Karl-Otto Apel wird 95 Jahre. Gegen Skepsis und Relativismus.

Einer der anregendsten Philosophen unserer Zeit wird am 15. März 95 Jahre alt: Karl-Otto Apel, geboren in Düsseldorf, der Begründer der Diskurs-Ethik, mit ihrer Darstellung universaler Ansprüche im vernünftigen Argumentieren. Apel scheute nicht die Auseinandersetzung mit der Postmoderne. Welcher Philosoph nennt sich – nach all den Debatten – heute noch ernsthaft “postmodern”? Hingegen ist das Denken Apels über die letztbegründeten Regeln im Argumentieren nach wie vor von drängender Aktualität: Mit unserer “Entscheidung zur Vernunft”, also in der reflektierten Bejahung, nicht in performative Widersprüche kommen zu wollen, folgen wir nur der für Vernunftwesen einzig möglichen Entscheidung. Karl-Otto Apels Denken ist aktueller denn je. Hat schon jemand versucht, die Debatten um den sich verkrampfenden, unvernünftigen, aggressiven Populismus in der Denkweise Apels auseinanderzunehmen? In einer vernünftigen Widerlegung natürlich. Was denn sonst? Denn indem Populisten die Öffentlichkeit bedrängen mit ihren Sprüchen, behaupten sie ja selbst, sich argumentativ in die allgemeine, sprachliche Debatte einzuschalten. Also müssen sie bei dieser von ihnen selbst gesetzten Behauptung der Vernunft es auch ertragen, dass andere, Demokraten, Freunde der allgemein gültigen Menschenrechte usw. vernünftig, argumentierend mit ihnen sprechen und ihnen vernünftig widersprechen…

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Geert Wilders, der Populist und der Populismus in anderen Parteien.

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 5. 3. 2017.

Am 6. 3.: Zunächst eine, hoffentlich bis zum 15. 3. bleibende, erfreuliche Nachricht: Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Wilders und seine PVV auf Platz zwei in der Wählergunst gerutscht sind. Und es ist zudem sowieso sehr wahrscheinlich, dass die PVV in der künftigen Koalition nicht (mit)regieren wird. Dennoch ist eine Auseinandersetzung mit dem zweifelsfrei etablierten Populismus auch in den Niederlanden wichtig. CM

In seinem neuen Buch „de populistische revolutie“ (2017) bietet Hans Wansink einen knappen Essay zum Populismus in Europa, den USA und auch in Deutschland (S. 91 ff). Wansink arbeitet als Redakteur der Tageszeitung „de Volkskrant“, er ist auch Autor einiger politischer Studien. In dem Buch bietet er auch einige interessante, hierzulande oft eher unbekannte Aspekte des politischen Lebens in den Niederlanden.

Auf Seite 40 erinnert er etwa an eine “Wähleruntersuchung” aus dem Jahr 1998, also noch vor dem Auftreten des Populisten Fortuyn: Damals meinten 60 Prozent der niederländischen Wähler: Ethnische Minderheiten und Allochthone (= Ausländer, so werden sie vornehmer genannt in Holland) hätten sich an die Gebräuche und Gewohnheiten der Niederlande anzupassen. Diese Leute meinten also, die alte Form der Assimilierung sei für Allochthone am besten, also die Aufgabe des Eigenen, um so zu werden wie die Mehrheit im Lande. Assimilierung ist auch aus der deutsch-jüdischen Geschichte bekannt. Bekanntlich hat die Assimilierung der Juden in Deutschland die mörderischen Verbrechen der Nazis gegen die Juden gerade nicht verhindert.

Diesen 60 Prozent der Niederländer also standen 20 Prozent gegenüber, die meinten: Die Allochthonen könnten ihre eigene Kultur in Holland beibehalten. „Dieses Wahl-Verhalten ist stabil geblieben und es gilt auch für die Asylsuchenden“, schreibt Wansink. „Ungefähr die Hälfte der Wähler meint seit 1998, dass „so viele wie möglich sich in den Niederlanden aufhaltende Asylsuchende in ihr eigenes Herkunftsland zurückgebracht werden müssen“. Ungefähr 20 Prozent meinen, dass “die Niederlande gerade mehr Asylsuchende aufnehmen sollten“. Man sieht daraus: Eine gewisse abweisende Haltung gegen Ausländern ist viel größer als die Bereitschaft, PVV und Wilders zu wählen. Abweisung von Fremden reicht viel tiefer und weiter…

Auch zur moralischen Einstellung der Populisten bietet Wansink einige Hinweise, die er im Anschuss an den Politologen Cas Mudde darlegt:

Es geht den Populisten immer um das saubere Volk, die der korrupten Elite gegenübersteht. Politik sollte für Populisten ein Ausdruck des Volks-Willens sein, wobei als „das“ Volk sich die Populisten (autoritär) verstehen. Kompromisse sollte dieses (populistische) Volk nicht eingehen; denn Kompromisse könnten das saubere Volk korrumpieren. Nebenbei: Über den Begriff „sauber“ und „säubern“ sollte man alsbald eigene politologisch-philosophische Studien betreiben, im politischen Zusammenhang verwendet erinnert Säubern natürlich an die Nazi-Sprache, interessant ist und kaum beachtet, dass der konservative Theologen Ratzinger alias Benedikt XVI. permanent vom „Säubern“ in Theologie und Kirche sprach. Populisten behaupten also unentwegt: Wir sind das echte Volk.

Auch Wansink erinnert daran, dass das jetzige Parteiprogramm von Geert Wilders (PVV) noch „extremer ist als das frühere“ (S. 168). Heute soll, nach seinen antidemokratischen Vorstellungen, auch die Religionsfreiheit von einer Million niederländischer Muslime eingeschränkt werden. Wansink schreibt, noch moderat: „Das ist ein rabiater Standpunkt, dadurch wird ein großer Teil der niederländischen Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse gemacht. Das Programm der PVV steht in Spannungen (so milde sagt es Wansink) zum niederländischen Grundgesetz“.

Tatsache ist auch: Die Wähler von Wilders können sich ihren Führer gar nicht als Premierminister vorstellen. Sie „wollen durch Wilders nur ihren Unmut zu Wort bringen, es geht ihnen nicht darum, politische Verantwortung zu übernehmen“ (S. 168)

Unsere Vermutung, die jetzt schon überall im demokratischen Europa zu beobachten ist: Dann entsprechen eben auf etwas moderatere und diplomatischere und etwas vornehmere Art die etablierten regierenden Parteien dem, was Wilders, Le Pen, AFD (Pegida), FPÖ usw. fordern. Das heißt: Die Populisten regieren leider indirekt längst mit, auch wenn sie noch nicht an der Macht sind. Im Verzicht auf den absoluten Respekt vor den Menschenrechten und natürlich auch Flüchtlingsrechten, im Verzicht auf die grundlegenden, oft als christlich beschworenen Grundsätze nähern sich die demokratischen Staaten immer mehr den Überzeugungen der Populisten an. Die Folgen sind: Grenzen und Mauern rings um Europa; Hinnahme des Sterbens von Menschen auf dem Mittelmeer; Verhandlungen mit absolut korrupten Staaten oder ähnlichen Gebilden wie Libyen oder Ägypten; das alles mit dem Ziel: Europa soll so wohlhabend bleiben, wie es ist. Ethisch leitende Begriffe wie „das Leben mit anderen, Fremden, teilen“ und „solidarisch sein“ sind aus dem Wortschatz der Regierenden weithin verschwunden. Und nur noch wenige finden das schlimm. Die Angst vor möglichen Terror lähmt Vernunft und Gewissen der Herrschenden. Insofern ist der Populismus sowohl in den sich populistisch nennenden Parteien und wie der Populismus in den sich nicht populistisch, also demokratisch nennenden Parteien ein philosophisches Thema.

Hans Wansink, de populistische revolutie. 2017, Prometheus Verlag Amsterdam.

 

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

Karl Rahner: „Jesus zeigt die göttlichen Dimensionen in jedem Menschen“.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 1.3.2017:

Er hat der katholischen Theologie und der katholischen Variante der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie die Weite und die Universalität geschenkt, die im dogmatischen Mief der Schultheologie vor dem 2. Vatikanischen Konzil erstorben war und nach dem Konzil wenigstens an einigen Orten überwunden wurde. Karl Rahner SJ, geboren am 5.3. 1904, gestorben am 30. März 1984, wollte für einen modernen Katholizismus sorgen, der den Herausforderungen durch Kant z.B. wenigstens ansatzweise gewachsen war. Rahner dachte niemals eng und kleinlich, auch wenn er als äußerst gefragter Theologieprofessor zu vielen konfessionell geprägten, also explizit katholischen Themen Stellung nehmen musste und manche seiner konfessionellen Schriften etwas Apologetisches haben, etwa seine Verteidigung der Unfehlbarkeit des Papstes. War dies dem Druck der kirchlichen Autoritäten geschuldet, die sich bekanntlich immer ins freie Denken der Theologen einmischen? Das wurde bisher noch nicht untersucht. Andererseits hat er schon in 1970 Jahren klar gesagt: Die Kircheneinheit mit den Protestanten ist jetzt möglich. Dieses Buch leider total verschwunden aus den Debatten, würde heute aber Mut machen, in gutem Ungehorsam einfach gemeinsam Abendmahl/Eucharistie zu feiern. gerade jetzt, im Reformationsgedenken. Karl Rahner war in dieser Frage niemals “brav”, heutige Katholiken und Theologen sind nach wie vor brav und verängstigt (“Ungehorsam könnte die Karriere kosten” usw…)

Karl Rahner hat aber vor allem bewiesen, dass Argumentieren und Fragen und philosophisches Debattieren einen festen Platz in der menschlichen Haltung, Glauben genannt, haben müssen. Entscheidend ist: Karl Rahner hat sich bemüht, die zentralen Lehren und Überzeugungen der christlichen Tradition (Dogmen genannt) mit den Erfahrungen der Menschen in Verbindung zu bringen, bis dahin, dass er die Dogmen als Ausdrucksformen der menschlichen religiösen Selbsterfahrungen deutete. So sollte die Fremdheit zwischen Glauben und Lebenserfahrung überwunden werden, ein großartiges Unternehmen, das heute schon wieder vergessen ist.

Dies ist wohl seine bleibende Bedeutung, darin bleibt er eine Provokation. Diese großartige Leistung bringt ihn in meiner Sicht und in dieser Perspektive (!) in die Nähe einer modernen liberalen Theologie bringt. Bis heute hingegen werden von Theologen, nicht nur in der römischen Kirche, Dogmen etc. als hinzunehmende “Fremdkörper” des Denkens hingestellt, so wird der Bruch zwischen Glauben und Vernunft vertieft, also der enorme Abstand zwischen geistvollem Leben und Glauben zementiert. „Credo quia absurdum“, dieser furchtbare Spruch geistert noch immer in den Köpfen der Kirchenleute und der Christen herum, vielleicht gerade jetzt, in den Erinnerungen an das Reformationsgeschehen. Luther war ja bekanntlich ein entschiedener Gegner philosophischer Debatten. Er hat die dialektische Theologie inspiriert und den unvernünftgen „Sprung in den Glauben“. Zurück zum Luther-Jahr: Ob darüber offen gesprochen wird? Ob das freie Nachdenken wieder eine Chance im Protestantismus und vor allem in den enthusiastischen evangelikalen Kreisen erhält? Ob es ein Ende gibt in dem bloßen Zitieren von Bibelsprüchen, um etwa katholische Sonderlehren zu begründen? Man denke etwa an die fundamentalistisch anmutende Begründung des Papsttums durch angebliche Sprüche Jesu von Nazareth (siehe etwa das neue Papstbuch von Kardinal Müller, Rom).

In jedem Fall: Karl Rahner bleibt von unerreichter Größe, wenn es um die Universalität der christlichen Grundüberzeugungen geht. Im Band 9 seiner „Schriften zur Theologie“ (1970, Seite 212) schreibt er zum Beispiel: „Wir setzen die Einmaligkeit Jesu falsch an, wenn wir ihn nur als den Sohn Gottes betrachten, der Menschen gegenüber tritt, die zunächst einmal mit Gott gar nichts zu tun haben; wenn wir Jesus bloß als Boten aus einem göttlichen Jenseits sehen hinüber zu einer Welt, die mit Gott noch gar nichts zu tun hat“. Diese Fremdheit zwischen Christus und den Menschen im allgemeinen ist für Rahner völlig unzutreffend! Er fährt fort: “In Wirklichkeit sind wir aber in der ganzen Geschichte der Menschheit Kinder Gottes“. Sind es „immer schon“, müsste man in Rahners eigenen Worten weiterformulieren. Das heißt: Jesus von Nazareth macht in seinem Leben und Sprechen und Handeln nur sichtbar und offenbar, dass die Menschheit im ganzen mit Gott selbst immer schon eins und verbunden ist…Jeglicher konfessionalistischer Wahn ist so zurückgewiesen. Welchen Sinn dann Predigt und Mission haben, hat Rahner klar gesagt. Auch dies wird heute gern und bewusst beiseite geschoben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Philosophie als Lebenshilfe in turbulenten Zeiten

Hinweise von Christian Modehn im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 24.2.2015

Wir haben uns heute wieder ein aktuelles Thema vorgenommen. Die Einsicht heißt: Angesichts des Rechtspopulismus und Nationalismus fast überall in Europa und in den USA erleben sehr viele, dass Idee und Realität der Demokratie immer mehr bedroht sind. Dadurch sehen viele Menschen auch den Sinn ihres eigenen Daseins bedroht.

Welchen Beitrag kann Philosophie leisten für die Rettung und Neugestaltung einer Kultur der Demokratie? Ein weiteres Beispiel: Das Elend so vieler Millionen Menschen im Süden, also in Afrika Asien und Lateinamerika, ist objektiv erschreckend, es berührt aber so wenige. Die Gleichgültigkeit der reichen Welt, vor allem der schamlosen Super-Reichen, gegenüber dem Hungersterben, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Oder will man mit ein paar Spenden tatsächlich eine gerechte Welt aufbauen? Gleichzeitig werden immer mehr Waffen in Europa verkauft, immer mehr Kriege geführt. Das Massensterben der Flüchtlinge im Mittelmeer wird von den angeblich christlichen Europäern eher distanziert als bürokratisch-politisches Problem behandelt. Diese Welt, so könnte man meinen, ist strukturell „ver-rückt“. Und in dieser Welt sollen wir als Menschen uns als Menschen entwickeln … wie kann das noch gelingen?

Bei all diesen Herausforderungen kann Philosophie nicht unmittelbar, schon gar nicht technisch-praktisch, eingreifen.

Philosophie und damit deren lebendiger Vollzug, das Philosophieren, kann nur grundlegend und sozusagen an der Basis von Geist und Vernunft dem einzelnen und den Gruppen Aufklärung bieten. Philosophie kann prinzipiell von falschem Denken befreien, sofern sich die Menschen noch vom Denken und Korrekturen des eigenen Denkens leiten lassen. Ist die Unkultur massenhafter Verdummung, sorry, noch zu stoppen?

Philosophie ist eine akademische Disziplin an den Universitäten. Philosophie ist aber vom Ursprung in Griechenland her immer auch eine Reflexion auf Lebensformen. Philosophieren selbst ist dann für den einzelnen eine Lebensform. Vielleicht bietet die Reflexion auf diese Lebensform eine Möglichkeit, sich dann deutlicher auch politisch einzusetzen. Darauf hat eindringlich der Philosoph Pierre Hadot in zahlreichen Studien hingewiesen.

Eine Hinweis zu Sokrates (469 bis 399 vor Christus).

Von ihm selbst verfasste Schriften sind nicht überliefert, sein Denken, auch seine Biographie, können wir vor allem aus den Büchern Platons entnehmen. Die Dialoge unter dem Titel Apologie, Kriton und Phaidon sind sicher die bekanntesten Texte, die sein lebendiges Denken mitteilen. Die frühesten Dialoge sind Ion, Laches, Charmides und Euthypron, sie zeichnen in etwa ein Bild des historischen Sokrates….

Für unseren Zusammenhang ist wichtig: Sokrates war philosophisch aktiv in der Öffentlichkeit Athens, vor allem in der Zeit des Peleponnesischen Krieges (431 bis 404). Sokrates lebte in einer Zeit, als die Seemacht Athen gegen die Landmacht Sparta kämpfte. Die demokratische Verfassung Athens blieb zwar weithin erhalten, aber es gab kurze Intermezzi von oligarchischen Regierungen.

Wichtig ist: Sokrates glaubte an einige wenige allgemeine und allgemein gültige und verbindliche Erkenntnisse als Lebenswahrheiten. Er war von einer unbedingten Gültigkeit einer ethischen Praxis überzeugt: „Besser ist es Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun“.

Sokrates wehrte sich gegen populäre philosophische Lehrer, die man Sophisten nannte, spitzfindige, eher gerissene Denker, die den Leuten eher zu Munde redeten und eher mit Wortspielen Verwirrung stifteten. Sie behaupteten: Ethik ist nichts als ein Produkt von Menschen, die sich einfach wegen gemeinsam geteilter Überzeugungen durchsetzen. Neue Studien zur populären Bewegung der Sophisten zeigen zum Teil ein eher positives Bild der Sophisten. Bezeichnend vielleicht, dass Nietzsche die Sophisten lobte, Sokrates hingegen ablehnte.

In dieser Situation von Krieg und Unsicherheit entwickelte Sokrates seine Philosophie: Er setzt ganz auf den öffentlichen Austausch von Argumenten; er befragt die üblichen Überzeugungen und Traditionen seiner Gesprächspartner, sucht mit ihnen eine gültige Wahrheit zu entdecken. „Er ist überzeugt, seine Untersuchungen müssen eine lebenspraktische Relevanz haben“, betont der Züricher Michael Hampe. Dies gelingt nur, indem Sokrates seine Gesprächspartner existentiell und im Denken aufscheuchen will.

Sokrates fragt also: Kennst du dich aus in deinem Sprechen, weißt du, was du denkst? Im Dialog selbst zeigt sich, dass du unreflektiert bist. Sokrates will etwas in Bewegung bringen. Und dies ist die Seele. Denn die Seele selbst ist Bewegung, Lebendigkeit, sie sucht nach dem lebenswerten Leben. Darin wird der Logos entdeckt.

Im Zerfall und der Krise des Staates könnten eigentlich allgemein-vernünftige Argumente im Dialog helfen. Sokrates will nicht überreden, er will nicht die Massen manipulieren mit Sprüchen. Darin sieht er nur eine Form der Gewaltherrschaft.

Sokrates wendet sich in seinen Dialogen an den einzelnen. Er will im Gespräch beim anderen hervorbringen, was an Wahrheit in ihm steckt. Er nennt dies Maieutik, eine Art geistiger Entbindung.

Hanna Arendt sagt: „Sokrates will der Wahrheit des Bürgers auf die Welt helfen… Die Rolle des Philosophen besteht also darin, die Bürger permanent zu irritieren, in dem von Sokrates gebrauchten Bild: Wie eine lästige summende Bremse zu sein, also wie ein lästiges Insekt“ (63).

Dabei ist für Sokrates klar: Einzig das Wissen vom eigenen Nicht-Wissen ist der Schlüssel, um sich der Weisheit anzunähern. Die Weisheit im Sinne Platon ist ja das Göttliche selbst, also eigentlich ist vollkommene Weisheit für den Menschen, besonders für den Philo-Sophen, also den Freund der Weisheit, nicht erreichbar. Es geht auch in der Philosophie immer nur um Annäherung an die Weisheit.

Ich zitiere aus der Apologie, da lässt Platon Sokrates sagen (in einer Übersetzung von Friedrich Schleiermacher):

„Bester Mann, als ein Athener aus der größten und für Weisheit und Macht berühmtesten Stadt, schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangst, und für Ruhm und Ehre, für Einsicht aber und Wahrheit und für deine Seele, dass sie sich aufs beste befinde, sorgst du nicht und hieran willst du nicht denken? Und wenn jemand unter euch dies leugnet und behauptet, er denke wohl daran, werde ich ihn nicht gleich loslassen und fortgehen, sondern ihn fragen und prüfen und ausforschen. Und wenn mich dünkt, er besitze keine Tugend, behaupte es aber: so werde ich es ihm verweisen, dass er das Wichtigste geringer achtet und das Schlechtere höher“.

Was bedeutet das für uns heute?

In Zeiten der Krise gilt es, die Seele im Dialog zu heilen, also umfassend und offen miteinander sprechen. Der Dialog ist eine geistige Übung. Auch mit der Bereitschaft, dass wir und die Menschen um uns herum tatsächlich (noch) unreflektiert leben. In diesem Eingeständnis allein liegt geistiges und seelisches Wachstum.

Das Sich Orientieren beginnt mit dem Eingeständnis des Nicht-Wissens.

Ein Hinweis zu Marc Aurel

Marc Aurel (l21 bis 180 n.Chr.), er war römischer Kaiser seit 161 nach Chr. Er ist der bekannteste (Stoa) Philosoph als Herrscher.

Er regierte zu einer Zeit, als Kriege im ganzen Reich ausbrachen, zuvor hatten schon Überschwemmungen, Erdbeben, verheerend Feuer, Epidemien die Menschen in Angst und Schrecken versetzt.

In dieser verworrenen und gefährlichen Situation auf der ganzen Erde war nur ein Philosoph aus der Schule der Stoa geeignet, die Nerven zu behalten.

Die Stoa ist eine anspruchsvolle philosophische Schule, sie lehrt zum Beispiel: Das einzige, was der Mensch verändern kann, wofür er also verantwortlich ist, dies ist die eigene Moral, also das Leben nach den Prinzipien des Guten. Alles andere, etwa die biologische Verfassung, den Zustand der Erde usw. kann der Mensch nicht verändern. Darum sollte er sich also keine Sorgen machen. Wir sollen nur erreichen wollen, was wir erreichen können. Wir sollen vermeiden, was man vermeiden kann. Übel ist nur das, was von uns selbst abhängt. Diese Haltung ist zugleich eine Therapie.

Wer dem Guten entsprechend lebt, kann dabei durchaus Auswirkungen in der Politik erzielen. Aber politisches Handeln ist niemals Ausdruck von Aktionismus. Der Philosoph handelt aus reflektierter Überzeugung, er weiß von den Möglichkeiten und Grenzen öffentlichen Handelns. Er kann sozusagen eine philosophisch-spirituelle Haltung ausbilden.

Die innere Sammlung, die möglichst angstfreie Reaktion auf die Vorkommnisse: Darauf kommt es an. Und daran hat Marc Aurel gearbeitet als Stoiker. Er ist ein Philosoph der tiefen Krise, der Verwirrung.

Inmitten der Kriege schrieb er für sich selbst als Stärkung und Klärung die „Selbstbetrachtungen“, es sind Kommentare zur eigenen seelischen Entwicklung, es sind Hinweise auf eigene Schwächen. Diese Sätze, so sagen Philosophen wie Pierre Hadot, kann jeder sich auch heute kritisch vergegenwärtigen, die grundlegenden Erkenntnisse und Maximen kann man täglich sprechen, mit anderen besprechen. Diese Aufmerksamkeit für sich selbst, diese Sorge um die eigene Seele, ist entscheidend in Zeiten der Erschütterungen.

In der höchsten Gefahr hilft die reflektierte Ruhe. Hilft das Selbstgespräch, die Selbstkritik. Die Erkenntnis, dass der einzelne Mensch in einem großen göttlich zu nennenden Zusammenhang steht. Dass der Mensch schon immer in einem oft übersehenen großen Sinnzusammenhag steht, den keine Politik verderben kann. Dann kann man auch dem eigenen Tod gelassen begegnen. Lebe so, dass du dich in der Allnatur, wie die Stoa sagt, also dem Göttlichen, gegründet und geborgen weißt.

Dabei werden in einigen Sätzen der „Selbstbetrachtungen“ durchaus explizit Verbindungen zum politischen Handeln angesprochen:

Im Siebenten Buch der Selbstbetrachtungen heißt es etwa unter Nr. 54: „Überall und jederzeit steht es bei dir, gegen deine Zeitgenossen Gerechtigkeit zu beweisen“.

Im Neunten Buch, Nr. 5: „Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er es kann, der befiehlt es“.

Im Achten Buch, Nr. 7 „Einem vernünftigen Wesen geht es wohl, wenn es seine Triebe nur auf gemeinnützige Handlungen richtet“.

Im 10. Buch, Nr. 16: „Es kommt nicht darauf an, über die notwendigen Eigenschaften eines guten Mannes dich zu besprechen – vielmehr ein solcher zu sein“.

Nur so kann das Ziel erreicht werden, das Ziel, das die Stoa vorschlägt: Zur Seelenruhe finden. In der höchsten Krisenzeit kommt es darauf an, die Seelenruhe zu finden. Durch Üben. Durch Üben des Vernünftigen, der Philosophie, nicht der Sophisterei, nicht der Esoterik in den verschiedenen Formen…

Das ist entscheidend für die hellenistische Philosophie:

Der Diskurs über Philosophie ist noch nicht eine philosophische Lebensweise. Nur reden über Philosophie ist kein philosophisches Leben. Oder ein anderes Beispiel für alle, die als Beamte des Glaubens tätig sind: Nur reden von Gott ist noch kein gelebter Glaube an Gott.

Philosophischer Widerstand in Zeiten globaler Verwirrung:

Diese philosophische Arbeit beginnt z.B. mit der Begriffsanalyse und dem kritischen Hinsehen auf den Gebrauch der Alltagssprache. Philosophie ist überzeugt: Sprechen ist Ausdruck meines Lebens. Ändere ich mein Sprechen, kann ich mein Leben ändern. Ändert sich mein Leben, ändert sich mein Sprechen. Was tun etwa gegen die unflätige Rede etwa der Pegida-Leute, wenn sie von „Lügenpresse“ sprechen. Meinen sie dabei auch ihre eigenen Äußerungen? Kann man zeigen, dass ihr Sprechen eine vergiftete Gesinnung offenbart? Wollen sie sich als solche so in der Öffentlichkeit blamieren? Was soll der Spruch: „Wir sind das Volk“. Das ist eine totalitäre Anmaßung. Richtig ist nur und fürs Debattieren geeignet: Wir sind auch das Volk. Es gibt Pluralität. In der DDR-Opposition hatte der Spruch „Wir sind das Volk“ alle Berechtigung und Wahrheit: Die DDR Oppositon wehrte sich gegen die Anmaßungen einer SED Clique.

Wir müssen also elementare philosophische Sprachkritik betreibe, um eine Kritik unserer Lebensverhältnisse zu formulieren. Georg Christoph Lichtenberg sagt: „Unsere ganze Philosophie ist Berichtigung des Sprachgebrauchs, also, die Berichtigung einer Philosophie, und zwar der allgemeinsten“.

Zum Beispiel Ludwig Wittgenstein

„Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache. (Philos. Untersuchungen, §109). „Die Philosophie verändert die Sehweise von uns, und die Einstellung zu unseren Sehweisen. (Rolf Wiggershaus, S. 52)

„Was ist dein Ziel in der Philosophie? – Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen“ (Philos. Untersuchungen, § 309)

„Von allem Beiwerk gereinigt, könnten Wittgensteins Worte übrig bleiben, die von dem Wunder reden, nicht bloß so dahin lebend existiert zu haben, sondern reflektierend gelebt zu haben“ (Rolf Wiggershaus, S. 86).

Man kann in der Reflexion einige Slogans philosophisch „auseinander nehmen“ und deren Widersinn erkennen. Etwa angesichts dieser populären Sprüche:

„Ich (bzw. meine Gruppe, Partei, Kirche) habe den gesunden Menschenverstand“. „Es gibt keine Alternative: „There ist no Alternative“, das Dogma von Madame Thatcher und co. Nebenbei: Die AFD ist selbstverständlich auch keine Alternative…. „Die Wirtschaft folgt nur ihren eigenen Regeln“. „Die Armen sind selbst schuld, dass sie arm sind“. „Darf man im Umgang mit Menschen von „Obergrenzen“ sprechen?“ „Die „anderen“ sind für uns eine Gefahr“. „Gegner sind eigentlich Feinde“. „Die da“ und „wir“.

Die Arbeiten von Elisabeth Wehling, der Sprachforscherin in den USA, sind von großer Aktualität:

Ihr Thema ist „Framing“, also Einrahmung und Umrahmung eines Begriffes, der in einen bestimmten Kontext gestellt wird und schon einen Sinn des Wortes mit-vermittelt. Dadurch wird eine bestimmte und oft einseitige Richtung im Inhalt eines Begriffes gesetzt. Elisabeth Wehling sagt: „Wann immer Sie ein Wort hören, wird in Ihrem Kopf ein Frame aktiviert“. Zum Beispiel das Wort Flüchtling: „Das ist ein Frame, der sich politisch gegen Flüchtlinge richtet. Weil die Endung “-ling” macht diese Menschen klein und wertet sie ab. Denn das Kleine steht im übertragenen Sinn oft für etwas Schlechtes, Minderwertiges. Denken Sie an “Schreiberling” oder “Schönling”. Ein eigentlich positiv besetzter Begriff wie “schön” wird durch die Endung „ling“ ins Negative verkehrt. Außerdem ist “der” Flüchtling männlich – und damit transportiert dieses Wort sehr viele männliche Merkmale: “Der” Flüchtling ist eher stark als hilfsbedürftig, eher aggressiv als umgänglich. Besser wäre es, neutraler, von den Flüchtenden zu sprechen, also dem flüchtenden Mann, der flüchtenden Frau, dem flüchtenden Kind. Das wäre eindeutiger. Und nicht abwertend.

Ein Frame ist ein Deutungsrahmen, in unserem Gehirn gibt es etliche; sie sind durch unsere Erfahrung mit der Welt entstanden, und sie helfen, Tatsachen zu bewerten und einzuordnen. Aktiviert werden sie durch Wörter. Denken wir an den Begriff “Euro-Rettungsschirm”: Elisabeth Wehling meint: Automatisch denkt jeder an den Regenschirm, der einen vor dem Nasswerden schützt. Hier wird auf ein natürliches Phänomen – den Regen – angespielt, vor dem die Bürger geschützt werden müssen. Verursacher und Verantwortung werden ausgeblendet. Kein Hinweis auf die Banken, die die Finanzkrise ursprünglich ausgelöst hatten. Oder auf die Regierungen. Mir geht es vor allem darum, dass wir Bürger uns im Alltag ab und an die Zeit nehmen, bei den wichtigen politischen Themen ganz gezielt darüber nachzudenken, welche Begriffe in aktuellen Debatten genutzt werden – zum Beispiel nach einer Talkshow oder nach der Lektüre eines Zeitungsartikels. Dann entwickelt man ein Gespür dafür, welche Haltung gerade dominiert, etwa wenn es um den Staat oder Steuern geht. Oder um geflüchtete Menschen.“

An der Sprache und dem Sprachrahmen wird heftig von Firmen manipuliert: „Heute stecken konservative Thinktanks wie die Heritage Foundation Millionen von Dollar in die Entwicklung von Frames“ (Wehlig).

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Welt wurde 2016 finsterer und unsicherer: Der Jahresreport 2016 von Amnesty International. Eine Pflichtlektüre!

Welche Geltung haben Menschenwürde und Menschenrechte heute? Amnesty International (A.I.) veröffentlicht dieser Tage einen Jahresrückblick 2016 zu dem Thema. Und dieser ist nicht nur Erinnerung; die widerwärtigen Fakten von 2016, aus weitesten Kreisen der Politik so vieler (sich oft noch demokratisch nennender) Staaten bestimmen noch das Leben im Februar 2017 und danach. Amnesty International lenkt die Aufmerksamkeit auf die wirklich dringenden Themen der Gegenwart. Wer sie verstehen will, sollte diesen Beitrag lesen. “Die Welt wurde 2016 finsterer und unsicherer”, betont Amnesty International. Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin. Bitte besuchen auch die A.I. Website, bitte hier klicken.

Von Salil Shetty, internationaler Generalsekretär von Amnesty International

Die Idee der menschlichen Würde und Gleichheit, die Vorstellung einer Gemeinschaft der Menschen an sich, wurde 2016 mit machtvollen Diskursen über Schuld, Angst und der Suche nach Sündenböcken heftig attackiert, und zwar von jenen, die versuchten, um jeden Preis an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben.

Für Millionen Menschen war 2016 ein Jahr anhaltenden Elends und unablässiger Angst, weil Regierungen und bewaffnete Gruppen Menschenrechte auf vielfältige Art verletzten. Syriens einst bevölkerungsreichste Stadt Aleppo wurde durch Luftangriffe und Straßenkämpfe in weiten Teilen dem Erdboden gleichgemacht, im Jemen gingen die grausamen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung weiter. In Myanmar spitzte sich die Misere der Rohingya immer weiter zu, in Burundi und im Südsudan kam es zu massenhaften rechtswidrigen Tötungen. In der Türkei und in Bahrain gingen die Behörden brutal gegen Andersdenkende vor, während in weiten Teilen Europas und der USA Hassreden zunahmen – die Welt wurde 2016 finsterer und unsicherer.

Es herrschte eine enorme Kluft zwischen Rhetorik und Realität, zwischen dem, was notwendig gewesen wäre, und dem was tatsächlich getan wurde, die einen immer wieder fassungslos machte. Nirgends zeigte sich dies deutlicher als beim UN-Gipfel zu Flüchtlings- und Migrationsbewegungen im September 2016, als die teilnehmenden Staaten nicht in der Lage waren, eine angemessene Antwort auf die globale Flüchtlingskrise zu finden, die im Laufe des Jahres größer und dringlicher wurde. Während die Regierenden angesichts dieser Herausforderung versagten, saßen 75.000 Flüchtlinge in der Wüste im Niemandsland zwischen Syrien und Jordanien fest.

Die Afrikanische Union hatte für 2016 ein Jahr der Menschenrechte ausgerufen. Doch in diesem Zeitraum kündigten drei Mitgliedstaaten ihren Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof an und torpedierten damit die Hoffnung auf eine Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen. Der sudanesische Staatspräsident Omar al-Bashir konnte ungehindert und straflos durch Afrika reisen, während seine Regierung in Darfur mit Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung vorging.

Diskurs der Furcht und Uneinigkeit
Das möglicherweise größte der vielen politischen Erdbeben im Jahr 2016 war die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie folgte auf einen Wahlkampf, in dem Trump sich vielfach mit hetzerischen Äußerungen hervorgetan hatte, die von Frauen- und Fremdenfeindlichkeit geprägt waren. Er versprach, etablierte bürgerliche Freiheiten rückgängig zu machen und eine Politik zu betreiben, die der Wahrung der Menschenrechte in höchstem Maße zuwiderläuft.

Trumps vergiftete Wahlkampfrhetorik war nur ein Beispiel eines weltweiten Trend hin zu einer Politik, die auf Wut und Spaltung setzt. In vielen Ländern stützten sich Machthaber und Politiker zum Erhalt ihrer Macht auf einen Diskurs der Furcht und der Uneinigkeit und wiesen die Schuld für die tatsächlichen oder vermeintlichen Probleme ihrer Wählerschaft “den Anderen” zu.

Trumps Vorgänger, Präsident Barack Obama, hinterließ in Bezug auf den Menschenrechtsschutz ein Erbe, das auch viele Fälle schweren Versagens umfasst. Dazu zählen die Ausweitung der geheimen CIA-Drohnenangriffe und die gigantische Massenüberwachungsmaschinerie, die der Whistleblower Edward Snowden öffentlich machte. Doch die Ankündigungen des neuen US-Präsidenten Trump lassen eine Außenpolitik befürchten, die sich über multilaterale Kooperationen hinwegsetzt und eine Ära vermehrter Instabilität und gegenseitigen Misstrauens einleitet.

Noch mangelt es an einem übergreifenden Diskurs, der die aufwühlenden Ereignisse des vergangenen Jahres einordnen könnte. Tatsache ist jedoch, dass die Weltlage zu Beginn des Jahres 2017 höchst instabil ist und wir voller Sorge und Unsicherheit in die Zukunft blicken.

Suche nach Sündenböcken
Vor diesem Hintergrund droht die Sicherheit der Werte, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum Ausdruck gebracht wurden, zu schwinden. Die Erklärung, die nach einem der blutigsten Kapitel der menschlichen Geschichte geschrieben wurde, beginnt mit den Worten: “Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet (…)”.

Doch trotz der Lehren aus der Vergangenheit wurde die Idee der menschlichen Würde und Gleichheit, die Vorstellung einer Gemeinschaft der Menschen an sich, 2016 mit machtvollen Diskursen über Schuld, Angst und der Suche nach Sündenböcken heftig attackiert, und zwar von jenen, die versuchten, um jeden Preis an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben.

Die Verachtung dieser Ideale war offenkundig in einem Jahr, in dem die gezielte Bombardierung von Krankenhäusern in Syrien und im Jemen zur Routine wurde, in dem Flüchtlinge in Konfliktgebiete zurückgeschickt wurden, in dem die nahezu vollständige Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft in Bezug auf Aleppo an das Versagen in Ruanda 1994 und in Srebrenica 1995 erinnerte und in dem Regierungen in unzähligen Ländern weltweit massiv gegen Andersdenkende vorgingen.

Angesichts all dessen ist es alarmierend einfach, eine Schreckensvision der Welt und unserer Zukunft zu zeichnen. Die dringende und zunehmend schwierigere Aufgabe besteht jedoch darin, die globale Verpflichtung zu diesen grundlegenden Werten wiederzubeleben, von denen die Menschheit abhängt.

Zu den extrem beunruhigenden Entwicklungen 2016 zählen auch die Folgen eines neuen Handels, den Regierungen ihren Bürgern anbieten – sie versprechen ihnen Sicherheit und Wohlstand, wenn sie im Gegenzug dazu bereit sind, auf politische Teilhabe und bürgerliche Freiheiten zu verzichten.

Auf allen Kontinenten gingen Regierungen 2016 in drastischer Weise gegen Andersdenkende vor – manchmal offen und gewaltsam, manchmal subtiler und vermeintlich seriöser. Das Bestreben, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen, nahm weltweit zu, sowohl was den Umfang als auch die Intensität betraf.

Drastisches Vorgehen gegen Oppositionelle
Die Ermordung der indigenen Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres in Honduras im März 2016 machte exemplarisch deutlich, welche Gefahr Menschen droht, die sich mutig gegen mächtige staatliche und privatwirtschaftliche Interessen stellen. Nicht nur auf dem amerikanischen Kontinent, sondern auch andernorts werden couragierte Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger, die auf die Konsequenzen von Ressourcenabbau und Infrastrukturprojekten für Mensch und Umwelt hinweisen wollen, von Regierungen häufig als Bedrohung der wirtschaftlichen Entwicklung abgetan. Berta Cáceres, die sich für die lokale Bevölkerung und deren Land eingesetzt und zuletzt gegen ein Staudammprojekt gekämpft hatte, erhielt für ihr Engagement weltweit Anerkennung. Von den Mördern, die sie zuhause töteten, geht ein furchteinflößendes Signal an andere Aktivisten aus, insbesondere an diejenigen, die international nicht so bekannt sind wie Berta Cáceres.

In vielen Teilen der Welt zogen Regierungen Sicherheitsgründe heran, um ihr drastisches Vorgehen gegen Oppositionelle zu rechtfertigen. In Äthiopien töteten Sicherheitskräfte Hunderte Protestierende und nahmen Tausende Menschen willkürlich fest, die überwiegend friedlich gegen rechtswidrige Landenteignungen in der Region Oromia demonstriert hatten. Die äthiopische Regierung nutzte das Antiterrorgesetz, um radikal gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Oppositionspolitiker vorzugehen.

In der Türkei verschärfte die Regierung im Zuge des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch im Juli 2016 ihr hartes Vorgehen gegen regierungskritische Stimmen. Sie entließ mehr als 110.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aufgrund angeblicher “Verbindungen zu terroristischen Organisationen oder Bedrohung der nationalen Sicherheit”, hielt 118 Journalisten in Untersuchungshaft und verfügte willkürlich die endgültige Schließung von 184 Medienunternehmen.

Im Nahen Osten und in Nordafrika war die Unterdrückung von Andersdenkenden endemisch. In Ägypten inhaftierten die Sicherheitskräfte willkürlich mutmaßliche Unterstützer der verbotenen Muslimbruderschaft sowie andere Regierungskritiker und Oppositionelle, folterten sie und ließen sie “verschwinden”. Die Behörden Bahrains gingen massiv gegen Regierungskritiker vor, indem sie diese mit zahlreichen Anklagen wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit überzogen. Im Iran warfen die Behörden Kritiker ins Gefängnis, zensierten alle Medien und verabschiedeten ein neues Gesetz, das praktisch jede Kritik an der Regierung und ihrer Politik unter Strafe stellt.

In Nordkorea intensivierte die Regierung ihre bereits extreme Unterdrückung der Bevölkerung durch die verschärfte Kontrolle der Kommunikationstechnologie. Häufig waren die strengen Maßnahmen ein Versuch, Regierungsversagen zu kaschieren, so zum Beispiel in Venezuela, wo die Regierung lieber Kritiker zum Schweigen brachte als die humanitäre Krise zu bekämpfen, die weiter eskalierte.

Freiheiten im Namen der Sicherheit schleichend beschränkt
Außer direkten Bedrohungen und Angriffen war zu beobachten, wie etablierte bürgerliche und politische Freiheiten im Namen der Sicherheit schleichend beschränkt wurden. So wurde zum Beispiel in Großbritannien ein neues Überwachungsgesetz verabschiedet, das die Befugnisse der Behörden erheblich ausweitet. Sie können künftig die digitale Kommunikation und Daten abfangen, einsehen, zurückhalten oder in anderer Weise manipulieren, ohne dass ein stichhaltiger Verdacht gegen eine Person vorliegt. Indem Großbritannien eines der weltweit umfangreichsten Massenüberwachungssysteme einführte, näherte sich das Land einer Realität an, in der das Recht auf Privatsphäre schlicht nicht mehr anerkannt wird.

Der möglicherweise bösartigste Angriff auf die Menschenrechte bestand jedoch darin, dass Machthaber und Politiker zur Rechtfertigung ihrer repressiven Maßnahmen “die Anderen” für tatsächliche oder vermeintliche soziale Probleme verantwortlich machten. Mit hasserfüllter, spaltender und hetzerischer Rhetorik bedienten sie die finstersten Instinkte der menschlichen Natur. Indem sie bestimmte Gruppen, häufig ethnische oder religiöse Minderheiten, kollektiv für soziale und wirtschaftliche Missstände verantwortlich machten, bereiteten sie den Weg für Diskriminierung und Hassverbrechen, insbesondere in Europa und den USA.

Eine Variante dessen stellte der eskalierende “Antidrogenkrieg” des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte dar, der unzähligen Menschen das Leben kostete. Staatlich angeordnete Gewalt und Massentötungen durch Bürgerwehren forderten mehr als 5000 Tote, nachdem der Präsident mehrmals öffentlich erklärt hatte, dass Personen, die mutmaßlich in Drogenverbrechen verwickelt seien, getötet werden sollten.

Selbsternannte “Anti-Establishment”-Vertreter, die behaupteten, an sozialen und wirtschaftlichen Missständen seien sogenannte Eliten, internationale Organisationen und “die Anderen” schuld, boten die falschen Rezepte an. Das Gefühl der Unsicherheit und Entrechtung, das sich aufgrund von Arbeitslosigkeit, unsicheren Arbeitsverträgen, wachsender sozialer Ungleichheit und dem Verlust staatlicher Versorgungsleistungen bei vielen Menschen einstellte, erfordert ein entschlossenes Handeln, Ressourcen und einen Politikwechsel der Regierungen, anstatt einfach nach Sündenböcke zu suchen.

Es war offensichtlich, dass viele desillusionierte Menschen weltweit die Antworten nicht in den Menschenrechten suchten. Doch die Ungleichheit und Vernachlässigung, die der Wut und Frustration zugrunde lag, war zumindest teilweise darauf zurückzuführen, dass Staaten die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ihrer Bürger nicht schützten.

Ganz normale Heldinnen und Helden
Doch 2016 war in mancherlei Hinsicht auch die Geschichte von Menschen voller Mut, Widerstandskraft, Kreativität und Entschlossenheit angesichts immenser Herausforderungen und Bedrohungen.

Auf allen Kontinenten gab es Beispiele dafür, dass Menschen auch immer Mittel und Wege finden, sich zu widersetzen und sich Gehör zu verschaffen, auch wenn staatliche Machtapparate sie unterdrücken. So gelang es Aktivisten in China trotz systematischer Drangsalierung und Einschüchterung, online an den Jahrestag der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz 1989 in Peking zu erinnern. Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro machte der äthiopische Marathonläufer und Silbermedaillengewinner Feyisa Lilesa weltweit Schlagzeilen, als er an der Ziellinie mit einer Geste die staatliche Verfolgung der Oromo in Äthiopien anprangerte. An den Mittelmeerküsten Europas reagierten Freiwillige auf das Versagen der Regierungen beim Flüchtlingsschutz, indem sie Ertrinkende eigenhändig retteten. Auf dem gesamten afrikanischen Kontinent entstanden Bewegungen der Zivilgesellschaft, von denen einige vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wären. Sie griffen Forderungen der Bevölkerung nach Rechten und Gerechtigkeit auf und verschafften ihnen mehr Aufmerksamkeit.

Der Vorwurf, Menschenrechte seien ein Projekt der Eliten, ist nicht haltbar. Der menschliche Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit löst sich nicht einfach in Luft auf. In einem Jahr voller Spaltung und Entmenschlichung leuchteten Aktionen für die Menschlichkeit und die grundlegende Würde des Menschen heller als je zuvor. Diese leidenschaftliche Reaktion verkörperte auch der 24-jährige Anas al-Basha, bekannt als Clown von Aleppo, der sich entschloss, trotz der furchtbaren Bombenangriffe der Regierungstruppen in der Stadt zu bleiben, um Kinder zu trösten und ihnen eine Freude zu bereiten. Als er am 29. November 2016 bei einem Luftangriff getötet wurde, würdigte sein Bruder ihn mit den Worten, er habe Kinder “am dunkelsten und gefährlichsten Ort der Welt” glücklich gemacht.

Zu Beginn des Jahres 2017 fühlt sich die Welt instabil an und die Angst vor der Zukunft nimmt zu. Doch gerade in solchen Zeiten werden couragierte Stimmen gebraucht, ganz normale Heldinnen und Helden, die sich gegen Unrecht und Unterdrückung erheben. Niemand kann es mit der ganzen Welt aufnehmen, aber jeder kann seine eigene Welt verändern. Jeder kann aufstehen gegen Entmenschlichung, indem er sich auf lokaler Ebene für die Wahrung der Würde und der gleichen und unteilbaren Rechte aller einsetzt und damit das Fundament für Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt legt. 2017 werden Menschenrechtsheldinnen und Menschenrechtshelden gebraucht.

 

Geert Wilders, Populist in Holland – warum ist er gefährlich?

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 14. 2. 2017

Am 15. März 2017 finden in den Niederlanden die wichtigen, auch Europa betreffenden Parlamentswahlen statt. Gewählt werden die 150 Abgeordneten der „Zweiten Kammer“ in Den Haag. Der sehr heftig umstrittene, rechtslastige und explizit Islam-feindliche Politiker Geert Wilders und seine Partei PVV(Partei für die Freiheit) haben laut Umfragen gute Chancen, als die zahlenmäßig stärkste Partei aus dieser Wahl hervorzugehen. Etliche Medien sprechen davon, dass die PVV mehr 30 Sitze als stärkste Partei der „Zweiten Kammer“ erhalten könnte.

SPIEGEL Online spricht bereits von einer Chaos-Wahl, weil auch die demokratischen Parteien sich der Hetz-Propaganda von Wilders anpassen… Zu biographischen Hinweisen über Wilders: Siehe einige Notizen am Ende dieses Artikels…

Inzwischen hat in einer Studie Jan Werner Müller, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Princeton University (USA), auf WILDERS hingewiesen, der Titel seines Buches: “Was ist Populismus?”, 2016 bei Suhrkamp erschienen.

Wilders spricht zwar, so Jan Werner Müller, von Freiheit und Toleranz. Aber es ist er allein, der definiert, was diese Werte bedeuten und wer zum „wahren niederländischen Volk gehört“ (S. 27). Wilders propagiert die Ideologie, das Volk sei durch die gegenwärtige Regierung und ihre internationalen Verbindungen „beraubt“ worden: “Wir wollen unser Land zurück“( S. 34). Wilders redet dem Volk ein, er selbst gehöre zum (unterlegenen) Volk, dabei ist er seit 1990 ein Karrierepolitiker (S. 51). Wilders bestimmt mit seinen islamfeindlichen Vorgaben bis heute die Richtung der niederländischen Politik, obwohl er nie offiziell Regierungsverantwortung übernahm“ (S. 97). Wie ist mit den Populisten, also auch mit Wilders,  umzugehen? Der Autor hält es für falsch, die Ausgrenzung der Ausgrenzenden (Populisten) zu betreiben; er ist gegen das Motto „Mit denen reden wir nicht“ (S.96). Statt moralisch Populisten zu diskreditieren, sollen Demokraten mit Populisten diskutieren, „um die Fakten zurecht zu rücken. Bei Volksverhetzungen durch Populisten hilft das Strafrecht“ (S. 131).

Auch die Kirchen der Niederlande äußern sich kritisch zu Wilders und seiner Partei. Nach Marloes Keller von der  Protestantischen Kirche der Niederlande (PKN) sind aber auch in der Kirche Menschen, die für die PVV stimmen: “Auch haben wir Anhänger von dieser Partei in unserer Kirche. Ich denke aber, dass der größte Teil (der Kirchenmitglieder ?) auch denkt: Bis hier und nicht weiter, da müssen wir etwas etwas dagegen tun”, klicken Sie hier. Es wird oft in kirchlichen Kreisen argumentiert: “Die Leute wollen keine Wahlempfehlungen bzw. Warnungen vor bestimmten Parteien von der Kirchenführung mehr hören”. Dieser Satz ist richtig, solange es sich um demokratische Parteien handelte. In der BRD waren etwa die Wahlempfehlungen (bis ca. 1970) der katholischen Kirche eindeutig zugunsten der CDU. Heute sind die Programmpunkte der PVV etwa eindeutig gegen die Religionsfreiheit, wie sie das Grundgesetz verteidigt. Die PVV fördert den Hass gegen eine bestimmte Gruppe, gegen die Muslime, die Bürgerrechte der Muslime sollen aberkannt werden usw. Da ist es treffend, wenn die Kirchenführung sagt: Diese Partei ist für Menschen, die Christen sein wollen und der Demokratie verpflichtend sind, nicht wählbar. Es müssen Grenzen gezogen werden, was alles in einer liberalen Demokratie sagbar und machbar ist. Immerhin fand im März 2014 schon einmal ein Gottesdienst gegen den Rassismus in der Klosterkerk von Den Haag statt, aber die PKN sagte eher kleinmütig: Dies sei ein Gottesdienst bloss gegen den Rassismus, nicht aber gegen Wilders….

In der viel beachteten Recherche-Zeitschrift „de correspondent“ (Online, 50.000 Abonnenten, Redaktion in Amsterdam, verantwortlich ist der Philosoph und Journalist Rob Wijnberg) hat die Journalistin Greta Riemersma einige wesentliche Fakten zu Wilders und der PVV dokumentiert. In dem Beitrag mit dem Titel „Plädoyer für den Widerstand gegen Wilders“ werden einige Tatsachen den deutschen LeserInnen von mir übersetzt zugänglich gemacht:

-Geert Wilders ist ein Fan von Mister Trump. Der PVV Chef jubilierte, als Trump ein Einreiseverbot für Menschen aus 7 islamischen Ländern anordnete.

-Die Position von Wilders gegenüber Muslimen wurde im Laufe seiner politischen Karriere immer radikaler: 2010 sagte er: „Menschen, die sich an Regeln halten, sind von Herzen willkommen“. Jetzt sagt Wilders sehr „rabiat“, wie Greta Riemersma schreibt: Die Niederlande „gehören uns“, Wilders will „das (niederländische) Schiff wieder schön machen“ und abrechnen mit den „Liebhabern des Islam“ (Islamknuffelaars)

Wilders spricht von einem „Mega-Problem mit den Marokkanern“ in Holland. Er hält „den“ Islam für „barbarisch“, er differenziert nicht, urteilt falsch und pauschal. „Es gibt nur einen Islam“ sagte Wilders einem Journalisten aus Australien, die Belege finden sich dafür im Beitrag für “de correspondent”.

-„Wilders generalisiert und wiederholt sein Geschrei endlos“ (G. Riemersma) „Die fortdauernde Wiederholung von stets extremeren Standpunkten hölt das das Denkvermögen aus, so wie das tropfende Wsser es auf dem Stein tut…. Wilders und Trumps Taktik haben ein Kennzeichen: Die Steuern das Chaos an… Wenn das so weitergeht, laden wir in der Dunkelheit, daran liegt doch Steve Bannon sehr”.

-„Man lese das Wahlprogramm der PVV: Auch Wilders will die Grenzen schließen für Asylsuchende und Immigranten aus islamischen Ländern. Moscheen und islamische Schulen sollen schließen. Der Koran wird verboten; der zeitlich begrenzte Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen wird aufgegeben. Wilders will aus den Niederlanden einen Polizeistaat machen, anders lassen sich seine Pläne nicht ausführen“, so Greta Riemersa in der Online-Zeitung „de correspondent“, Amsterdam.

-„Wilders weiß nichts von Menschen, die er noch stets Türken und Marokkaner nennt. Er weiß nicht, dass diese Menschen ganz normale niederländische Bürger sind – oder er will dies nicht wahrnehmen. Die Fehler, die einige von ihnen begehen, bezieht er auf „den“ Islam. Wilders kennt nur einen Islam, den der so genannten „Haß-Imame“…

-„Mit Muslimen spricht Wilders nicht, der Amsterdamer Imam Yassin El Forkani hatte ihn eingeladen, Wilders reagierte nicht“.  “Die linken Parteien müssen aufhören, den Denk-Mustern der rechten Parteien zu folgen”. “Man muss aufhören damit, dass PVV Anhänger, die Viertel, wo Muslime wohnen, „besetzte Gebiete“ nennen….”

Geert Wilders. Biographische Hinweise

Wilders (geboren am 6.9.63) ist in der sehr katholisch geprägten Region von Venlo im Südosten der Niederlande aufgewachsen, er erhielt eine katholisch geprägte Ausbildung im katholischen St. Thomas College unter Leitung der Augustiner-Patres. Im Alter von 18 Jahren ist er aus der katholischen Kirche ausgetreten, er nennt sich Atheist, will aber niederländische Christen für seine Partei gewinnen. Und das scheint ihm auch in seiner katholischen Heimat-Provinz zu gelingen: In Venlo und der Provinz Limburg erhielt die PVV zwischen 25 und 39 % der Stimmen.

Seine politische Karriere begann Wilders 1997 in Utrecht im Gemeinderat dort, 1998 wurde er als Mitglied der rechtsliberalen Partei VVD Abgeordneter der „Zweiten Kammer“, 2004 verließt er die VVD und gründete die „Einmann-Fraktion“ „Groep Wilders“, Gruppe Wilders. Daraus entstand die Partei PVV.

Nebenbei: Wie aufgehetzt die Stimmung in den Niederlanden ist, zeigt die geradezu lächerliche und kindische, aber überaus breit getretene Debatte um den „Zwarten Piet“, den „Neger“, den „Mohren“, der als Assistent vom Heiligen Nikolaus die Kinder mit Geschenken traditionellerweise am 6. Dezember beglückt. Zurecht wird wohl heute darauf verwiesen, dass dieser aus der Phantasie stammende Assistent des heiligen Nikolaus nicht länger als „Neger“ und Schwarzer auftreten sollte.  Die Leute aus dem Umfeld der PVV und anderer rechter Parteien verteidigen den Schwarzen Piet als Teil der niederländischen Identität. Mit Polizeischutz müssen die Umzüge dies Schwarzen Peters gefeiert werden…

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Katholisch heißt immer noch (oft) fundamentalistisch denken: Eine vernünftige Nonne wird verteufelt.

Wie die katholische Dominikaner-Nonne Lucia Caram Hass und Morddrohungen auf sich zieht

Ein Hinweis von Christian Modehn

Was hat die Nonne Schwester Luzia Caram aus dem Dominikaner-Orden Furchtbares gesagt in einem Fernsehinterview in Barcelona Ende Januar 2017? „Ich glaube, dass Maria in Josef verliebt war. Dass sie ein normales Paar waren und aller Wahrscheinlichkeit entsprechend: Hatten sie auch sexuelle Beziehungen. Der Sex ist eine schöne Form, Gefühle auszudrücken und die Liebe. Aber für die Kirche ist dies ein schmutziges Thema und es wird versteckt. Ich aber glaube, Sex ist ein Segen. Ich glaube auch, dass wir uns getäuscht haben in unserer Art diese Dinge zu lehren: Wir wollten die Botschaft des Evangeliums in irgendeine bloß spirituelle Sache umwidmen (convertir). Und wir wollten die absurde Idee einschärfen, dass der Körper das Gefängnis der Seele ist. (übersetzt nach Libération, Paris, vom 14. 2. 2017, übers.von Chr. Modehn).

Die Tageszeitung Libération zitiert den Erzbischof von Barcelona: «Il s’agit d’un grave scandale. C’est un affront intolérable contre un point fondamental de la doctrine catholique“.“ Es handelt sich um einen schweren Skandal. Es ist ein nicht hinzunehmender Affront gegen einen fundamentalen Punkt der katholischen Doktrin (sic!)“.

Der Wortführer der spanischen Bischofskonferenz, Jose Maria Gil Tamayo, kündigte an, dass die Kirche diesen „problematischen Fall“ studieren wird, diese Äußerungen einer Frau, „die die Reinheit der Botschaft Christi mit ihren Äußerungen beschmutzt“. Der Bischof der spanischen Diözese VIC sagte in Bezug auf die nicht – vollzogene Ehe von Maria und Josef: “Esta verdad de la fe fue recogida y proclamada de manera definitiva por el Concilio II de Constantinopla, siendo el primer dogma mariano y compartido por los cristianos católicos y ortodoxos”. “Diese Glaubenswahrheit wurde erkannt und proklamiert auf definitive Weise vom 2. Konzil zu Konstantinopel (es fand vor kurzem, im Jahr 553, statt, C.M:);  es ist das erste Marien-Dogma und es wird geglaubt (geteilt) von katholischen und orthodoxen Christen”, so El Mundo, 1.2.2017.

Inzwischen erhält die mutige und vernünftig denkende Nonne Morddrohungen von fundamentalistischen, d.h. dummen Katholiken. Diese Leute können Glauben und Vernunft nicht verbinden. Und können nur glauben, wenn überall Wunder passieren (im Falle der Ehe Marias mit Josef) und Sex nur verheimlicht wird.

Schwester Luzia, 51 Jahre, stammt aus Argentinien, sie lebt in der Nähe von Barcelona, in einem kontemplativen Kloster, das sich um ca. 1400 arme Familien helfend und beratend kümmert. Sie ist im ganzen Land bekannt und beliebt, weil sie auch eine eigene Koch-Sendung im “Canal Cocina”, Kanal Küche, hat, dieses Programm mit der kochenden und manchmal vor berechtiger theologischer Wut “kochenden” Nonne wird auch in Lateinamerika viel gesehen. Ihr sehr altes, sehr ehrwürdiges und doch von einer modernen Nonne bewohnte Kloster in Manresa, bei Barcelona, hat den Namen “Convento Santa Clara”. Dies für alle, die unterstützenden Kontakt mit der Dominikanerin aufnehmen wollen.

Wir im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon freuen uns natürlich bei allen Problemen, die sich die Nonne durch ihre treffenden Worte eingehandelt hat: Dass Schwester Luzia aus Barcelona das selbe sagt, was wir zum Thema Heilige Familie veröffentlicht haben, zur Lektüre dieses Beitrags klicken Sie hier.

Gleichzeitig ist es interessant zu sehen, wie stark der Katholizismus immer, noch bis in die höchsten Kreise, vom Fundamentalismus bestimmt ist, also etwa in der Ablehnung einer historisch-kritischen Bibelforschung.

Das Schlimmste ist wohl, dass ein freies und umfassend freies Wort in der römischen Kirche nicht möglich ist. Dies zu sagen ist im Reformationsjubiläum 2017 wohl besonders wichtig.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.