. Denn man kann zu dieser Freiheit nicht reifen, wenn man nicht zuvor in Freiheit gesetzt worden ist. Man muss frei sein, um sich seiner Kräfte in der Freiheit zweckmäßig bedienen zu können. Die ersten Versuche (der Freiheit) werden freilich roh, gemeiniglich auch mit einem beschwerlicheren und gefährlicheren Zustande verbunden sein, als man noch unter den Befehlen, aber auch unter der Vorsorge anderer stand. Allein: Man reift für die VERNUNFT nie anders, als durch eigene Versuche (der Freiheit), welche Versuche man machen zu dürfen eben frei sein muss! …Es zum Grundsatz zu machen, dass den Menschen, die den Herrschern einmal unterworfen wurden, überhaupt die Freiheit nicht tauge, und man als Herrscher berechtigt sei, diese Menschen jederzeit von der Freiheit zu entfernen, ist ein Eingriff in die Regalien, also die Hoheitsrechte, der Gottheit selbst, die den Menschen ZUR FREIHEIT SCHUF“.

Anpassung statt Résistance. Zur Kollaboration der katholischen Kirche in Frankreich.

Anpassung statt Résistance
Zur Kollaboration der katholischen Kirche in Frankreich.
Anlässlich des Kinofilms „Die Kinder von Paris“
Von Christian Modehn

Diesem Beitrag liegt ein Kommentar für den NDR vom 13. 2. 2011 zugrunde. Einige FreundInnen wünschten etwas ausführlichere Informationen, deswegen dieser (immer noch knappe) Text zu einem weithin unbekannten Thema….

Seit dem 10.Februar läuft in den Kinos ein bewegender, ja durchaus: ein „anrührender“ Film. Er erzählt die Geschichte jüdischer Familien, die am 16. Juli 1942, während der Nazibesetzung, in Paris verhaftet wurden. In einer Art Zwischenlager, der Halle der Radrennbahn, trieb die französische Polizei 13.000 Juden, darunter 4.000 Kinder, zusammen, bevor sie in die KZs im Osten transportiert werden.
Den Film „La Rafle“, die Razzia, haben in Frankreich bis jetzt 3 Millionen Menschen gesehen, ein riesiger Erfolg! In Deutschland wird er unter dem Titel „Die Kinder von Paris“ gezeigt.

„Ich will mit meinem Film Mitleid und Mitgefühl wecken“, betont die Regisseurin Rose Bosch, durch Emotionen könnten vor allem jüngere Menschen dazu bewegt werden, sich mit dem Grauen der Judenvernichtung gründlicher als bisher auseinanderzusetzen. Denn ganz selbstverständlich sonnen sich die meisten Franzosen noch immer in dem Glauben, ihre „Grande Nation“ habe im ganzen tapfer Widerstand geleistet gegen die Nazis und ihre Kollaborateure. Die Realität ist anders. Erst 1995 fand sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac bereit, die von den meisten Franzosen still geduldete und akzeptierte Judenverfolgung öffentlich als die “große Schande unseres Landes“ zu nennen. Der „glorreiche General de Gaulle“ wurde also in seinem Londoner Exil nicht von einer großen Volksbewegung unterstützt, die meisten Franzosen waren Mitläufer, und oft auch Mittäter.
Es ist also höchste Zeit, die viel beschworene „Résistance“, den Widerstand gegen das nazifreundliche Regime des General Pétain realistisch wahrzunehmen; auch dazu fordert der Film auf: Da kümmert sich etwa die historisch verbürgte Gestalt der Krankenschwester Annette Monod um die drangsalierten Juden in der Radrennbahn. Ausdrücklich wird sie in dem Film als Protestantin vorgestellt; ein Hinweis, dass sich die kleine Kirche der Calvinisten viel deutlicher als die Katholische Kirche den Nazis und ihren Kollaborateuren widersetzte. General de Gaulle lobte schon im Juni 1945 die Protestanten, sie hätten „die klare Vision für die Interessen der Nation bewahrt und Widerstand geleistet“.
In der katholischen Kirche gab es auch einige Mitglieder der Résistance, wie den späteren, weltberühmten Sozialpriester „Abbé Pierre“ oder den Jesuiten Pierre Chaillet, der mitten in der Résistance die (immer noch bestehende) Wochenzeitung „Témoignage Chrétien“ gündete.
Aber es ist doch bezeichnend, dass sich die Bischöfe Nordfrankreichs eine Woche nach der Verhaftung der Juden in Paris ausdrücklich weigerten, gegen die Deportationen zu protestieren. So wollten sich die Oberhirten das Regime bei Laune halten, hatte sich doch Staatschef Pétain als Förderer der katholischen Schulen gezeigt; Kreuze hingen wieder in öffentlichen Gebäude: Welch ein Erfilg! Hatte Pétain doch versprochen, den antiklerikalen, den so genannten freimaurerischen und sozialistischen Ungeist der Republik zu vertreiben. Pétain mit seiner Nazi – freundlichen Regierung in Vichy wurde katholischerseits ganz offiziell als Geschenk der Vorsehung gepriesen, „Pétain arbeitet an der Auferstehung Frankreichs“, betonte etwa der Erzbischof von Aix en Provence. Die Katholiken hatten endlich ihre eigene, ihre klerikal gefärbte Revolution, nach der Abgrund tiefen Ablehnung der „großen Revolution von 1789“ war Pétain und co. ein Lichtblick. Der Publizist Jacques Duquesne nennt in seiner Studie „Les catholiques francais sous l occupation“ zahllose ähnliche Beispiele: In der Wallfahrtskirche von Annonay wurde gar ein Bild Pétains aufgestellt; in einer katholischen Schule im Département Lot begann der Unterricht mit einem Gebet: „Unter den Augen Gottes unseres Vaters, gehorsam den Weisungen des Marschalls Pétain gehen wir Kinder Frankreichs an die Arbeit – für die Familie, das Vterland“. Der katholische Dichter Paul Claudel schrieb gar eine Ode an den Marschall, darin heißt es u.a. „Frankreich, höre diesen alten Mann, der sich mit dir befasst und der zu dir spricht wie ein Vater…“ Kardinal Baudrillart, Chef der Katholischen Universität on Paris, lobte gar die Kollaboration mit den Nazis, weil nur so der Kommunismus besiegt werden könnte. Und Monsignore Moncelle scheute sich nicht, Marschall Petain und sein Regime, in den Worten des Johannes Evangeliums „als Weg, Wahrheit und Leben“ zu rühmen.
Das autoritäre und antisemitische Regime wurde allgemein mit einem Glorienschein ausgestattet. So ist es kein Wunder, dass nach der Befreiung durch de Gaulle lange Listen unerwünschter (weil kollaborierender) Bischöfe verbreitet wurden, auch der Name des Pariser Kardinals Emmanuel Suhard stand darauf. Aber weil sich der Papst einschaltete, wurden letztlich nur neun von 20 Bischöfen ihrer Ämter enthoben. Eine wirkliche „Reinigung“ der katholischen Kirche vom antisemitischen und antirepublikanischen Ungeist hat nicht stattgefunden. Es gab nur zwei Bischöfe, die mit der Résistance zusammenarbeiteten: Erzbischof Saliège von Toulouse und Bischof Théas von Montauban, er war einer der Mitbegründer der katholischen Friedensbewegung Pax Christi.
Einige tausend französische Juden haben ihr Leben retten können; couragierte Nachbarn fanden sich bereit, sie zu verstecken. Aber dieser Widerstand der kleinen Leute, vielleicht auch der Katholiken an der Basis, widersprach der offiziellen bischöflichen Linie. Die globale Sympathie der katholischen Kirchenführung für Pétain und seine Nazi-Freunde ist um so erstaunlicher, als der viel geliebte Marschall alles andere als ein – in offizieller Sicht – vorbildlicher Katholik gelten konnte. Er war mit der von den Päpsten verbotenen „Action Francaise“ verbunden und mit deren Chefideologen Charles Maurras. Die Spezialisten für diese Fragen, die Historiker F. und R. Bédarrida, schreiben: „Die Hierarchie ging das Wagnis ein, als eines der wichtigsten Elemente im Vichy – Regime zu erscheinen. Die Katholiken sollten dem Programm der „Nationalen Revolution“ zustimmen. In der Praxis lief diese Haltung auf eine gleichsam unbedingte Unterwerfung der Kirche unter die Macht Pétains hinaus“.

Bis heute sind in dem weiten Sympathisantenumfeld der so genannten Piusbrüder die Freunde Pétains und seiner Nazi – Kollaborateure zu finden. Diese Kreise sollen, so will es ausdrücklich Papst Benedikt XVI. mit der römischen Kirche wieder voll versöhnt und integriert werden. Einen der deutlichsten Sympathisanten dieser Kreise, den einstigen Pius Bruder Abbé Laguerie, hat Benedikt XVI. wieder in die offizielle römische Kirche aufgenommen und ihn einen eigenen Orden, die Brüder vom Guten Hirten ( L institut du Bon Pasteur) in Bordeaux gründen lassen. Der Papst ist glücklich: Diese „guten Hirten“ stellen jetzt viele junge Priester, das ist ja für den Papst bekanntlich am aller wichtigsten…(Hübsche Bilder dieser Herren findet man im Internet).

Zahlreiche Informationen zu diesem Text beziehen sich auf mein Buch „Religion in Frankreich“, Gütersloher Verlagshaus, 1993. Das Buch kann noch antiquarisch bezogen werden.

Loyale Opposition in der Katholischen Kirche – ein Widerspruch

Ein Wort vorweg:
Manchmal kommt das Philosophieren, das besinnliche Denken, wie Heidegger richtig sagt, nicht zur gebotenen Ruhe, weil im Rahmen der Religionskritik ständig Stellungnahmen erforderlich sind.
Ende 2010 hatte ich in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM einen Beitrag geschrieben zu der Frage: Hat die sogenannte “loyale Opposition” innerhalb der römischen Kirche einen gewissen Sinn. Meine in der damals vorgeschriebenen Kürze gegebene Antwort heißt: Nein.
Weil mich viele FreundInnen aus entfernteren Regionen darum baten, diesen Text (nach)lesen zu können, biete ich ihn hier gern zur Lektüre an, zumal durch die Erklärung der mehr als 140 TheologInnen in Deutschland von Anfang Februar 2011 wieder der Eindruck entsteht und die Hoffnung geweckt wird, verbale loyale Opposition, hätte noch einen gewissen Sinn. Von daher ist der folgende Text aus PUBLIK FORUM nach wie vor aktuell. copyright: christian modehn.

Loyale Opposition in der römischen Kirche – eine Illusion
Von Christian Modehn

Keiner kann es leugnen: Grundlegende Veränderungen in Lehre und Struktur der römischen Kirche wurden von Reformkatholiken nicht bewirkt. Es wird Zeit, sich damit abzufinden: Das römische System versteht sich als gottgewollt und unveränderlich. Die Herren der Kirche lassen sich von niemandem außerhalb der Hierarchie in ihr Regieren hineinreden. Das heißt: Jegliche Hoffnung auf synodale Strukturen ist illusorisch.

Die Selbstdefinition der Reformkatholiken als einer »loyalen Opposition« ist ein Missverständnis: Opposition ist wesentliches Element der Demokratie; oppositionelle Parteien haben grundsätzlich die Möglichkeit, nach den Wahlen die Regierung zu übernehmen. Selbst außerparlamentarische Gruppen haben einmal die Chance, die Demokratie mitzubestimmen.

Die Machthabenden der römischen Kirche dagegen definieren ihre Kirche nicht als Demokratie, sondern als eigenständige Organisation – zum Beispiel als »mystischen Leib Christi«. Der katholische Theologe Hans Küng nennt die Kirche treffend »das einzige bestehende absolutistische System der westlichen Welt«. »Loyal Oppositionelle« haben keine Chance, ihre Anliegen demokratisch mit der Hierarchie zu diskutieren, geschweige denn umzusetzen.

Das römische System freut sich vielleicht manchmal über diese Kreise, denn sie vermitteln den Eindruck, als gäbe es ein bisschen Progressives im Katholizismus. Im Alltag der Kirche wird hingegen weltweit hart durchregiert. Ohne Mitentscheidung der Betroffenen werden Pastoral- und Finanzkonzepte durchgesetzt, reaktionäre Bischöfe lösen seit Jahrzehnten halbwegs aufgeschlossene Bischöfe ab. Reformkatholiken können dagegen mit Appellen nichts ausrichten. Nach der Freilegung zahlreicher pädophiler Verbrechen durch Priester haben diejenigen, die das Thema in die Öffentlichkeit brachten, keine Chance, an der Reform des Kirchenrechts beteiligt zu werden oder dafür zu sorgen, dass die offizielle Sexuallehre human wird.

Die »loyal Oppositionellen« begehen den Fehler, das Zweite Vatikanische Konzil als Reformkonzil zu idealisieren. Tatsächlich war es aufgrund vieler doppeldeutiger Beschlüsse gerade kein grundlegendes Reformkonzil im Sinne von Reformation. Die Zölibatsgesetzgebung besteht weiter, das ökumenische Abendmahl ist keinen Schritt vorangekommen, synodale Strukturen gibt es nur auf Bischofssynoden, bei denen der Papst das letzte Wort hat. Progressive Konzilstheologen, »loyal Oppositionelle« der Frühzeit, sind auf halbem Wege gescheitert. Die Anerkennung der Religionsfreiheit hat die kirchenkritische Öffentlichkeit erzwungen, kein »loyal Oppositioneller«. Eine Rückbesinnung auf dieses Konzil kann deshalb nicht die dringende Reformation der römischen Kirche herbeiführen.

Der Begriff »loyal« bedeutet so viel wie »die Autoritäten respektierend«. Loyal oppositionelle Katholiken wollen also doch »treu« zur verfassten Hierarchie sein. Sie sind getrieben von der »Liebe zur Mutter Kirche«. Dabei sollte ein Christ nur Gott lieben und den Nächsten und sich selbst. Die »Liebe zur Mutter Kirche« wird dagegen von der Hierarchie nahegelegt, um die permanente Hartherzigkeit des kirchlichen Apparates zu verschleiern.

Zwei Möglichkeiten bleiben: Zum einen die nüchterne Anerkennung, dass die römisch-katholische Kirche eine konservative Großorganisation ist und bleiben wird, heute mit einem Mix aus Opus Dei und Pater Pio, Fatima und dem Neokatechumenat. Zum anderen die kritische Beobachtung dieser in sich verkapselten Großorganisation, die man getrost den demokratischen Medien überlassen kann. Reformkatholiken könnten angesichts des absolutistischen Systems Kirche besser als Dissidenten leben. Das würde nicht nur die Finanzsituation der Kirche ändern.

Es wäre über die Gründung freier ökumenischer Gemeinden nachzudenken (die es in Holland und der Schweiz seit Jahren gibt), auch über die befreiende Kraft der Konversion in protestantische und freisinnige Kirchen. Braucht denn die Verbindung mit Gott immer einen kirchlichen Rahmen? Reformkatholiken sollten Befreiungstheologie leben – zum Beispiel beim Aufbau neuer spiritueller Orte.

Benedikt XVI. ist politisch “rechtslastig” – Religionskritische Perspektiven zu Joseph Ratzinger

Vorwort:
Von verschiedenen FreundInnen des “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons” aus dem fernen Ausland wurden wir gebeten, einen ziemlich grundlegenden Beitrag von mir über die politische Rechtslastigkeit von Joseph Ratzinger bzw. Benedikt XVI. auch im Internet zugänglich zu machen. Der Beitrag ist 2009 in einem Buch des Verlages PUBLIK FORUM erschienen, unter dem Titel: “Rolle rückwärts mit Benedikt”, hg. von Thomas Seiterich und Norbert Sommer. Das Buch mit Beiträgen verschiedener Autoren ist sehr empfehlenswert, auch anläßlich der bevorstehenden Deutschland Reise des Papstes im September 2011. Mein Beitrag wurde bereits viel zitiert usw., es wäre nett, wenn dies immer mit einer Quellenangabe geschieht. Ansonsten gilt für den Text: : copyright: christian modehn.
Dieser Beitrag gehört ins Zentrum einer aktuellen Form von Religionskritik.

Die rechte Hand Gottes
Politisch – theologische Optionen Joseph Ratzingers
Von Christian Modehn, verfasst am 22. 3. 2009

Ergänzung am 9.2.2024: Papst Bendikt XVI. veröffentlichte im Oktober 2012 im Verlag des rechtsextremen Publizisten und Unternehmers Hans-Ulrich Kopp, dem Lepanto Verlag,  das  Buch “Kirchenlehrer der Neuzeit”. Es enthält Katechesen, also Glaubensunterweisungen, die Benedikt XVI. als Papst hielt. Schon damals waren die Aktivitäten Hans-Ulrich Kopps im rechtsextremen Milieu allgemein bekannt. Warum bloß hat Papst Benedikt XVI. in diesem Verlag eines Rechtsextremen ein Buch veröffentlichen müssen, wo er doch beste Beziehungen etwa zum Herder Verlag hatte? Wer war der Vermittler? Vielleicht Kardinal Müller, der auch ein Buch in diesem Lepanto Verlag veröffentlichte? War Papst Benedikt vielleicht schon so senil, dass er den politischen Background des Lepanto – Verlegers nicht kannte? Sicher nicht! Benedikt XVI. hatte ja 2013 noch so viel Vernunft, als Papst zurückzutreten. Unsere Vermutung, die in den folgenden Ausführungen ihre Begründung findet: Ratzinger/Bendikt XVI. fühlte sich als politisch sehr Konservativer in diesem Milieu vielleicht sogar wohl! Kopp war Teilnehmer an den “Gesprächen” und Planungen Rechtsextremer im November 2023 in einem Hotel in Potsdam. (TAZ, 27.1.2024, Seite 5).

1. Regensburg
„Joseph Ratzingers Bruder ist der Chef der Regensburger Domspatzen. Aber das könnte eigentlich kein Grund sein, von Tübingen weg zu gehen“, bemerkte der katholische Theologe Karl Rahner in der ihm eigenen Ironie (1). Tatsächlich war es nicht die Liebe zur Musik, die Professor Ratzinger dazu führte, schon nach drei Jahren, 1969, seinen Dogmatik Lehrstuhl an der Universität Tübingen aufzugeben. Es war eher die Frustration darüber, dass z. B. sein Kollege Hans Küng sehr wohl mit den rebellierenden Studenten 1968 diskutieren konnte. Dem eher schüchternen Ratzinger aber war das „rebellische Aufbegehren“ zuwider. (2) Der Wechsel nach Regensburg wurde für die weitere Zukunft zur entscheidenden Neuorientierung. Karl Rahner betont: „Ratzinger hat eingestandenermaßen eine Wendung gemacht, als er von Tübingen nach Regensburg ging“. (3) An die theologische Fakultät in Regensburg wurde er nur deswegen berufen, weil ein ursprünglich für Judaistik bestimmter Lehrstuhl dort nicht besetzt werden konnte und der freie Platz nun in katholische Dogmatik umgewidmet wurde! Den Start in Regensburg empfand er als glücklich, wie er gesteht: „So war bald wieder das rechte universitäre Fluidum gegeben, das mir für meine Arbeit so wichtig war“ (4). Sein Dogmatik – Kollege war nun der konservative Johann Auer, ein Verteidiger mittelalterlicher Theologie und Liebhaber eines von der Tradition her geprägten römischen Lehrsystems. Hans Küng bezeichnete den Umgang des Dogmatikers Auer mit der Bibel eine “neuscholastische Steinbruchexegese” (5) Aber Ratzinger war mit Auer „in inniger Freundschaft verbunden“. (6), vor allem weil beide die Kirchenväter vom 1. bis 5. Jahrhundert über alles schätzten. Ratzinger beteiligte sich sogar an Auers Lehrbuch (!) „Kleine Katholische Dogmatik“. Mit dem Umzug nach Regensburg begann für Ratzinger die intensive Mitarbeit an der „Internationalen Katholischen Zeitschrift Communio“ , an deren Gründung er im Herbst 1969 beteiligt war. (7) „Communio“ erschien 1972 als Gegenprogramm zur internationalen progressiven Zeitschrift CONCILIUM, die an einer Fortschreibung des II. Vatikanischen Reformkonzils arbeitet, zahlreiche renommierte Konzilstheologen wie Rahner, Küng, Schillebeeckx gehören zu den Gründern. Bei „Communio“ sammelten sich von Anfang konservative Denker, etwa der erklärte Rahner-Gegner und konservative Ex- Jesuit Hans Urs von Balthasar, der CSU Kultusminister Hans Maier oder der CDU Publizist Otto B. Roegele. Er war Herausgeber des bischöflichen, „linientreuen“ Rheinischen Merkurs. Auch Karl Lehmann gehört von Anfang zum COMMUNIO Kreis! War er und ist er das etwas liberale „Alibi“ dieser Zeitschrift? Wichtig ist: Von Anfang an gehörte zum engen COMMUNIO Kreis auch Jorge Medina Estevez, ein Theologe aus Santiago de Chile. 1987 wurde er Bischof von Rancagua, später von Valparaiso. Dort war er als ein enger Freund des Diktators Pinochet bekannt, den er bis zu dessen Tod öffentlich verteidigte! Als Kardinal kümmerte sich Medina in Rom später sehr wohlwollend um die Versöhnung mit den Pius Brüdern. Und ihm kam die schöne Aufgabe zu, am 19. 4. 2005 sozusagen „urbi et orbi“ mitzuteilen, dass „Josephus Ratzinger“, sein bewährter „Communio – Freund“, zum Papst gewählt wurde.
So wirken Regensburger Verbindungen bis zur Papstwahl und zur Versöhnung mit den Piusbrüdern weiter. Wichtig ist, dass schon von Regensburg aus Joseph Ratzinger über Jorge Medina Kontakte vor allem zu Jesuitenpater Roger Vekemans in Chile bekam: Er schrieb schon 1973 gegen die Befreiungstheologie in „Communio“. Vekemans, auch er ein erklärter Feind von Staatspräsident Allende und allen Linken, gehörte auch seit 1976 mit dem Adveniat Chef und Opus Dei Freund Bischof Franz Hengsbach zu dem Studienkreis Kirche und Befreiung, der gegen diese lateinamerikanische Theologie der Armen polemisierte. Die Wurzeln von Ratzingers Feindschaft gegen die Befreiungstheologie liegen in Regensburg! Der damalige, für Ratzinger „zuständige“ Regensburger Bischof Rudolf Graber war ein unumstrittener Marienverehrer (Sein Motto: „Durch Maria zu Jesus“), er bewunderte vor allem die Wunder von Fatima. Überdies war er ein Verehrer der stigmatisierten Theresa Neumann von Konnersreuth. Als „leidenschaftlicher Mahner“ vor den Übertreibungen des II. Vatikanischen Konzils gehörte er auch zu den Autoren der von Ratzinger geprägten „Communio“. Bischof Graber imponierte wohl dem Theologen Ratzinger, weil sein Bischof ein Gegner alles „Modernistischen“ war und durchaus Sympathien hatte für die neu gegründete, explizit papsttreue Zeitschrift „Der Fels“. In einem Interview mit KNA vom 28. Juli 1989 legte Ratzinger noch einmal dar, „dass es auch viel Treue und Liebe zu Rom in der Katholischen Kirche in Deutschland gibt“. Treue und Liebe zu Rom: Das heißt Liebe zum Papst, zum Vatikan, zum „Römischen“, das wurde in Regensburg schon gepflegt! Unter einem Bischof wie Rudolf Graber muss sich Professor Ratzinger recht behütet gefühlt haben. Weitere Autoren von „Communio,“ die ein internationales Netz konservativer Denker knüpfte, waren die späteren Opus Dei Freunde Prof. Nikolaus Lobkowicz und der Philosoph Robert Spaemann.
In Regensburg trat eine andere Gestalt in Ratzingers Freundeskreis: 1975 wurde Kurt Krenn, ein bislang völlig unbekannter Theologe mit extrem wenigen Publikationen, in Regensburg Ratzingers Kollege im Fach Systematische Theologie. Diese verstand Krenn vor allem als scholastische neothomistische Doktrin. Ratzinger hat mit Krenn, wie er als Papst jetzt sagt, eine „alte Verbundenheit“. Auf die Liaison Krenn – Ratzinger wird später noch hingewiesen.

2. München
Als Professor Ratzinger am 28. Mai 1977 zum Erzbischof von München und Freising geweiht wurde, setzte sich die Regensburg – Connection fort: Zu den Bischöfen, die Ratzinger „weihten“, gehörte der bereits erwähnte Bischof Graber aus Regensburg und auch Bischof Stangl aus Würzburg. Dass Bischof Stangl von Ratzinger zur Weihe in den Liebfrauendom in München eingeladen wurde, verwundert insofern nicht, als auch Stangl und Ratzinger befreundet waren. Und daran ist erstaunlich: In Stangls Diözese Würzburg war ein Jahr zuvor, am 1. 7. 1976 in Klingenberg am Main, die Studentin Anneliese Michel infolge zahlreicher Exorzismus Sitzungen an Entkräftung gestorben. Die beiden Exorzisten, die Priester Arnold Renz und Ernst Alt, wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Bischof Stangl als der verantwortliche Oberhirte muss ja von Amts wegen jeden Exorzismus genehmigen, er aber betonte, von „allem nichts gewusst zu haben“. „Die beiden Exorzisten deckten letztendlich Joseph Stangl und seine Berater, zu denen auch der damalige Theologie-Professor Joseph Ratzinger gehört haben könnte. Denn Stangl und Ratzinger hatten eine “tiefe Beziehung” (Main-Post, 6.9.2006) zueinander. Und es wäre unwahrscheinlich, wenn der heutige Papst von dem Exorzismus ebenfalls nichts gewusst hätte“. (8). Es ist bekannt, dass Benedikt XVI. bis heute den Exorzismus ausdrücklich verteidigt. Bei seiner ersten Generalaudienz 2005 ermunterte er die versammelten Exorzisten „weiterzumachen“…
Als Erzbischof von München hatte sich Ratzinger das für ihn so typische Motto „Cooperatores Veritatis“ gewählt. Als „Mitarbeiter DER Wahrheit“ fühlte er sich seitdem nun auch von seinem bischöflichen Amt her. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als die schon damals weltweit umstrittene missionarisch offensiv werbende, theologisch äußerst konservative und Papst – ergebene Gemeinschaft der „Neokatechumenalen“ in seinem Erzbistum zu etablieren. Das berichtet der Neokatechumenale Führer Giuseppe Gennarini aus den USA und er fährt fort: “Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre hat er uns später stets geholfen und in mehreren seiner Bücher den Neokatechumenalen Weg wirklich positiv bewertet“ (9)

Als „Mitarbeiter der Wahrheit“ betonte er schon in seiner Münchner Sylvesterpredigt, dass Gehorsam die Antwort auf die Wahrheit sei, weil der christliche Glaube eindeutig sei. Das sagte er in einer allgemein erregten Situation, weil sein Tübinger Kollege Hans Küng wenige Tage zuvor durch Maßnahmen der römischen Glaubensbehörde seine Lehrbefugnis als katholischer Theologe verloren hatte. Ratzinger sagte in München: „Im hochmütigem Verzicht auf die verbindliche Wahrheit stellt sich der Mensch Christus entgegen“ ( 10) Schon damals zeigte sich der „so bedeutende Intellektuelle“ als ein heftiger Kritiker der kritischen Vernunft: “Dem kirchlichen Lehramt ist es aufgetragen, den Glauben der Einfachen gegen die Macht der Intellektuellen zu verteidigen“(11). Hier klingen spätere Vorlieben Benedikt XVI. für populäre Volksheilige an, etwa für den angeblich stigmatisierten, von vielen Beobachtern aber als Scharlatan bezeichneten Kapuziner Pater Pio in Süditalien an, und auch an den völlig anti – intellektuellen Heiligen Pfarrer von Ars in Frankreich; dieser Johannes Vianney, der sich selbst „schlicht im Denken“ nannte, wird nun im Jahre2009 von Benedikt XVI. offiziell als Vorbild aller Priester gepriesen.
Als Mitarbeiter „der“ rechten Wahrheit zeigte sich Ratzinger beim Durchgreifen gegen aufmüpfige Pfarrer: Ungehorsam und eignes Denken haben in einem autoritären Denken keinen Platz. Deswegen wollte er im Sommer 1980 den Pfarrvikar Willibald Glas aus Arget aus seinem Amt entfernen: Dieser hatte dem Aufruf des Erzbischofs widersprochen, die Gemeinden sollten großzügig für den Peterspfennig spenden: Dadurch sollten die vatikanischen Finanzen saniert werden. Pfarrer Glas widersprach: Johannes Paul II, der so unmenschlich mit den Wiederverheiratet Geschiedenen umgeht, verdiene keine Geldspende. Der Kardinal war empört. Wegen deutlicher Solidarisierung der Laien mit ihrem Pfarrer durfte dann Glas im Amt bleiben. (12)
Auch seine theologischen Abneigungen gegen progressive, angeblich linke Theologen setzte Ratzinger in München durch. Als Nachfolger des Theologieprofessors Heinrich Fries wurde von der Münchner Theologischen Fakultät der kritische und „politische Theologe“ Johann Baptist Metz aus Münster, ein Freund des Konzilstheologen Karl Rahners, vorgeschlagen. „Der Kardinal Ratzinger hat in Zusammenarbeit mit dem Kulturminister (und Communio Mitarbeiter) Hans Maier, der Metz auch nicht mochte, bewirkt, dass 1979 das Ministerium Metz bei der Berufung überging“ (13), schreibt Karl Rahner. Metz hatte schon damals seine Sympathien für die Befreiungstheologie bekundet. Hans Maier hat als Präsident der Zentralkomitees der Deutschen Katholiken lange Jahre die Entwicklung der katholischen Kirche in seinem konservativen Sinne (im Einverständnis mit Kardinal Ratzinger) geprägt. Nur 4 Jahre konnte Joseph Ratzinger als Erzbischof gewisse Erfahrungen an der kirchlichen Basis machen.

3. Rom
Als Leiter der obersten Glaubensbehörde im Vatikan seit November 1981 hat er linke, kritische Theologen und Bewegungen bekämpft und ausgegrenzt, das ist bekannt. Weniger bekannt sind seine gleichzeitigen expliziten Vorlieben für eher rechtslastige Strömungen und Theologen in Kirche und Gesellschaft. Diese „rechte Vorliebe“ kann hier nur an exemplarischen Beispielen verdeutlicht werden. Sie zeigen aber einmal mehr, wo die Interessen des Kardinal Ratzinger bzw. Papstes liegen. Wer von der „rechten Seite“ her die Kirche schützen will, kann der Moderne angemessene demokratische Formen der Mitentscheidung von Laien in der Kirche, etwa im Rahmen von Nationalsynoden, nur als „Hirngespinst“ bezeichnen, wie der kanadische Jesuit Michael Fahey (im Januar Heft von Concilium 1989, S. 84) schreibt: „Für Ratzinger ist diese Idee einer gemischten Synode als einer permanenten Form höherer Autorität in der Kirche ein ausgewachsenes Hirngespinst. Auch kann er es sich nicht denken, dass je ein Laie Autorität über eine Diözese ausüben könnte“. Aufgrund dieser tiefen Abneigung gegen das Demokratische in der Kirche kann Ratzinger nur Gruppen anerkennen, die „Rom nicht nur lieben“, wie er gern sagt, sondern die auch die klerikale Macht- Struktur und den Vatikan als ein absolutistisches System ohne jegliche Kontrolle durch das viel beschworene „Kirchenvolk“ prinzipiell unterstützen und verteidigen. Die Psyche solcher Menschen, die sich für solche Verteidigung hergeben, ist ein eigenes, viel zu wenig bearbeitetes Thema…
Als Chef der obersten Glaubensbehörde ging es ihm darum, sein eigenes Verständnis von Glauben und Theologie, von Freiheit und Autorität, in der ganzen Kirche, ja möglicherweise in der westlichen Gesellschaft durchzusetzen. Karl Rahner hat diese Haltung von Anfang kritisiert. Er schreibt im Jahr 1984: „Wichtig wäre für Ratzinger, eindeutig und klar zu unterscheiden zwischen Ratzinger als Theologen mit seinen berechtigten, vielleicht auch problematischen Eigenmeinungen, und Ratzinger als Chef der Römischen Glaubenskongregation. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Es ist selbstverständlich, dass ein römischer Prälat eine bestimmte theologische Meinung hat. Trotzdem darf er sie anderen nicht amtlich aufzwingen“. (14). Tatsächlich aber hat Ratzinger gemäß seinem bischöflichen Wahlspruch als „Mitarbeiter der Wahrheit“ seine Interpretation der Wahrheit, die er als ein ewiges und festes depositum fidei (“fix und fertiges Glaubensgut“) versteht, auch mit Zwangsmaßnahmen und unter Druck durchgesetzt. Die Liste der von Ratzinger z.B. ausgestoßenen, international hochgeschätzten Theologen ist sehr lang. Noch länger ist die Liste derer, die aufgrund dieses rigiden Systems sich von der römischen Kirche befreit haben. Ratzinger hat insofern als „Befreiungstheologe“ ganz besonderer Art gewirkt.
Wie stark die Verbundenheit Ratzingers mit rechten Gruppen ist, zeigt auch die Auswahl seiner Haushälterinnen: Als Kardinal in Rom versorgten ihn Frauen der geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“, eine Gründung von „Mutter Julia Verhaghe“ aus Flandern, 1996 beschuldigten 2 Priester aus Limburg/Niederlande diese inzwischen internationale, auch in Deutschland arbeitende Bewegung würde sich sektiererisch benehmen und ihre Mitglieder unter schweren moralischen Druck setzen bei einer mittelalterlichen Spiritualität. Der zuständige holländische Bischof Wiertz durfte die Vorwürfe nicht untersuchen, weil „Das Werk“ direkt dem Papst unterstellt ist…(siehe Volkskrant, Amsterdam, 28.8.1996).
Im päpstlichen Palast kümmern sich jetzt Frauen der ebenfalls konservativen Bewegung „Comunione e Liberazione“ ums leibliche Wohl des Papstes. Diese internationale Bewegung war früher der Motor der italienischen Christdemokraten, heute steht sie Berlusconi sehr nahe.
Im Haushalt des Papstes geht ihm sein Privatsekretär zur Hand: Prälat Georg Gänswein hat Beziehungen zum Opus Dei: Er war als Kirchenjurist einige Jahre Dozent an der römischen Opus Dei Universität. Selbst wenn er nicht zum Opus gehören sollte: Diese Universität beschäftigt zweifelsfrei nur Leute, die der Opus Dei Richtung zumindest nicht kritisch gegenüber stehen!

Was Ratzingers theologischen Vorlieben für Deutschland betrifft, so ist seine Unterstützung für das im sehr konservativen Bereich angesiedelte „Forum deutscher Katholiken“ bemerkenswert. Das „Forum“ versteht sich als Alternative zu den immerhin ökumenisch interessierten Deutschen Katholikentagen. Das Forum deutscher Katholiken organisiert seit 2001 Jahrestreffen, bei dem sich das ganze einschlägige Spektrum eines explizit römischen Katholizismus versammelt. Mit dabei sind die Legionäre Christi, die Gemeinschaft der Seligpreisungen, das Opus Dei, die Totus Tuus Bewegung, die sich der so von Rom propagierten „Gesamthingabe“ befleißigen sowie Vertreter des deutschen Hochadels, die im Regnum Christi mittun, der Laienorganisation der Legionäre Christi usw. usw. „Kardinal Ratzinger war bei unserem ersten Treffen natürlich dabei und 2005 sollte er bei uns den Schlussgottesdienst halten, aber da war er schon Papst“, berichtet der Organisator Hubert Gindert. Er ist auch Chefredakteur der dem Papst noch aus Regensburger Zeiten bekannten Monatszeitschrift „Der Fels“. Gindert fährt fort: „Ich habe natürlich Kardinal Ratzinger damals auch aufgesucht in seiner Wohnung in Pentling bei Regensburg, dort hat er mir gesagt: Mir kommt es nicht auf die große Zahl an. Mit kommt es darauf an, ob es in der Kirche missionarische Zellen gibt“. (15)
Es ist kein Wunder, dass Kardinal Ratzinger von Anfang auch die „missionarischen Zellen“ der traditionalistischen Petrus Brüder unterstützte, jene Priester, die sich 1988 von Erzbischof Lefèbvres Gruppen losgesagt haben, aber treu die alte lateinische Messe weiter feiern dürfen. In deren Priesterseminar Wigratzbad in Bayern war Kardinal Ratzinger neben den ebenfalls ultrakonservativen Kardinälen aus Österreich Groer, Stickler und Mayer gern gesehener Gast! (16)
Die tiefe Verbundenheit mit diesen Kreisen ist bei Ratzinger sicher auch in der Sehnsucht nach der gehorsamen und uniformen, in sich geschlossenen, „schönen“ Kirche der Kindheit und Jugend begründet. Aber auch harte Berechnung ist dabei: Denn die ultrakonservativen Priestergemeinschaften, wie die Petrus Brüder oder die Legionäre Christi, haben viele Priesteramtskandidaten, die mit Begeisterung ihre klerikale Identität im schwarzen Priestergewand bekennen und Gehorsam als oberste Tugend praktizieren. Diese Kreise sollen in der Sicht Ratzingers die Macht der alten klerikalen Kirche retten!

Auch in Österreich hat Kardinal Ratzinger stets auf die kleinen, absolut kirchentreuen und rechtslastigen Kreise gesetzt, etwa auf den „Linzer Priesterkreis“. Ende der 1980Jahre war Ratzinger Referent bei den jährlichen Sommerakademien in Aigen, wo er schon damals ausdrücklich die lateinische Messe verteidigte. Ständige Referenten waren die Kardinäle Scheffczyk vom Opus Dei oder der konservative Dogmatiker Prof. Anton Ziegenaus.
Schon früh ist also Ratzinger bestens mit Oberösterreich vertraut. Auch der nach heftigen Protesten zurückgetretene Linzer Weihbischof Gerhard Maria Wagner gehört diesem Priesterkreis an (17). Der Linzer Priesterkreis wurde entscheidend geprägt von Ratzingers Freund und ehemaligen Regensburger Kollegen Kurt Krenn. 1987 wurde er zur Überraschung aller Insider zum Weihbischof in Wien ernannt, offenbar hatte sein Freund Ratzinger daran mitgewirkt: „Die Wiener wunderten sich noch mehr darüber, dass dem neu ernannten Weihbischof Krenn besondere Verantwortung für die Welt der Kunst, Literatur und Wissenschaft übertragen wurde. In einem Fernsehinterview konnte er keinen einzigen zeitgenössischen österreichischen Künstler, Maler, Dichter, Bildhauer, Schriftsteller, Musiker oder Wissenschaftler nennen. Das war beunruhigend. Der wahre Grund, warum Krenn ernannt wurde, war der, ein Wachhund über die österreichische Bischofskonferenz zu sein, wo er, trotz seines Status als dienstjüngster, dadurch Gewicht bekam, dass er als einer galt, der “das Ohr des Heiligen Vaters hatte“. (18) 1991 wurde Krenn zum Bischof von Sankt Pölten ernannt: Dort konnten sich ohne römischen Widerspruch etliche spirituell extrem konservative Gruppen etablieren, die selbst aus bayerischen Diözesen wegen ihrer reaktionären Haltung vertrieben wurden, wie der Orden „Servi Jesu et Mariae“, wörtlich übersetzt „Sklaven Jesu und Mariens“. Im Ort Blindenmarkt hat dieser Orden seine Zentrale. Gründer ist der als Initiator der konservativen „Pfadfinder Europas“ bekannte ehemalige Jesuit Pater Andreas Hönisch. Über Krenns autoritäres und für die meisten Laien und Priester unerträgliches Regieren wurde vielfach berichtet, so z.B. von dem früheren Abt von Geras, Joachim Angerer (19) Nach einer Pornografie – Affäre und offensichtlicher homosexueller Kontakte zwischen Seminarleitung und Studenten in seinem Priesterseminar gab Krenn 2004 sein Bischofsamt auf. Seit der Zeit ging es ihm gesundheitlich nicht gut. Am 18.6. 2005, wenige Wochen nach seiner Papstwahl, hatte sein alter Freund und Gönner, Joseph Ratzinger, nichts Eiligeres zu tun, als ihm einen salbungsvollen Brief zu schreiben. Dieses Dokument muss allen, die unter dem Regime von Bischof Kurt Krenn gelitten haben, wie eine Ohrfeige erscheinen. Der Brief offenbart auch die (wahre?) spirituelle Dimension des gegenwärtigen Papstes: Hier nur einige Zitate aus dem handschriftlich unterzeichneten Brief: „Lieber Mitbruder! Wie ich höre, leidest du an Leib und Seele. So liegt es mir am Herzen, Dir ein Zeichen meiner Nähe zukommen zu lassen. Seit langem bete ich jeden Tag für dich! …. Unser Herr hat uns letztlich nicht durch seine Worte und Taten, sondern durch seine Leiden erlöst. Wenn der Herr dich nun gleichsam mit auf den Ölberg nimmt, dann sollst du wissen, dass du gerade so ganz tief von seiner Liebe umfangen bist und im Annehmen deiner Leiden ergänzen helfen darfst, was an den Leiden Christi noch fehlt (Kol 1, 24) Ich bete sehr darum, dass dir in allen Mühsalen diese wunderbare Gewißheit aufgeht……. Von Herzen sende ich dir meinen apostolischen Segen. In alter Verbundenheit! Dein Papst Benedikt XVI. (20).
Die Formulierungen dieses Briefes sind von einer traditionalistisch anmutenden Frömmigkeit geprägt, die ein Lefèbvre treuer Piusbruder wohl nicht anders formulieren könnte, einmal abgesehen davon, dass jeglicher kritische Hinweis auf Krenns unsägliches Verhalten fehlt, etwa seine viel besprochene Nähe zu dem rechtskonservativen Populisten Jörg Haider FPÖ. Kurt Krenn zierte sich auch nicht, ins offizielle Kondolenzbuch für diesen tödlich verunglückten Politiker zu schreiben: „Hochgeschätzte Trauerfamilie,
darf ich Ihnen mein tiefstes Mitgefühl zum so plötzlichen und unerwarteten Tod des Herrn Landeshauptmannes Dr. Jörg Haider aussprechen. Ich durfte mit ihm einige Male zusammentreffen und lernte ihn als integren Menschen und interessanten Gesprächspartner kennen… Im Gebet Ihrer gedenkend, Ihr + Kurt Krenn“ (21). Diese Worte des Ratzinger Freundes sind eine Schande, wenn man bedenkt, welche Hetzreden Haider gegen Ausländer zum Beispiel führte…
Bei seinem Besuch in Österreich ließ es sich Benedikt XVI. nicht nehmen, die ebenfalls als Hort der Tradition bekannte Klosterhochschule Heiligenkreuz bei Wien zu besuchen, die er kurz vor seinem Besuch im September 2007 noch im Januar desselben Jahres zur „Päpstlichen Hochschule“ erhoben hatte. Weihbischof Andreas Laun, extrem konservativer Theologe aus Salzburg, gehört dort zum Lehrkörper… Die Liebe Benedikts XVI. zu Heiligenkreuz hat zwei Gründe: Viel „klassischer Priesternachwuchs“ und die „ewige“, die klassische Theologie!
Manche theologischen Vorschläge Ratzingers finden dann auch Interesse im politisch explizit rechtsextremen Milieu. Das “Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)“ hat den AULA Verlag in Graz als rechtsextrem eingestuft. Dort wurde 1998 in der von Otto Scrinzi herausgegebenen Festschrift „1848 . Erbe und Auftrag“ Ratzingers COMMUNIO Beitrag von 1995 mit dem Titel: „Freiheit und Wahrheit“ nachgedruckt. Auch wenn dieser Beitrag nicht explizit rechtsextrem ist: Erstaunlich ist es schon, wenn Herausgeber überhaupt auf den Gedanken kommen, Ratzinger in ihrem eigenen Umfeld zu präsentieren. Dem “Spiegel” liegt der Schriftverkehr des Vatikans mit dem Aula Verlag vor, aus dem hervorgeht, dass der damalige Sekretär des Kardinals, Josef Clemens, der Publikation des Aufsatzes ausdrücklich zustimmte. Der Aula Verlag hatte Arbeiten des Holocaust Leugners Walter Lüftl gelobt, woraufhin sich sogar die FPÖ vom Verlag distanzierte(22). Der Aula Verlag wirbt in seinem Internetauftritt für das umstrittene Buch über 1848 bis heute (21. 3. 2009) mit dem ausdrücklichen Hinweis „Mit einem Beitrag von Kardinal Ratzinger“. Dem Papst scheint dieser Hinweis nicht unangenehm zu sein, oder er liest nicht die internationale Presse, die seit dem 14..3. 2009 über diese Zusammenhänge berichtet.

Auch in Frankreich hat Joseph Ratzinger immer wieder bewiesen, dass er zu rechtslastigen und ultrakonservativen Gruppierungen eine besondere Nähe, wenn nicht Fürsorglichkeit hat. Typisch ist sein Bemühen um Versöhnung mit dem ursprünglich schismatischen, Lefebvre hörigen Kloster Sainte Madelaine in Le Barroux bei Avignon. 1989 kehrte das Kloster mit Abt Calvet wieder in den „römischen Mutterschoß“ zurück, weil die Mönche den Papst formal anerkannten; die alte neu-thomistische Theologie des 19. Jahrhundert wird dort weiter verbreitet und die Messe natürlich im Ritus des 16. Jahrhundert nach den Weisungen Pius V. weiterhin zelebriert. Zahlreiche Zeitungen hatten seit den 1980Jahren die engen Verbindungen von Abt Calvet mit rechtsextremen Politikern aus der Partei Front National (FN, Führer: Jean Marie le Pen) nachgewiesen. Bernard Antony, der „national- katholische“ Europa Abgeordnete dieser Partei, ist genauso eng mit dem Kloster verbunden wie der ebenfalls dem FN nahe stehende Publizist Jean Madiran. Er hat mit Abt Calvet Interviews in dem mit dem FN sympathisierenden „Radiosender Courtoisie“ geführt. Der nationale Katholik Jean Madiran hatte 1995 eine Gedenkfeier für den bekannten französischen Nazi Propagandisten Robert Brasillach (hingerichtet 1945) gehalten…
Diese Zusammenhänge waren dem „Mitarbeiter“ der offenbar nur göttlichen, nicht aber politischen „Wahrheit“ Joseph Ratzinger egal! Als diese Mönche dort ihr Messbuch nach den Weisungen des 16. Jahrhunderts herausgaben mit den entsprechenden Weisungen, am Karfreitag für die abtrünnigen Juden zu beten, schrieb Kardinal Ratzinger 1990 das Vorwort. (23) Das Messbuch ist noch heute in Klosterladen dort zu haben. Im September 1995 besucht Ratzinger als der oberste Glaubenchef das Kloster und feierte dort die Messe. Offenbar ist er dort sehr angetan, weil die vielen jungen Mönche noch die radikale Tonsur tragen und die alten Mönchsgewänder lieben. (24)
Benedikt XVI. hat am 6. September 2006 das ebenfalls im rechts außen angesiedelte „Institut du Bon Pasteur“ (Institut vom Guten Hirten) in Bordeaux zugelassen. Ein eigenes Priesterseminar „Sankt Vinzens von Paul“ wurde auf dem Besitz des Marquis de Gontaud-Biron in der Diözese Chartres erricht. Der oberste „gute Hirte“ ist der ehemalige Lefèbvre Priester Philippe Laguérie. Er hatte 1987 den rechtsextremen Politiker Le Pen offen verteidigt, als dieser behauptete es gäbe keine Gaskammern. „Die Thesen der negationistischen Professoren Roques und Faurisson, auf die sich Le Pen bezieht, sind perfekt wissenschaftlich“, meinte er damals. Pater Laguérie war Pfarrer von Saint Nicolas du Chardonnet in Paris, die seit 1977 von Traditionalisten besetzt wird, 1994 wollte Laguérie in Paris erneut eine Kirche dem Bistum Paris durch Besetzung entwenden, aber die Polizei griff diesmal ein. Er hat ein Requiem gehalten für Paul Touvier, den antisemitischen Chef der Miliz aus der Pétain Zeit. (25) Sein Mitbruder in Bordeaux ist Père de Tanoüarn, er war Mitarbeiter der rechtsextremen Zeitung „Choc du mois“ und des Le Pen Senders „Radio Courtoisie“. Jetzt sind diese Priester mit Zustimmung Benedikt XVI. wieder mit Rom vereint. Sie können nun offiziell katholisch inmitten der Kirche ihre rechtsextremen Gedanken verbreiten.
Internationale Verbindungen gibt es längst. Nur ein Beispiel: Probst Gerald Gösche von der ebenfalls mit Rom versöhnten Traditionalisten Gemeinschaft des Oratoriums Philipp Neri in Berlin (von Berlins Kardinal Sterzinsky wurde die Gründung genehmigt) gratulierte Pater Laguérie zu seiner neuen Rolle als guter Hirte in Bordeaux, Gösche hatte übrigens auch gute Beziehungen zum Kloster La Madelaine mit Abt Calvet. (26)
Auch an der Absetzung des linken, progressiven und von vielen Menschen außerhalb der Kirche hoch geschätzten Bischofs von Evreux, Jacques Gaillot im Jahr 1995, war das mit Rom versöhnte und von Ratzinger geschätzte Kloster in Le Barroux beteiligt: „Gruppen wie das Opus Dei und der Abt des Klosters in Le Barroux wurden in Rom zu meiner Sache gehört. Sie hatten sich geschworen, meine Haut zu bekommen. Jetzt haben sie sie, diese Leute haben gewonnen“ (27). Seit der Zeit seiner Degradierung und Bestrafung lebt der so beliebte Bischof Gaillot als Oberhirte des virtuellen Wüstenbistums Partenia in einem Zimmerchen im Kloster der „Väter vom Heiligen Geist“ in Paris. Und als der in die Wüste geschickte Bischof Gaillot im Oktober 2004 einen Vortrag in Bonn halten wollte, wurde ihm von Kardinal Meisner (Köln) ein Redeverbot erteilt. Vom „Kölner Stadt Anzeiger“ wurde Gaillot aus diesem Anlass die Frage gestellt: „Haben sie den Eindruck, dass Meisner versucht, Kardinal Ratzinger und vielleicht auch den Papst persönlich gegen sie zu mobilisieren?“ Da antwortete Bischof Gaillot: „Ja, das befürchte ich. Ich gehe davon aus, dass es da enge Kontakte gibt, die meine Person betreffen… meine Liberalität macht Angst“
(28)

4.
Die Beispiele für die konservativen Vorlieben Joseph Ratzingers und für seinen entschiedenen Kampf gegen alle Liberalen, Linken, freiheitlich gesinnten Katholiken könnte für viele Länder fortgesetzt werden. Interessant ist, dass er in Deutschland bislang völlig unbekannte, aber bereits machtvolle rechtslastige Orden fördert. Dazu gehört das „Instituto del Verbo Incarnato“ aus Argentinien, das inzwischen über 500 vor allem junge Mitglieder zählt. Dieser offizielle, römisch – katholische Orden ist ausdrücklich dem argentinischen Nationalismus eng verbunden. Er will „die reinen und natürlichen Werte Argentiniens“ gegen die Atheisten verteidigen. „Dieser Orden will die Gesellschaft bestimmen in Fragen der Politik, der Moral, der Erziehung“, berichtet die argentinische Soziologin Prof. Veronica Gimenez Beliveau in einem Artikel für „Courrier International“. Zahlreiche Bischöfe Argentiniens haben diesem Institut verboten, ein Priesterseminar zu eröffnen. Im Jahr 2001 fand sich Kardinal Ratzinger bereit, diesen bischöflich umstrittenen Orden in seinem eigenen Bistum Velletri-Segni in Italien anzusiedeln. Dazu muss man wissen. Kurienkardinäle sind immer auch dem Titel nach Bischöfe“ eines bestimmten Ortsbistums, so ist eben Kardinal Ratzinger Bischof von Velletri-Segni, Italien. Das „Institut vom Inkarnierten Wort“ hat darum gejubelt und so wörtlich der „Vorsehung gedankt“, als „Ihr Titularbischof“ auch noch Papst wurde (29). Die internationale Kulturzeitschrift „Courrier International“ gab ihrem Beitrag über den Orden den Titel: „Die Soldaten des Inkarnierten Wortes : wie im Mittelalter“. Inzwischen arbeiten diese jungen „dynamischen Missionare“ in vielen Ländern der Erde, darunter in Holland, Island und Grönland.

Zum Schluss muss noch auf Spanien hingewiesen werden, weil der Kampf zwischen fundamentalistischen Papst Fans und einer modernen Demokratie am heftigsten tobt. Am 28. Oktober 2007 hatte Benedikt XVI. fast 500 Opfer aus dem Spanischen Bürgerkrieg selig gesprochen, sie alle kämpften auf der „rechten Seite“, also auf Seiten des „Erzkatholiken“ und Dikators Franco. Dass es auch Priester und katholischen Laien gab, die ihr Leben im Rahmen der Volksfront gegen den Faschismus einsetzten, wurde vom Papst gen übersehen. So wurde die Seligsprechung zur späten Verklärung des Kreuzritters Franco und zur deutlichen politischen Kritik am sozialistischen Spanien von heute, wo so „gottwidrige Dinge“ passieren, wie die völlige Gleichberechtigung homosexueller Paare. Die oppositionelle „Volkspartei PP“ jubelte natürlich über diese politische Massenseligsprechung. Zwar hat Benedikt XVI. diese Zeremonie nicht selbst vorgenommen, aber sie geschah in bestem Einvernehmen mit ihm als dem Verantwortlichen für alle Selig – und Heiligsprechungen. Benedikt XVI. hat jetzt einen der heftigsten PP Anhänger und Verteidiger der „alten spanischen Ordnung“, Kardinal Canizares von Toledo, nach Rom berufen, er soll sich als oberster Chef um die „rechte Gestalt der Gottesdienste“ kümmern…Die vatikanische Bürokratie wird immer mehr zur Ansammlung sehr konservativer Kirchenfürsten und untergeordneter Prälaten, diese Entwicklung hatte unter Papst Johannes Paul II. bereits begonnen.
So schließt sich der Zirkel einer in sich abgeschotteten, antimodernen Kirche, die wesentlich von Joseph Ratzinger bestimmt wird. „Können sogenannte Sekten auch viele Millionen Mitglieder zählen“ ?, fragen sich kritische Intellektuelle im Blick auf den Zustand der römischen Kirche heute. Sie wissen natürlich, das allein schon die Frage vom „Hof“, also vom Vatikan, bestraft werden könnte…

Diese kurzen Beobachtungen zeigen: Die Liebe Joseph Ratzingers zu allem Rechtslastigen zieht sich wie ein „roter (?) Faden durch sein Leben „seit Regensburg“. Darum ist die Aufhebung der Exkommunikation der 4 traditionalistischen Bischöfe der Pius – Bruderschaft keine „Ausnahme“ und kein „Versehen“. Joseph Ratzinger wähnt sich als „Mitarbeiter DER Wahrheit“ wohl als die „rechte Hand Gottes“.

PS:
Wenn in dieser kleinen und unvollständigen Übersicht häufig das etwas plakative Wort „konservativ“ verwendet wird, so steht es in diesem Zusammenhang als Symbol für anti – feministisch, anti-emanzipatorisch, für schwulenfeindlich und eher anti-ökumenisch, und „mit Vorbehalt demokratisch usw., um dem Leser diese Aufzählungen dieser Prädikate ständig zu ersparen, verwende ich das zusammenfassende und keineswegs, wie man sah, „abgegriffene“ Symbol „konservativ“.

Fußnoten:
1)Karl Rahner, Bekenntnisse, Wien – München 1984, S. 40

2) so berichtet Prof. Hermann Häring, 1968 Theologiestudent in Tübingen, in einem Interview mit dem Autor im Jahr 2007.

3)Karl Rahner, ebd.. Die gleiche Meinung hat der Theologe Wolfgang Beinert, in: „Der Theologe Joseph Ratzinger“, 1977, Kösel Verlag, S. 4.

4) So zitiert die internetzeitung tagespunkt vom 1. 9. 2006, http://www.tagespunkt.de/

5) Hans Küng, Theologie im Aufbruch 1987.

6)Ulrich Lehner, Artikel Johann Auer, siehe http://www.bautz.de/bbkl/a/auer_j.shtml

7) Joseph Ratzinger, Symposium vom 28. Mai 1992 anläßlich des 20jährigen Bestehens von COMMUNIO an der Gregoriana, Rom, S. 3

8) siehe: www.theologe.de/bischof_josef_stangl.htm

9) Zenit, Informationsdienst der Legionäre Christi, 9.1.2006

10) Süddeutsche Zeitung vom 2. 1. 1980, ein Beitrag von Rosel Termolen.

11) ebd. Ein Argument, das immer wiederkehrt: “Die sehende Sicherheit des Glaubens ist oft weit mehr zu Hause
als da, wo Reflexion großgeschrieben wie. Umgekehrt macht der Intellekt nicht immer sehend“. So Ratzinger in: „Die Situation der Kirche heute“, Köln 1977, S. 24 f.

12) Hartmut Meesmann, in „Die Zeit“ vom 23. 1. 1981

13) Karl Rahner, ebd. S 42.

14) Karl Rahner, ebd. S 40f.

15) Hubert Gindert in Kaufering in einem Interview mit dem Autor 2006.

16) siehe die Internetseite der Petrusbrüder http://fssp.eu

17) Josef Bruckmoser, Salzburger Nachrichten vom 3.Februar 2009.

18)The Tablet, Katholische Wochenzeitung in London, 21. 2. 1991

19) Joachim Angerer, als progressiver Abt eines Prämonstratenser Klosters, selbst ein Krenn-Geschädigter, schrieb u.a. das Buch „Österreich nach Krenn und Co“, Wien 2000.

20) Dieser bemerkenswerte Brief ist (noch) nachzulesen unter: http://stjosef.at/bischof .k.krenn, unter der Rubrik News.

21) siehe das Jörg Haider Kondolenz Buch unter: http://kondolenz.ktn.gv.at/default.aspx?SIid=95&page=12

22) http://aula.buchdienst.at/buecher/?id=445

23) La Vie, Paris, L Hebdomadaire Chrétien d Actualité, Num. 3309, 29. Janvier 2009, S. 28.

24) Henri Tincq, Le Monde, Paris, 14. 06. 1998.

25) siehe im Internet: http://intransigeants.wordpress.com/2008/08/10/vive-labbe-laguerie/
auch
http://fr.wikipedia.org/wiki/Philippe_Lagu%C3%A9rie

26) Probst Gösche in einem Interview mit dem Autor in der Kirche St. Afra Berlin im Jahr 2003. Auf seine „freundlichen Kontakte den Benediktinern von „Le Barroux“ wird im Internet http://www.institut-philipp-neri.de/institut immer noch verwiesen!

27) in: Elie Maréchal, L Affaire Gaillot, Paris 1995, Seite 189, das Interview fand am 5. Februar 1995 im Ersten Französischen Fernsehen TF 1 statt.

28) Harald Biskup interviewt Jacques Gaillot, Kölner Stadtanzeiger, 26.10.2004.

29) Courrier international. Hors Serie: „Au nom de Dieu. Pourquoi les religions se font la guerre.“ Mars 2007, Seite 62.

Zur Verehrung des „Instituts des Inkarnierten Wortes“ für ihren Gönner Joseph Ratzinger: Siehe auch deren Internetseite: http://www.ive.org. Die hier genannte Information findet sich unter “Noticias“ vom 4/20/2005 mit dem Titel: „El Papa Benedicto XVI era nuesto obispo titular“.

Gottesrechte und Kirchengebote contra Menschenrechte

Gottesrechte und Kirchenrechte contra Menschenrechte

Das philosophische Wort zur Woche

Von Christian Modehn

Über das Verständnis und die universale Gültigkeit der Menschenrechte, dargestellt in der Präambel und den 30 Artikeln der „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948, wird auch heute noch heftig gestritten. Wer sich in diktatorischen Regimen oder Pseudodemokratien für diese Menschenrechte einsetzt, lebt gefährlich. An die weltweite Ermordung von MenschenrechtsaktivistInnen haben sich breite Kreise der westlichen Öffentlichkeit längst gewöhnt, die Namen der (nicht immer „prominenten“) Opfer werden in den Medien nicht einmal erwähnt. Global geschätzt leben etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, in denen die Menschenrechte nicht absolut gelten. Haben wir „aufgeklärte Europäer“ uns daran gewöhnt?

Vor allem in stark religiös geprägten Staaten und Gesellschaften, zu denen nicht nur muslimisch oder hinduistisch geprägte gehören, sondern etwa auch der „Vatikan“ bzw. die katholische Kirche, wird die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ nicht bedingungslos akzeptiert und respektiert und „positiven“, also historisch gewachsenen Gesetzen vorgeordnet. Diese menschenrechtsfeindlichen Staaten und Gesellschaften argumentieren meist so: Diese Menschenrechte passen nicht in „unsere Kultur“, sie seien gegenüber den angeblich göttlichen Geboten (bzw. Kirchengeboten) relativ und zweitrangig.

In dieser Situation ist es überaus erfreulich und wichtig, von kompetenter philosophischer Seite Argumente zur Vertiefung dieser Diskussion zu erhalten. Die Philosophin und Theologin Katharina Ceming (Augsburg) hat eine umfangreiche, leicht lesbare und brillante Studie über “die Würde des Menschen und die Weltreligionen” (so der Untertitel) vorgelegt. Der Titel des 510 Seiten umfassenden Buches ist: „Ernstfall Menschenrechte“ (erschienen im Kösel Verlag, München 2010. ISBN 978-3-466-36822-8).

In unserem, diesmal etwas länger ausfallenden “philosophischen Wort zur Woche” wollen wir vor allem auf das (von Katharina Ceming behandelte) philosophische Hauptproblem eingehen: Auf die Frage der universellen Geltung der Menschenrechte, wo sie doch, so sagen die Gegner der Menschenrechte, in historisch geprägten, „konkreten“ Kulturen Europas entstanden sind; also aufgrund dieser angeblich „begrenzten“ Herkunft könnten diese Menschenrechte, so meinen diese Kreise, nicht universell sein. Man nennt sie oft „Kulturrelativisten“.

Katharina Ceming schreibt:
„Wenn Menschenrechte nur als das Produkt einer historischen Entwicklung des Abendlandes gesehen werden, die keine universelle Gültigkeit durch einen naturrechtlichen Status haben, stellt sich zudem die Frage, wie die Menschenrechte dann selbst innerhalb der westlichen Welt noch verbindliche Gültigkeit haben können. Versteht man die Idee der Menschenrechte ausschließlich als Resultat eines historischen Prozesses, dann könnten die Menschenrechte jederzeit durch neue geschichtliche, ökonomische oder politische Entwicklungen modifiziert, ja sogar aufgehoben werden – auch im Westen“. (S 377)

„Gültigkeitskriterien (zu den Menschenrechten) sind, weil es sich hier um meta – empirische Fragen handelt, weder von geschichtlichen noch von politischen oder soziologischen Phänomenen abhängig. Letztere bestimmen lediglich, ob die Gültigkeitskriterien der Menschenrechte tatsächlich Anwendung in einer Gesellschaft finden oder nicht. Auf eine universelle Begründung ethischer Normen kann also nicht verzichtet werden. Diese Begründung lässt sich aber nur über etwas bewerkstelligen, was allen Menschen gemeinsam ist: ihre Vernunfthaftigkeit, selbst wenn sie über diese nur potentiell verfügen“. (ebd).
Wo sind die Ursachen für die Zurückweisung der universellen Gültigkeit der Menschenrechte zu suchen ? Katharina Ceming nennt vor allem eine Ursache: die Übermacht religiösen, mythologischen Denkens in religiösen Staaten und Gesellschaften. „Wo man verstanden hat, dass heilige Texte interpretiert und ausgelegt werden müssen, da sie in einem bestimmten Zeitkontext entstanden sind, fällt es auch leichter, mit =problematischen= Textstellen umzugehen, die mit bestimmten Artikeln der Menschenrechte kollidieren. Solange heilige Schriften als unveränderlich gelten, …, ist der Konflikt mit den Menscherechten unvermeidlich. Denn die Welterschließung der mythologischen Bewusstseinsstufe (also schlichter Wunderglaube z.B., CM) ist mit anderen Werten verbunden als die mental – rationalen Werte, zu denen die Menschenrechte gehören“ (S. 379).
Das Buch von Katharina Ceming ist ein Plädoyer für die Durchsetzung eines vernünftigen (was etwas anderes ist als eines bloß verstandesmäßigen, technisch – praktischen !) Denkens in den Religionen; ein Projekt, von dem die Menschheit mit ihren Religionen noch meilenweit entfernt ist. Ausführlich wird z.B. dokumentiert, wie in hinduistischen geprägten Kulturen die Frauen permanent aufs übelste missachtet und diskriminiert und gequält werden; wie das Kastensystem in Indien zwar offiziell verboten ist, aber immer noch von der herrschenden Clique zu eigenem Vorteil respektiert wird, etwa gegenüber den Dalits (siehe Seite 289 ff).
Und im Katholizismus? Auch da ist der Bericht Katharina Cemings deutlich und kritisch: „Wirft man einen Blick in das römisch-katholische Gesetzbuch, den Codex Iuris Canonici von 1983, dann zeigt sich, dass dem katholischen Kirchenrecht Grundrechte (also Menschenrechte) eher fremd sind“. Die Zurückweisung der universellen Gültigkeit der Menschenrechte im inneren Leben des Katholizismus folgt dem Muster, dass „sich das kirchliche Gemeinwohl am Schutz der Glaubenswahrheiten und an der Einheit des Glaubens orientiert“ (S. 161). Man fragt sich: Wer will da wen „schützen“? Der Papst die dummen Laien? Und was ist das für eine Religion, die angebliche Gottesgesetze gegen die (doch wohl auch von Gott geschaffene) Vernunft und ihre Erkenntnis der Menschenrechte ausspielt? Was ist das für eine Religion, die sogar kirchliche Bestimmungen (den “codex”) für relevanter hält als die Menschenrechte.
Religion contra Vernunft, dieses alte Thema ist immer noch nicht gelöst, zumindest auf theologischer Ebene.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

Angesichts der Gewalt – die Hoffnung kultivieren.

In der neuen Rubrik “Der andere Blick” wird ab 1. Februar 2011 der Theologe, Supervisor und Autor Alfons Vietmeier einmal im Monat aus Mexiko – Stadt (dort lebt er seit fast 30 Jahren) als Gastautor schreiben; er wird Themen aufgreifen aus den Bereichen Ethik, Soziales, Religionen in Mexiko und Lateinamerika. Dies ist eine wichtige Horizonterweiterung für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon. Der kulturelle Dialog über die europäischen Grenzen hinaus ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit philosophischer Dispute. Jetzt können wir damit starten und hoffen auf regen Austausch. Selbstverständlich können LeserInnen und TeilnehmerInnen des “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons” Themen-Vorschläge und Fragen zu dieser Rubrik mitteilen. Ein weiterführender Kommentar wurde am 4. 2. 2011 zugesandt, siehe am Ende des Beitrags von Alfons Vietmeier.

Angesichts der Gewalt: Die Hoffnung kultivieren

Von Alfons Vietmeier, Mexiko, im Januar 2011
I.
Mexiko – Stadt: Am Neujahrsvormittag spazieren wir durch den nahen Park. Unsere Töchter entdecken es zuerst: ein Schwarm von Raben verfolgt einen kleinen Wellensittich, wohl entkommen seinem häuslichen Käfig. Sie picken auf ihn ein und er flattert zu Boden. Wir laufen hin und vertreiben die Raben. Der Kleine lebt noch. So bringen wir ihn zu einer uns bekannten Tierärztin. “Wie heißt er?” Die Mädchen (12 und 16 Jahre) entscheiden: “Esperanza (Hoffnung) soll er heissen!” Eine kurze Behandlung ergibt: “Hoffnung” hat noch etwas Überlebenschance! Erfreut fahren wir nach Hause. Jedoch nach 5 Stunden finden wir ihn tot auf. Uns werden die Augen feucht. So traurig beginnt das Neue Jahr!
Beim Abendessen zünden wir eine Kerze an und erzählen… Wir kommen zu sprechen auf wachsende Aggressivität in den Schulen und auf der Strasse, auf Gewalt und Drogenkrieg: “2011, das wird ein Rabenjahr werden!”, meint bedrückt die Jüngste.
Das Dreikönigsfest ist in Mexiko der Tag der Geschenke. Die Töchter bekommen je einen neuen Wellensittich: Es darf doch nicht sein, dass Hoffnung stirbt! Aber, sie muss behutsam und kontinuierlich gepflegt werden. Und die Augen leuchten!
II.
Das neue Jahr begann mit dem Eingeständnis der mexikanischen Regierung, dass der “Krieg gegen die organisierte Kriminalität” im Jahr 2010 über 15 000 Tote gefordert hat, mehr als je zuvor. Zum Vergleich: im Krieg in Afganistan und Pakistan gab es 2010 zusammen über 6 800 Opfer. Konkret heisst das für Mexiko, dass einerseits diese fürchterliche Zahl sich zusammensetzt aus Opfern der verschiedenen Kriege unter den Drogenkartellen um die Kontrolle über ihrer Einflusszonen (Bundesstaaten, Grossstädte und Transportwege) und andererseits aus dem Krieg des mexikanischen Heeres gegen diese Kartelle. Die Hauptkampfgebiete sind in den nördlichen Bundesländern hin zur Grenze zu den USA. Zudem gewinnt an schlimmer Bedeutung das Kartell der “Zetas”, (gegründet von ehemaligen Spezialeinheitten des. guatemaltekischen Heeres und berüchtigt durch extreme Grausamkeit), mit seiner wachsenden Kontrolle über mehrere Millonen von Migranten aus den zentralamerkanischen Ländern auf dem Weg in die USA.
Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung im “Konfliktbarometer 2010” ordnet Mexiko unter die 6 Länder mit der größten Gewaltrealität weltweit ein, d.h. zusammen mit Somalia, Sudan, Irak, Afganistan und Pakistan. Ciudad Juárez, mexikanische Grenzstadt zu den USA hat den traurigen Rekord, sich weltweit an der Spitze der gewalttätigsten Städte zu befinden. Die Tendenz ist steigend, d.h. für weitere Jahre wird es mehr Leid und mehr Tote geben. Also, doch ein “Rabenjahr”?!
III.
Worum geht’s und was steckt dahinter?
Es geht zuerst einmal um Drogen und ihrem Konsum: Der Drogenkonsum wächst und wächst! Und da wachsender Bedarf ist, wird entsprechend produziert und kommerzialisiert. So ist die Marktlogik. Die USA sind das Land mit dem absolut höchsten Drogenkonsum. Sicher ist das Thema “Drogenkonsum” sehr komplex und es ist wichtig zu differenzieren: So ist Marihuana nicht gleich Kokain und auch Alkohol und Tabak sind Drogen. Wie auch immer, ein wachsender Drogenkonsum indiziert auf jeden Fall auch eine wachsende Krise des jeweiligen Gesellschaftssystems und dessen Werteskala. Der soziale Druck nach immer mehr Leistung, Gewinn und Vermögen beinhaltet zugleich auch mehr Stress mit wachsender Agressivität oder Depressivität. Da haben Drogen einen leichten Einstieg!
Es geht dann vor allem um’s Geld. Im Drogenhandel werden extrem hohe Gewinne erzielt. So kostet ein Gramm Kokain in der Herstellung ca. 1 US-Dollar, wird aber dem Konsumenten für etwa das 50- bis 100-fache verkauft. Der Umsatz von illegal verkauften Drogen wird weltweit derzeit ca. 500 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Das heist, dieses enorme Geschäft braucht Organisation, inzwischen gewachsen zu internationalen Wirtschaftskonzernen mit all dem was das beinhaltet: tausende hochspezialisierte Mitarbeiter, hightech Logistik, Optimierung der Geldanlagen, usw. Dieser “Wirtschaftssektor” hat seit Jahren zudem begonnen, ihre “Produktenpalette” zu diversifizieren: ist aktiv geworden im Waffenhandel, in der “Entführungsindustrie”, usw. Deshalb sprechen wir immer weniger von Drogenkartellen, sondern von “organisierter Kriminalität”. Diese braucht ihre spezialisierten Exekutivgruppen, z.B. zum brutalen Hinrichten von Kontrahenten im eigenen Herrschaftsbereich; und immer mehr Minderjährige sind bereit zu diesem Tötungsgeschäft.
All das verunsichert zutiefst: Warum? In wem und in ‘was können wir noch vertrauen?! Wie viel Wert hat überhaupt noch das menschliche Leben? Ist Leben ein Wegwerf – Produkt?
IV.
Schon vor über 50 Jahren ging Erich Fromm, der damals im mexikanischen Cuernavaca lebte, in einer sozialpsychologischen Studie der Frage nach: Gibt es nur psychisch erkrankte Individuen oder und vor allem kann nicht auch eine Gesellschaft psychisch erkranken? Sein Ergebnis: “Wege aus einer kranken Gesellschaft”.
Heute sollten wir uns fragen: Woran krankt unsere (westlich – nördlich – okzidentale) Gesellschaft? Das muss radikal (an die Wurzeln gehend) und interdisziplinär analysiert werden. Es tauchen dann wichtige Fragen auf: Welches Leitbild prägt unser Fühlen und Denken? Einzig: Wohlstandsvermehrung? Und das für immer weniger, weil die Mächtigeren sich durchsetzen? (“Ellbogengesellschaft”). Wäre es nicht wertvoller das Leitbild “Wohlleben für alle” voran zu stellen, wie es Bolivien und Ecuador in ihre neue Verfassung eingeschrieben haben? Deshalb “anders besser leben!” Welche persönliche, soziale, ökonomische, kulturelle und politische Konsequenzen beinhaltet das. Und für Christinnen und Christen: Für welche andere Sozialgestalt unserer Kirchen müssen wir uns deshalb einsetzen?
Beim “Sehen – Urteilen – Handeln” in Basisgruppen und Kleingemeinden der christlich – solidarischen Szene, in der ich mich in Mexiko bewege, kommen wir immer wieder genau auf diese Punkte. Und dann wird’s konkret: Wie können wir eine “aktive Hoffnung weben”? So heisst das Leitwort der diesjährigen Kampagne unseres Kollektivs “Mission Brüderlichkeit”, seit 15 Jahren präsent mit einfachem Arbeitsmaterial, Workshops und Solidarinitiativen in einigen tausend Basisgemeinden mit ihren Gruppen. Und wir sind vernetzt mit vielen Organisationen der mexikanischen Zivilgesellschaft und diese über Mexiko hinaus. In der Gesellschaft selbst erwachsen immer neu Lebenskräfte. Sie kommunizieren und organisieren sich, insbesondere wenn ein “kritischer Punkt” sich ergibt, der das Vitale des gesellschaftlichen Miteinanders gefährdet, wie derzeit wohl der Fall ist. So hat es sich beim riesigen Erdbeben 1985 erwiesen. Es gibt wachsend innovative Praktiken und komplexe Strategien gesellschaftlicher Transformationen, “…um auszureissen und niederzureissen, aufbauen und einpflanzen.”(Jer 10.10). Solche hoffnungsvolle Praxis einer gesünderen Gesellschaft gilt es zu kultivieren.
Copyright: alfons vietmeier.

Alfons Vietmeier, Diplomtheologe und Supervisor, lebt und arbeitet seit 1983 in Mexiko. Zuerst 7 Jahre pastoraler Mitarbeiter in einem integralen Entwicklungsprojekt unter Indiobevölkerung. Seit 1991 Bildungs-, Beratungs- und Vernetzungsarbeit in einem ökumenischen Studienzentrum, inmitten der Megacity Mexiko und auf Nationalebene. Seit 3 Jahren emeritiert und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Netzwerken und Stiftungen im Übergang von Kirche, Zivilgesellschaft und alternativer Ökonomie. Mitbegründer des Nationalen Netzwerkes für Grossstadtpastoral.
Email: pasosalfonso@att.net.mx

Ein KOMMENTAR, zugesandt von Benedikt am 4. 2. 2011:
Lesenswert der Artikel von Alfons Vietmeier.
Mir fallen zu Mexiko immer gleich die
illegalen Waffenverkäufe von heckler & koch ein, in die
Nordprovinzen von Mexiko und die Schulungen von
Polizisten dort. In der Wikipedia tobte in den letzten
Wochen ein Kampf um den Umfang der Kritik an dieser
“feinen” Firma, die im Wahlkreis von Herrn Kauder (CDU Politiker, ergänzt von CM)
liegt, hoch verschuldet ist und Waffen verkauft, wie andere Kokain…

Jacques Gaillot: Aus Gewissensgründen Nein sagen

Dieser folgende Text gehört zu dem empfehlenswerten Buch von Roland Breitenbach, “Die Freiheit wird euch wahr machen”. Über Bischof Jacques Gaillot. R. Maier Verlag. 2010.
Das Buch ist im September 2010 anläßlich des 75. Geburtstages von Jacques Gaillot erschienen.

Bischof Gaillot ist unseres Erachtens auch für alle philosophisch und religionsphilosophisch interessierten Leser eine wichtige (und bisher im katholischen Raum Westeuropas einmalige) Gestalt der Religionsgeschichte des 20. /21. Jahrhunderts. Er hatte über etliche Jahre den Versuch unternommen, Katholizismus und Moderne praktisch wie theoretisch zu verbinden. Dass er letztlich ausgegrenzt wurde, ist ein weiterer Beleg für das entschieden “antimoderne” Verhalten des offiziellen Katholizismus….Deswegen bieten wir den folgenden Beitrag als Anlaß zur Diskussuion an.

Aus Gewissensgründen nein sagen
Die konstruktive Kritik von Jacques Gaillot

Von Christian Modehn

„Christus ist außerhalb der Stadtmauern gestorben wie er auch außerhalb der Mauern geboren wurde. Um das Licht zu sehen, die Sonne von Ostern, müssen wir selbst aus den Mauern heraustreten“. Mit diesen Worten beendete Jacques Gaillot seine „Botschaft zum Osterfest 1983“, die er als Bischof von Evreux (dort seit dem 30. Juni 1982) an die Menschen im Département Eure (Normandie) richtete. Und diese kurze „Botschaft“ können wir heute wie ein Programm für Jacques Gaillots weiteres Wirken lesen: “Christus ist auferstanden, damit die Menschen leben“, schreibt er, „und eine Kirche, die nicht ein Zeichen der Hoffnung und der Freiheit für die Verstoßenen, die Arbeitslosen, die Einwanderer ist, muss sich fragen, wie sie denn als Kirche ihre Treue dem Evangelium gegenüber lebt“. Mit anderen Worten: Die Kirche ist nicht dann christlich oder katholisch, wenn sie immer dieselben Worte der offiziellen Dogmatik wiederholt, sondern wenn sie wie Jesus an der Seite der Schwachen und Ausgeschlossenen lebt.

Tausendmal hat Jacques Gaillot diese Worte wie sein „persönliches Bekenntnis“ in immer neuen Formulierungen wiederholt: Leben ist mehr als Lehre. Jacques Gaillot hat die „jesuanische Solidarität“ immer zuerst selbst gelebt, bevor er von ihr gesprochen hat. Es ist wohl das deutlichste Symbol für sein Wirken als Bischof, dass seine erste öffentliche Aktion in der französischen Gesellschaft die ausdrückliche Unterstützung für einen Wehrdienstverweigerer war. Im März 1983 nahm er an den Gerichtsverhandlungen in Evreux teil, nicht um als Zeuge auszusagen, sondern um als Zuhörer seine Sympathie für den Wehrdienstverweigerer Michel Fache unübersehbar zu machen. Die gut bürgerlichen Kreise dort waren entsetzt, galt doch das Militär und der „Dienst“ als heilige Sache der Nation. Aber Jacques Gaillot verwies sanft auf die Bergpredigt Jesu und die Gewaltlosigkeit. Als Mitglied der gewaltfreien Bewegung mit dem französischen Kürzel „MAN“ (Mouvement Alternatif Nonviolente) entschuldigte er sich nicht etwa für seine „ungehorsame Tat“, sondern verteidigte deutlich die Priorität der Gewaltfreiheit! Er ging seinen Weg weiter, schon damals angefeindet und missverstanden von Menschen, die den christlichen Glauben mit einer gutbürgerlichen Ideologie verwechselten. „Objecteur de conscience“ werden Wehrdienstverweigerer in Frankreich genannt, wörtlich übersetzt „Verweigerer aus Gewissensgründen“. Wer das weitere Leben Jacques Gaillots überschaut, kommt zu der Einsicht: Er selbst ist zu einem anderen, zu einem kirchlichen „Verweigerer aus Gewissensgründen“ geworden, d.h. zu einem Bischof, der nicht nur Nein sagt zu einem bürokratischen System von Staat, Gesellschaft und Kirche, sondern der, wenn diese paradoxe Formulierung erlaubt ist, zu einem lebendigen „Nein“ wurde. Dieses Nein darf nicht im Sinne von destruktiver Ablehnung verstanden werden. Es ist ein Nein, das der Überwindung des nur noch als leidvoll (oder überholt) erfahrenen Bestehenden gilt – zugunsten eines konstruktiven Neubeginns jenseits der eingefahrenen Üblichkeiten.

Schon wenige Monate nach seinem NEIN zur Ausgrenzung von Wehrdienstverweigerern sagte Jacques Gaillot erneut NEIN zur Absegnung der atomaren Abschreckung durch die französische Bischofskonferenz. Am 12. November 1983 gab er bekannt, „Das von der Bischofskonferenz verabschiedete Papier „Gagner la paix“ (Den Frieden gewinnen) wagt nicht eine prophetische – kritische Stimme zur atomaren Rüstung“. So etwas hatte es noch nicht geben, dass ein einzelner Bischof sich von der absoluten Mehrheit seiner Kollegen absetzt UND dies auch noch öffentlich sagt. Wie hatte Paul Bernardin, ein Arbeiterpriester, anlässlich der Einführung Jacques Gaillots in der Kathedrale von Evreux gesagt: “Der neue Bischof wird den Finger auf die Wunde legen und Fragen stellen, die die Kirche nicht stellen will“. Schon am 13. Juni 1985 widersprach Jacques Gaillot öffentlich Kardinal Ratzinger. Er warf dem Chef der Glaubenbehörde vor, die Freiheit, die das 2. Vatikanische Konzil gebracht hat, wieder einzuschränken. Die Liste des Nein zugunsten eines lebensbejahenden, kreativen Ja ließe sich lange fortsetzen: Er solidarisierte sich 1987 mit dem inhaftierten Apardheitsgegner Pierre – André Albertini aus Evreux, er bewies seine Solidarität in Südafrika selbst und konnte deshalb an der „klassischen“ Diözesan – Wallfahrt nach Lourdes zu gleichen Termin nicht teilnehmen. „Ich kann es als Bischof nicht ertragen, dass man einen Menschen erniedrigt und ausstößt. Für ihn zu kämpfen, macht mir keine Angst“. Im September 1987 wurde Pierre – André Albertini freigelassen. Jacques Gaillot lässt „ Situationen der Ungerechtigkeit in seinem Gewissen ein Echo finden“, wie er damals sagte, deswegen auch sein Eintreten für die Menschenrechte der Palästinenser seit 1987.
Der Kern der Theologie Jacques Gaillot ist so einfach – und schwierig zugleich: Im praktischen Dienst der Nächstenliebe und der Solidarität hat der christliche Glaube seine Mitte, und eben nicht in Dogmen und Liturgien, nicht in Hierarchien und Traditionen. Glaube ist in Gaillots Sinne etwas elementar Einfaches. Er will einen freien Raum schaffen, in dem alle Menschen gleichberechtigt atmen und leben können. Und dieser „einfache“ Glaube wirkt für viele so befremdlich, die sich an ein hochkomplexes riesiges Lehrgebäude mit tausenden von Paragraphen und einer langen Tradition von klerikaler Diplomatie gewöhnt haben; die sich ohne ein lateinisches Pontifikalamt im Petersdom mit viel Weihrauch und bei Palestrina Musik keinen Katholizismus vorstellen können. Dieses „Befremdlich – Einfache“ in der Spiritualität Gaillot muss alle kirchlichen Machthaber und Freunde einer mächtigen Klerus Kirche irritieren.

Im Oktober 1988 sagte Jacques Gaillot öffentlich Nein zum Gesetz des Pflichtzölibats für Priester, im Frühjahr 1989 sagt er NEIN zur Ausgrenzung homosexueller Menschen in der Zeitschrift „Gai Pied“. Er plädiert für die Anerkennung homosexueller Lebensformen. Am 12. Dezember 1989, als das Gedenken an die Französische Revolution vor 200 Jahren einen ersten Höhepunkt erreichte, war Jacques Gaillot als einziger französischer Bischof dabei, als dem Priester Abbé Grégoire (1750 – 1831) von Staatspräsident Mitterrand ein Ehrengrab im Pariser Panthéon zugewiesen wurde. Alle wussten: Abbé Grégoire verteidigte die richtigen Anliegen der Revolution, die Durchsetzung der Rechte der Juden und der Schwarzen, insgesamt ein Verteidiger Menschenrechte, im damaligen Klerus eine Ausnahme. Vor allem forderte Abbé Grégoire demokratische Strukturen in der katholischen Kirche. Gaillots Anwesenheit 1989 im Pantheon war eine Ungeheuerlichkeit für die Kreise, die das ancien régime mehr schätzten als die positiven Ergebnisse der Revolution.

Im Bistum Evreux bemühte sich Jacques Gaillot, mit Menschen aus allen sozialen Schichten, und nicht nur mit den Kirchgängern, die Zukunft der Kirche dort vorzubereiten. Von 1989 tagte für zwei Jahre die Diözesansynode. Der Bischof selbst dominierte nicht, er meldete sich als ein „Bruder im Glauben“ zu Wort, vor allem, wenn es darum ging, die Rechte der Armen und Ausgestoßenen zu verteidigen. Den Laien im Bistum Evreux wollte er so viele Mitgestaltungsmöglichkeiten bieten, wie es der sehr enge Rahmen des Kirchenrechts eben erlaubte. Nebenbei: Niemals hat Bischof Gaillot dazu aufgefordert, dass ein Laie Eucharistie feiert, er blieb immer auf dem Kurs der Orthodoxie! Er unterstützte lediglich die „Equipen“ von Frauen und Männern, die in den Dörfern als Team das Gemeindeleben koordinieren. Sie kümmerten sich um den Religionsunterreicht, die Vorbereitung auf die Sakramente usw…Damit sollte auch, aber das war nur als Nebeneffekt gemeint, das bevorstehende Ende der Kleruskirche vorbereitet werden. Um nur einen kleinen statistischen Eindruck zu vermitteln: 1997 hatte das Bistum Evreux noch 129 Priester. Im Jahr 2010 waren bei gleich bleibender Bevölkerungszahl noch 44 aktiv in der Gemeindearbeit, „In einigen Jahren gibt es fast keine Priester mehr in Frankreich“, sagen Religionssoziologen in Paris übereinstimmend. Jacques Gaillot wollte Frauen und verheiratete Männer aufs Priesteramt vorbereiten, so viel Sinn für gute Utopie war ihm eigen: Er gründete deswegen eine „école des ministères“, eine Schule der Dienstämter, die Kurse wurden von 400 Personen besucht, aber geweiht werden durfte bei den römischen Gesetzen „natürlich“ niemand. Heute zerfällt heute mangels qualifizierter hauptamtlicher Mitarbeiter, vor allem wegen des Mangels an noch nicht ganz vergreisten Priestern (das Durchschnittsalter der aktiven Priester beträgt in Frankreich jetzt 72 Jahre) das religiöse Leben in den meisten Départements. Die vielen Wallfahrten oder die „attraktiven Klöster“ dürfen darüber nicht hinwegtäuschen. Laut jüngsten Umfragen gehen jetzt noch 4 Prozent der Katholiken regelmäßig sonntags zur Kirche, vor 20 Jahren waren es noch 9 Prozent, wobei regelmäßig bedeutet: Mindestens einmal im Monat! Und die Jugend bleibt längst fast vollständig weg. Lediglich die Charismatiker mit ihren Hallelluja – Rufen oder andere, so genannte neue „geistliche“ Gemeinschaften haben noch junge Leute, die sich zur alten römischen Lehre bekennen. Der Katholizismus in Frankreich heißt heute Seniorenkatholizismus, das ist eine Beschreibung und natürlich keine Bewertung, aber aufgrund dieser Altersstruktur eben doch eine „sterbende Kirche“…

Jacques Gaillot hatte als Bischof zahlreiche Kontakte mit jungen Menschen, auch mit Atheisten, mit Menschen, die durch ihn wieder Interesse an der Kirche fanden. Aber „dieser Hoffnungsträger“ wurde von Rom abgesetzt. Unverschämt geradezu der Vorwurf seiner vatikanischen Richter: „Gaillot hat sich als Bischof als unfähig erwiesen“. Im Rückblick muss man die Absetzung Bischof Gaillots als Beispiel für die „Selbstzerstörung des Katholizismus“ durch die Kirchenführung selbst interpretieren. Indem sie sich in den alten Mauern einschließt, gibt sie dem lebendigen Leben keine Chance. Ausdruck für den versteinerten Geist und die versteinerte Institution ist das Bemühen Benedikt XVI., die besonders Versteinerten, die in das Uralte verliebt sind und den Antisemitismus verteidigten, die Pius-Brüder, wieder in die römische Kirche „zurückzuholen“. Psychologen sprechen in dem Zusammenhang von der Lust am Morbiden…

Gleichermaßen politisch wie theologisch konservative bzw. reaktionäre Kräfte haben Jacques Gaillot zu Fall gebracht. „10 Jahre wurde Gaillot vom Vatikan beobachtet“, also praktisch seine ganze Zeit als Bischof von Evreux, betonte ganz freimütig einer seiner Richter im Vatikan, Msgr. J. Tauran im Januar 1995 in einem Zeitungsinterview. Danke für die Offenheit! Zu Gaillots heftigsten Widersachern gehörte, um nur ein Beispiel von vielen anderen Beispielen zu nennen, Abt Gérard Calvet vom traditionalistischen Benediktiner Kloster Le Barroux bei Avignon. Ursprünglich eng mit den Lefèbvre Leuten (den „Piusbrüdern“) verbunden sowie den Ideen des rechtsextremen Front National (Le Pen), war es Kardinal Ratzinger gelungen, diese Mönche mit ihrem Abt Calvet wieder an den Papst zu binden…Auf ihn hörte der Vatikan, als man Gaillot zu Fall brachte. Der „Fall Gaillot“ war also immer auch ein „politischer Fall“, wobei sich der Vatikan stets auf der sehr rechten Seite präsentierte…
Das offizielle römische Presse – Kommuniqué vom 13. Januar 1995 zur Absetzung Gaillots sollte mit großer kritischer Aufmerksamkeit gelesen werden. Denn darin steht die schon genannte ungeheuerliche Behauptung, „der Prälat (Jacques Gaillot) hat sich nicht als geeignet erwiesen für die Ausübung des Amtes der Einheit, das die erste Pflicht eines Bischofs ist“. Den Dienst der Einheit verstehen die Herren der Kirche in Rom nicht etwa als Einheit mit dem Evangelium, nicht als Vorschlag, den Weisungen Jesu aktuell zu folgen, sondern, so wörtlich, „als Gemeinschaft mit der Lehre und der Pastoral DER Kirche“, und Kirche wird hier wieder mit dem Papst gleichgesetzt. Nebenbei möchte ich darin erinnern, dass der Vatikan eigentlich vorhatte, Jacques Gaillot (Im Januar 1995 war er 59 Jahre alt) zum „freiwilligen“ Rücktritt zu bewegen („demissioner“) und ihm dann den Titel „Emeritierter Bischof“ zu verleihen. Sozusagen als „Altbischof“ von Evreux hätte er dann Rosen züchtend seinen langen Ruhe/Schweigestand verbringen können. Aber Jacques Gaillot bestand darauf, dass er „als offiziell abgesetzter Bischof“ doch als Titular Bischof den Vatikan verlassen könne: So wurde er dann zum „Titular-Bischof von Partenia“ ernannt, dem inzwischen weltberühmten Wüstenbistum in Algerien…Dorthin sollte er „abgeschoben“ werden und in der Öffentlichkeit verschwinden…aber daraus ist in all den Jahren seit 1995 – nicht zuletzt durch das andauernde Engagement von Katharina Haller, Zürich – auch ein blühendes Internet – Bistum geworden mit weltweiten Freunden von Partenia.

Die Absetzung Jacques Gaillots als Bischof wurde zu recht schon damals als das symbolische Ende eines um Freiheit und Evangelium bemühten Flügels innerhalb der römischen Kirche wahrgenommen. Historiker werden bei noch größerem zeitlichen Abstand feststellen: Jacques Gaillot war als Bischof eine für katholische Verhältnisse „einmalige Gestalt“ im Europa des 20. Jahrhunderts, eine Verbindung von Moderne und Evangelium, wie sie sonst kaum möglich erschien, vergleichbar vielleicht den von Rom ebenso ungeliebten Bischöfen Pedro Casaldaliga oder Dom Helder Camara, beide Brasilien…Dass auch Jacques Gaillot (wie alle anderen Bischöfe auch) einmal sozusagen im Dauerstress übereilt reagierte oder dabei Fehler machte, versteht sich von selbst. Aber seine theologische Linie, Moderne und Katholizismus zu verbinden, blieb und bleibt zweifelsfrei vorbildlich und, sagen wir es ruhig, einmalig.

Auch wenn jetzt noch einige „Reformkatholiken“ die ewig selben Reformvorschläge wiederholen und wiederholen: Der „Fall Gaillot“ hat meines Erachtens klargemacht: Reformen grundlegender, radikaler Art haben im römischen System keine Chance. Einzig eine neue Reformation hätte Sinn, dann bliebe aber zumindest ein Teil der römischen Kirche nicht mehr „der selbe“ wie vorher…(siehe Martin Luther). Jacques Gaillot hat sich entschieden, nicht zum Reformator zu werden, er wollte kein französischer Luther sein. Das ist seine Entscheidung, die es zu respektieren gilt, auch wenn niemals wenigstens gedanklich durchgespielt wurde und auch heute nicht durchgespielt wird, was denn eine neue Reformation bedeutet hätte und immer noch bedeuten würde, gerade angesichts der tiefen Krise und des absoluten Vertrauensverlustes des Katholizismus etwa jetzt im Frühjahr 2010.

Im Rückblick bleibt auch das Bedauern, dass Jacques Gaillot nie deutlich spürbare Unterstützung von prominenten Theologen gefunden hat: Die Namen der „großen“ Theologen z.B. in Tübingen oder Münster brauchen hier nicht genannt zu werden, sie haben meines Wissens diesem bescheidenen Mann des Evangeliums niemals öffentlich und deutlich zur Seite gestanden. Waren sie sich – von der Solidarität Eugen Drewermann einmal abgesehen – zu fein, waren sie sogar so unbescheiden, dass sie meinten, dieser Bischof aus Evreux und später in Partenia „biete theologisch zu wenig“? So viel Arroganz wäre schlechthin unverständlich.

Eine andere entscheidende Frage lautet: Wird Jacques Gaillot noch zu Lebzeiten rehabilitiert werden? Wird sich Rom bei ihm für die Absetzung entschuldigen und sich dann bedanken für die zahlreichen Impulse, die er den Menschen von heute gegeben hat? Wird sich die französische Bischofskonferenz entschuldigen, dass sie ihn seit 1995 weitestgehend ignoriert hat und praktisch niemals mehr zu ihren Versammlungen eingeladen hat? Wird sie diesem Bischof mit der einfachen und deswegen so befremdlich wirkenden Botschaft die Hand reichen? Gibt es noch Menschen, die glauben, der römische Katholizismus könne sich wie durch ein Wunder reformieren und dem Geist des Evangeliums entsprechen? Was bleibt für die anderen? „Um das Licht zu sehen, müssen wir aus den Mauern heraustreten“, so Bischof Jacques Gaillot zu Ostern 1983.

Das Buch mit dem treffenden Titel “Die Freiheit wird euch wahr machen” aus dem Reimund Meier Verlag in Schweinfurt enthält 24 Beiträge über Bischof Jacques Gaillot. Das Buch hat die ISBN Nr.: 978-3-926300-64-5.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin