Ein revolutionärer Heiliger – nicht nur für Lateinamerika: Oscar ROMERO

Über Erzbischof Oscar Romero, El Salvador

Ein Hinweis und eine Buchempfehlung von Christian Modehn (2018)

Am 14. Oktober 2018 wird Erzbischof Oscar Romero, El Salvador, in Rom heilig gesprochen.

Oscar Romero ist gerade heute eine inspirierende Gestalt für einen christlichen Glauben, der den politischen Kampf um die Menschenrechte der Armen ins Zentrum des Interesses stellt. Diese politische Deutlichkeit ist ja bekanntlich nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der sich in der römischen Kirche entweder alles um eine abstrakte Innerlichkeit mit der gepflegten schönen Seele dreht oder um dogmatische, gehorsame Korrektheit bzw. eben auch um die absolut notwendige Freilegung der nun schon beinahe zahllosen weltweiten Verbrechen von Klerikern an Minderjährigen… Da werden die Armen und die globale Gerechtigkeit schnell vergessen.

Erzbischof Oscar Romero wurde von rechtsextremen, in den christlichen USA ausgebildeten, sich katholisch nennenden Landsleuten am Altar während eines Gottesdienstes erschossen. Warum? Weil er für die Armen bedingungslos eintrat! Romero war für die Diktatoren dort gefährlich. Dies geschah am 24.3. 1980. Später wurden viele seiner Freunde ebenfalls von katholischen rechtsextremen Killern erschossen, wie 7 Jesuiten in San Salvador, man denke nur an den großen Theologen Pater Ellacuria SJ. Aber es dauerte fast 30 Jahre, bis Oscar Romero selig bzw. dann auch heilig gesprochen wurde. Das Volk verehrte ihn aber längst als ein heiliges Vorbild. Über die Zusammenhänge, auch mit Blick auf das Opus Dei und die anderen klerikalen Feinde Romeros habe ich schon 2015 Beiträge veröffentlicht, über “Romero und das Opus Dei” sowie sehr wichtig: “Wer tötete Erzbischof Romero?”

Nun sind manche Optimisten gespannt, wann die ersten Kirchengebäude weltweit, natürlich auch in Deutschland, nach dem heiligen Vorbild (!) Oscar Romero benannt werden oder die katholischen Akademien, Klöster, Vereine und Bildungshäuser sich nach dem Heiligen „Revolutionär“ umbenennen. Selbst Umbenennungen von Kirchen sollten doch möglich sein, denn auf einen heiligen Georg (den es nie historisch gab) oder die 1000. St. Josefs Kirche könnte man gern verzichten oder auf Maria Himmelfahrtskirchen… Vielleicht inspiriert es auch die Protestanten, ihre noch banaleren Namen ihrer Kirchengebäude zugunsten Oscar Romeros umzubenennen. Mein Vorschlag: Der unsägliche Name des Kolonialherren Wilhelm I. sollte endlich als Kirchen-Titel verschwinden, also: Die Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche in Berlin sollte Oscar Romero Gedächtniskirche heißen.

Aber; So viel Mut haben natürlich Christen nicht in Deutschland. „Geht doch nicht, dieser klassische “Wilhelm” Titel der Kirche am Ku – Damm bleibt erhalten. Wir Protestanten erinnern gern dieser Kaiser des Kolonialismus und Militärs…” Die Protestanten halten sich ja auch an den Titel „König Luise – Gedächtnis-Kirche“ oder „Kaiser Friedrich Gedächtniskirche“ oder gar an eine Kirche mir dem sehr säkularen, nichtssagenden Titel „Am Seggeluchbecken“, um nur drei absurde Titel für evangelische Kirchengebäude in Berlin zu nennen. Auch in der Hinsicht könnte Oscar Romero insgesamt befreien!

Ich weise jetzt aus aktuellem Anlass auf zwei Publikationen sehr empfehlend hin: zur persönlichen Information wie auch als Gesprächsgrundlage in Diskussionskreisen…Die Texte sind, ausnahmsweise einmal bei unserer website, dem Verlag selbst entnommen:

Zwei Neuerscheinungen

Am 24. März 1980 lässt die winzige Minderheit der Reichen in El Salvador in der Hauptstadt Erzbischof Oscar Romero ermorden. Die von ihm vertretene Kirche der Armen wird als Angriff auf die herrschenden Besitzverhältnisse und Privilegien verstanden. Heute ist Romero Fürsprecher einer anderen Globalisierung unter dem Vorzeichen von Empathie, Solidarität und Gerechtigkeit: Teilen, nicht töten oder „absaufen“ lassen!
Die zentralen Botschaften der Predigten Romeros lassen uns aufhorchen ob ihrer drängenden Aktualität in einer Welt, in der wenige Individuen über mehr Besitztümer verfügen als die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit.
Nachfolgend werden zwei Neuerscheinungen vorgestellt, die mit Blick auf die offizielle „Kanonisation“ in Rom am 14. Oktober den ungezähmten – politischen – Romero und dessen „Heiligsprechung durch die Armen“ in den Mittelpunkt stellen.

OSCAR ROMERO –
ABER ES GIBT EINE STIMME, DIE STÄRKE IST UND ATEM …
Ein Hörbuch von Peter Bürger. – Onomato-Verlag
Gesamtspielzeit 78 Min. – ISBN 978-3-944891-67-5
Preis 10,- € [Auslieferung ab 01.10.2018]
https://www.onomato.de/detail/index/sArticle/432/number/SW10136?number=SW10136

Autor & Textredaktion: Peter Bürger; Aufnahmetechnik & Gestaltung: Axel Grube; Sprechende: Gabriele Inhetvin, Peter Bürger, Peter Wege, Axel Grube; Musik: Detlef Klepsch und Axel Grube.
Mit freundlicher Unterstützung durch: Christliche Initiative Romero; Institut für Theologie und Politik; Solidarische Kirche im Rheinland; Wir sind Kirche; Bodo Bischof, Willem Lueg, Marco A. Sorace, Christian Weisner.

Das neue Hörbuch vermittelt die Geschichte Oscar Romeros, seinen Weg zur Kirche der Armen und Unterdrückten. Zeugnisse über den „Märtyrer der Gerechtigkeit“ und Selbstaussagen ermöglichen es, seine Wandlung und den Weg einer Pastoral an der Seite der Unterdrückten nachzuvollziehen. Eine treffende Auswahl erschließt die zentralen Botschaften.
Papst Franziskus will den Klerikalismus überwinden und sehnt sich nach einer Kirche der Armen. Auch an diesem Punkt kann Romero als Vorbild für einen neuen Aufbruch betrachtet werden. Der ehedem verschlossene und ängstliche Seelsorger erkannte seine Berufung, Sprachrohr zu sein für jene, die keine Stimme haben. Seine Predigten entstanden im Dialog. Er lernte das Zuhören und ließ sich von den kleinen Leuten stark machen. So wurde Romero trotz Todesdrohungen zu einem glücklicheren Menschen und glaubwürdigen Anwalt der Armen.

„Sie wollen nicht, dass auch nur eine Stimme von der Stimme der Mächtigen abweicht, sie wollen keine Worte, die für die eintreten, die keine Stimme haben, und erst recht keine Taten, die die Schutzlosen und Verfolgten in Schutz nehmen.“
(Oscar Romero, 27. Juli 1977: Brief an Bischof Leonidas Proaño in Ecuador)

„Aber es gibt eine Stimme, die die Wahrheit im Namen dieses ganzen leidenden Organismus fordert und ausspricht, eine Stimme, die Stärke ist und Atem. Und ich fühle, meine Schwestern und Brüder, dass ich diese Stimme bin und dass wir ganz bestimmt eine Mission erfüllen.“
(Oscar Romero: Predigt vom 8.5.1977)

„Transzendenz bedeutet, sich auf das Kind, auf den Armen, auf den in Lumpen Gekleideten, auf den Kranken einzulassen, in die Elendshütten und Häuser zu gehen und mit ihnen allen zu teilen. Transzendenz bedeutet, aus der Mitte des Elends selbst diese Lage zu überschreiten, den Menschen zu erheben, ihn voranzubringen und ihm zu sagen: Du bist kein Abfall. Du gehörst nicht an den Rand. Das Gegenteil ist der Fall: Du hast eine große, große Bedeutung.“
Oscar Romero

„Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Bild Gottes und dem Menschen. Wer einen Menschen foltert, wer einen Menschen beleidigt, der beleidigt das Bild Gottes.“
Oscar Romero

 

„Gedenkt der Heiligsprechung von Oscar Romero
durch die Armen dieser Erde“
Dokumentation des Ökumenischen Aufrufes zum 1. Mai 2011 – Zuschriften – Lesesaal

Herausgegeben von Christian Weisner, Friedhelm Meyer & Peter Bürger.
Mit Beiträgen von Norbert Arntz, Andreas Hugentobler, Willi Knecht, Martin Maier SJ, Paul Gerhard Schoenborn, Stefan Silber u.a.

ISBN: 978-3-7460-7979-0
(Paperback, 268 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Preis: 9,99 €)
Mit Angabe der ISBN-Nummer überall im Buchhandel bestellbar.
Leseprobe/Inhaltsverzeichnis (oben links anklicken) beim Verlag:
https://www.bod.de/buchshop/gedenkt-der-heiligsprechung-von-oscar-romero-durch-die-armen-dieser-erde-9783746079790

„Wer stört, wird umgebracht!“ predigte Oscar Romero, um die Unterdrückung in El Salvador zur Sprache zu bringen. Ihn selbst traf bald darauf die Kugel eines Auftragskillers. Die Besitzlosen des Kontinents, “Gottes Lieblinge”, sprachen den Bischof sofort heilig. Jahrzehnte später wird unter Bischof Franziskus von Rom jetzt auch die kirchenamtlichen Kanonisation (2015/2018) nachgeholt. An das “Lehramt von unten” erinnert der im vorliegenden Buch dokumentierte Ökumenische Aufruf zum 1. Mai 2011:
“Wir bitten Euch, der Heiligsprechung des Märtyrers San Oscar Romero durch die Armen Lateinamerikas und durch Freundinnen und Freunde Jesu auf dem ganzen Erdkreis zu gedenken. (…) Diese ‘Beatifikation’ ohne ein teures Verfahren von Kirchenbehörden verbreitet eine frohe Kunde unter dem Wehen des Gottesgeistes: ‘Das Beispiel unseres Bruders San Oscar Romero zeigt uns, wie schön und mutig wir Menschen werden können, wenn wir beginnen, der Botschaft Jesu zuzuhören’.”
Der neue Buchband erschließt alle Begleittexte, Zuschriften und Sprachversionen zum internationalen Aufruf “San Romero”, die Namen der unterzeichnenden Christinnen & Christen und Organisationen aus über 20 Ländern sowie die Impulse eines Ermutigungsabends. Über Romeros Weg und Bedeutung informiert ein “Lesesaal” mit Beiträgen von Norbert Arntz, Andreas Hugentobler, Willi Knecht, Martin Maier SJ, Paul Gerhard Schoenborn, Stefan Silber u.a. – Vertreter einer basiskirchlichen Perspektive zeigen auf, dass Establishment und Traditionalisten das Zeugnis Romeros zähmen wollen. Doch dieser Märtyrer ruft uns zum Aufbruch in einer Kirche der Armen.

Vollständige Dokumentation des Vorwortes: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/011750.html

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

 

Aus aktuellem Anlass verschoben: Wo finden wir (noch) Halt. Eine Ra­dio­sen­dung NDR Kultur am 30.9.2018 um 8.40 Uhr

Wegen der aktuellen und hoffentlich umfassenden Debatten in der katholischen Kirche über sexuellen Mißbrauch durch Priester wird die Sendung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

 

Wenn immer mehr unsicher wird…. Wo finden wir noch Halt? Was und wer gibt noch Sicherheit in unserem Leben?

Ein Essay bzw. eine philosophische Meditation von Christian Modehn auf NDR Kultur am Sonntag, 30.9.2018, von 8.40 bis 9.00 Uhr. ein Beitrag für die Reihe Glaubenssachen.

 

„DIE ZEIT“ verbreitet Legenden und Fake News zur Kirchengeschichte

Manfred Lütz und sein Skandalbuch „Skandal der Skandale“ wird von Jens Jessen (DIE ZEIT) verteidigt.

In der Ausgabe DIE Zeit vom 6. September 2018, Seite 40.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Nun verbreitet auch die eigentlich ja oft geschätzte Wochenzeitung „DIE ZEIT“ theologische und kirchenhistorische Legenden, fake news: Offenbar nämlich durfte, so meine Vermutung, der angeblich „prominente Psychiater und Theologe“ Manfred Lütz, so diese Einschätzung durch „Die Zeit“, dort dem Redakteur Jens Jessen seine eigene Buchkritik fürs Feuilleton dieser Wochenzeitung vorlegen. Auf andere Weise kann ich als Theologe und Kritiker des Skandalbuches „Der Skandal der Skandale“, verfasst von Manfred Lütz, nicht verstehen, dass so viel Unsinn auf einer Spalte verbreitet wird, unterschrieben von Jens Jessen. Man hat den starken Eindruck, dass der Rezensent Jessen das Buch selbst nicht gelesen hat. Denn dann wäre dem Kulturjournalisten wenigstens aufgefallen, dass das Lütz Buch, das sich ja als wissenschaftliches Buch und nicht als Märchen – Buch versteht, keinen einzigen Quellenverweis bei den vielen Zitaten enthält. Wenigstens ein kleines Zitat aus dem Lützbuch hätte ein lesender Rezensent doch mal einfügen können, macht Jessen aber nicht. Zu den Quellenangaben: Lütz redet sich da raus und sagt, dann sollen die LeserInnen eben das umfangreiche Buch des Kirchenhistorikers Angenendt lesen, auf das sich Lütz ja bezieht. Wie nett.

Es ist schon komisch, dass die sonst auf Aktuelles auch im Feuilleton so fixierte ZEIT dieses Lütz Buch erst 6 Monate nach Erscheinen publiziert. Meine Vermutung ist: Offenbar ist aus dem von Anfang an als Bestseller hoch gejubelten Buch doch nicht so viel geworden an Auflagen, so dass nun kurz vor der Buchmesse in Frankfurt mit Hilfe dieser Werbung der ZEIT noch mal das Geschäft befeuert werden soll.

Der Gesamttendenz des ärgerlichen Textes:

Diese Buchbesprechung in DIE ZEIT ist eine Reinwaschung des Skandalbuches von Lütz.

Jessen (bzw. Lütz, wenn man so will) unterstellt, der Philosoph Herbert Schnädelbach würde „landläufigen Urteilen“ folgen in seiner Buchkritik zu Lütz. Was für eine Unverschämtheit, einem renommierten Philosophen eine unreflektierte Folgsamkeit zu „landläufigen Urteilen“ zu unterstellen….Die Rezenten tut weiter so, als sei der Historiker Prof. Angenendt völlig einverstanden mit diesem Lütz Opus. Ich höre von Insidern, dass Prof. Angenendt selbst gar nicht so glücklich ist mit der Reinwascherei, genannt Popularisierung, seines umfangreichen Buches, die Herr Lütz da liefert. Wusste Arnold Angendt, em. Prof. in Münster, Jahrgang 1934, überhaupt vor Drucklegung von dem Lützbuch? Das ist alles nie geklärt worden. Man frage doch mal bei Angenendt nach, wie zufrieden er denn als Wissenschaftler ist mit der Popularisierung seiner umfassend wissenschaftlichen Studie. Das wäre Aufgabe eines Recherche-Journalismus in DIE ZEIT etwa..

Selbst der erzkatholische Politologe und einstige ZK Chef der Laien in Deutschland kritisierte das Skandalbuch von Lütz in „Christ in der Gegenwart“, Ausgabe 8.4.2018.

Mir unterstellte Lütz in einem Leserbrief für PUBLIK FORUM (Heft 7/2018) „böse Absichten der Manipulation“, nur weil ich erwähnte, dass zweifelsfrei zustimmend Lütz den amerikanischen Politologen Gary Remer in seinem Skandal Buch zitiert. Remer schreibt: „Hätte im Mittelalter ein jüdischer Staat bestanden, dürften manche Heiden der Verfolgung ausgesetzt worden sein“… In einem Interview mit Joachim Frank, Frankfurter Rundschau, 28. März 2018, Seite 32, hat Lütz immerhin einen gravierenden Fehler seinerseits eingestanden, als er in dem Skandal Buch schrieb: „Manches“, was die Christen den Juden antaten, „mag skandalös gewesen sein“. Manches, und mag gewesen sein, behauptet Lütz. Gegenüber Frank sagte Lütz, er wolle diese Formulierung korrigieren…

Aber darum geht es jetzt nicht primär:

Die Rezension in DIE Zeit verfälscht die Tatsachen: Die Liste der kirchlich verursachten und von der Kirche in Gang gebrachten Verfolgungen und Tötungen ist grenzenlos. Kirchen und Staaten waren damals, bis ins 18. Jahrhundert, ideologisch eins, es ist darum nur „Weißwäscherei“ zu sagen: Die Verfolgung und Tötung hätte der Staat übernommen. Er musste es in gutem Einvernehmen mit der Kirche tun. Kirche und Staat wollten beide keine „Abweichler“ in ihrem Territorium, darum töteten sie in gutem Einvernehmen (!) die Abweichler…

Es ist auch die Kirchenführung selbst, die eine grausame Verfolgung aller Häretiker einführt, etwa im Verdammungsdekret gegen Petrus Valdès und seine Freunde, siehe dazu den nun einmal wirklich prominenten Historiker Jacques Le Goff, „Die Geburt Europas im Mittelalter“, 2004, Seite 119. Auch die tötende Gewalt der Kirche gegen Homosexuelle seit der Frühzeit der Kirche schreit förmlich zum Himmel.. “Bei den Mächtigen wurde die Sodomie mehr oder weniger (von der Kirche) geduldet“ (S. 126, ebd.) Eine interessante Parallele zur Jahrzehnte, Jahrhunderte langen kirchenoffiziellen Verschleierung des Kindesmissbrauchs durch Priester, Bischöfe, Kardinäle.

Die Hexenverfolgungen sind von den Kirchenleuten eingeleitet worden: „Eine führende Rolle bei der Einstimmung auf die Hexenjagd übernahm das Buch, der so genante Hexenhammer, der beiden Dominikaner Mönche, Jacob Sprenger und Heinrich Institoris,“ so Le Goff, ebd. 215….

Kaum Hinrichtungen habe es in Spanien gegeben, meinen Jessen/Lütz in ihrer Rezension. Welch ein Blödsinn! Wird es wirklich erst unerträglich fürs kirchliche Selbstbild, wenn keine Hinrichtungen geschehen. Sind Verfolgungen, Folter usw. noch kirchlich hinnehmbar? Man studiere nur die Geschichte der frühen Protestanten in Spanien, man studiere, wie dort Juden und selbst konvertierte Juden aufs übelste belästigt, verfolgt (Teresa von Avila, etc.) und z. T. auch getötet wurden.

Der größte Skandal in der ZEIT Rezension ist die unsägliche Behauptung: Die Kritiker, die die Verbrechen der Kirche freilegen, seien Geschichtsklitterer oder schlimmer noch, so wörtlich, moderne Religionsfeinde. Lütz wird doch wohl noch Religionskritik als Kritik von Feindschaft unterscheiden können. Hat der fromme Herr Lütz den Satz Jesu vergessen: „Die Wahrheit wird euch frei machen“?

Wenn Philosophen und kritische Theologen umfassend und ohne Apologetik die furchtbaren Seiten der Kirchen freilegen, sind sie heute in bester Gesellschaft mit Papst Franziskus, der ja wohl kein Religionsfeind ist, nur weil er die furchtbaren, tausendfachen Verbrechen des höheren und niederen Klerus im sexuellen Umgang mit Kindern und Jugendlichen offenbar langsam aber sicher freilegen will?

Ich habe in meiner ausführlichen Rezension gleich nach Erscheinen des Skandal Buches von Lütz gezeigt, in welchen theologischen Kreisen sich der angeblich prominente Herr bewegt, es ist das Gebiet des katholischen Rechtsaußen, aus dem Umfeld des Opus Dei, das ja bekanntlich gern Apologetik betreibt.

Man lese bitte anstelle der Zeit Rezension die ausführlichen Besprechungen zum Skandal-Buch von Manfred Lütz, verfasst von Christian Modehn, Herbert Schnädelbach und des Historikers Josef Breinbauer.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Weisheit – biblisch und griechisch (philosophisch)

Hinweise von Christian Modehn,  geschrieben für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 24.8. 2018

Weisheit ist der Inbegriff griechischer Philosophie, die sich, wie der Name sagt, als Liebe, als Freundschaft zur Weisheit definiert. Der Weisheit strebt der Mensch nach, das ist für Aristoteles wichtig. Aber für Platon gilt: Erreichen können Menschen die Weisheit in vollem Umfang nie. Nur Gott ist weise.

In der Neuzeit wird Philosophie als Weltweisheit verstanden: Dann wird Weisheit noch einmal eingeschränkt auf Lebensweisheit. Die Philosophie entwickelt dann zwei Wege: Die der Lebenslehre verpflichtete Weisheit außerhalb der Universitäten, man denke an Montaigne und seine Essays, vielleicht auch an Blaise Pascal, an Kierkegaard oder auch an den späten Schopenhauer: „Aphorismen zur Lebensweisheit“ von 1851. Dieses Buch hat Schopenhauer populär gemacht. Die an der Universität etablierten Philosophen seit dem 18. Jahrhundert verstehen diese als Wissenschaft, oft in Konkurrenz zu anderen Wissenschaften. Der Aspekt der Lebenshilfe durch Weisheit entfällt dann meist. Auch (den späten) Wittgenstein kann man wohl eher als Weisheitslehrer ansehen.

1.Kohelet (auch genannt der „Prediger Salomo”)

Es gibt heute viele Übersetzungen ins Deutsche, man vergleiche, wie unterschiedlich die Übersetzungen gestaltet sind. Ich bevorzuge die Züricher Bibel.

Es ist erstaunlich, dass es im 3. Jahrhundert (vor Christus) in dem kleinen Tempelstaat, genannt Judaia mit der Hauptstadt Jerusalem, einen jüdischen Lehrer gab, der sich der umgebenden, allmächtig erscheinenden griechischen Kultur annäherte und von dieser kulturell vorherrschenden Kultur etwas für den eigenen Glauben lernen wollte. Die Oberschicht in Jerusalem sprach Griechisch. Das Buch Kohelet ist also ein Dokument eines gewissen Lernens einer Religion von den damaligen griechischen Popular – Philosophen aus dem Kreis der Kyniker und Skeptiker vor allem, aber auch von der Stoa und Epikur. Es gab schon vor Kohelet Weisheitslehren in der jüdischen Kultur, später dann auch in der hebräischen Bibel versammelt, wie etwa das „Buch der Sprüche“. Es enthält viele kurze Sprüche zur Alltagsgestaltung in einem bäuerlich geprägten Milieu. Es geht um Fleiß, Sparsamkeit, Redlichkeit. Alles Handeln soll auf der Gottes- Furcht gründen: Gottesfurcht ist das zentrale Ziel alles von Weisheit geprägten Denkens und Verhaltens. Also wohl Furcht vor diesem allmächtigen Gott! Wobei es interessant ist, dass der Alttestamentler Prof. Bernhard Lang darauf hinweist, dass viele Mahnungen im 22. und 3. Kapitel des „Buches der Sprüche“ Nachbildungen sind ägyptischer Lehren, etwa aus der Lehre für Amenemope, eines altägyptischen Königs. (in Die Weisheit des Alten Testaments, DTV, C. H. Beck, 2007, S. 138)

Also es gab immer schon einen gewissen Kulturaustausch und eine gewisse Lernbereitschaft zwischen der Jahwe- Religion und der „heidnischen“ Kultur, aber immer so, dass der Rahmen vom Glauben an Jahwe beherrschend bleibt, bei aller Freiheit der Lernbereitschaft. Das sieht man am Beispiel des Buches Kohelet.

Der Autor des Kohelet Buches: Kohelet ist ein „Deckname“ (wie auch der Hinweis auf König Salomo, dies soll der Aufwertung des Textes dienen). Kohelet bedeutet „Versammlungsleiter“ in einer ekklesia, wie man auf Griechisch sagt. Der Alttestamentler Norbert Lohfink schreibt: „Ekklesia bezeichnete auch philosophische Zirkel, und ein Kohelet, ein ekklesiastés, könnte dann auch Gründer und Leiter eines solchen Kreises gewesen sein“ (S. 11).

„Kohelet hat seine Lehre auf dem Marktplatz gegen Bezahlung öffentlich angeboten, das war neu in Jerusalem und hat Aufsehen erregt, von seinem Schülerkreis bekam der Marktplatz-Philosoph seinen Namen“ (Lohfink, S 12.) Nebenbei: Man bedenke, dass auch Paulus auf einem berühmten Platz sprach und mit dortigen Philosophen argumentierte, auf der Agora in Athen, und dort eine der schönsten Reden des Neuen Testaments überhaupt gehalten hat, etwa mit der Weisheit: „In Gott bewegen wir uns, leben wir und sind wir“… (Apg., Kap. 17, Verse 16 bis 34). Und noch etwas: Als Paulus in Ephesus wegen seiner Predigten dort aus der Synagoge geworfen wurde, fand er Zuflucht bei einem toleranten Philosophen (!). Paulus wohnte 2 Jahre bei ihm und lehre in seinem „Salon“, der Philosoph hatte den für ihn gar nicht zutreffenden Namen Tyrannus, Apostelgeschichte, 19, Vers 9.

Der Autor des Kohelet Buches verfasste seinen Text auf Hebräisch, aber eben in einem zeitgemäßen, umgangssprachlichen Hebräisch (gesprochen wurde Aramäisch).

Zum Buch selbst: Es wurde von vielen herrschenden Kreisen als störend wahrgenommen. Sicher auch vom Establishment im damaligen Jerusalem. Denn die großen Themen jüdischen Glaubens, der Bund Gottes mit dem Volk Israel, das Einhalten der vielen Gebote, die prophetischen Lehren, auch die heftige Gesellschaftskritik, die Psalmen, das Gebet, all das kommt im Kohelet-Buch nicht vor. Viele Leser sehen eine gewisse Eintönigkeit im Text, in dem alles darauf hinausläuft, dass das Leben der Menschen, aller Menschen, in allen nur denkbaren Zuständen, Reiche, Arme usw. letztlich zum Tod führt. Alles, aber auch alles,  ist Windhauch, es verschwindet, führt ins Nichts.

Nebenbei: Die absoluten Herrscher im ancien régime ließen die Übersetzung des Kohelet, geschaffen vom Philosophen Voltaire, verbrennen, im September 1759 in Paris: Denn in der Sicht der Zensur zersetze dieses Buch Kohelet die Grundlagen der Moral. („Récits de l Ecclesiaste et Précis du Cantique des Cantiques“1759, die Urteilsschrift vom 3.9.1759. Arrest de la cour de Paralement). Wahrscheinlich waren die damaligen Machthaber entsetzt über Kritik an der Beamtenherrschaft im Buch Kohelet, im Kapitel 5, Verse 5 ff. ist die Rede von der Ausbeutung der Armen und noch aktueller geradezu die Erkenntnis: „Ein Mächtiger deckt den anderen, hinter beiden stehen noch Mächtigere“.

Zum Zentralen Begriff Häwäl: Alles ist Häwäl. Meint Windhauch, auch etwas Windiges, etwas Nichtiges, vielleicht auch Absurdes, meint der protestantische Alttestamentler Jürgen Ebach in einem Vortrag für den Evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart. Interessant wäre eine genaue Untersuchung zu dem anderen hebräischen Begriff für Geist und Wind eben für RUACH. Er wird später ein Begriff für Rettung und Heiliges…Der heilige Geist kommt in der Beschreibung des Pfingstereignisses in der Apostelgeschichte als Brausen vom Himmel wie ein gewaltiger Wind. Dadurch wurde die Gemeinde vom heiligen Geist erfüllt.

Ich will auf den allgemeinen Rahmen des Textes aufmerksam machen, der die einzelnen Verse verständlicher werden lässt. Der Autor geht als gläubiger Jude im 3. Jahrhundert zur Zeit der hellenistischen Herrschaft in Jerusalem (die Herrschaft der Ptolemäer) davon aus: Es muss förmlich in dieser Kultur der Philosophien auch eine philosophisch erscheinende Lehre aus gläubiger, jüdischer Sicht geschrieben werden.

Dennoch ist für ihn gültig, und das wird im Text deutlich:  Gott ist und bleibt im Bekenntnis der Herr der Welt, derjenige, der alles vorweg bestimmt (dies ist eine Art personaler Ausdruck für den Glauben an die Macht des Schicksals). Und dieser Gott verfügt alles im voraus, alles ist sozusagen vorherbestimmt. Die Vorstellung, Gott als den allseits liebenden Vater zu denken, kommt nicht vor.

Und das ist das Neue im ganzen Alten Testament: Weisheit im Sinne Kohelets ist mit Erkenntnis identisch. Und dieser Weise im Sinne Kohelets weiß eben: Dieser unser alles verfügende und alle schon vorher bestimmende Gott ist nicht umfassend erkennbar. Einzelne „Wesens“-Aspekte Gottes werden nicht genannt. Bei Kohelet ist Gott nur die unbekannte alles bestimmende Urmacht.

Aber auch dieses gilt für Kohelet: Gott ist der Schöpfer dieser Welt und der Menschen. Und dieser Gott „hat die Ewigkeit in das Herz der Menschen gelegt“ (…“ohne dass sie herausfinden können , was Gott von Anfang bis Ende gewirkt hat“, Kap. 3, Vers 9 ff). .

Das heißt: Gott als der Ewige hat das, was er ist, was ihn auszeichnet, nämlich der Ewige zu sein, ewig zu sein, in die innerste Mitte der Menschen gelegt. Das heißt Gott und Mensch sind letztlich verbunden und eins. Auch wenn es eine wesentliche Differenz zwischen Gott und Mensch gibt…“Gott ist im Himmel und der Menschen ist hier“, sagt Kohelet.

Aber die alte Glaubenslehre bleibt: Gott ist der Richter über Weise und Törichte. Aber mehr kann der weise Mensch nicht über Gott sagen. Gott ist nicht  zu durchschauen. Er ist ein Geheimnis für den Menschen.  Aber wäre ein durchschaubarer Gott noch Gott?

Interessant bzw. höchst ungewöhnlich sind die weisheitlichen Mahnungen Kohelets in Kap. 7, Vers. 16 (in der Lutherübersetzung) „Sei nicht allzu gerecht und allzu weise. Damit du dich nicht zugrunde richtest“ )Also sehr viel Weisheit richtet zugrunde? Vers 17: „Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht sterbest vor deiner Zeit“. Also: Etwas gottlos, etwas religionskritisch soll der Weise durchaus sein. In der Katholische Einheitsübersetzung heißt Vers 17 viel milder und moderater: „Entferne dich nicht zu weit vom Gesetz…“ Auch die Züricher Bibel ist da radikal: „Sei nicht überfromm und gebärde dich nicht gar zu weise. Warum willst du dich zugrunde richten?“ Vers 17: „Sei auch nicht zu gottlos und sein kein Tor…“ Das muss erst noch theologisch bearbeitet werden: Ein biblischer Autor, dessen Buch als kanonische Schrift in der Bibel (Altes Testament) versammelt ist, gibt den Rat: „Sei nicht zu gottlos…“ Also: „Ein bisschen gottlos solltest du sein“ Aber was heißt ein bisschen?

Auch wenn immer wieder betont wird: Wie sinnlos, wie verhauchend und verschwindend alles ist: Dennoch wird da keine Sinnlosigkeit verbreitet, weil eben alles umrahmt und verbunden ist mit dem ewigen Gott. Der Gott Kohelets ist kein deistischer Gott, kein „Uhrmacher – Gott“ des 17. Jahrhunderts…

Zentral ist dann doch: Angesichts der totalen Windhauch- Struktur allen Lebens empfiehlt Kohelet der Jugend doch eine ausgelassene Freude am Leben, mit üppigem Essen und Trinken. Nirgendwo wird sonst in der Bibel so deutlich der üppige Lebensgenuss geradezu empfohlen, allerdings nur für die Jugend. Wo bleibt der Genuss für die Alten?

Aber diese kleinen Freuden des Lebens gönnen sich die Menschen in einem Bewusstsein, dass sie eigentlich nicht wissen, was das Ganze, was das Leben sinnvoll macht; nur der Glaube bleibt: dass Gott alles geschaffen hat und er alles vorherbestimmt. (Ob da Anklänge an Gnade und Prädestination – also bei Paulus im Römerbrief – durch scheinen, ist ein anderes Thema) „Wir sind Gottes Hand aufgehoben“: Das ist das zentrale Bekenntnis, „auch wenn wir mehr nicht wissen“.

Oft ist von Furcht Gottes“ die Rede. Dies ist eine Haltung, die im Alten Testament oft beschrieben wird, denn Jahwe hat in der Geschichte furchtbare Taten vollbracht, etwa die Ägypter vernichtet und wunderbar sein Volk erwählt und gerettet. Die Gottesfürchtigen sind die Frommen. Der Gottesfürchtige fühlt sich geborgen. Gottes Furcht ist Gehorsam gegenüber Gottes unergründlichem Willen. „Gottesfurcht ist der Weisheit Beginn“. Und ist eine Form der Unterwerfung unter die Allmacht Gottes. Gibt es im Neuen Testament noch diese Gottesfurcht?

2.Weisheit in der griechischen Philosophie. Ein knapper Hinweis fürs Weiterstudium.

Die griechische Philosophie in der Antike war in viele unterschiedliche Schulen gespalten. Wer in eine Schule eintrat, musste die Lehre des Meisters verinnerlichen, d.h. auswendig lernen, darauf weisen die Studien von Pierre Hadot immer wieder hin. Jeder Schüler einer Schule sollte die zentralen Lebensweisheiten immer „griffbereit“ für alle (schwierigen) Lebenslagen zur Verfügung haben.

Das wussten auch die frühen christlichen Theologen, indem sie den kirchlichen Glauben auch als SCHULE bezeichneten und ihn der Konkurrenz zu den anderen Schulen aussetzen. Durch die Kirchenpolitik der Kaiser setzte sich dann diese christliche Schule (eigentlich schon immer schon in sich selbst in Vielfalt) dann machtvoll durch und zerstörte die anderen philosophischen Schulen.

Ich will zu diesem komplexen Thema nur einige Hinweise geben:

Etwa in der Stoa und bei Epikur: Es geht beiden Schulen um die Erlangung der Ataraxia, der Ruhe im Leben, durch konkrete Übungen und Weisungen. Und man kann fragen: Ist diese ganze Windhauch Lehre von Kohelet nicht auch ein Einüben der Atarxia, der Unerschütterlichkeit? Ich denke, so ist es. Gerade dies hat Kohelet von den griechischen Philosophen gelernt!

Wenn man nur den Text „Selbstbetrachtungen“ (am Ende seines Lebens, um 172 nach Chr. geschrieben)   von Marc Aurel betrachtet, gibt es durchaus inhaltliche Anklänge an Kohelet: Etwa im 6. Buch, Nr. 15: Da ist vom ständigen Werden und Vergehen die Rede, also gewissermaßen vom Windhauch. „In diesem Strom kann man keinen festen Fuß fassen..“

Und doch ist Marc Aurel konkreter in seinen Hinweisen zum Umgang mit dieser Situation, in Nr. 16 schreibt er: „Was bleibt aber wirklich Achtungswertes übrig? Ich glaube dieses: Dich nach den dir innewohnenden Fähigkeiten zu rühren (tätig zu sein) und Zweckentsprechendes zu schaffen…“   Also in einer Situation des „Windhauches“ bzw. des ständigen Fließens kann der Mensch doch etwas konkret „aus sich machen und Gutes für die Welt tun“. Irgendwie wird der Gedanke einer verbesserlichen Welt, einer Weltgestaltung durch den einzelnen, bei den Griechen besser ausgesagt. Von einem expliziten Willen zur Weltgestaltung sehe ich bei Kohelet nicht so viele Anregungen.

Angesichts der vielen belastenden Erfahrungen, in denen so vieles, wörtlich „eitel, modernd, nichtig ist“ (N. 33 im 5. Buch, gib Marc Aurel den Ratschlag: Alles, was außerhalb deiner geistigen und körperlichen Sphäre ist, „ist nicht dein und hängt nicht von dir ab“, also kümmere und sorge dich nicht darum (Nr. 33). „Bedrückend sein kann für den Menschen nicht das Vergangene und Zukünftige, sondern nur das, was ist, was jetzt ist. (N. 36 im 8. Buch).

Nebenbei: Philosophie muss von „Sophismus“ unterschieden werden: Dies nur am Rande: Sophismus kommt vom Verb sophitestai, also ausklügeln, sich etwas ausdenken, kluge Worte machen, auch als Propaganda, auch als Irreführung: “Es gibt ja sowieso keine Wahrheit“… Ein Sophist kann jede noch so abwegige Theorie logisch scheinbar begründen und verteidigen. Darum waren sie oft auch glänzende Rhetoriker. Sie sind die „Relativisten“, die Sokrates als Ethiker verschmähte… Sokrates setzte sich mit Sophisten auseinander, etwa Kritias und Alkibiades… Sophisten arbeiteten philosophisch für Geld. Philosophen taten es gratis, wie Sokrates… Sophisten sind heute wohl viele Rechtsanwälte.

3.Welche Weisheit ist hilfreicher? Kohelet oder Marc Aurel „Selbstbetrachtungen“?

Diese Frage kann jeder für sich beantworten natürlich.

Der Eindruck ist wohl gültig: Schon aufgrund seines größeren Umfangs sind die “Selbstbetrachtungen” von Marc Aurel wesentlich differenzierter und konkreter als das Buch Kohelet. Das wird etwa deutlich, wenn Kohelet der Jugend empfiehlt: „Wandle, wie es deinem Herzen gelüstet und genieße, was deine Augen schauen“ (11. Kap. Ende)

Essen und Trinken als Lust wird auch in Kap. 5 empfohlen als Gabe Gottes. Aber alles wird auf die Jugend bezogen. Aber im Unterschied etwa zu Epikur wird nicht eine Lehre des reflektierten Maßhaltens geboten! Und der junge Genießer in Jerusalem soll auch schon wissen, „dass um alle diese genussvollen Dinge wird Gott dich vor Gericht ziehen“. (Ende 11. Kap.) Der Gedanke an Gottes Gericht soll vor allzu großer Üppigkeit warnen.

Da sind mir die griechischen Philosophen sympathischer und reflektierter: Sie wollen den Genuss in seinen Exzessen dadurch eingrenzen, dass sie auf das Wohl, auch das körperliche, des Genießenden acht geben. Sie argumentieren, aber drohen nicht mit einem rächenden Gott. Etwa bei Epikur ist das deutlich. Die Bibel bietet keine argumentative Weisheitslehre zur Ataraxia, zur lernbaren Unerschütterlichkeit, oder zum Gleichmut und zur Ausgeglichenheit! Dies tun die griechischen Philosophen. „Erwache und finde dich selbst wieder“, sagt Marc Aurel, Nr. 16 in Buch 6. „Erwache zu dir selbst“: Dieses Ernstnehmen der Entwicklung des eigenen Lebens fehlt mir im Buch Kohelet.

Ich meine: Kohelet spricht von einem sehr überlegenen, endgültigen Status aus, wie in einem Blick aus der Ewigkeit heraus spricht er und muss dann, sub specie aeternitatis, fast alles auf der Welt und im begrenzten Leben des Menschen, eben NICHTIG zu finden. Er sieht in dieser Sicht von oben alle Menschen eingesperrt in ein Leben zwischen (eigentlich abzulehnender) Geburt und dem Versinken in ein Nichts im Tod. Diese Beurteilung alles Lebendigen und Konkreten aus der Ewigkeit heraus ist problematisch: Dieser Standpunkt ist nur in der HINSICHT des Überblicks auf das gesamte Leben formal gültig. Es fehlt „trotzdem“ die Lust, Details zu entwickeln.

Ich finde die Aussage in Kohelet auch falsch: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“. Natürlich, alle Menschen sterben. Dennoch gibt es auch positive Entwicklungen, vielleicht sogar doch Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Dass heute sehr viele Menschen die universal geltenden Menschenrechte richtig finden, ist ein Fortschritt, selbst wenn sich sogar demokratische Politiker aus Egoismus etc nicht daran halten.

Ich finde die Aussage Kohelet falsch: Je mehr Wissen, desto mehr Schmerz.

Heute gar nicht annehmbar ist das Denken, auch der Krieg habe seine Zeit, also seinen Kairos. Gewöhnung an den Krieg als etwas weisheitlich Normalem ist grundlegend falsch.

Ende von Kap. 3 dieser furchtbare Satz: Der Mensch hat vor dem Tier keinen Vorzug.

Kurz und gut: Man lese manchmal das Buch Kohelet, kehre dann aber zum eigenständigen, umfassend slebstkritischen Denken der Philosophie zurück.

Wie viel seelisches (Un)Heil dieses Buch Kohelet unter den Frommen angerichtet im Laufe der Jahrhunderte der immer wiederholten Lesung im Gottesdienst und der privaten Lektüre, wäre eine interessante Studie.

Für Kohelet endet offenbar das menschliche Leben mi dem Tod. In der christlichen Tradition hingegen haben sich, den Evangelien folgend, Vorstellungen von der Auferstehung durchgesetzt, als Formen des Ewigen im Menschen. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Literaturhinweis:

Norbert Lohfink, Kohelet, Ein Kommentar, Echter Verlag, 3. Aufl. 1986, 86 Seiten. Antiquarisch preiswert zu haben!

Die Weisheit des Alten Testaments. DTV und C.H. Beck Verlag, 2007 (hg. Bernhard Lang) . 6 Euro.  Aus der empfehlenswerten preiswerten Kleinen Bibliothek der Weltweisheit. Nebenbei: Dort auch von Baltasar Gracian, Handorakel und Kunst der Weltklugheit.

Zur griechischen Weisheit der Philosophen:Sie die wichtigen Werke des Philosophen Pierre Hadot. Sieh den Link zu einem Beitrag von Christian Modehn

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hedwigskathedrale in Berlin: Der Umbau, der eine Schande ist.

Eine Religionskritik zum Umbau der St. Hedwigskathedrale in Berlin

Ein Hinweis von Christian Modehn

Diese Zeilen, Kommentar und Protest, sind natürlich wirkungslos, wie so viele andere Stellungnahmen, die sich schon früher gegen den jetzt beginnenden Umbau der Hedwigskathedrale gewandt haben, siehe Tagesspiegel vom 2.9.2018, Seite 10.

Was wir im Kommentar versuchen, ist also sinnloses Tun, das noch einmal geleistet wird gegen alle Hoffnung auf Einsicht. Sisyphus wurde von Camus bekanntlich ein Heiliger genannt. Vielleicht wird ihm, dem heiligen Sisyphus, einmal ein Altar geweiht, eine Statue errichtet, wo doch so viele kritische Leute seinem Vorbild folgten und folgen in einer Zeit der totalen Bürokratisierung auch in der römischen Kirche: Darum vorweg: „Heiliger Sisyphus, bitte für sie alle“.

Diese Kirchenführung zeigt, wie so oft, totale Phantasielosigkeit, totale Unfähigkeit zur Aufgabe von klerikalen Lieblingsprojekten.

Sie zeigt vor allem einen Verlust der Einsicht, was HEUTE dringend geboten ist zugunsten der Menschen in dieser Stadt Berlin. Die Führer der Kirche dokumentieren nur wieder ihre Lust am Bauen, ihre Freude am Stein und Erstarrten und an der Abwehr der leisesesten Vorstellung, dass mit vielen „Bau-Geld“ sich doch so viele Menschen in Not auferbauen ließen. Das ethische Gebot der Stunde heißt doch: Geben wir als Kirche, die doch irgendwas noch mit dem armen Jesus von Nazareth zu tun haben will, die geplanten 60 Millionen Euro (für den Umbau in Steinen) lieber für Menschen in Not aus.

60 Millionen also: 20 Millionen kommen vom Erzbistum Berlin, bekanntlich alles andere als reich; 20 Millionen spenden die deutschen Bischöfe, die haben nun wirklich viele Milliarden; 12 Millionen spendiert der Bund, schließlich leben wir ja außerhalb einer Trennung von Kirche und Staat, und der Berliner Senat kann 8 Millionen locker machen. Man braucht ja in Berlin bekanntlich kein Geld für marode Schulen oder unhaltbare Zustände in Kliniken und Altenheimen. Läuft ja alles bestens, da kann man doch guten Gewissens in Steine investieren und in ein hoch umstrittenes Projekt der Zerstörung eines Kunstwerks… Eigentlich ist dies alles pervers… Bei den 60 Millionen Euroa wird es natürlich nicht bleiben, man denke bloß an die Umbauten des Palais des Bischofs von Limburg, des Herrn Tebartz van Elst, der jetzt im Vatikan sein gutes Auskommen hat…

Für die zweifelsfreie elementar notwendige Grundsanierung der Hedwigskathedrale hätten 5 Millionen ausgereicht. Und die Menschen in Berlin und anderswo hätten gesagt: „Bravo, dass die Kirche nur sehr bescheiden nur in Steine investiert und stattdessen viel Geld und damit viel Hilfe den Menschen in Not anbietet“.

Aus religionskritischer Sicht also nur der Hinweis:

Kirchliches Handeln ist immer auf die Situation der Gegenwart bezogen. Und diese Gegenwart in Deutschland und in Berlin besonders heißt: Das demokratische Leben droht auseinander zu brechen, Rassismus und Faschismus nehmen zu, die Kluft zwischen Reichen und Armen wird größer, ein enormer Bedarf an Kommunikation besteht, die Leute wollen miteinander reden, in Gruppen, unter kompetenter Moderation, aber es fehlen die geeigneten Räume und Moderatoren; Jugendliche suchen Perspektiven, Flüchtlinge brauchen eine gerechte Lebenschance, der Zustand der Altenpflege ist katastrophal, der Zustand vieler öffentlicher Schulen miserabel und so weiter und so weiter.In einer solchen dramatischen Situation können die Kirche einfach nicht weiter handeln und weiter theologisieren wie bisher. Das muss eine Unterbrechung geschehen. Etwas Neues sollte passieren in einem erneuerten, radikaleren Geist. Ist die Kirche wirklich auf repräsentative Gebäude angewiesen, muss sie ästhetisch „mithalten“ in der Konkurrenz der Opernhäusern, Bibliotheken und Luxus- Restaurants? Nein, natürlich nicht. Aber sie tut es wider besseren Wissens.

Kann man und darf man ethisch, also vom Gewissen her gesehen, in einer solchen Situation 60 Millionen Euro (mindestens) für einen überflüssigen Umbau eines Kirchengebäudes ausgeben? Bloß damit die Kleriker angemessener in der Mitte der Kirche an ihrem Altar stehen und „zelebrieren“? Abgesehen von allen kunsthistorischen und architektonischen Erwägungen bleibt die Erkenntnis, die sich ohnehin in Berlin schon herumgesprochen hat:

Dieser unnötige umfassende Umbau der Hedwigskathedrale für mindestens 60 Millionen ist in der heutigen Situation eine Schande für die Kirche, die sich natürlich als solche herumspricht.

Bleibt abzuwarten, ob sich einige Freunde des heiligen Sisyphus noch zu gelegentlichen Protesten aufraffen können. Sie werden von den Herren der Kirche natürlich ausgelacht…

Christian Modehn, Journalist und Theologe. Leiter des:  www.religionsphilosophischer-salon.de

 

Glauben ohne „Wunder“! Warum Pater Pio endlich im Grab verschwinden sollte. Anläßlich des 50. Todestages.

Ein Hinweis von Christian Modehn zum 50.Todestag des Paters Pio. Siehe auch einen grundlegenden Beitrag.

Er ist immer noch einer der beliebtesten „Volksheiligen“ Italiens, als Foto mit Heiligenschein präsent in Kneipen, Taxis, Geschäften, Schlafzimmern und wohl auch in den geheimen Treffpunkten der sich auch fromm gebenden Mafia … und darüber hinaus wird er in der ganzen Welt von Katholiken verehrt, als Fürsprecher himmlischer Art… Sein Kult hat über all die Jahre immerhin dem Kapuziner Orden und dem Bistum Manfredonia so viel Geld eingebracht, dass in der Stadt seines Klosters, in San Giovanni Rotondo, Kliniken gebaut wurden, abgesehen von der pompösen „San Pio“ Kathedrale, die Renzo Piano dort errichtet hat.

Der Kapuzinerpater Pio (25.5. 1887 bis 23.9.1968) zeigte sich in der Öffentlichkeit gern mit dunkel rot erscheinenden, blutig wirkenden Verletzungen an seinen Händen: Diese wurden von ihm selbst, von den Frommen und später auch von den Päpsten als Stigmata, als Wunden Jesu am Kreuz, gedeutet. Eine äußerst seltene „Auszeichnung“ in der Sicht klassischer Wundertheologie. Therese Neumann von Konnersreuth („das Resel“ genannt) behauptete auch, auf solche blutige Weise gesegnet zu sein, was ernstzunehmende Theologen natürlich als Betrug deuten.

Pater Pio jedenfalls ist, kritisch betrachtet, und warum sollte man ihn nicht wie andere Menschen kritisch betrachten?, insgesamt gesehen ein Scharlatan, das meinten kritische Theologen und sogar zeitweise die Päpste. Mit Karbolsäure habe er seine Wunden erzeugt und mit dem Nervengift Vertarin die Schmerzen betäubt. So der Historiker Sergio Luzzatto in seiner Studie.

Weil das religiöse, aber kritisch nicht interessierte Volk herausragende Elemente von Jesus Christus leibhaftig sehen will, eben Stigmatisierungen oder sonst, wie ständig üblich, Reliquien (etwa Teile der Vorhaut Jesu, Fetzen aus dem Kreuz etc.) machte Pater Pio mit seinen rot gefärbten, dem Eindruck nach verschorft – blutenden Händen eine große Karriere. Man bewunderte ihn, sah in ihm, dem Priester, der kaum predigen konnte, ein Gottesgeschenk. Und diese Wunderkraft wollte und will doch die Kirche nicht stoppen, die das Geld hoch und heilig verehrt.

Über diesen Glauben an einen aus vielerlei, auch ökonomischer, Interessen „gemachten“ Heiligen habe ich an anderer Stelle berichtet, auch darüber, dass Papst Johannes Paul II. ein großer Verehrer dieses mit roten Handflächen herumlaufenden Kapuziners war; auch Papst Franziskus ist ja bekanntlich ein großer Heiligenverehrer: Man denke daran, dass er als Jesuitenpater, seit einem Aufenthalt in Augsburg, ganz begeistert war von der Gestalt und dem „Gnadenbild“ der Jungfrau Maria als „Knotenlöserin“. Den Kult um „Maria Knotenlöserin“ verbreitete er dann als Erzbischof von Buenos Aires in ganz Argentinien. Viele politische, gewalttätige, ökonomische usw. Knoten Argentiniens hat Maria jedenfalls offenbar bisher himmlisch nicht lösen können. Macht aber nichts , Hauptsache die Frommen haben eine Art Zufluchtsobjekt, wo sie sich ihren Gott und die Heiligen zusammenbasteln können, je nach Laune und Bedürfnis.

Bin ich also in einer Theologie, die als rationales Nachdenken diesen Namen verdient, gegen die Wunder, gegen die Wundertäter, die Wunderorte, die Marienerscheinungen usw.?

Ich bin im allgemeinen gegen den Wunderkult, diese Pio – Verehrung, die Verehrung der Maria, die als solche (!) aus dem Himmel herab nach Fatima schwebte usw… Denn: Wunderglaube in diesem weiten, populären Sinn führt die Menschen in die seelische Entfremdung, ist also, wenn er ernst genommen wird, seelisch schädlich. Und was schädlich ist, sollte man bekanntlich nicht ständig praktizieren. Auch wenn der ganz Trubel und Rummel um die Heiligen und heiligen Orte (Aufbewahrung der einbalsamierten Leichen, wie bei Lenin und dann auch Stalin und Mao etc…) natürlich eine exotische Abwechslung (Opium manchmal) ist einem eher tristen Alltag. Diese Freude, etwas Besonderes, an heilig genannten Orten zu erleben, mit anderen über (angeblich mysteriöse) wunderbare Erscheinungen und Begebnisse esoterisch zu plaudern, ist doch etwas Nettes. Aber nicht alles, was unterhaltsam ist und Gesprächsstoff für Spekulationen bietet, ist auch hilfreich und fördert die Entwicklung eines reifen Menschen. Etwas anderes ist es natürlich, wenn man in einer Oper von Mozart Wunderbares sieht und hört: Dann ist dies eben ein bewusst als solches wahrgenommenes Märchen, über das man schmunzeln kann, aber das war es dann auch. Hingegen hinterlässt Pater Pio auf Dauer negative Spuren im eigenen Leben, fördert den Glauben ans Fegefeuer und andere Absonderlichkeiten (er sah ja selbst arme Seelen von dort in seinem Zimmer etc..).Mit dem Gott der Wundertäter kann man einen deal machen, insofern passt er in kapitalistische Zeiten.

Wenn der Katholizismus aufhören will, Absonderliches zu vertreten und damit gegen die seelische Reifung der Menschen zu arbeiten, dann sollte er zuerst mit diesen Heiligenkulten, auch mit dem Kult um diesen Herrn Pater Pio, aufhören. Zwecks „Reinigung der Gemüter“ sozusagen. Die Kirche kann ja nur an Ansehen gewinnen, wenn sie sagt: Jetzt ist Schluss mit diesen mit roter Farbe verschmierten Pio Händen. Wir lassen die Infantilität dieser Kulte hinter uns usw. Und tun Wichtigeres, zum Beispiel den Armen gerecht zu begegnen und die Menschenrechte zu pflegen….

Ich möchte aber gern eine philosophische, also allgemein menschliche Haltung beachten: Dies ist die Erfahrung des Erstaunlichen, und dieses ist die Erkenntnis: Dass überhaupt etwas ist und nicht viel mehr nichts. Dieses DASS der Welt ist das einzige, das uns immer „ohne Lösung“ zu denken gibt, Leibniz sprach davon, viele andere auch. Wenn man so will, ist dies das einzige “Wunder”. Und für Religionsphilosophen, die das innere Verbundensein von göttlicher schöpferischer Wirklichkeit und Welt (mit den Menschen und ihrer Seele) zusammen denken, gilt: Dann ist es vor allem erstaunlich, dass Göttliches, Absolutes, Ewiges, in der Welt und in der geistigen, vernünftigen Menschenerfahrung sich zeigt, etwa in der Ethik. Siehe Kant. Wir Menschen sind in etwas sehr elementares und „einfaches“ Erstaunliches hineingesetzt. Dieses “Wunder” gilt es zu bedenken, von da aus ergeben sich Spuren ins Religiöse. Alles andere ist frommes Machwerk.

Wenn Göttliches in der Seele und im Geist der Menschen als „Funken“ (Meister Eckart) anwesend ist, dann ist dieses das einzige Wunder, das diesen Namen verdient! Auch die Gestalt Jesu von Nazareth lässt sich nur so verstehen: Er lebte in enger Verbindung mit dem alle Menschen auszeichnenden Göttlichen, darin ist die Kraft der „Auferstehung“ zu sehen.

Noch einmal: Wunder im populären Sinne, da und dort, bei diesem und jenem, bei Menschen mit rot verschmierten Händen („Wundmalen“), aber nicht bei allen, und auch nur ganz bestimmten ausgegrenzten Orten, gibt es eigentlich nicht. Wer diesen Wunderkult betreibt, hat finanzielle und politische Interessen (etwa im Falle von Fatima), will Religion pompös aufwerten, als Show gestalten, so, dass alle staunen. Das ist Machwerk, aber keine spirituell oder gar mystische Frömmigkeit.

Erneut zum theologischen Hintergrund:

Nichts hat religiöse Menschen so sehr von der eigenen menschlichen, d.h. immer auch selbstkritisch reflektierten Spiritualität entfernt und in die Entfremdung geführt wie der populäre Wunder – Kult und der Kult um Wundertäter und Wunder-Orte. Diese Formen des von religiösen Führern propagierten Wunderkultes sind im christlichen Raum besonders im Katholizismus verbreitet, aber auch in evangelikalen und charismatischen Kirchen und Gemeinschaften. In manchen Pfingstkirchen werden die Gemeindemitglieder ja schon misstrauisch angesehen, wenn sie nicht von ihren persönlichen täglichen Wundern ausführlich erzählen können, etwa so: „Tante Olga brachte mir plötzlich wunderbaren Apfelkuchen vorbei, den ich so dringend brauchte, was für ein Wunder…“

Wenn etwas Besonderes, Außergewöhnliches, offenbar nicht (so schnell) zu Erklärendes geschieht, kann man dies vernünftig – prosaisch Zufall nennen. Religiöse Menschen nennen den für sie selbst positiv erscheinenden Zufall „Wunder“. Irgendwo wollen sie die in der Lehre der Kirchen verbreitete These des begleitenden, hilfreichen Gottes für sich endlich mal selbst materiell erleben und sinnlich spüren. Gegen solche Deutungen „dieser mein Zufall ist mein Wunder“ kann man, von außen betrachtet, so lange nichts kritisieren, als diese dann wundergläubigen Menschen seelisch halbwegs stabil und reflektiert bleiben. Ist ein Lottogewinn Zufall oder Wunder?

Die Krise erleben diese frommen Menschen ja erst dann, wenn der Zufall für sie selbst nicht positiv zu deuten ist. In solchen Situationen, die oft in Verzweiflung und sogar in Unglaube führen können, fragen die Menschen: Wo ist denn Gott? Warum greift er nicht hier direkt für mich ein, warum also durchbricht Gott (der dann allmächtig genannt wird) nicht die Naturgesetze ausnahmsweise mal und dann zu meinen Gunsten? Und rettet mich? Was mit den anderen dann passiert, ist mir erst mal egal. Mein Gott soll mich aus allen möglichen irdischen Bedrängnissen retten. Egoismus wird sichtbar. Und ein sehr menschlicher Umgang mit dem alle Naturgesetze durchbrechenden Gott.

Innerhalb der Wunder-Diskussion ist besonders das Beten zu heiligen Wundertätern problematisch. Etwa so: Pater Pio soll mir helfen, soll im Himmel aktiv werden und Fürbitte leisten bei Gott, dass Gott sich höchst persönlich selbst durch die Fürsprache des so tollen heiligen Pater Pio für uns einsetzt. Das gleiche Denkmodell liegt etwa im Umgang mit der Jungfrau Maria vor: Sie möge doch als Himmelskönigin für uns wirken, also himmlisch irgendwie eingreifen. Was für ein verdinglichtes Gottesbild ist da eigentlich sichtbar? Gottvater mit Bart lässt sich in himmlischem Plausch von Pater Pio zu irgendwas Außergewöhnlichem bewegen…

Diese Gebete sind sozusagen Irreführungen: In allen Lebenssituationen sollte sich der Mensch sammeln und bedenken: Und nur darauf kommt es wohl an: Mein Leben ist wie das Leben aller anderen Menschen undurchschaubar. Mein Leben als solches ist ein Geheimnis. Und Geheimnis ist bekanntlich etwas anderes als ein immer irgendwie aufzulösendes Rätsel. Woher komme ich, warum bin ich da, wohin gehe, dies sind die einzige erstaunlichen wunderbaren Fragen. Darauf bezieht sich meditative Sammlung, darauf bezieht sich religiöser Kult in aller Stille.

Im Zentrum steht also: Ich vertraue auf einen bergenden letzten Sinn im Leben, in meinem Leben und dem Leben aller. Und mehr ist „religiös“ für den einzelnen Frommen gar nicht not – wendig. Diese Lebenspraxis ist schon schwer genug. Vielleicht anstrengender, als sich vor dem Leichnam Pater Pios erschüttert zu verneigen oder in Fatima oder wo auch immer ein paar Stufen auf den Knien hoch zu krauchen … und dann im „Heiligtum“ zehn Vater Unser zu beten, damit die Knieschmerzen wieder aufhören.

Hat das ein Reformator eigentlich einmal gesagt: Wunder sind Machwerke. Und diese Wundertäter inszenierte gut bezahlte Schauspieler…

Zusammenfassend mein natürlich offiziell unerwünschter Rat an die römischen Kirchenführer und die Leiter des Kapuzinerordens: Lasst Pater Pio endlich im Grab verschwinden. Vergesst ihn! Zerstört seine Bilder!  Zeigt Bilder von Oscar Romero, Helder Camara oder Martinuther King überall. Und vor allem: Entschuldigt euch bei den Menschen, dass ihr einen Scharlatan benutzt habt, um einen infantilen, eben autoritätshörigen Glauben zu fördern. Werdet endlich vernünftig, ihr Kleriker…   PS: Werden sie aber nicht.

Papst Franziskus wird trotzdem zum 50. Todestag des Scharlatans und Geldbringers Padre Pio nach San Giovanni Rotondo reisen. Er wird sagen, das weiss ich schon heute, am 31. 8.2018: „Padre Pio, welch ein großer Heiliger, welch ein Vorbild der Armut, auch der geistigen; er hat sich aufgeopfert, er hat die Wundmale Christi erduldet. Hat sie allen gezeigt und dabei Erfolg gehabt. Er hat die Beichte bei so vielen gehört, wer macht das schon? Predigen oder gar argumentieren konnte er nicht. Ist ja auch nicht so wichtig für einen Frommen!  Folgen wir ihm also nach. Ohne Opfer geht nichts zum Heil auf dieser Welt. Man muss überhaupt nicht klug sein, wie Padre Pio es ja war, um Gott zu gefallen….“

Und all die Leute werden Beifall spenden. Und den modernen Papst Franziskus loben…..So ist das. Leider.

Wann gibt es wieder mal eine wirkliche Reformation?

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

 

Der Glaube an den “einen” Gott und die Gewalt: Der philosophische Salon im September

Ein religionsphilosophischer Salon am Freitag, den 28. September 2018, um 19 Uhr in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9

Den „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ erhalten in diesem Jahr 2018 in Frankfurt/M. die beiden Wissenschaftler Aleida und Jan Assmann. Aleida Assmann arbeitet als Literaturwissenschaftlerin, Jan Assmann noch berühmter, wenn man so sagen darf, hat als Ägyptologe einen international hochgeschätzten Ruf: Er hat sich als universal gebildeter Religionsforscher in vielen Veröffentlichungen mit der „Gewalt im Monotheismus“ auseinandergesetzt und dadurch auch viele Kontroversen ausgelöst.

Wir wollen uns in diesem Salon – Gespräch dem zentralen Thema von Assmann kritisch nähern und uns fragen, wie in einem auch persönlich strukturierten Salongespräch üblich: Wo und wann haben wir Gewalt des Monotheismus erlebt? Und: Wann sind atheistische Ideologien als säkulare Mono-„theismen“ gewalttätig (gewesen)? So wird die Frage nach der Möglichkeit “absoluter Wahrheiten” aufgeworfen. Ist dann “alles” relativ?

Und vor allem: Wie lässt sich durch uns (!) eine Welt nicht nur der elementaren, aber oberflächlichen Toleranz, sondern des gewaltfreien Respekts aufbauen?

Lektüreempfehlung: Jan Assmann, Totale Religion. Picus Verlag Wien, 2016. Einige grundlegende Aufsätze und Hinweise zum Weiterforschen.. 183 Seiten.

Als philosophischer Hintergrund: Peter Sloterdijk, Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. Verlag der Weltreligionen, 2007. 218 Seiten.

Siehe auch die große Debatte im Perlentaucher Magazin, online sind die Texte als pdf verfügbar.

Bei Interesse an diesem Thema: Bitte um Anmeldung: christian.modehn@berlin.de