„Deutschland ist ein Land der Oligarchen“. Wenn die Philosophie „die Zeit in Gedanken“ fasst

„Deutschland und seine Oligarchen“. Wenn die Philosophie „die Zeit in Gedanken“ fasst

Hinweise für eine kritische Theorie

Von Christian Modehn

“Die Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken gefasst.” Diesen umfassenden Anspruch formuliert Hegel in der Vorrede zu seiner „Rechtsphilosophie“. Die meisten Philosophen heute sind bescheidener geworden, wenn sie nicht bloß noch großzügig über die Formulierung Hegels schmunzeln und sich emsig ihren kleinteiligen historischen Erörterungen widmen oder formal-logischen Analysen zuwenden.

Natürlich kann Philosophie heute nicht den Gesamt-Überblick über „die Zeit, also die Gegenwart“ haben und mit der Vernunft konfrontieren und in Begriffen fassen. Bestenfalls ist das als Teamwork möglich, mit Soziologen, Psychologen, Humanwissenschaftlern, Künstlern usw.

Aber Philosophie, die als Weisheit (wie der Name „sophia“ ja wohl sagt) gelten will, und das wollen ja noch einige Philosophen, kann niemals auf eine grundlegende kritische Analyse der Gegenwart verzichten und so Orientierung bieten. Das gelingt der Philosophie nur, wenn sie die Wirklichkeit wahrnimmt, also auch die empirische Wirklichkeit der Gesellschaften, der Staaten, der Religionen und Kirchen, der Kulturen und „Kulturbetriebe“ (Adorno).

Eine kritische Philosophie unserer Zeit muss also Fakten wahrnehmen, erst dann kann sie „spekulieren“.

Der angesehene kritische Recherchen-Journalist Harald Schumann (Der Tagesspiegel) bietet dazu einen guten Einstieg, er liefert wichtige Fakten, die allzu gern verdrängt werden: „Deutschland hat nämlich auch seine Oligarchen“. Aller Hochmut der Deutschen, eine halbwegs perfekte Demokratie zu sein, in der es fast allen doch so blendend gut geht und es so wenige Arbeitslose etc. gibt, weswegen man sich ja abschotten muss, ist angesichts dieser Oligarchen eher naiv. Denn deutlich ist, für jeden, der es wahnehmen will: Dieser Staat bevorzugt seine Oligarchen, liebt sie über alles.

Darauf weist Harald Schumann hin: Er wählt als Ausgangspunkt zu seinem „Oligarchen-Artikel“ im “Tagesspiegel” (30. April 2015, Seite 8) die Abwehr weitester Wirtschaftskreise gegen die „Anpassung der Erbschaftssteuer an das Grundgesetz“ (Schumann): Nur so viel: Peer Steinbrück, ein Sozialdemokrat, ließ 2009 „das Geldadelsprivileg wiederherstellen. Seitdem müssen die Erben von Unternehmen keine Steuern auf ihr Erbe zahlen, wenn sie die Firma ein paar Jahre behalten“ (Schumann). Durch diese Steuergeschenke der Regierung an die Reichen werden Milliardenkonzerne von der Erbschaftssteuer befreit, das bedeutet: „Jährlich entgehen dem Fiskus zehn Milliarden Euro“. Das ist, rebellisch formuliert, der „Knaller“, der eigentlich jeden Leser, jede Leserin, aufschrecken müsste aus dem Dämmerzustand vor dem Fernseher: Denn diese den Reichen geschenkte Summe „ist so viel, wie Deutschlands Kommunen bräuchten, um den Verfall ihrer Infrastruktur aufzuhalten“, schreibt der Recherche-Journalist Harald Schumann. .

Deutschland ist darüber dabei, immer mehr zu einer Gesellschaft der getrennten Klassen zu werden. Das ist philosophisch hoch interessant, wird doch die Klassenanalyse, weil von Marx inspiriert, von vielen längst als Schrott angesehen. Das ist natürlich absolut falsch, selbst wenn reaktionäre Kräfte immer noch wie im Kalten Krieg einst drohen: Klassenanalyse ist Kommunismus. Was natürlich falsch ist, das hat schon der kluge Jesuit Oswald von Nell-Breuning ausführlich gezeigt: Klassenanalyse gehört sich in jeder ernst zunehmenden Gesellschaft (und Kirche).

Zurück zu Harald Schumanns Beitrag: Er erinnert daran, dass das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ (DIW) schätzt, dass 0,1 % (in Worten Null Komma ein Prozent) der Deutschen bereits heute 15 Prozent aller Vermögen besitzen. Das ist auch eine Konsequenz der ungerechten, klassen spaltenden Erbschaftssteuer. „Die Folge ist“, so Schumann, „dass sich immer mehr Macht in den Händen dieser Geldelite konzentriere, mahnte jüngst auch der Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugmann“.

Philosophen werden sich also vermehrt mit dem Thema Klassengesellschaft in Europa, vor allem in Deutschland befassen, wenn sie wieder anfangen, „die Zeit in Gedanken zu fassen“. Sie werden sich mit der Auswirkung dieser Klassenspaltung befassen im Blick auf die Mentalitäten und Wertvorstellungen, sie werden fragen: Was sind eigentlich Reformen, die den Name verdienen. Sie werden mit den so genannten Eliten die Frage erörtern, wie kann man ethisches Handeln, das den Namen verdient, bei den Oligarchen wiedergewinnen? „Allein die neunzig reichsten Unternehmer FAMILIEN (also die Quandts, Henkels, Haniels, Porsches usw.) halten ein Vermögen von 320 Milliarden Euro, ermittelten die Forscher der Universität St. Gallen. Und Harald Schumann schreibt treffend: „Dies ist ein Phänomen, das in Griechenland oder Russland gern Oligarchie genannt wird“. Oligarchien und Bananenrepubliken sind – für Deutsche – immer die anderen Länder….

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