Auf der Suche nach dem verlorenen Gott: Religiöse Fragen französischer SchriftstellerINNen von heute

Ein Hinweis von Christian Modehn anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2017.

Am Ende dieses Beitrags befindet sich ein wichtiger Hinweis auf die Arbeiten des Theologen Jean – Pierre Jossua, Paris, zur religiösen Bedeutung der Poesie.

Der weltanschauliche Pluralismus in Frankreich ist „bunter“ als in anderen Ländern. In jeder Religion gibt es zudem noch eine große innere Vielfalt. Das gilt auch für den Katholizismus, zu dem sich heute nicht einmal mehr die Hälfte aller Franzosen bekennt. Diese Pluralität gilt für den Islam und die ebenfalls zahlenmäßig starken Religionen Judentum und Buddhismus. Jeder zweite Franzose nennt sich „agnostisch“, unentschieden im Ja oder Nein zu Gott. Das gilt für viele Schriftsteller. Die Gottesfrage ist für sie zwar nicht ganz tot, aber entscheidend ist die Freiheit, das Passende aus religiösen Traditionen auszuwählen. Religionssoziologen urteilen: Franzosen „basteln“ ihre eigene Spiritualität. Die Übersichtlichkeit von einst ist vorbei.

Bis 1960 standen „die“ katholischen Autoren, Mauriac, Bernanos, Mounier, Marcel, „den“ atheistischen Schriftstellern Sartre, de Beauvoir, Gide, Génet gegenüber.

Dabei waren katholischen Autoren nicht immer, wie Léon Bloy, treue Verteidiger der Kirchenlehre: Der ursprünglich extrem konservative George Bernanos entwickelte sich zum heftigen Kritiker der spanischen Kirche wegen ihrer Verquickung mit dem Franco-Regime. Es gab weltanschauliche Polemik, aber es wurden auch Brücken gebaut: Die katholische Kulturzeitschrift ESPRIT förderte in den dreißiger Jahren Debatten mit Atheisten. Katholische Autoren wie Paul Claudel wurden (und werden!) auf den großen Bühnen gespielt. Claudel trat in die Öffentlichkeit, als er von seiner plötzlichen Bekehrung in der Kathedrale Notre Dame berichtete.

Auch heute sind öffentliche Bekenntnisse zur eigenen Spiritualität unter Frankreichs Autoren beliebt. Sie sorgen dafür, dass religiöses Fragen und Suchen die Gesellschaft beleben. Jetzt bekennt der umstrittene Autor Michel Houellebecq: Seit jungen Jahren sei für ihn die Philosophie Schopenhauers maßgeblich, diese buddhistisch inspirierte Zustimmung zum leidvollen Leben. Dabei freut sich Houellebecq aber doch, dass sein „Meister“ „die kleinen Momente unvorhergesehenen Glücks, die kleinen Wunder, schätzte“. An Wunderbares glaubt Houellebecq ohnehin: „Ich habe eine Vorstellung von Religion, die der Magie nahe steht. Das Wunder beeindruckt mich“, sagte er 2015 der katholischen Zeitung „La Vie“. Anläßlich seines Romans „Unterwerfung“ habe er den Koran gelesen: Er bekennt: „Nur die Djihadisten sind es, die eine Islamphobie provozieren“.Houellebecq lehnt ausdrücklich den Atheismus ab und bekennt sich zum Agnostizismus. Das schließt sein Interesse für den Katholizismus wiederum nicht aus: Im Dezember 2013 lebte er für ein paar Tage als Gast im Benediktiner – Kloster in Ligugé bei Poitiers: Und freute sich, dass die Mönche ihn gern aufnahmen! In der Tageszeitung „Le Monde“ betonten sie sogar, mit welcher Begeisterung sie die Romane Houellbecqs lesen. Denn dieses spiegeln die Suchbewegungen der französischen Gesellschaft.

Im Kloster Ligugé lebt ein Mönch, der als Schriftsteller und Poet einen guten Ruf hat: Dabei ist Pater Francois Cassingena – Trévedy auch Historiker, Theologe und Komponist. Seine Gedichtssammlungen haben den Titel „Etincelles“ (Funken): „Ich bin überzeugt: In jedem Menschen gibt es etwas Hervorragendes, das man dringend bewahren muss. Der Poet berührt das Mysterium. Er bringt es zur Sprache, er gibt der Sprache die wahre Größe wieder“. Aber im Unterschied zu Houellebecq ist der Dichter- Mönch nicht an der „Unterwerfung“, sondern am Ungehorsam interessiert: „Der wahre Aufstand ist der fundamentale Widerstand gegen Lügen, Idole, Moden… Der Widerstand gegen alles, was in uns verhindert, das Wehen des Geistes, das Licht, den Blick in die Weite zuzulassen.“.

In eine neue Weite des Denkens gelangen, bei der auch christliche Spiritualität Orientierung bietet: Daran arbeitet jetzt der Schriftsteller Emmanuel Carrère: Er hat den viel beachteten Rom „Das Reich Gottes“ verfasst, eine Auseinandersetzung mit dem frühen Christentum als aktuelle Frage, was die damals propagierten Werte heute bedeuten können: „Einst war ich gläubig“, bekennt Carrère, „ich habe aber ein Verkümmern des Glaubens erlebt. An die Auferstehung kann ich heute nicht mehr glauben. Aber allein, dass es Jesus gibt, ist mir jetzt wichtig. In seinem Sinne erhalten die Armen und Schwachen einen privilegierten Zugang zum Reich Gottes“. Entscheidend ist für ihn: „Das Buch Reich Gottes ist vielleicht noch nicht beendet, die Suchbewegung geht weiter“.

An dem Menschen Jesus ist auch der in Deutschland bekannte Poet Yves Bonnefoy interessiert. Für ihn hat Jesus völlig Anteil an der Endlichkeit des Menschen, die Auferstehung kann Bonnefoy nur abweisen. Denn jede Vorstellung einer Verzauberung der Welt oder von einem Jenseits ist eine Art Entfremdung. Bonnefoy will das einfache Leben ohne Illusionen zu Wort bringen. Religiöse Dogmen dürfen nicht im öffentlichen Leben bestimmend sein. Darin ist er ein typischer Verteidiger der französischen laicité, der Trennung von Religionen und Staat.

Einige Schriftsteller beziehen sich noch auf christliche Traditionen, übertragen sie aber in eine weltliche Lebenspraxis: Zum Beispiel: Jean Christoph Rufin. Er ist ein viel gelesener Autor, Mitglied der berühmten Académie Francaise, er arbeitete als Arzt und Menschenrechtsaktivist. Nun hat er sich als überzeugter Agnostiker aufs Pilgern eingelassen, bis nach Santiago de Compostela war er unterwegs: Darüber hat er ein bewegendes, persönliches Buch geschrieben: „Der Jacobsweg entfernte mich spirituell von unwichtigen Dingen, um zum Wesentlichen zu kommen. Ich wollte dem Leben, nicht den beruflichen Verpflichtungen die Priorität geben. Aber mit meinem Buch will ich kein konfessionelles Bekenntnis abgeben.“ Trotzdem muss er eingestehen, dass Spiritualität sein Thema als Schriftsteller wohl werden könnte. Ein schwacher Hinweis für einen möglichen, neuen Glauben.

Heftiger Antiklerikalismus hingegen ist im heutigen Frankreich eher unter Philosophen zu finden, etwa bei Michel Onfray. Aber auch für die viel gelesene Schriftstellerin Virginie Despentes ist heftige Kirchenkritikerin üblich, ihr Eintreten für weitestgehende sexuelle Freizügigkeit ist mit kirchlicher Moral schwer vereinbar. Man denke etwa an ihre Romane „Baise moi“ oder „Das Leben des Vernon Subutex“.

Einen ganz anderen Schwerpunkt hat sich die auch in Deutschland bekannte Theater – Autorin Veronique Olmi in ihrem neuesten Roman vorgenommen: Sie erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Nonne: In ihrem Roman „Bakhita“ schildert sie das Leben einer, um 1860 geborenen, Sklavin aus dem Sudan: Gequält, vergewaltigt, wie ein Stück Vieh behandelt, hat Bakhita ihre inneren Widerstandsreserven entwickelt: Sie landet noch als Sklavin in Italien, wird befeit und tritt in Venedig in ein Kloster ein: Die Güte und Freundlichkeit der „schwarzen Nonne“ war so überwältigend, dass Bakhita im Jahr 2000 heilig gesprochen wurde. Veronique Olmi bekennt, in einer „sehr katholischen und bürgerlichen Familie groß geworden zu sein. Als junge Frau hat sie sich von der Kirche getrennt. Dann aber begegnet sie dieser ungewöhnlichen Bakhita: „Wo kommt bei der Frau dieses Licht her? Wie kann sie soviel Güte entwickeln bei all dem Leiden. Ihr innerer Widerstand bleibt ein Mysterium

Was mich beim Schreiben des Romans nicht verlassen hat: Ich fühle mich förmlich von dieser Frau beschützt…Diese meine Erfahrung ist noch zerbrechlich…“, bekennt Veronique Olmi. Der Roman hat im September 2017 den Preis des weltweiten Kulturkaufhauses FNAC erhalten.

Die Bindungen muslimischer SchriftstellerInnen in Frankreich (sie stammen oft aus Algerien oder Marokko) an „den“ Islam sind immer kritisch und gebrochen. Leíla Slimani, geboren 1981 in Marokko, hat schon als junge Autorin den hoch angesehenen Goncourt – Preis erhalten. Ihre Stimme wird gehört, zumal sie jetzt über die vielfachen Gründe der sexuellen Unterdrückung, vor allem der Frauen in Marokko, publiziert: Seit 21 Jahren lebt Slimani in Paris. Sie weiß von dem Problem, dass Islam – Kritik von rechtsextremer Seite missbraucht werden könnte. Dennoch fordert sie lautstark die Befreiung der Frauen im Sinne der universalen Menschenrechte, betont allerdings: Die Übermacht der Männer in Marokko sei nicht allein nur dem Islam zuzuschreiben, vielmehr hätte die europäische Kolonialherrschaft diese Macho – Tendenzen verstärkt.

Herrschaft und Brutalität in menschlichen Beziehungen legt unermüdlich Yasmina Reza frei, auch in ihrem neuen Roman mit dem durchaus bezeichnenden Titel „Babylon“: Die „gut“-bürgerlichen Ehen erscheinen als Beziehungen der Lüge. Bei den geringsten Anlässen kann das Wertegefüge zerbrechen. Diese Menschen erscheinen bei Reza als abgründige Wesen, sie entsprechen der üblichen Vorstellung von Babylon, dem Symbol für Verwirrung und Sittenlosigkeit. Mit der Erinnerung an Babylon als dem Nein zu einer göttlich gewollten menschlichen Welt werden letzte Reste einer biblisch geprägten Kultur noch von Ferne beschworen. Aber Religion, Gott, Glaube sind nur als beinahe unerreichbare „Hoffnungsfunken“ zu ahnen.

 

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Poesie als Weg zu Gott

Die ungewöhnlichen Studien des katholischen Theologen Jean-Pierre Jossua, Paris

 Ein französischer Theologe hat sich sein ganzes Leben mit der Suche nach dem Unendlichen, Sinnvollen, vielleicht auch Göttlichen in der modernen Literatur befasst: Das machen viele Theologen. Der Dominikaner Pater Jean – Pierre Jossua (Jahrgang 1930) ist ein ganz besonderer Theologe, der leider in Deutschland weithin unbekannt ist: Pater Jossua ist Dialogpartner für Dichter und Schriftsteller, etwa Yves Bonnefoy. Er will sie nicht belehren, sondern das Gesagte verstehen und das Ungesagte entziffern.

Zahlreiche große Studien sind Ausdruck dieser Haltung. Pater Jossua betont: „Die Poesie ist für unglaublich viele Menschen, und darunter sicher die besten, eine Form spiritueller Bewegung geworden. Poesie könnte für sie sogar die Religion ersetzen, die ihnen sonst wie tot vorkommt. Poesie könnte als ein Weg zu Gott, zum Absoluten, erscheinen. Tatsächlich möchte ich sagen: Die Poesie hat die Funktion des Gebets angenommen. Und das Gebet kann nur gewinnen, wenn es wieder die Form poetischer Qualität entdeckt“.

Von den zahlreichen Studien Jossuas soll hier nur erwähnt werden: „La passion de l infini: Littérature et théologie“. Nouvelles recherches. Paris 2011, Editions du Cerf.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin. Dieser Beitrag wurde im Oktober 2017 in leicht verkürzter Form in “PUBLIK FORUM” veröffentlicht.