Meinungsfreiheit und damit auch Blasphemie als Kunst sind normal in einer Demokratie! Und die Menschenrechte sind etwas “säkulares Heiliges”

Gott oder ein Prophet lässt sich von Menschen überhaupt nicht ärgern. Woher sollten Menschen das auch wissen?

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
In Frankreich, meint Prof. Thomas Römer, Direktor des „College de France“ (Paris) in einem Interview mit der Neuen Züricher Zeitung vom 9.11.2020, könnten jetzt „Glaubenskriege“ ausbrechen: Also gewalttätige Auseinandersetzungen fundamentalistischer, völlig unberechenbar agierender „Islamisten“ gegen die absolute Mehrheit der Franzosen und ihre Republik. Zu dieser Mehrheit der Franzosen gehören sicher auch die vielen moderaten Muslime, einzelne Imame, wie in Drancy oder Bordeaux haben sich explizit zur Republik und ihren Werten bekannt.
Die tödliche Gewalt islamistischer Kreise in Europa und anderswo hat viele Ursachen. Eine Ursache ist sicher begründet in ihrer Unfähigkeit dieser (nach außen hin) Frommen, satirische künstlerische Darstellungen des Propheten in französischen Zeitungen eben als Satiren wahrzunehmen. Diese Mörder geben an, ihr Glaube an Gott und den Propheten sei verletzt. Und. „Gott selbst will Rache“. Manche kritischen Beobachter sagen zurecht, dass auf diese Weise die Verbrecher ihre tötende Gewalt förmlich religiös entschuldigen. Und von den eigentlichen mörderischen Motiven ablenken.
Die meisten Franzosen (wie wohl die meisten Menschen in Europa) können doch wohl unterscheiden: Handelt es sich bei den satirischen Darstellungen um künstlerische Kritik gegen einzelne, heute lebende Personen? Solche satirischen Darstellungen sind abzulehnen! ODER: Handelt es sich um allgemein gehaltene Satiren gegen bloß ideale Wesen wie Gott/Göttin/Ewiges bzw. Personen der Vergangenheit, wie etwa Propheten oder Politiker oder Päpste. Im französischen recht ist es so, dass es rechtlich möglich ist, eine Religion als solche, ihre Gestalten und ihre Symbole satirisch zu beleidigen, hingegen ist es verboten, konkreter Anhänger/Mitglieder einer Religion persönlich zu beleidigen (vgl.: https://www.institutmontaigne.org/blog/le-blaspheme-en-france-et-en-europe-droit-ou-delit).
Die Kultur der Satire gibt im guten Sinne zu denken, zu fragen, zu relativieren usw.. Man muss dann erkennen, dass die meisten Menschen diese Unterscheidungsgabe („Kritik der Urteilskraft“ würde Kant sagen) hinsichtlich des Phänomens Blasphemie wohl erworben haben.
Noch einmal: Wenn also Künstler oder Satiriker ein höchstes Wesen, Gott genannt, kritisieren, wird dieses höchste Wesen als solches, Gott, eben NICHT verletzt, sondern nur die immer relativen und oft albernen Bilder des höchsten Wesens werden in Frage gestellt, zugunsten eines besseren Verstehens! Die Unterscheidung zwischen „Gott an und für sich“ und dem Gott, den Göttern, in immer neuen, relativen Bildern setzt natürlich ein bestimmtes Niveau der Bildung und der Reflexion voraus. Auch viele Christen, so muss man leider sagen, haben dieses Niveau nicht erreicht. Man denke an die orthodoxen Kirchen und ihre Kirchenführer, die Satire in der genannten Form der Blasphemie pauschal für eine Lästerung Gottes selbst halten. Diese Herren Patriarchen in Moskau z.B. meinen im Ernst, der Ewige würde sich durch endliche Menschen beleidigen lassen und so richtig böse werden. Theologie haben diese Herren leider nicht umfassend studiert, aber trotz ihrer Unbildung hohe kirchliche Funktionen erreicht und politischen Einfluss leider erlangt.
Ähnliche Entwicklungen hin zu Fanatismus gibt es bekanntermaßen auch im Judentum oder im Islam oder im Buddhismus…
Es sei also ein für alle Mal, als evidente Erkenntnis, die es selten auch in der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt, gesagt: Das höchste Wesen, der himmlische Gott, der Ewige, der Absolute, wie auch immer man „Gott“ hilflos nennt, kann gar nicht von menschlicher Seite beschädigt werden,

2.
Zurück zu Frankreich heute: Der Hass so vieler Muslime in Frankreich auf Frankreich, das sie als ein nach außen hin christliches Land oder einen säkularen Staat verstehen, ist auch durch die soziale und damit auch politische Ausgrenzung von Bürgern muslimischen Glaubens bedingt. Die heutige Gewalt islamistischer Kreise und der befürchtete „Krieg“ sind also nicht nur explizit religiös im engeren Sinn begründet! Zu diesem Thema wurden geschätzte 1000 soziologische, politologische oder psychologische Studien verfasst. Wer dabei tatsächlich kritisch forschte, musste zu der inzwischen allgemein geteilten Erkenntnis kommen: So sehr es auch zahlreiche erfolgreiche und damit reiche Geschäftsleute, Künstler, Autoren, Ärzte etc. mit einem muslimischen Hintergrund in Frankreich gibt: Die meisten Menschen mit arabischen oder , türkischen oder „schwarzafrikanischen“ Wurzeln sind diskriminiert. Diskriminiert in der Qualität ihrer Bildung, ihrer Wohnung, der Wahl ihrer Berufe usw. Und dies gilt auch, wenn die genannten Muslime die französische Staatsangehörigkeit haben. Nebenbei: Auch Christen aus „Schwarzafrika“ oder Haiti werden auch in Frankreich diskriminiert. Mit anderen Worten: Die viel gepriesenen Werte der Französischen Republik (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) gelten vorwiegend für weiße Franzosen oder Hochbegabte oder finanziell bestens Ausgestattete aus den „anderen“ Regionen und Religionen der Welt.
Es sei also, ein für allemal, als evidente Erkenntnis gesagt: Das höchste Wesen, kann nicht beleidigt werden.

3.
Die meisten Franzosen sind nicht bereit, auf Errungenschaften ihrer demokratischen Kultur zu verzichten, dazu gehört die Satire und die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst! Diese demokratischen Werte wurden von den Europäern, auch den Franzosen, mit Mühe von den autoritären Machthabern im eigenen Lande erkämpft! Das darf man nie vergessen: Die große richtige Errungenschaft der Meinungsfreiheit und damit auch im letzten der Blasphemie wurde von Franzosen errungen in einem Jahrzehnte langen Kampf gegen dunkle und dumpfe, auch klerikale Mächte im eigenen Land. Man denke an Voltaire, Rousseau, Diderot usw., an die vielen große Denker, die die Französische Revolution in gewisser Weise vorbereiten. Jenes weltgeschichtliche Ereignis also, das mit viel Mühe und langfristig unter vielen Kämpfen die universal geltenden Menschenrechte formulierte und letztlich (!) die Republik über die autoritäre Regierung einzelner Machthaber siegen ließ.
Die demokratischen Bürger haben diese Wahrheit errungen, und diese wollen sie sich nicht von niemandem mehr nehmen lassen. Das hat nichts mit fundamentalistischem Eigensinn zu tun: Die Werte der Demokratie sind als Werte, die selbstverständlich weiterentwickelt, verbessert werden müssen, Ausdruck der Vernunft: Diese Werte garantieren prinzipiell das humane Zusammenleben von Menschen, autoritäre Regime mit ihren Willkürgesetzen hingegen garantieren eben das nicht. Da hat der einzelne überhaupt keine Menschenrechte, die er einklagen kann.

4.
Darum empfinden es heute viele Franzosen als einen Rückschlag, wenn jetzt etwa in Kreisen katholischer Kleriker gefordert wird: Eigentlich sollten wir Katholiken angesichts der abscheulichen Mordtaten und Abschlachtungen der letzten Wochen auf unsere Freiheit der Kritik, auch der Religionskritik und Satire etwa in Charlie – Hebdo verzichten.
Das ist der Ernst der Kleriker (dokumentiert etwa in DIE ZEIT vom 12.11.2020, „Glauben und Zweifeln“) ? Soll man also auf die eigene Kultur der Freiheit, auch der Meinungsfreiheit, verzichten? Würde man damit nicht schon jetzt den Mördern und Schlächtern nachgeben und ihnen sogar recht geben? Wäre der Verzicht auf die Kultur der Meinungsfreiheit und der umfassenden Religionskritik ein Dienst am Frieden in der Gesellschaft? Würden das Morden und Abschlachten dann aufhören? Oder würden sich die genannten fundamentalistischen Kreise andere Objekte ihres Hasses in unserer Gesellschaft suchen, harmloser dem Anschein nach als die bisherigen mörderischen Ziele, eben die Kirchen und Christen, Journalisten und Caféhaus-oder Bar Besucher und die Redakteure einer Satire-Zeitschrift.
Vielleicht würden demnächst diese mörderischen Kreise sich Damenunterwäsche, „Dessous“ – Abteilungen in Kaufhäusern oder Fachgeschäfte für Wein und Whisky aussuchen für ihr mörderisches Tun.

5.
Damit will ich sagen: Um des angeblich lieben Friedens willen mit Islamisten können und dürfen Europäer auf wichtige Inhalte ihrer Kultur nicht verzichten. Die Frage ist nur: Kann man den fundamentalistischen Islam zur Vernunft bringen? Das würde voraussetzen, dass es einen vernünftigen islamischen Glauben gibt, etwa in der allgemein gewordenen Einschätzung, dass sich der Koran nur in der historisch-kritischen Forschung erschließt. In den Moscheen müsste also, wenn es religiös – vernünftig zuginge, gelehrt werden: „Wir Muslime in Europa treten für die Werte der Republik ein. Unser muslimischer Glaube ist unsere private Überzeugung. Sie ist für den einzelnen im privaten Leben, bei Essensvorschriften etwa, gültig, sie kann aber niemals das Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft bestimmen“. Diese Erkenntnis ist natürlich auch für Christen und Juden gültig.

6.
Die Beispiele brutaler Herrschaft und mörderischer Unterdrückung gegenüber den angeblich feindlichen „Anderen“ in „anderen Kulturen“ (Indios, Afrikaner, Asiaten, Juden usw.) durch Christen und ihre Kirchenführer sind so überwältigend, das nur noch die Erkenntnis bleibt: Der Umgang mit den „heiligen Texte“ durch die jeweiligen Frommen bleibt auf den privaten Bereich und der Gottesdienste begrenzt.

7.
Worauf läuft diese vernünftige Begrenzung religiöser Macht hinaus? Ich meine, auf eine Art von Mystik, die weiß: Das Wesentliche im Zusammenhang von Gott und Mensch spielt sich im Geist, in der Seele, des Menschen ab! Pflegt also eure Mystik, möchte man philosophisch als Empfehlung geben. Sucht nicht fundamentalistische Einpeitscher auf, sondern weise Lehrer, selbstkritische und an euren Finanzen desinteressierte Meister der Mystik. Und lasst Staat und Gesellschaft mit euren religiösen Prinzipien aus angeblich heiligen Büchern in Ruhe: Der Staat ist und bleibt weltlich, er ist also allein den Menschenrechten verpflichtet und keinem religiösen Buch.
8.
Und wenn Fromme selbstverständlich als Bürger eines demokratischen Staates politisch und gesellschaftlich aktiv werden, dann immer stets in der selbstkritischen Haltung, mit der Frage: Folge ich jetzt meinen begrenzten religiösen Weisheiten oder tatsächlich den vorrangigen Menschenrechten? Religiöse Menschen haben in der Politik wie alle anderen keinen anderen Auftrag, als die Menschenrechten zur universalen Geltung zu bringen. Der Traum von einer kirchlich beherrschten Gesellschaft, von einem vom Koran oder von der Bibel oder den Weisheitsreden Buddhas oder den Weisheitslehren der Upanishaden bestimmten Staat kann nur als Wahn bewertet werden. Das ist evident. So viel Klarheit hat Philosophie, sie ist kein postmodernes permanentes “Sowohl als auch”. Es gibt letzte Evidenzen auch in der praktischen Philosophie.
9.
Und,theologisch betrachtet, sind die Menschenrechte etwas säkulares “Heiliges”. Demokraten entwickeln sie weiter. Und haben – einmal pathetisch gesagt – kein dringenderes Verlangen, als dass die Menschenrechte politisch und ökonomisch gelten, praktisch gelten. Allen frommen Diktatoren, allen antidemokratischen Präsidenten etc. zum Trotz. Die Menschenrechte sind zwar vernünftig betrachtet evident. Aber die Menschen müssen auch an sie glauben. Nur so, mit diesem emotionalen Impuls auch der Empathie, gelangen wir zur Praxis der Menschenrechte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Lässt sich Gott beleidigen? Über die Blasphemie und die Gotteslästerung

Lässt sich Gott beleidigen?
Sinn und Unsinn der Blasphemie
Von Christian Modehn. Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 5. Juli 2013, aus aktuellem Anlass noch einmal am 8. Januar 2015

Ein aktuelles Vorwort: Ein zentrales Motiv für die Ermordung der Journalisten und Künstler der Zeitschrift “Charlie Hebdo” am 7.1. 2015 war die totale, die tötende Ablehnung von öffentlicher Religionskritik und damit auch von “Gotteslästerung”.

Für mehr Klarheit und Unterscheidungskraft, also für “vernünftiges, aufgeklärtes Denken,  wollte ein Radio-Beitrag sorgen, der am 9. Juni 2013 auf NDR Kultur in der Reihe “Glaubenssachen” gesendet wurde.

…………..

In zahllosen Gebeten und Gesängen rühmen Juden, Christen und Muslime ihren lieben und gerechten Gott. Sie verneigen sich vor dem Ewigen und Barmherzigen, dem Himmelsherrn und Vater. In grenzenloser Begeisterung werden alle nur denkbaren ehrenvollen Titel Gott zugesprochen. „99 Namen“ erwähnen muslimische Gelehrte, wenn sie Allah bezeichnen. Eigentlich könnte es unzählige Namen für Gott geben, so wunderbar ist sein Wesen.
Doch wehe, wenn Menschen die Lobeshymnen nicht anstimmen können, weil sie zu zweifeln beginnen, wie denn ein gerechter Gott gleichzeitig auch barmherzig sein kann. Oder warum ein liebender Gott – Vater sich auch als strenger Richter zeigt. Menschen werden wütend, wenn sie sich von dem Allmächtigen verlassen fühlen und nur das abweisende Schweigen des Ewigen spüren. Seit den ersten Tagen der Christenheit lästern auch Gläubige über Gott. Viele wagen es, ihn öffentlich zu verfluchen.
Wer seine Wut über Gott äußert, will alle Scheinheiligkeit vermeiden und nicht in stummer Wut ersticken. Vielleicht hofft er sogar, andere zum Nachdenken zu bringen: Ist Glaube nur eine Form von Sicherheit, lautet die Frage religionskritischer Literaten und Künstler. Der fast nackte Christus am Kreuz war im Mittelalter ein Schock für fromme Seelen, sie liebten den prächtigen Christus als thronenden König. Als Gotteslästerung wurde auch ein Gemälde aus dem 20. Jahrhundert empfunden, das die Gottesmutter Maria zeigt, wie sie ihren Sohn Jesus verdrischt.
„Achtung Gotteslästerung“ rufen empört die Frommen, wenn sie meinen, ihre fest gefügte Welt gerate ins Wanken. Und weil religiöse Menschen bis vor wenigen Jahren noch in Europa die Mehrheit bildeten, durften es sich die Herrscher mit ihnen nicht verderben. Blasphemie galt darum als Straftat. Dabei wurde der Begriff Gotteslästerung von Anfang an sehr weit gefasst: „Einfache“ Christen aus dem Volk galten genauso wie gebildete Theologen als Blasphemiker, wenn sie von der offiziellen Kirchenlehre abwichen. Wer an den orthodoxen Lehren rüttelte, beanspruchte auch, Gottes Wesen neu beschreiben zu können. So könnte eine Vielfalt der Gottesbilder entstehen; das aber störte die alles bestimmende Religion der Mehrheit.
Die Kirchen wehren sich seit Anbeginn gegen die Gotteslästerer. Schon der Kirchenvater Augustinus ließ sich im 4. Jahrhundert von der Überzeugung leiten: Wer Gott beleidigt, sollte mit Gewalt zum Schweigen gebracht werden. Seit dem frühen Mittelalter bezeichnen Kirchenführer die Blasphemie als eine der schwersten Sünden. Sie erfanden den Begriff der „Zungen – Sünde“: Die bösen und spitzen Worte der Gotteslästerer wurden als Folter – Werkzeuge gedeutet, mit denen Christus erneut ans Kreuz genagelt wird. Bischöfe und Päpste erfanden eine ganze Liste von Strafen, berichtet der Theologe Jean – Pierre Wils in seiner Studie mit dem Titel „Gotteslästerung“:

„Für Zungensünder wurde öffentliches Bußestehen, Fastengebote und Wohltätigkeit als Strafe gefordert. Bei Verweigerung der Strafe kam es zur Aufhebung der Kirchenmitgliedschaft und zur Ablehnung einer kirchlichen Beerdigung im Todesfall“.
Brachten diese eher sanften „Maßnahmen“ nicht die gewünschte Sinnesänderung, wurde rabiat zugegriffen: Den Gotteslästern wurde von den staatlichen Behörden das verfluchte Organ beschädigt. In aller Öffentlichkeit wurde die Zunge verstümmelt, so dass die Lästerer für immer mundtot waren. Berühmt ist der Fall des Chevalier de la Barre. Ihm wurde das laute Singen angeblich antireligiöser Lieder in der Öffentlichkeit zur Last gelegt sowie die Lektüre des religionskritischen Wörterbuches von Voltaire: Schon diese Taten reichten aus, dass der Chevalier im Jahr 1766 der Blasphemie für schuldig befunden wurde: Der Henker schnitt ihm zuerst die Zunge heraus, bevor er ihn mit dem Beil tötete”.
Keineswegs galt nur in katholischen Ländern die Blasphemie als schwere Sünde. Der Reformator Martin Luther sprach immer wieder davon; er hielt schon die bloße Existenz des machtvollen und damals korrupten Papsttums für die übelste Gotteslästerung. Der Reformator Johannes Calvin sah in der Ablehnung der Heiligen Dreifaltigkeit eine so unverschämte Blasphemie, dass er den Theologen Michel Servet in Genf auf dem Scheiterhaufen hinrichten ließ. Der aus Spanien stammende Gelehrte konnte die offizielle Lehre von der einen Gottheit in drei Personen nicht akzeptieren.
Wer vom Glauben der Mehrheit abweicht, gefährdet als Häretiker die öffentliche Ordnung. Nur der eine und einzige Gott in der einen wahren Kirche kann das Reich zusammenhalten. Davon sind autokratische und absolutistische Systeme bis heute überzeugt.
In Moskau wurden am 17. August 2012 drei junge Frauen zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Sie hatten als Künstlerinnen der russischen Punk – Rockband Pussy Riot angeblich religionskritische Lieder in der prachtvollen „Christ – Erlöser –Kathedrale“ vorgetragen und dabei die enge Zusammenarbeit des Putin Regimes mit der russisch – orthodoxen Kirchenführung angeklagt. Deren oberster Führer, Patriarch Kyrill I., nannte die provozierende Aktion der feministischen Künstlerinnen sofort eine Gotteslästerung. Ohne auch nur den Versuch zu machen, mit den wütenden Künstlerinnen ins Gespräch zu kommen, bediente sich die Kirche des starken Arms des Staates: So kam es wie in einem Schauprozess zur Verurteilung der angeblichen Gotteslästerinnen. Dabei hatten sie sich positiv über das Christentum ausgesprochen, als sie betonten: Im Sinne Jesu ist die ständige Suche nach der Wahrheit verpflichtend.
Russland steht in seinem Kampf gegen die Blasphemie heute keineswegs allein da. Die Pariser Zeitschrift „Le Monde des Religions“ hat Ende November 2012 berichtet, dass fast die Hälfte aller Staaten Gotteslästerung und öffentliche Herabsetzung des Religionen bestraft. Vor allem in den Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens ist das heute übliche Praxis. In muslimisch geprägten Staaten ist Gotteslästerung vor allem die Schändung des Korans sowie die Schmähung des Propheten Mohammed; wer dessen Gesicht künstlerisch darstellt, handelt ebenfalls blasphemisch.
Nur eine kritische Interpretation der religiösen Texte kann aus dieser Enge religiös – fundamentalistischen Denkens befreien. Aber auch in Europa hat sich erst vor dreihundert Jahren die Überzeugung durchgesetzt: Viele uralte Weisungen und Gebote der jüdisch – christlichen Überlieferung dürfen nicht wortwörtlich verstanden werden. Sie sind keine ewig gültigen Beschreibungen von Tatsachen, die heute noch unmittelbar gelten können. Kein gebildeter Gläubiger und kein aufrechter Demokrat kann den Vers aus dem alttestamentlichen Buch Leviticus heute noch wörtlich befolgen, der da heißt:

„Wer Gottes Namen lästert, der soll des Todes sterben. Die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Ob Fremdling oder Einheimischer: Wer den Namen Gottes lästert, soll sterben“.

Von diesen Weisungen sollten sich die jüdischen Priester vor 2.500 Jahren motivieren lassen, für die damals bedrohte jüdische Religion einzutreten. Diese Worte stammen aus einer Epoche, als der jüdische Glaube noch seine Identität suchte. Universale Geltung im wörtlichen Sinn können diese Worte heute nicht mehr haben.
Viele Christen haben sich inzwischen von alten Vorstellungen befreit: Bis vor 200 Jahren galt noch die Überzeugung: Wer Gott – Vater, den himmlischen Herrn, beleidigt, weckt in ihm nur den Wunsch nach Rache und Strafe. Denn, so glaube man, dieser Himmelsherr ist eine Person, zwar verschieden von menschlichen Personen, aber eben doch eben ein freies Wesen und voller Stolz. Und dieser personale Gott legt allen Wert auf den Respekt vor seiner Würde und Ehre. Von den Lästerern empört, sende Gott als Strafe schlimmstes Unheil in die Welt, Hungersnot, Pest, Erdbeben. Wollen die Menschen heil und glücklich leben, müssen sie also die Gotteslästerer bestrafen. Deswegen stellten sie bis ins 19. Jahrhundert Blasphemie unter Strafe. Noch 1851 wurde in Preußen Gotteslästerung als Verbrechen definiert.
Es waren Theologen und Philosophen, die gegen die Blasphemie Gesetze opponierten; aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts hatte sich in Europa die Überzeugung durchgesetzt, dass Gott ausschließlich eine geistige, eine metaphysische Wirklichkeit für den Glaubenden sei. Gott kann als solcher niemals ein reales Rechtssubjekt sein, er kann gar nicht wie ein Kläger betrachtet werden. Das hat weit- reichende Konsequenzen: Hungersnot und Pest haben ihre Ursache nicht mehr in Gottes Zorn, sondern in weltlichen, irdischen Zusammenhängen.
Religiöse Menschen können Gott als den ganz anderen, den Unendlichen gelten lassen. Sie werden ihn nicht mit albern erscheinenden Argumenten in einen irdischen Rechtsstreit ziehen. So erhält auch das zweite der Zehn Gebote einen tieferen Sinn; es heißt in der Überlieferung:

„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht unnütz gebrauchen“.

Wer den Namen Gottes „unnütz“ gebraucht, macht Gott zu einem berechenbaren Ding unter anderen, und ein solches Verhalten stört die authentische Gottesbeziehung des Menschen. Dieser Mensch bleibt in der irdischen Welt befangen und ahnt nichts von Gottes unendlicher Größe. Genau darauf zielt das alte überlieferte Gebot, das sich eher mythologisch – bildlicher Sprache bedient:

„Denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht“.

Die hier erwähnte „Strafe Gottes“ muss wieder in menschliche Verhältnisse übersetzt werden: Wer den Namen Gottes missbraucht, schädigt sich selbst. Er sieht nicht, dass ehrenvolles Verhalten Gott gegenüber alles andere ist als Lobpreis und Jubel. Wer Gott die Ehre gibt, seinen Namen recht gebraucht, so lehrt die Bibel, bemüht sich, gerecht zu leben und die Gerechtigkeit zu fördern. Wer Gottes Namen tatsächlich ehren will, hat Teil der Gemeinschaft von Menschen, die sich um eine gerechtere Welt bemühen. Darin kann der Sinn des Lebens entdeckt werden. Die Bibelwissenschaftler Hermann Strack und Paul Billerbeck haben schon 1920 geschrieben:

„Die Heiligung des Namens Gottes besteht im praktischen Gehorsam gegenüber Gottes Willen“.

Darum gilt heute die theologische Erkenntnis: Wer die Grundlage einer gerechten Ordnung zerstört, der lästert Gott. Blasphemie hat also sehr viel mit Verachtung der Menschenrechte zu tun. Gotteslästerung heute sind Sklaverei, Frauenhandel, Unterdrückung der Armen, Verfolgung von Minderheiten.

Auch aus politischen Gründen wird Gotteslästerung als Straftat heute zurückgewiesen: Denn längst hat sich die religiöse Vielfalt in den meisten Staaten durchgesetzt. Wie könnte etwa in West – Europa der Gott einer bestimmten Religion vor Blasphemie geschützt werden, die Überzeugung der Atheisten aber nicht? Ungläubige sind froh, wenn Gott kritisiert wird, Fundamentalisten werden heftig erzürnt. Der Staat müsste sich also theologische Kompetenz anmaßen, wenn er in solchen Konflikten entscheiden soll, ob nur Allah beleidigt wurde, nicht aber auch der Vater – Gott der Christen und auch nicht die Götter Vishnu und Krishna der hier lebenden Hindus.

Unter dem Einsatz menschlicher Gesetze kann Gott gar nicht vor Beleidigungen bewahrt werden: Denn es gibt, schlicht und einfach, gar nicht mehr den einen und einzigen Gott in Europa. Das haben selbst ultra konservative Calvinisten in Holland eingesehen: Bisher konnten sie durchsetzen, dass der Gotteslästerung – Paragraph in dem liberalen Land Bestand hat. Nun soll Blasphemie aus dem niederländischen Strafgesetzbuch gestrichen werden.
Als man in der Bundesrepublik Deutschland Ende der neunzehnhundert sechziger Jahre die Reform des Strafgesetzbuches einleitete, wurde auch der Blasphemie -Paragraph 166 neu formuliert. Das Reichsstrafgesetzbuch hatte zuvor die Gotteslästerung noch unter Strafe gestellt sowie das Beschimpfen der christlichen Kirchen als Institutionen. Im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland ist von der Beleidigung Gottes keine Rede mehr: Hingegen ist das Beschimpfen und Beleidigen religiöser Menschen strafbar, und zwar immer dann, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird.
Die Vielfalt freier Meinungsäußerungen muss sich in der Weise gestalten, dass immer der öffentliche Friede gewahrt bleibt. Religiöse Menschen dürfen sich von religionskritischen Äußerungen nicht verletzt fühlen, andererseits müssen auch die Überzeugungen von Skeptikern und Atheisten vor beleidigender Polemik der fundamentalistisch Frommen geschützt werden.
Wenn es aber zu Streit und Konflikt kommt, wird genau abgewogen werden, ob das Grundrecht auf Meinungsfreiheit höher bewertet werden soll als das Grundrecht auf Religionsfreiheit: Denn erst die Meinungsfreiheit begründet und ermöglicht alle weiteren Freiheiten. Autokratische Regime sehen das anders: Sie deuten heute den Schutz ihrer Staatsreligion als Kampf für die Religionsfreiheit. Tatsächlich geht es ihnen aber nur um die eigene Macht. Deswegen unterdrücken sie dabei gleichzeitig Meinungsfreiheit. In einer demokratischen Kultur garantiert erst Meinungsfreiheit die Religionsfreiheit, jeder hat dann das Recht, seinen eigenen Glauben oder seinen eigenen Atheismus zu wählen.
Im Einzelfall wird auch in Europa immer wieder gestritten, ob eine Aussage in der Literatur oder die Arbeit eines Künstlers tatsächlich blasphemisch sind. Als sich ein deutsches Satire – Magazin kürzlich auf den umfassenden Geheimnisverrat im Vatikan bezog und viele verräterische, unkontrollierte Stellen dort andeutete, wurde auch Papst Benedikt XVI. ins Bild gerückt. Sofort meldete sich der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zu Wort: Er erkannte in dem satirischen Bild Ansätze für eine Gotteslästerung. Er forderte die Anwendung des Paragraphen 166. Im August 2012 sagte Erzbischof Schick:

„Wer die Seele der Gläubigen mit Spott und Hohn verletzt, der muss in Schranken gewiesen und gegebenenfalls auch bestraft werden“.

Die Sache wurde dann nicht weiter verfolgt, weil ein so tiefes Wutpotential unter den Frommen doch nicht auszumachen war, von Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens gab es keine Spur. Aber konservative katholische Kreise in Deutschland lassen nicht locker: So forderte der katholische Schriftsteller Martin Mosebach grundsätzlich ein Eingreifen des Staates im Falle blasphemischer Äußerungen. Denn, so meinte er, die beleidigten Frommen könnten einmal voller Wut gewalttätig werden. Mosebach betonte:

„Das kann geschehen, wenn eine größere Gruppe von Gläubigen sich durch die Blasphemie in ihren religiösen Überzeugungen so verletzt fühlt, dass ihre Empörung zu einem öffentlichen Problem wird. Es wird das soziale Klima bei uns fördern, wenn Blasphemie wieder gefährlich wird“.

Durchgesetzt hat sich hingegen die Überzeugung: Wenn sich religiöse Menschen durch beleidigende Äußerungen verletzt fühlen, reicht der übliche strafrechtliche Schutz der Personenwürde aus. Eine pluralistische Demokratie ist stark genug, Menschen vor Beleidigungen zu verteidigen. Religiöse Menschen brauchen keine eigenen, nur sie behütenden Gesetze.
Die aktuellen Forderungen, Gotteslästerung auch in Europa wieder zu bestrafen, wurde als eine Form von „Neid – Reaktion“ beschrieben: Viele Muslime, so heißt es in christlichen Kreisen, kämpfen doch bis aufs Blut darum, Gott und seinen Propheten vor jeglicher Religionskritik freizuhalten. Sollten sich nicht Christen von dieser muslimischen Leidenschaft anstecken lassen? Der aus Ägypten stammende Politologe Hamed Abdel – Samat hat in dem Zusammenhang eine feine Unterscheidung formuliert:

„Ein normaler gläubiger Mensch geht davon aus, dass er selbst von Gott beschützt wird. Ein fundamentalistisch gläubiger Mensch meint, dass er als Mensch Gott beschützen will. Aber darin besteht die eigentliche Gotteslästerung, zu glauben: Gott muss von uns Menschen beschützt und verteidigt werden“.

Christliche Theologen sind heute dankbar, dass über Gotteslästerungen debattiert wird, weil man so auf die richtigen Spur kommt zu einem geläuterten Gottesbild, meint der protestantische Theologe Wilhelm Gräb von der Humboldt Universität zu Berlin:

„Die Gotteslästerung ist vor allem eine Form notwendiger Religionskritik! Sie gehört zum Wesen des christlichen Glaubens. Deswegen kann die christliche Religion sich gern den Vorwurf der Gotteslästerung gefallenlassen. Denn in der Religionskritik bemüht sie sich nur um die Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Glauben. Ein Gott, dessen so genannte Ehre geschützt werden soll und der nur gehorsame Unterwerfung verlangt, gehört zu Recht gelästert und verspottet. Gotteslästerung als Form der Religionskritik erinnert daran: Unser Vertrauen gilt dem Gott, den kein menschliches Auge je gesehen hat. Er ist das Geheimnis der Welt. Wer das absolute Geheimnis zu einem verfügbaren Gegenstand macht, schafft einen Götzen“.
Darum können christliche Theologen in religionskritischen Arbeiten von Künstlern, Schriftstellern und Filmemachern die Stimmen so genannter Fremdpropheten erkennen: Denn sie suchen sozusagen außerhalb der Glaubenswelt nach dem wahren, dem göttlichen Gott auf manchmal provozierende Weise. Aus diesem Grund ist auch der katholische Bischof Jacques Gaillot für den bis heute umstrittenen Film von Martin Scorsese „Die letzte Versuchung Christi“ öffentlich eingetreten. Der katholische Bischof betonte:

„Die Gläubigen werden in dem Film mit der Frage konfrontiert: Wie menschlich ist Jesus Christus tatsächlich für euch? Kann er auch Erotik erleben? Das ist nichts Gotteslästerliches! Wenn man die Freiheit der Meinungen garantieren will, dann akzeptieren wir doch auch das Recht auf Gotteslästerung. Verdient denn ein Filmemacher den Tod, wenn er einen „unfrommen“ Film dreht? Bewahren wir die Freiheit des kreativen Ausdrucks. Um diese Freiheit zu verteidigen, muss man auch bis zur Gotteslästerung gehen“.

In Zeiten zunehmender Radikalisierung religiöser Gruppen müssen neue Forderungen formuliert werden: Es gilt heute, die liberale und demokratische Öffentlichkeit zu schützen in ihrem friedlichen Miteinander. Es gilt die Attacken religiös motivierter, zerstörerischer Gewalttäter abzuwehren, die so oft angeblich Gotteslästerliches vernichten wollen, tatsächlich aber Feinde der Demokratie sind und der universal geltenden, für alle Menschen bestimmten Menschenrechte. In solchen Situationen braucht man keine neue Interpretation des Blasphemie Paragraphen. Was wir brauchen ist der Stolz der Demokraten auf die liberale und soziale Demokratie, auf das höchste Gut der Meinungsfreiheit, ohne die es, wie gezeigt, keine Religionsfreiheit, keine Pressefreiheit, keinen Kampf um einen Rechtsstaat geben kann.
Also: Nicht die Gotteslästerer bilden eine Gefahr für den Frieden in der Gesellschaft, sondern alle, die meinen, im Namen Gottes für die angeblich ewigen und reinen, aber undemokratischen Lehren bis aufs Blut kämpfen zu dürfen.

Es ist Zeit für die so genannten Führer aller Religionen ein einmütiges Bekenntnis abzulegen, ein Bekenntnis, das nicht willkürliche Meinung, sondern Ausdruck der allgemeinen Vernunft ist: Zuerst und vor allem kommen für religiöse Menschen, welcher Couleur auch immer, die universalen Menschenrechte (und damit eben auch das Recht auf Religionskritik) und erst dann, also in zweiter (!) Hinsicht, die so genannten Gotttesrechte. Diese Gottesrechte, sind wie alle gebildeten Menschen wissen, ja selbst Produkte von Menschen, sie wurden von religiösen Führern zu einer bestimmten Zeit als „heilig“ und „göttlich“ erklärt. Und diese Gottesgesetze sind deswegen immer an den ebenfalls weiterzuentwickelnden Menschenrechten zu messen.

Es ist also weltweit auch ein umfassendes Bildungsprogramm geboten: Ein deutliches Eintreten für die absolute Vorrangstellung der Menschenrechte vor allen religiösen Überzeugungen. Religiöse Schulen werden dieses Bildungsprogramm wahrscheinlich, wenn überhaupt, nur halbherzig realisieren. Die Franzosen haben schon recht, wenn sie laicité zum Grundprinzip des Staates und des gesellschaftlichen Miteinanders erklärten.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wir empfehlen die Lektüre eines Interviews mit dem prot. Theologen Wilhelm Gräb zum Thema Gotteslästerung, das auf dieser website veröffentlicht kürzlich wurde. Zur Lektüre klicken Sie bitte HIER.

Literaturempfehlungen:

Gerd Althoff, „Selig sind, die Verfolgung ausüben“ . Päpste und Gewalt im Hochmittelalter. Theiss Verlag, 2013.

Alain Cabantous, Geschichte der Blasphemie, Weimar 1999.

Jacques Gaillot, Ma liberté à l église, Verlag Albin Michel, Paris, 1989.

Georges Minois, Geschichte des Atheismus, Weimar 2000

Hamed Abdel – Samad, u.a. Mein Abschied vom Himmel, Fackelträger Verlag, Köln, 2009

Jean – Pierre Wils, Gotteslästerung. Verlag der Weltreligionen, 2007.

Gotteslästerung: Sinn und Unsinn, ein Interview mit Prof. Wilhelm Gräb

Erneut publiziert – angesichts des Films in ARTE am 14. 12. 2016 um 22.05.

Ein Interview mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb, Berlin. Die Fragen stellte Christian Modehn.

Wenn man beim Thema „Gotteslästerung“ nur die so genannten christlich geprägten Länder beobachtet: Dann fällt auf, dass in letzter Zeit immer wieder Künstler angeklagt wurden (wie in Moskau beim Pussy Riot – „Prozess“), in ihren Aktionen und künstlerischen Arbeiten „Gott zu lästern“. Warum reagieren vor allem Politiker und Kirchenführer so heftig?

Auffällig ist in der Tat, dass immer wieder Künstler der Vorwurf der Gotteslästerung trifft. Denken wir an Madonnas Video-Clip „Like a Prayer“, die Madonna als Gekreuzigte zeigt, an die Jeans-Werbung von Otto Kern, die das „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci persiflierte oder an den Film „Die letzte Versuchung“ von Martin Scorsese, in dem Jesus im Liebesakt mit Maria Magdalena gezeigt wird – immer waren Vertreter der Katholischen Kirche und fundamentalistische Protestanten mit dem Blasphemie-Vorwurf zur Stelle. Die Koalition mit der politischen Macht, die jetzt im „Prozess“ gegen Mitglieder der russischen Rockband „Pussy Riot“ offenkundig wurde, ist in den demokratischen westlichen Gesellschaften so allerdings nicht mehr gegeben – bislang jedenfalls nicht.

Nach der Revision des STGB in den 1960 Jahren ist die „Gotteslästerung“ in der Bundesrepublik Deutschland nur noch strafbar, wenn sie den „öffentlichen Frieden stört“.  Es wäre zutreffender gewesen, hätte man damals den Gotteslästerungsparagraphen ganz aus dem Strafgesetz herausgenommen. In dem Zusammenhang wird deutlich:  Der sog. Gotteslästerungsparagraph, also STGB § 166, aber auch § 167, soll den religiösen Pluralismus gewährleisten, nicht aber die freie und kritische Äußerung in Religionsangelegenheiten einschränken. Es sei daran erinnert, dass es gerade protestantische Kirchenführer wie der Präses der Rheinischen Kirche, Joachim Beckmann (1901 – 1987), waren, die anlässlich der Strafrechtsreform in der Bundesrepublik in den frühen 1960er Jahre angemahnt hatten, dass der Gotteslästerungs – Paragraph überhaupt nicht mehr in die Verhältnisse einer pluralistischen Gesellschaft passe, weil er politisch dazu missbraucht werden könne, die Meinung Andersdenkender zu unterdrücken. Präses Beckmann war übrigens ein Mann der „Bekennenden Kirche“ im Kampf gegen das Nazi Regime und die „Deutschen Christen“: Es steht, so sagte Beckmann in den 1960 Jahren, der Kirche gut an, „dass sie von sich aus auf einen weitergehenden strafrechtlichen Sonderschutz gegen Religionsdelikte verzichtet und jede auch nur entfernte Erinnerung an eine strafrechtliche Verketzerung Andersdenkender vermeidet“.

In letzter Zeit mehren sich allerdings auch in Deutschland wieder Stimmen, sie kommen vorwiegend  aus dem katholischen Raum, die das Verbot der Gotteslästerung wieder ernster genommen wissen möchten. Gotteslästerung wittern sie dort, wo christliche Symbole in die Regie freier, kritischer, auch vor der Persiflage nicht zurückschreckender Darstellung genommen werden – also insbesondere in der Bildenden Kunst, in der Literatur, im Film, im freien Journalismus, in der Popmusik. Der renommierte katholische Schriftsteller Martin Mosebach oder auch der katholische Philosoph Robert Spaemann haben sich diesbezüglich zuletzt besonders hervorgetan. Sie meinen daran erinnern zu müssen, dass der Gottesbezug in unserer Verfassung stehe und fordern, da der die Wertgrundlagen der Gesellschaft garantierende Gott nur der christliche Gott sein könne, den politisch und rechtlich sanktionierten Schutz des christlichen Gottes. Es sei, so meinen sie, nicht länger zu ertragen, dass die Muslime ein Anrecht auf den Schutz ihrer religiösen  Gefühle geltend machen könnten, Christen hingegen sich jede öffentliche Schmähung ihres Gottes gefallen lassen müssten. Weiterlesen ⇘

Läßt sich Gott beleidigen? Sinn und Unsinn der Blasphemie. Eine Ra­dio­sen­dung NDR Kultur

NDR Kultur am Sonntag, Reihe Glaubenssachen, am 9. Juni 2013 um 8.40 Uhr:

Glaubenssachen

Lässt sich Gott beleidigen?

Sinn und Unsinn der Blasphemie, bitte lesen Sie den ausführlichen Beitrag auf diesem link auf dieser website. klicken Sie hier.

Von Christian Modehn

Fromme Menschen wollen Künstlern, Schriftstellern oder Filmemachern den Prozess machen, wenn die Unantastbarkeit Gottes in Frage gestellt wird. Ist Religionsfreiheit also wichtiger als Meinungsfreiheit? Aber können Menschen den Absoluten und Ewigen in seinem Wesen überhaupt beleidigen und erzürnen? Oder wird nur der oberste Garant einer politischen und kulturellen Ordnung kritisiert und lächerlich gemacht? Im deutschen Strafrecht ist Blasphemie nur noch strafbar, wenn sie den öffentlichen Frieden stört. Und das kommt eher selten vor. Viele Theologen sind heute sogar dankbar, dass Blasphemie Raum schafft für die Frage: Welchen Gott verehre ich wirklich?