Wenn der Klerus die Gläubigen vertreibt. Der Zusammenbruch der katholischen Kirche in Frankreich heute.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Vorwort 1:
Eine bestimmte Kultur verschwindet in Europa: Die von den Kirchen, zumal der katholischen Kirche, geprägte Kultur. Das Verschwinden wird sichtbar nicht nur am Umgang mit „nicht mehr verwendbaren Kirchen-Gebäuden“, auch am Mangel an „klerikalem Personal“, an der Vergreisung des Klerus, dem Zusammenschluss vieler Gemeinden zu einer einzigen anonymen, so genannten „Groß-Gemeinde“, sondern vor allem im systematischen Abschied („Austritt“) vieler (einst?) religiöser Menschen (Kirchenmitglieder). In den letzten Jahren vertreibt der geradezu massenhafte sexuelle Missbrauch durch angeblich zölibatäre Kletiker, auch Bischöfe, die Gläubigen. Sie können und wollen einem Kirchensystem nicht mehr vertrauen, das total von diesem Klerus beherrscht wird.

Dieser Trend wird seit Jahrzehnten dokumentiert in zahllosen soziologischen Untersuchungen. Unser Thema ist also alles andere als ein „bloß-kirchliches“. Es ist ein Thema des kulturellen Umbruchs. Wohin dieser Abschied von den Kirchen führt, philosophisch: zu welchen neuen Göttern er führt, ist bereits sichtbar: Für die westliche Welt sprach bereits Pasolini vom all-herrschenden Konsumismus…Aber das ist ein anderes Thema.
Die Situation im Nachbarland Frankreich ist dabei besonders erhellend bzw. „dramatisch“, wenn man in einem kirchlichen Werte-System denkt. In Frankreich ist die entsprechende religionssoziologische Forschung seit Jahrzehnten sehr viel umfassender als etwa in Deutschland…

Vorwort 2:
Dieser Beitrag wurde von mir am 15.5.2023 verfasst, und am 26.5.2023 in der Zeitschrift „Publik-Forum“ (Seite 38 f.) veröffentlicht. Unter dem von der Redaktion bestimmten Titel „Die Katastrophen-Kirche“. Dieser Titel wurde durch ein Foto vom verheerenden Brand der Kathedrale Notre Dame de Paris illustriert. Dabei ging es mir nur um den Zusammenhang: Französische Kleriker in ihrer nun öffentlichen, nachweislichen Perversion zerstören diese Kirche, zerstören den katholischen Glauben…natürlich gilt dieses Urteil nur vorausgesetzt, man findet diese (Klerus-)Kirche noch persönlich relevant…
Vorwort 3:
Nach der Veröffentlichung in PUBLIK FORUM Ende Mai 2023 wurden immer mehr Untaten des französischen Klerus freigelegt … und neueste Umfragen dokumentieren weiter den Niedergang des französischen Katholizismus sowie den Trend zu einem konservativen, oft reaktionären frommen Club der „Tradis“, wie man in Frankreich sagt, also der „Traditionalisten“. Der weit gefasste Begriff „Tradis“ bezieht sich auf die Nostalgiker und Verteidiger der alten lateinischen Messe, der hierarchischen Ordnung, des Systems der Dogmen und katholischen Moral. Also der Begriff „Tradi“ ist weiter als der übliche Begriff der Traditionalisten, vertreten durch die Pius-Brüder: Sie folgen explizit zu den Überzeugungen des reaktionären Chefideologen und Konzils-Feindes Erzbischof Marcel Lefèbvre und seiner katholischen Sonder-Gruppe…

Intermezzo:
Wenn der Papst lieber tagelang in die Mongolei reist und nur einen einzigen Tag in Frankreich zu bleibt.
Es erstaunt, dass diese von Krisen zerrissene, theologisch gespaltene, personell völlig ausgelaugte Kirche von Papst Franziskus an einem einzigen Tag, am 23. September 2023, in Marseille, besucht werden wird!……Viele Beobachter schmunzeln heftig, dass Papst Franziskus die 1.300 Katholiken (sic) der Mongolei (3,5 Millionen Einwohner) 5 Tage lang (vom 31.8.bis 4.9.2023) besuchen wird, offenbar will er jedem der dortigen Katholiken persönlich die Hand schütteln etc. Oder er will in der Hauptstadt Ulaanbaatar, also in der Nachbarschaft Russland UND Chinas, seine exklusiv-päpstliche Friedensmission zugunsten der Ukraine (?) starten…
Aber in Frankreich müsste der Papst wohl ein Jahr bleiben, um den Niedergang seiner Kirche dort zu erleben… Mit diesen Worten ist selbstverständlich nichts gegen die Mongolei gesagt…Aber vieles gesagt über die gar nicht so heftigen Interessen des Papstes an Europa, etwa an Frankreich, Deutschland (die causa Woelki!) , die Niederlande usw.

Vorwort 4.
Der folgende Beitrag wird ergänzt durch Hinweise auf neueste Entwicklungen, diese Hinweise sind kursiv gesetzt. Die Fußnoten sind wie üblich als Belege der Authentizität gemeint.

Vorwort 5. Die ganze gegenwärtige Katastrophe wurde schon Ende des 20. Jahrhunderts sichtbar:

Es wird daran erinnert, dass im Jahr 2000 der Priester René Bissey zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde wegen heftigsten sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendichen. Bissey war Priester des Bistum Lisieux-Bayeux. 2001 wurde der dortige Bischof Pierre Pican zu drei Monaten Gefängnis (mit Aufschub, wie es in Frankreich heißt) verurteilt. Der Bischof hatte in vollem Wissen über die “Neigungen” Bisseys diesen immer wieder in andere Pfarrgemeinden versetzt. Der Leiter der päpstlichen “Kleruskommission” in Rom, Kardinal Castrillon Hoyos (aus Kolumbien) lobte explizit Bischof Pican für sein Verhalten! Pican berief sich auf das Beichtgeheimnis (!) als Grund, den Priester Bissey nicht angezeigt zu haben. Und Kardinal Castrillon Hoyos betonte überdies, dass Papst Johannes Paul II. ihn ermächtigt habe, diesen “Gratulationsbrief” an Bischof Pierre Pican zu senden. Es warals auch im Sinne des polnischen Papstes  richtig, dass Kleriker andere Kleriker schützen und deren Untaten vertuschen! (Quelle: Corrdo Augias, Die Geheimniss des Vatikan”, München 2011, S. 447).

Bischof Pican blieb trotz des damals schon heftigen Sklandals bis 2010 Bischof von Lisieux. Pierre Pican (aus dem Salesianerorden) war also munter weiter Teil der Bischofskonferenz, es blieb also alles “ganz normal”, wie gehabt in Kleruskreisen, der als Klerus nur das eine Ziel hat: Sich selbst in seiner über alles und alle erhobenen Sonderrolle zu schützen … und zusammenzuhalten. Die anderen Priester sind doch alle, so die offizielle Sprachregelung in diesen Kreisen, Mit-Brüder…Einen Bruder verrät man doch nicht. Das ist doch auch das Grundgesetz der Mafia…

Vorwort 6.

Der “Aufstand” die “Krawalle”, die Rebellion in Frankreich seit Ende Juni 2023 hat auch die Religionsführer zu Stellungnahmen veranlasst. Der Katholischen Bischofskonferenz fiel bis zum 3.Juli 2023 nichts anderes ein, als ein Gebet zu formulieren: Es soll in den Messen und privat gesprochen werden. LINK.

DER TEXT:
(Der Text, an PUBLIK-Forum übermittelt, vor der redaktionellen Bearbeitung!)
1.
„Die französische Kirche ist die älteste Tochter der Mutterkirche in Rom.“ Das war der Stolz von Frankreichs Katholiken: Diese gotischen Kathedralen, die Wallfahrtsorte, die MystikerInnen und MissionarInnen, man dachte an berühmte katholischen Dichter und Philosophen, an Konzils-Theologen und Arbeiterpriester: Alles galt als Beweis, dass Gottes Geist in dieser Kirche herrscht.
2..
Und jetzt scheint die „älteste Tochter der Kirche“ von guten Geistern verlassen zu sein, sie ist ausgezehrt und abgemagert. Diese Diagnosen stellen Religionssoziologen. Guillaume Cuchet gibt seiner neuesten Studie den Titel: „Hat der Katholizismus noch eine Zukunft in Frankreich?“ (1). Durchaus eine rhetorische Frage. Genauso der aktuelle Titel der Religionssoziologen Danièle Hervieu-Léger und Jean-Louis Schlegel: „Implodiert die Kirche?“ (2). Ihnen sagt eine Religionslehrerin: „Bei uns ist das Christentum am Ende“. Die Katechetin (73 Jahre alt) soll 1.500 SchülerInnen an staatlichen Schulen den Glauben lehren. Nur 11 haben sich angemeldet (3).
3.
Repräsentative Umfragen der Religionssoziologen zeigen ungeschminkt die Realität: 29 % der Franzosen bekennen sich 2023 zur katholischen Kirche, vor 12 Jahren waren es 64 % (4). Die stärkste „Konfession“ bilden jetzt Atheisten und Skeptiker, noch vor den Muslims. An der Sonntagsmesse nehmen regelmäßig 2 % der Gläubigen teil, vor 50 Jahren waren es 16 %. Die Kirche hat bald kein klerikales Personal mehr: Nur 130 Priester wurden 2022 geweiht, 800 sind in dem Jahr gestorben (5). Knapp die Hälfte der Kleriker ist jünger als 75 Jahre. Überleben können die Pfarrgemeinden nur durch den „Import“ von 2.000 Priestern aus Afrika. Auf dem Land versorgt ein Priester 20 Dorfgemeinden, „sie sind nur Mess-Feier-Stationen“ geworden. Priester werden im Stress krank: Eine Studie der Bischofskonferenz zeigt: Viele sind depressiv, Suizid gefährdet, neigen zum Alkoholismus, zur Fettleibigkeit…(6). Nur wenige Laientheologe arbeiten in den Pfarreien, ein angemessenes Gehalt können die Bischöfe nicht zahlen (8). Ohne Kirchensteuer, überlebt die französische Kirche durch Spenden. 650 Millionen Euro standen der ganzen Kirche Frankreichs 2020 zur Verfügung (7). Alle Diözesan-Priester, auch die 118 Bischöfe, erhalten das Einheits-Gehalt von etwa 1.600 Euro, eine Folge der Trennung von Kirchen und Staat. Aber diese „laicité“ wird als „Ausdruck der kirchlichen Freiheit“ von Bischöfen akzeptiert!
4.
Ideologische Angriffe hat die Kirche oft erlebt, jetzt häuft sich der Vandalismus in Gotteshäusern (9). Unklar ist: Sind Islamisten, Verwirrte, Atheisten die Täter? Aber Attacken sind Antworten auf Missstände innerhalb der Kirche! Die aktuelle Krise ist eine „innere Krankheit“, ein Zusammenbruch des „Leibes Christi“, so definiert sich ja der Katholizismus.
5.
Von „schweren Erdbeben“ (10) spricht Danièle Hervieu-Leger. Auf Dauer grundstürzend ist das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester, aber auch einige Nonnen. Die Studie einer kirchenunabhängigen (!) Kommission unter Leitung des Juristen Jean-Marc Sauvé hat 2021 dokumentiert: Mindestens 216.000 Kinder und Jugendliche wurden seit 1950 Opfer sexueller Gewalt durch etwa 3000 klerikale Täter (11). Die Antwort der Bischofskonferenz? „Das kirchliche System muss repariert werden“. „Reparaturen“ also, keine Reformation! Bis zu 60.000 Euro „Schmerzensgeld“ sollen die Opfer erhalten. Die Kirche könnte bald bankrott sein. Kaum zu heilen ist die Zerstörung des Vertrauens in „den“ Klerus.
6.
Das „Erdbeben“ hat Epizentren. Seit etwa 1980 ließen sich die Bischöfe begeistern von neuen „geistlichen Gemeinschaften“. Sie zeigten als Laien – Initiativen unter klerikaler Aufsicht einen charismatisch – pfingstlerischen Elan, immer freundlich-lächelnd, aber streng römisch. Ihre jungen Priester wandelten in der Soutane predigend an den Badestränden der Cote d` Azur oder sangen als „Missionare” fromme Liedchen auf den Champs-Elysées. Die exzentrischen Titel der Gemeinschaften: „Theophanie“, „Gemeinschaft der Seligpreisungen“, „Offenes Herz“, „Kleine Brüder der Ernte der Barmherzigkeit“, „Emmanuel“ usw…(12).
7.
In ihrer Sehnsucht nach Halt und Autoritäten meinten die Frommen endlich „Seelenführer“ zu haben: Aber viele Begeisterte wurden zu Opfern, missbraucht, erniedrigt von ihren Pères, den klerikalen „Vätern“! Jetzt klagen die Opfer an: Geistliche Meister seien „kranke Sexmonster“. Dem Missbrauch überführt wurden die Brüder Philippe, beide Dominikanerpatres, beide hoch verehrt und charismatisch angeblich begabt (13). In der Ordensgemeinschaft „St. Jean“ (14) wurden 27 Brüder des sexuellen Missbrauchs überführt. Der einst von Bischöfen hoch verehrte „Anti-Homo-Therapeut“, Pater Tony Anatrella (15), wurde wegen sexuellen Missbrauchs aus dem Priesteramt entlassen. So erging es auch dem Mystik-Spezialisten Pater Jean-Francois Six (16). Jean Vanier, wie ein Heiliger verehrt als Gründer der Arche-Gemeinschaften für Behinderte, wurde der sexuellen Belästigung überführt (17). Auch der bekannte Musiker und Komponist religiöser Lieder und Oratorien, Pater André Gouzes, Dominikaner, Leiter des bekannten Kulturzentrum Sylvanès, wurde der Vergewaltigung eines Kindes, Knaben, angeklagt. Pater Gouzes leidet seit 2018 an Alzheimer. Seine sehr in Mystische weisenden, sehr beliebten Kompositionen und Lieder, werden seit der Freilegung der Untat nicht mehr in den Kirchen gesungen, berichtet wikipedia France, …. ob dies nun eine richtige Reaktion ist, bleibt sehr die Frage! ( Fußnote 39)

Das Fazit: Geistliche „Führer“ sind oft Verbrecher, sie vertreiben Gläubige aus der Kirche.
8.
Der sexuelle Missbrauch durch Bischöfe ist alles andere als ein Einzelfall: Kardinal Philippe Barbarin (Lyon) wurde wegen Vertuschung der Verbrechen eines Priesters (Pater Bernard Preynat) zu 6 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, nach einer Berufung aber freigesprochen. Jetzt wohnt er bei den „Schwestern der Armen“ (18). Francois Ozon hat über den „Fall Barbarin“ einen großartigen Film gedreht (19).
Auch Jean-Pierre Richard, Kardinal emeritus von Bordeaux, wurde des sexuellen Missbrauchs überführt (20), ebenso der ehemalige Erzbischof von Straßburg Jean-Pierre Grallet (21). Der Bischof von Creteil, Michel Santier (22) wurde wegen Belästigungen junger Männer abgesetzt. Er ist Gründer der charismatischen Gemeinschaft „Freue dich“. Der Erzbischof von Paris, Michel Aupetit (23) wurde wegen einer Affäre mit einer Frau seines Amtes enthoben. Der Nuntius in Paris, Luigi Ventura (24) wurde wegen sexueller Aggression gegenüber jungen Männern angeklagt, er flüchtete in den Vatikan. Der Erzbischof von Straßburg, Luc Ravel (25), wurde abgesetzt wegen allzu autoritären Verhaltens, heißt es. Sein tatsächliches Vergehen ist eher sein frühes Eintreten für die rechtsextreme Ideologie der „Umvolkung Frankreichs durch Muslime“. Der Bischof von Fréjus-Toulon, Dominique Rey, steht wegen seiner extrem-konservativen Theologie und Pastoral im Visier einer Prüfungskommission des Vatikans! (26).
Die Konsequenz: Viele Gläubige sind „fassungslos“, entsetzt, schreien ihre Wut, sind aller Zuversicht beraubt.

Jetzt wird Bischof Hervé Gosselin (Angouleme) angeklagt, als verantwortlicher Priester eines „Foyer de Charité“ (in Tressaint) sexuelle Untaten gegenüber Frauen dort ignoriert und vertuscht zu haben. Diese geistlichen Zentren, „Foyers der Liebe“ ausgerechnet genannt, sind inspiriert von der angeblich stigmatisierten Frau Marte Robin, die wie eine Heilige und Wundertäterin verehrt wurde und noch wird. Aber nun haben Studien nachgewiesen, dass Madame Robin eigentlich eine Scharlatanin war. Auch Jean Vanier, der Gründer der Arche-Gemeinschaften, war mit Madame Robin befreundet…(Fußnote 35)
Bischof Georges Colomb (La Rochelle) hat jetzt sein Amt niedergelegt, nachdem bekannt wurde, dass er sexuellen Missbrauch an jungen Männern betrieben hat, die damals Gäste seines Hauses der Missionsgesellschaft „Mission Etrangères de Paris“ (MEP) in Paris waren. Colombo war spezialisiert auf umfassende Massagen an jungen Männern, das hat die katholische Tageszeitung „La Croix“ lang und breit jetzt dargestellt. ( Fußnote 36)
Ebenfalls der Missionsgesellschaft von Paris (sie entsandte Priester nach China, Japan, Thailand usw.) gehört der Weihbischof von Strasbourg, Mgr. Gilles Reithinger, an. Ihm wird vorgeworfen, ihm mitgeteilte Anklagen wegen sexuellen Missbrauchs durch Georges Colombo ignoriert zu haben. Colomb war damals in Paris der oberste Chef der Missionsgesellschaft in der Rue du Bac, im 6. Arrondissement, mit einem der größten wunderbaren innerstädtischen Privat-ParkGarten, das nur nebenbei. ( Fußnote 37)

9.
Die traditionalistische Gemeinschaft der Pius-Brüder hat sich in Frankreich als Rom-unabhängige Parallelkirche umfassend stabilisiert, mit mindestens 100.000 Gläubigen. Ihre Verbundenheit mit Rechtsextremen ist evident. 40 % aller (!) Katholiken haben 2022 im 1. Wahlgang Le Pen und Zemmour gewählt! (34).
10.
Wer als junger katholischer Franzose die Menschenrechte genauso wichtig findet wie das Evangelium, hat die Kirche längst verlassen. Die katholische Linke, 1980 noch lebendig stark, ist fast verschwunden. Politischen Pluralismus gibt es kaum noch im französischen Katholizismus. Einst große Organisationen wie die Christliche Arbeiterjugend (JOC) haben noch 6.000 Mitglieder (27). Von der JOC geprägt sind die neuen linken Gewerkschaftsführer Sophie Binet und Laurent Berger (28).

Über „junge Katholiken in Frankreich“ fand kürzlich wieder eine repräsentative Umfrage statt: Einige Ergebnisse:
30.000 junge katholische Franzosen werden an den katholischen „Weltjugendtagen“ in Lissabon teilnehmen. Es sind vor allem sehr fromme, eher „Tradi“- Katholiken, die noch an der Messe teilnehmen und durchaus auch die alte lateinische Liturgie lieben.
Interessant ist die politische Orientierung dieser sich selbst sehr fromm nennenden jungen Katholiken:
1% optieren für die extreme Linke.
6% für die anderen linken Parteien
5% für die „Ökologen“
8% für das Zentrum
38% für dieRechten
14% für die Rechtsextremen Parteien!
28% haben keine präzise politische Meinung oder wollen sich nicht äußern.
Über die Hälfte der befragten praktizierenden jungen Katholiken hat also Sympathien für rechte und rechtsextreme Parteien. (Fußnote 38)
Die Tageszeitung „La Croix“ kommentiert am 25.5.2023 die große Umfrage unter den wenigen katholisch sich nennenden Katholiken: „Diese Umfrage zeigt tatsächlich, dass diese jungen Leute von der Kirche NICHT erwarten, dass sie sich verändert. Und die Rolle der ^Kirche in der Gesellschaft sehen sie so: 59% antworten, die Kirche solle ein Leuchtturm sein, die den Weg zeigt in der Finsternis (ténèbres). Das Vertrauen dieser jungen Leute in die kirchliche Institution scheint im Widerspruch zu stehen zu den vielfältigen Enthüllungen sexueller Gewalt (des Klerus) in den letzten Jahren“. Nur 12% der befragten jungen Leute meinen: Die Kirche soll eine Bewegung der Emanzipation sein, die den Sinn für die Verantwortung und des Kampfes gegen die Ungerechtigkeiten entwickelt“. Dazu passt auch die theologische Überzeugung dieser jungen Katholiken: Nur 14% meinen, dass Männer und Frauen total gleich (gleichberechtigt) sind, und das gilt auch für den Zugang zum Priesteramt.
11.
Vom „Erdbeben“ ihrer Kirche lassen sich nur die konservativen Katholiken nicht erschüttern. „Observanten“ genannt, beobachten und respektieren sie die Dogmen genau (29). Oft gehören sie gut-etablierten Kreisen an, aus ihren Familien stammen viele junge Priester. Sie sammeln sich in der konservativen Gemeinschaft „St. Martin“ (30). Wie die meisten praktizierenden Katholiken sind sie politisch militant (Anti „Homo-Ehe“, aber „Pro Life“), immer eng vernetzt mit rechten Parteien.
12.
Zum Niedergang ihrer Kirche äußern sich französische Theologen nur zurückhaltend. Ausgerechnet Anselm Grün ist in Frankreich der am meisten gelesene Theologe! (31). An 2 staatlichen Universitäten in Elsass-Lothringen wird Theologie gelehrt, sonst in kirchlich kontrollierten Instituten. Einige Theologinnen kämpfen noch für „synodale Strukturen“ (32).
13.
Der Katholizismus wird als kulturelle Tradition (Kathedralen, Klöster und geistliche Musik) weiterhin ein interessiertes Publik finden (33). Aber die Gemeinschaft der „Praktizierenden“ muss wählen: Will sie eine kleine, aber offene Minderheit sein … oder im Getto eine rechtslastige Sekte? Aber den Weg bestimmt, wie überall, auch in Frankreich der Klerus, nicht die synodale Gemeinschaft aller Glaubenden.

Christian Modehn hat als Journalist und Theologe viele Jahre, auch für PUBLIK-Forum und die ARD-Sender, über Frankreich berichtet. In seinem Buch „Religion in Frankreich“ (1993) fielen seine Analysen noch etwas zuversichtlicher aus.
COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die Fussnoten:

1
Guillaume Cuchet „Le Catholicisme a-t-il de l avenir en France?“, Editions du seuil, Paris Sept. 2021

2
„Vers L implosion?“ Danièle Hervieu-Léger et Jean-Louis Schlegel, Editions du seuil, mai 2022,

3
Zit. S .165

4
https://www.insee.fr/fr/statistiques/6793308?sommaire=6793391
Und :

Statistiques de l’Église catholique en France

5
So Jean-Louis Schlegel, in der Tages-Zeitung: „Ouest-France“, 28.3.2022,.
Zum Alter der Priester: L’âge médian des prêtres en France est supérieur à 75 ans. Autrement dit, il y a autant de prêtres ayant plus de 75 ans, que de prêtres ayant moins de 75 ans. Quelle: Quelle: https://synonyme-du-mot.com/les-articles/quel-est-lage-moyen-des-pretres-en-france

6
https://www.le figaro.fr/actualite-france/la-depression-n-epargne-pas-les-pretres-dans-l-eglise-catholique-20201126
Auch: https://www.la-croix.com/Religion/rapport-inedit-ausculte-sante-pretres-2020-11-25-1201126613

7
https://www.eurel.info/spip.php?article987&lang=fr

8
https://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/France/Dans-paroisses-salaries-comme-autres-2017-04-03-1200836870
Und:
https://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/France/Mieux-reconnaitre-role-laics-mission-ecclesiale-2020-03-16-1201084398

9
https://fr.aleteia.org/2023/03/28/vandalisme-deglises-en-ile-de-france-les-pilleurs-condamnes-jusqua-trois-ans-de-prison/

10
Zit. Seite 100 in „Vers l Implosion?

11
Viele Studien, Kommentare dazu, etwa: https://www.lemonde.fr/societe/article/2021/10/05/pedocriminalite-dans-l-eglise-330-000-victimes-estimees-depuis-1950-selon-les-travaux-de-la-commission-sauve_6097191_3224.html

12
Eine neue umfassende, aber oft persönlich gefärbte Studie über Missbrauch in den so genannten Geistlichen Gemeinschaften: Céline Hoyeau u.a., „Der Verrat der Seelenführer“, aus dem Französ., Herder – Verlag 2023.

13
Die beiden Brüder Philippe : beide Dominikaner. Viele Berichte, sogar kritisch vom Christlichen Radio RCF: https://www.rcf.fr/articles/actualite/les-freres-philippe-une-tragedie-chez-les-dominicains

14
Zur Gemeinschaft St. Jean, siehe etwa: S. 279 in Buch von C. Hoyeau.

15
Pater Anatrella: viele Berichte über diesen auch in Rom äußerst einflußreichen „Psychologen“ etwa: https://www.ouest-france.fr/faits-divers/violence-sexuelle/le-pere-tony-anatrella-psy-de-l-eglise-soupconne-d-abus-sexuels-condamne-mais-pas-defroque-f8891442-9697-11ed-a0e2-3c14145668d8
Auf Deutsch u.a.: https://vweb009.katholisch.de/artikel/43251-ordensmann-kirche-hat-ex-vatikan-berater-buchstaeblich-geschuetzt

16
Pater J.Fr. SIX, https://www.la-croix.com/Religion/Abus-sexuels-Jean-Francois-Six-definitivement-renvoye-letat-clerical-2022-06-21-1201221194, sehr viel mehr noch bei wikipedia France: https://fr.wikipedia.org/wiki/Jean-Fran%C3%A7ois_Six

17
Zu Jean Vanier siehe auch Fußn. 13, oder https://eglise.catholique.fr/espace-presse/communiques-de-presse/493611-revelations-jean-vanier/
Oder: BBC: https://www.bbc.com/news/world-51596516
Auch der Gründer der bekannten neuen Ordensgemeinschaft „Communauté de Jerusalem“ (etwa in der Kirche St.Gervais in Paris) Pater Pierre-Marie Delfieux wurde der sexuellen Belästigungen und des spirituellen Missbrauchs angeklagt…siehe: https://www.lavie.fr/christianisme/eglise/enquete-les-fraternites-de-jerusalem-affrontent-leur-histoire-marquee-par-les-abus-spirituels-69194.php

18
Zum Fall Kardinal Barbarin siehe auch das politische Magazin le Point 31.1.2021: https://www.lepoint.fr/religion/aumonier-en-bretagne-le-cardinal-barbarin-se-fait-oublier-31-01-2021-2411989_3958.php. Von 2019 auch interessant: Libération: https://www.liberation.fr/france/2019/03/07/cardinal-barbarin-un-retrograde-qui-a-pris-du-galon_1713721/

19
Der Film des bekannten Regisseurs Ozon: „Grace à Dieu“. Unter den vielen Würdigungen: https://www.leparisien.fr/societe/affaire-barbarin-le-film-grace-a-dieu-beni-par-le-clerge-06-03-2019-8026308.php. der Film lief auch in deutschen Kinos und im Fernsehen…

20
Kard. Richard : https://www.lepoint.fr/societe/le-cardinal-jean-pierre-ricard-au-coeur-d-une-nouvelle-affaire-07-11-2022-2496790_23.php

21.
Erzbischof Grallet, https://www.lemonde.fr/m-le-mag/article/2022/11/27/qui-est-jean-pierre-grallet-l-ancien-archeveque-accuse-d-agression-sexuelle_6151824_4500055.html

22
Bischof Santier , https://www.liberation.fr/societe/religions/leglise-catholique-atterree-par-les-strip-confessions-de-leveque-santier-20221019_7HTTSYLIXNHT5IAL6IM5A67J4I/

23
Erzbischof Aupetit . Unter anderem: https://www.leparisien.fr/societe/comportement-ambigu-avec-une-femme-mgr-michel-aupetit-larcheveque-de-paris-a-presente-sa-demission-26-11-2021-OFB7SWTLRNGV7KEES3OWNGARTY.php

24
Nuntius Ventura . u.a.: https://www.liberation.fr/france/2020/07/28/affaire-du-nonce-ventura-un-proces-historique-a-paris_1795345/

25
Erzbischof Ravel https://www.la-croix.com/Religion/Diocese-Strasbourg-Mgr-Luc-Ravel-demissionne-2023-04-20-1201264241
Der Erzbischof vertritt die „Umvolkung“, Details https://religionsphilosophischer-salon.de/9423_rechtsextreme-ideen-werden-vom-strassburger-erzbischof-luc-ravel-propagiert_gott-in-frankreich. Beitrag von Christian Modehn

26
Bischof Rey ist eine Hauptfigur eines reaktionären Klerus, über seine Nähe zur damaligen Partei „Front National“wurde oft berichte . Er hat „sein“ Bistum Fréjus-Toulon zu einem Hauptquartier der extrem konservativen neuen geistlichen Gemeinschaft gemacht. Das wurde nun selbst dem Vatikan zu viel… https://www.liberation.fr/societe/religions/dominique-rey-eveque-reac-dans-le-collimateur-du-vatican-20220602_QVJD4K5UWVFEFHVVHSGNFLLYAA/
Auch: https://www.la-croix.com/Religion/Diocese-Frejus-Toulon-derives-locales-sanction-romaine-2022-06-13-1201219757

27
JOC, http://www.joc.asso.fr/

28
Die Gewerkschaftsführer Sophie Binet und Laurent Berger als Mitglieder der JOC:
https://www.ouest-france.fr/economie/social/la-joc-un-tremplin-pour-le-syndicalisme-lexemple-de-laurent-berger-cfdt-et-sophie-binet-cgt-5196b7e8-d2ba-11ed-8286-f025829e4b1d

29
Zu den „Observanten“, also den „strengen Beobachtern der Dogmen: Yann Raison du Cleuziou, „Le catholicisme observant, Une élite des familles engagées dans la restauration de l église et le la société française. In : „Ethnographies du catholicisme contemporain“ (Sammelband) Paris 2021, dort S.141 – 151.

30
Gemeinschaft St. Martin offizielle website sehr „hübsche“ Bilder. Diese konservative Kletiker-Gemeinschaft ist auch im Erzbistum Köln, in Nerviges, tätig, wie auch die oben genannte Gemeinschaft „Jerusalem“ in Köln.

Accueil – Communauté Saint Martin


Viele kritische Untersuchungen, etwa: https://www.rue89lyon.fr/2022/10/11/pas-si-tradi-la-communaute-de-saint-martin-le-progres-savance-un-peu-vite-et-se-corrige/
Auch: https://www.liberation.fr/societe/religions/les-cathos-identitaires-de-la-communaute-saint-martin-a-la-conquete-de-la-france-20220320_G4WJM2HQ2FHLXAM26IQVBGCM7A/

31
Zu Anselm Grün: Sie e dazu wiki France: ca. 40 Titel auf Französisch. https://fr.wikipedia.org/wiki/Anselm_Gr%C3%BCn

32
Theologinnen, Nonnen , u.a. Schwester Nathalie:. https://www.vaticannews.va/fr/eglise/news/2022-10/s-ur-nathalie-becquart-synode-synodalite-entretien.html

Den „Archaismus“ des synodalen Prozesses kritisiert Danièle Hervieu-Leger, s. 374 ff

33
Kulturkatholizismus, aktuell: https://www.vie-publique.fr/questions-reponses/286218-le-patrimoine-religieux-et-les-communes-le-point-en-cinq-questions

34
Pius Brüder in Frankreich: Offiziell:

Accueil

Unter vielen Kritiken: 
https://charliehebdo.fr/2022/11/societe/education/integrisme-fraternite-saint-pie-x-ecole/

https://www.nouvelobs.com/education/20170719.OBS2319/integrisme-racisme-j-ai-ete-eleve-a-la-fraternite-saint-pie-x.html

35

zu Bischof Gosselin:

https://www.la-croix.com/Religion/Mgr-Herve-Gosselin-accuse-davoir-couvert-abus-Foyer-Charite-Tressaint-2023-06-15-1201271664

36

zu Bischof Colomb:

https://www.la-croix.com/Religion/Abus-sexuels-Missions-etrangeres-Paris-chronologie-differentes-affaires-2023-06-14-1201271491

https://www.la-croix.com/Religion/Accuse-dagression-sexuelle-Mgr-Georges-Colomb-mettre-retrait-diocese-La-Rochelle-2023-06-13-1201271397

37 zu Bischof Reithinger:

https://www.la-croix.com/Religion/Abus-sexuels-Missions-etrangeres-Paris-chronologie-differentes-affaires-2023-06-14-1201271491

https://www.la-croix.com/Religion/Accuse-dagression-sexuelle-Mgr-Georges-Colomb-mettre-retrait-diocese-La-Rochelle-2023-06-13-1201271397

38

Junge Leute und Kirche:

https://www.la-croix.com/Religion/JMJ-jeunes-catholiques-fervents-contre-courant-notre-sondage-exclusif-2023-05-25-1201268810

39

Pater André Gouzes OP: https://fr.wikipedia.org/wiki/Andr%C3%A9_Gouzes

COPYRIGHT: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die französischen Bischöfe sind nicht gegen Marine Le Pen. Die Schande.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.4.2022. Wieder ist Religionskritik und Kirchenkritik eine aktuelle Hauptaufgabe der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie…

Die angesehene katholische Tageszeitung “La Croix”, Paris, publiziert am 20.4.2022 ein Interview mit dem katholischen Soziologen und Theologen Jean-Marie Donegani, Paris, über die immer größere Bereitschaft der Katholiken, der so genannten praktizierenden Katholiken besonders,  für die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen am 24.4.2022 zu stimmen.

Die Nerven in Frankreich liegen blank, einige Tage vor der entscheidenden Präsidentschaftswahl. Wird die rechtsextreme Marine le Pen Präsidentin? Dann hätte auch Europa riesige Probleme, zusätzlich zum Krieg Putins gegen die Ukraine und der Covid-Pandemie usw…

Und das Unglaubliche, aber Faktische ist: Etwa 40 % der praktizierenden Katholiken haben im ersten Wahlgang bereits rechtsextrem gewählt. Sie folgen damit der Mutlosigkeit, Ignoranz und Demokratiefeindlichkeit (?) der französischen Bichöfe, die offiell in ihren Verlautbarungen nicht vor den Rechtsextremen warnten und damit alle Prinzipien der katholischen Soziallehren ignorierten. Sind diese Herren Bischöfe selbst etwas sehr rechtslastig? Bei einigen, wie dem Bischof von Fréjus oder von Bayonne, ist diese Tendenz allgemein bekannt!

Professor Donegani sagt in dem Interview u.a.:

“Eine Sache erstaunt mich, nämlich, dass die Bischöfe meinen, den Katholiken bloß zu sagen: “Tut, was ihr richtig findet” anstelle von “Gebt acht bei dieser Wahl”. Die Stellungnahme der Bischöfe scheint mir nicht sehr intelligent zu sein. An der Banalisierung der extremen Rechten teilzunehmen, ist nicht sehr hilfreich, das wird sogar kontraproduktiv sein. Die Kirche beansprucht immer, die Gewissen der Menschen zu prägen, dann hätte sie in ihrer Stellungnahme zur Wahl sehr viel weiter gehen müssen. … Man kann der extremen Rechten nicht seine Stimme geben, wenn diese Partei etwas Böses und Übles banalisiert. Das Übel und das Böse, das ist für diese Partei die Feier und Bejahung der Ungleichheit, der Kultur des Hasses und der Spaltung der Gesellschaft”.

Am 24.4.2022 werden im Fall eines Wahlsieges von Le Pen die Bischöfe scheinheilig sagen: “Wir haben doch unser Bestes getan. Wir sind wie immer ohne Schuld”.

Das ist aber falsch: Diese denkfaulen Bischöfe haben dann den Wahlsieg der Rechtsextremen zugelassen, wenn nicht befördert. Das ist die Wahrheit, die dann wie üblich kein Kleriker hören und akzeptieren wird. Die geistig noch wachen Katholiken werden weiter in Scharen dieser Kleriker-Kirchen fern bleiben. Und ihren christlichen Glauben auf eigene Art leben.

copyright: Christian Modehn, Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin.

 

 

Die Stichwahl am 7. Mai: Katholiken in Frankreich. Bisher haben sie überwiegend rechts(extrem) gewählt.

Katholiken in Frankreich wählen wieder überwiegend rechts(extrem)

Ergebnisse nach dem 1. Wahlgang am 23. 4. 2017

Von Christian Modehn, veröffentlicht am 25. 4. 2017. Ein aktueller Beitrag vom 29.4. zu einer Erklärung der französischen Bischöfe klicken Sie hier.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin interessiert sich für das Wahlverhalten der Katholiken in Frankreich, bis jetzt noch – vor den “Atheisten” – die zahlenmäßig stärkste Religion dort. Nach dem ersten Wahlgang am 23. 4. sind die Katholiken desorientiert: Ihr viel geliebter, jetzt aber wegen der Affären durchaus kritisch betrachteter konservativer FILLON kommt nicht in die Stichwahl. Katholiken haben zu 68 % keinen der beiden Kandidaten des Zweiten Wahlgangs gewählt, also Macron und Le Pen. Macron halten viele sehr konservative praktizierende Katholiken für einen liberalen, unmoralische Prinzipien (HOMOEHE!) vertretenden Politiker. Katholiken entscheiden sich nach moralischen, besonders sexual-moralischen Kriterien, um einen Politiker gut oder weniger gut zu finden. Macron entfällt also für viele Katholiken als zu wählender Präsident. Und Madame Le Pen? Die ist sexual-moralisch in der Sicht vieler konservativer Katholiken doch recht OK. Viele Katholiken werden also, und sei es bloß aus Trotz und Frustration, Le Pen wählen. Oder eben gar nicht wählen. So geht es, wenn fromme Katholiken zu enge Maßstäbe haben, um Politik mitzugestalten…Erstaunlich aber bleibt: Melenchon von den Linken haben diesmal im ersten Wahlgang 9 % der praktizierenden Katholiken gewählt; 2012 waren es nur 3 %. Insgesamt haben von allen Katholiken, also auch den Nichtpraktizierenden, 14 % Melenchon gewählt.

……………………………… Zum ersten Wahlgang————————–

Wenn man alle Stimmen von Katholiken für die Präsidentschaftskandidaten Fillon, Le Pen und Dupont-Aignan beim 1. Wahlgang addiert, kommt man leicht auf 54 Prozent. Die drei genannten Kandidaten vertreten entschieden rechte bzw. rechtsextreme Positionen. Das haben Umfragen des Instituts Harris für die Tageszeitung La Croix ergeben.

Wenn man die katholischen Wähler noch einmal unterteilt in „regelmäßig praktizierende Katholiken“ (das sind solche für die französischen Befragungen, die wenigstens einmal im Monat (!) an der Messe teilnehmen; das nennt man üblicherweise dort religiöse Praxis, aber das am Rande) und „gelegentlich praktizierende“ und „nicht – praktizierende“ Katholiken, dann zeigt sich dieses Ergebnis für die Wahl der rechten bzw. rechtsextremen Kandidaten:

Von den regelmäßig praktizierenden Katholiken haben 67 % rechts bzw. rechtsextrem gewählt.

Von den gelegentlich praktizierendenKatholiken 55 %

und von den nicht-praktizierenden Katholiken 42 %.

Das heißt: Je enger die Kirchenbindung, um so enger die Bindung an rechte und rechtsextreme Politiker.

Dabei muss wissen: Fillon vertritt zwar Europa-freundliche Positionen, er ist deswegen auch der CDU-CSU nahe; seine Ausländer/Flüchtlingspolitik und seine Innenpolitik (Beispiel: Zurücknahme des Gesetzes zur so genannten Homoehe) sind praktisch mit den Positionen von Le Pen identisch. Die Politiker, die heute von der Partei „Les Républicains, also von Fillons Partei, an der Cote d Azur herrschen, vertreten weithin identische Positionen wie der Front National.

Was aber am meisten erstaunt: Fillon wird bekanntermaßen nach wie vor heftiger Betrug und Fälschung vorgeworfen. Aber dies macht den praktizierenden Katholiken nichts aus. Sie wählen ihn trotzdem mit großer Mehrheit, mit einem Anteil von 46 Prozent (landesweit hatte Fillon 19 %!), selbst 25 % der nicht – praktizierenden Katholiken haben Fillon gewählt.

Das heißt: Einem relativ bedeutenden Teil der Katholiken waren die Betrugsaffären von Fillon egal. Sie wählten einen Mann, der sich als praktizierender Katholik nach außen hin darstellte und eben für die klassische kirchliche Moral eintrat.

Hingegen haben nur 19 % der praktizierenden Katholiken Macron gewählt, im ganzen Land erzielt er 23 %!

Wenn alle “Gruppen” von Katholiken zusammensieht, ergibt sich dieses Bild:

Katholiken insges. haben für Macron gestimmt: 22 %

Für Marine Le Pen 22 %

Für Fillon 28 %

Für Melenchon 14 %

Für Hamon 4 %

Für Dupont-Aignan 6 %

Das heißt: Ca. 18 Prozent aller verschiedenen Gruppen unter den Katholiken haben links gewählt.

Immerhin haben 30 % der Protestanten Macron gewählt. Unter allen religiös gebundenen Franzosen haben die Protestanten am deutlichsten für Macron gestimmt.

Für Le Pen haben 20 % der Protestanten gestimmt.

Für Fillon 20 %

Für Melechon 16 %

Für Hamon 4 %

Für Dupont Aignan 7 %

Zusammenfassend: 47 % der französischen Protestanten haben rechts bzw. rechtsextrem gewählt.

Wie haben die muslimischen Franzosen gewählt?

Für Macron: 24 %

Für Le Pen: 5 % (komisch, Muslime, die Le Pen wählen…es gibt auch Juden, die FN wählen)

Für Fillon:     10 %

Für Melechon: 37 %

Für Hamon:   16 %

Für Dupont Aignan: 3 % (auch das gibt es)

Muslime haben wieder, wie bei früheren Wahlen, über 50% links gewählt, dazu noch einmal 24 % für Macron!

Siehe auch:  http://www.pelerin.com/A-la-une/Sondage-exclusif-Vote-et-religions

COPYRIGHT: Christian Modehn am 25.4. 2017, 12.15 Uhr.