Den “Atom-Kriegern” heute widerstehen

Eine Benefizveranstaltung von IPPNW (= Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) am 9. August 2018 in Berlin – Dahlem

74 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki ist die Gefahr eines Atomkrieges größer denn je.

Nach Einschätzung des „Bulletins oft the Atomic Scientists“ dem Berichtsblatt der Atomwissenschaftler, steht die „Uhr des Jüngsten Gerichts“, die die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges anzeigt, seit Anfang 2018 auf 2 Minuten vor 12!

Wir erinnern daran und laden ein zum IPPNW-Benefizkonzert „Nie wieder Hiroshima – Nie wieder Nagasaki“ am Donnerstag, den 9. August um 20 Uhr in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem, Hittorfstraße 25, 14195 Berlin. U-3 Thielplatz. Bus M11,110

Der Organist Ulrich Eckhardt und die jungen japanischen Preisträger internationaler Wettbewerbe Kazuhito Yamane, Michiaki Ueno und Tomoki Kitamura stellen mit Werken von J.S. Bach, F. Schubert und J. Brahms der drohenden Zerstörung unserer Erde ein Stück Kultur entgegen, denn gerade im Atomzeitalter spielt Musik als Zeichen des Lebendigseins eine besondere Rolle.

Die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates der Kirchengemeinde Dahlem Frau Katja von Damaros und der stellvertretende Botschafter von Japan in Deutschland Herr Yasushi Misawa werden zur Begrüßung sprechen.

Die internationale Studierendensprecherin der IPPNW, Franca Brüggen spricht zum Thema: “Hiroshima und Nagasaki – Erinnerungen an das Unvorstellbare”.

Die Schirmherrschaft hat die Botschaft von Japan in Deutschland.

Einzelheiten zum Konzert finden Sie im beigefügten Plakat oder unter www.ippnw-concerts.de

Der Eintritt ist frei – Spenden erbeten.

…. 50 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki fand in San Antonio/USA ein Kolloquium zum Thema „1945 – Feuerprobe der Befreiung“ statt. Der 87jährige Physiker Edward Teller, einer der Väter der amerikanischen Atombombe und ein entschiedener Befürworter der atomaren Rüstung ergriff das Wort und sagte, dass auch ein demonstrativer Abwurf der Atombombe über der Bucht von Tokio den Krieg beendet hätte. Dies hätten 10 Millionen Japaner gehört und gesehen, ohne dass ein einziger Mensch gestorben wäre. Vom moralischen Standpunkt aus sei dies der Bombardierung Hiroshimas vorzuziehen gewesen. Die Bombardierung Nagasakis drei Tage später nannte er völlig unnötig.

 

Schweden und die Kirche. Ein Ra­dio­sen­dung im Deutschlandfunk 2007

Ich wurde mehrfach gebeten, das Manuskript meiner Ra­dio­sen­dung über einige Aspekte der Lutherischen Kirche in Schweden zugänglich machen kann. Der Beitrag wurde 2007 im Deutschlandfunk, Studiozeit, Red. Hartmut Kriege, gesendet. Das hier nun veröffentlichte Manuskript hat ein Layout, wie es für Hörfunk Produktionen üblich ist. Christian Modehn am 1. 8.2018.

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DLF

Studiozeit 2007

Glaube in Schweden heute. Von Christian Modehn

-Eine Sendung VOR der Feier zum 60. Gründungstag des Lutherischen Weltbundes, in Lund, Schweden, gegründet; in Lund auch die Feier ab 20. März 2007. Auf den LWB wurde wunschgemäß auch wegen der aktuellen Berichterstattung nicht eingegangen, sondern ausschließlich wunschgemäß auf die (lutherische) „Schwedische Kirche“.

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  1. O TON : 0 25 « 

Spuren Gottes gibt es für die Schweden immer schon in der Natur. Und wenn man Natur sagt, meint man in Schweden ja was anderes, als wenn man in Deutschland Natur sagt. In Schweden meint man die Berge, d.h. die unberührte Natur, die es in dieser Weise ja in Deutschland gar nicht mehr gibt. Wenn die Schweden von Natur sprechen, meinen sie, dass der Mensch allein in der Natur den Naturgewalten ausgesetzt ist, den Schönheiten, den Schrecken, und dort Gott neu entdeckt.

 

1.SPR.:

Werner Jeanrond untersucht die Bedeutung der Gottesfrage in der schwedischen Gesellschaft von heute. Er arbeitet als Professor für Religionswissenschaften an der Universität von Lund. Seit 13 Jahren lebt er in Schweden, vorher war der aus Deutschland stammende Theologe in den USA und in Irland tätig.

Wer nach Schweden geht, so hatte er dort gehört, begibt sich in eine Kultur ohne Frömmigkeit und ohne Spiritualität. Tatsache ist: In Schweden spielt die Bindung an die Kirche keine große Rolle mehr. Die Menschen seien sehr säkularisiert, heißt es. Aber diese Verweltlichung hat doch Nuancen, hat Professor Jeanrond beobachtet:

  1. O TON, 0 17“

Viele Schweden, auch in meinem Bekanntenkreis, wenn ich sonntags morgens in die Kirche wandere, wandern die in die Natur. Und wenn wir uns dann mittags beim Kaffe treffen, dann vergleichen wir, was wir gefunden haben, welche Spuren Gottes es wo gibt. Wobei das überhaupt nicht ein Gegeneinander ist, sondern ein Miteinander.

 

1.SPR.:

In der Natur das Geheimnis der Schöpfung erleben …oder im Gottesdienst den Schöpfer des Universums verehren: Für Werner Jeanrond bilden beide Glaubenshaltungen eine Einheit. Davon sind die meisten protestantischen Theologen in Schweden überzeugt. Sie unterstützen ihre Landsleute in ihrer Sehnsucht nach einer Naturmystik. Denn gerade da äußert sich die spezifisch „schwedische Spiritualität“. Gelegentlich laden Bischöfe in ihre mittelalterlichen Domkirchen zu besonderen Gottesdiensten ein. Darin wollen sie das Wunder des Lebens, die Freude über die Einheit von Natur und Mensch feiern, musikalisch, meditativ, im Tanz. GAIA nennen sie den Zusammenhang alles Lebendigen. Der Theologie Professor Reinhold Brakenhielm hat kürzlich dieses Fest der Schöpfung vorbereitet:

 

  1. O TON, 0 39″

In der Kathedrale von Uppsala haben wir einen Gaia – Gottesdienst gehabt von großem Interesse. Gaia ist eine Inspiration, von einem englischen Biologen, der die ganze Welt beschrieben hat als eine lebendige Wirklichkeit, wo man die Biosphäre als lebendig ansehen kann. Es gibt eine Art spiritualistische Ökologie. Ich glaube, es ist eine Religion, die ihre Wurzeln in schwedischer Tradition haben.

 

  1. Zusp., Chormusik, ca. 0 05“ freistehend: dann etwas herunterziehen:

 

  1. SPR.:

In der neuen Kirchenmusik wird die „ökologische Spiritualität“ gepflegt, eine Neufassung des berühmten „Sonnengesangs“ des Heiligen Franziskus findet viel Zustimmung:

 

  1. Zusp., Chormusik,

 

  1. SPR.:

Heute gehen die Schweden sehr frei mit den Traditionen der christlichen Religion um. Sie wollen ihrem eigenen, individuellen Glauben selbständig Form und Inhalt geben. 80 Prozent der Bewohner, also 7 Millionen Menschen, sind Mitglieder der „Schwedischen Kirche“. So nennt sich offiziell die evangelisch-lutherische Kirche des Landes. Professor Brakenhielm hat die religiöse Mentalität seiner Landsleute genauer untersucht:

 

  1. O TON: 0 20″

Die große Majorität hat nicht einen aktiven Atheismus, aber sie sind nicht überzeugt von der ganzen Lehre des Christentums. Vielleicht glauben sie an Gott oder in eine transzendente Wirklichkeit, aber sie haben nicht eine präzise Dogmatik.

 

  1. SPR.:
    Darin sind sich Religionssoziologen einig: Nirgendwo sonst in Europa hat sich innerhalb einer protestantisch geprägten Kultur so viel „frei schwebende“, individuell geprägte Spiritualität entwickelt wie in Schweden. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Kirche. Professor Brakenhielm:

 

1.O TON, 0 23″

Jedes Jahr werden die Taufen ein oder zwei Prozent weniger, so ist es auch mit Gottesdienste im allgemeinen, so ist auch, wenn man die Statistik von Mitgliedern ansieht. Wir haben ein Problem hier in der Schwedischen Kirche, auch für die Zukunft.

 

  1. SPR.:
    Aber die meisten Theologen und Bischöfe der Schwedischen Kirche reagieren darauf nicht in einer defensiven Haltung; sie entwerfen keine umfassenden Strategien für eine neue Evangelisierung. Vor allem: Sie wollen ihre religiös interessierten Landsleute nicht mit schwer verständlichen dogmatischen Lehren konfrontieren. Deswegen verhalten sie sich großzügig, manche sagen liberal, weil sie jeden einzelnen unterstützen, den eigenen religiösen Weg zu finden. Diese theologische Position vertritt unter anderen Karl Gustav Hammar. Er arbeitet jetzt wieder als Theologieprofessor, bis vor einem Jahr war er als Erzbischof von Uppsala auch das Oberhaupt der Schwedischen Kirche.

 

  1. O TON, 1 10“
  2. SPR.:

Ich denke, eine der wichtigen Aufgaben der Schwedischen Kirche heute besteht darin, den Schweden helfen. Damit sie verstehen: Die Menschen sind gar nicht so distanziert von der Kirche, wie sie selbst denken. Sie sind gar nicht so säkularisiert, wie sie meinen. Es gibt in Schweden eine Spiritualität, die sehr eng verbunden ist mit der Natur, es gibt eine Verbindung mit dem Ganzen der Schöpfung, ähnlich der keltischen Spiritualität. Sicherlich, diese Spiritualität ist nicht kirchlich geprägt, die Leute sind nicht kirchlich gebunden, aber sie sind doch spirituell. Ich würde sie auch nicht religiös nennen. Aber die Kirche ihrerseits muss betonen: Nicht die Beziehung zur Kirche als einer Institution ist wichtig. Entscheidend ist die Verbindung mit der Tiefe unserer Wirklichkeit. Darüber muss man öffentlich sprechen: Die Kirche muss in dieser Situation ein Partner sein, nicht jemand, der die Lösungen und die Antworten parat hat. Wir müssen die Leute nicht „erwecken“, sondern mit ihnen zusammen unterwegs sein.

 

1.SPR.:

Kirche und Volk bzw. Kirche und Staat waren über mehrere Jahrhunderte aufs engste verbunden. Im Jahr 1527 schloss sich König Gustav I. Vasa dem Lutherischen Glauben an. Nachdem er den Kirchenbesitz in staatliches Eigentum überführt hatte, ernannte er sich zum Oberhaupt der lutherischen Kirche. Seit dem 16. Jahrhundert war die Kirche wichtigste geistige Stütze des Staates, sie war ganz offiziell „Staats-Kirche“: Die Bischöfe z.B. wurden vom König eingesetzt. Erst im Jahr 2000 wurde diese enge Verquickung von Staat und Kirche aufgegeben. Mit großer Mehrheit unterstützte nicht nur das Parlament, sondern auch die oberste Kirchensynode diese Veränderung der schwedischen Verfassung: Altbischof Hammar:

 

  1. O TON, 0 37“
  2. SPR.:

Die wichtigste Veränderung betrifft die Mentalität des schwedischen Volkes. Denn früher war die Kirche in gewisser

Weise die offizielle staatliche Stimme, sie war Teil des Establishments. In dieser Situation wurde alles entwertet, was unsere Kirche sagte. Darum war es für Freikirchen oder staatlich unabhängige Kirchen einfacher, sich zu äußern als für uns. Jetzt aber denken die Leute: Wir sind frei, wir sind ein Teil der schwedischen Zivilgesellschaft. Wir haben eine bedeutende Stimme, deswegen ist die Kirche heute interessanter für die Menschen geworden.

 

  1. SPR.:
    Die Kirche ist nicht mehr der verlängerte Arm des Staates, sie kann, vom Geist der Bibel inspiriert, kritisch Stellung beziehen, etwa zum Lebensstil der schwedischen Gesellschaft:

 

 

  1. O TON, 0 31“
  2. SPR.:

Im positiven Sinne versuchen wir für eine erträgliche Zukunft und für eine erträgliche Gesellschaft zu arbeiten. Das verlangt von uns, dass wir einen anderen Lebensstil finden, der mit weniger Energie und weniger Konsum auskommt. In diesem Sinne ist es wichtig für uns, dass wir Teil der Zivilgesellschaft sind. Mit uns gibt es viele andere Stimmen, etwa im Umweltschutz oder in politischen Bewegungen, Befreiungsbewegungen usw. Sie alle sprechen dieselbe Sprache, wir gehören zu dieser Bewegung.

 

1.SPR.:

Endlich frei sein: Schwedische Theologen diskutieren die Auflösung der engen Verquickung von Kirche und Staat seit über 100 Jahren. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurde kritisiert, dass es eigentlich keine Religionsfreiheit gibt, daran erinnert der Theologe Michael Persson aus Uppsala:

 

  1. O TON: 0 23″

Wenn man in Schweden wohnte, dann war man evangelischer Christ. Automatisch. Dann gab es ein Kirchengesetz von 1686. D.h.: Jeder, der in Schweden geboren ist, muss getauft innerhalb 8 Tagen. Also es war eine Kontrollgesellschaft. Bis 1851 durfte man kein anderes Bekenntnis haben als evangelisch-lutherisch.

 

  1. SPR.:

Wer wenigstens einen schwedischen Elternteil hatte, war also automatisch und ungefragt Mitglied der Schwedischen Staats – Kirche. Die Taufe war dann eher ein zusätzlicher religiöser Ritus. Erst seit 1851 ist ein Übertritt in eine Freikirche, etwa der Baptisten, oder auch in die Katholische Kirche gesetzlich erlaubt. Aber Christ musste ein Schwede in jedem Fall bleiben, Unglaube galt als „gefährlich“. Michael Persson:

11.O TON: 0 09″

Bis 1951 konnte man nicht als Atheist eingeschätzt werden. Ohne Glauben, das ging nicht! Entweder Kirche von Schweden oder eine von den anderen.

 

  1. 1. :
    Der Staat wollte durch die Bindung aller seiner Bürger ans Christentum für die eigene Stabilität sorgen und die innere Sicherheit fördern. Nur der christliche Untertan könne dem christlichen Königreich dienen, war die Überzeugung. Als dann seit 1950 immer mehr Ausländer ins Land kamen, darunter auch Flüchtlinge aus muslimischen Staaten sowie Juden und auch Buddhisten aus Asien, musste eine andere, eine säkulare Ideologie die Einheit unter allen Menschen in Schweden stiften. Darum bemühten sich die viele Jahre regierenden Sozialdemokraten, berichtet Professor Werner Jeanrond :

 

  1. O TON 0 23″

Der Volkheimgedanke, schwedisch Volkhem, bedeutet ja, dass diese Volksheimat, die aufgebaut werden soll, alle Bedürfnisse und alle Beziehungen der Menschen regeln wollte. D.h. sie hat natürlich einen vom Glauben aus gesehen totalitären Anspruch, totalitär in der Weise, dass sie alle Beziehungen des Menschen von der Wiege bis zur Bahre lenken und leiten wollte, auch die Religion.

 

1.SPR.:

Im Rückblick hatte die Bindung der Kirche an den sozialdemokratisch regierten Staat auch positive Aspekte, betonen Theologen heute. Denn der sich fortschrittlich verstehende Staat versuchte von sich aus, progressive theologische Auffassungen in der Kirche zu unterstützen. Professor Jeanrond:

 

13.O TON: 0 20″

Es gibt ja viele Sachen, die zwischen Kirche und Staat in den letzten Jahren erfolgreich in Schweden ausgehandelt wurden, z.B. die Rolle der Frau. Die Rolle der Frau in der schwedischen Kirche ist gleichgestellt. Es gibt vermutlich jetzt in Lund bald wieder zum zweiten Mal eine Frau als Bischöfin, und da haben Staat und Kirche zusammengewirkt gegen konservative Elemente in der Kirche.

 

  1. SPR.:

Als das Parlament die völlige Gleichstellung der Geschlechter beschloss und in den neunziger Jahren auch die Gleichberechtigung homosexueller Menschen, hat sich die Schwedische Kirche dieser Entwicklung angepasst. Kürzlich gestattete die oberste Synode die kirchliche Segnung homosexueller Paare. Diese Position ist allerdings nicht unumstritten, betont Michael Persson:

 

  1. O TON, 0 16″

Die Synode hat gesagt, das ist in Ordnung, ein Drittel hat gesagt, nein, wir wollen das nicht. Aber zwei Drittel von Synode hat gesagt: Wenn Leute zusammenleben wollen in Treue und in Liebe, dann segnet die Kirche das ein.

 

  1. SPR.:
    Innerhalb der Schwedischen Kirche gibt es unterschiedliche geistliche Strömungen. Aber nur eine kleine Minderheit geht einen eigenen, streng lutherischen oder evangelikalen Sonderweg, wie etwa die sogenannte „Schwedische Missionsprovinz“ konservativer Lutheraner. Ihr Führer, Pfarrer Arne Olsson, wurde von einem ebenfalls konservativen lutherischen Bischof aus Kenia zum Bischof geweiht. Die überwiegende Mehrheit wünscht sich einen modernen Glauben, also eine Verbindung von Moderne mit der biblischen Tradition. Dafür setzt sich Altbischof Hammar ein:

 

  1. O TON, 0 36“.
  2. SPR.:
    Mein theologischer Kampf als Kirchenführer hier geht nicht darum, undogmatisch zu sein. Mir geht es eher darum, wieder zu verstehen, was das Dogma heute bedeutet. Für mich ist das Dogma keine Lehre, die perfekte Antworten enthält, man begegnet nicht einer statischen Wahrheit. So missachtet man nur den historischen Sinn des Dogmas. Ich sehe das Dogma als den Ausdruck einer Erfahrung des Glaubens zu einer bestimmten Zeit, als Deutung, was Christsein in einem bestimmten Augenblick bedeutet. Unter diesen Bedingungen können für heute die alten Dogmen hilfreich sein. Man kann mit ihnen ins Gespräch kommen, aber sie begrenzen sie nicht die eigene Freiheit.

 

  1. SPR.:
    Die Gesprächsbereitschaft ihrer Kirche können die Schweden ständig im Alltag erleben: Alle Gotteshäuser sind täglich viele Stunden geöffnet, meist ist ein Pfarrer oder ein Gemeindemitglied dort erreichbar. Regelmäßig werden Kirchenführungen angeboten. Pfarrerin Veronica Helm erläutert zum Beispiel auch Schulklassen die Architektur der mittelalterlichen Kathedrale von Lund:

 

  1. O TON, Führung in Dom zu Lund, insges. 0 41″.

bleibt ca. 0 05″ freistehen.

 

1.SPR.:

Bei den Kirchenführungen werden immer auch kleine Einführungen in die christliche Glaubenswelt geboten. Die meisten Schweden haben nur oberflächliche Kenntnisse der kirchlichen Traditionen. In den staatlichen Schulen wird kein konfessionell geprägter Religionsunterricht gelehrt.

Jeder Besuch einer Kirche wird zur Glaubensunterweisung.

 

  1. Zusp., MUSIK: ORGEL,  

 

  1. SPR.:

An jedem Sonntag kann man überall im Land in einer der mehr als 3000 Kirchen ein Chor- oder Orgelkonzert erleben. Da zeigt sich die „Volkskirche“ von ihrer besten Seite! Die Schwedische Kirche beschäftigt über 2000 Musiker, eine ungewöhnlich hohe Zahl! Eric Boström ist Organist an der Oscar-Kirche von Stockholm:

 

  1. Zusp., MUSIK: ORGEL,

 

  1. SPR.:
    Die Schwedische Kirche will „allen Schweden behilflich sein bei der Suche nach dem Sinn des Lebens“: So wird der offizielle kirchliche Auftrag immer wieder umschrieben. Für Gottesdienst und Seelsorge zahlen die Mitglieder den Kirchenbeitrag, ein Prozent von der Einkommenssteuer wird vom Finanzamt als Kirchgeld abgezogen. Ihre kulturelle Aktivitäten muss die Kirche jetzt ohne staatliche Hilfe selbst finanzieren, etwa ihre Präsenz beim größten kulturellen Ereignis in Schweden, der Internationalen Buchmesse von Göteborg:

 

  1. O TON ATMO, 0 26″, bleibt ca. 0 05″ freistehen, dann herunterziehen:

 

  1. SPR.:
    Die Kirche hat in einer Ausstellungshalle ein weites Areal gemietet für Vorträge und Diskussionen. Den vielen tausend Besuchern stehen kleine Meditationsräume zur Verfügung, auch für seelsorgerliche Beratung ist genug Platz. Jonas Eck, ein junger Pfarrer, gehört zum Kirchenteam der Buchmesse:

 

 

  1. O TON, 0 39“.
  2. 2. SPR.:

Ich denke, das wichtigste Ziel für die Kirche besteht ja darin, aktiver Teil in der Gesellschaft zu sein. Die Kirche soll nicht hinter verschlossenen Kirchen-Türen sitzen, sondern dort sein, wo die Leute sind. Bei der Buchmesse kommen alle möglichen Menschen zusammen. Deswegen ist es für die Kirche eine wichtige Aufgabe, aktiv im kulturellen Leben zu sein. Einige Leute sind sehr religiös, andere gar nicht. Alle möglichen Leute kommen hierher, und hier kann die Kirche mit allen unterschiedlichen Menschen ins Gespräch kommen.

 

1.SPR.:

Viele Besucher fragen nach Möglichkeiten, ehrenamtlich mit der Kirche zusammenzuarbeiten. Vor allem die Evangelische Stadtmission, ein Sozialwerk für Arme, ist für Helfer dankbar: Denn auch in Schweden nimmt die Zahl der Obdachlosen zu, 10 Prozent der Bevölkerung gelten als arm. Die Stadtmission bietet nicht nur Unterkunft und Speisungen an. Gabriel Lind af Hageby, ein Anwalt in Stockholm, engagiert sich ehrenamtlich für die Stadtmission:

 

  1. O TON, 0 25″

Sie versucht auch Obdachlose in das normale Leben zu integrieren. Es gibt neuerdings auch ein Projekt, wo Obdachlose trainiert werden, um in das Berufsleben zurückzufinden. Sie können auf die Volkshochschule der Stadtmission kommen. Das ist eine Volkshochschule der Stadtmission, dort können Leute die Grund-Schule und Gymnasium nachholen, wie sie wollen.

 

  1. SPR.:
    Gabriel Lind af Hageby ist einer von 300 ehrenamtlichen Mitarbeitern der Stockholmer Stadtmission. Für ihn ist dieser Einsatz kein „Opfer“, erst recht kein Zeitverlust, denn im Team der Ehrenamtlichen gibt es viele Diskussionen, dort kommen Menschen unterschiedlicher Weltanschauung zusammen: engagiert sich als “kirchenferner Humanist” in dem evangelischen Projekt!

 

  1. O TON: 0 28″

Es gibt auch viele, die konfessionslos sind, das ist kein Problem. Ich bin in einer Kulturaktivität, und wir essen mit den Gästen, den Besuchern der Stadtmission zusammen, und machen dann etwas Kulturelles. Das kann Theater sein oder Konzerte, Wanderungen oder Museumsbesuche sein. Es gibt sehr viele Leute, die in Stockholm allein leben. Und man kann sagen, dass die Vereinsamung ein großes Problem ist.

 

1.SPR.:

Bei der Vereinsamung der Menschen vor allem in den großen Städten haben die Kirchengemeinden als Treffpunkte und offene Orte der Kommunikation neue Aktualität bekommen. Mit dem Rückzug in die eigenen vier Wände gibt es zunehmend Kommunikationsprobleme; da übernehmen auch Christen eine Art ehrenamtliche Seelsorge im Alltag, wie Werner Jeanrond berichtet:

 

  1. O TON: 0 36″

Mein langjähriger Nachbar, der nie einen Schlips trägt, ist mir vor nicht so langer Zeit, in einem schwarzen Schlips begegnet. Was mich erschreckt hat, ich hab ihn gefragt, warum hast du heute einen Schlips an? Da hat er gesagt: Ich bin dabei, meine Mutter zu begraben. Die ist 4 Wochen vorher schon gestorben, das hat er mir nie mitgeteilt. Dann bin ich abends, nachdem er seine Mutter begraben hat, mit einem Strauß Blumen zu ihm gegangen. Ich wollte diese Blumen als Zeichen meiner Anteilnahme überreichen. Und musste damit rechnen, dass ich abgewiesen wurde, das bin ich aber nicht. Ganz im Gegenteil. Das hat uns über diese Blumen zu einem Gespräch über Tod und Leben und Trauer geführt. Das, wie es mir schien, ihm sehr wohl getan hat.

 

  1. SPR.:
    Die Trennung der Kirche vom Staat hat dem kirchlichen Leben gut getan, auch wenn jetzt etliche die Möglichkeit nutzen, aus der Kirche auszutreten, nicht zuletzt, um das Kirchgeld zu sparen. Aber keine andere Organisation in Schweden bietet eine solche bunte kulturelle, spirituelle und politische Vielfalt wie die Schwedische Kirche. Die kleineren Glaubensgemeinschaften, wie die Katholische Kirche mit 150.000 Mitgliedern, sind dem gegenüber wesentlich geschlossener und „eindeutiger“, bemerkt Professor Jeanrond:

 

  1. O TON 0 52″

In der evangelischen Kirche in Schweden gibt es einen neuen Entdeckungsgeist, der die verschiedenen Formen, die uns traditionell oder aus anderen Lebensbereichen zur Verfügung stehen, neu testen möchte. In der katholischen Kirche in Schweden gibt es genau die umgekehrte Bestrebung, dass man eine Form hat, die uns genau von diesen Abenteuerformen entlastet, die uns die Sicherheit gleich schon gibt. Es gibt natürlich verschiedene Motivationen, warum Schweden zum katholischen Glauben übertreten. Aber es gibt sicherlich auch eine große Zahl derer, die das tun, weil sie eine Sicherheit suchen aus diesem Abenteuergeist der schwedischen Kirche heraus in den sicheren Hafen Rom. Um dann dort zu entdecken, dass der Petersplatz sogar anders gestaltet ist als man sich das gedacht hat. Und dann entsteht eine große Enttäuschung, die von manchen dann ästhetisiert wird, die sie dann in die orthodoxe Kirche treibt.

 

 

  1. SPR.:
    Mit dem Ende der Staatskirche hat eine neue Epoche für die Schwedische Kirche begonnen: Auch wenn sie von der Anzahl her schwächer wird: Die Zahl der mehr als 100.000 ehramtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder der 3.400 Pfarrerinnen und Pfarrer wird in den nächsten Jahren stabil bleiben. Gerade junge Pfarrer sind vom bleibenden Interesse der Schweden an „ihrer“ Kirche überzeugt: Jonas Eck:

 

  1. O TON, 0 24“

Sie befragen die Kirche und sie akzeptieren sie auch als einen Partner innerhalb des kulturellen Lebens. So ist die Schwedische Kirche zu einem respektierten Partner geworden bei kulturellen Fragen oder philosophischen Themen der Gesellschaft. Die Kirche ist zu einem neuen Treffpunkt geworden, um Menschen zu versammeln.

 

STOP

 

 

 

Georgiens Philosoph der Freiheit: Merab Mamardaschwili. Anläßlich der Frankfurter Buchmesse 2018

Über den Philosophen Merab Mamardaschwili, geboren am 15.9.1930

Ein Hinweis von Christian Modehn

Über die Gegenwart des Stalin-Kultes in Georgien berichtet jetzt auch sehr anschaulich Christoph Dieckmann in “DIE ZEIT” vom 13. September 2018, Seite 21. “Alles Rote haben wir entfernt” ist der (ironische) Titel…

Georgien ist der „Ehrengast“ der Frankfurter Buchmesse 2018. Endlich ein Grund mehr, an den großen georgischen Philosophen Merab Mamardaschwili zu erinnern und sogar zu bitten, wenn nicht zu fordern, dass an sein Werk, an seine Art, Philosophie zu lehren und zu leben, auch in Deutschland endlich viel mehr erinnert wird.

Merab Mamardaschwili wurde am 15. September 1930 in Gori geboren, der Stadt, aus der auch Stalin stammt.

Aber mit dem Stalinismus und dem Sowjetsozialismus hatte der Philosoph nichts im Sinn. Er war ein origineller Interpret der Werke von Descartes, den er besonders schätzte, weil er in seiner Philosophie das Individuum über die Gesellschaft gestellt wurde. Und Mamardaschwili schätzte Kant, den “Philosophen der individuellen Freiheit”, der er selbst auf ganz eigenwillige Art in Moskau war; als ein Individuum, ein Mann außerhalb der Massen. Seine Studenten und seine Freunde verglichen ihn durchaus gern mit „Sokrates“. Das will etwas heißen im Sowjetsystem. Großes Interesse hatte Mamardaschwili für die französische Literatur, für Artaud und Proust. Ins Deutsche sind keine Arbeiten von Mamardaschwili, meines Wissens bis jetzt (Juli 2018), übersetzt worden.

Es ist wohl eine seiner bemerkenswertesten Leistungen, dass er als Philosophie – Professor an staatlichen Universitäten und Hochschulen in Moskau und Tbilissi (von 1980 bis 1990) als freier Denker lehren und leben konnte. Seine Vorlesungen fanden einen enormen Zuspruch. Sein Name hatte in der Sowjetzeit schon eine bestimmte „Aura“ der Freiheit.

Dissident und damit Verfolgter im Sowjetreich war er nicht. Er hatte förmlich das Glück, unter den Zuständen damals trotzdem noch frei zu bleiben und frei zu denken. Der russische Philosoph Michail Ryklin nennt Mamardaschwili „einen Denker von europäischen Format und einen Lehrer im sokratischen Sinne, der eine ganz Generation von georgischen und russischen Intellektuellen geprägt hat“. Er war als Georgier zwar mit seiner Heimat verbunden, wandte sich aber heftig gegen den Nationalismus. Er sagte: „Die Wahrheit steht höher als die Heimat“. Daraufhin begann förmlich eine Hetzkampagne gegen ihn.

Mamardaschwili wurde nach seiner Promotion über Hegel nach Prag geschickt, das war schon ein kleiner Schritt in ein bisschen mehr Freiheit. Eigenmächtig blieb er in Paris und wurde darauf , bei seiner Rückkehr, 1966, dazu verurteilt, die UDSSR 20 Jahre Jahre lang nicht zu verlassen. Gorbatschow erwähnt ihn positiv, in den Zeiten der „Öffnung“ Ende der achtziger Jahre konnte er frei reisen, etwa in die USA und Frankreich. Am 25. November 1990 ist er an einem Herzinfarkt auf einem Moskauer Flughafen, im Transitbereich, auf dem Weg nach Georgien, gestorben. Ausgerechnet im Transit möchte man sagen, lebte doch Maradaschwili selbst insgesamt wie im Übergang.

Seine Werke gilt es in Deutschland und wohl außerhalb Georgiens insgesamt zu entdecken, genauso wie seine außergewöhnliche Persönlichkeit. Unsere hiesige Philosophie erlebt Überraschungen, wenn sie über das allzu Vertraute hinausschaut. Wer hätte schon damit gerechnet, dass solch ein Denker im Sowjetsystem überhaupt leben und eine Art „philosophische Gemeinde“ damals formen konnte?

In einem Interview mit Annie Eppelboin (Frankeich) sagte Mamardaschwili: „Die totalitäre Gesellschaft erschafft eine Sprache, die das Erwachen ausschließt. Du kannst sterben, ohne je entdeckt zu haben, was wirklich dein Gefühl ist. Als ich jung war, waren die Leute vom Komsomol die Verwalter des Gemeinwesen, auch des sozialen Körpers. Sie verwalteten auch mein Denken“. (in dem Buch „ La Pensée empéchée“).

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

„Da kann ich nichts machen“: Dem alltäglichen Slogan der Unvernunft widerstehen

Hinweise von Christian Modehn

Ich wurde kürzlich gefragt, wie ich denn für Schüler und andere „Anfänger“ in der Philosophie, argumentativ, also philosophisch, auf das ständig vorgebrachte Bekenntnis „Da kann man, kann ich, nichts (mehr) machen“ antworte.

Diese Aussage „Da kann man nicht machen“ bezieht sich auf Schwerwiegendes, auf das Entgleisen der Demokratie heute, auf die maßlose und tötende Gewalt neoliberaler Ökonomie, auf die zunehmende Stärke von autokratischen Politikern, auf die Unfähigkeit, etwa ökologisch das Richtige zu tun usw.

Jeder und jede kann sich an weitere Beispiele eines Verlustes von Menschlichkeit und Würde in den letzten Monaten erinnern, etwa an die Zunahme der Lüge, an die Verwirrung, so dass viele gar nicht mehr fake, Fälschung, und Wahrheit unterscheiden können. Wir leben zudem in einer Gesellschaft, in der Anonymität in Äußerungen normal wird. Offenbar gibt es bei anonymen Schreibern in ihrer häufigen Aggression noch eine letzte Scham, sich öffentlich zum eigenen Namen zu bekennen?

Der Ausgangspunkt zum Thema „Da kann ich nichts machen“

Wir sind als religionsphilosophischer Salon selbstverständlich der Vernunft verpflichtet, weil wir wissen: Der Mensch ist zwar mehr als Vernunft (d.h. Nachdenken, Argumentieren, Logik, Ethik usw.), aber ohne den beständigen Gebrauch der Vernunft und deren dauernden Pflege als Übung ist der Mensch nichts. Gar nichts. Er ist dann ein kluges Tier, das den jeweiligen Wallungen seiner Sinnlichkeit im totalen Egoismus nachgibt. Wird diese Haltung real, dann ist das später oder schon jetzt noch versteckt der Startschuss für einen „Krieg aller gegen alle“.

Also: Was kann philosophisches Nachdenken als Ergebnis zeigen zu dem eben etwas ausführlicher skizzierten Spruch: „Da kann ich nichts machen“. Ich versuche, meine Position „einfach“ zu erklären, sie verdankt sich Erkenntnissen von Karl Otto Apel und Jürgen Habermas.

Die Aussage „Da kann ich nichts machen“ muss man übersetzen und neu formulieren, dann heißt sie: „Da hilft keine Vernunft und da hilft kein von der Vernunft geleitetes Handeln“.

Viele, die so denken, ziehen sich dann ins Private zurück und verstopfen sich Ohren und Augen und wenden die eigene Vernunft nur noch alltäglichen, technischen Fragen zu. Privatisierung ist gewünscht von denen, die uns große Probleme bereiten, Neoliberale Ökonomen und Autokraten….

ABER: Es ist doch anders: Denn mit dem Satz „Da kann man nichts machen“ ist keineswegs ein totales Ende des Nachdenkens/Reflektierens und dann auch des Handelns gemeint.

Beweis: Ich sage ja meine Meinung „Da kann ich nichts machen“ tatsächlich mir selbst und anderen nun einmal in Begriffen, Worten, in einem Satz, der logisch strukturiert ist. Und auf das Verstehen anderer sozusagen automatisch, aber implizit setzt.

Entscheidend ist die weitere Erkenntnis: Indem ich das denke, ist mein Denken und Reflektieren und Sagen ja gerade nicht an ein Ende gekommen. Denn ich schaue förmlich reflektierend und tätig noch auf die Aussage „Da kann ich nichts machen“. Ich erhebe mich förmlich denkend über diese Aussage.

Ich denke also weiter, über den gesagten Satz hinaus; die Reflexion ist keineswegs am Ende, ich muss mich nicht verabschieden aus dem Reflektieren und Handeln. Denn die Vernunft zeigt sich gerade im „Raufschauen“ überlegen gegenüber dieser Vermutung „Da kann ich nichts mehr machen“…

Die Vernunft, der Geist, zeigt sich also als der Lebendige und dadurch als der Überlegene gegenüber der vermuteten Situation „Ich kann da nichts mehr machen“. Damit ist noch nicht gesagt, was ich denn nun konkret im einzelnen tun soll. Ich entdecke nur die Gewissheit, mit meinem Satz „Da kann ich nichts machen“ gerade nicht in einer Sackgasse, gerade nicht am Ende, gerade nicht in der „Verzweiflung“ zu sein.

Wenn es also eine überlegene Kraft des Denkens, der Vernunft, des Geistes evidenterweise gibt, wenn sich diese Erkenntnis der Überlegenheit des Geistes sich selbst von sich aus (!) sich mir zeigt und sich mir beim Nachdenken als unabweisbar, als von mir nicht zerstörbar, aufdrängt: Dann kann der nächste Schritt nur sein:
Schauen und prüfen und fragen, wo ich was in der vermeintlich aussichtslosen Situation kritisch nachdenkend dann tun kann.

Ich kann die angeblich total schwarze Einschätzung der Verachtung meiner Gegenwart („Alles ist Blödsinn, ich kann nichts mehr tun in diesen Verhältnissen“) beiseite schieben. Ich kann also „Einstiegsorte“ für die Kritik und das denkende Handeln finden in dem angeblich total Falschen und Aussichtslosen. Denn diese „Einstiegesorte“ der Kritik gibt es. Ist es nur die Faulheit des Nachdenkens, verbunden mit tiefer Resignation in diesem Leben, die mich hindert, die Verhältnisse auf Einbruchstellen der Verbesserung zum Besseren und Gerechten abzuklopfen? Die Vernunft bleibt lebendig auch in den angeblich aussichtslosen Verhältnissen.

Die berühmte und hoch angesehene Migrationsforscherin Nika Foroutan spricht etwa auch von einem allgemeinen Pessimismus, „der als einzigen Ausweg aus einer verachteten Gegenwart nur die komplette Zerstörung alles Bestehenden übrig ließ“ (TAGESSPIEGEL, 22. Juli 2018, Seite 3).

Diese Ideologiekritik ist entscheidend: „Ich kann nichts mehr machen“ ist eine Ideologie, die den Herrschenden sehr gut gefällt und förmlich von ihnen verbreitet wird. Wer sich solchen Sprüchen aus Denk – Bequemlichkeit anschließt, fördert reaktionäre Kräfte, die alles auf die Zerstörung des Bestehenden setzen. Diese Leute gab es etwa in der Weimarer Republik, auch Intellektuelle reden solchen Wahnsinn: „Durch Zerstörung zum Heil“, Carl Schmitt stand solchem Denken nahe, heute sind es Leute wie Stephen Bannon, der Freund und Berater von Mister Trump: Er denkt in diesen apokalyptischen Dimensionen „durch totale Zerstörung des sowieso Sinnlosen zum Heil“. Auch Evangelikale folgen mit ihrer totalen Hingabe an den Staat Israel wegen der Armageddon Prophezeiung diesem Wahn….Stephen Bannon schmiedet bereits wirksame Netze, wenn er sich mit Weidel (AFD), Le Pen usw. trifft. Es geht diesen Leuten um eine rechtsradikale, d.h. zerstörerische Wende in Europa. Es geht um Nationalismus, und dieser ist immer Krieg!

Damit will ich sagen: Man zerstört sein eigenes Denken, wenn man sich an diesen Spruch weiter hält „Da kann ich nichts machen“.

Wer daran festhält, lebt in einem Denkwiderspruch. Wie lange man mit einem Denkwiderspruch seelisch gesund leben kann, ist eine weitere Frage. Viele Menschen würden im technischen Bereich etwa, in Fragen der Finanzplanung usw. niemals mit Widersprüchen zur Vernunft leben können. Nur im Bereich der inneren Vernunft, des Geistes, glauben viele, auf Dauer in gewisser Weise schizophren leben zu können.

Was also vernünftig festgehalten werden? Unser Geist lässt sich nicht von angeblich aussichtslosen Situationen einschüchtern und einsperren. Die einzige Tatsache, die wir durch die Vernunft nicht überwinden können, ist der eigene Tod. Aber auch zu ihm können wir gedanklich, poetisch, atheistisch, religiös je unterschiedlich Stellung nehmen. Die Diktatoren wussten und wissen auch heute genau: Die Zerstörung des Denkens, der Gedankenfreiheit im Rahmen von „Gehirnwäschen“ ist am wichtigsten für die Vernichtung menschlicher, d.h. frei denkender Personen.

Hören wir also mit diesen dummen, zur Faulheit führenden Sprüchen „Da kann ich nichts machen“. Jeder suche ich einen Ort, wo er seinen Widerstand gegen die herrschende Unvernunft leben kann…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Gegen das Entgleisen der Moderne und das Verschwinden des demokratischen Rechtsstaates

Ein Salonabend zur Aktualität von Jürgen Habermas am 20.7. 2018

Hinweise von Christian Modehn

1.

Diese Hinweise (von 2018) sind bestimmt für Menschen, die sich bisher eher beiläufig oder fast gar nicht mit dem Denken von Jürgen Habermas befasst haben. Es werden hier sozusagen elementare Verstehenshilfen zu zwei zentralen Begriffen vorgeschlagen, mit dem Zweck: Selbst Habermas zu lesen und die Habermas Texte zu bedenken.

2.

Jürgen Habermas (geb.1929) ist Philosoph und Sozialwissenschaftler. Sein leidenschaftliches Interesse gilt einer Philosophie, die Kants Erkenntnisse neu formuliert und die dabei die Ethik in den Mittelpunkt stellt. Moralphilosophie, Ethik, wird deutlich durch vernünftiges, allen Denkenden zugängliches Argumentieren.

Dabei darf man das persönliche Profil von Jürgen Habermas nicht vergessen: Er ist ein aufmerksamer Dialog – Partner, er versucht, den anderen vorbehaltlos zu verstehen, er äußert sich gern in der Öffentlichkeit: Sein philosophisches Profil begann wohl damit, als er 1953 die bruchlose Ausgabe von Heideggers Vorlesungen „Einführung in die Metaphysik“ von 1935 kritisierte, die Veröffentlichung nach dem Krieg war bruchlos deswegen, weil Heidegger ohne jeden Hinweis einen in der Nazizeit veröffentlichten Text „einfach so“ publizierte. Habermas zeigte, wie in dem Text versteckt Nazi – Ideologie enthalten ist. Überhaupt reagierte der junge Habermas sehr früh empört über die Tatsache, wie sich in den frühen Jahre der BRD unter Adenauer Nazi – „Größen“ in führender Stellung etablieren konnten.

Habermas hält sich gegen die postmodernen Philosophen an eine universal geltende Ethik: Diese hat nichts mit willkürlichen Entschlüssen, nichts mit Befolgung von Machtsprüchen oder mit unreflektierter Realisierung religiöser Weisheiten zu tun. Die Vernunft prüft – wie Kant – alle inhaltlichen ethischen Weisungen auf ihre vernünftige formale Geltung (siehe „Kategorischer Imperativ“). Die Vernunft will dann jeweils historisch – konkret inhaltliche vernünftige Normen erzeugen. Dabei stellt Habermas Mythos gegen Philosophie. Die Wahrheiten der Mythen müssen, falls sie – auch weltlich, politisch, relevant sein sollen – in Vernunft-Sätze übersetzt werden.

Das ist grundlegend: Die Vernunft steht im Dienst der Bewahrung und Rettung des menschlichen Miteinanders in demokratischen Rechtsstaaten. Nur in einer „Mobilisierung“ der Vernunft, zu der auch Empathie, Gefühle gehören, kann die Moderne vor der „Entgleisung“ bewahrt werden.

3.

Habermas prangert gerade in seinen Stellungnahmen der letzten Jahre den „unverfrorenen Wirtschaftsegoismus“ an, er fürchtet den „Zerfall Europas“, will die Solidarität mit vernünftigen Gründen in den Mittelpunkt stellen.

Habermas ist ein politischer Philosoph, ein engagierter Philosoph. Er weiß: Der Mensch ist nicht ein in sich verkapseltes (egoistisches) Individuum, sondern zuerst „Sein mit anderen“, also inter-subjektitiv von vornherein bestimmt. Nur durch das Mitsein mit anderen entsteht individuelles Selbstbewusstsein. Es ist also auch vernünftig, solidarisch zu sein. Wer unsolidarisch ist und nur das Ego pflegt, widerspricht der Struktur seines eigenen Menschseins.

4.

Ein Hinweis zur Diskursethik:

Hier wäre vom Einfluss des mit Habermas befreundeten Philosophen Karl-Otto Apel zu sprechen.Die These ist: Durch den Diskurs, d.h. das vernünftige Gespräch möglichst mit allen, kann die Demokratie gerettet werden. Weil der Diskurs von der Erkenntnis ausgeht, dass im Sprechen und Miteinander Diskutieren implizit eine (formale) Wahrheit anerkannt wird: Eben, dass wir einander verstehen können (wenn wir die gleiche Sprache sprechen…) Zum Diskurs selbst: „Alle relevanten Stimmen finden Gehör“. Alle „beim gegenwärtigen Wissensstand besten Argumente gelangen ins Gespräch und damit zu einer Geltung“.

Wenn es Ja und Nein Stellungnahmen, also Entscheidungen, der Teilnehmer gibt, dann unter dem „zwanglosen Zwang (Habermas) des besseren Arguments“.(J.H., Diskursethik, Studienausgabe, S. 162). Es zählt nur das Argument, unabhängig von sozialen Status etc. Es geht um die Vorrangstellung des kommunikativen Handelns (anders als das instrumentelle Handeln, also Arbeit). Kommunikatives Handeln ist vor aller Arbeit das durch gemeinsames Sprechen ermöglichte Schaffen einer gemeinsamen vernünftigen Welt.

Sprechen IST Handeln.

Sprechen ist nicht nur faktischer Informationsaustausch („es ist 10 Uhr“), sondern eine Tathandlung, die in der Zusage den anderen verändert („Ich wünsche dir gute Gesundheit“)

Noch einmal: Allem Sprechen „wohnt“ als implizites, nicht abzuschaffendes Ziel die Verständigung mit anderen inne. Wir sind im Sprechen a priori auf Verständigung mit anderen aus. Auch auf die Erzeugung von einem gemeinsamen Projekt. Etwa ist das Urteil „Alles ist sinnlos“ ein Selbstwiderspruch, denn dieses Urteil ist dann selbst sinnlos. Wer dies leugnet, lebt in einem Selbst-Widerspruch. Wie ein jeder mit Selbstwidersprüchen umgeht, ist ein anderes Thema. Mit der eigenen (Lebens)Lüge (bequem) leben, wäre ein Ansatz dafür, welche Krankheitsbilder sich dabei zeigen, ein anderes Thema.

Jeder Gesprächsteilnehmer sieht sich genötigt im Diskurs, die Perspektive des anderen zu übernehmen, um zu prüfen, wie dadurch ein vernünftiges Miteinander gefunden werden kann. Diese Vernunft findet – sehr schnell verkürzt gesagt -in ihren Ausdruck in gerechten Gesetzen.

5.

Zum wechselseitigen Lernen von säkularen (also explizit nicht-religiösen) Menschen und religiös/konfessionell gebundenen Menschen.

Habermas geht davon aus, dass in den Lehren, Weisheiten, der (meist uralten) Religionen Erkenntnisse enthalten sind, die heute wichtig sein können auch für die Rettung der Demokratie. Habermas spricht oft von der Gefahr der „Entgleisung der Moderne“, die nur durch die vernünftige Einbeziehung religiöser Ideen und religiöser Energien verhindert werden kann.

Für Habermas sind Religionen Ausdruck des „objektiven Geistes“, darin folgt er Hegel: Kunst, Religionen, Philosophien sind Ausdruck (Aussage), je unterschiedlich, des einen universalen Geistes. Auch Religionen haben auf ihre Art Wesentliches zu sagen. Ein Beispiel für eine Übersetzung religiöser Weisheit von der Sicht von Habermas: „Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeit und der christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden. Dazu gibt es bis heute keine Alternative.’ (Jürgen Habermas, Zeit der Übergänge, Suhrkamp, 173 ff)

6.

Habermas sieht heute „knapper werdende Sinn -, Solidaritäts- und Gerechtigkeitsressourcen“ (S. 99) Darum sein Interesse an der vernünftigen Pflege religiöser Weisheiten und deren reflektierte Einbeziehung ins gesellschaftliche Miteinander. Diese Weisheiten will er aktuell retten, dadurch, dass er die religiösen Menschen auffordert, ihre eigenen religiösen Weisheiten allgemein verständlich, vernünftig, auszudrücken.

Dies ist wichtig, um das Entgleisen der Moderne zu verhindern: Denn die Philosophie selbst zeigt, auch in der Bindung an Kant, „es gibt eine motivationale Schwäche der Vernunftmoral“ (J.H.: „Ein Bewusstsein von dem, was fehlt“, Suhrkamp, S. 97). „Die säkulare Moral ist nicht von Haus aus in gemeinsame Praktiken eingebettet. Demgegenüber bleibt das religiöse Bewusstsein wesentlich mit der fortdauernden Praxis des Lebens in einer Gemeinde verbunden und mit der im Ritus vereinigten Glaubensgenossen“ (ebd.). (Meine Frage: Wenn Kirchengemeinden verschwinden, verschwindet auch die hilfreiche solidarische Praxis? Und: Sind pauschal alle sich Religion nennenden Religionen in der Hinsicht relevant ? Wer unterscheidet die religiöses Qualität von Mystikern von Scientology oder den Zeugen Jehovas? Das kann nur die mit eigenen Massstäben argumentierende, allen Religionen übergeordnete Philosophie. Diesem Satz würde Habermas nicht zustimmen.

7.

Aber darüber hinaus: Schon Kant sah ein Defizit der praktischen Vernunft. Er sah, dass kollektive Ziele etwa in der Gesellschaft mit der Kraft der Vernunft eher schwach nur verwirklicht werden (Die Religion, meinte er, habe kräftige Begriffe der Sittlichkeit… Kritik der Urteilskraft, S 603). Ob diese Einschätzung heute noch so stimmt, ist die Frage…

Habermas fordert jedenfalls von den säkularen Menschen Respekt vor den religiösen Weisheitslehren. Der barmherzige Samariter praktiziert als Fremder die Fernsten/Fremden Liebe, indem er spontan einen Fremden umfassend pflegt. Das heißt: Nächstenliebe ist immer Fernsten/Fremdenliebe. So viel Verständnis für Religiöses haben säkulare Kritiker dem erklärtermaßen „religiös unmusikalischen“ Habermas übel genommen. Habermas verteidigte sich angesichts seiner Dialoge mit Kardinal Ratzinger und den Jesuiten, es sind ja Exempel gelebter Dialgpraxis und zudem sagte er: Er sei nicht im Alter auch noch fromm geworden. Obwohl er bekennt, manches doch in seiner Herkunft aus einer liberal – protestantischen Familie gelernt zu haben. Nach meinem Eindruck hat sich Habermas zu diesem wechselseitigen Lernen zwischen muslimisch Frommen und säkularen Menschen nicht sehr ausführlich geäußert.

8.

Religiöse Menschen übersetzen ihre religiösen Glaubensweisheiten nur für die und in der Gesellschaft! Um ein besseres Verstehen in der pluralen Gesellschaft zu erzeugen. Sollten aber religiöse Menschen in den Dienst des säkularen Staates treten, und Rechtsstaaten sind immer säkular !, dann müssen sie sich strikt an die allgemeinen säkularen Überzeugungen halten. Religiöse Menschen dürfen also nicht ihre religiösen Weisungen als solche etwa zum staatlichen Gesetz machen wollen. Ein religiöser Staatsbeamter handelt insofern als säkularer Bürger wie alle anderen Beamten. Dass das gerade sehr schwierig ist gerade in der ideologischen Bindung so vieler Richter in Deutschland ist klar. Darum fallen ja auch Urteile so unterschiedlich aus, weil die Richter eben doch bestimmte Vorlieben haben… Das heißt grundsätzlich: Der religiöse Bürger muss seine religiösen Weisheiten im staatlichen Bereich als sekundär wahrnehmen und entsprechend säkular handeln.

Eine Einschätzung des Theologen und Habermas Kenners Edmund Arens, Prof. in Luzern „Habermas bleibt bei aller respektvollen Annäherung an Religion ein auf Abstand bedachter Beobachter, der sich gegen Vereinnahmung wehrt. Er bleibt ein scharfsinniger Diagnostiker der postsäkularen Gesellschaft, der gegen religiös-fundamentalistische Selbstabkapselung ebenso dezidiert Stellung bezieht wie gegen säkularistisch-bornierte Selbstgewissheit. Er bleibt ein verständigungsorientierter Anwalt der öffentlichen Vernunft, der sich dafür stark macht, dass die Religion in die gesellschaftliche und politische Öffentlichkeit gehört, dass sie darin ihre Beiträge einzubringen und im Diskurs zu prüfen, zu präzisieren und nötigenfalls zu korrigieren hat. Er bleibt ein nachmetaphysischer Denker, der der Theologie hilft, sich ihres eigenen Vernunftpotenzials ohne metaphysische Aufblähung einerseits und postmoderne Schwächung andererseits zu vergewissern. Er bleibt ein zugleich lernbereiter und herausfordernder Gesprächspartner, der in seinem der Wahrheit und Gerechtigkeit, der Solidarität und Gleichheit verpflichteten Denken unberechtigte Macht- und unbegründete Geltungsansprüche einschließlich religiöser, kirchlicher und theologischer kritisiert und gleichzeitig zur wechselseitigen Verständigung über begründete und gerechtfertigte Geltungsansprüche aufruft“. (Herder – Korrespondenz, 2009)

9.

Habermas ist überzeugt: Entgegen früherer Prognosen von Soziologen: Religionen verschwinden nicht. Darum nennt er sein Denken „post—säkular“, also einer Zeit zugehörig, die die Dominanz des Säkularen überwunden hat.

Gleichzeitig nennt er sein Denken nach–metaphysisch, um den Abschied von der alten metaphysischen Traditionen und Systemen deutlich zu machen. Dabei hält an der Qualität philosophischer Reflexion selbstverständlich fest.

Es gibt also eine neue gemeinsame Basis in der zersplitterten Gesellschaft von säkularen und religiösen Menschen: Säkulare Menschen lernen von religiösen Weisheiten, SOFERN diese in allgemein zugängliche vernünftige Sprache übersetzt werden und praktisch fruchtbar gemacht werden: Man denke etwa auch an praktisches Tun religiöser Menschen, etwa an die Praxis des Kirchenasyls, dies ist eine moderne, säkulare Form der biblischen Forderung, den Fremdling als Nächsten zu behandeln… Man denke aber auch andererseits an die Lernschritte einiger fundamentalistischer Christen, Homosexuelle zu respektieren bis hin zur entsprechenden Ehe: Dies haben diese Christen gelernt durch die von säkularen Wissenschaftlern vorgetragenen Argumente, dass zum Thema der modernen Homosexualität die Bibel nichts, aber auch gar nichts zu sagen hat, das selbe gilt für den Koran etc.)

„Die Säkularisten haben das Verdienst, energisch auf der Unverzichtbarkeit der gleichmäßigen zivilgesellschaftlichen Inklusion aller Bürger zu bestehen. Weil eine demokratische Ordnung ihren Trägern nicht einfach auferlegt werden kann, konfrontiert der Verfassungsstaat seine Bürger mit Erwartungen eines Staatsbürgerethos, das über bloßen Gesetzesgehorsam hinauszielt. Auch religiöse Bürger und Religionsgemeinschaften dürfen sich nicht nur äußerlich anpassen. Sie müssen sich die säkulare Legitimation des Gemeinwesens unter den Prämissen ihres eigenen Glaubens zu eigen machen“. (Jürgen Habermas, 2007, in: Blätter für deutsche und intern. Politik…)

10.

In der Einleitung seines Bandes “Zwischen Naturalismus und Religion” (Frankfurt 2005) nennt Habermas wichtige Ressourcen und Potenziale von Religionen: „Religiöse Überlieferungen leisten bis heute die Artikulation eines Bewusstseins von dem, was fehlt. Sie halten eine Sensibilität für Versagtes wach. Sie bewahren die Dimensionen unseres gesellschaftlichen und persönlichen Zusammenlebens, in denen noch die Fortschritte der kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung abgründige Zerstörungen angerichtet haben, vor dem Vergessen. Warum sollten sie nicht immer noch verschlüsselte semantische Potenziale enthalten, die, wenn sie in begründende Rede verwandelt und ihres profanen Wahrheitsgehaltes entbunden werden, eine inspirierende Kraft entfalten können? Religion verfügt offenbar über eine Sprache, welche zum Ausdruck zu bringen vermag, was einerseits noch fehlt, weil es noch nicht realisiert beziehungsweise was fehlt, weil es verschwunden, verdrängt oder verloren ist. Mit dem Bewusstsein für das Unabgegoltene, Unrealisierte oder Unversöhnte verbindet sich eine Sensibilität für das Vorenthaltene. Religion hält Intuitionen für verweigertes Recht, verwehrte Solidarität sowie vorenthaltene Lebensmöglichkeiten wach. Religiöse Überlieferungen bewahren elementare Erfahrungen und Perspektiven des persönlichen Lebens und gesellschaftlichen Zusammenlebens, welche durch “entgleisende” Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse bedroht sind, vor dem Vergessen und Verschwinden“.

11.

Zur politischen Krise Deutschlands und Europas heute: Rede am 5. 7. 2018 in Berlin (Die ZEIT hat den Text veröffentlicht!) „Dass sich eine Bundesregierung, die mit dem Rücken zur Wand steht, ihren zähen Widerstand gegen jeden einzelnen Integrationsschritt scheibchenweise abkaufen lässt, ist skurril. Ich kann mir nicht erklären, warum die deutsche Regierung glaubt, die Partner zur Gemeinsamkeit in Fragen der für uns wichtigen Flüchtlings-, Außen- und Außenhandelspolitik gewinnen zu können, während sie gleichzeitig in der zentralen Überlebensfrage des politischen Ausbaus der Euro-Zone mauert… Die Bundesregierung steckt ihren Kopf in den Sand, während der französische Präsident den Willen deutlich macht, Europa zu einem globalen Mitspieler im Ringen um eine liberale und gerechtere Weltordnung zu machen….

Heute werden die nationalen Bevölkerungen von politisch unbeherrschten funktionalen Imperativen eines weltweiten, von unregulierten Finanzmärkten angetriebenen Kapitalismus überwältigt. Darauf kann der erschrockene Rückzug hinter nationale Grenzen nicht die richtige Antwort sein“.

12.

Habermas unterstützt den zivilen Ungehorsam:

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat zivilen Ungehorsam folgendermaßen definiert: „Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“ (Jürgen Habermas, Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat, in: Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/M. 1983, S. 35.)

Quelle: http://www.bpb.de/apuz/138281/ziviler-ungehorsam-ein-umkaempfter-begriff?p=all

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

“Georgien” – ein Länderporträt. Zur Buchmesse aktuell!

Ein Buch von Dieter Boden im Ch. Links Verlag Berlin

Von Christian Modehn

Über die Gegenwart des Stalin-Kultes in Georgien noch heute berichtet jetzt auch sehr anschaulich Christoph Dieckmann in “DIE ZEIT” vom 13. September 2018, Seite 21. “Alles Rote haben wir entfernt” ist der (ironische) Titel…

Georgien wird in diesem Herbst in Deutschland mit besonderem Interesse bedacht: Die Republik im Kaukasus ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2018 (vom 10.bis 14. Oktober). Eine Chance, sich mit dieser wohl immer etwas stabiler werdenden Demokratie näher zu beschäftigen. Georgien wendet seinen politischen Blick und sein ökonomisches Interesse immer mehr Richtung Europa. Die meisten Georgier, so hört man, seien optimistisch und fürchten vor allem nur Russland… (Schon 1801 geschah die erste Annexion Georgiens durch Russland…)

Als Reiseziel wird jetzt Georgien schon entdeckt und nach der Buchmesse sicher weitere touristische Leidenschaften wecken… Als 2011 Island Ehrengast der Buchmesse war, folgte ein wahrlicher Touristenstrom auf die Insel, was den Isländern nicht immer sehr angenehm ist…

Ein GEORGIEN – Länderporträt liegt jetzt aktuell vor: Dieter Boden kennt das Land durch viele Besuche, auch im Rahmen der OSZE- und UN- Missionen. Er bewertet Georgien, eine parlamentarische Demokratie seit September 2017, als „Muster der Stabilität“ (61). Ein Satz, der stimmt, zumal, wenn man das weite autokratische Umfeld in der Nachbarschaft betrachtet.

Dieter Bodens 200 Seiten umfassendes Buch bietet vor allem ein historisches und politisches Basis-Wissen sowie auch viele Hinweise zum Tourismus in der Hauptstadt Tbilissi und der Umgebung. Dass gastronomische Tipps nicht fehlen, ist bei der Qualität von Wein und Küche in Georgien klar, schon die Sowjetbürger schätzten die in dieser Hinsicht aus dem öden Rahmen der Sowjetkultur fallende „föderale“ Republik der UDSSR.

Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion hat Georgien fast 1,5 Millionen Einwohner verloren, sehr viele wanderten nach Westeuropa aus, auch in Russland leben noch 600.000 Georgier.

Dieter Boden schildert selbstverständlich die politischen Entwicklungen seit der Unabhängigkeit 1991, er erwähnt differenziert die Rolle von Eduard Schewardnaze, spricht von dem umstrittenen Präsidenten Saakaschwili: „Zuletzt sah er sich Vorwürfen der Menschenrechtsverletzung und der Toleranz von Folter in den georgischen Gefängnissen ausgesetzt“ (Seite 57), er gilt heute auch in Georgien als korrupter Politiker. Inzwischen lebt er wohl in den Niederlanden…Problematisch bleibt die durch die russische Intervention beförderte Abspaltung von Abchasien und Südossetien (2008). Russlands politische „Qualität“ zeigt sich abermals in der Errichtung eines Stacheldrahtzaunes zwischen Südosstien und dem georgischen Staatsgebiet (60). Auch über den Georgier Josef Stalin und die Fortdauer seines Kultes im Geburtsort Gori berichtet der Autor, er vermutet sogar kleine Stalin – Büsten in einigen Wohnzimmern Georgiens immer noch. (43 ff.) Ein wirkliche Aufarbeitung der Bedeutung des Massenmörders Stalin „geht man in Georgien schlicht aus dem Wege“ (44).

Dieter Boden spricht auch ausführlich über die Rolle der georgisch-orthodoxen Kirche, die seit dem 4. Jahrhundert schon eine Art Zusammenhalt unter Georgiern stiftet, nicht zuletzt auch durch ihre ausdauernde Pflege der georgischen Sprache (19), dabei aber vertritt diese Kirche gesellschaftlich gesehen heute sehr reaktionäre Positionen, etwa was den auch rechtlich fixierten Respekt der Homosexuellen angeht (164). Eine Demo für die Menschenrechte der Homosexuellen wurde 2013 mit massivem Klerikeraufgebot behindert und zerschlagen. Dieser Klerikalismus als Vorherrschaft einer Kirche passt nun gar nicht in eine Demokratie! Die Berliner Zeitschrift SIEGESSÄULE berichtet über die aktuellen Probleme homosexuellen Lebens und Respektes in Georgien in der Ausgabe Heft Juli 2018. Bezeichnenderweise wurde der „Welthomo-Tag“, also der 17.5., von der georgischen Kirche zum Tag der „Reinheit der Familie“ erklärt. Anders gesagt: Diese Christen glauben, rassistisch, immer noch, Homosexualität sei Schmutz für die Familie (siehe dazu die knappen Hinweise S. 164). Man denkt bei so viel klerikalen Hass auf Homosexuelle an die alte Erkenntnis: Am stärksten hassen verklemmte Homosexuelle die offen lebenden gays…

Von der Verständigung oder gar der Versöhnung der getrennten Christen hält diese Orthodoxie dort gar nichts, schon 1997 ist die georgische Kirche aus dem Weltkirchenrat (Genf) ausgetreten. Und man sollte diese Christen also eher besser rechts liegen und in Frieden lassen, als sich um Dialoge mit ihnen zu bemühen. Papst Franziskus tat das noch, als er im September 2016, freundlich wie er ist, den georgischen Patriarchen Ilia II. (geboren 1933) begrüßte und ihn zum gemeinsamen Gottesdienst einlud. Daraufhin wurde der Papst von georgischen Popen als Antichrist bezeichnet (S. 163). Etwa 500 Katholiken sollen noch in Georgien leben. Nebenbei: Patriarch Ilia II. war als damaliger Bischof von Batumi führendes Mitglied der kommunistisch gesteuerten „Christlichen Friedenskonferenz“ in Prag. In diesen pro-sowjetischen Kreisen fühlte er sich einst wohl, da war er auch auf der Seite der Machthaber; heute verlangt er, dass etwa Abchasien, „relativ selbständig“, immer noch unter seinem georgischen Kirchenregiment leben sollte. Dass der greise Patriarch etwas für Arme tut, soll nicht geleugnet werden, dies wird im Buch aber nicht erwähnt.

Einige interessante Details für religionswissenschftlich Interessierte etwa zu „vorchristlichen Bräuchen“ in Abchasien bietet das Buch (S. 84), die Informationen zur reichen georgischen Literatur und Poesie fallen leider knapp aus, Nikolaus Barataschwili wird erwähnt, der „Hölderlin Georgiens“ (S. 86). „ Perlentaucher.de“ hat eine Liste georgischer Autoren publiziert: https://www.perlentaucher.de/buchKSL/buecher-aus-und-ueber-georgien.html?p=2

Für mich ist es sehr bedauerlich, dass der große georgische Philosoph Merab Mamardaschwili (1930 wie Stalin in Gori geboren, gestorben 1990) in dem Buch nicht erwähnt wird; er lehrte auch in Russland und war ein humanistischer Denker als Kenner der Werke vor von Descartes und Kant. Der russische Philosoph Michail Ryklin hat kritische Würdigungen über Mamardaschwili geschrieben. Auch Gorbatschow kannte ihn. In einem Interview mit Annie Eppelboin in Frankeich sagte er: „Die totalitäre Gesellschaft erschafft eine Sprache, die das Erwachen ausschließt. Du kannst sterben, ohne je entdeckt zu haben, was wirklich dein Gefühl ist. Als ich jung war, waren die Leute vom Komsomol die Verwalter des Gemeinwesen, auch des sozialen Körpers. Sie verwalteten auch mein Denken“. (siehe „ La Penesse empéchee“).

Bei einer zweiten Auflage könnten die genanten fehlenden Aspekte noch eingefügt werden; falls nicht: Das Buch ist trotzdem sehr lesenswert…es weckt Interesse an einem sich europäisch fühlenden Land im Kaukasus.

Dieter Boden, Georgien. Ein Länderporträt. 200 Seiten. 18 Euro, Berlin 2018, Ch.Links Verlag.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Weisheit der Bibel: Ein philosophischer Salon über das Buch „Der Prediger Salomo“, auch „Kohelet“ genannt

Philosophie hat bekanntlich schon im Titel das Wort sophía, „Weisheit“. Wir haben uns in den bisherigen ca. 100 Salonabenden fast ausschließlich mit der philosophischen Weisheit und der westlichen Philosophie beschäftigt. Es wird Zeit, um unserer selbst willen, um unseres geistigen Horizontes willen, unseren Blick zu weiten auf andere Weisheitstraditionen. Etwa auf die biblische, die hebräische bzw. „alt–testamentliche“ Weisheit. Sie kann auch für „religiös Unmusikalische“ eine Denk- und Lebenshilfe  sein, zumal, wenn man sich in diesen verrückten Krisenzeiten heute fragt: Was bleibt eigentlich von der menschlichen Menschheit, d.h. etwa der Solidarität, und was bleibt letztendlich von mir selbst? Dieser Frage kann wohl niemand ausweichen.

Die Weisheit der Bibel (im Buch “Kohelet”) ist also unser Thema am 24. August 2018 um 19 Uhr in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9.

Es ist eine gewünschte Voraussetzung zu einem intensiven Gespräch: Den knappen Text vorher zu lesen, der unter dem Titel „Der Prediger Salomo“ bzw. „Kohelet“ auch im Internet abrufbar ist, dies nur für alle, die zuhause keine Bibel (mehr) haben bzw. diese nicht mehr finden. Das viel zitierte Wort „Carpe diém“, „Nütze den Tag“ hat ja bekanntlich seine Quelle in diesem Buch Kohelet. Vielleicht bewegt den einen oder die andere auch der Satz „Gott hat die Ewigkeit in des Menschen Herz gelegt“ (3, 11), wenn man sich fragt: Was bleibt? Auch darüber werden wir sprechen … in philosophisch – fragender Atmosphäre.

Herzliche Einladung! Mit der Bitte um Anmeldung: christian.modehn@berlin.de