„Mit Platon in Palästina“. Das neue Buch von Carlos Fraenkel.

„Mit Platon in Palästina“.

Das neue Buch von Carlos Fraenkel hat den Untertitel: „Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt“

Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Dieses Buch liest man mit Begeisterung, weil man entdeckt: Philosophie ist tatsächlich mehr als die allzu oft „abgehobene“ Forschung und die elitäre Debatte in den notwendigerweise begrenzten Räumen der Universitäten. Der Philosoph Carlos Fraenkel (geb. 1971), aufgewachsen in Brasilien und Deutschland, jetzt Professor an der McGill University in Montreal, hat Philosophie an der Basis erprobt, unter benachteiligten arabischen Studenten der al-Quds Universität in der Nähe von Jerusalem oder mit Studenten (der Alauddin state Islamic University) auf der eher entlegenen Insel Sulawesi, Indonesien, aber auch mit philosophischen „Laien“, wie Fraenkel sagt, hat er philosophiert, etwa in Brooklyn mit ultra-Orthodoxen Juden, mit Mitgliedern des Mohawk-Volkes oder in Brasilien mit Oberschülern. Es ist schon erstaunlich, wenn nicht vorbildlich, wenn ein junger Philosoph sich „in die Fremde“ begibt, weil er zurecht vermutet, dass er fragend und suchend dort vielleicht mehr lernt als in ein paar Monaten in einer kanadischen Bibliothek. Diesen „Ortswechsel“ der Philosophie sollte man viel breiter diskutieren … Das Thema “Philosophie in Brasilien” (S. 91- 111) könnte wenigstens am Rande noch einmal aktuell werden, wenn in 2016 dort die Olympiade stattfinden soll. Es wird sich doch nicht jeder und jede hoffentlich nur für den Sport in Brasilien interssiere…

Der Anfang einer Basis-Beziehung der Philosophie ist gemacht, durch Carlos Fraenkel! In Deutschland, so mein Eindruck, sicher auch in Frankreich, überlässt man das Philosophieren an der Basis bisher den freien, d.h. frei- beruflichen Philosophen. Bestens bezahlte Universitätsprofessoren lassen sich an der Basis äußerst selten „blicken“, verachten gar diese elementare Form der Philosophie, und das ist das Philosophieren. Hoffentlich lesen die etablierten deutschen Professoren das Buch von Fraenkel und lassen sich zu neuem Denken bewegen! Sie sollten doch mal nach Holland schauen: Dort gibt es seit vielen Jahren, immer im April, den „Monat der Philosophie“ („Maand van de filosofie“) unter reger Beteiligung der denkenden “Laien”, begleitet von Universitätsprofessoren; eine leider weithin unbekannte Erfolgsgeschichte. In diesem Jahr 2016 ist das Thema in Holland, klug gewählt, „Grenzen“. Ich habe vor einigen Jahren über diesen “maand van de filosofie” berichtet, ohne sichtbare Wirkungen. Leider! Zur Lektüre dieses Beitrags von 2011 klicken Sie bitte hier.

Was Carlos Fraenkel in den mehrwöchigen Workshops erlebt hat, welche Themen debattiert wurden, beschreibt er im ersten Teil des Buches in sehr lebendiger, gut nachvollziehbarer Sprache. Man nimmt förmlich teil an der leidenschaftlichen Abwägung der Argumente, sieht aber auch, wie schwer oft kulturelle oder religiöse Traditionen das kritische Denken „bremsen“. Carlos Fraenkel hat das große Glück, sehr gut die muslimischen Philosophen des 10. Jahrhunderts – natürlich auf Arabisch – interpretieren zu können, genauso wie die jüdischen Philosophen aus der Zeit, als etwa in al andalus (Anadalusien) ein tolerantes Miteinander von Muslims, Juden und Christen möglich war. Dass er die europäischen und amerikanischen Philosophen kennt, ist sowieso klar. Erfreulich in unserer Sicht ist, dass die lateinamerikanische Theologie der Befreiung wenigstens erwähnt wird. Da hätte man sich „mehr“ gewünscht, zumal es auch die „Philosophie der Befreiung“ gibt… In seinen Workshops ist Fraenkel nicht als Besserwisser aufgetreten, sondern als Gesprächspartner. Er wollte das gemeinsame Suchen und Fragen einüben, eine Kultur fördern und pflegen, die das Debattieren als einen der höchsten Werte schätzt: Nur wer in der Debatte seine eigenen Überzeugungen kritisch betrachtet, stagniert nicht, er wächst und nähert sich der je größeren Wahrheit.

Im zweiten Teil seines Buches plädiert Fraenkel, die „Basis-Erfahrungen“ im Hinterkopf, dafür dass die Förderung einer Debattenkultur weltweit so wichtig ist. Und er sieht zurecht, dass da die Philosophen eine riesige Aufgabe hätten, wenn sie denn diese Debattenkultur an der Basis fördern und begleiten würden. Fraenkel zeigt, wie jeder Mensch naturgemäß seine festen Überzeugungen hat, ja diese durchaus braucht zur Orientierung im alltäglichen Leben. Aber das Festklammern an den überlieferten Überzeugungen ist gefährlich, weil das geistige Leben im sturen Nachsprechen traditioneller (Glaubens)-Formeln erstarrt. Auf die Debattenkultur kommt es an, durchaus auch auf Streit, als Austausch von Argumenten. Fraenkel schreibt, bei allem Respekt vor der Relativität der je eigenen Meinungen, dass man nur in der Streitkultur „der Wahrheit näher kommen kann“ (S. 194).

Man würde sich wünschen, wenn Fraenkel in einem nächsten Buch die Frage aufgreifen könnte: Was aber tun wir mit Menschen, die sich jeder Debatten-Kultur entziehen? Die sich selber aussperren aus der Öffentlichkeit? Man muss ja nicht nur an IS denken, sondern an die vielen anderen ideologisch und/oder religiös-fundamentalistisch Verblendeten. Wird man diese Menschen erst dann wieder in eine Debattenkultur einbeziehen können, wenn sich die materiellen/sozialen Verhältnisse so weit verbessert haben, dass sie sich ökonomisch gerecht behandelt fühlen? Welche Fehler werden gemacht, wenn man rechtslastige Kreise von öffentlichen Debatten bewusst ausgrenzt? Verstärkt man dadurch das sektiererische Sich- Abgrenzen dieser Leute?

Aber abgesehen von diesen „schweren“ Debatten-Projekten: Es wäre viel gewonnen, wenn die liberalen, gebildeten Schichten überhaupt viele freie (natürlich angenehm gestaltete) Räume vorfänden für die Pflege der Debatten, gerade in Großstädten wäre das so geboten! Warum kann es nicht „Häuser der Philosophie“ geben, wo sich doch mit großer Selbstverständlichkeit „Literaturhäuser“ längst etabliert haben? Warum könnten da nicht erfolgreiche Verlage als Initiatoren auftreten? Es muss ja nicht gleich ein Haus sein, eine hübsche Etage wäre schon prima….

Diese Fragen werden zurecht angestoßen durch die Lektüre des wichtigen Buches von Carlos Fraenkel, das ja den Untertitel hat: “Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt“. Über den Begriff „Nutzen“ könnte man in diesem philosophischen Zusammenhang natürlich weiter diskutieren: Ist Philosophie einsetzbar in gewisse „Nützlichkeits-Erwägungen“, oder ist sie eher hilfreich, inspirierend, erschütternd? In der englischen Ausgabe kommt das Wort „Nutzen“ auch nicht vor. Gut so.

Carlos Fraenkel, „Mit Platon in Palästina. Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt“. Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Fienbork. Carl Hanser Verlag, 2016, 240 Seiten, 19,90 €.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Aktualisiert am 10. August 2016 durch CM

Ist Gott bald obsolet? Die Übersetzung eines Beitrags von André Comte-Sponville

Ist Gott bald obsolet, überholt und altmodisch?

Ein Beitrag von André Comte-Sponville, Philosoph in Paris

Aus dem Französischen Übersetzt von Christian Modehn

Dieser Beitrag ist im Magazin „Le Monde des Religions“ (Paris) im März 2016 erschienen. Diese Zeitschrift ist konfessionell-unabhängig, sie gehört zur Verlagsgruppe von Le Monde und ist an vielen Kiosken und in Buchhandlungen in Frankreich, auch der Schweiz, selbst in Québec, zu finden. Diese alle 2 Monate erscheinende Zeitschrift sollte eine Inspiration sein für Verleger und kompetente Journalisten zu Fragen der Religionen in Deutschland, endlich auch hier eine Zeitschrift zu machen, die den Namen “öffentlich”  verdient und eben an Kiosken und in Buchhandlungen zu haben ist. Natürlich auf hohem, aber “nachvollziehbaren” Niveau. Und völlig unabhängig von jeglichem Einfluss einer Religion oder Kirche.

André Comte-Sponville ist einer der wichtigsten französischen freien Philosophen und international geschätzten philosophischen Autoren. Er bekennt sich selbst zum Agnostizismus, er befasst sich mit der eigentlich selbstverständlichen Spiritualität von und für Atheisten und Agnostiker. Dass es Spiritualität von und für Atheisten gibt, ist evident: Jeder Mensch hat als „Geist-Wesen“ (Spiritus) eben auch seine eigene Spiritualität, wie bescheiden und alltäglich sie auch sein mag. Ich habe André Comte-Sponville vor 8 Jahren in Paris interviewt, ich hatte starkes Interesse, mehr zu erfahren, dass es Spiritualität eben auch für und von Atheisten gibt. Danach erschien in der Zeitschrift PUBLIK-Forum mein Beitrag, der durchaus die Diskussionen zum Thema belebt hat, zur Lektüre klicken Sie hier.

Der Beitrag von André Comte-Sponville aus der empfehlenswerten Zeitschrift “Le Monde des Religions”:

Nietzsche hat sich also getäuscht. Gott ist nicht tot, da Milliarden von Individuen noch an Gott glauben. Von denen sind aber viele bereit zu sterben, das heißt zu töten, leider, für ihren Glauben an Gott. Mehr als ein Jahrhundert nach der Veröffentlichung von „Also sprach Zarathustra“ gibt dies zu denken: Sowohl über die Blindheit der Philosophen wie über die Vitalität der Religionen.

Vermeiden wir es trotzdem, von einer Übertreibung in die andere zu fallen. Wer von der Rückkehr des Religiösen spricht, wie es viele tun, meint nur eine Übertreibung. Der Anteil der Gläubigen in der Welt, selbst wenn sie weithin die Mehrheit bilden, tendiert doch dazu, eher geringer als größer zu werden. Mehr als die Hälfte der Franzosen beziehen sich heute auf keine Religion. Es gibt nicht mehr als 4 Prozent der Katholiken, die sonntags in Frankreich zur Messe gehen. Selbst in den USA, die so viel religiöser sind als die europäischen Länder, gibt es den Atheismus und den Agnostizismus als die am meisten wachsenden spirituellen Strömungen. Der Anteil der Nordamerikaner, die sich „ohne Religion“ nennen, ist von 2 Prozent im Jahr 1960 auf 16 Prozent im Jahr 2014 gestiegen.

Was wir seit etwa zwei Jahrzehnten erleben, ist weniger eine Zunahme der Religiosität als die sehr spektakuläre, sichtbare Behauptung dieser Religiosität, auch in der öffentlichen Sphäre. Das trifft besonders auf den Islam zu, bei dem diese Betonung der Religiosität oft beängstigende Aspekte annimmt. Aber auch das Christentum entkommt dem nicht. Schauen Sie doch auf die evangelikalen Kirchen in den USA oder schauen Sie auf gewisse militante Leute bei den Anti-Gay-Ehe- Demonstrationen in Frankreich. Eine Rückkehr des Religiösen, wer könnte das statistisch erfassen? Sicher niemand. Aber es gibt eine Wiederbelebung der Darstellungen des Religiösen, wenn es sich nicht dabei sogar um eine Rückkehr zum Fundamentalismus ist, zum Integrismus und sogar speziell in der islamischen Welt zum Fanatismus handelt. Aber die meisten Glaubenden in unseren Ländern sind weit entfernt von solchen Übertreibungen, glücklicherweise. Sie leben ihren Glauben ruhig, und sie stellen dabei fest, dass ihr Glaube – statistisch gesehen – aufgehört hat bestimmend zu sein.

Aber lassen wir die Statistiken den Soziologen.

Die Religionen sind genauso alt wie die zivilisierte Menschheit. Es gibt allen Grund zu denken, dass sie genauso lange währen wie die Menschheit.

Das Universum ist ein Mysterium, niemals genau zu erklären. Das Leben, eine Prüfung, ist auf immer zerbrechlich. Das Gewissen, ein Leiden, wie es das alttestamentliche Buch Ecclesiasticus sieht, das auf immer untröstlich ist. Warum gibt es einige Dinge und nicht vielmehr Nichts? Wir wissen es nicht. Und wir werden es niemals wissen. Warum sind wir da? Was erwartet uns, zum Beispiel nach dem Tod? Wir wissen auch das nicht. Das lässt den Religionen eine gute Zukunft und auch dem Atheismus, denn er vermutet auch eine Idee Gottes, die er dann aber kritisiert. Die Gottesfrage bleibt, philosophisch gesehen, offen. Man kann diese Frage nur in Begriffen des Glaubens oder des Unglaubens beantworten. Beide Antworten sind subjektiv, ohne dass ein Wissen jemals diese Gottesfrage und diese Debatte um die Gottesfrage beenden könnte. Dies ist eine Lektion der Toleranz für jeden, und eine Lektion der Bescheidenheit für alle.

Übrigens: Verwechseln wir nicht die Spiritualität, die ein persönliches Abenteuer ist, mit den Religionen, die immer kollektiv sind. Der Rückgang der Religionen speziell in Europa, lässt nicht das Bedürfnis nach Spiritualität verschwinden. Das Gegenteil, so scheint mir, zeigt sich: Unsere Zeitgenossen befassen sich um so mehr mit Spiritualität, je weniger sie mit den institutionellen Religionen zufrieden sind. Was aber ist Spiritualität? Dies ist das Leben des Geistes, speziell in seiner Beziehung zum Unendlichen, zur Ewigkeit, zum Absoluten. Wie könnten die Kirchen dem entsprechen? Und wie könnten die Atheisten darauf verzichten?

Sollen wir etwa an den Menschen glauben? Das würde nur einen traurigen Gott ergeben und eine armselige Religion. Besser ist es zu fragen, wie wir unsere endliche Beziehung zum Unendlichen gestalten können, unsere zeitliche Beziehung zur Ewigkeit, unsere relative Beziehung zum Absoluten. Das heißt, treu zu bleiben zum Monotheismus, das gilt selbst für die, die aufgehört haben, an ihn zu glauben. Also: Nicht den Idolen Opfer darbringen. Nicht auf den Geist verzichten.

Copyright: Le Monde des religions, Paris, und Andre Comte-Sponville.

Die Internetadresse: http://www.lemondedesreligions.fr/

 

 

 

Für ein modernes Völkerrecht: Der Niederländer Hugo Grotius, geboren am 10.4.1583

In unserer Reihe “Eckige Gedenktage” erinnern wir am 10.April an den Geburtstag des niederländischen Juristen und Philosophen Hugo de Groot, auf Deutsch Hugo Grotius, geboren 1583 in Delft. Zudem war er ein Freund der auf Toleranz setzenden Remonstranten-Kirche in Holland. Grotius gilt als einer der “Väter” des modernen Völkerrechts. Er ist am 28.8.1645 in Rostock (!) gestorben.

Wenn Historiker und Theologen heute wie früher über „Toleranzdiskurse in der frühen Neuzeit“ (so ein neues Buch hg. von Friedrich Vollhardt, erschienen 2015) sprechen und über Duldung religiöser Pluralität, „dann ist es auffällig, dass die großen Vordenker der Toleranz intensive Kontakte zu den Remonstranten in Holland gepflegt haben“, schreibt Professor Yves Bizeul (Rostock) in seinem Beitrag über den Philosophen Pierre Bayle. Dass sich nach all den Kriegen und Religionskämpfen die Toleranz-Idee immer mehr dann doch durchsetzte, hat verschiedene Gründe; ein entscheidender Grund ist, dass sich der „liberale Flügel des Protestantismus“ in Holland, also die Remonstranten, als starke intellektuelle christliche wie humanistische Kraft erweisen konnte. Yves Bizeul erwähnt den großen Hugo Grotius, „er stand den Remonstranten nahe“, Bizeul nennt weiter Spinoza, auch Locke „der lange Gespräche führte mit dem Remonstranten Philippe von Limborch; erwähnt wird auch, dass Pierre Bayle befreundet war mit dem Remonstranten Adrian de Paets.. (Vgl. in dem genannten Buch die Seiten 205 f.)

Es gab also schon der Mitte des 17. Jahrhunderts – in Holland – eine unter kritischen Intellektuellen angesehene (kleine) protestantische Kirche, die auch humanistische Ideale als die eigenen verstand. Über die Entwicklung einer theologisch – engen lutherischen Orthodoxie im 17. Jahrhundert ist viel geklagt worden. Es wäre wohl hilfreich zu erinnern, dass es einmal ein protestantisch-humanistisches Christentum der Toleranz gab und auch heute noch in der Remonstranten Kirche gibt. Dies wäre auch ein Thema der Reformationsfeierlichkeiten 2017. Humanismus und Protestantismus!

Nebenbei: Es gibt gelegentlich gemeinsame Veranstaltung der „Jungen Mitglieder des Niederländischen Humanistischen Verbandes NL“ und der „Jungen Remonstranten“. Eine Mitarbeiterin des neuen theologischen Instituts der Remonstranten an der „Vrije Universiteit van Amsterdam“, Christa Anbeek, hat etliche Jahre an der „Humanistischen Universität“ von Utrecht als Dozentin gearbeitet.

copyright: Christian Modehn

 

Aktualisiert am 18. März 2016 durch CM

Spotlight – der Film. Und über das Fehlen des investigativen Journalismus zu Kirchenthemen in Deutschland

SPOTLIGHT: Der Film.

Über die gute Macht der kritischen Presse und das Fehlen des Recherche-Journalismus in Deutschland….

Ein Hinweis von Christian Modehn

Der große Spielfilm SPOTLIGHT (eigentlich auch ein „gespielter Dokumentarfilm“) beweist: Wenn der politische, der demokratische Wille bei Journalisten geweckt und dann tatsächlich auch gelebt wird, kann durch journalistische Recherche unglaublich Wichtiges und Wertvolles geleistet werden. Das Investigativ-Team der Zeitung „Boston Globe“ (USA) hat allen Einschüchterungen und Angstmachereien der „großen Herren“ ,vor allem in der römischen Kirche von Boston, widerstanden; die Journalisten haben in diesem Umfang sicher als die ersten (2002) der Welt gezeigt: Es gibt einen weit verbreiteten Missbrauch von Kindern durch Priester im Erzbistum Boston. So wurde die Wahrheit frei gelegt, die mit aller Macht zugedeckt und verschwiegen wurde von den Vorgesetzten, also den kirchlichen Bürokraten an der Spitze. Sie werden ja oft „Verantwortliche“ und „Elite“ genannt, ein seltsamer Titel angesichts ihrer Kumpanei, die eigenen Leute, die Kleriker, unter allen Umständen zu schützen. Diese Tatsache erschüttert genauso wie das Leiden der Opfer Mitgefühl weckt und Schmerz. Dass in der Kirche zuerst der Schutz des Klerus gilt, selbst im Falle von Vergehen, Verbrechen oder Mitwisserschaft, trifft noch immer zu, ist eine Tatsache: Allein die Anwesenheit des damals (2001) alles vertuschenden Kardinals Law aus Boston nun in Rom spricht Bände:

„Im Dezember 2002 verließ Law Boston nach Rom und entging somit einer bereits erlassenen Vorladung des Staatsanwalts zum Vorwurf der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern.(Wikipedia). Der Spotlight Artikel erschien in „The Boston Globe“ Anfang Januar 2002. Von 2004 bis 2011 war Law verantwortlicher Priester in berühmten Kirche Santa Maria Maggiore in Rom.

Man denke auch daran, dass der Nuntius der Dominikanischen Republik, Erzbischof Wesolowski, Kinder in Santo Domingo missbrauchte, nach der Aufdeckung seiner Taten (2013) aber nicht den Behörden der Dominikanischen Republik übergeben wurde, sondern eben schnell nach Rom flog und sich dann im Vatikan versteckte bzw. dort im Hausarrest festgehalten wurde. Er soll, so wird behauptet, eines normalen Todes, Herzstillstand, vor seinem Prozess im Vatikan am 27.8.2015 gestorben sein…Auch dem australischen Kardinal George Pell wird Vertuschung von pädophilen Untaten der dortigen Priester mit vielen Gründen vorgeworfen. Er lebt jetzt im Vatikan, kein Geringerer als Papst Franziskus ernannte ihn am 24.2.2014 zum Leiter der päpstlichen Wirtschaftsbehörden. Das kirchliche Motto des Kardinal heißt bezeichnenderweise: „Nolite timere, fürchtet euch nicht!“

Über den Film SPOTLIGHT ist mit gutem Grund sehr vieles Lob geschrieben worden; wunderbar, dass er einen Oscar in der Kategorie Bester Film erhielt. Selbst die Tageszeitung des Papstes, der Osservatore Romano, empfiehlt den Film oder auch der Erzbischof von La Valetta, Malta, Charles Scicluna. Er fordert sogar, alle Klerikern, sie sollten sich unbedingt den Film anzusehen. (siehe La Croix, Paris, 1.3.2016).

Im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon wollen wir nur aus unserer religionskritischen Perspektive (und der journalistischen auch !) einige weiterführende Fragen stellen:

Gibt es heute überhaupt Recherche-Teams unter Journalistinnen und Journalisten, die für kirchliche Medien arbeiten? Gehört unabhängige Recherche zum Profil eines Journalisten, der in einem der kirchlichen Blätter arbeitet? Wollen die Herausgeber, also die Kirchenleitungen, überhaupt investigativen Journalismus? Wir kennen die Szene als Journalisten auch von Innen her recht gut, und geben uns selbst die Antwort: Nein, investigativen Journalismus gibt es in kirchen-abhängigen Medien nicht, zumindest nicht in Deutschland. Wie ist das zu deuten? Ist Kirchenpresse eine milde Form von Propaganda? Sicher spielt das eine Rolle, und auch die Angst vor der Freiheit des Wortes.

Gibt es investigativen Journalismus in Deutschland zum Thema Religionen und Kirchen in der übrigen, der nicht kirchlich bestimmten Presse? Da könnte sicher mehr geschehen, viele große Zeitungen bearbeiten das Thema Religionen und Kirchen eher nebenbei, abgesehen jetzt von den Reportagen zum Islam… Aber welches Blatt wagt sich an das Thema „Trennung von Kirche und Staat in Deutschland“ wirklich mit einer großen Stoy? Welches Blatt wagt sich mit einer großen Story also über mehrere Seiten an die Frage: Welches Niveau haben heute eigentlich die zahlreichen katholisch-theologischen Fakultäten und Hochschulen? Darf man nach der (gesellschaftlichen und praktisch-kirchlichen) Relevanz vieler der dort geschriebenen Doktorarbeiten fragen? Ist das Kirchliche Gesetzbuch, der Codex, jetzt nicht endgültig vorwärts und rückwärts für den Dr. Theol. durchgebetet, Verzeihung, durchgeackert worden? Oder ein anderes tolles Recherche-Thema: Wie viel Geld verdienen tatsächlich Erzbischöfe und Bischöfe in Deutschland? Und wie viel Grundbesitz und wie viel Vermögen haben die sich arm nennenden katholischen Ordensgemeinschaften in Deutschland?

Darüber sagen die „armen Ordensleute“ naturgemäß nichts. Sie erläutern auch nicht, warum die frommen Leute angesichts des Reichtums der Orden immer noch weiter brav für sie spenden sollen.

Wann werden sich investigative Journalisten an dieses Themen wagen: Den – vielfach so zurecht bezeichneten – Orden der Milliardäre, also den Orden der Legionäre Christi? Wann wird als Fortsetzung zu SPOTLIGHT ein Film, ein dokumentarischer Spielfilm, über den Gründer der Legionäre Christi, Pater Marcial Maciel gedreht, den sogar Papst Benedikt XVI. einen Verbrecher nannte.

Tatsache ist: Von sich aus leistet die katholische Kirche keine umfassende Aufklärung zu den drängenden Fragen, die gesellschaftlich relevant sind. Fehlt es an investigativem Journalismus, dann gibt es auch keine Aufdeckung verdrängter Wahrheiten. Das ist die traurige Wahrheit. So kann, um ein Wort Jesu zu zitieren, die Wahrheit gar nicht freimachen, weil es keinen unabhängigen, ausdauernden und Widerstands-bereiten investigative Journalismus gibt.

Heute sind fähige und tatsächlich auch vom Fach her qualifizierte Journalisten (also Theologen und Religionswissenschaftler oder Philosophen) in Festanstellung (nur die haben die Zeit und das Geld, sich um diese Themen zu kümmern) offenbar kaum noch zu finden … oder sie sind mit Arbeit überlastet.

Wir finden es traurig, dass der verdienstvolle Dominikaner Pater Thomas P. Doyle, der in den USA seit langer Zeit für die Missbrauchsopfer eintritt, in Deutschland nahezu unbekannt ist bzw. unbekannt „gehalten“ wird.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon

Sineb El Masrar: “Emanzipation im Islam”. Ein Gastbeitrag von Monika Herrmann

Probleme benennen statt zu verschweigen. Über das neue Buch von Sineb El Masrar: “Emanzipation im Islam”.

Ein Gespräch mit der Autorin.

Die Fragen stellte Monika Herrmann.

Eine junge Muslima schreibt ein Buch und kritisiert darin ihre eigene Community, ihre Glaubenschwestern ganz besonders. Grund: „Weil sie das unterdrückerische System der Männer im Islam einfach übernehmen und akzeptieren“. Sineb El Masrar fordert Muslimas auf, mal nachzudenken, sich zu wehren. Schonungslos benennt sie die Gewaltstrukturen im Islam, die immer mehr Frauen akzeptieren. Die Folge: Viele von ihnen schließen sich radikalen Gruppen an.

Frage: In Ihrem Buch reden Sie Klartext und kritisieren nicht nur die Männer im Islam, sondern auch das Verhalten der Frauen. Haben Sie nicht Angst, dass Sie sich damit viele Feinde machen?

Sineb El Masrar: Nein, überhaupt nicht, ich stelle ja keine Behauptungen auf, sondern belege im Buch die Tatsachen ganz offen. Also das, was wirklich passiert. Punkt. Wie die Akteure das dann wahrnehmen, wird man sehen.

Trotzdem: Es geht im Buch knallhart gegen muslimische Männer, die keine Scheu haben, Gewalt gegen Frauen auszuüben. Und viele lassen sich das auch gefallen. Was läuft da eigentlich?

Ja, das frag ich mich natürlich auch. Aber es gibt bei vielen Muslimas eben diese sozialen Zwänge, Abhängigkeiten, wenig Selbstbewusstsein. Anders sind diese teilweise debilen und unterwürfigen Positionen der Frauen nicht zu erklären. Ich sage deshalb: irgendwo müssen diese Frauen, die das alles erdulden, wohl auch psychische Traumata erlebt haben, wenn sie sagen: Ja, ich erdulde alles und befolge das, was die Männer mir vorgeben.

Es gibt Muslimas, die diese Unterdrückung nicht mitmachen, die sich wehren. Haben sie gar keinen Einfluss auf ihre Schwestern, die anders ticken?

Das Problem: Es gibt wenig Solidarität unter diesen Frauen. Aber das ist wie in der Frauenbewegung oder in der Familie überhaupt. Selbst unter Feministinnen ist frau sich nicht immer einig. Bei muslimischen Frauen ist das nicht anders. Ihr sozialer Hintergrund spielt oft eine große Rolle.

Im Buch heißt es, dass viele muslimische Männer der Meinung sind: Gewalt gehöre zum Islam, eben auch Gewalt gegen Frauen. Die Männer begründen das mit Inhalten im Koran.

Diesen Schwachsinn geben die Herren tatsächlich von sich. Wir sollten allerdings fragen, warum sie den Koran so interpretieren. Was liegt da vielleicht auch psychisch bei ihnen im argen, in der Erziehung, in der Sozialisation? Wie war die Beziehung zur Mutter, in der eigenen Community? Da liegt, glaube ich, der Hund begraben. In diese Richtung müssen die Fragen gestellt werden, warum diese Männer so sind wie sie sind und warum bestimmte junge Frauen ihren Verhaltensweisen folgen.

Sie sagen, dass selbst gebildete Frauen, oft nicht den Mut haben, sich zu wehren. Auch jene, die in Westeuropa, in Deutschland aufgewachsen sind, übernehmen vielfach die Vorgaben der Männer.

Genau. So ist es. Viele Frauen wünschen sich Anerkennung von Männern. Aber: Wenn ihnen ein Mann sagt, sie sollen das und das machen, weil Allah sie bei Verweigerung verfluchen würde, dann frag ich mich schon, warum diese Frauen nicht mal an die Urquellen ihrer Religion gehen. Dort würden sie nämlich diese Drohung nicht finden. Aber die meisten Frauen forschen eben nicht nach und vertrauen der falschen Sicht der Männer, die sich als Tradition durchgesetzt hat, aber deshalb nicht unhinterfragt bleiben muss.

Es gibt eine Stelle im Koran, die das Schlagen der Frauen erlaubt.

Ja, aber Koranverse sind manchmal auch widersprüchlich und interpretierbar. Im Koran wird auch dazu aufgefordert, den Verstand, den wir von Gott bekommen haben, zu benutzen. Interessant ist nun, dass bestimmte Männer und Gelehrte im Islam zu den Schlussfolgerungen kommen, Frauen zu kontrollieren, zu unterdrücken. Interessant auch, dass andere Gelehrte, die viel frauenfreundlicher waren und sind, gerne mal ignoriert oder gar angegriffen werden.

Die Ereignisse in Köln haben dazu geführt, von einem sehr radikalen Islamverständnis im arabischen Raum zu sprechen. Männer mit diesen Wurzeln stehen mit ihrem frauenfeindlichen Verhalten besonders in der Kritik.

Frauenrechte sind nicht in allen arabischen Staaten selbstverständlich. Besonders schwierig ist es in Afghanistan, Pakistan oder in Saudi Arabien. In Marokko gab es vor vielen Jahren eine Reform des Familienstands-Gesetzes. Im Moment wird dort das Erbrecht reformiert. Hintergrund: Frauen sollen mehr Rechte bekommen. Das zeigt, dass in einigen arabischen Staaten auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Situation der Frauen stattfindet. Aber bis dieses Denken auch in jede Ecke der Länder durchdringt, das braucht Zeit. Die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Zustände in diesen Ländern sind einfach nicht mit europäischen Verhältnissen zu vergleichen.

Stimmt mein Eindruck, dass nach den Silvesterereignissen in Köln über Männergewalt, Frauenunterdrückung auch in der muslimischen Welt mehr und kritischer geredet wird, vielleicht auch mutiger?

Viele Muslime haben immer schon die religiös begründete Gewalt innerhalb des Islam kritisiert. Was in Köln passierte, hängt jetzt nicht unbedingt mit der Religion der Männer zusammen. Diese Männer haben das getan, weil sie ohnehin mit Frauen respektlos umgehen, vielleicht unter Drogen- und Alkoholeinfluss standen. Das war einfach eine sehr aggressive Truppe von Männern, die keinerlei Respekt vor Frauen haben. Man kann dann natürlich fragen, ob es eine Legitimation für solches Verhalten im Islam gibt.

Und – gibt es die?

Natürlich nicht. Doch es gibt auch Prediger oder Gelehrte, die sagen: Wenn eine Frau zu später Stunde rausgeht und sich nicht verhüllt, darf sie sich nicht wundern, dass sie angegriffen und belästigt wird. Ich sage da: Stopp, selbst eine Frau, die nackt rausgehen würde , ist nicht einfach verfügbar.

Auch in Flüchtlingsunterkünften gibt es Übergriffe. Frauen werden von Männern angemacht, sexuell belästigt. Es heißt, die vielen allein reisenden jungen Männer toben sich jetzt aus.

Ich behaupte, dass diese Männer auch in ihren Herkunftsländern Frauen belästigen und erniedrigen. Das gibt es dort überall und zu jeder Stunde. Hierzulande ebenso, nur oftmals nicht so plump. Man muss jetzt mit solchen Männern ernsthaft sprechen, ihr Verhalten verurteilen. Auch die muslimische Gemeinschaft muss sich damit auseinandersetzen. Wichtig ist mir zu sagen: Ja, es gibt diese Männer. Die tun das, weil sie keinen Respekt vor Frauen haben. Aber es gibt eben auch eine sehr große Zahl von muslimischen Männern, die das verurteilen und sich sofort dagegen positionieren, wenn sie so etwas mitbekommen. Also ich differenziere da, was nicht bedeutet, über die Schieflage nicht zu reden. Deshalb habe ich auch das Buch geschrieben. Und mir war auch wichtig, im Buch Namen zu nennen, damit nicht wieder alle Muslime über einen Kamm geschert werden.

Was können und sollten die Islamverbände tun, die es in Deutschland gibt?

Ehrlich gesagt, von ihnen erwarte ich momentan nicht viel. Ich finde, die Verbände stecken Muslime eher in einem zwanghaften Korsett, das sie an der Integration hindert. Sie wollen nicht das verbindende, sondern eher das trennende. Es ist aus meiner Sicht auch nicht hilfreich sie in die Integrationsarbeit mit Flüchtlingen einzubinden. Ich bin der Meinung, dass die Islamverbände sich selbst erst finden und integrieren müssen, bevor sie andere integrieren. Sie verbreiten ein Islamverständnis, das genau das Gegenteil von Versöhnung, Pluralismus, Integration und Demokratie ist. Sie verbreiten einen Islam, der zum großen Teil nicht nur konservativ, sondern auch islamistisch und salafistisch ist.

Sie informieren im Buch auch über die Muslim-Schwestern, die mit den radikalen Muslim-Brüdern zusammenarbeiten. Was passiert da?

Sie verbreiten gemeinsam mit den Männern ein radikales Islamverständnis. In Deutschland sympathisieren viele von ihnen oft unbewusst mit dieser Ideologie, weil sie auf der Suche nach Identität sind. Frauen verhüllen sich mit der so genannten Niqab. Problematisch ist aber, dass ihre islamistischen Positionen nicht immer offen gelegt werden und deshalb oft unkritisiert bleiben. In unserer deutschen Gesellschaft gibt es da viel Aufklärungsbedarf. Denn inzwischen konvertieren ja auch Nicht-Muslime zum Salafismus und sympathisieren auch mit den Rechtspopulisten.

Deshalb vergleichen sie im Buch den Nationalsozialismus mit dem Salafismus und dem Dschihadismus. Ziemlich gewagt. Welche Parallelen sehen Sie?

Es gibt im Salafismus und Dschihadismus einen sehr starken Antisemitismus, übrigens auch bei der Muslimbruderschaft. also eine Erscheinung, die es auch bei den Nazis gab und bei den heutigen Rechten. Ihr gemeinsames Motto: Man muss Feindbilder aufbauen, um sich über andere zu erhöhen und um Menschen zu mobilisieren. Ein faschistoides Gedankengut – eindeutig. Aber man muss das benennen. Wir leben in einer Demokratie, wo Pluralismus und Religionsfreiheit, aber auch die Freiheit nicht religiös zu sein, gewährleistet sein muss. Wenn man das als ein Problem nicht darstellt, dann hat unsere Gesamtgesellschaft ein Problem.

Bedeutet das, dass Pegida-Anhänger und AFD-Mitglieder den Salafisten sehr nahe stehen?

Gewissermaßen ja. Es gibt viele Muslime, die die AFD Positionen zu Familie, Medien und Erziehung eigentlich gut finden und sie auch wählen und unterstützen würden, wenn sie nicht so Anti-Islam wären. Sie finden ihr Familienmodell gut, aber auch den Aufruf zur Schließung der Grenzen. Sie sind gemeinsam gegen Homosexualität und bevorzugen alte konservative Rollenmodelle. Der Salafismus ist ja an sich rassistisch, weil er sagt, wir haben das einzig richtige Islamverständnis und alle anderen Rechtsschulen im Islam lehnen Salafisten ab. Also ein Salafist ist bereits ausgrenzend innerhalb der eigenen muslimischen Vielfalt.

Ein ziemliches Horrorbild. Wie wird die Zukunft aussehen? Droht ein Religionskrieg?

Ich will keine Panik verbreiten. Aber die Dinge, die im Buch nachzulesen sind, müssen einfach mal offengelegt werden, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Auch die Muslime. Die meisten von ihnen wollen ja einfach nur gute Gläubige sein. Aber viele Akteure missbrauchen das. Ich will deutlich machen: Hier gibt es ein Problem und darüber müssen wir reden. Wenn wir uns alle damit auseinander setzen, wird es auch keinen Religionskrieg geben. Wir dürfen einfach keine Angst davor haben, alles zu hinterfragen. Wenn wir das nicht tun, nehmen wir allerdings diejenigen in Schutz, die nichts Gutes wollen.

Sineb El Masrar, Emanzipation im Islam – Eine Abrechnung mit ihren Feinden, Herder, 320 Seiten, 24,99 €

Sineb El Masrar (34) wurde als Tochter marokkanischer Einwanderer in Hannover geboren. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin, ist Journalistin und Autorin und leitet das Online-Magazin Gazelle.

Aktualisiert am 2. August 2017 durch CM

Die Gemeingüter (Commons) : Ein altes/neues Modell zur Güterverteilung neben Markt bzw. Staat. Vorgestellt von Elisabeth Hoffmann, Berlin

Die Gemeingüter (Commons) : Ein altes/neues Modell zur Güterverteilung neben Markt bzw. Staat.

Vorgestellt von Elisabeth Hoffmann am 26.2.2016 im Religions-philosophischen Salon, Berlin

In neoliberalen Zeiten, wo immer mehr Wasserquellen von Nestlé weltweit betrieben und privatwirtschaftlich verwertet werden, wo Länder in Afrika und anderswo vom Landgrabbing betroffen sind, wo genetisch verändertes Gemüse oder Reis von Monsanto patentiert und damit monopolisiert werden können, wo Mittelständische Unternehmen oder Krankenhäuser von Privatinvestoren bzw. von Hedgefonds aufgekauft werden, um Dividenden für seine Anleger zu erbringen – wo also immer weniger immer mehr vom Kuchen beanspruchen und per Gesetzgebung verankern können – ist es an der Zeit mal wieder über etwas ganz altmodisches und doch sehr innovatives nachzudenken – die Allmende.

Früher hießen gemeinschaftlich genutzte Weiden Allmenden. Dort durfte jeder im Dorf seine Herden weiden lassen. Es wurde in der Dorfgemeinschaft miteinander abgesprochen, wieviele Tiere wie lange weiden durften, damit sich die Ressource nicht erschöpfte und nachhaltig (selbsterhaltend) für weitere Generationen zur Verfügung stand.

Dieses Bild der Allmende ist der Kern des Commons-Gedankens, der seit etwa 20 Jahren in Öko- Kreisen thematisiert wird. Er steht neben all den anderen neuen Ideen für eine zukunftsfähige Wirtschaft, wie die Gemeinwohlökonomie, die Bewegung der transition towns, lokale Agenda Bewegung nach der Konferenz von Rio, share economy und Degrowth-Bewegung etc. die alle und noch viel viel mehr am Schutz der natürlichen Ressourcen durch nachhaltigen Gebrauch interessiert sind. (Grenzen des Wachstums)

Besonders wichtig für uns sind die natürlichen Gemeingüter: Luft, Klima, Wasser, Meere, Boden, Urwald – also die natürliche Grundlage unseres Lebens und Überlebens für uns alle auf dieser Erde und für zukünftige Generationen. Man könnte aber auch die Sprache ansich, die Kultur, die sozialen Gebräuche, Archive, Bildung, etc dazu zählen. Moderne Allmenden entstehen heute im internet: wikipedia, Musik, Texte, …. Menschen stellen ihre Gedanken, Photos, Kunstwerke, Musik, Filme, Ideen ins Netz und alle dürfen sie nutzen, diskutieren, sich inspirieren lasssen und so fördern sie das kollektive Bewußtseinsniveau – potentiell. (Das Problem, daß auf diese Weise die kreativ Tätigen keine angemessene Honorierung mehr für ihre Werke bekommen, kann hier jetzt nicht behandelt werden)

Man unterscheidet zwischen den rivalen und nicht-rivalen Gemeingütern. Bei den rivalen wird durch die eigene Nutzung das Gemeingut verbraucht (z.B. Überweidung), bei den nicht-rivalen Gemeingütern passiert das nicht (z.B. internet, Medienkonsum). Das Wort Rivale stammt auch aus der Situation der verschiedenen Wassernutzer entlang eines Flusses. Wer weiter oben das gesamte Wasser auf seine Felder leitet, verhindert, daß die nachgelegenen Nutzer genügend Wasser bekommen.

Wir alle wissen von der Gefahr des Überfischens der Meere und der Belastung des Klimas durch CO2 für alle. Darum hat man sehr lange der Theorie von Garret Hardin zugehört, der in den 60’iger Jahren von der „Tragedy of Commons“ sprach: Kurz gesagt sagt er: Die Menschen sind zu konkurrierend und egoistisch als daß sie sich um den Erhalt der Commons kümmern würden. Darum braucht es private Unternehmen, die verantwortungsvoll die Gemeingüter bewirtschaften bzw. den Staat mit seinen Institutionen zum Schutz der Commons. (s.a. das Statement von Nestlé am Ende dieses Textes)

Diese Theorie wurde von Elinor Ostrom wiederlegt. Sie untersuchte weltweit die Bewirtschaftung von Commons, also die gemeinschaftliche Pflege und Nutzung der Ressourcen Wasser, Boden, Wald, Kultur etc und fand heraus, daß das Gegenteil der Fall sei, daß die Ressource sich nicht notgedrungen erschöpft. Daß diese Ressourcen besser bewirtschaftet werden i.S.d. Nachhaltigkeit als privat – bzw. staatliche reglementierte Nutzung und dazu den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft/Gemeinschaft förderten. Für ihre Forschung bekam sie den Nobelpreis für Wirtschaft. Das hat also Gewicht.

Die Commons existieren nicht ansich sondern bedürfen der verantwortlichen und gemeinschaftlichen Nutzung einer Gruppe.

„Each commons needs protection and so communing. No commons without communing.“ sagt der britische Historiker Peter Linebaugh und nennt die Praxis communing also eine soziale Tätigkeit und Fähigkeit des Menschen. Communing ist gefordert, um die Commons zu erhalten während sie gebraucht werden. Darum erscheint mir das Commons Konzept so radikal. Der Blick liegt nicht nur auf den gemeinschaftlich genutzten Ressourcen sondern auf dem Menschenbild und der Grundhaltung derjenigen Menschen, die sich gemeinschaftlich um die Gemeingüter verantwortungsvoll kümmern. Es beschreibt ein neues Menschenbild jenseits des profitorientierten und Andere übervorteilenden „homo oeconomikus“.

Menschenbild und Grundhaltung der Commons

Der Commons Begriff hat 3 Dimensionen: 1. Die materielle Ressource, 2. Das soziale Miteinander 3. Die gemeinsamen Regeln

Zur gemeinschaftlichen Nutzung einer Ressource bedarf es besonderer soziale Fähigkeiten und einer Haltung des Miteinanders. Es geht also um Kooperation und nicht Konkurrenz. Es geht um ein respektvolles demokratisches Miteinander ohne Hierarchien, um gemeinsam miteinander die Ressourcen nutzen zu können. Es geht um eine Vernetzung vieler verschiedener Projekte und alle miteinander. Es geht um die gemeinschaftliche Sorge und Bewirtschaftung einer Ressource ohne diese auszuschöpfen noch andere zu übervorteilen, es geht um das gemeinsame Finden von Regeln, an die sich alle halten wollen. Es geht um den Geist der Commons.

Der Begriff “Commons” verdeutlicht, dass wir gleichberechtigte Menschen sind, deren Teilhabeanspruch an Gemeinressourcen in diesem Menschsein begründet ist. (Silke Helfrich)

Einige Beispiele:

Ubuntu: Human beings are free in relatedness but never free from relationships. Menschen sind frei innerhalb des generellen Verbundenseins aber niemals frei von Beziehungen.

Aus wikipedia: Der Begriff Ubuntu kommt aus den Sprachen der afrikanischen Völker Zulu und Xhosa und steht für „Menschlichkeit“ und „Gemeinsinn“, aber auch für den Glauben an ein universelles Band des Teilens, das alles Menschliche verbindet. Alle Entwickler des Ubuntu-Netzwerkes (Computer) müssen den Code of Conduct[6] unterzeichnen, mit dem sie sich verpflichten, den Grundsatz der „Menschlichkeit“ (dort näher ausgeführt als Freundlichkeit, Respekt voreinander, Rücksicht, Teamarbeit und Ähnliches) sowohl bei der Entwicklung und der Kommunikation untereinander als auch bei dem Umgang mit den Benutzern einzuhalten.

Der Ansatz Gemeinwohlökonomie nach Christian Felber betont heute schon die Verantwortung der Unternehmen für ein nachhaltiges, bewahrendes, kulturstiftendes, gleichberechtigtes Miteinander. Die Firmenchefs, die sich darauf festlegen – es sind schon viele in Berlin/Brandenburg – machen jedes Jahr eine Gemeinwohlbilanz, wo es auch um innerbetriebliche nichthierarchische Entscheidungsprozesse geht, die bewertet werden. Motto: „Mutbürger wirtschaften anders“. Sie streben einen Wirtschaftskonvent an. Konvente wären die einzige Möglichkeit für uns als Bürger, die Verfassung zu ändern. Die Idee ist darin sowohl ein neues Geldsystem und z.B. einen gerechteren Verteilerschlüssel bei den Einkommen festschreiben zu lassen u.v.m. Diese Bewegung ist im vollen Gange – ausgehend von Österreich in ganz Europa. (Grundsätze der Gemeinwohlwirtschaft am Ende des Textes im Anhang)

Ein anderes Beispiel daß das Commons Denken über Jahrzehnte sehr nachhaltig praktiziert werden kann ist die spanische Genossenschaft MONDRAGON im Baskenland , die seit 1956 existiert.

Dazu gehört auch die neue Erfindung des Crowdfundings, wo Menschen privat gute innovative Projekte finanziell fördern. D.h. eine Projektentwicklung unabhängig von Banken.

Daß Selbstorganisation klappen kann zeigen weltweit unzählige gute Beispiele. Heute in Griechenland und Portugal. Aber auch in Argentienien während der ersten neoliberalen Krise als hunderte (!) von Betrieben von ihren Belegschaften als Kooperationen übernommen wurden. (fantastischer Film von Naomi Klein dazu: „The Take“ – warum kennt den hier niemand????)

Die gemeinwohl-orientierten soziale Fähigkeiten, die wir entwickeln müßten, um nicht-hierarchische, nicht-institutionelle Entscheidungen zu treffen, die für alle nachhaltig und gut sind, betreffen Konfliktfähigkeit, Toleranz, Respekt des Anderen, Dialog und eine bewußte innere Selbstregulation der Emotionen, Urteile, Bewertungen etc., damit sie nicht durch ihren impulsiven Ventilcharakter destruktiv für den Gemeinsinn werden und auch nicht wie heute mit Drogen, Konsum und Unterhaltung betäubt noch kompensatorisch oder direkt ausgelebt werden und so den Geist des Miteinanders zerstören. Wutbürger werden Mutbürger.

Paradigmenwechsel in der Art des Wirtschaftens durch die Commons-Idee

Mir erscheint die Einbringung des Gemeingütergedankens einem sehr tiefgehenden Paradigmenwechsels gleichzukommen – ähnlich damals der Einsicht, daß die Erde keine Scheibe ist.

Wir hängen doch alle fest in dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Kapitalismus der Privatwirtschaft und dem Sozialismus eines staatlich organiserten Verteilungsmodells von Gebrauchsgütern. Da erscheint das Commons Modell als ein neuer Weg aufzuscheinen. Er bietet sowohl ein wirtschaftliches Konzept, als auch ein soziales Paradigma an, ein neues Menschbild und eine Vision, die uns alle einbezieht, indem die Teilhabe an den Gemeingütern dem menschsein innewohnt. Das beinhaltet sowohl das Recht auf die Commons als auch die Verantwortung dafür.

Gerade in Berlin hatten wir ein entsprechendes Beispiel als die Ressource Wasser privatisiert wurde. Zum Glück sind einige Menschen uns allen schon voraus gewesen und haben sich dafür eingesetzt, daß das wieder rückgängig gemacht wurde. Man kann also Sand ins Getriebe des neoliberalen Treibens streuen. Jede/r.

Wie Noam Chomsky der Politaktivist und Autor sagt, werden wir immer in einem engen Diskursfeld gehalten, damit keine radikal neuen Ideen thematisiert werden können.

“The smart way to keep people passive and obedient,” says noted activist and author Noam Chomsky, “is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum.” Die intelligente Art und Weise Menschen passiv und gehorsam zu halten, sagt Noam Chomsky, ist das Spektrum der zulässigen Meinungen streng zu beschränken, aber innerhalb dieses Spektrums eine lebhafte Debatte zu ermöglichen.

Der Commons-Ansatz – ein radikal neuer Weg…

  1. ..weil er ein neues Menschenbild hervorhebt, eins das von dem Biologen Frans de Waal (“Kooperations-, nicht Wettbewerbsfähigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg der Evolution.” und dem Neurowissenschaftlern wie Joachim Bauer schon lange nachgewiesen wurde: der Mensch ist von seiner Natur her empathisch, kooperativ und am Gemeinwohl interessiert. Man muß es ihm per „Erziehung“ auf Konkurrnenz, Narzissmus, Egoismus, Spaß am Übervorteilen usw. und durch Gehorsam und Anpassung an alte Traditionen regelrecht austreiben.

 

  1. ..weil er ganz neue Praktiken des Miteinander-Entscheidens entwickelt – die Konsensbildung in Gruppen. Diese Praktiken setzen eine Befähigung zum Konfliktlösen in Gruppen voraus, die wir alle uns erst noch aneignen müßten. Was aber hinsichtlich der wohl weiter zunehmenden weltweiten Konflikte um die natürlichen Ressourcen wie Wasser und Boden absolut notwendig wäre, wenn wir nicht in einem Trümmerfeld zerstörter Naturkreisläufe, die sich einmal zerstört nicht mehr selbst erholen können, enden wollen (siehe das Fehlen des Baumbestandes im Mittelmeerraum seit der Abholzung durch die Römer für ihren Schiffsbau).

 

  1. Eine neue Kultur der gemeinsamen Sorge für die Erhaltung unserer Lebensgrundlage für uns und zukünftige Generationen. Nicht mehr der „koloniale Geist“, wo jeder sehen muß wie er klar kommt zur Not durch Krieg die gemeinsamen Ressourcen für sich allein aneignen und nach mir die Sintflut denken. Sondern eine Haltung des Miteinander-voneinander und von der Natur Abhängigeins.

 

  1. Wir (wer?) müssen lernen, die kindliche Allmachtsillusion („the winner takes it all“) aufzugeben und die Gefühle von Ohnmacht in uns zuzulassen (nach Klaus Theweleit). Das wird uns befähigen ein echtes faires Miteinander umzusetzen. Die Abwehr der Ohnmachtsgefühle scheint mir psychologisch gesehen eines der Hindernisse auf diesem Weg zu mehr Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit zu sein. Joseph Beuyss sagte: „wer seine Wunden zeigt, wird geheilt“ – das geht in dieselbe Richtung . Einmal in sich selbst die Schwäche und Verwundbarkeit erkannt, könnten wir uns zu einem mehr an Miteinander denn einem weiterem Gegeneinander hin entwickeln (ein sehr christlicher Gedanke wie mir scheint) als in ständiger Kompensation des Ohnmachtsgefühls im Erreichen perverser Reichtümer und Macht -(mißbrauchs) positionen auszuarten.

 

  1. Wir („Aufgeklärten“ i.S.d. Commons) sollten uns nicht mehr blenden lassen durch Erfolg (ohne Nachhaltigkeitsgewinn für Natur und Kultur), Milliardenumsätze und persönlichem Reichtum (ohne Gemeinwohlorientierung), elitärem Status und Gewinnerhabitus (ohne menschliche Werte gegenüber jedem Menschen auf der Welt) sondern die Werte von Respekt, Fairness, demokratisches Miteinander und Nachhaltigkeit permanent im Kopf und Herzen behalten, um nicht verwirrt zu werden und entschieden im neuen Paradigma der Commons voranzugehen.

 

  1. Das neue Ziel des Wirtschaftens ist danach nicht mehr der Profit sondern der nachhaltige (bewahrende) Verbrauch der Gemeingüter. (So könnte das Wort: Eigentum verpflichtet in Zukunft verstanden werden: wie fördere ich durch mein Handeln die Bewahrung der Schöpfung, die Gesundheit aller Menschen, die Vielfalt des Lebendigen und die Selbstorganisation des Lebens). s.a. die Maximen der Gemeinwohlökonomie im Anhang.

 

  1. Der Commons Ansatz zeigt mir, daß es nicht um ein Weiter-So geht und darin um den Schutz der Natur und Entwicklungshilfe für die Armen. Sondern um einen Paradigmenwechsel, der unser altes gemütliches Verständnis davon wie wir in der Welt sind, tief verändern könnte. Ich glaube wir sind gefordert etwas zu entwickeln, zu lernen, zu verstehen – was unser Leben, unsere Praktiken des Miteinanders, der Demokratie, des Einkaufens, des sich organisierens usw. aber vor allem unser Haltung verändern wird. Wenn wir das nicht verstehen, daß es nicht um eine Moral geht oder um einen 3. Weg der Güterverteilung sondern um ein verändertes Sein, werden wir wohl langfristig nicht mehr sein.

 

  1. Auch der Slogan der Occupy – Bewegung: Wir sind die 99,99 % … machen wir was draus, stärkt den Geist der Commons.

 

  1. „Wem gehört die Stadt, Land, Welt „– Titel von Filmen und Büchern zur Zeit fordern uns heraus, neu über unser Zusammenleben nachzudenken und wach zu werden, daß wir ein Grundrecht an den Commons haben.. Wer wenn nicht wir in den Demokratien tragen eine Verantwortung, daß sich ein Commons-Denken in der Welt verbreitet?

 

  1. Ernst Bloch schrieb als ersten Satz in seiner Tübinger Einleitung in die Philosophie 1. Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. Lassen wir uns nicht mehr „werden“ durch ein „Scheiben-Denken“ des Weiterso im unbewußten Konsumierens und räuberischen Aneignens sondern durch ein Kugel-Denken des ein „gutes Leben“ in Selbstorganisation für alle und Nachhaltigkeits-Sorge für den Planeten, der Erde – unsere Heimat.

… und hier zum Abschluss die Position von Nestlé zum Thema Wasser als Gemeingut oder als privates Wirtschaftsgut: https://www.youtube.com/watch?v=wzlzV7VaqCs

Vielleicht konnte ich Ihnen die Wichtigkeit des Commons- Ansatzes vermitteln. Ich hoffe, daß wir alle den Satz von Silke Helfrich in Zukunft beherzigen , daß der Begriff “Commons” verdeutlicht, dass wir gleichberechtigte Menschen sind, deren Teilhabeanspruch an Gemeinressourcen in diesem Menschsein begründet ist.

Anhang:

Die Eckpunkte der Gemeinwohlökonomie finden Sie hier:

http://berlin.gwoe.net/2014/05/05/eckpunkte-der-gemeinwohl-oekonomie/

Und hier noch die Gegenüberstellung der Logik des Marktes zu der der Commons:

http://www.hh-violette.de/wp-content/uploads/2013/12/logic-of-the-market-and-the-commons-chart_DEUTSCH.png

Zusammenfassung:

Buchempfehlungen

Silke Helfrich: Commons

Garrett Hardin: The Tragedy of the Commons

Elinor Ostrom: Beyond Market and States

Christian Felber: Gemeinwohlökonomie

Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit

Dieter Klein: Das Morgen tanzt im Heute

Klaus Theweleit: Männerphantasien

Kreuzberg kocht

Copyright: Elisabeth Hoffmann emhoffmann@gmail.com

 

Aktualisiert am 2. August 2017 durch CM

Unduldsam gegenüber Ungleichheiten. Ein Salon über Privateigentum und Gemeinwohl

Unduldsam gegenüber Ungleichheiten: Von der Beziehung „Privateigentum – Gemeinwohl“

Ein Salonabend am 26. 2. 2016

Einige Hinweise für ein Gespräch von Christian Modehn. Über den Zusammenhang von individualistischem Klammern an den Besitz und der Spiritualität lesen sie einen Hinweis am Ende dieses Beitrags.

1. Zur aktuellen Situation

Das Thema steht in aktuellem Zusammenhang: Nach Oxfam- Recherchen (2015) besitzen die 62 reichsten Menschen der Erde genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, also 3,6 Milliarden Menschen.

Es ist klar, dass diese Menschen zusammen mit den ca. 17 Millionen Millionären weltweit heute Ökonomie und Politik bestimmen. Einem Milliardär (Herrn Trump) in den USA gelingt es aus dem Stand, auch mit dem Einsatz eigener Millionen Dollar, sich als Präsidentschaftskandidat zu präsentieren. “Dieses Land, die USA, darf nicht einer Handvoll Milliardären gehören”, sagt Bernie Sanders von Demokraten. Die Reichen werden auch dort immer reicher, “es findet eine schleichende Aushöhlung der amerikanischen Mittelklasse statt, sie verarmt”: “1971 gehörten zur Mittelklasse 61 % der amerikanischen Bevölkerung,  2015 nur noch 50 %. So “Der Tagesspiegel”, 28. 2. 2016, Seite 22.

Eine umfassende Reichtums-Forschung, etwa in der Soziologie, gibt es bis heute auch in Deutschland nicht; anders als die umfassenden Studien zur Armut und zum weltweiten Elend. Woran liegt das wohl?

Das übliche Sprichwort gilt eben nicht: „Geld regiert die Welt“. Es muss heißen: „Es regieren die wenigen Menschen, die das Geld haben, über die Mehrheit.“.
Zu Deutschland: Die Kernaussage des so genannten Armuts- und Reichtumsberichts des Bundesarbeitsministeriums heißt: Die privaten Vermögen in Deutschland werden immer größer. In den letzten Jahren sind sie um 1,4 Billionen Euro gestiegen. Die obersten zehn Prozent der Bevölkerung verfügen über mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Die Differenz zwischen Armen und Reichen wird auch in Deutschland immer größer.

2.Zum Begriff Gemeinwohl

In der Philosophie, seit Platon, wird darüber gestritten, wie ein gerechtes Verhältnis zwischen dem einzelnen, dem besitzenden Menschen als Bürger eines Staates, und dem Staat als dem Zusammenleben der verschiedenen Menschen zu bestimmen ist. Als höchster Zweck des Staates wurde das Gemeinwohl definiert. Das allen gemeinsame Wohl wurde dann der Philosophie des Thomas von Aquin folgend zum Mittelpunkt der katholischen Soziallehre. Das geht soweit, dass der offizielle katholische Katechismus (aus dem Vatikan 1993) in § 1903 betont: „Die staatliche Autorität wird nur dann rechtmäßig ausgeübt, wenn sie das Gemeinwohl der betreffenden Gemeinschaft anstrebt…Wenn ungerechte Gesetze gegenüber dem Gemeinwohl erlassen werden, „können solche Anordnungen das Gewissen nicht verpflichten“. Thomas von Aquin nennt solche ungerechten Gesetze „eine Gewalttat“.

Ein anderes Beispiel: Jean Jacques Rousseau sprach von der volonté générale, dem Gemeinwillen. Darunter verstand er einen gemeinsamen kollektiven Willensausdruck aller Bürger, der verschieden ist von der Verfolgung individueller Ziele des einzelnen. Es dachte an eine Einheit des gebündelten humanen Interesses aller Bürger. Dieser Gemeinwille könnte den gerechten Staat schaffen (Gemeinwohl). Das war ein Projekt, das die Französische Revolution inspirierte.

Heute wird unter dem Begriff Gemeinwohl auch die Zielvorstellung einer Politik verstanden, in der nicht die Durchsetzung individueller Machtinteressen im Vordergrund steht.. Im Artikel 14 des Grundgesetzes wird recht allgemein formuliert: (Absatz 2)“ Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Und dann wird sogar an mögliche Enteignungen gedacht: Da heißt es in Absatz 3: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt…“

Das Gemeinwohl wird sich heute immer im Diskurs der gesellschaftlichen Gruppen, bei Gleichberechtigung aller Gruppen, ermitteln lassen, wobei es durchaus auch a priori, sozusagen vom „Wesen“ des Menschen her gedacht, Kennzeichen des Gemeinwohls gibt, die sich etwa in den Menschenrechten ausdrücken.

3.Warum ist das Thema von philosophischer Bedeutung heute?

Es handelt sich um eine Frage der philosophischen Anthropologie (wer ist der Mensch, ist er wesentlich ein besitzender?), um eine Frage der Ethik (Wie viel sollte der einzelne sein Eigen nennen in einer Welt, die das Gemeinwohl respektiert ?) und auch ein religionsphilosophisches Thema (Wird Privat-Eigentum mit göttlichen, absoluten Qualitäten ausgestattet?)

Einige Hinwiese zum Zusammenhang von Ethik und Privatbesitz-Gemeinwohl:

Das Thema gewinnt Deutlichkeit, wenn man fragt, welche Gültigkeit die Gleichheit aller Menschen heute hat. Es geht um die Geltung von humanen Maßstäben, es geht um die Wiedergewinnung von Gesetzen, die gerecht sind und um die Moralität, die einen jeden vernünftigen Menschen leiten sollte, sofern er sich als Mensch unter Menschen versteht. Es geht also um die Wiedergewinnung der Selbstachtung, auch unserer eigenen, und um das Gespür für menschliches Miteinander und Verantwortung.

Die schwere Frage: Was ist Gleichheit? Es geht hier nicht um die Gleichheit der formalen Logik, sondern um die qualitative Gleichheit im sozialen Zusammenhang, um eine Gleichheit, die immer in einer bestimmten Hinsicht besteht:
Alle Menschen sind gleich, in der nicht zu bezweifelnden Hinsicht, dass alle Menschen, aber wirklich alle, eine absolut zu schützende Würde haben.

Das ist eine relativ neue Erkenntnis, man denke an die Selbstverständlichkeit, mit der früher Sklaverei für normal gehalten wurde.

Aber die menschliche Würde als das alle Menschen Verbindende ist kulturell immer inhaltlich geprägt, deswegen auch verschieden gestaltet. Aber es ist immer von der gemeinsamen Würde der Menschen die Rede. Ein Mensch ist kein Tier. Sondern der Mensch ist Vernunftwesen mit je konkreter Ausprägung. Das heißt: Alle Personen sind als Gleiche zu behandeln; aber nicht alle Personen sind genau gleich zu behandeln, wenn wir etwa von einem demokratischen Zusammenleben ausgehen: In einem Fall von Katastrophe, etwa Erdbeben, gilt die erste Fürsorge den Verletzten, nicht denen, die in gut erhaltenen Häusern leben können. Hungernde müssen zuerst versorgt werden, erst dann kommt die Sorge für die, die in der Katastrophe wohlhabend und gut ernährt geblieben sind. Zuerst sollten die Menschen in Not unterstützt werden, eine Einsicht, die im praktischen Verhalten spontan gelebt wird.

Welcher Umgang mit den Milliardären ist in einem Staat grundsätzlich richtig, also mit Milliardären, die vom Sozialstaat nichts erwarten, von ihm nichts brauchen, außer polizeilichen Schutz und gut erhaltene Straßen.

Die Antwort auf diese Frage von der Seite der Reichen ist klar: Wir spenden, geben Almosen, gründen Stiftungen, aber verteilen als die großen (oft religiösen) Gönner unsere Gelder nach eigenem Gusto. Deswegen geben wir als Multimillionäre unsere Spenden lieber zugunsten der Renovierung alter repräsentativer Gebäude, sagen wir Barock-Schlösser. Dabei sparen wir noch mal Steuern. Nicht alle Stiftungen der Superreichen sind a priori sozial und Gemeinwohl fördernd, eine banale Erkenntnis. Und die Sozialgesetze in den USA sind bis jetzt so angelegt, dass förmlich vom Staat selbst mit den Spenden der Millionäre gerechnet wird für die so genannte Sozialpolitik siehe etwa die Suppenküchen der Hungernden in den USA, gesponsert von Millionären. Ganz nett, aber Sozialpolitik eines Staates könnte anders aussehen!

Und zweitens wünschen sich dann die Reichen und Superreichen am dringendsten: Möglichst wenig Steuern, vor allem möglichst wenig Erbschaftssteuer. Und, man weiß es längst, dieser Wunsch wird den (Super) Reichen von den demokratisch gewählten Regierungen gern gewährt. Wenn man als Millionär nicht Steuerflucht begeht oder den Firmensitz nach Panama verlagert, bleibt ja immer noch der Weg nach Russland frei: Nur ein Beispiel: Typisch ist, dass der sicher nicht ganz arme Schauspieler, Koch und Weinbergsbesitzer Gérard Depardieu sich 2013 einen russischen Pass von Putin geben ließ, damit er, nun russischer Bürger, die hohen Steuern in Frankreich umgehen kann. In Russland gilt der für Millionäre geradezu traumhafte Steuersatz von 13 Prozent.

Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2018, M. Trump, der Multimillionär, will den Spitzensteuersatz für alle auf nur 25 % setzen.

4.Die (Super) Reichen betreiben Separatismus

Die Superreichen wollen sich möglich ihrer eigenen Verantwortung für ihren Staat und fürs Gemeinwohl entziehen, indem sie Steuern verteufeln. Typisch ist die Äußerung des Philosophen Peter Sloterdijk in seinem Manifest vom 10. Juni 2009: „Der Staat ist für mich nur ein (Steuern) nehmendes Ungeheuer und die Institution der Einkommenssteuer nichts anderes als ein funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung, im Wohlfahrtsstaat leben die Unproduktiven aufkosten der Produktiven“. Herr Sloterdijk fühlt sich als Elite, der es, als den wertvollen Menschen, besser zu gehen hat: Das zeigt auch sein Interview in der Kulturzeitschrift CICERO im Februar 2016. Dort nennt er die Flüchtlinge als die viel zu vielen Leute, „mit denen man fast nichts gemeinsam hat“ (S. 22). Und er seufzt mit dem Schriftsteller Stefan George über die Fremden: “Schon eure Zahl ist ein Frevel“. Auf den engen Zusammenhang von Finanz-„Elite“ (Elite in Anführungszeichen!) und der sich fast „rassisch“ abgrenzenden Herren-Menschen-Rasse“ ist evident: Da wird die Ideologie verbreitet: Reiche haben Talent und Fleiß, so die uralte These der Vermögenden, Arme eben nicht, sie sind faul und selbst schuld an ihrem Elend. Das ist gängige Ideologie der Superreichen seit Jahrhunderten…

Wir beobachten also heute bei den Super-Reichen, aber nicht nur dort, eine völlige Verachtung dessen, was man Gemeinwohl, oder den Sozialstaat usw. nennt. Was sagt ein höchst erfolgreicher Schriftsteller über seine Bindung und Verantwortung für sein eigenes Land, es sagt Michel Houellebecq 2010: „Ich bin kein Bürger, und habe keine Lust, einer zu werden. Man hat keine Pflichten gegenüber seinem Land, so etwas gibt es nicht. Wir sind weder Bürger noch Untertanen, sondern Individuen. Frankreich ist ein Hotel, mehr nicht“ (in Rosavallon, Die Gesellschaft der Gleichen, S.329).

Der französische Philosoph und Historiker Pierre Rosanvallon (Paris) nennt in seinem grundlegenden Buch „Die Gesellschaft der Gleichen“ Hamburger Edition 2013, diese Ignoranz allgemeiner Werte einen „umfassenden sozialen Separatismus“ (S.331). Und das ist für ihn mehr als nur ein neuer aggressiver Individualismus. Wer sich separiert aus seiner Gesellschaft, aus seinem Staat um des Privateigentums willen ausziehen will, der möchte eigentlich in einem anderen Land leben, auf einem imaginären Planeten der Reichen, aber bitte ohne Steuern. Zur Not begnügen sich die Ultra-Reichen eben mit „gated communities“, mit abgeriegelten Bezirken innerhalb einer Stadt. Also mit Luxus Oasen, die nur wenigen Erwählten Zutritt gewähren.

In jedem Fall wollen diese Privateigentums-Fanatiker und also Separatisten sich aus der Verantwortung für ihr eigenes Land (man denke auch an die Steueroasen usw.) förmlich wegstehlen. Sie halten sich, wie einst und heute der Adel, für die Privilegierten. Die Besonderen. Die wichtigeren, wertvolleren Menschen. Das ist, nebenbei, eine Form des Rassismus.

Der reiche Bürger eines Landes versteht sich nur noch als Besitzbürger, nicht mehr als politischer Bürger, der auch für die Allgemeinheit, für die anderen, Verantwortung übernimmt.

5.Kritik der gelebten Unmoral

Wir erleben also den totalen Verlust an Verantwortung für andere, das Fehlen von Empathie. Dahinter steht die Haltung: Uns soll es bestens gehen, nach uns die Sintflut. Und diese Kreise werden durch die Parlamente der westlichen Demokratien bestens bedient. Warum? Weil offenbar in diesen Parlamenten die Freunde dieser Privatbesitz-Fanatiker herrschen. Das meiste an demokratischer Kulisse ist schöner Schein. Einer der führenden kritischen Manager, Tobias Busch, schreibt am 24.2.2016 in der webite „Migazin“: „Selten in den letzten Jahrzehnten sind politische Entscheidungen so unverblümt egoistisch und unsolidarisch getroffen worden wie in diesen Tagen und Wochen. In Europa wird nicht einmal mehr die Fassade der Scheinheiligkeit gewahrt, wenn es um das Flüchtlingsthema geht. Dass jeder konsequent seine Interessen verfolgt und brutale Selbstoptimierung betreibt, ist in der Politik wohl völlig normal. Aber die Gnadenlosigkeit im Auftritt ist neu…“

Der Philosoph Norbert Copray, Herausgeber der Zeitschrift PUBLIK FORUM, schreibt in seinem Buch (2015): „An Widersprüchen wachsen“, S. 19: “Das System, wie Geld gehandhabt und wofür es eingesetzt wird, haben sich diejenigen geschaffen, die damit die Welt regieren. Mehr denn je. Und diejenigen, die das System meisterlich beherrschen, beherrschen auch die Welt zu ihrem eigenen Vorteil. Alle anderen sind ihnen egal. Das bekommen die Menschen in Afrika usw. schon viel länger zu spüren als die Menschen in der westlichen Industrie- und Finanzwelt“ (S. 19).

Wir erleben heute das Sich – Absolutsetzen des Privateigentums global. Das extreme Vermehren des Privateigentums – wie ein selbstverständlicher Selbstzweck betrieben wie aus Sucht und Gewohnheit bei den Reichen – führt zu einer Vernachlässigung dessen, was man früher Gemeinwohl nannte oder auch Verantwortung für eine staatliche Ordnung oder die Verantwortung für das, was auf dieser Welt allen Menschen gemeinsam ist, nämlich das Recht, menschenwürdig zu leben. Das ist etwa angesichts des Hungers von vielen Millionen Menschen dringendste Aufgabe, die auch finanziert werden kann, das Geld ist ja prinzipiell da. Ich empfehle das Buch des argentinischen Forschers und Journalisten Martin Caparrós „Der Hunger“, Suhrkamp Verlag, 2015.

Wichtig ist die Erkenntnis, die sich wenigstens herumsprechen sollte, auch wenn sich wohl kaum ein Millionär davon betroffen fühlt: Es gibt so etwas wie eine soziale Schuld. Das heißt: Jeder einzelne lebt von der akkumulierten Arbeit anderer. Wer zur Welt kommt, kommt in eine Welt, die ihm bereits vieles schenkt, vieles bietet, von der er lebt, ohne auch vorher etwas gearbeitet zu haben. Wir profitieren von einander, die einen etwas oder gar nicht; einige wenige hingegen sehr.

Wer große Vermögen ansammelt, bezieht sich auf die Arbeitsleistungen anderer, die schlecht bezahlt wurden. Wer viel verdient, genießt nicht das, was er sich allein erarbeitet hat.

Léon Bourgeois, ein Jurist und Gründerväter des Völkerbundes mit Friedensnobelpreis ausgezeichnet, 1851 bis 1925, sagt: „Der Mensch begeht einen Betrug, einen Diebstahl, wenn er für sich behält, was er nur durch die Arbeit und Mühe früherer Generationen hat erwerben können“ (S. 227).

Es gilt heute ein klares philosophisches Verständnis für eine Ethik des Eigentums wiederzugewinnen: Der Kategorische Imperativ Kants ist heute auch in dieser Frage ein bleibender universeller Maßstab, um die Moralität, also die Qualität der Menschwürde, in allen subjektiven Lebenshaltungen (Maximen) zu beurteilen. Gilt der Grundsatz einiger Leute, Millionäre usw., dass sie selbst unter allen Bedingungen immer reicher werden wollen, so kann diese Maxime vor einer menschlichen Moral, also der Menschenwürde, nicht bestehen. Wer an dieser Maxime festhält, verabschiedet sich, philosophisch gesehen, aus der gemeinsamen Menschenwelt (die gated communities sind dafür architektonischer Ausdruck). Fazit: Wir leben heute weithin in einem unmoralischen, d.h. im Sinne Kants, unvernünftigen und menschenunwürdigen Zustand.

Die grundlegende Frage wird nicht mehr gestellt, geschweige denn beantwortet: Warum ist es gut, gut zu sein? Also etwa dem Kategorischen Imperativ zu entsprechen oder konkreter: den Menschenrechten zu entsprechen als Form der Moralität. Die Antwort ist einfach: Es ist gut, gut zu sein, um die moralische Selbstachtung zu finden und zu bewahren. Nur wer noch Interesse hat, die grundlegende Selbstachtung zu bewahren, wird die Spaltung von Privateigentum und Gemeinwohl unerträglich finden.

Der Philosoph Helmut Rittstieg schreibt in der „Enzyklopädie Philosophie“, Hamburg 2010, Band I, S. 454:
„Es gibt keine pauschale Rechtfertigung für die eigentumsrechtlichen Strukturen der gegenwärtigen Marktgesellschaften. Eben sowenig ist der jeweilige konkrete Bestand an erworbenen Eigentumsrechten sakrosankt. Es gibt wohl erworbene und schlecht erworbene Eigentumsrechte, und auch die wohl erworbenen Eigentumsrechte müssen dem politischen Zugriff offen stehen, wenn sie der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung schädlich sind, wie der Übergang der Feudalgesellschaft zur bürgerlichen

6.Die Passivität der Geschädigten und der „ungleich“ Gemachten

Der Philosoph Pierre Rosanvallon kommt zum dem Gesamteindruck: „Es sieht ganz so aus, als gäbe es heute eine Art stillschweigender Toleranz gegenüber diesen Ungleichheiten (der Privateigentümer)“ (S 14). Es gibt etwa in Frankreich Umfragen mit widersprüchlichen Aussagen: 90 % meinen, die Kluft der Einkommen müsste verringert werden; gleichzeitig sagen sie zu 57 %, dass Einkommensungleichheiten unvermeidlich seien, um wirtschaftliche Dynamik zu gewährleisten“ (S. 14).

Es gibt da und dort den Willen zur Veränderung, man denke an die Versuche der Podemos-Partei, an ATTAC usw. Aber die Mentalitäten sind durch die Allmacht des Geldes so verdorben, dass die Zuversicht, Veränderungen zum Gerechten hin zu bewirken, doch fast geschwunden sind. Insofern leben wir in einer menschlich sehr traurigen Situation. Der Einsatz für die COMMONS ist sicher ein Lichtblick…

Wahrscheinlich kann das Eintreten für eine gerechte Steuerpolitik noch hilfreich sein für eine gerechte Gesellschaft:

Hier nur ein kleiner historischer Hinweis zur Einkommenssteuer: Von Bismarck wurde sie 1891 eingeführt. Die Steuerprogression erstreckte sich damals in Deutschland von 0,5 % bis 4%.

Schon 1924 war der Spitzensteuersatz in Frankreich 60%! Und er wurde selbstverständlich akzeptiert! Es wurde einst die Steuerpolitik verwendet als Instrument zur Überwindung von Ungleichheiten. Der Labour Abgeordnete Snowden (GB) sagte: „Die wenigen können nicht reich sein, ohne die große Masse ärmer zu machen“. (S. 202). Darum forderte er eine andere Steuerpolitik.

Vielen Regierungen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts zweifelsfrei klar, dass sie Reformen einleiten müssen, auch in der Verteilung des Reichtums, um Revolutionen zu verhindern (S. 206). Dieser Gedanke fehlt heute völlig in der Öffentlichkeit. Viele ahnen ihn wohl, aber keine demokratische Regierung handelt danach. Revolutionen, so wusste man damals, sollten durch zeitgemäße Reformen verhindert werden (S. 208).

Das heißt: Die Begrenzung des Privateigentums muss durch bessere Gesetze durchgesetzt werden. Sicher auch mit Begrenzungen des Kapitaleigentums. Aber es ist wohl schon zu spät, denn die Reichen haben nicht nur die Ökonomie in der Hand, sondern auch die Politiker. Wir reden von Obergrenzen für Flüchtlinge, besser wäre es, von Obergrenzen von Millionärs- und Milliardärseigentümern zu sprechen und diese Obergrenzen rechtlich durchzusetzen und darüber zu diskutieren.

Meine zusammenfassende These heißt: Noch nie wurde so viel von Ungleichheit geredet, und so wenig von den Geschädigten getan, diese Ungleichheit zu korrigieren. Die Ungleichheit wird heute wie ein Gott verehrt, sagt Pierre Rosavallon. „Alles wissen und alles sagen, ohne dass sich das Geringste verändert”, das ist die Formel heutiger Zeitgenossenschaft.

Ein wichtiger Hinweis ist dem Buch „Esprit de la Révolution“ entnommen, darin schreibt im Jahr 1815 der gemäßigte Politiker Pierre Louis Roederer: “Der erste Beweggrund der Revolution von 1789 war die Unduldsamkeit gegenüber den Ungleichheiten“. (S. 12 in Rosavallon) .

Eine Ergänzung am 1.3.2016 über Besitz und Spiritualität (Frömmigkeit):

Das Denken in Besitz-Kategorien hat sich auch im religiösen Verhalten durchgesetzt. Die bürgerliche Frömmigkeit vor allem folgte, etwa im katholischen Raum, den weit verbreiteten theologischen Propaganda-Sprüchen: „Rette deine Seele“, so immer noch zu lesen auf Kreuzen, die an so genannte „Volksmissionen“, also Predigtreihen intensiver Art, erinnern. Natürlich soll man als religiöser Mensch sich um seine eigene Seele, also um den „Kern“ der eigenen Würde als Person, „kümmern“. Aber niemals in der Fixiertheit auf das eigene und nur eigene Wohl und die eigene Rettung, noch dazu auf Kosten anderer. Wahrscheinlich ist die Kontemplationslehre auch im Mittelalter schon stark ego-fixiert, auf das Sichern de eigenen Heils. Nebenbei: Dass später (ab 1970) die Befreiungstheologie verteufelt wurde von konservativen Kreisen hat sicher damit zu tun: Die Befreiungstheologie deutete, biblisch sehr treffend, Erlösung als gemeinsame soziale Befreiung.

Der Philosoph (und „Mystiker“), der Dominikaner Meister Eckart (1260-1328) wollte in seinen Schriften und Predigten aus dieser Ich-Fixierung herausführen. Für ihn zählt allein die offene Existenz, die sich befreit von der Besitzstruktur, sogar von dem Verklammertsein an einen Gott, den man meint zu „haben“: Also “Gott um Gottes willen lassen”, ist das Motto Eckarts.

Meister Eckart steht in starken Kontrast zu dem viel gelesenen und sicher auch schneller zu verstehenden Erbauungsbuch „Die Nachfoge Chrsti“ des Thomas von Kempen. “Er befürchtet vom sozialen Bereich die Behinderung persönlicher Vervollkommung. Weltflucht ist für Thomas von Kempen oft Menschenflucht“, schreibt der Eckart-Spezialist Dietmar Mieth, in „Christus – das Soziale im Menschen“, Mainz 1972, S. 51, Mieth bezieht sich dabei auf das 20. Kapitel der „Nachfolge Christi“.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon, Christian Modehn