Franziskus ist „Der Papst der Enttäuschungen“.
Ein Buch – Hinweis von Christian Modehn am 27. Okt. 2024.
1.
Wer die katholische Kirche verstehen will, muss sich immer mit dem Papsttum und den Päpsten und der Klerus – Hierarchie befassen. Das gilt auch jetzt, nach dem Ende der so genannten „Weltsynode“ in Rom.
2.
Über Papst Franziskus muss also gesprochen werden: Aber jenseits von illusorischen Hoffnungen und Erwartungen der verschiedenen katholischen „Reform-Gruppen“ wie auch jenseits der expliziten Gegner, wenn nicht Feinde von Papst Franziskus aus dem sehr konservativen, wenn nicht reaktionären Lager, zu dem bekanntlich auch einige Kardinäle gehören (man denke an Kardinal Gerhard Ludwig Müller)…
3.
Der Theologe und Journalist Michael Meier, lange Jahre Redakteur beim angesehenen „Tages-Anzeiger“ in Zürich, bietet in seinem grundlegenden Buch, das er bescheiden „Essay“ nennt, einen wichtigen und ab sofort zweifellos maßgeblichen Zugang zur Persönlichkeit, zur Theologie und Spiritualität von Papst Franziskus in 11 Kapiteln, leicht nachvollziehbar und trotz aller Erschütterungen im katholischen Inhalt schön zu lesen.… „Der Papst der Enttäuschungen“ ist der Titel. „Warum Franziskus kein Reformer ist“ der Untertitel.
Michael Meier kennt sich bestens in der katholischen Kirche, ihren Theologien und Machtverhältnissen aus. Aber er hat nicht die Hemmung und Angst, die nur allzu oft katholische Autoren im Umgang mit Papst Franziskus haben: Michael Meier ist reformierter Christ, hat aber auch in Rom und in Fribourg (CH) katholische Theologie studiert.
4.
Die grundlegende, reich dokumentierte Erkenntnis Michael Meiers heißt: Papst Franziskus ist kein Reform-Papst, er ist also kein „Pontifex Maximus“, der wirklich seine Kirche mit einem großen Sprung endlich nach vorn, in die Moderne, mit der auch in der Kirche geltenden Menschenrechten und Frauenrechten (!), führen will: Papst Franziskus ist für den Autor vor allem der Seelsorger, durchaus populär orientiert, leutselig oft manches daher plaudernd, immer aber auch mit dem Wunsch, in den Medien groß „rauszukommen“.
Aber als Jesuit will der Papst mit allem Eifer bis zum Einsatz der allerletzten physischen Kräften „allen alles werden“, ein eigentlich unmögliches Unternehmen! Aber selbstverständlich will der Seelsorger – Papst besonders den Frommen alles recht machen: Darum des Papstes heftige Vorliebe für die Marien-Verehrung, für den Ablass (Martin Luther dreht sich im Grabe mehrfach um), für das Bittgebet, für die Reliquien, für das „heilige Jahr“, ja letztlich auch für den herausgehobenen Stand der Kleriker: Selbst wenn der Papst manchmal heftig den Klerikalismus etwa im Vatikan kritisiert: Abgeschafft hat er die Sonderstellung des Klerus nicht. Er könnte als Papst so viele sinnlose Kirchengesetze sofort abschaffen, wie das Zölibatsgesetz für Priester, aber macht es nicht. Auch für die Ordination von Frauen sei „die Zeit nicht reif“, sagt er: Woher er das weiß, bleibt offen, aber ein Papst lebt davon, einen besonderen Draht zum Geist (der Zeit) in der Kirche zu haben. Hinter solchen Sprüchen des Papstes verbergen sich Macht – Ansprüche. „Die große Öffentlichkeit nimmt nicht wahr, dass der Papst mit zwei Zungen spricht: Als barmherziger Reformer und Seelsorger in Interviews, als Hüter der Lehre in lehramtlichen Schreiben. Die zentnerschwere Tradition und Lehre ist es, die den mehr praxisorientierten und wenig intellektuellen Papst an Reformen hindert, nicht die halsstarrige Kurie.“ (S. 171.)
5.
Damit ist schon in etwa das weite Feld angedeutet, in dem sich die Studien und Erkenntnisse von Michael Meier in seinem Buch zeigen. Der Autor folgt der chronologischen Achse der Regierungszeit seit 2013 bis heute. Dabei schaut Michael Maier genau hin, etwa wenn er das Interview des Papstes mit dem Jesuiten Antonio Spadaro für die Jesuiten – Zeitschrift “Civiltà Cattolica“ von Juni 2013 besonders wichtig findet oder aber auch die große Gruppe der römischen Vatikanologen kritisch betrachtet: „Die vom Vatikanologen und Journalisten Marco Politi geprägte Lesart von dem an der Kurie gescheiterten Reformer Papst Franziskus hält sich hartnäckig, und Politi hält hartnäckig an ihr fest. Je weniger Franziskus seine versprochenen oder angedeuteten Reformen umsetzt, umso aggressiver lässt Politi dessen Gegner auftreten. An der Kurie tobt ein Bürgerkrieg, wiederholt er heute mantraartig. Politi und die anderen Macher des Images vom bekämpften Reformer sind sich kaum bewusst, dass sie mit ihrem Narrativ einem gängigen Mythos aufsitzen.“ (S. 174.)
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Wenn Papst Franziskus Reformen einleitet, sind das immer kleine Reförmchen, das muss man als objektiver Beobachter sagen: „Franziskus hat erheblich mehr Frauen mit Leitungsaufgaben betraut als jeder andere Papst vor ihm. Solange er aber Frauen nicht zur Weihe zulässt, kann man nicht von einer wirklichen Reform oder von einem qualitativen Sprung sprechen. Obwohl neuerdings in der Kirche von einer teilweisen Entkoppelung von Weihe und Verantwortung gesprochen wird, bleibt die Leitungsvollmacht an die den Männern vorbehaltene Weihe gebunden.“ (S 106.) Oder: Man denke an die nun erlaubte Möglichkeit, dass sich katholische Homosexuellen – Paare segnen lassen dürfen: Aber nicht etwa in einem eigenen feierlichen Gottesdienst im Kirchengebäude… so soll jegliche Verwechslung mit der für heilig und normativ gehaltenen Ehe von Heterosexuellen ausgeschlossen werden. Diese Segnung – Angebote des Vatikans kommen mindestens 50 Jahre zu spät: In Europa interessiert sich kaum noch ein katholisch verbliebener Homosexueller für solche Aktionen, zumal dann vielleicht Priester segnen, die in ihrem Herzen eher gar nicht so „gay-friedly“ sind. Oder es bedauerlich finden, dass sie selbst mit ihrem (heimlichen) Partner nicht auch gesegnet werden dürfen…
7.
Bei der Lektüre des wichtigen, inspirierenden Buches „Der Papst der Enttäuschungen“ von Michael Meier stellt sich immer wieder die weiterfühernde Frage: Kann es bzw. darf es eine letztlich uniform klerikale Kirche wie die römisch – katholische mit einem Papst an der Spitze angesichts der Pluralität dieser Welt und ihrer Kulturen eigentlich noch geben? Kann ein Papst für 1,4 Milliarden in allen Ländern dieser Erde der „Papa“ sein? Wie behält der jetzt 87 Jährige Greis den Überblick? Sollte die katholische Kirche sich nicht besser in 5 bis 6 Zentren mit Patriarchen bzw. Matriarchinnen (wenn es das Wort überhaupt geben darf) auflösen? Das wären Themen…
8.
Auch das dunkle, kaum ausgeleuchtete Thema „Papst Franziskus alias Jesuitenpater Bergoglio und die Jesuiten“ wird von Michael Meier angesprochen. Er nennt etwa Konflikte Bergoglio mit dem Orden, auch mir dem damaligen Ordensoberen Pater Arrupe (S. 151).
Michael Meier zeigt auch die große Vorliebe des Papstes für den Patriarchen Kyrill von Moskau, den Putin – Ideologen und Kriegs – Treiber (S 136, 139), Moskau und sein Patriarch ist dem Papst wichtiger als die Ukraine. Warum? Weil der Patriarch von Moskau letztlich für ein ökumenisches Arrangement mit dem Katolizismus wichtiger ist…Schon der polnische Papst liebte doch die Orthodoxen viel mehr als die „häretischen Protestanten…
9.
Michael Meier kann natürlich nicht alle drängenden Fragen im Zusammenhang mit Papst Franziskus umfassend untersuchen. Etwa: Mit welcher Inbrunst wird der Papst die nicht mehr nachvollziehbaren Konzilsbeschlüsse und Glaubens – Bekenntnisse von Nizäa 325, also vor 1.700 Jahren, repetieren und abermals durchkauen und selbstverständlich als weiterhin absolut gültig für Katholiken von Island bis Papua – Neuguinea empfehlen? Eine neue, zeitgemäße und der theologischen Wissenschaft entsprechende Christologie als Jesulogie ist von ihm nicht zu erwarten. So werden die Katholiken zwischen Island und Neu – Guinea nach wie vor bekennen d.h. bloß daher – reden: „Christus ist gezeugt, aber nicht geschaffen“ und so weiter…
Es müßte also die Dogmatik (und der “Codex Iuris Canonici” sowieso) endlich entrümpelt werden: Etwa: Warum ist es verboten, ein Christentum ohne Erbsünde zu denken? Darüber lohnen sich Debatten. Weil nämlich die Taufe nicht mehr heilsnotwendig ist und damit der Stand der die Taufe spendenden Kleriker.
10.
Wenn in Europa seit Jahren viele Millionen die katholische Kirche verlassen, dann doch nicht (nur) wegen des Leidens an strukturellen Problemen dieser Kirche. Nein. Unsere Meinung: Sie wollen nicht mehr auf die uralte und veraltete Theologie der ewig wiederholten Glaubensbekenntnisse verpflichtet werden. Wer hat denn befohlen, dass alle Konzilsbeschlüsse, oft nicht mehr als politische Veranstaltungen der Kaiser, auf ewig gelten müssen? Das sagt nur die Klerus-Kirche, die alle theologische Deutungshoheit an sich gerissen hat und unbedingt an ihrer Macht und Vorrangstellung absolut festhalten will. Letztlich ruht die katholische Kirche mit ihrem absolut zentralen Papstamt auf einem fundamentalistischen Missverständnis: „Du bist Petrus der Fels, auf den will ich meine Kirche gründen“, soll Jesus von Nazareth den Autoren des Neuen Testaments folgend gesagt haben. Aber der Prophet Jesus von Nazareth dachte an alles andere als an die Gründung einer bzw. seiner Kirche. Und wer die Päpste genauer studiert, ist absolut gar nicht als begeistert von deren menschlicher Qualität und deren theologischem Niveau. Es ist schon absolut schwierig, katholisch und Papst – treu zu sein, wenn man nur die Papstgeschichte studiert voller seltsamer, eher abstoßender Gestalten. Ein intellektueller und menschlicher Lichtblick für mich ist – neben Papst Johannes XXIII. – Papst Benedikt der Vierzehnte (1740 – 1758). Die Päpste des 19. Jahrhunderts z.B. waren heftigste Antisemiten, wie der große Historiker David L. Ketzer in seiner Studie „Die Päpste gegen die Juden“ (Propyläen – Verlag, 2001, 447 Seiten) gezeigt hat. Und Verteidiger der Menschenrechte und der Demokratie waren diese obersten Hirten in Rom absolut nicht. Man kann es also verstehen, dass sich viele – als Katholiken – nicht mehr in eine solche Traditionslinie des Papsttums einreihen wollen. Oder sich gar zu dieser belasteten Traditionslinie als Papst -Freunde bekennen. Und die nun, durch Michael Meier, nachgewiesen erleben: Auch ein Papst im Jahr 2024, Franziskus, der eigentlich wirkliche Reformen leisten könnte (Frauen – Gleichberechtigung ….) ziert sich und hängt trotz sympathischer Gesten dem Uralten an…
11.
Wenn man den Katholizismus soziologisch als Groß-Ideologie bezeichnet, muss man sagen: Wie viele Groß – Ideologien ist auch die bestehende Form des römischen Katholizismus – inhaltlich, spirituell, für nachdenkliche Menschen mindestens – vorbei. Spirituelle Verbindungen mit dem Göttlichen , Gott, und eine Hochschätzung Jesu von Nazareth lassen sich auch anderweitig gestalten und erleben. Das wäre mal ein – auch soziologisch zu dokumentierendes – Thema! Also: „Außerhalb der Kirche gibt es Heil“, um ein altes katholische Motto grundlegend abzuwandeln.
Michael Meier, Der Papst der Enttäuschungen. Warum Franziskus kein Reformer ist. Herder Verlag Freiburg i.Br., 2024, 208 Seiten, 20 €.
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