Ein spiritueller Meister: Roger Schutz (Taizé) zum 100. Geburtstag. Eine Ra­dio­sen­dung

Er ist nur unter dem Namen Frère Roger weltweit bekannt: Der protestantische Gründer eines ursprünglich protestantischen, dann ökumenischen Klosters in Taizé, Frankreich. Am 13. Mai vor einhundert Jahren wurde er in der Schweiz geboren. Die Ra­dio­sen­dung in der Reihe Glaubenssachen von NDR Kultur erinnert an wichtige Beiträge dieses ungewöhnlichen Mönchs, der Kontemplation und Einsatz für eine gerechtere Welt stets als Einheit lebte. Ist sein inzwischen weltberühmtes Kloster Taizé inzwischen zu einem katholischen Ort geworden?

Eine Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn am Sonntag, 10. Mai 2015 um 8.40 auf NDR Kultur.

Vom Recht und von der Pflicht zum Widerstand. Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Weiterdenken: Vom Recht und von der Pflicht zum Widerstand

Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität Berlin.

Die Fragen stellte Christian Modehn

In den Kinos läuft jetzt der „Georg Elser-Film“. Der Regisseur Oliver Hirschbiegel zeigt sehr dicht am tatsächlichen Leben jenen Mann, der sehr früh die Verbrechen des Nationalsozialismus erkannte und mit seinem klug inszenierten Attentat auf Hitler am 8. November 1939 leider dann doch scheiterte.

Nun ist sicher nicht jeder zum Tyrannenmörder berufen. Aber anlässlich des zweifellos großartigen Films könnte sich doch jeder fragen: Gehört zum geistvollen Leben eines jeden Menschen nicht immer auch der Widerstand? Das Nein, um die Menschenrechte in dieser Welt zu schützen und durchzusetzen?

Was an Georg Elser besonders beeindruckt: Er hat als Einzelner gehandelt. Gewiss, er sympathisierte mit der Kommunistischen Partei. Er ging, obwohl Protestant, in München in die katholische Messe. Da waren politische und auch religiöse Prägungen. Dann zeigt der Film aber, wie da ein Mensch nicht nur sieht, was alle sehen konnten: Die Kriegsvorbereitungen, die Verfolgung der Juden, die Hetze gegen die Kommunisten, sondern den Entschluss fasst, zu handeln. Es stand keine Organisation hinter ihm, schon gar keine der Kriegsgegner, obwohl das die Nazis sofort behauptet haben. Er hat aus eigener Einsicht gehandelt, getragen, so könnte ich auch sagen, von einem souveränen Glauben, vom Vertrauen in die Rechtfertigung seines zugleich Schuld auf sich ladenden Handelns. Er hat das durch Hitler und seine Gangster-Bande vor aller Augen verübte Unrecht erkannt und sich deshalb zum Attentat entschlossen, wäre dieses gelungen, es hätte möglicherweise der Holocaust so nicht stattgefunden und der Krieg wäre früher zu Ende gewesen.

Wir wissen das nicht. Aber Menschen wie Georg Elsner oder Dietrich Bonhoeffer zeigen unmissverständlich, dass verantwortliches Handeln aus eigener Einsicht in seine Notwendigkeit möglich ist, wobei wir von Bonhoeffer genau wissen, wie sehr er auch theologisch um die Rechtfertigung, ja, um das göttliche Gebot seines Tuns gerungen hat.

Im November 1939 wusste längst jeder in Deutschland, was mit den Juden geschieht und der verbrecherische Krieg hatte bereits begonnen. Doch zum Widerstand waren nur wenige bereit. Warum? Ich denke, nicht nur deshalb, weil es Mut dazu brauchte, sondern auch, weil es an der Bereitschaft und der Entschlossenheit fehlte, aus eigener Einsicht in das, was Recht ist, zu handeln – und auf die Kraft des Glaubens zu vertrauen.

Ob solche Bereitschaft und Entschlossenheit zu handeln in den politischen, gar gewaltbereiten Widerstand führen muss, ist allerdings eine sehr schwierige Frage. Denn das Widerstandrecht setzt die Aufhebung demokratischer Verfassungszustände voraus. In demokratischen, rechtsstaatlichen Verhältnissen, wie wir sie heute haben, ist die Religion zwar zur öffentlichen Stellungnahme und zur Einmischung in die gesellschaftlichen Belange berechtigt, ja, ich würde sogar sagen, verpflichtet. Es kommt ihr aber nicht zu, die demokratischen Prozesse der Willensbildung, Gesetzgebung und Machtausübung zu umgehen, gar den Einsatz von Gewalt auch nur zu erwägen. In Diktaturen, die das Recht mit Füßen treten und das Leben von Menschen fordern, ist das völlig anders.

Dennoch, auch in demokratischen Verhältnissen geschieht immer wieder so viel Unrecht, das unseren Widerstand herausfordert. Denken wir nur an unser viel zu restriktives Asylrecht, an die vielen Flüchtlinge, die dennoch in unser Land kommen und dann auch hier bei uns wieder um ihr Leben fürchten müssen.

Wir haben uns dieser Tage an die Ermordung des evangelischen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer vor 70 Jahren erinnert. Haben religiöse Menschen, zumal in den christlichen Traditionen, nicht eigentlich eine besondere Sensibilität für politische und soziale Missstände? Ist die Verteidigung der Menschenrechte für sie genauso wichtig wie das Nachsprechen der uralten Glaubensbekenntnisse?

Die Religion hat viele Gesichter. Das war auch zu Bonhoeffers Zeiten so, als die Mehrheit der Protestanten „Deutsche Christen“ waren und aus deutschnationaler Gesinnung Hitler folgten. Bonhoeffer gehörte zur Bekennenden Kirche. Auch die Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche bedeutete jedoch keineswegs die Bereitschaft zum oder gar die Teilnahme am politischen Widerstand. Vielen in der Bekennenden Kirche ging es lediglich um die Wahrung kirchlicher Selbständigkeitsinteressen. Bonhoeffer war anders. Er schloss sich dem politischen Widerstand an, was ihn dann auch zur Mitbeteiligung an dem Attentat auf Hitler führte.

Es war für ihn durchaus schwierig, diese Entscheidung ethisch zu verantworten. Aber er hat sie getroffen, weil er sich, auch eigene Schuld auf sich ladend, um des allgemeinen Wohls und der Rettung unschuldigen Lebens willen, dazu herausgefordert sah. Sein Widerstand war ihm in einem göttlichen Auftrag begründet. Aber er meinte eben deshalb, die Situation, in der es Widerstand bis hin zum Attentat auf Hitler zu leisten galt, als eine Ausnahmesituation auffassen zu müssen. Dass es eine Ausnahmesituation war, ist für uns heute klar. In der Situation selbst war das keineswegs eindeutig, sondern verlangte ein waches, kritisches politisches Bewusstsein. Ein solches Bewußtsein, das können wir Heutigen immer noch von Bonhoeffer lernen, gehört zur Religion dazu, wenn diese zu einem kritischen, prophetischen Handeln befähigen soll.

In Bonhoeffers Augen fehlte es den Kirchen an politischer Wachsamkeit und öffentlich-gesellschaftlicher Mitverantwortung. Auf die bürgerliche Behäbigkeit der Kirchen zielte ja auch die Religionskritik, die er in seinem Briefen aus dem Gefängnis vorgetragen hat. Seine Religionskritik war Kritik an einer selbstgenügsamen Kirche, die im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigt ist, sich um das Seelenheil zu kümmern vorgibt, während sie die zum Himmel schreienden Missstände in Politik und Gesellschaft übersieht, ihre Stimme nicht erhebt, obwohl die Würde von Menschen missachtet und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden..

Mit seinem prophetischen Auftreten ist Bonhoeffer bis heute ein positives Beispiel – auch wenn unser Widerstand gegen eine falsche Politik, sofern wir uns zu diesem aus eigener, freie Einsicht herausgefordert sehen, „durch die Institutionen hindurchgehen“ muss. In einem demokratischen Rechtsstaat ist der politische Widerstand gegen üble Zustände, selbst wenn er sich auf Gottes Willen berufen kann, auf die Schaffung von Mehrheiten und den argumentativ erzeugten Konsens angewiesen.

Offenbar muss die „schweigende Mehrheit“ lernen: Widerstand zu leisten, Nein sagen zum Unrecht, ist eine positive, durchaus auch eine vitale Kraft im Leben. Erschließt sich der Sinn des Lebens und meines Lebens vielleicht erst im Nein? Im Widerstand gegen das Unrecht?

Der Sinn des Lebens erschließt sich mir, wenn ich ganz bei einer Sache bin, wenn ich mich engagiere und das Gefühl gewinne, etwas Wichtiges und Gutes zu tun. Manchmal empfinde ich dieses Gefühl besonders intensiv, wenn ich gegen Widerstände angehen muss, eben weil dies zugleich anstrengend und immer auch gefährlich ist. Besonders, wenn ich mich dabei auf mich allein gestellt finde. Dann gerate ich auch leicht in Unsicherheit: Ist es wirklich richtig, was du da tust? Du könntest ja auch irren. Sehen denn alle anderen gar nicht, dass sie in die falsche Richtung gehen? Oder ist es gerade umgekehrt, dass ich derjenige bin, der sich verirrt hat wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn.

Sich der „schweigenden Mehrheit“ anzuschließen ist in der Regel der bequemere Weg. Aber wachsam zu sein, wo Gefahr droht, gegen Missstände vorzugehen, auch dort, wo ich dadurch in Konflikte mit der herrschenden Meinung oder etablierten Machtstrukturen gerate, macht oft wichtige Veränderungen erst möglich. Nur, ich muss es noch einmal sagen, gerade der Widerstand gegen die massiven Unrechtverhältnisse in unserer Welt kann bei zeichenhaften Handlungen nicht stehen bleiben. Er verlangt den Eintritt in demokratische Prozesse und die Mitarbeit in Institutionen.

Denken wir nur an die nach wie vor Elend, Hunger und Tod verursachenden wirtschaftlichen Verhältnisse der Ungleichheit, wie sie nicht zuletzt durch ein völlig undurchschaubares Finanzsystem gesteigert werden. Das verlangt unseren Widerstand. Aber wenn dieser nicht nur eindrückliche Zeichen setzen will, wie es zuletzt die Occupy-Bewegung getan hat, dann muss versucht werden, auf die Ordnungsstrukturen, die den Weltmarkt regulieren, Einfluss zu nehmen, was wiederum den Aufbau global wirksamer politischer und ökonomischer Institutionen verlangt.

copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin

Ostern – Karfreitag – Karsamstag: “Der ohnmächtige Gott der Liebe”. Von Prof. Wilhelm Gräb

„Der ohnmächtige Gott der Liebe“

Ostern – Karfreitag – Karsamstag: Ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin.

Die Fragen stellte Christian Modehn. Das Interview wurde 2013 veröffentlicht. Wir meinen, es ist nach wie vor wichtig für alle, die nach dem Sinn von Karfreitag, Karsamstag und Ostern fragen. CM am 2. April 2015

Das Osterfest wird in der christlichen Tradition als Ereignis der Auferstehung Jesu begangen. Wie kann die Erfahrung der ersten Christen “Jesus ist lebendig über den Tod hinaus” heute im Blick auf Jesus selbst verstanden werden. Und welche Bedeutung hat dieser Auferstehungsglaube für die religiösen Menschen heute?

Sie formulieren ja selbst schon so, dass das Missverständnis vermieden wird, die Auferstehung Jesus sei ein beobachtbares Faktum gewesen, in dem Sinne, dass der zuvor gekreuzigte Jesus am Ostermorgen seinen Jüngern und Jüngerinnen erschienen und das Grab, in das man den Leichnam gelegt hatte, leer gewesen sei. Es mag sogar alles tatsächlich so gewesen sein wie die neutestamentlichen Texte berichten. Die Behauptung der Tatsächlichkeit des Geschehens sagt aber über dessen religiöse Bedeutung gar nichts aus. Darauf machen die neutestamentlichen Texte selbst aufmerksam, insbesondere Paulus. Das Neue Testament ist im Wesentlichen eine Sammlung von Deutungen des Todes und der Auferstehung Jesu. Nie geben sich die Texte mit der Behauptung des Faktischen zufrieden, immer geht es ihnen um die existentiell-religiöse Bedeutung der Worte und Taten, des Lebens und Sterbens Jesu.

Entscheidend für das Verständnis des Auferstehungsglaubens scheint mir eben diese Unterscheidung zwischen dem Ereignis und seiner Deutung zu sein. Indem Sie, lieber Herr Modehn, davon sprechen, dass es die „Erfahrung der ersten Christen“ war, dass Jesus „über den Tod hinaus lebendig“ sei, nehmen sie diese Unterscheidung ebenfalls vor. Die Überzeugung, die sich den Jüngern und Jüngerinnen Jesu in der Begegnung mit dem irdischen Jesus gebildet hat, war die: Dieser Mensch ist unzertrennbar mit Gott verbunden. Er kann und wird aus dieser Verbundenheit nicht herausfallen. In der Lebensgemeinschaft mit ihm, als die an ihn Glaubenden, kann auch uns nichts von der Liebe Gottes trennen. So die Interpretation des Kreuzes Jesu, explizit durch Paulus: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben… kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8, 38f.)

Der Glaube an die Auferstehung Jesu ist kein Fürwahrhalten eines Wunders, eines Mirakels, also der Wiederbelebung eines Leichnams. Sondern es ist eine persönliche Überzeugung, die ihren biblischen Anhalt an dieser Deutung des Kreuzestodes Jesus hat. Wer zu der Überzeugung kommt, zu der die ersten Jünger und Jüngerinnen und seither viele Christen gefunden haben, dass Jesus lebt, ja, dass er mit seiner Hoffnungsbotschaft in uns selbst lebendig ist, in dem keimt dann möglicherweise auch die Hoffnung auf die eigene Auferstehung. Dann setze ich darauf (was kein Wissen ist und niemals sein kann), dass es nicht unsere menschliche Bestimmung ist, letztlich nur eine „Krankheit zum Tode“ zu sein, sondern Gott uns ewig in seinen „Händen“ hält.

Vor der Auferstehung gedenken Christen am Karfreitag der Kreuzigung und des Todes Jesu. Welchen Sinn hat es heute noch zu sagen: Durch Jesu Blut wurden wir erlöst? Gibt es zugänglichere Aussagen, die andeuten: Dieser Tod hat eine große Bedeutung, weil er auf einen bedeutenden, vielleicht einmaligen Menschen bezogen bleibt?

Die Vorstellung vom erlösenden Opferblut Jesu sollten wir in der Tat ablegen. Sie entspricht auch nicht dem Grundsinn der Deutung des Todes Jesu, die das Neue Testament gibt. Dieser geht selbst dort, wo die Opfervorstellung angesprochen wird, dahin, in Jesu Gang ans Kreuz das Ende aller Opfer zu sehen. Jesus wurde ja nicht zum Opfer gemacht, sondern er hat sein Leben gegeben, sein Leben zum Einsatz gebracht – damit alle, die darauf schauen, das ewige Leben haben.

Diese Bedeutung des Todes Jesu geht aus seinem Leben hervor. Mit seinem Leben hat Jesus gezeigt, was unbedingt wichtig ist und dieser Welt eine gute Zukunft eröffnet: Dass dies die Gottes- und Nächstenliebe ist, dass nur die Liebe zählt, die vorbehaltlose Verbundenheit mit Gott und der Menschen untereinander – unbedingt und radikal, über alles uns Trennende hinweg, unabhängig von unseren religiösen, nationalen, kulturellen Zugehörigkeiten, unserer Hautfarbe und unserem Geschlecht. Diese universale Gottes- und Menschenliebe hat Jesus gelebt. Sie aber vertrug sich nicht mit den Gesetzen und Herrschaftsinteressen in dieser Welt. Sie tut es bis heute nicht. Deshalb musste Jesus sterben. Die Bedeutung seines Todes liegt insofern darin, dass wir die Unbedingtheit seiner liebenden Selbsthingabe erkennen. Sie war für ihn selbst nicht ohne Schmerzen, nicht ohne den tiefsten Schmerz der Gottverlassenheit.

Zwischen Karfreitag und Ostersonntag liegt der “Karsamstag”, ein traditioneller kirchlicher Feiertag, dessen Bedeutung so schwer zu fassen ist. Hegel hat ja in seiner Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie so eine Art Karsamstagsphilosophie angedeutet, indem er auf den alten Liedvers (von 1628) verwies: “O große Not, Gott selbst ist tot”. Ist also der Karsamstag das Fest des – zumindest vorübergehend – toten Gottes?

Blicken wir auf den Menschen Jesus, dann erkennen wir die Bedeutung seines Lebens und seines Sterbens darin, dass er die völlige Verbundenheit mit Gott und der Menschen untereinander gelebt hat, ja, dass er an dieser Verbundenheit festgehalten hat, auch noch als ihn in der Stunde seines Todes das Gefühl überkam, jetzt doch von Gott und aller Welt verlassen zu sein. Gerade im Lichte des Schreis der Gottverlassenheit am Kreuz kann – von Gott aus betrachtet – der Tod des die Einheit mit Gott lebenden Jesus auch als der Tod Gottes gedeutet werden. Das meinte Hegel mit dem „spekulativen Karfreitag“, dass Gott, der das Leben, lebendiger Geist ist, in sein Gegenteil eingeht. Doch nicht um in der bloßen Negativität zu verharren, sondern um sie ihrerseits zu negieren, den Tod in den ihn überwindenden absoluten Geist, in das ewige, alles einigende Leben der Liebe aufzuheben.

So ist Jesus derjenige, der Gott uns als den bekannt gemacht hat, der mit hineingeht in unsere menschliche Situation, auch noch in unser Sterben und unseren Tod, der sogar die Verzweiflung der Gottverlassenheit mit erleidet. Doch nicht, um uns darin allein zu lassen, sondern mit der Hoffnung auf den Sieg der Liebe über den Tod zu erfüllen. Der Gott, der am Kreuz stirbt, ist Gott der Allmächtige. Der Gott, der seit Ostern der Grund unserer Hoffnung ist, ist der ohnmächtige Gott der Liebe, der Gott, der in den Schwachen mächtig ist und den wir in der Kraft eines unwahrscheinlichen Lebensmutes jetzt schon in uns wirksam fühlen. Dieser Gott lässt uns nicht allein, auch wenn wir sterben müssen.

Copyright: Prof. Wihelm Gräb und Religionsphilosophischer Salon Berlin

Attar und Hiob: Wenn die Frommen Gott anklagen. Zu einem Salonabend am 27.3.2015

ATTAR und Hiob: GOTT anklagen angesichts des Leidens

Einige Hinweise für das Gespräch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 27.3.2015

Von Christian Modehn

Wir wollen in gewisser Weise unser Gespräch vom Februar 2015 fortsetzen, darum zuerst einige Hinweise zum islamischen Mystiker Attar aus Nischapur, Persien (1145-1220) und sein Werk „Das Buch der Leiden“. Dabei beziehen wir uns auf die Ausführungen von Navid Kermani „Der Schrecken Gottes“, Becksche Reihe, München 2011. Die Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Buch. —-Zu einer systematischen Reflexion “Über das Böse” klicken Sie hier

Attar war Apotheker, also „Heiler“, in einem Persien, das von den Mongolen bedroht und dann brutal überrannt wurde. In seiner persönlichen wie auch gesellschaftlichen Verzweiflung wendet sich Attar an Gott. Er ist in der damaligen Kultur sozusagen die oberste „Beschwerdestelle“. Aber die islamischen Herrscher dulden die Anklage Gottes nur für einen ganz kleinen Kreis, für die Narren und Weisen. Das normale Volk darf nicht Gott anklagen. In jedem Fall sagt „Das Buch der Leiden“ etwas, was der islamischen Elite nicht gefällt! Sie kennen die Hiob-Gestalt, die im Hintergrund zu Attars Aussagen steht, wohl eher aus dem Koran, dort wird an nur 4 Stellen recht kurz und knapp von dem geduldigen Hiob gesprochen (Sure 38, 41-44; Sure 6, 84; Sure 21,83-84; Sure 4, 16). Attar ist ein Autor (ein Sufi) mit einem umfangreichen Werk, bekannt sind hier auch „Die Vogelgespräche“, die sogar in der Schaubühne (Berlin) aufgeführt wurden. Zur Form von „Das Buch der Leiden“ nur so viel: Es ist eine Seelenreise von 40 Tagen durch den Kosmos auf der Suche nach einem barmherzigen Gott…Der Text liegt in deutscher Sprache in der Übersetzer des berühmten Orientalisten Hellmut Ritter (zu teurem Preis) vor.

„Das Buch der Leiden“

Navid Kermani schreibt: Dies ist ein „Furcht erregendes und verstörendes Stück Weltliteratur“(95). „Erkenntnis wird hier darauf reduziert, die Sinnlosigkeit zu erkennen“. (96). Die Grundaussage ist: Gott quält. Er verachtet das Leiden der Menschen, er ist unbarmherzig, ohne Großmut, Gott erlaubt dem Menschen noch nicht einmal, sich von ihm zu befreien.

„Aber das soll man bloß nicht Gott sagen, dann macht er alles noch hundertmal schlimmer“, sagt ein weiser „Narr“ im Text: „Gott hat mir auf mein Bitten um Brot geantwortet: Ich solle doch Schnee essen. Selbst ein Irrer sagt so etwas nicht“. (S.131)

Wie später auch, etwa bei dem Philosophen Emil Cioran, kommt das Motiv vor: „Es sei ein Nachteil geboren zu sein (98). Der fromme Mensch will „in diesem Leben nicht leben“ (99). „Wer an ein Jenseits glaubt, muss sich eingestehen, dass es nach dem Tod im Himmel mit dem schrecklichen Gott weitergeht“ (100) … und das will man nicht. Es gibt also eine Jenseits-Abwehr bei frommen Leuten.

„Mit Gott geschimpft hat niemand so leidenschaftlich wie Attar“ (170). „Mit Attar wird Gott attackiert, und zwar von einem, der Gott verfallen ist“ (172). „Die meisten Narren Attars klagen ohne Hoffnung. Frieden finden sie nur in der Resignation oder im Irrsinn. Weil Gott für sie der Schrecken ist, fürchten viele Narren gar, das ER sie erhöre, und dann würde er sie noch ärger quälen“ (243).

Im Islam bleibt dieser radikale Protest gegen Gott nur dem Heiligen, dem Propheten und dem Narren vorbehalten, Protest kann nicht Sache aller Frommen sein (209). Und nur in der Mystik ist diese Klage möglich. Im Koran selbst ist diese An-Klage nicht zu finden. (S. 230)

HIOB, aus der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament.

Attar kennt die Geschichte von Hiob (176), aber nicht den Text, wohl kennt er die Erzählung, die mündlich in dieser islamischen Kultur verbreitet wurde. Bei Attar werden viele Hiob Motive des AT variiert. Es ist interessant, dass in der noch recht frühen islamischen Kultur die Kultur der Bibel (AT) irgendwie populär bekannt war. Also religiöse Abgrenzungen nicht so deutlich waren. (182). Unsere philosophische Mitstreiterin Heike schreibt dazu: „Die Hiob Geschichte ist immer weiter geschrieben worden. Die Urform, die Rahmenhandlung als Volksmärchen wurde um 900 v. CHR. aufgeschrieben. Nach der Exilserfahrung (und dem Erleben des Bösen) kam der Teufel in der Erzählung dazu (520 v.Chr.). Und damit ist Gott nicht mehr der Verursacher des Unglücks. Hiobs Monolog und die Gespräche der Freunde entstanden wohl um 450 v. Chr. (Rede Elihus 430 vor) und das Lob der Weisheit um 300 v. Chr. Das Kapitel 28, um Hiobs Begegnung mit Gott vorzubereiten“.

Der fromme und vorbildliche Hiob leidet ohne jeden für ihn erkennbaren Grund. Gott spielt auf Vorschlag des Teufels ein Spielchen mit ihm, will ihn testen.

Kermani meint: Gott straft in diesem Text ohne Ansehen von Sünden, ohne erkennbaren Grund. Gott kann ungerecht sein (S.153). Ein Hinweis auf die Klagelieder des Jeremias. „Du hast ohne Barmherzigkeit Menschen geschlachtet“ (Klagelieder 2.21)

Der Beter des AT klagt nicht nur, er klagt Gott an. Etwa Psalm 88 ist da wichtig.

Einige Zitate:

Hiob 3,11: „Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt…“

Hiob 7,16:“Ich vergehe. Ich leb ja nicht ewig. Gott, lass ab von mir, denn meine Tage sind nur noch ein Hauch“. … 9, 18: „Gott lässt mich nicht Atem schöpfen.. Geht es um Recht, wer will ihn vorladen“ (schon damals die richtige Erkenntnis, wie sinnlos ein Blasphemie Gesetz ist: Gott ist kein Rechtssubjekt und kann es als Gott gar nicht sein).

Hiob 12, 23: „Gott macht Völker groß und bringt sie wieder um“

Hiob 16,11: „Gott mich in die Hände der Gottlosen kommen lassen, ich war in Frieden, aber er hat mich zunichte gemacht. Er hat mich beim Genick genommen und zerschmettert“. Und so weiter und so weiter.

Einer der wichtigsten Texte der Empörung gegen den Gott. Er hat zahlreiche  Autoren, wie Attar, und andere (wie Joseph Roth) zu literarischen Aktualisierungen eingeladen…

Die Übersetzungen aus Hiob stammen aus der LutherBibel, 1985.

Copyright: Christian Modehn Berlin

 

 

Können wir das Böse verstehen? Hinweise zu einem Salonabend über Attar und Hiob

Können wir Böses verstehen?

Einige Hinweise zu einem schwierigen Thema anlässlich des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons am 27. 3. 2015

Von Christian Modehn  —Zu einigen Hinweisen zu Attars Buch der Leiden und zu Hiob klicken Sie hier

Die Texte Attars und Hiobs zeigen: Die ausdrückliche Klage Gott gegenüber, vor allem auch die explizite und heftige ANklage Gottes als eines ungerechten Wesens hinterlässt die Überzeugung: Bei Attar bleibt es – besonders im definitiven Ende, dem Epilog – bei der Verzweiflung angesichts eines eher menschenfeindlichen Gottes. Bei Hiob folgt nach der Anklage Gottes dann doch zum Schluss der demütige Respekt vor seiner unergründlichen Wirklichkeit.

Welche Konsequenzen ergeben sich für eine philosophische, vernünftig argumentierende Lebensweise aus diesen zweifellos schwierigen und verstörenden Texten?

Das Aussprechen der Anklage Gottes kann dem einzelnen Leidenden helfen, zu einer deutlichen Wahrnehmung seiner Situation zu gelangen. Der leidende Mensch hört sich selbst zu; er nimmt wahr, worunter er leidet. Das kann zur Klärung der eigenen Situation führen. Klage und Anklage Gottes sind poetische Formen, denen sich die Reflexion anschließen muss. Sonst bleiben sie bloße Worte der Erregung.

Wenn man aber nach-denkt: Was zeigt sich dann heute? Gott kann in einem reflektierten, vernünftigen Denken und Fühlen nicht direkt als Subjekt angesprochen und einbezogen werden. Warum soll denn Gott gerade nur mich in meiner Not erhören und direkt eingreifend retten und meinen Nachbarn nicht? Ist Gott also eher willkürlich-launig? Ist dies etwa sein Wesen, seine göttliche „Geheimnishaftigkeit“? Doch wohl nicht. Diese Überzeugung zu haben, ist keine menschliche Arroganz, kein Allmachtsgefühl! Sie ist, wenn man es fromm formuliert, Ausdruck der göttlichen Kraft der Vernunft, die Gott der Schöpfer den Menschen gegeben hat. Und diese Vernunft sollen wir „gebrauchen“, weil sie als Gabe Gottes uns auch dem Göttlichen nahe bringt. Totale Beliebigkeit und Willkür entspricht einem tyrannischen Gottesbild. Aber: „Gott ist Geist“, sagt das Neue Testament…Hegel war deswegen überzeugt: Wenn Gott Geist ist, dann ist er auch Vernunft. Aber das ist ein anderes Thema. Die Überzeugung von Gott als dem Wundertäter, der Leiden aufhebt, ist theologisch und philosophisch heute nicht nachvollziehbar.

Aber damit endet nicht das Nachdenken über die Wirklichkeit des Bösen. Denn „Gott“ kann in dieser Debatte mit dem Begriff „Sinn“ übersetzt werden. Dann wird die „Gottes“-Klage zur Klage über den im Augenblick nicht sichtbaren und spürbaren Sinn, also meinen subjektiven Sinn wie den Sinn überhaupt. Dann wird der klagende Mensch deutlich auf sich selbst reflektierend zurückgeworfen. Es kommt nur darauf an, in dieser Situation sich zu vergewissern: Auch in der Suche nach dem Sinn weiß ich implizit, dass es Sinn gibt. Ich habe ihn ja früher einmal erfahren, ich habe mich an ihm erfreut. Nun ist er entschwunden. Ich kann nur klagen und suchen, weil ich weiß, was ich suchen kann: den Sinn, der mich immer noch auch im verzweifelten Suchen hält. Gottesklage wird zur Sinnsuche. Dadurch wird das Thema besprechbar und in die Argumentation gezogen. Es werden nicht mehr fromme Geschichten erzählt oder autoritäre Weisungen der Vertreter Gottes auf Erden gegeben. Denn der Übergang von göttlichem Wort zu amtlich interpretierten Wort des „Klerus“ ist immer da und fließend. So aber wird ein freier Raum geschaffen in der Erkenntnis: Wir selbst suchen selbständig verzweifelt nach Sinn, weil wir immer noch in ihm stehen und leben, und weil wir ihn einmal in ganzem Licht erlebt haben. Ob wir zu diesem Sinn sprechen (beten) können, ihm Worte der Poesie „widmen“, ist eine andere Frage. Wer aber den Sinn als personal – wohltuende Wirklichkeit erlebt, kann sich dann durchaus zu diesem Grund des Lebens (das ist der Sinn) poetisch verhalten. Oder er kann auf dieser Reflexionsstufe das Symbol „Gott“ (mit dem verwandelten Inhalt) wieder vorsichtig verwenden. In jedem Fall zeigt mir die verzweifelte Suche nach Sinn, nach dem tragendem Grund: Ich habe noch Widerstandsreserven bei mir, das zeigt mir allein schon die Leidenschaft der Frage .Ich bin auch in der Sinn-Suche noch immer vom Sinn als Grund des Daseins getragen.

Manche stellen sich die Frage: Leide ich, weil ich Böses getan habe? Straft mich Gott? Am wichtigsten ist es in einer philosophischen Lebensform, diese volkstümliche Überzeugung abzuweisen: Gott greift nicht als ein strafendes Subjekt aus Himmelhöhen ins Weltgeschehen, in mein kleines Leben, ein. Er bestraft nicht den angeblich oder tatsächlich moralisch böse handelnden Menschen, er bestraft nicht die Welt (-Gesellschaft) mit schlimmen Naturkatastrophen. Das ist ein zu personales, wir meinen infantiles Gottesbild. Die Naturkatastrophen gehören zur bleibenden Unvollkommenheit dieser Welt (und der Erkenntnis des Menschen): Wer in der Welt lebt, muss diese Unvollkommenheit dieser Welt annehmen. Sie ist sozusagen die kosmische Seite der ebenso unveränderbaren menschlichen Endlichkeit, Sterblichkeit. Die wir auch als solche annehmen müssen als Struktur unserer Weltverbundenheit. Das unübersehbare Durcheinander der Natur (Natur ist keineswegs immer verzückend und verzaubernd, wie einige Romantiker glaubten und glauben) gehört zur Struktur der Welt. Diese gegebene Struktur pauschal als „die beste aller denkbaren Welten“ (Leibniz) vorzustellen, führt nicht weiter. Der zwiespältige Zustand der Natur kann nicht verändert werden. Er bleibt die bleibend offene Frage. Diese offene Frage als Existenz-Form anzunehmen ist wohl die entscheidende Leistung eines jeden reifen Menschen. Zum „moralisch Bösen“ siehe Punkt 3.

Wie können wir noch aktiv agieren, wenn sich Sinnloses und Vernichtendes in unserem Leben zeigt: Ein extremes Beispiel: Menschen können inmitten höchster Not und schlimmsten Leidens doch noch rettend, für andere, Nachkommende, sich verhalten. Ich denke etwa an den 11. September, und da besonders an den „flight 93“. Die Piloten wussten bereits kurz nach dem Start, dass andere Flugzeuge in die Tower mit hilflosen Opfern rasten. Diese Piloten verhinderten einen offenbar geplanten Absturz ihrer Maschine im Washingtoner Regierungsviertel und stürzten hingegen auf einem freien Feld ab. Das heißt: In größter Not und größtem Leid kann noch der Verstand bewahrt werden und eine schlimme Massen-Katastrophe verhindert werden, in der Bereitschaft, sich selbst dabei zu opfern.

Das zeigt: Das Böse als erfahrbare Welt-Wirklichkeit hätte wohl kaum eine solche Übermacht in der Gesellschaft und den Staaten, wenn alle Menschen ihre Augen und ihren Verstand vor dem (sich anbahnenden) Bösen offen halten… und widerstehen.

Beispiel: Wie viele Millionen Menschen haben zu Beginn der Nazizeit aus Feigheit und Dummheit weggesehen?

Es hilft ja auch nicht, nach einem Tsunami-Vorfall Gott anzuklagen, wenn etwa dabei Atomkraftwerke zerstört werden. Sinnvoll ist hier nicht die Gottes-An-Klage, sondern die Frage: Wie kommen wir von der Atomkraft los? Wer hat das veranlasst, dass direkt am Meer, etwa in Japan, AKWs gebaut wurden.

Wichtig ist es auf das Wesen der menschlichen Freiheit zu achten und dabei die Frage nach dem „moralisch Bösen“ zu bedenken. Da kann eine Überlegung von Kant hilfreich sein: Im April 1792 publizierte er in der „Berlinischen Wochenschrift“ den Beitrag: „Von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem guten“ (im Menschen). Veröffentlicht dann als erstes Stück in dem immer aktuellen Buch „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“, Königsberg, 1793. In der Meiner Ausgabe: S. 21 ff.

Nur so viel: Aufgrund der Freiheit des Geistes gibt es – für Kant – einen „Hang“ zum Bösen im Menschen, dieser Hang, diese Tendenz, zeigt sich, wann immer von den vernünftigen Maximen des moralischen Gesetzes abgewichen wird. Dieser Hang zum Bösen als Möglichkeit der Freiheit äußert sich für Kant in Selbstliebe, Eigendünkel, kurz: als bewusste Zurückweisung, dem Spruch des Kategorischen Imperativs zu entsprechen. Diese Möglichkeit, aus freier Reflexion unvernünftig und unmoralisch zu handeln, wurzelt in der Tiefe der menschlichen Freiheit. Freiheit ist also das erste, das Bösesein-Können und tatsächliche böse Leben ist das Zweite. Grundlegend ist die Anlage zum Guten; der Hang zum Bösen ist eine Konkretisierung der Freiheit. Nun hat – theologisch gesprochen – Gott diese Freiheit geschaffen, die in sich die Möglichkeit des Bösen enthält: Hat Gott also dann letztlich doch das Böse mit-geschaffen? Diese Frage zeigt, wie das Denken da an Grenzen stösst.

Auf das kritische Denken kommt es an, auf die vernünftige Fähigkeit, Widerstand zu leisten, wo immer Böses sich zeigt. Ohne dabei zu glauben, dass definitiv Böses aus der Welt geschafft wird. Aber dieser Widerstand kann als Ausdruck der Kraft des Geistes verstanden und erlebt werden: Gibt es Schöneres?  Wer ständig bei diesen Fragen Gott ins Spiel bringt, folgt Phantasien, verbreitet Nebel, erzählt Mythen, analysiert (sich selbst und den Weltzustand) nicht klar. Wobei letzte Klarheit als Durchschaubarkeit niemals erreichbar wird bei dem Thema Freiheit und das Böse. Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie hat also bei dem Thema die Aufgabe, Gott als Argument eher außen vor zu lassen. Philosophie kann begründen, warum es richtig ist, ihn außen vor zu lassen… Philosophisch ist es wohl so: Je mehr wir lernen, die Ursachen des Bösen zu erkennen und verzichten, das Böse religiös/mystisch zu verfärben, um so eher könnte den bösen Tendenzen Einhalt geboten werden.

Wer den SINN als die Basis seines Daseins wahrnimmt, kann sich auch zu dem alles Tragenden Sinn positiv verhalten. Warum nicht: Er kann sich diesem Sinn poetisch nähern, dankend, dass es ihn gibt. Denn das Erfahren, vom Sinn des Ganzen getragen zu sein, wird oft als Geschenk erlebt.

Welche Bedeutung hat dann noch die religiöse Poesie, etwa, wie sie Attar und Hiob vorlegen?

Deren Anklagen Gottes sind verschleierte Anklagen gegen die umgebende Gesellschaft, die als autoritäre Organisationen den Menschen keinen freien Lebensraum lassen. Oder es sind Klagen, dass sich der Sinn momentan entzieht, dass sie ihn aber einmal erlebt haben, denn sonst wüssten sie gar nicht, wonach sie schreien.

Jedenfalls wird man philosophisch nie zu einer schlüssigen und allseits und immer geltenden „Lösung“, Antwort kommen. Denn diese Frage nach dem Sinn des Ganzen bezieht sich eben wirklich auf das Ganze, das Alles- Begründenden, also jenes, das die Religionen Gott nennen. Dieses Ganze und Gründende (Gott) kann der erkennende Mensch, eben weil es das Ganze und Gründende ist, nie erkennend umfassen. Das heißt: Diese Frage bleibt offen. Das Ganze und Gründe kann philosophisch nur berührt, nicht aber definiert, also bestimmt (umfasst) werden.

Mit anderen Worten: Die Frage nach dem Sinn des Ganzen bleibt wesentlich das, was man philosophisch Geheimnis nennt, niemals total aufzuklärendes Gründendes. Insofern ist der erkennende Mensch immer wesentlich auf das Geheimnis verwiesen bzw. mit ihm verbunden.

Wenn Religionen behaupten, sie hätten die Antwort auf das, was das Geheimnis (Gottes) ist: Dann sind diese Antworten eben Antworten frommer und selbstverständlich ernst zu nehmender Menschen: Sie sagen unreflektiert, was sie erlebt haben, etwa die Autoren der Bibel und anderer heiliger Bücher. Sie machen Vorschläge, die beachtet werden können: Etwa die Botschaft Jesu: Gott, das Gründende, der tragende „Sinn“, ist wesentlich Liebe. Es steht jedem Menschen philosophisch natürlich frei, dieses Angebot spiritueller Menschen persönlich geistig und umfassend im eigenen Leben zu prüfen. Das Gefühl, von einer letzten Liebe getragen zu sein, TROTZDEM und TROTZ ALLEM, kann sich dann einstellen. Davon berichten viele Menschen, die als Märtyrer der Menschenrechte (!) ihr eigenes Leben (und nicht wie die Selbstmordattentäter auch noch das vieler anderer Unschuldiger) opfern, etwa die Widerstandskämpfer gegen Hitler, Dietrich Bonhoeffer, Widerstandskämpfer gegen moderne Verbrechersysteme, wie in El Salvador der selige Erzbischof Oscar Romero. Aber auch diese Menschen haben erlebt: Eine definitive runde und umfassende Antwort auf das Böse gibt es nicht. Und Gott kann nicht dazu missbraucht werden, unsere Wünsche nach umfassenden Antworten zu befriedigen. Gott ist bleibend Geheimnis, wie das Leben selbst bleibend Geheimnis ist. Wer solches sagt, weiß, dass Gott Geheimnis, das ist etwas anderes als eine fromme Vision.

Copyright: Christian Modehn, geschrieben am 31.3.2015

 

 

Theresa von Avila 500. Geburtstag: Mystik bricht aus dem religiösen System aus

Theresa von Avila und „Die mystische Fabel“

Ein Hinweis zum 500. Geburtstag der Mystikerin und eine Erinnerung an Michel de Certeau SJ

Von Christian Modehn

Theresa von Avila ist eine große Autorin, eine inspirierende Mystikerin, wohl auch heute.

Aber was heißt eigentlich „Mystik“? Welcher Sprache begegnen wir dann? Welche Lebenserfahrungen sind prägend? Wer darf sich Mysteriker, Mysterikerin, nennen oder darf so von anderen genannt werden?

Fragen, die anlässlich des 500. Geburtstages der Karmeliter-Nonne Theresa von Avila (28.3.1515 – 1582) wichtig sind, aber unseres Wissens im Umfeld dieses Gedenktages nicht (so oft) behandelt werden. Wie umfassend darf an kirchlichen (römischen) Gedenktagen gedacht werden?

Hilfreich sind immer die Studien des französischen Intellektuellen und Jesuiten Michel de Certeau (1925-1986). Wenn jemand die französische Ehrenbezeichnung „Intellektueller“ verdient, dann wohl er, der Historiker, Psychoanalytiker, Linguist, Theologe. Er hat unter anderem das (auch auf Deutsch vorliegende) Buch veröffentlicht “La Fable Mystique“, 1982 erschienen. 2013 wurde dann ein 2. Band publiziert: La Fable Mystique, II, Édition établie et présentée par Luce Giard, erschienen bei Gallimard, 392 p., 22,90 €. Luce Giard ist eine hervorragende Kennerin des Werkes de Certeaus.

Certeau spricht von „Fabel“, um das Sprechen und Briefe-Schreiben der Mystiker des 16. und 17. Jahrhunderts zu bezeichnen, und er meint damit: Es gibt bei den Mystikern eine bemerkenswerte Erfindungsgabe der Sprache. Sie sagen alles, „von dem man sagt, es nicht sagen zu können“ (so Johannes vom Kreuz, ein Mitstreiter und Freund Theresas, auch er ein Meister der Sprache, ein Poet). De Certeau zeigt, dass die Mystik (ein Wort, das vor dem 16. Jahrhundert unbekannt war, meint er) eine Art „paradoxe Wissenschaft“ sei, weil sie in neuer Sprache, befreit von der Last der klassischen Theologie und ihrer Systeme, wieder unverbraucht Wesentliches sagt. Die Welt der Mystiker dieser beiden Jahrhunderte ist erschüttert: Politischer Absolutismus, neue Welten („Amerika“), Wissenschaften, rationale Philosophie, Übersetzungen der Bibel etc…

Die Mystiker erleben diese neue Welt und wollen als Glaubende dieser erlebten neuen Welt Ausdruck geben. Es ergibt sich so eine „Befreiung der Stimme der Frauen“, ein Gespür für die Bedeutung der Subjektivität. Die alte Welt wird als untergehende erlebt, von der neuen Welt wird in neuer Sprache gesprochen, nicht in einer Geheimsprache, betont de Certeau. Es wird mystisch das NEIN gepflegt, das Nein zum alten System-Denken, es wird der alte religiöse Raum leer geräumt, zugunsten des NICHTS (vor allem bei Johannes vom Kreuz). Alte Sicherheiten zerbrechen, das Gehaltensein im Nichts als „dennoch“-Gehaltensein kann zum Glaubensausdruck werden.

Wer würde diese Gedanken nicht modern, also zeitgemäß finden? Bloß wo sind die Mystiker heute? Gibt es sie noch etwa unter den vielen tausend Nonnen der Unbeschuhten Karmelitinnen, also jenes Ordens, den Theresa unter Leiden und Not (drangsaliert von den reformunwilligen Nonnen) gegründet hat? Der Katholizismus hat „MystikerInnen“  in seinen Reihen, bloß die kommen nicht zu Wort, melden sich nicht, schweigen. Weil sie nichts zu sagen haben? Weil die Orden ihre beste Tradition aufgegeben haben und nicht mehr mystisch sind und bestenfalls historische Studien publizieren? Oder weil sie ihre vielleicht provozierende mystische Einsicht nicht sagen dürfen? Etwa: Dass wir vielleicht mehr an das Nichts, die Leere, als an den so lieben und allmächtigen und gerechten Gott denken sollten? Dass wir die Sprache des Schweigens üben und hören sollten als das viele religiöse Gerede, diese routinierte Fortsetzung von frommen Sprchen und Floskeln.

Vielleicht noch ein Hinweis zu dem empfehlenswerten Buch „Michel de Certeau“, herausgegeben von Marian Füssel, erschienen UVK Verlagsgesellschaft, 2007.

Aus dem Beitrag von Koenrad Geldof nur einige markante Sätze, immer bezogen auf das Werk de Certeaus selbst, als Einladung weiterzuforschen:

„Der Geburtsort der Mystik ist die Ruine“ (S. 138). „Die Mystik existiert gerade dank des Fehlens ihres Objektes Gott. Sie sehnt sich nach dem Abwesenden, aber ihre Sehnsucht kann und wird nie erfüllt werden: Diese Unmöglichkeit ist der Grund, aus dem die Mystiker sprechen und schreiben“ (S. 139).

„Der Mystiker ist dazu verdammt, ICH zu sagen, um im Namen seiner selbst sprechen zu können“ (S. 141).

Und Daniel Bogner schreibt in dem genannten Buch: “Wahrheit gibt es für die Mystiker nicht mehr als eine von der kirchlichen Institution treuhänderisch verwaltete und abrufbar bereitgestellte Wahrheit“ (S. 312). Wird man solche Sätze hören bei den nun einmal nicht ausbleibenden Jubelfeiern und Festgottesdiensten zu Ehren der Theresa von Avila. Papst Paul VI. hat 1970 diese unbequeme Frau und Kritikerin gar zur offiziellen Kirchenlehrerin ernannt. Wollte er diese radikale Theologin und Nonne besänftigend „eingemeinden“? Oder rechnete er damit, dass radikale Worte der Gottesferne und des Nichts wirklich in die Mitte des christlichen Glaubens und der römischen Institution gehören?

Dieser Beitrag bedarf einer Ergänzung:

Ich habe als Hörfunk und Fernseh-Journalist (RBB) im Karmelitinnen Kloster Regina Martyrum in Berlin Ordensfrauen getroffen, die durchaus von einer Weite des Denkens und des mystischen Erfahrens geprägt sind und dies auch so sagen. Ob alle Karmelitinnenklöster in Deutschland von diesem offenen Geist geprägt sind, ist eine andere Frage.

Einige Zitate aus verschiedenen Ra­dio­sen­dungen von mir.

Schwester Maria Theresia sagt zum Beten für andere Menschen: „Für andere beten, das heißt zunächst einmal von anderen wissen. Und nicht nur theoretisch, sondern auch direkt, persönlich, und auch die Lage von anderen Menschen, sich selbst unter die Haut gehen lassen. Es ist eine gewisse Solidarisierung. Das ist so etwas wie das Halten einer Hand, wenn wir sagen: Ich denke an dich“.

Die Gründerin des Karmelitinnenklosters in Berlin ist Schwester Gemma Hinricher, zuvor lebte sie im Karmel am Rande des ehem. KZs Dachau: Schwester Gemma ist 1990 verstorben, sie war in Berlin als geistliche Lehrerin sehr angesehen, ie sagte mir in einem Interview in Plötzensee:

„Es ist für die Karmelitinnen ganz wesentlich die Ausrichtung auf Gott und zugleich die Ausrichtung auf die Menschen. Ich glaube, dass wir teilnehmen an der Glaubensnot unserer Epoche. Dass wir ja in welcher Form auch immer auch ein Stück Gottferne erfahren. Es ist wichtig zu betonen, dass es uns da nicht besser geht, dass wir auch angefochtene Menschen sind und verletztliche Menschen, dass uns nicht alles zufliegt mit Heiterkeit“.

Gelegentlich besuchen auch Agnostiker und Atheisten den Berliner Karmel, so etwa Gita Neumann, Psychologin und Mitarbeiterin des Humanistischen Verbandes im Rahmen eines Filmes, den ich fürs ERSTE drehte. Gita Neumann fragte Schwester Maria Theresia:. „Betet man irgendwie zu Gott, zu Jesus, zu einer übergeordneten Instanz? Sind Sie der Meinung, dass da auch Wünsche auch irgendwo ankommen?“ Darauf die Karmelitin Schwester Maria-Theresia: :

„Ich muss gestehen, ich teile diese Frage auch. Für mich ist dieses Beten in eine gewisse Leere hinein wie ein Gottesbeweis. Weil ich mir sage: Eine fassbare Antwort, das ist nicht mein Gott. Es muss immer etwas bleiben, was geheimnisvoll ist, was scheinbar sogar das Gegenteil sogar von dem Erbeteten ist. Dieses durchkreuzende Moment von Gebeten führt mich, wenn ich ehrlich bin, letztlich weiter. Ich möchte darauf hin leben, dass ich Gott größer sein lasse als meine Gebete.“

In einem Beitrag über die spirituellen Dimensionen der Nacht konnte ich auch Schwester Maria Theresia zu dem Thema befragen: „Das beste Nachtgebet ist für mich, das, was am meisten mich selbst einsammeln kann, wo ich am meisten drin bin. Das ist überhaupt kein Gebet im üblichen Sinn. Das ist vielleicht ein Fallenlassen, ein Loslassen. Eine Einwilligung, in das, was jetzt gerade mein Leben ist, weil ich jetzt mal gerade so ganz zu mir kommen kann. Und ich denke, dass ist dann beste Gebet, auch wenn ich in dem Moment gar nicht merke, dass ich bete”.

Copyright: Christin Modehn Berlin

 

Ein etwas anderer philosophischer Salon: Eine Begegnung von Niederländern und Deutschen am Freitag, 17. April 2015

Ein „etwas anderer“ philosophischer Salon…

…am Freitag, den 17. April 2015 ab 18. 30 Uhr im Kulturzentrum Afrikahaus, Bochumerstr. 25, Stadtteil Tiergarten.

An dem Tag kommen 10 Mitglieder eines philosophischen Salons aus Amsterdam nach Berlin. Er findet statt in der philosophisch interessierten protestantischen, liberal-theologischen Kirche der Remonstranten. (Siehe:   http://www.vrijburg.nl/ )

Wir wollen gemeinsam Vegetarisches essen, nach afrikanischem Rezept, und ein Gläschen Wein trinken und uns danach weiter austauschen. Der Leiter der Amsterdamer Gruppe, der Philosoph Pieter Jan André, wird auf die Aktualität des „Sokratischen Gespräches“ hinweisen. Und Christian Modehn wird einige Fragen stellen über die Bedeutung des NEINSagens und des Widerstands in der Philosophie. Aber abgesehen davon: Es gibt genügend Zeit sich auszutauschen und persönlich kennen zu lernen. „Gezelligheid“ ist das entsprechende holländische Wort.

Wegen der Vorbereitung des afrikanischen vegetarischen Essens durch den Leiter des Afrika Hauses, Herrn Diallo, bitte ich bis zum 13. 4. um eine definitive Anmeldung: christian.modehn@berlin.de

Der Eintritt ist frei. Das Essen kostet 4,50 Euro., auch die div. Getränke sind „bezahlbar“.

Start um 18.30 Uhr. Das Afrika Haus in der Bochumer Str. 25 befindet sich dicht am U Bhf Turmstr., Ausgang Alt –Moabit.