“Sinnvertrauen wecken”: Über religiöse Rede
Das 15. Interview mit Prof. Wilhelm Gräb (im August 2013) in der Reihe “Fundamental Vernünftig”
Die Fragen stellte Christian Modehn
Sie haben gerade ein Buch geschrieben, das sich mit der religiösen Rede, vor allem der Predigt, befasst. Worin sehen Sie heute die wich-tigste Forderung an einen Prediger, eine Pastorin oder einen Pfarrer, etwa in einer europäischen Großstadt, z.B. in Berlin?
Von der kirchlichen Predigt, sonntags oder bei alltäglichen Gelegen-heiten, im Gottesdienst oder in der urbanen Welt der Medien wird immer noch viel erwartet. Die Erwartung ist die, religiös angespro-chen zu werden, bewegend, tröstlich, ermutigend. Das ist es deshalb auch, was von Prediger und Predigerinnen zu fordern ist: Existenziell sollte ihre Predigt sein, den Glauben und die Botschaft ins Leben zie-hen, um das Sinnvertrauen der Menschen zu stärken.
Aus welcher Position heraus sollte ein Prediger heute sprechen: als Wissender, als Spezialist oder als Fragender, als Suchender wie die Gemeinde der Zuhörenden?
Wer predigt sollte sich auf die Religion verstehen. Wer sich auf die Religion, also auf des Menschen Verhältnis zum Göttlichen versteht, der aber bleibt ein Suchender und Fragender, da der Glaube kein Wis-sen ist und nie zu einem solchen werden kann. Das Wissen ist immer Wissen von dem, was es gibt. Der Glaube ist auf das gerichtet, was uns in all unserem Wissen von dem, was es gibt, stärkt, uns überhaupt im tätigen Vollzug unseres Lebens trägt. Der religiöse Glaube gibt uns das Gefühl, dass das Leben seinen Sinn in sich selbst trägt. Doch dar-in, wie das Leben so geht und es um unser immer fragmentarisches Wissen bestellt ist, zeigt sich unser aller Angewiesenheit auf die zum Glauben ermutigende und das religiöse Gefühl stärkende Rede.
Wer religiös spricht, und das ist es, was die Predigt tun sollte, redet nicht über die Religion oder die Religionen, nicht über die religiösen Institutionen, nicht über die Kirche. Wer religiös spricht, redet aus Re-ligion, aus religiöser Überzeugung, weil sie ihm selbst wichtig ist – was aber gerade nicht heißt, dass er keine Fragen an den eigenen Glauben mehr hätte, schon gar nicht, dass er nicht ein Suchender blie-be, um die rechten Worten ringend, immer wieder zweifelnd, ob der Glaube nicht doch ins Leere geht. Dennoch, nur der, dem die religiöse Sinngrundierung des Lebens selbst immer wieder aufleuchtet, will von ihr zu anderen sprechen. Er muss sehen, wie das gehen kann, ohne aufdringlich zu werden. Wie die Balance zu finden ist, von Nähe und Distanz. Wie kann ich, der ich aus Religion reden möchte, dies so tun, dass andere sich über sich selbst und ihr Sinnvertrauen verständigt finden, in ihm gestärkt und zu neuem Lebensmut befähigt? Auf diese Fragen habe ich in meinem Buch, das zum religiös inspirierten Predi-gen anleiten möchte, nach Antworten gesucht.
Sollte in christlichen Gottesdiensten immer die Möglichkeit gegeben werden, auf die Rede, die Predigt, zu reagieren? So dass aus dem Monolog ein vielfältiger Dialog wird?
Die kirchliche Predigt ist in der Tat viel zu sehr zum geradezu zwang-haft verordneten Element kirchlicher Rituale geworden, zu denen die meisten Menschen aber keinen Zugang mehr finden. Die Predigt steht unter enorm hochgeschraubten liturgischen, dogmatischen, biblisch-exegetischen und professionstheologischen Voraussetzungen, die es selbst den Freunden der Religion schwer machen, ihr zu folgen. Sie hat sich weithin auch selbst damit abgefunden, nur noch diejenigen anzusprechen, die die kirchliche Zeichensprache verstehen, mit der Liturgie des Gottesdienstes etwas anfangen können, den hohen An-spruch, dass hier „Gottes Wort“ verkündigt wird, akzeptieren, gar selbst formulieren?
Damit hat sie sich von ihrem Anspruch, öffentliche religiöse Rede zu sein, mehr oder weniger verabschiedet. Ich meine jedoch, die Kultur der Gegenwart gibt Hinweise genug, dass es berechtigt ist, diesen An-spruch aufrecht zu erhalten. Nicht weil davon der Fortbestand der Kir-che und der durch sie ins Predigtamt Berufenen abhängt, sondern weil den Menschen die Religion, die lebenswichtig ist und doch immer nur durch Ansprache in einem Menschen entsteht, verlorenginge.
Ob die Menschen, die eine Predigt hören, dann auch sofort selbst zu Wort kommen, ist m.E. nicht so entscheidend. Es hat auch Vorteile, einmal zuhören, der Entfaltung eines religiös erbaulichen Gedankens folgen zu können und in eine dem Ganzen gemäße Gestimmtheit sich versetzt zu finden. Der Dialog kann auch ein impliziter sein. Das zu leisten wird damit allerdings auch wieder zur Forderung an die Predi-ger und Predigerinnen.
Viele Prediger selbst verwechseln Rede/Predigt mit einem bloß sub-jektiven Zeugnisgeben. Gibt es Forderungen nach „rationaler“ Kon-trolle und Nachvollziehbarkeit der Argumente für Prediger?
Die Predigt steht und fällt damit, dass sie ihre Botschaft auf einleuch-tende, überzeugende und somit argumentativ durchsichtige Weise ent-faltet. Deshalb muss sie erfahrungsnah sein, und vor allem dialogisch. D.h. eben keineswegs, dass sie immer ein Gespräch eröffnen müsste. Eine der Form nach monologische Rede kann auch indirekt einen Dia-log mit den Hörenden führen, ihre potentiellen Einwände ansprechen und Argumente aufbieten für die Behauptungen, die sie aufstellt. Dass etwas in der Bibel steht, ist kein Argument. Entscheidend ist die sub-jektiv plausible Nachvollziehbarkeit.
Ist die Rede heute das wichtigste „Instrument“, um in der Gesellschaft von Religion zu sprechen? Welche anderen Möglichkeiten würden Sie vielleicht stärken oder bevorzugen?
Zunächst und vor allem möchte ich sagen, dass ich die Predigt, wenn es ihr gelingt, zur religiös erbaulichen Rede zu werden, tatsächlich immer noch für das wichtigste Instrument halte, um auf eine der Reli-gion gemäße Weise von Religion zu sprechen.
Um diese These zu bekräftigen möchte ich einen nicht aus der Kirche, sondern aus der Kultur der Gegenwart stammenden Hinweis geben. Verweisen möchte ich auf das Buch des französischen Sozialphiloso-phen Bruno Latour: Jubilieren. Über religiöse Rede. (2011) Dieses Buch führt emphatisch Klage darüber, dass der Gesellschaft und dem einzelnen Menschen etwas Lebensnotwendiges fehlen würde, wenn die religiöse Rede verstummte oder, da sie ja im kirchlichen Ritual fortwährend ergeht, ihre Heil bringende Kraft verlöre. Was dann feh-len würde, sind „Worte, die wieder aufrichten“, die „Leben spenden“, Worte, die heilsam sind. Das Schlimme für Latour ist: Auch die Kir-che versteht sich nicht mehr auf die religiöse Rede. Sie hält „die Reli-gion für gewunden, für verschlungen, ganz als müsse sie uns über ei-nen schmalen, fallengespickten Pfad zu dunklen und fernen Geheim-nissen führen.“ In entfernte Gegenwelten hat die Kirche die Religion entrückt und „die Worte, die Leben spenden sollen, werden (sc. in der Kirche) in einer fremden Sprache ausgesprochen, die sich an histo-risch, räumlich, kulturell entfernte Menschen richtet.“
Dennoch, daran hält Latour fest, die Kirche, sie hat sie, „die Worte, die Leben spenden“, aber sie findet die Sprache nicht mehr, nicht den richtigen Tonfall, nicht die richtige Tonart. Das Sprechen ist das Prob-lem, das Aussprechen. Mehr will der sich zu seinem Atheismus be-kennende, aber um die Religion besorgte Sozialphilosoph deshalb mit seinem Buch über die religiöse Rede gar nicht. Vom religiösen Redner sagt er: „Er will bloß dem religiösen Ausdruck wieder Bewegungs-freiheit verschaffen, diesem so einzigartigen Brauch, der im Lauf der Geschichte Wort und Sprache gewann und der ihm heute so entsetz-lich gehemmt vorkommt … nur eine Ausdrucksform aus ihrer Ver-kapselung lösen, die, einst so frei und erfinderisch, fruchtbar und heil-bringend, heute auf seiner Zunge zerfällt, wenn er ihren Schwung, ih-ren Rhythmus, ihre Artikulation wieder aufnehmen will.“
Den religiösen Ausdruck, die Sprache der Religion zu finden, ist keine bloße Formsache. An der religiösen Rede hängt die Wahrheit der Re-ligion. Und die Wahrheit der Religion ist keine beiläufige Angelegen-heit, mit der lediglich diejenigen noch beschäftigt sind, die sich in der Liturgie der Kirche auskennen. Die Wahrheit der Religion ist, dass sie uns den Sinn für den Sinn unseres Daseins in dieser Welt eingibt. Sie lässt uns den Schmerz empfinden über das, was fehlt, sie stärkt aber auch unendlich die Hoffnung aufs Gelingen. Damit diese lebensnot-wendige Wahrheit der Religion allgemein zugänglich bleibt, muss sie öffentlich ausgesprochen werden. Es gilt, „die passenden, genauen, präzisen Worte zu finden, um die Rede heilbringend zu machen, um gut (sic!) über die Gegenwart zu reden.“
Wie kann an öffentlichen Orten, etwa Kneipen, Cafés, Galerien, Kinos, Museen, von Gott heute gesprochen werden?
Eine Predigt, die die religiösen, aufs Ganze gehenden Sinnfragen des Lebens anspricht, die Dinge, die uns Angst machen, die Erfahrungen, in denen das Vertrauen uns weitergeholfen hat, die Ziele, für die ein-zusetzen sich lohnt, stellt einen jeweils konkret ins Leben greifenden Akt der Lebensdeutung dar. Sie ist immer noch eine hervorragende Gelegenheit, redend zur Ausführung zu bringen, was uns zutiefst an-geht, im Leben erhält und unseren Blick nach vorne hin öffnet. In ih-rer Form ist sie an die Kirche gebunden. Der Sache nach freilich ist sie viel zu wichtig, um nicht überall dort auch zu geschehen, wo Men-schen die Begegnung mit sich selbst und untereinander erleben kön-nen.
Im Oktober erscheint dieses Buch, das der Predigt die Öffentlichkeit der existentiell relevanten religiösen Rede zurückgeben möchte, im Verlag Vandenhoeck&Ruprecht:
Wilhelm Gräb
Predigtlehre. Über religiöse Rede
Göttingen 2013
coopyright: wilhelm gräb und religionsphilosophischer salon berlin