Vom Glauben sprechen: Aber in homöopathischen Dosierungen

Vom Glauben in homöopathischer Form sprechen. Zur Aktualität eines „mondainen“ Priesters in Paris: Abbé Arthur Mugnier

Von Christian Modehn

Am 13. Juli 1920 notiert der Pariser Priester, Abbé Arthur Mugnier, (1853-1944), in seinem Tagebuch: „Nach einem Mittagessen bei Madame Fitz-James mit Bischof Lemaistre von Carthago sagte dieser: Man solle sich in den Pariser Salons bemühen, die Leute, die Gäste, im strengen katholischen Sinn auszubilden“. Diese Meinung lehnt Abbé Mugnier, eine Art Dauergast/Freund in den Salons, absolut ab: Er meint: Wenn man dieses klerikale Programm anwenden würde, hätten die charmanten Mittagessen und Diners in den Salons keinen Sinn mehr, wo man doch dort frei sprechen kann, jeder kann seine Meinung vortragen. „Ich glaube nur an das kirchliche Apostolat, also die „Seelsorge“, in homöopathischer Form“.

Sanft und in homöopathischen Dosierungen vom Glauben sprechen in einer bunten und vielfältigen intellektuellen Welt der Schriftsteller und der Welt der Künstler und Schauspieler in Paris: Das konnte sehr gut Abbé Mugnier, er ist eine ungewöhnliche, gebildete, wenn man so will: eine einmalige Gestalt unter den Priestern und Theologen in Paris: Er war der gern gesehene Gast und Gesprächspartner in zahlreichen Salons. In einem umfangreichen „Journal“ (erschienen bei Mercure de France, Paris 1985) hat er von diesem ungewöhnlichen Leben berichtet, mit Menschen ins spirituelle Gespräch zu kommen, die sonst eher nicht einen christlichen Theologen respektieren, geschweige denn regelmäßig zum Essen einladen. Das lag daran, dass alle diese Literaten und Künstler, die oft gar nicht so christlich, schon gar nicht katholisch waren, sich einfach von Abbé Mugnier verstanden und ernst genommen fühlten.

Der Pariser Historiker, Autor und Übersetzer Charles Chauvin hat vor kurzem eine Biographie dieses ungewöhnlichen Abbés vorgelegt: „L Abbé Mugnier. L aumonier des Lettres“ erschienen bei Mediaspaul, Paris, 2015. 182 Seiten, 18 Euro. Charles Chauvin zeichnet genau den Lebensweg dieses dialogfreudigen Pfarrers nach, der kein Missionar war, sondern ein Gesprächspartner. Chauvin spricht von seinem frühen Engagement in verschiedenen Pariser Gemeinden, von seinen Schwierigkeiten mit den Bischöfen, schließlich von dem Freiraum, den er erlangen konnte: Endlich unter denen zu leben und zu wirken, denen er sich zugehörig fühlt: Eben den Schriftstellern und Schauspielern. Er ist in Verbindung mit Marcel Proust, mit Jean Cocteau, aber auch mit Paul Claudel. „Er war als guter Unterhalter („Causeur“) der Freund und der Vertraute von denen allen“ (S. 129). Er war der „libérale Abbé“ (S: 62) „Praktisch war Mugnier in seinem Engagement vom übrigen Klerus in Paris isoliert und von den Bischöfen nur toleriert“ (S. 130).Charles Chauvin berichtet von den Reisen Mugniers nach Deutschland, er war in Bayreuth und Berlin, besuchte in Röcken den geistig umnachteten Friedrich Nietzsche (S. 79). In seinem neuen Roman „Unterwerfung“ erwähnt Michel Houellebecq mehrfach den Schriftsteller Joris -Karl Huysmans: Mit ihm war der weit denkende und vernünftig fühlende Mugnier befreundet.

Mugnier war eine Ausnahmegestalt: großzügig, tolerant, entschieden antisemitisch in den Zeiten eines allgemeinen katholischen Antisemitismus, ein Mann der Verständigung auch mit den Deutschen, ein Theologe, der Sinne hatte für Ästhetik und Kunst.

Eine solche freie Gestalt gibt es selten im römischen Katholizismus, und wenn, dann eher in Frankreich als im eher bürokratisch geprägten deutschen Katholizismus. Charles Chauvin hat das große Verdienst, an diesen ungewöhnlichen Abbé zu erinnern, der sanft und verständnisvoll, hörend und lernend vom Glauben sprechen konnte, ohne Wahrheitsansprüche, und schon gar nicht mit dem “dogmatischen Hammer”, der zu der Zeit selbstverständlich war.

Wer die Biographie und die Tagebücher selbst liest, kann sich kaum vorstellen, dass solch eine Gestalt jemals auf neue Art wiederkehren könnte in den Kirchen Deutschlands oder Frankreichs. Dort hat sich längst der enge, der fundamentalistische Geist herrschend durchsetzen können. Liberale theologische Geister haben da kaum noch eine Chance.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

Griechenland in Not: Wider das alte korrupte System und die Allmacht der Banken

Griechenland in Not: Wider das alte korrupte System und die Allmacht  der Banken

Das Motto: Deutschland und die anderen alles bestimmenden europäischen Länder sollten nicht vergessen: EUROPA ist ein Wort und auch eine philosophische Realität, die aus Griechenland stammen. Europa ist insofern griechisch. Dabei ist klar, dass die EU als Wirtschaftsunion, als Finanzwelt, nicht die umfassende Idee Europas abbildet. Europa ist – hoffentlich- mehr als Kapitalismus. Aber man kann Europa kaputt machen.

Von Christian Modehn

Philosophen und philosophisch Interessierte haben häufig eine innere, eine freundschaftliche Nähe zu Griechenland und eine Verbundenheit mit den Griechen. So wie Christen vielleicht eine Nähe zu dem haben, was die Kirchen „Heiliges Land“ nennen, weil dort Jesus von Nazareth lebte und predigte. So haben Philosophen zu Griechenland eine positive Stimmung; dort lebten Sokrates, Platon, Aristoteles, Epikur, dort wurde die Stoa begründet, dort wurde ursprünglich über die Bedeutung der Vernunft im Leben der Menschen gerungen. Gibt es eine Form “philosophischer Dankbarkeit”? Auch wennklar ist, dass Sokrates heute nicht in Athen lebt, genauso wenig wie niemand glaubt, dass Jesus noch in Israel lebt. Oder Goethe oder Heine heute das geistige Klima der Regierung in Berlin prägen.

Von daher also eine bleibende Nähe philosophischer Menschen zu Griechenland, zumal dann, wenn die jetzige Regierung, sechs Wochen im Amt, die ungeheure Aufgabe stemmen will und die Jahrzehnte lange Korruption beseitigen möchte.

In jedem Fall ist meine Sympathie für die neue Regierung in Athen zweifellos vorhanden, auch wenn natürlich jeder weiß, dass auch diese linke Regierung keine absolute Rettung, keine Heilsbringerin usw. ist. Das sind ja auch nicht die Regierungen in Berlin, Washington oder anderswo. Dort mischt sich Demokratie mit unerfreulichem Lobbyismus, durchaus auch mit Korruption, ja, mit Unrecht, wenn man nur an den Irak-Krieg von Mister Bush jun. denkt. Lupenreine Demokratien, das gibt es nicht. Das weiß inzwischen auch Herr Schröder. Aber es gibt sicher Regierungen, die die Korruption der Vorgänger beseitigen wollen, wie die jetzige Regierung in Athen. Sie will einen Neustart und sich von Politikern absetzen, die von vielen westeuropäischen Regierungen, auch von Deutschland, unterstützt wurden, waren diese konservativen Regierungen doch dem Scheine so brav, so angepasst, so christlich oder sie nannten sich sozialdemokratisch. Die ließen sich gerne Waffen deutscher Produktion aufschwatzen, von diesen korrupten Regierungen profitierte nicht nur die deutsche Wirtschaft.

Unsere Sympathie für die neue linke Regierung in Athen findet eine hervoragende Vertiefung in einem Beitrag des ausgezeichneten Berliner Recherche-Journalisten HARALD SCHUMANN vom „Tagesspiegel“ (Ausgabe 16.3.2015). Wir können nur einige Zitate aus diesem hervorragenden Beitrag bieten, eigentlich sollte er Pflichtlektüre aller Politiker in Deutschland sein, vielleicht könnten sie dann noch in ihrer bronierten Haltung ein wenig erschüttern lassen.

Harald Schumann schreibt u.a.:

….“So wird immer klarer, dass es beim Ringen zwischen der Athener Linksregierung und den anderen Euro-Staaten nicht wirklich ums Geld geht. Wäre Kanzlerin Merkel, Minister Schäuble und ihren Kollegen tatsächlich daran gelegen, möglichst viel der an Griechenland ausgereichten Kredite zurückzubekommen, dann würden sie die Chance nutzen, die eine vom Oligarchenfilz und Klientelismus unbelastete Regierung in Athen bietet. Dann würden sie Tsipras und seinen Ministern den finanziellen Spielraum verschaffen, den diese für den Aufbau eines funktionierenden Staatswesens und den Bruch mit dem alten Machtkartell benötigen. Aber die Verwalter der Euro-Krise fürchten den Erfolg einer linken Regierung offenkundig mehr als die milliardenschweren Verluste auf ihre Kredite, die das Scheitern der Regierung Tsipras ihnen zwangsläufig bescheren wird. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen. Auch in Spanien, Portugal und sogar in Irland könnten linke Basisbewegungen bei den dort anstehenden Wahlen die Mehrheit gewinnen“.  Und wenn die linke Reform-Regierung von den anderen Europäern und ihrem Geld zerschlagen wird. Was ist dann?

Harald Schumann meint: „Denn der Sieg über die Widerständler wird europaweit ein verheerendes Signal aussenden: Entweder die wirtschaftlich schwächeren Länder kriechen bei den Deutschen und ihren Agenten in Brüssel zu Kreuze. Oder aber diese treiben sie in den wirtschaftlichen Niedergang. Das aber ist die beste Wahlkampfhilfe, die sich Marine Le Pen, ihr Front National und mit ihnen alle Anti-Europäer jemals wünschen könnten. Gegen diese Drohung können sie ihren ebenso einfachen wie verhängnisvollen Ausweg anbieten: Raus aus dem Euro und raus aus der Europäischen Union, weil man sich nur so von den Deutschen unabhängig machen kann. Erringt Le Pen mit dieser Botschaft die Präsidentschaft in Frankreich, wäre das der Anfang vom Ende der Europäischen Integration”…. Das ist die eigentliche Gefahr, aber Wolfgang Schäuble und seine Kanzlerin nehmen sie billigend in Kauf. „Die macht mir mein Europa kaputt“, warnte Altkanzler Helmut Kohl darum schon 2011. Hoffentlich hat er sich geirrt“.

Wir empfehlen dringend die Lektüre seines Texte, veröffentlicht im Tagesspiegel am 16.3.2015: http://www.tagesspiegel.de/politik/griechenland-krise-die-unterwerfung-athens-ist-ein-verheerendes-signal/11506994.html

 

 

 

Oscar Romero-Von der Leidenschaft für die Menschenrechte

Oscar Romero: Von der Leidenschaft für die Menschenrechte

Der ermordete Erzbischof Oscar Romero (El Salvador) wird demnächst in Rom seliggesprochen.

Ein Interview mit Anita Escher Echeverría, der Botschafterin El Salvadors in Berlin.

Die Fragen stellte Christian Modehn

Frau Escher Echeverría, Sie sind Botschafterin von El Salvador in Berlin, bald in dieser Funktion in Stockholm. Sie haben sich in verschiedenen NGOs für eine gerechtere und soziale Entwicklung in El Salvador eingesetzt. Nun wird der berühmteste Salvadorianer, Erzbischof Oscar Romero, selig gesprochen. Was ist heute wichtig an seinem Denken und seiner Praxis?

Anita Cristina Escher Echeverría: Oscar Romero stammte aus einer konservativen Familie. Als Bischof war er bis 1977 auch theologisch konservativ. Aber mit der Ermordung seines Freundes, des Befreiungstheologen Rutilio Grande, durch die rechtsextremen Todesschwadronen, vollzog er einen radikalen Kurswechsel. Dieser Schritt ist am wichtigsten! Romero bekehrte sich, wie er selbst sagte; er diente ganz der Befreiung der Armen. Deswegen galt er in der Militärdiktatur als Kommunist. Und Kommunisten mussten ausgelöscht werden, so die Doktrin. Romero hat die Guerillabewegung durchaus kritisiert, mit den Entführungen von Unternehmern war er nicht einverstanden. Aber er wusste: Wenn die Armen um ihre Menschenrechte kämpfen, dann wehren sie sich zu Recht gegen die bestehende Gewalt. Erzbischof Romero forderte öffentlich die jungen Soldaten auf, nicht länger auf die Armen zu schießen: »Tötet eure Brüder nicht«, mit anderen Worten: »Verweigert den Befehl!« Das war eine Attacke aufs System! Deswegen wurde er während einer Heiligen Messe von Todesschwadronen erschossen. Was schwingt von diesem brutalen Mord damals heute noch nach? Escher Echeverría: Die »Wahrheitskommission« hat 1992 den rechtsextremen Politiker und Leiter der Todesschwadronen, Roberto D’Aubuisson, als Verantwortlichen für den Mord benannt. Dessen Arena-Partei ist auch heute einflussreich. Arena-Leute wagen es jetzt, den seligen Erzbischof Romero zu preisen. Dabei weigern sich deren Politiker, das Grab Romeros in der Krypta der Kathedrale von San Salvador zu besuchen, wenn sie ausländische Gäste in der Hauptstadt begleiten.

Frage: Was sagt Präsident Salvador Sánchez Cerén zu der Seligsprechung?

Escher Echeverría: Unser Präsident – ich darf sagen: ein frommer Mann – war ein Kämpfer für die Befreiung in der Guerilla FMLN. Er hat sich für die Seligsprechung Romeros eingesetzt. Jetzt erklärte er wörtlich: »Unsere Regierung erkennt in Erzbischof Romero eine Leitfigur und ein Licht auf dem Weg zu einem guten Leben für alle. Er ist der spirituelle Führer unserer Regierung.« Wir Salvadorianer wissen, dass Romero seit seiner Ermordung in ganz Lateinamerika als Heiliger verehrt wird. Aber unser Land ist heute noch ein politisch und auch theologisch gespaltenes Land. Die Oligarchie im Land denkt in Kategorien von Herrenmenschen.

Frage: Jetzt wird Romero als Märtyrer offiziell von Rom anerkannt. Was bedeutet das für die Täter, die Mörder?

Escher Echeverría: Wenn Erzbischof Romero offiziell als Märtyrer gilt, dann geht es in erster Linie darum zu betonen, dass die Mörder Mitglieder der rechtsextremen Todesschwadronen waren. Das ist die Wahrheit! Und die ist sehr wichtig für El Salvador. Wir haben Papst Franziskus sehr zu danken, ohne ihn gäbe es die Seligsprechung Romeros nicht.

Frage: El Salvador wird derzeit von vielen gewalttätigen Attacken der Jugend-Banden, »Maras« genannt, erschüttert. Statistisch gesehen gibt es 14 Morde pro Tag. Kann in diesem Zusammenhang Romeros Seligsprechung eine Hilfe sein?

Escher Echeverría: Direkte Wirkungen sehe ich nicht. Es ist ein langer, schwieriger Weg, diese Gewalttäter zu sozialisieren. Oft wenden sich bekehrte Bandenmitglieder den evangelikalen Kirchen zu; von denen begrüßen einige durchaus die Seligsprechung.

Frage: Romero ist eine internationale Gestalt. Welche Konsequenzen hätte das etwa für Deutschland?

Escher Echeverría: El Salvador erhält leider keine bilateralen Entwicklungszuschüsse von Deutschland, auch nicht für die präventive Jugendarbeit. Kredite aus Deutschland sind zwar für die Gewaltprävention zugesagt. Sie können jedoch nicht ausgezahlt werden, weil die Arena-Partei im Parlament immer dagegen stimmt. Ohne Arena gibt es also keine Kredite. Diese Partei will unser Land mit seiner linken Regierung »lahmlegen«. Dennoch sollte Deutschland uns helfen!

(Anita Cristina Escher Echeverría, geboren 1958, ist Menschenrechtlerin und seit 2010 Botschafterin der Republik El Salvador in Deutschland, bald in Schweden. Sie engagiert sich vor allem in Alphabetisierungsprogrammen in Lateinamerika).

Zuerst erschienen in der empfehlenswerten Zeitschrift PUBLIK FORUM am 13. 3. 2015.

 

Weder heiß, noch kalt: Ein Lob der Lauheit. Eine Ra­dio­sen­dung am 15. März um 8.40 Uhr

“Weder heiß, noch kalt”: Dies ist der Titel einer Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn am Sonntag, den 15. März 2015, um 8.40 Uhr im Programm NDR KULTUR, Reihe Glaubenssachen. Zum Nachlesen und hören klicken Sie bitte hier.

 

In einer Zeit, die Religionen vor allem im Zeichen von Auseinandersetzung, Intoleranz, Kampf, Feindschaft, Mord usw. kennt, tut es gut, sich an eine andere religiöse Tradition zu erinnern: Die Lauheit. Also die Abwehr von allzu viel Leidenschaft und Wut, von Bekehrungseifer und Rechthaberei im spirituellen Leben.  Lauheit war aber nie ein beliebter Begriff in Kreisen der religiösen Führer. Die wollten Feuer und Eifer für Gottes Sache sehen, sie wollten, dass die Seelen brennen, wie sie sagten,  für die eine und einzige Wahrheit, die man verkündete. Lauheit ist demgegenüber eine subjektive Absonderung der Mäßigung, des immer wieder Nachdenkens, des Zögerns, ja auch der Skepsis. Menschen, die religiös lau sind, sind meist auch tolerant. Sie sind nur dann leidenschaftlich bei der Sache, also “Feuer und Flamme” im übertragenen Sinn, wenn es um das eine Entscheidende für die wirkliche religiösen und mystischen Menschen geht: Um den Schutz der Menschenrechte für alle.

Nebenbei: Lauwarme Gerichte sind sehr oft bekömmlicher als heiße Speisen oder eiskalte Suppen.

Heidegger, der politische Mensch…

Martin Heidegger – nicht nur ein „Denker“, sondern ein politischer Mensch.

Von Christian Modehn

Eine weitere Fortsetzung (am 15. 3. 2015) zu unserem Thema, unserer Rubrik „Heidegger und die Nazis“:

Wir empfehlen die Lektüre des Interviews mit der Philosophin, Prof. Marion Heinz, Siegen, in „Die Zeit“ vom 12. März 2015 Seite 50f. Die Fragen stellte Thomas Assheuer.

Einige Hinweise zu uns zentral erscheinenden Erkenntnissen von Marion Heinz, die auch von anderen Forschern schon erwähnt wurden, nun aber noch einmal eine Bestätigung finden:

– „Die (jetzt fast vorliegende) Heidegger Gesamt-Ausgabe genügt den Prinzipien kritischer Editionen nicht; wir Forscher tappen im Dunkeln. Keiner weiß, wo Passagen gestrichen wurden….“   Gestrichen von den sich allmächtig aufführenden Erben Martin Heideggers…

-Es gibt die Jahre lang verbreitete These, Heidegger sei letztlich ein a-politischer, ein einsamer Denker in seiner weltfernen Hütte gewesen, der nur auf das Sein selbst lauschte etc… Dagegen betont Prof. Marion Heinz: „Das Bild vom politisch desinteressierten Philosophen Heidegger … ist das Ergebnis dessen, wie Heidegger sich selbst in der Nachkriegszeit inszeniert hat“. Mit anderen Worten: Viele Heidegger – Forscher haben seit 1945 diese Selbstinszenierung geglaubt und brav übernommen und verbreitet.

-Es wird in dem Zusammenhang behauptet, der weltferne Seins-Philosoph sei eigentlich gar nicht am Tagesgeschehen, etwa an der Zeitungslektüre, dem Radiohören etc. interessiert gewesen: „Die Briefe Heideggers zeigen, was für ein wacher und aufmerksamer Beobachter auch der Tagespolitik Heidegger war.. Er ist immer bestens informiert,….er verfolgt die Geschehnisse am Ende der Weimarer Republik überaus interessiert“.

-Martin Heidegger empfiehlt seinem Bruder Fritz in einem Weihnachtsbrief 1931, Hitlers „Mein Kampf“ zu lesen, „begleitet von einer Einschätzung Hitlers, die überaus positiv ist“.

-Martin Heidegger glaubt, zu Hitler gebe es keine Alternative, “er sei ein Erfordernis des geschichtlichen Augenblicks“.

Bezeichnenderweise spricht Heidegger – wie heute andere Kreise – ständig vom Abendland, das es zu retten gelte.

-Auch die oft noch zur „Rettung der Aktualität von Heideggers Denken“ vorgebrachteten Argumente zählen nach Meinung von Marion Heinz nicht: Heideggers Kritik an der Technik wird da oft lobend vorgebracht. Marion Heinz hält diese Lobeshymnen für abwegig: „Es kann ja nicht sein, dass man Heidegger für unverzichtbar hält, bloß weil wir jemanden brauchen, der uns auf die Gefahren unserer Zeit aufmerksam macht“. (Das hat zur gleichen Zeit viel besser etwa Theodor W. Adorno gemacht, CM).

Dann bleibt die Hauptsache, auf die wir schon mehrfach hingewiesen haben: Was bleibt dann eigentlich noch von Heidegger? Ist sein Denken insgesamt „verdorben“, vergiftet“? Aus welchen auch psychischen Motiven hat sich Heidegger nach dem offensichtlichen Scheitern seines „großen“ Projekts „Sein und Zeit“ in die andere Seins-Philosophie gestürzt mit ihren Schickungen und Weisungen? Wollte er sich als der ganz Große, der Allein-Wissende, auf diese Weise etablieren? Diese Frage wäre doch recht spannend. Und: Warum sind so viele Philosophen auf Heidegger „reingefallen“ und haben Jahrzehnte lang seine Weisungen in tausend Büchern hin und her gedreht? Passte Heidegger in die Kultur des Nachkriegszeit, weil er das kritische Denken in das ewige Dunkel der Seinsgeschichte führte und damit ein Alibi schuf, sich mit der realen politischen Geschichte zu befassen, mit dem Krieg, dem Rassismus, mit Auschwitz, mit dem Kolonialismus, dem Anti-Kommunismus usw… Heidegger, so eine These, legte das Material bereit, philosophisch im Dunklen zu tappen und sich philosophisch der Auseinandersetzung mit der Gegenwaert – auch empirisch- zu entziehen. Nebenbei: Es ist doch bezeichnend, dass meines Wissens kaum ein Heideggerianer etwas zur Friedensbewegung, zur Anti-Atom-Bewegung, zur feministischen Bewegung sagte oder jetzt zu dem Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer sagt. Hat Heidegger das Denken im schlechten Sinne beruhigt? Wahrscheinlich. Das wäre eine spannende Frage. Marion Heinz sagt sehr treffend: “Die ernsthafte Auseinandersetzung darüber, was von der weithin behaupteten  Weltgeltung von Heideggers Denken (nach der Veröffentlichugn der Schwarzen Hefte) bleibt, STEHT ERST AM ANFANG”.

In „Die Zeit“ vom 12. März 2015 findet sich ein weiterer interessanter Hinweis des Heidegger-Schülers Prof. Rainer Marten mit dem Untertitel. „Seit Jahren nehmen die Herausgeber Martin Heideggers Werk in Beschlag. Das ist ein Skandal, der endlich ein Ende haben muss“. Marten ist empört, dass sich die Heidegger Familie anmaßt, über den Nachlass eigenmächtig zu verfügen. Er weist darauf hin, dass Heideggers Sohn es sich nicht nehmen ließ, der sehr rechtslastigen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (Nr. 45(02) ein Interview zu geben. Wie schon sein Vater Martin, sagt der Sohn Hermann: „Mein Vater wollte nicht, dass sich die neugierige Journaille auf den unveröffentlichten Nachlass stürzt…“ Journalismus gab es für Martin Heidegger immer nur in der Form der hässlichen „Journaille“… Die Junge Freiheit ist für Hermann Heidegger offenbar seriös, in dem gleichen Geist, in dem Friedrich Wilhelm von Hermann, der treue Heidegger-Deuter, ein Interview dem sehr rechtslastigen russischen Politiker und Putin-Freund Alexander Dugin ein Fernseh-Interview gab. Klicken Sie hier.

Copyright: Christian Modehn

 

 

Zuerst die Menschlichkeit. Danach kommt die Religion

Zuerst die Menschlichkeit: An zweiter Stelle stehen die Religionen

Von Christian Modehn

Eine zentrale Überzeugung unseres „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ wurde mehrfach diskutiert, zuletzt im Salon am 27. Februar 2015: Angesichts der Welle von Hass und Gewalt, im Namen von Religionen, heute wie damals, können wir als Prinzip unseres Denkens und natürlich auch Handelns nur betonen und versichern: „Zuerst kommt die Pflege der Menschlichkeit, an zweiter Stelle die Pflege der Religionen“, also auch meiner Religion und der Religion der anderen.

Mit anderen Worten: Die Religion und das Bekenntnis zu einem konkreten Glauben sollen niemals das Zentrum des Lebens sein, auch nicht des öffentlichen Lebens. Die Trennung der Religionen vom Staat ist ein Gewinn, der niemals aufgegeben werden darf. Die ursprüngliche Laizität in Frankreich ist da maßgeblich.

Die Pflege der Humanität, die sich als solche äußert noch vor aller religiösen Bindung und Indoktrination, ist der Mittelpunkt, das Zentrum des Menschen, jedes Menschen.

Natürlich gibt es unterschiedliche Kulturen. Aber in allen Menschen aller Kulturen gibt es aufgrund der allen gemeinsamen Vernunft eine Überzeugung von dem alle Menschen verbindlichen Ethos, das sich natürlich in verschiedenen Sprachen ausspricht, aber doch eine gemeinsame Grundlage hat. Sie äußert sich praktisch im Alltag, etwa im Nein zu Mord und tötender Gewalt, zu Folter, Frauenverachtung und Verfolgung von Homosexuellen, zu Rassismus usw. In diesem in der Lebenspraxis ausgesprochenen NEIN zeigt sich direkt oder indirekt die Überzeugung: Der praktische Respekt vor den Menschenrechten verbindet alle Menschen. Es gibt eine humane Basis einer allgemeinen, allen Menschen gemeinsamen Menschlichkeit. Es gibt immer wieder bei den Menschen das starke Gefühl und die Überzeugung: Hier handle ich als Mensch, und nicht als Angehöriger meiner Religion mit ihren Grundsätzen. Dies steht an erster Stelle, im Leben in der Gesellschaft, in der Bildung usw.

Darauf hat jetzt auch der in Paris lebende Theaterregisseur und Essayist Benjamin Korn in seinem Beitrag im „Tagesspiegel“ (10. März 2015, Seite 19) hingewiesen. Er erinnerte an den Angestellten Lassan Bathily, ein Muslim aus Mali, der „nur“ menschlich handelte: Er schützte am 7. Januar 2015, schnell entschlossen, im Keller des jüdischen Supermarktes „Hypermarché Cacher“ in Paris mehrere jüdische Kunden vor dem (islamischen) Massen-Mörder, der ebenfalls aus Mali stammt. Als Muslim konnte Lassan Bathily im jüdischen Supermarktes seine Gebete nach Mekka gewandt selbstverständlich immer sprechen. Benjamin Korn schreibt: „Der junge Retter Lassan Bathily führte für seine Tat nicht den Islam ins Feld. Gefragt, woher er den Mut und die Geistesgegenwart genommen habe, in dem von ihm vorher abgeschalteten Kühlraum zu verstecken, sagte er: Er habe nicht lange nachgedacht, er habe auf sein Herz gehört. Und fügte ein paar Sätze hinzu, die man an den Sternenhimmel schreiben könnte: Ich bin kein Held. Ich keine Juden gerettet. Ich habe nur Menschen gerettet”.

Eine wunderbare Formulierung.

Zuerst also die Menschlichkeit! Zuerst das auf das eigene Herz, das Gewissen hören und ihm folgen. Das steht im Mittelpunkt aller Beziehungen in einer multireligiösen Gesellschaft. Fragen wir nicht zu erst, welcher Religion gehörst du an! Fragen wir: Wie können wir gemeinsam unsere Menschlichkeit entwickeln und miteinander pflegen. Erst danach kann man auch über unterschiedliche religiöse Weisungen sprechen. Aber sie dürfen nicht der gemeinsamen Menschlichkeit konträr sein. Wenn sie das sind, sollte man sie beiseite lassen und sich Wichtigerem, eben dem Menschlichen, zuwenden.

In unserer Gesellschaft gibt es leider wenige Orte, die diese Menschlichkeit des Menschen, aller Menschen, ausdrücklich in der Öffentlichkeit pflegen. Es fehlen die Agoras, die Treffpunkte der Bürger, wo jeder und jede kostenfrei debattieren kann. Die modernen Demokratien haben offenbar von sich kein Interesse, solche Agoras zu fördern und zu finanzieren.

Die Schulen sind da gefordert: Aber wahrscheinlich sind sie viel zu sehr aufs Erlernen technischer Fähigkeiten aus. Eher könnten es die Religionen und Kirchen selbst sein. Indem sie erkennen: Der wahre Gottesdienst ist zuerst Menschendienst, im Sinne der Entwicklung der Humanität. Aber welcher Pfarrer, welche Gemeinde, hätte schon den Mut, an einem Sonntag auch einen ganz neu gestalteten „Menschendienst“ anstelle der Messe zu feiern? Welcher Imam würde am Freitag auch mal einen „Menschendienst“ gestalten, als offenes Gespräch der Gemeinde zur Frage: Warum sind wir Muslime zuerst Menschen wie alle anderen und erst an zweiter Stelle selbstkritische Muslime?

Copyright: Christian Modehn

Was ist das Wesen des Islams? Neue Aspekte einer Diskussion

Was ist das Wesen des Islam? Neue Aspekte einer Diskussion

Von Christian Modehn

Ende Dezember 2014 haben wir eingeladen, über das “Wesen des Islam” nachzudenken. Weiter unten steht der Text, der damals publiziert wurde.

Anfang März 2015 haben wir eher behutsam-optimistische Hinweise veröffentlicht zur Rolle der Vernunft im heutigen Islam, wenigstens in Deutschland, siehe die Stellungnahmen von Abdel-Hakim Ourghi weiter unten.

Am 8.3. 2015 noch einmal erweitert: Ein Hinweis auf den absoluten Nihilismus auch kultureller Art bei denen, die sich Islamischer Staat (IS) nennen (aber mit einem authentischen Islam nichts zu haben) und ihr Imperium offenbar immer mehr erweitern: Nun hat der IS wichtigste kulturelle Schätze in Mossul und Nimrud zerstört, in einem religiös gefärbten Wahn, in einer nihilistischen Tat, die alle Zeugnisse kulturellen Leben VOR dem Auftreten des Islam nicht sichtbar gepflegt lassen und erhalten will. Heidnisches, Fremdes, für IS Mörder schwer Verständliches darf nicht existieren! Dabei spielen sicher auch ökonomische Interessen des IS eine Rolle, durch Verkauf wertvoller Objekte in den Westen…

Wenn nun der IS diese Regionen durch Zerstörung “säubert”, will er Raum schaffen für die in IS Sicht “pure” islamische Welt, wie sie in Medina im Umfeld des Propheten existierte. Darum weist die nihilistische Zerstörungswut in Mossul und Nimrud auf noch viel Tieferes hin: Die IS Gebiete sollen auch von allen Zeichen, aller Lebendigkeit jüdischer und christlicher Kulturen, befreit werden. Befreiung stets verstanden als Zerstörung der Kultur und als Mord und Totschlag. Es spielt dabei auch der Hass der monotheistischen IS Muslime eine Rolle, der Hass auf die beiden anderen monotheistischen Religionen, auf Judentum und Christentum, also auf die Bibel in der Form des AT und NT. Bekanntlich hätte es keinen Koran geben können, ohne die Bibel, ohne die beiden Religionen Judentum und Christentum. Indem der IS diese Wurzeln des eigenen Glaubens vernichtet, zerstört er letzlich auch sich selbst. Es ist der Wahn, der da beim IS durchschlägt, als gäbe es eine Steigerung des monotheistischen Glaubens, von den angeblich primitiven frühen Formen des Judentums und Christentums hin zum späteren, evolutionär sozusagen höher stehenden Islam. Nur diese letzte, angeblich beste Stufe zählt. Diese These wird ja nicht nur vom IS vetreten! Sie ist vielerorts zu hören. Wer zur angeblich einfachen Gesellschaft des Propheten in Medina zurückkehrt, wehrt sich gegen Toleranz und Vernunft. Bekanntlich loben ja gebildete Muslime die Kultur des Propheten in Mekka, und die dort geschriebenen eher toleranten Texte gegenüber den eher heftigen Passagen des Koran, wie sie dann, für Medina gültig, aufgeschrieben worden. Insofern ist der IS auch eine Engführung des frühen Islam selbst und eine Art Halbierung des Propheten.

…………….

Jetzt, Anfang März 2015, wird die Debatte darüber in Deutschland weiter vertieft, mit neuen, präzisen Erkenntnissen des muslimischen Islam-Wissenschaftlers Abdel-Hakim Ourghi, Prof. an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg.

Die Frage nach dem “Wesen einer Religion” mag etwas großspurig erscheinen. Aber sie ist notwendig, weil sie ein Profil sucht, das über die faktischen Religionen, so wie sie heute leben, hinausweist. Der Wesens-Begriff ist nie ganz realisiert, er ist insofern ein kritischer Begriff. Das gilt auch für das Christentum, denn kein ernstzunehmender Beobachter des Christentums wird meinen, die evangelikalen MegaChurches in den USA seien Inbegriff des Christentums oder bestimmte Kreise des traditionalistischen Katholizismus typisch katholisch. Wer nach dem Wesen einer Religion fragt, sucht sozusagen die bessere, die humanere und spirituell-reine Gestalt des jeweiligen Glaubens in der religiösen Institution. Er sucht vor allem eine Gestalt, die vor dem bleibenden und gültigen Anspruch der Vernunft, wie sie sich heute artikuliert, bestehen kann.

Wichtig ist das Interview, das der islamische Theologe und Religionspädagoge Abdel-Hakim Ourghi (Freiburg) der Zeitschrift HERDER KORRESPONDENZ gegeben hat (Heft 3/2ß15 S. 124 ff.) Wir können nur einige zentrale Aussagen zitieren und die Lektüre des ganzen Interviews dringend empfehlen.

– “Der Islam hat mit dem islamischen Terrorismus zu tun. Auch die Extremisten sind Muslime. Sie beten in Moscheen, erkennen den Koran und die Tradition des Propheten als kanonische Schriften an. Sie begründen ihre Taten mit dem Koran…” (S. 124)

– Die Extremisten beziehen sich auf einzelne Suren aus der Zeit Mohammeds in Medina, “es findet eine Rückkopppelung der Extremisten an diese medinensische Phase statt” (S. 125).

– “Wir müssen auch die unangenehmen Aspekte in den kanonischen Quellen kritisieren, um das Klima für eine angemessene Interpretation des Islam zu schaffen”. (ebd.)

– “Muhammed ist 632 gestorben, schon in der ersten gemeinde des Propheten kam es innerhalb der Gemeinschaft zu Gewalttaten” (S. 126).

Am wichtigsten ist in unserer Sicht:

– “Es geht darum, den Koran ALS TEXT zu verstehen”… ” Die Muslime müssen sich der Tatsache stellen, dass der Islam des 7. Jahrhunderts nicht mehr unser Islam ist – und auch nicht sein kann” (ebd.)

– “Es besteht die Freiheit, heute unangemssene Koranstellen zu kritisieren”. (S. 127)

– “Notwendig ist ein rationaler Verstehenszugang zum Koran” (S. 128)

– “Es ist an der Zeit einzugestehen, dass der Islam nicht die einzige Religion ist” (ebd.). PS: Will Abdel-Hakim Ourghi eigentlich sagen, nicht die einzig WAHRE Religion ist” (C. M.)

– “Mich stört es nicht, wenn es solche Karikaruren wie in Charlie Hebdo gibt. Im Gegenteil: Ich brauche keine Angst um meinen Propheten zu haben. Es muss ganz normal sein, dass man den Propheten kritisieren darf” (S. 128)

Das Interview ist ein Beispiel dafür, dass unter gebildeten Muslimen ein Islam gedacht und damit praktisch wohl auch vorbereitet wird, der zu den Grundlagen einer vernünftigen Kultur nicht mehr im totalen, feindlichen Widerspruch steht. Eine Anerkennung der Menschenrechte als der obersten Norm und als der kritischen Instanz auch in religiösen Fragen würden wir uns noch deutlich von Abdel-Halim Ourghi wünschen. Aber seine Überzeugung weist in diese Richtung: Wenn er etwa ablehnt, dass islamische Geistliche in Deutschland vom türkischen Religionsministerium bestellt werden. Dahinter steht der Wunsch, einer konsequenten Trennung der (islamischen) Religion von jeglichem staatlichen Einfluss.

Die ganze Debatte, die wir hier für wichtig halten, steht im Dienst der Religionskritik, die ja durchaus nach dem vernünftigen Potential der Religionen, auch des Islam, fragt. Es ist keine Frage: Ein sich reformierender Islam gehört selbstverständlich auch zu Deutschland, weil die Muslime hier leben, die sich auf diesen religiösen Weg begeben haben.

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Dieser Text wurde Ende Dezember 2014 publiziert:

Seit etlichen Jahren werden wir von Islam-Wissenschaftlern und Vertretern islamischer Organisationen in den demokratischen Ländern des Westens belehrt mit vielerlei Erläuterungen, die alle den einen Grundtenor hatten und haben: „Eigentlich ist der Islam eine menschenfreundliche Religion. Vielleicht sind da und dort in einigen Formulierungen etwas scharf, aber sonst ist „der“ Islam doch sehr normal“.

Das trifft für viele Angehörige dieser Religion ja auch wohl zu. Wobei, philosophisch gesehen, kein Mensch in das Herz, also in die wahren inneren Überzeugungen eines anderen, völlig hineinschauen kann. Das gilt selbstverständlich auch für Christen, Juden oder Atheisten und alle anderen Menschen. Ob jemand friedlich IST, zeigt sich an seinem friedlichen und toleranten Leben, nicht in netten Worten allein.

Natürlich weiß allmählich jeder, dass es keine religiöse Zentralstelle, etwa einen Papst, der Sunniten oder der Schiiten gibt. Dennoch wären sehr deutliche Zeichenhandlungen von muslimischen Mitbürgern in allen Teilen Europas usw. möglich. Etwa: Sehr viele Moscheen veranstalten am Freitag kein Mittags-Gebet, sondern halten zur selben Zeit große Demonstrationen der Frommen in der Öffentlichkeit. Sozusagen ein pazifistischer Streik der Moscheen und ihrer Gottesdienste. Die Prediger könnten ausruhen und noch mehr nachdenken. Diese Demonstrationen können deutlich machen: Wir „normalen Muslime“ haben mit den IS Verbrechern nichts zu tun und wir halten diese Mörder auch nicht für Muslime. Wir verbannen sie, sind aber bereit, Menschen aufzunehmen und zu bilden, wenn sie sich von der Henker-Existenz abwenden. ANTI – IS Erklärungen gab es ja da und dort aus muslimischen Kreisen. Aber was bewirken Worte in diesen bestialischen Zusammenhängen?

Der Sufismus wurde und wird oft als der spirituelle Mittelpunkt eines mystischen, so innig religiösen und deswegen so friedlichen Islams hingestellt. Das wird so sein. Seitdem Zentren des friedlichen und mystischen Sufismus durch Terrormilizen des IS zerstört werden, seitdem bestialische Mordattacken und das Vernichten von wertvollsten Kulturgütern durch islamistische IS Terroristen üblich sind, gibt es immer mehr Fragen, die einfach ernst genommen werden sollen: Offenbar verstehen die Terroristen, dass die Sufis eine menschenfreundliche Religion darstellen, also sollen sie ausgeläscht werden. Und vor allem: Erneut die Frage: Was ist denn nun wirklich wesentlich im Islam? Vielleicht sind die Sufis gar die einzigen wahren Muslime? So, wie die katholischen Mystiker, die sanften und friedlichen, die einzigen wahren Christen waren in Zeiten der blutigen Expansion des Christentums in Afrika und Amerika?

Also: Was ist wesentlich am Islam? Diese Frage scheint in dieser Dringlichkeit neu zu sein und sie sollte mit aller Sorgfalt diskutiert werden. Denn einige radikale („deutsche“, „französische“, „niederländische“ usw.) Kreise in Europa warten förmlich darauf, aus eigenen (innen-) politischen Interessen das Bild der Fremden, auch der „fremden Muslims“ in Europa, so schlecht wie möglich hinzustellen. Damit man wieder ein „abendländisches“, also ein nur europäisches Europa in völliger Abschottung erleben kann…Diese reaktionären Kreise benutzen “den” Islam nur für ihre eigene rigide Haltung. Sie nennen sich Abendländer, haben aber nicht verstanden, dass Abendland zuerst Dialog, Lernbereitschaft und Freundlichkeit bedeutete.

Trotzdem bleibt die Frage:

Viele Beobachter haben seit dem Auftreten der Terrormiliz IS (Islamischer Staat) die fundierte Überzeugung: Der Islam steckt in einer tiefen Legitimationskrise, niemand auch unter den etwas gebildeteren Frommen weiß noch, was nun wesentlich zum Islam gehört, weiß noch, ob denn nun der Koran wesentlich human, wesentlich menschlich für ALLE Menschen ist oder nicht. Ob der Humanismus, also der Respekt vor JEDEM Menschen, Kern des Korans ist oder nicht und ob der Humanismus absolut vor jeder religiösen Lehre steht oder nicht? Dass diese Fragen nach der völligen Vorrangigkeit des Humanismus vor allem religiösen Dogmatismus selbstverständlich mit der gleichen Intensität auch dem Katholizismus, der russischen Orthodoxie, dem (ultra)orthodoxen Judentum oder Kreisen der fundamentalistischen „evangelischen“ Pfingstler gestellt werden müssen, ist völlig klar und sollte geschehen. Nur: In diesem kleinen Hinweis hier geht es nun einmal um den Islam!

„Der Islam, so wie er sich heute als Religion organisiert, kann seine Kernbotschaft nicht mehr kohärent formulieren, vermitteln und begründen. Gilt das Tötungsverbot oder gilt es nicht? Warum machen sich Selbstmordattentäter heutzutage wie eine Pest breit“? Diese und andere weit reichende Fragen stellt der in Kairo lebende Journalist Martin Gehlen in „Der Tagesspiegel“ vom 21. Dezember 2014, Seite 4f. Einige andere Spezialisten gehen noch weiter, wie der Palästinenser Ajhmad Mansour, Mitglied der Islamkonferenz in Deutschland. Er sagte – so zitiert M. Gehlen- in einem SPIEGEL Beitrag: „Die Islamisten haben im Prinzip nichts Neues erfunden. Sie haben die Inhalte des gängigen Islamverständnisses überspitzt und radikalisiert. Ihre Haltung zum Umgang mit Ungläubigen usw. unterscheidet sich vom gängigen Islamverständnis nur graduell, nicht prinzipiell. D.h. diese radikalen Strömungen seien, so wörtlich „in Ähnlichkeit“ zum normalen Islam.

Es sind verstörende, unbequeme Einsichten, die jetzt, beim Erstarken der Terrormiliz IS, über das „Wesen des Islams“ öffentlich gemacht werden, eben von renommierten Islamwissenschaftlern und „Mitgliedern“ der islamischen Gemeinschaft selbst, wie dem Wiener Muslim und Islamwissenschaftler Ednan Askan (geboren in der Türkei). Er hat in „Die Zeit“ vom 17. Dezember 2014 Seite 58 ein hoch aktuelles Interview gegeben. Er sagt im Blick auf die islamischen Gewalttäter, die sich auf den Koran berufen: „Eigentlich müssten wir uns von den religiösen Inhalten distanzieren, auf die gewaltbereite Muslime sich berufen. Wenn wir ehrlich wären, würden wir zugeben, dass wir im Islam seit Jahrhunderten solche (gewalttätigen) Inhalte lehren“. Mit anderen Worten: Prof. Aslan plädiert dafür, bestimmte religiöse Inhalte der Tradition, dann wohl auch aus dem Koran, als nicht mehr relevant, wenn nicht gefährlich beiseite zu legen und künftig als ungültig, weil inhuman, zu betrachten. Ähnliches gilt etwa auch für den verhängnisvollen antihumanen Spruch aus dem Alten Testament, der immer wieder zitiert und im Umgang mit Feinden in Israel und Palästina angewendet wird: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ aus dem Buch Exodus, 21,23–25. Eine Religion, die sich menschenfreundlich nennt und nach außen hin auch sein will, also faktisch Humanismus höher wertet als religiöse Gebote aus uralter Zeit, sollte heute sofort diesen Satz aus dem heiligen Buch streichen und verbannen. Das ist unsere Meinung im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon. Warum müssen alte Religionen vielen alten ideologischen „Schrott“, den man nur nach zweijährigem Studium versteht, mit sich herumschleppen? Wer wagt es denn, in den religiösen Traditionen von wegzuschaffendem Schrott zu sprechen? Wie eingeschüchtert sind eigentlich Theologen? Ist es einzig die unabhängige Philosophie, die klare Worte findet, die viele denken, aber nicht aussprechen können?

Aber, welche Religion hat so viel Mut, sich von den eigenen bösen Traditionen zu trennen und zu sagen: Diese inhumanen Sprüche gehören nicht mehr zu unserem menschenfreundlichen Glauben.

Um noch einmal auf das Interview von Evelyn Finger mit Prof. Ednan Aslan zurückzukommen: „Wir muslimischen Theologen müssen endlich den Mut haben zu sagen, das bestimmte (fundamentalistische) Interpretationen des Islams falsch sind. Inakzeptabel, Das tun wir aber nicht“.

Frage: Warum?

Antwort von Prof. Aslan, Wien: „Weil wir seit dem 17. Jahrhundert keine lebendige Theologie mehr haben, sondern eine Theologie des Krieges, die geistig rückständiger ist als die des 9. Jahrhunderts“..

Aslan fordert weiter, die Auffassungen der alten, immer noch gültigen islamischen Rechtsschulen als überholt zu bewerten …und „sie durch ein aufgeklärtes Islamverständnis zu ersetzen“.

Bis jetzt aber gebe es keine wirksame Theologie gegen die zunehmende Radikalisierung. „Es gibt keine starke Gegentheologie. Die Theologie der Gewalt ist derzeit die (islamische) Religion. Damit muss Schluss sein“.

Die Aufgabe ist gewaltig: Es gilt, die humanistischen Kräfte im Islam, die liberalen Gruppen und die vernünftigen Islam-Wissenschaftler zu stärken und zu schützen. Vor 400 Jahren noch waren viele christliche Theologen Anhänger der Hexenverbrennung und der Vernichtung von Ketzern. Eine halbwegs humane christliche Theologie ist erst entstanden, als sich der Humanismus und der Geist der Menschenrechte durchsetzte, also mit Hilfe säkularer Gruppen fand die christliche Theologie zurück auf die Wege des Friedens.

Die Stärkung der demokratischen Grüppchen einer Zivilgesellschaft in der arabischen Welt wäre wohl in dem Zusammenhang das oberste Gebot.  Damit aus Grüppchen einst mächtige Volksbewegungen werden. Eine Utopie?

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