Gerechtigkeit ist auch Steuer – Gerechtigkeit.

Wie der demokratische Staat die Über – Reichen (“Superreichen”) zu einem moralisch wertvollen Leben führen könnte.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die neueste Statistik über arme Menschen in Deutschland: es sind 17,7 Millionen Menschen. LINK

1.
Wie viele hundertmal haben wir die Forderungen von Wirtschaftswissenschaftlern, Ethikern und Ökologen gehört und gelesen: Um das Chaos in der Entwicklung des Klimas grundlegend zu korrigieren und die verheere Ungleichheit der Einkommen sowie der Verteilung des Reichtums zu beenden: Da braucht die Menschheit heute eine gerechte Besteuerung des extremen Reichtums. Also konkret: der extrem Reichen, der „Über – Reichen“, wie man heute sagt („Super – Reiche“ wird heute zurecht abgewiesen, klingt zu harmlos).

2.
Und es werden immer wieder Statistiken aufgeboten, immer wieder neue, die den ständig miserabler werdenden Zustand beweisen. Statistiken schläfern zwar nicht ein, sie rufen aber wegen ihrer Abstraktheit und ihrer „Gesichtslosigkeit“ keine heftigen politischen Veränderungen und ethische Reaktionen hervor, die zum Aufstand gegen die immer noch vorhandene Ignoranz im „Klimawandel“ und gegen die soziale Ungleichheit führen.
Ein aktuelles Beispiel: In Deutschland (2024) leben 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen am Rande und unterhalb der Armutsgrenze. Die Milliardäre sind oft nur die etwas entfernt wohnenden, aber sich abschottenden Nachbarn dieser unterernährten, oft auch von der Bildung vernachlässigten Kinder und Jugendlichen in Deutschland sowie ihrer prekär lebenden Eltern. Von einem Aufstand der Armen und deren Sympathisanten ist leider nichts zu spüren, lediglich die Rechtsextremen verführen mit ihrer dummen antidemokratischen Hetze zur gefährlichen Verwirrung und Rebellion.

3.
Unter dem Titel “Tax the Rich“ (Oekom Verlag) ist jetzt ein neues, übersichtliches, gut nachvollziehbares Buch (nur 110 Seiten) erschienen. Wer immer noch nicht mit diesem Thema, das nicht weniger als die Zukunft der Menschheit berührt, vertraut ist, hat hier die Chance, einige Bildungslücken zu schließen. Die Autoren sind beste Fachleute: Till Kellerhoff, Spezialist für Staatswissenschaften und Internationale Beziehungen, sowie Jorgen Randers, Wirtschaftswissenschaftler und Mitglied des „Club of Rome“. Das Vorwort verfasste die Aktivistin und Millionen – Erbin Marlene Englhorn: „Im Januar 2024 gab Engelhorn bekannt, dass sie aus dem von ihrer Großmutter geerbten Anteil 25 Millionen Euro der Allgemeinheit zur Verfügung stellen will.“ (Wikipedia über Marlene Englhorn, gelesen am 29.3.2024).
Marlene Englhorn betont in dem genannten Buch: „Wer (durch das Ausbleiben von Reichensteuer) privilegiert wird, stellt die eigene Comfort – Zone über die Rechte der vielen – und das widerspricht dem demokratischen Prinzip grundlegend“ (S. 10). Die Vermögenden wollen nicht mit der Gesellschaft teilen, „mit eben jener Gesellschaft (der vielen) ohne die es dieses Vermögen nicht geben würde“ (ebd.).

4.
„Eine Vermögenssteuer in Höhe von 1,7 bis 3,5 Prozent für die reichsten 0,5 Prozent der EU Bürger würde jährlich 213,3 Milliarden Euro einbringen. Das Geld stünde den Mitgliedsstaaten für Investitionen in die Energiewende, die Bildung, das Gesundheitswesen, nachhaltige Mobilität oder Beschäftigungsprogramme zur Verfügung“ (Seite 62). Weitere Fakten, allseits bekannt, aber politisch bislang offiziell ignoriert und deswegen wirkungslos: „Die 26 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung“ (S. 20).
„Von den acht Milliarden Menschen auf der Erde sind 800 Millionen, das sind die oberen zehn Prozent der Reichen, für fast die Hälfte der Treibhausgas – Emisssionen verantwortlich“… „Die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung verursacht gerade einmal zwölf Prozent dieser Emissionen.“ (ebd). „Soll die Allgemeinheit weiterhin die „reichsten zehn Prozent – Menschen“ mit Steuererleichterungen beglücken, obwohl diese für 50 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sind ?“ (S. 15)

5.
Man möchte wünschen, dass dieses Buch TAX THE RICH sehr weite Verbreitung findet, zumal bei denen, die bisher das Thema ignorierten und einen „Einstieg“ brauchen. Dann können sie lesen oder in Gruppen diskutieren: etwa die Kapitel des Buches „Warum kann der freie Markt unsere Probleme nicht lösen“ , oder „Wer muss zahlen?“, oder „Jenseits der Steuern“…Klar ist: Die abgrundtiefe Kluft im Wohlstand zwischen der arbeitenden Bevölkerung hier und den wenigen Superreichen wird der so genannte freie Markt nicht korrigieren“ (S. 36). Aber die Allmacht des so genanten freien Marktes ist noch immens, obwohl „wir schnellstmöglich den Weg in eine Zukunft finden müssen, die mit der Vergangenheit (des freien Marktes) nicht mehr viel gemein hat“ (S. 100).

6.
„Die Herausforderung ist gigantisch und die mangelnden Fortschritte in den letzten Jahren geben wenig Anlass zu Optimismus“ (S. 105).

7.
„Manchmal ist es schwer, angesichts der überwältigenden Herausforderung, vor der wir stehen im Blick auf die Steuer für die Superreichen, nicht zu verzweifeln.“ (S. 106).
Und die Autoren wollen etwas Hoffnung machen mit dieser Erkenntnis: „Allen diesen Krisen liegen politische Entscheidungen zugrunde. Wir leben in einem von Menschen geschaffenen System.Und Menschen können es verändern“. So sagen die Autoren, durchaus korrekt, aber zwiespältig: Aber warum ist denn eine wirkliche tiefe Reform in den vergangenen Jahren nicht gelungen? Sind die Politiker offenbar doch sehr stark von Lobby- Gruppen der Superreichen abhängig? Das wäre doch spannend, im einzelnen nachzuweisen! Die Autoren hätten mehr Namen und Organisationen, Lobbygruppen und versteckte Anti – Demokraten nennen müssen!

8.
Es hätte dem Buch auch gut getan, wenigstens einige Seiten den Fragen zu widmen:
Haben die Super – Reichen noch ein ethische Bewusstsein? Wie geht man mit solchen Menschen um? Hilft da noch Coaching?
Denken diese Leute vielleicht: Es gibt wertvolle und weniger wertvolle Menschen (zweiter Klasse?).Wo gibt es überall Rassismus?
Was ist von dem Titel „Eigentum ist Diebstahl“ (Proudhon) heute zu halten?
Wie sieht das internationale Netzwerk der Superreichen mit den Reichen (Herrschern) etwa in Afrika aus?
Gibt es überhaupt internationale Organisationen, die für die Milliarden Armer wirksam politisch eintreten? Wie marginal sind die humanen und menschenfreundlichen NGOs?
Noch was anderes: In welcher Weise profitieren die Superreichen von den durch Steuern finanzierten erstklassigen, aber immer noch Ultra teuren Kulturangeboten, etwa in den Opernhäuser Europas: Welcher Bürger (Mittelstand, von Armen sprechen wir lieber erst gar nicht) kann sich eine Opernkarte für 150 Euro leisten oder etwa in Hamburger Elb-Philharmonie oder in der Pariser Oper für mindestens 400 Euro? Es sind die Bürger, die auch den kulturellen Luxus der Superreichen mit finanzieren. Und Stadtteil Bibliotheken müssen schließen und öffentliche Schulen vergammeln in ihrer Bausubstanz. Die Reichen haben ja noch ihre gediegenen Privatschulen, ohne arme und ausländische SchülerInnen versteht sich.

9.
Es wäre weiter ausführlich zu berichten, dass es einige Millionäre und Milliardäre gibt, die den Zustand ihrer Privilegierung im Steuersystem selbst kritisieren und sich mehr Gerechtigkeit wünschen. „Bitte behandelt uns gerecht“, rufen sie den Finanzministern zu. Herr Lindner (FDP) hört das natürlich nicht. Es sind tatsächlich 300 MillionärInnen, WirtschaftswissenschaftlerInnen und PolitikerInnen, die einen offenen Brief an die G20 geschrieben haben: „Wir wollen endlich eine Vermögensbesteuerung“, heißt es darin (S. 27).
Den Schrei der Reichen nach Gerechtigkeit sollte man doch hören, in dieser Welt der tonangebenden Reichen. Wenn man schon nicht den Schrei der Armen, das sind die Arm-Gemachten und Ausgegrenzten und Hungernden hört in dieser Welt. Dann wenigstens den Schrei der Millionäre…

„TAX THE RICH. Warum die Reichen zahlen müssen, wenn wir die Welt retten wollen.“ Von Jorgen Randers und Till Kellerhoff. OEKOM Verlag, 110 Seiten, 14€.

Lesenswert: Proudhon: „Eigentum ist Diebstahl“: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.