An Fakten glaubt man nicht!
Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb, Berlin
Die Fragen stellte Christian Modehn
Die neue US – amerikanische Regierung unter Trump will der Öffentlichkeit einhämmern, dass sie allein weiß, was Fakten sind. Wir sollen Tatsachen (etwa: wie viele Leute bei der Amtseinführung Trumps dabei waren) in einer offiziell vorgegebenen Umdeutung als Glaubenshaltung akzeptieren. Glauben an die Machthaber soll Wissen ersetzen. Was kann der einzelne dagegen tun?
Es ist wirklich grotesk, was zurzeit im Weißen Haus in Washington geschieht. Es geht schlicht nicht, Faktenwissen zur Glaubensfrage zu erheben und dann auch noch über den richtigen Glauben durch willkürlichen Machtentscheid zu befinden. Was die Fakten sind, wie also sich etwas tatsächlich verhält oder verhalten hat, können wir wissen. Um solches Wissen können wir uns zumindest bemühen und das tun wir ja auch ständig. Deshalb recherchieren seriöse Journalisten, bevor sie mit einer Meldung an die Öffentlichkeit gehen. Auch die Wissenschaft, also das methodisch kontrollierte Bemühen um das Wissen, verlöre jeden Sinn, wenn das Wissen-Können durch ein Glauben-Müssen ersetzt würde.
Allerdings, worauf uns Trumps unverschämte Attacke auf die Freiheit der Medien und der Wissenschaft aufmerksam machen kann, ist, dass es Wissen und Glauben nicht nur zu unterscheiden gilt, sondern diese auch miteinander zusammenhängen.
Was wir wissen können, müssen wir auch wissen dürfen. Das ist die Basis einer freien und demokratischen Gesellschaft. Wo das Wissen, das möglich ist, nicht zugelassen oder unterdrückt oder schlicht per Machtentscheid zur Unwahrheit erklärt wird, haben wir es mit einer Diktatur zu tun. Das, was wir wissen oder zu wissen meinen, ist allerdings immer fraglich und umstritten. Ob hinsichtlich der Besucherzahl bei der Inaugurationsfeier die Medien oder die Trump-Leute Recht haben, muss geprüft werden. Das ist keine Glaubensfrage, sondern verlangt das Bemühen, herauszufinden, welche der strittigen Behauptung wahr ist. Jedes Wissen ist falsifizierbar, kann widerlegt werden. Von der Widerlegbarkeit des Wissens lebt die Wissenschaft. Die Bestreitung von Wissen will aber nie das Wissen durch einen Glauben, gar einen befohlenen Glauben ersetzen, sondern will ein zutreffenderes Wissen hervorbringen, herausfinden, was wirklich der Fall war oder der Fall ist, was also die Wahrheit ist.
Das Wissen kann und darf nicht durch den Glauben ersetzt werden. Gleichwohl ist das Wissen elementar auf den Glauben angewiesen, eben auf den Glauben an das Wissen-Können bzw. auf den Glauben an die Wahrheit. Wenn wir nicht mehr an die Wahrheit glauben und deshalb nach ihr suchen, ist kein kooperatives Zusammenleben mehr möglich.
Was kann der einzelne, was können wir tun, angesichts der empörenden Arroganz der Macht, die die neue US-amerikanische Administration demonstriert und mit der sie die Gefahr eines Endes der Freiheit der Medien, der Wissenschaft und damit der Demokratie heraufbeschwört?
Mir fällt nichts Besseres ein als zu sagen, es gilt ebenso treu wie trotzig am wahren Glauben, der ein Glaube an die Wahrheit ist, festzuhalten. Ermutigen kann uns dabei ein Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh 8, 32)
In den USA spielen fundamentalistische christliche Organisationen leider eine über-große Rolle auch in der öffentlichen Propaganda. Ist Trumps Eintreten für den autoritär vorgegebenen Glauben, entgegen der Faktenlage, auch ein Produkt dieser Kultur verirrter Frömmigkeit?
Der wahre Glaube, der ein Glaube an die Wahrheit ist, begrenzt nicht das Wissen, schon gar nicht ersetzt er das Wissen. Der wahre Glaube stachelt zum Wissen an. Wer an die Wahrheit glaubt und dann sogar auch noch weiß, dass wir an die Wahrheit glauben müssen, der will immer mehr wissen, will herausfinden, was wirklich der Fall ist. Der wahre Glaube führt in den Streit um die Wahrheit. Dieser Streit aber muss mit besseren Argumenten und mit dem Verweis auf die Evidenz von Fakten ausgetragen werden.
Insofern ist der Vorgang, den der neue US-amerikanische Präsident darstellt, in der Tat auch ein Resultat der heillosen Verwirrung im Verhältnis von Wissen und Glauben, den die religiösen Fundamentalisten aller Couleur seit längerem schon anstiften. Die religiösen Fundamentalisten behaupten ja z.B. zu wissen, dass Gott die Welt in 6 Tagen geschaffen hat. Sie versuchen dafür geologische Beweise vorzubringen. Sie kennen keinen Glauben, der wirklich Glaube ist, Vertrauen in die Durchsetzung der Wahrheit, um die wir Menschen uns immer nur strebend bemühen können. Die religiösen Fundamentalisten behaupten, zu wissen, wo es recht eigentlich um das Glauben geht und sie glauben, wo sie sich um ein besseres Wissen bemühen sollten.
Der heillosen religiösen Verirrung, der die Fundamentalisten erliegen und in deren Bannkreis auch Trump und seine Leute stehen, ist leider nur mit religiös-theologischer Aufklärung zu begegnen.
Glauben und Wissen sind zwei unterschiedliche menschliche Haltungen der Wirklichkeit gegenüber. In welcher Beziehung zur Wirklichkeit hat Glauben, wohl immer verbunden mit fragendem Zweifeln, überhaupt Sinn und ist vernünftig vertretbar?
Je mehr wir wissen, wissen können und wissen wollen, desto dringender brauchen wir den Glauben, den wahren Glauben, der ein Glaube an die Wahrheit ist. Der Glaube an die Wahrheit treibt uns dazu an, immer mehr wissen zu wollen. Er führt uns in den Streit um die Wahrheit, eben weil mit ihm das Wissen verbunden ist, dass unser Wissen immer strittig bleibt. Ohne die Auseinandersetzung zwischen miteinander streitenden Wahrheitsansprüchen gibt es kein Wissen. Wissen ist auf Dialog und Dialektik angewiesen. Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr!
So gesehen macht dann das Glauben gerade dem, der wissen will und sich am Streit um die Wahrheit beteiligt, enorm viel Sinn. Unser Bemühen um das Wissen, herauszufinden, was wirklich ist, ergibt überhaupt erst in Verbindung mit dem Glauben an die Wahrheit einen Sinn. Würden wir nicht an die Wahrheit glauben, wären wir im Grunde alle in der Lüge gefangen. Dann träte aber auch genau der Zustand ein, in dem ein kooperatives menschliches Zusammenleben gar nicht mehr möglich ist.
Also, wer an der Möglichkeit des Wissen-könnens und damit an der Unterscheidung von wahr und falsch festhält, und das sind im Grunde alle, denen es um eine demokratische Verständigung über die unser Gemeinwesen betreffenden Angelegenheiten geht, der muss zugleich ganz stark glauben, muss an die Wahrheit glauben. Ja, die Wahrheit ist das, woran wir glauben müssen, weil wir sie selbst nicht wissen können. Die Wahrheit bleibt uns entzogen, letztlich unbegreiflich, ist aber gerade so das Ziel all unseres Streben nach Wissen. Diesen Glauben gibt es nicht ohne den Zweifel, eben weil er wahrer Glaube und kein Wissen ist, zu einem solchen auch niemals werden kann.
Statt vom Glauben an die Wahrheit können wir dann aber auch vom Glauben an Gott sprechen. „Gott“ ist das Wort für den unbegreiflichen Sinn des Ganzen. Wer wahrhaft an Gott glaubt – und nicht an einen zum Zwecke eigenen Machtstrebens aufgestellten und die eigene Größe demonstrierenden Götzen –, der strebt nach der Wahrheit, setzt sich argumentativ mit den Wahrheitsbehauptungen anderer auseinander, bleibt im Gespräch.
Wer nicht an Fakten, sondern an Gott als die Wahrheit glaubt, strebt nach der Wahrheit, indem er sie herausfinden will. Er behauptet nie, die Wahrheit zu besitzen und in der eigenen Tasche zu haben.
Copyright: Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, und Religionsphilosophischer Salon Berlin