Die „Letzte Generation“ praktiziert die Meinungsfreiheit

Am 3. Mai 2023 beginnt die „Woche der Meinungsfreiheit“. “Meinungsfreiheit ist mehr als Pressefreiheit!”
Ein Hinweis von Christian Modehn   (Siehe auch Nr. 12: “Jesuitenpater Jörg Alt klebt sich auf der Straße fest”, Hinweis auf ein Interview)

Warum dieser Hinweis?:
Angesichts der umstrittenen und von weiten Teilen der Presse heftig attackierten Aktionen der „Letzten Generation“ geht es hier um den Versuch und den zu diskutierenden Vorschlag, diese Aktionen der „Letzten Generation“ als legitime Meinungsäußerung durch gewaltfreie Praxis zu verstehen. Das heißt: Diese Aktionen werden als neue Praxis bereits üblicher und in Demokratien hoch geschätzter Widerstandsformen der gewaltfreien Aktionen und Streiks etc. verstanden. Angesichts der „Woche der Meinungsfreiheit“ ein neuer Vorschlag. Dadurch kann hoffentlich unter den vielen irrational aufgebrachten, zum Teil aggressiv agierenden Bürgern gegen die aktiven jungen Menschen eine Form rationaler Reflexion möglich werden und damit zu einer gewissen vernunftgeleiteten Beruhigung führen, die zu der Erkenntnis kommen sollte: Eigentlich fordern diese Aktionen der „Letzten Generation“ nur eine äußerst dringende neue politische Praxis zugunsten des Klimaschutzes und der sozialen Gerechtigkeit für alle Menschen weltweit. Es sind also die Politiker, die jetzt endlich radikaler als bisher eine grundlegende bzw. grundstürzende Wende zum Überleben der Menschheit hin tun müssen. Und viele Bürger müssen alle denkfaule Bequemlichkeit überwinden und handeln … zugunsten des Bestehens dieser Welt. Vorschläge gibt es in Hülle und Fülle, wenn man denn lesen und hören will.

1. Was ist Meinungsfreiheit
Zunächst muss an grundlegende philosophische Erkenntnisse erinnert werden:
Jeder Mensch, mit Vernunft und Sprache begabt, hat immer schon seine eigenen Meinungen zu Themen, die sein Leben bestimmen. Und jeder und jede hat das Recht, diese Meinung auch öffentlich anderen mitzuteilen. Und das ist gerade in demokratischen Gesellschaften ein turbulentes Geschehen: Es gibt – Gott sei Dank – Debatten und Streit: Welche Meinungen sind hilfreich fürs demokratische Zusammenleben, welche sind weiterführend zugunsten der humanen Zukunft, also der Gemeinschaft der Staaten und letztlich der Welt. Und welche Meinungen sind nichts als ein versteckter Ausdruck des Egoismus, der ideologischen Verblendung, des Lobbyismus, also schädlich für die humane Zukunft der Welt.
Es bleibt dabei: Die Basis der Meinungsfreiheit heißt: In Demokratien kann jeder Bürger, jede Bürgerin, öffentlich sagen, was er/sie denkt, was er/sie für wichtig hält.

2. Die universale Erklärung der UNO
Bevor nun gleich das Thema „Einschränkungen des öffentlichen Gebrauchs der Meinungsfreiheit“ aufgemacht wird, zunächst die Erinnerung an den grundlegenden Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” der UNO:
„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

3. Meinungsfreiheit ist heute Wirklichkeit nur in wenigen Staaten. Auch Pressefreiheit als ein Ausdruck der Meinungsfreiheit wird in wenigen Staaten sehr gut und gut gelebt. LINK
In diesem Artikel 19 wird deutlich Meinungsfreiheit als Pressefreiheit, als Freiheit, sich umfassend zu bilden, also sich frei zugänglicher und objektiver Informationen zu bedienen. Umfassende Pressefreiheit als eine Realität der Meinungsfreiheit ist in heute nur in wenigen Staaten Realität!

4. Sprechen ist immer Handeln. Sprechen drängt von sich aus zur Tat.
Jetzt muss etwas weiter ausgeholt werden, um zu zeigen, dass auch die Aktionen der „Letzten Generation“ „nur“ Meinungsäußerungen sind.
Die eigene Meinung sagen, den eigenen Standpunkt (und damit das eigene Leben) aus-sagen, mit-teilen, ist niemals nur ein „verbales“ Geschehen durch Worte allein. Sprechen ist immer auch eine Tat, nur im oberflächlich gelebten Alltag hat man den Eindruck: Sprechen, Sich Mitteilen, ist nur eine verbales Geschehen. Das ist falsch: Sich Mitteilen, also die Meinungsfreiheit leben, ist auch das Setzen, das Erzeugen, von Taten. Was bedeutet denn sonst der Satz „Ich heißt dich willkommen“? Gemeint ist: „Du gehörst in diesen Kreis, in diese Feier etc.“ Was bedeutet die verbal geäußerte Meinung: „Ich wünsche dir, dass du bald wieder gesund wirst“? Sie bedeutet: „Ich will in dir alle Energien wecken für deine Gesundheit“. Was bedeutet der Satz „Ich verzeihe dir“? Er bedeutet: „Lass uns einen neue Anfang gemeinsam machen.“

5. Die Sprache der Taten
Das verbale Sagen ist also immer auch auch Tun, ist das Setzen von neuer, unerwarteter Realität. Wahrscheinlich haben nur naturwissenschaftliche Informationen oder etwa Wettberichte einen rein sachlichen, keinen „Tat“-Charakter.
Wir leben meist auch von nicht-sprachlich, nicht-verbal geäußerten, „nur“ durch Taten geäußertes Aus-Sagen der eigenen Meinung:
Zum Beispiel: Ich gebe dem Bettler ein Geschenk. Das ist meine Sprache der Solidarität. Ich reiche die Hand dem Gegner. Das meine Sprache der Friedfertigkeit. Ich trete in einen Hungerstreik ein. Das meine Sprache des Protests. Ich streike als Flughafenpersonal: Das ist meine Spraxche, um gerechte Löhne zu erkämpfen. Ich werde von einem Faschisten geschlagen: Das ist mein „Hören“ der wortlosen, aber sprechenden Gewalt von Verbrechern.
Viele Menschen, etwa in Italien und Spanien, hatten sich in der ersten heftigen Zeit der Corona-Pandemie auf ihre Balkons gestellt und gemeinsam laut gesungen und – ohne lange zu fragen- die Akustik der Straße bestimmt. Oder sie hatten die Fenster ihrer Wohnungen geöffnet und auf die Straße hinaus Serien geschmettert. Störend? Vielleicht, für viele sicher nicht. Die „Lärmbelästigung“ wollte Mut machen, Solidarität stiften, Hoffnung wecken. Oder: Sehr viele Franzosen sind jetzt (April 2023) verzweifelt über die herrschende Politik und schlagen voller Wut öffentlich auf Kochtöpfe, um gegen die Politik von Präsident Macron zu protestieren. Dröhnende Laute, die stören. Aber die Bürger wünschen das. Und begrüßen das. Und Emmanuel Macron hat Mühe, sich bei seinen Auftritten Gehör zu schaffen, so groß ist die Wut und der Zorn, sicher auch die Hilflosigkeit der Bürger über seine arrogante Politik (https://www.berliner-zeitung.de/news/frankreich-lacht-ueber-kochtopfverbot-bei-anti-macron-demo-in-ganges-proteste-gegen-rentenreform-gehen-weiter-li.340248)

6. Die Lobby-Politiker
Auch die (jungen) Menschen, die sich angesichts der bevorstehenden, wissenschaftlich als äußerst wahrscheinlich erkannten globalen Klimakatastrophen als „Letzte Generation“ verstehen: Auch sie äußern ihre reflektierte Meinung. Sie haben ihre Kritik zunächst, wie von den „beruhigten“ Bürgern erwünscht, sehr brav allein verbal mehrfach vorgebracht. Und dabei ihre Kritik an der nachlässigen Klimapolitik der Bundesregierung vorgebracht oder ihre Kritik an der deutlich vom Geist der Auto-Lobby bestimmten Verkehrspolitik etwa von Minister Wissing FDP, von dessen absolut unfähigen, zum Teil für korrupt gehaltenen Vorgängern aus der CSU wollen wir hier kein Wort verlieren (Vgl. die entsprechenden Dokumentationen zum Verfehlen der Klimaziele in Deutschland, etwa: https://www.sueddeutsche.de/politik/expertenrat-bundesregierung-klimaschutz-2030-1.5687066)

7. Der stille Schrei der Verzweifelten.
Nun also „schreien“ die Menschen der „letzten Generation“ auf ihre Weise ganz still: Sie kleben sich auf viel befahrenen Straßen fest, sie wollen durch ihr Handeln kritisches Nachdenken wecken und zu wirksamem politischen Tun zugunsten des Klima-Wandels aufrufen. Sie kleben sich also fest auf die Straße; sind förmlich unbeweglich gestellt und zornig, nach all den vorher eher ergebnislos verlaufenen nur-verbalen Debatten.
Ich deute das Festkleben als einen brüllenden stillen Schrei der Verzweifelten: Tut das Vernünftige jetzt, endlich… das schreien sie still auf der Erde klebend und gewaltfrei. Sie wollen förmlich eins weden mit der bedrohten Erde, zeigen, dass der Mensch gehört zur Erde, der bedrohten Erde. Sie sagen schweigend den zögerlichen, auf Stimmengewinn orientierten Politikern: Überwindet eure parteipolitische Begrenzung, eure Sucht, den mächtigen Industrie – Auto etc-Lobbys zu gefallen, tut die nötigen, schwierigen Schritte für die Rettung unserer Welt.

8. Die aggressiven Reaktionen auf Meinungsäußerungen der Tat
Und wie reagieren weiteste Kreise auf diesen verzweifelten Ruf: Sie schimpfen und toben, attackieren die „Klebenden“, weil sie spüren: Sie selbst kleben fest in ihrer untätigen Ignoranz. Und diese Gegner ziehen die übelsten Register der Verleumdung. Alexander Dobrindt, Christ und CSU-Politiker, nennt die stillen schreienden Protestierer „Klima-RAF“, was für eine Frechheit. FDP Chef Lindner spricht angesichts der kurzfristigen Straßenblockaden von „physischer Gewalt“. Dabei geht die Gewalt von Politikern aus, die nicht radikal die Klimakatastrophe verhindern. Der CDU Chef Merz versteigt sich zu der Behauptung: Klimaschutz werde insgesamt überbewertet! Diese Aussage, ein Skandal angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema. Diese Politiker sorgen mit ihren Statements nur für die Aufhetzung der „braven Bürger“. Wollen die Bürger aber wirklich nur ihre Ruhe und das ewige dumme Weiter-so? Oder sind sie vom jetzigen miserablen Zustand so begeistert, dass sie gern in den üblichen kilometerlangen Staus auf den Autobahnen stehen und die schlechte Luft einatmen und sich auf die hohen Temperaturen im Frühling schon freuen.

9.Wer klebt eigentlich fest?
Bei den Aktionen der letzten Generation, dem Festkleben auf Strafen, zeigen sich wie von selbst diese Einsichten: Nicht die Klebenden der letzten Generation kleben fest. Es sind viele Bürger und deren Politiker, die geistig -ideologisch fest kleben in ihrer Nachlässigkeit, radikal für den Klimaschutz einzutreten.

10. Dem Kiesinger eine „kleben“
Weiter stellt sich eine leicht ironisch gefärbte Erinnerung ein, wenn man nur an die Vielfalt der Bedeutung des Wortes „kleben“ denkt: Was hat denn einst Beate Klarsfeld getan, als sie 1968 auf Kurt-Georg Kiesinger (Kanzler der CDU sowie einst NSDAP-Mitglied) losging und ihm öffentlich eine „klebte“. „Das war ein letztes Mittel, um die Deutschen aufzuwecken”, erklärte Beate Klarsfeld zurecht. Solche konkreten Klebe-Aktionen sind heute wohl schwierig. Aber eben auf andere Art möglich: Siehe: Letzte Generation.

11. „Die letzten Menschen“ Nietzsches… Es sind die Nihilisten!
Wer Nietzsche kennt, weiß: Auch er sprach, freilich in einem ganz anderen Sinne, von der letzten Generation. Nietzsche dachte dabei an die „letzten Menschen“, die im Nihilismus, also der allgemeinen Sinnlosigkeit, sich eingerichtet haben und dahindämmern (in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“). Nietzsche dachte an die lethargischen, selbstzufriedenen, passiven Leute, die sich mehr fürs Banale-Alltägliche-Bequem interessieren als für die drängenden Lebensfragen. Nietzsche schreibt: „Der letzte Mensch hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.Wir haben das Glück erfunden” – sagen die letzten Menschen und blinzeln.“ So eine der miesen Charaktereigenschaften der geistig -moralisch „letzten Menschen“, der nihilistischen braven Bürger. Gegen diese Menschen kämpft die „letzte Generation“.

12. Pater Jörg Alt klebt sich auf den Straßen fest
Als einer der wenigen prominenten katholischen Theologen in Deutschland hat sich der Jesuitenpater Jörg Alt aus Nürnberg an den Aktionen der „Letzten Generation“, auch an dem Fest-Kleben auf Straßen, beteiligt.
Pater Alt schreibt auf seiner Website u.a. „Schon lange quält mich die Frage, wie man wachsender Armut, Ungleichheit, Klimakatastrophe usw. begegnen kann. Denn die guten Ideen sind ja alle da – warum kommt man nicht ins Handeln? Es liegt daran, dass Vertreter des neoliberalen Finanzkapitalismus und Wachstumspropheten nach wie vor das Sagen haben und demokratische Politikgestaltung von oben (Lobbyisten und Inhaber privater, betrieblicher und krimineller Vermögen) und unten (wachsender Populismus und Nationalismus) untergraben wird. Was ist in dieser zunehmend kritischen Situation die Aufgabe der Kirche, der Orden und der Katholischen Soziallehre?
Entsprechend engagiere ich mich zunehmend in aktivistischen Kontexten, etwa gemeinsam mit den FridaysForFuture, der Letzten Generation, oder dem “BündnisWirTransformierenBayern.”Ebenso beschäftigen mich zunehmend publizistisch-inhaltlich mit diesen Fragen. Wer sich also für ausführlichere Argumente interessiert, lese vor allem die drei Bände meiner “Transformations Trilogie”, nämlich “Handelt!”, “Einfach anfangen!” und „Widerstand!” (Quelle: https://www.joergalt.de/)

In der Zeitschrift “Presente” der Christlichen Romero-Initiative (Münster, Ausgabe 1/2023, S. 11-12)  hat Pater Alt ein Interview gegeben und dabei auch die Motive seiner Teilnahme an den Aktionen der “Letzten Generation” erläutert: “Für mich ist dieser Weg (der zivile Ungehorsam) alternativlos. Uns läuft die Zeit davon. Laut Weltklimarat haben wir noch drei Jahre, bis die Treibhausgasemissionen anfangen müssen zu sinken, wenn das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch eine Chance haben soll. …Aber ich habe den Glauben verloren, dass klassische Protestformate ausreichen...”  Die AktivistInnen der Letzten Generation werden stark kriminalisiert. Dazu Pater Alt: “Es ist eine natürliche Reaktion, zu versuchen, die unangenehmen BotInnen, die das ruhige Weiter-so stören, mundtot zu machen…Wir sind der Meinung, dass es legitimierbar ist, einzelne Gesetze zu brechen, weil wir aus dem rechtfertigenden Notstand heraus handeln… Ich kann die Verzweiflung vieler AktivistInnen gut verstehen, dass ein VOLKER WISSING die Verpflichtungen des Klimaschutzgesetzes bricht, und nicht in Beugehaft genommen wird, während DemonstranTinnen, die fordern, dass die Regierung endlich ihren Job macht, wochenlang präventiv in Gewahrsam genommen wird. Da stimmt doch etwas nicht in unserem Land” (S. 12).

13. Jürgen Manemann
Jürgen Manemann, Leider des bekannten „Forschungsinstituts für Philosophie“ in Hannover hat zum Thema ein wichtiges Buch publiziert. „Revolutionäres Christentum“, Bielefeld, Transkript Verlag. Für eine ausführliche Besprechung siehe: https://tobias-journals.uni-tuebingen.de/ojs/public/journals/5/dm/EuG-1-2022/EuG-1-2022-rez-10.pdf

14. Festkleben als gewaltfreie Aktion ist gewaltfreier Widerstand
Das „Festkleben auf Straßen“ ist als gewaltfreier politischer Protest Ausdruck für die große Not, förmlich ein Schrei. Er sollte gehört, aber nicht erwürgt werden von anderen.
Das Festkleben auf den Straßen ist also eine legitime Form der Meinungsäußerung. Das müssen viele Leute und viele Politiker erst noch begreifen. Sie sollten studieren, dass gewaltfreie Aktionen (gewaltfrei sind auch hier die Aktivisten der „Letzten Generation) niemals ohne Empörung möglich sind, niemals ohne Empörung der aus dem bürgerlichen Alltag befreiten Auto-Fahrer.

15. Und die Grenzen der Meinungsäußerung?
Wo sind die Grenzen der Meinungsäußerung? Diese Frage habe ich am Anfang gestellt. Natürlich gibt es die Grenzen: Wer seine antisemitische, frauenfeindliche, homophone, rassistische, antidemokratisch usw. Meinung öffentlich äußert, der verlässt die humane Welt, die sich den universal geltenden Menschenrechte absolut verpflichtet weiß (leider handelt die demokratische Welt selten entsprechend, aber das Ideal gilt absolut, auch wenn so wenige dem entsprechen!, siehe Kant).
Es gibt also Grenzen der Meinungsfreiheit. Aber die „Letzte Generation“ lebt innerhalb der Möglichkeiten der demokratischen Meinungsfreiheit. Nur die Hüter einer alten Ordnung und die Ignoranten des Klimawandels sehen das anders und toben sinnlos und diffamieren die Menschen, die leiden unter den gegenwärtigen Zuständen und …vor Verzweiflung – still, klebend – schreien.

16. Warum werden Streiks – etwa auf Flughäfen oder bei der Bahn – von der Allgemeinheit akzeptiert? Da “kleben” uns Reisende bestimmte Leute auch “fest”…

Kürzlich gab es eine Art totalen Streik auf allen deutschen Flughäfen. Und es gab auch totalen Ausfall des Bahnverkehrs – wegen Streiks. Da “klebten” diese Streikenden die anderen, die vielen reisenden BürgerInnen, auch fest, behinderten ihre Freiheit. Die vielen tausend betroffenen Reisenden, also Fest-Klebende in gewisser Weise, akzpetieren aber in den meisten Fällen sehr brav diese totalen Streiks. Ist das Verständnis darin begründet, dass die Streikenden ordentlich in einer Gewerkschaft organisiert sind? Also als seriöse reife, steuerzahlende Bürger gelten? Dabei kämpfen die Streikenden nur um ihre (berechtigte) Lohnerhöhung, also um Vorteile für einen begrenzten Kreis von Bürgern, etwa Piloten, Bodenpersonal, Zugbegleiter und so weiter. Diese Leute in den Gewerkschaften kämpfen für ihre eigenen begrenzten finanziellen Interessen, nicht etwa für die Gerechtigkeit der Armen, für gerechte Bezahlung in den Dienstleistungen, für den Ausbau von Sozialwohnungen für arme Familien etc. Sie haben also einen sehr begrenzten Horiont. Und die “Letzte Generation”?? Sie folgt sozusagen ihrer eigenen subjektiven, aber wissenschaftlich klar begründeten politischen Einsicht und streikt also ebenfalls, indem sie auf ihre  Lebenszeit verzichtet und sich der Strapaze des Festklebens  aussetzt, sich wegschleppen, beschimpfen, sich einsperren lässt etc. Woher dieser Hass auf junge Menschen, die uns sehr drastisch aufmerksam machen, wie dringend der politisch-ökologische Wandel ist, um die längst vorhandene Klimakatastrophe nicht ganz so furchtbar zu erleben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Meinungsfreiheit neu definieren!

Hinweise aus philosophischer Sicht.
Von Christian Modehn
1.
Über die Meinungsfreiheit innerhalb eines demokratischen Rechtsstaates wie der Bundesrepublik Deutschland muss heute endlich umfassend debattiert werden. Die Meinungsfreiheit wird hier und heute missbraucht. Das ist kein Zweifel! Die Gesellschaft der freien Meinungen gerät in den Strudel der Beliebigkeit, des Hasses, der Zerstörung. Freie Meinungen kaschieren sich nur als frei; sie sind aber tatsächlich unreflektierte, zerstörerische Ergüsse einzelner, vor allem in den so genannten sozialen Medien verbreitet. Diesen Missbrauch des Wertes „freie Meinungsäußerung“ nutzen rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien und Gruppen in Deutschland und ganz Europa. Leider bedienen sich einzelne demokratisch gewählte Politiker, wie Mister Trump, auch ihrer konfusen subjektiven Ergüsse, um sich des Rechtes der freien Meinungsäußerung zu bedienen.
Die normative Frage: Was ist eine freie (d.h. als freie immer auch vernünftige) Meinungsäußerung muss neu gestellt werden.
Denn Meinungsfreiheit in der Demokratie ist keineswegs eine fixierte, festgelegte Selbstverständlichkeit. Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten Menschenrechte überhaupt. Demokratie lebt von der Meinungsfreiheit, siehe Grundgesetz Art. 5, Abs.1. Und dies gilt es heute zu verteidigen, aber auch neu zu definieren. Die Feinde der Demokratie am Rande, „rechts außen“, müssen als solche benannt und politisch bekämpft werden.
2.
Das Menschenrecht der Meinungsfreiheit muss heute neu bestimmt werden. Die rechtsextremen Kreise profitieren von der demokratischen Meinungsfreiheit auf eine perfide Art, um die übergeordneten Rechte, also die Menschenrechte und die Werte der Demokratie, langsam aber systematisch zu zerstören. Rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise leben bewusst im Selbstwiderspruch: Sie bedienen sich der Meinungsfreiheit, um einen autoritären Staat zu errichten. Solche Agitatoren nannte man früher „Totengräber der Demokratie, der Republik“. In Kreisen der AFD Führer wird diese Ideologie verbreitet: Sie behaupten: Die Bundesrepublik sei eine Diktatur, die überwunden werden muss, so wie 1989 die Diktatur der DDR überwunden wurde.
3.
Meinungen sind Worte, auch Taten sind (sichtbare) Worte: Etwa die 169 rassistisch motivierten Mord-Taten seit 1990, wahrscheinlich sind es mehr Morde. Kaum zu zählen ist die Menge der Aggressionen körperlicher und verbaler Art ebenfalls aus rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen. Viele dieser Verbrechen werden nicht umfassend verfolgt und bestraft, weil die Polizei, die Richter, der Verfassungsschutz in unserer der Demokratie versagen, weil sie die Gefahr von Rechtsaußen üblicherweise unterschätzten.
4.
Die rechtsextreme Gewalt (eine Form von Meinungsäußerung!) nimmt auch zahlenmäßig zu. Sie wird durch den Gebrauch der „sozialen Medien“ inspiriert. Man denke an den Massenmord durch Anders Breivik, Oslo; an den Anschlag auf die Synagoge in Halle; an den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke; an den Massen-Mord in den Moscheen von Christchurch, Neuseeland usw.
Über den Zusammenhang von Nutzung sozialer Medien und Gewalt müsste noch umfassender geforscht werden. Diese Notwendigkeit kritischer Forschung gilt auch der Anonymisierung der Autoren von Hasstexten. Ist die Demokratie hilflos einem Schwarm von Wahn und Hass ausgesetzt?
5.
Die demokratischen Verfassungen, der Rechtstaat und die universal geltenden Menschenrechte, sind Resultate der politischen Kämpfe vernünftiger Menschen seit der Aufklärung. Diese Resultate müssen heute wieder verteidigt und entwickelt werden.
Man muss erkennen: Der entsprechende Artikel 5 des Grundgesetzes wurde vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beschlossen, zu einer Zeit, als nicht so viele nach dem Ende des Hitler-Faschismus sich vorzustellen wagten: Es käme noch einmal eine Epoche, wie in Weimar, wo Propaganda-Hetze der Nazis die Demokratie zerrütteten.
Angesichts dieser Erfahrungen wissen heute Demokraten: Sie dürfen niemals mehr schlafen, wenn ein Rechtstaat von reaktionären und populistischen Bewegungen auf das Niveau von Diktatur, Einheitspartei und Nationalismus bzw. – damit identisch – Kriegstreiberei, zurückgetrieben wird. Anfänglich geschieht das durch Propaganda-Sprüche und öffentliche Hetz-Hass-Tiraden. Später dann durch das Vernichten demokratischer Grundrechte. Man denke an die Geschichte der Weimarer Republik und den in ihr entstandenen Hitler-Faschismus. Gegen diesen Rückschritt, gegen diese Abkehr von der Humanität, muss sich die Demokratie, müssen sich die Bürger der Republik verteidigen. Das gilt für die heutige Situation in Deutschland, vor allem, aber auch in Österreich, Frankreich, Holland, Italien usw. In Polen und Ungarn sind die jetzigen politischen Verhältnisse schon viel schlimmer…
6.
In den sozialen Medien wie im unmittelbaren Gespräch in sichtbaren, „leibhaftigen“ Gruppen: Immer ist impliziert der Schritt in die Öffentlichkeit: Ich will mich als Redner vernehmbar sprechend dem Disput der anderen stellen. D.h.: Ich setze als Sprechender im Akt des Sprechens schon das Gespräch mit anderen voraus. Man will im Gespräch die eigenen Erkenntnisgrenzen überwinden. Demokratie ist ein Lernprozess, in dem niemand von vornherein Recht hat und etwa behaupten kann, nur „er wäre das Volk“. Dies ist eine Haltung, die nur in eine Diktatur passt.
7.
Philosophisch grundlegend ist: Meinungen eines einzelnen oder Überzeugungen einer Gruppe oder Partei können niemals mit dem Anspruch auftreten, in jeder Hinsicht und für alle gültig zu sein. Es sind immer „meine, unsere Meinungen“, die sich aufgrund meiner subjektiven Verfassung und der immer gegebenen Perspektivität meines Erfahrens und deswegen begrenzten Erkennens ergeben.
Das heißt: Meine Meinungsäußerung als einzelner, als Gruppe, Partei, Kirche etc. ist immer begrenzt. Sie stammt von in jeder Hinsicht endlichen, begrenzten Menschen. Diese Begrenztheit kann niemand abwerfen, loswerden, keine Partei, keine Kirche hat „immer recht“. Lediglich die allgemeine Basis der universalen Menschenrechte ist unaufgebbar!
8.
Kein Demokrat denkt daran, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Kein Demokrat denkt daran, die Vielfalt der Meinungen, typisch für die Demokratie, zu verbieten. Kein Demokrat denkt daran, Zensur auszuüben. Das ist die klassische und wahre Überzeugung der vernünftigen Menschen, sie verteidigen die liberalen Freiheitsrechte. Und diese Verteidigung ist kein persönliches, bloß zweitrangiges Hobby, sondern ein Beitrag für die Bewahrung des humanen Lebens der Menschheit, wenigstens in diesem Teil der Welt.
9.
Demokraten sind keine Masochisten. Sie wollen sich von den neuen Rechtsextremen nicht bedrängen und quälen lassen. Sie nehmen es nicht gelassen hin, wenn Feinde der Demokratie die Regeln der Demokratie ausnutzen, um die große reaktionäre Wende und Kehre zurück anzustreben. Demokraten als Verteidiger der Menschenrechte treten deswegen gegen die Gewalttäter an, gegen die Akteure und Ideologen des Antisemitismus und Rassismus, der Homophobie, des ANTI-Feminismus usw.
Dafür brauchen die Demokraten wirksame demokratische Gerichte, demokratisch orientierte Richter und demokratische denkende Polizisten. Dazu gibt es vielfach heftige Forderungen nach dringender „Verbesserung“… Manche wünschen sich bereits, dass wenigstens die bestehenden Gesetze voll umfänglich angewendet würden im Umgang mit Rechtsextremen.
10.
Ein philosophischer Hinweis:
Subjektive Überzeugungen sind absolut anzuerkennen. Es gibt die plurale Breite der politischen demokratischen Meinungsäußerungen, auch in der Kunst, der Literatur…
Subjektive Überzeugungen sind keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, keine mathematische Ableitungen, auch nicht Fakten, etwa derart, dass die Erde um die Sonne kreist. Aber subjektive Überzeugungen, sind ihrerseits bestimmt von objektiv gültigen Kriterien, die ihre Wahrheit überprüfen. Kann denn eine rassistische Überzeugung sich Humanismus nennen? Ist Antisemitismus etwa nur eine beliebige Variante ideologischer Überzeugungen? Philosophisch – ethisch gesehen absolut nicht!
11.
Es gibt also allgemein gültige Erkenntnisse der Philosophie, diese sind sozusagen „Fakten-Erkenntnisse“ eigener Art sind. Und sie sind als Menschenrechte von universeller Bedeutung. Es gibt eine allgemein gültige Erkenntnis von dem, was die Würde eines jeden Menschen ist. Es gibt die allgemeine Erkenntnis des „kategorischen Imperativs“. Wie müssen sich Demokraten zu Menschen verhalten, die die gleiche Würde der Menschen ablehnen? Man muss sie überzeugen, im Gespräch der Argumente, auch in der Anerkenntnis der immer zu verbessernden Demokratie… Es gilt diese Menschen auf die Ebene der Vernunft und ihrer demokratischen Freiheiten zurückholen.
12.
Der Artikel 5 des Grundgesetzes muss heute als ein Impuls zur umfassenden Verteidigung der Meinungsfreiheit verstanden werden. Als Aufruf, diese jetzt bedrohte Meinungsfreiheit nicht nur als große „Errungenschaft“ zu preisen, sondern politisch zu schützen und zu verteidigen. Die Meinungsfreiheit muss um ihrer selbst willen begrenzt werden. Nicht jeder Feind der Demokratie darf in einer Demokratie allen Wahn verbreiten. Es ist schwer, für liberal gestimmte Menschen, dies anzuerkennen. Aber die bedrängende Situation verlangt diese Einschränkung um der Menschlichkeit willen.

Lektüreempfehlungen:
Wichtig ist die Studie des Literaturwissenschaftlers Prof. Heinrich Detering, „Was heißt hier wir?“ (Reclam 2019). Darin wird gezeigt: Unter „wir“ versteht sich die AFD exklusiv als „das“ Volk“. Das Volk, das sind nur „wir“, die Rechtsextremen: D.h: „Wir“ grenzen die anderen, die Fremden, die Flüchtlinge, die Minderheiten aus. Diese Ideologie muss in einer Demokratie praktisch, politisch und gesetzlich zurückgewiesen werden.

Man lese auch noch einmal das schon 1993, also kurz nach der „Wende“, herausgegebene Buch „Deutsche Zustände“(Rowohlt Verlag, hg. von Bahman Nirumand): Von besonderer aktueller Bedeutung sind die vor über 25 Jahren (!) veröffentlichten Beiträge von Asher Reich (Tel Aviv) „Der Nazismus ist nicht tot – er schläft nur“ und Hans Joachim Schädlich (Berlin) „Für Gewalt der Demokratie gegen die Gewalt der Nazis“.

Es wären weiter zu debattieren über die Studien des Soziologen Emile Durkheim, die sich auf die notwendige staatsbürgerliche Moral in der Gesellschaft beziehen. Sie sind unter dem Titel „Physik der Sitten und des Rechts“ als Vorlesungen aus dem Jahre 1896 erschienen. Der Frankfurter Philosoph Axel Honneth bezieht sich in seinem Buch „Das Recht der Freiheit“ (Suhrkamp Verlag 2011) auf diese Studie Durkheims (dort S. 494 f.) und erinnert an ähnliche Überlegungen des Philosophen John Dewey (S. 497).
Unter „staatsbürgerlicher Moral“ versteht Durkheim, so berichtet Axel Honneth, „die geschriebenen und ungeschriebenen Moralnormen, deren Einhaltung die Mitglieder eines demokratischen Staatswesens dazu befähigt, sich trotz der wechselseitigen Respektierung ihrer individuellen Unterschiede an der gemeinsamen Beratschlagung und Aushandlung von allgemeinverbindlichen Grundsätzen staatlichen Handelns zu beteiligen“ (S. 494).
Ob rechtspopulistische und rechtsextreme Kreise und Parteien an einer gemeinsamen „Beratschlagung“ überhaupt interessiert und in der Lage sind, wäre eine Frage.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Meinungsfreiheit – die Basis aller anderen Freiheiten. Zum “Internationalen Tag der Pressefreiheit”

Meinungsfreiheit – die Basis aller anderen Freiheiten.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Die Freiheit der Presse ist weltweit immer mehr bedroht, darauf macht die NGO “Reporter ohne Grenzen” auch zum 3. Mai 2016 wieder aufmerksam, dem Welttag der Pressefreiheit. Mit der Einschränkung und dem Verbot der Pressefreiheit wird die Meinungsfreiheit insgesamt schrittweise abgeschafft;  Meinungsfreiheit aber ist die Basis ALLER Freiheiten. Wir leben also in einer Situation, in der weltweit mit der Abschaffung der Meinungsfreiheit auch die Menschenrechte insgesamt in Frage gestellt, bedroht und abgeschafft werden. Die “Errungenschaften” der philosophischen Aufklärung werden nur noch in einigen Staaten respektiert. Eine schlimme Erkenntnis zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Der “Welttag der Pressefreiheit” ist also ein Tag des kritischen politischen Nachdenkens … und der Aktion, d.h. in dem Fall: der helfenden Unterstützung für Journalisten, die um der Menschenrechte willen in zahllosen Ländern bedroht sind und ermordet werden. Man beachte und beobachte auf Dauer, in welcher Weise heute populistische und rechtslastige Gruppen und Parteien (AFD, FPÖ, Le Pen Partei, Putin und CO. usw.)  in Europa mit dem Respekt vor der Pressefreiheit und den Journalisten umgehen. Man beachte, wie etwa in Brasilien durch die Übermacht einer bestimmten Presse (“O GLOBO”, TV und Print, erreicht mit seiner Propaganda über die Hälfte der Bevölkerung) der Staatspräsidentin so zugesetzt wird, dass sie aus ihrem Amt vertrieben werden soll – aus parteipolitischen Gründen. Die Lage ist insgesamt dramatisch. Ein Auszug aus einem Interview mit Christian MIHR von Reporter ohne Grenzen: „Pressefreiheit: Die Lage ist viel schlimmer“    © Reporter ohne Grenzen

Frage: Die neue Rangliste der Pressefreiheit 2016 zeichnet ein düsteres Bild. In allen Weltregionen sind im Jahr 2015 die Freiräume zurückgegangen. Ist das nur eine Verstetigung eines bereits bestehenden Trends?

Antwort: Unsere jährliche Rangliste der Pressefreiheit vergleicht in erster Linie den Zustand der Pressefreiheit in den verschiedenen Staaten miteinander. Insofern zeigt er vor allem, ob sich die Lage in den einzelnen Ländern im Verhältnis zu Ländern mit einer ähnlichen Ausgangslage verbessert oder verschlechtert hat. Da spielen ja sehr viele Entwicklungen in den derzeit 180 bewerteten Staaten hinein: zum Beispiel Änderungen in der Gesetzgebung, in der Rechtspraxis, in den Rahmenbedingungen für Medienunternehmen und natürlich Fragen der Sicherheit für Journalisten. Seit 2013 errechnen wir aus den Daten der Rangliste allerdings auch einen Indikator für den weltweiten Stand der Pressefreiheit. Und der zeigt tatsächlich eine eindeutige Verschlechterung – allein seit dem vergangenen Jahr um 3,7 Prozent und seit 2013 um insgesamt 13,6 Prozent. Am deutlichsten ist der Rückgang beim Teilindikator für die Produktionsmittel von Medien. Einige Regierungen schrecken nicht vor Blockaden des Internets oder der Zerstörung von Redaktionsräumen, Sendetechnik oder Druckpressen zurück, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich weltweit gesehen verschlechtert. Dies spiegeln die vielen Gesetze wider, die Präsidentenbeleidigung, Blasphemie oder Unterstützung des Terrorismus unter Strafe stellen und damit in einigen Ländern zu zunehmender Selbstzensur beitragen.

Frage: Ein Grund für die Verschlechterung sind die zunehmend autokratischen Tendenzen in einigen Ländern und die vielen Bürgerkriege. Besteht da immer ein direkter Zusammenhang: Also alle autoritären Regime handeln repressiv und in allen Bürgerkriegen werden Reporterinnen und Reporter ermordet?

Antwort: Einerseits kann man das wohl tatsächlich so sagen. Unser altes Motto lautet ja „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“, und das lässt sich immer wieder sehr anschaulich beobachten. Wo Regierungen einen autoritären Weg einschlagen wie derzeit etwa in Ägypten, Russland oder der Türkei, da werden unabhängige Journalisten als Störenfriede oder Verräter behandelt. Präsidenten wie Abdelfattah al-Sisi, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan reagieren sehr empfindlich darauf, wenn kritische Kommentatorinnen oder hartnäckige Rechercheure an ihrer Fassade als stets erfolgreiche, allseits beliebte Staatsmänner kratzen. Im Fall der Türkei erfahren die ständig neuen Auswüchse dieser repressiven Grundhaltung derzeit ja viel Aufmerksamkeit, aber in Ägypten zum Beispiel ist die Lage noch viel schlimmer. Und in Kriegen stellt sich die Frage der Repressionen natürlich noch viel schärfer – zumal dann, wenn sich die Kriegsparteien wie in Libyen oder Syrien nicht um das Völkerrecht scheren und Journalisten im Zweifelsfall als lästig oder als Faustpfand für internationale Aufmerksamkeit betrachten…

Frage: Deutschland hat sich von Rang 12 auf Rang 16 verschlechtert. Wie ist das zu erklären?

Antwort: Deutschlands aktuelle Verschlechterung ist ganz klar auf die erschreckend gestiegene Zahl von gewaltsamen Übergriffen auf Journalisten, aber auch von Anfeindungen und Drohungen zurückzuführen – vor allem bei den Pegida-Demonstrationen und ihren Ablegern, aber auch bei rechtsextremistischen Aufmärschen und gelegentlich bei Gegenkundgebungen. Dass in manchen Städten regelmäßig Hunderte, manchmal Tausende Menschen „Lügenpresse“ skandieren, fassen manche Menschen offenkundig als unmittelbare Aufforderung zum Handeln auf. Sorge bereiten uns aber auch Entwicklungen wie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und die immer neuen Erkenntnisse über geheimdienstliche Überwachung, die die Vertraulichkeit journalistischer Recherchen ganz grundsätzlich in Frage stellen. Deshalb haben wir im vergangenen Jahr gegen den Bundesnachrichtendienst geklagt und sind nun sehr gespannt auf die Reaktion der Justiz…

Wir empfehlen dringend, dauernd die Publikationen von Reporter ohne Grenzen zu lesen und zu diskutieren.

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Wir haben im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin von unserem Interesse für die Religionen und Kirchen dauernd das Problem: In den Kirchen z.B. wird die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit nicht umfassend respektiert. Fast alle Publikationen, die von den Kirchen selbst herausgegeben sind, zeigen sich eher als Propaganda-Informationen, nicht aber als unabhängige, einzig der Freilegung von Wahrheiten verpflichtete Veröffentlichungen. Mit anderen Worten: Pressefreiheit gibt es in den Kirchen weitgehend auch im Jahr 2016 nicht. Und darüber wird öffentlich kaum gesprochen.

Interessant ist sicher noch die philosophische Überlegung zur primären Bedeutung der Meinungsfreiheit für alle weiteren Freiheiten. Diese Stellungnahme haben wir im Jahr 2015 veröffentlicht:

Salman Rushdie hat in seiner Rede auf der Frankfurter Buchmesse am Dienstag, den 13. Oktober 2015, in aller Deutlichkeit erklärt: “Ohne die Meinungsfreiheit muss jede andere Freiheit scheitern”. Die Freiheit des Wortes, selbstverständlich des angstfreien, des öffentlichen Wortes, sei überhaupt kein kulturelles Konstrukt, also von einigen Kulturen gutgeheißen, von anderen eben nicht. Diese relativistische, angeblich klug und angeblich höflich auf kulturelle Differenzen bedachte Haltung, ist falsch! “Wir Menschen sind sprechende Tiere. Wir erzählen, und das macht uns aus. Darum sollte Redefreiheit wahrgenommen werden wie die Luft, die wir atmen: als selbstverständlich”. Meinungsfreiheit ist ein absolut geltendes Menschenrecht. Die Angst, sich frei zu äußern, auch unbequem zu den Menschenrechten zu äußern, ist weit verbreitet. Noch schlimmer ist die Angst in den westlichen Ländern, sozusagen in vorauseilendem Gehorsam gegenüber autoritären (arabischen) Staaten, Kritik an diesen Regimen in den eigenen westlichen Ländern besser zu unterlassen.

Meinungsfreiheit als Basis aller Freiheiten, auch der Religionsfreiheit, ist eine evidente philosophische Erkenntnis.  Wird die Meinungsfreiheit als Basis demokratischen Lebens respektiert, dann heißt das nicht, dass die Aussagen aller Feinde der Meinungsfreiheit und damit der Menschenrechte unwidersprochen (und ohne strafrechtliche Verfolgung) hingenommen werden dürfen. Das gilt etwa im Zusammenhang der rechtslastigen Feind der umfassenden Meinungsfreiheit. Maßstab der Kritik bleibt die universale Gültigkeit der Menschenrechte.Und diese Kritik muss öffentlich geäußert werden.

Wir haben in drei Beiträgen im Februar und im April 2015 ausführlicher diese philosophische Evidenz auf dieser website erläutert: Meinungsfreiheit ist die Basis aller anderen Freiheiten.

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