Weiterdenken mit dem “Philosophie Magazin”.

Weiterdenken mit dem PHILOSOPHIE MAGAZIN

Ein Hinweis von Christian Modehn

Seit vier Jahren arbeiten auch JournalistInnen daran, Philosophie aus den kleinen Zirkeln der Universitäten zu befreien. Einige haben in Berlin, unterstützt von französischen philosophischen Journalisten, vor 4 Jahren das „PHILOSOPHIE Magazin“ gegründet. Es begleitet, inspiriert und provoziert eine bisher noch gar nicht umfassend wahrgenommene kulturelle Bewegung: Sie würde es verdienen, dass Kulturpolitiker sich auch mal darum kümmern. Zur förderungswürdigen Kultur gehören Menschen, die nichts anderes wollen, als sich in ruhigen Räumen mit guten Bibliotheken bei Tee oder Wein zu treffen – zum Nachdenken eben, zum Philosophieren, warum nicht auch mit einer guten philosophischen Zeitschrift. Nebenbei: Dass es  – wenigstens in Berlin – nicht ein “Haus der Philosophie” gibt _ angesichts so vieler anderer Kultur-Literatur-Kunsthäuser, finde ich skandalös.

Das alle zwei Monate erscheinende „PHILOSOPHIE Magazin“ ist eine Denkhilfe für einzelne, vielleicht auch eine Orientierungshilfe (wir wollen uns ja hoffentlich denkend im Leben orientieren) sowie auch eine Inspiration für die lebendigen philosophischen Gesprächskreise. Philosophie lebt vom Philosophieren in der Gruppe.

Das neue Heft (August/September 2015) ist in Buchhandlungen, aber auch in größeren Zeitungsläden, etwa in Hauptbahnhöfen, erhältlich zum Preis von 6,90 EURO bei einem Umfang von 100 Seiten wahrlich sehr erschwinglich. Zumal, wenn man bedenkt, dass in dem Heft jede Seite lesenswert ist … und man am besten die Hefte sammelt, um später noch einmal nachzulesen…zum Weiterdenken.

Es ist keine Frage: Philosophieren wird auch im “Philosophie Magazin” nicht immer als leichte Kost präsentiert. Vielleicht ist es auch Ausdruck einer allgemeinen philosophischen Entwöhnung –Philosophie ist ja leider kein relevantes Unterrichtsfach in den Schulen in Deutschland- dass wir etwa Technik und hoch komplizierte Gebrauchsanweisungen offenbar zugänglicher finden als grundsätzliche Reflexionen über Grundfragen des Daseins. Etwa die Frage: Was ist eigentlich ANERKENNUNG? Ein Thema, das viele Philosophen bewegt, nicht weil sie es zuerst für ein philosophisches Problem halten, sondern weil Anerkennung ein Thema mitten im Leben ist. Wenigstens vom Namen her bekannt ist die Anerkennungsproblematik, wie sie Hegel unter dem Stichwort „Herr und Knecht“ in seiner „Phänomenologie des Geistes“ entwickelt. Das neue Heft „Philosophie Magazin“ bietet in einer Beilage nicht nur den Text Hegels in der (sprachlich etwas antiquierten, aber sicher authentischen Fassung der Meiner Ausgabe von 2015), dazu auch ein einführendes Vorwort des Philosophen Martin Gessmann: „Womöglich hat das wahre Herr-und-Knecht-Kapitel in der Geschichte erst begonnen“, schreibt er mit Blick wohl nicht nur auf die ökonomische Ungleichheit/Ungerechigkeit innerhalb der Weltbevölkerung heute, sondern auch, wie denn die anderen bislang eher ignorierten Knechte, also die Automaten, Maschinen und Roboter als unsere „Assistenzsysteme“ eines Tages vielleicht die Rolle des bestimmenden „Herren“ übernehmen und möglicherweise die Menschen zu Knechten machen.

Der bekannte Frankfurter Philosoph Axel Honneth (er gilt als einer der brillanten Vertreter der „Frankfurter Schule“) bietet einen längeren Essay über „Hegel und die Anerkennung“, der Beitrag ist dem Thema gemäß höchst anspruchsvoll. Es ist wohl diese Melange aus sehr anspruchsvollen fachphilosophischen Beiträgen (wie diesem) und eher allgemein zugänglichen Texten und Interviews, die das Heft auszeichnet. Ob man die Herren Fachphilosophen bitten dürfte, immer die Nachvollziehbarkeit der “Bildungsbürger” im Blick zu haben, wäre eine interessante journalistische Frage.

Weil Philosophieren eben vorwiegend auch Dialog ist oder sein sollte, sind die Interviews, die manchmal auch Dialoge sind, im Heft besonders interessant. Francois Jullien, Experte in Paris für (alte) chinesisches Denken in Beziehung zum europäischen Denken/zur Philosophie,  zeigt im Interview, wie westliche Menschen von ihrer (begrenzenden) Fixierung auf Ziele befreit werden könnten – wenn sie denn wie die (alten) Chinesen „nicht nach dem Glück streben, sondern nach dem Im-Fluss-Sein“. „Das Wesentliche ist die Bewegung“… Auch der von vielen geschätzte Bestsellerautor und Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid (Berlin) kommt ausführlich zu Wort, auch mit Antworten zu seinem eigenen biographisch-philosophischen Weg. Wilhelm Schmid ist ein Mittler und Vermittler philosophischer Traditionen, ein Übersetzer, der durchaus den Mut hat, Philosophieren als kritische Form der Lebensbegleitung und Lebenshilfe darzustellen. Der Erfolg seiner Bücher, vor allem zur Gelassenheit, zeigen, dass Philosophen sich ins Gespräch der Öffentlichkeit nachvollziehbar für die meisten einschalten können bei der Diskussion zentraler Lebensfragen. Wahrscheinlich hat in dem Falle die Philosophie sogar die “Seelsorge” übernommen und tritt ein in die guten Traditionen, wie sie Pierre Hadot herausgearbeitet hat. Wilhelm Schmid ist ein freier Philosoph und Schriftsteller, er hat andere Verbindungen zur Alltagswelt als ein Professor für Philosophie an der Universität. Insofern erinnert er uns an den freien französischen Philosophen und Schriftsteller André Comte-Sponville. In Frankreich gibt es ohnehin die Tradition der „Populär-Philosophen“, man muss nicht gleich an Alain denken, aber selbst Albert Camus lebte und dachte bekanntlich außerhalb der Universitäten, und Emil Cioran arbeitete auch nicht an einer Universität usw.

In Deutschland werden wir es uns meines Erachtens abgewöhnen müssen, den Begriff und die Personen der Populärphilosophen gering zu schätzen. Waren die Stoiker und Epikuräer nicht etwa auch Populärphilosophen? Wahrscheinlich haben ja die Universitätsphilosophen ohnehin erst dann eine gewisse, über die engen Zirkel hinausgehende Wirkung, wenn sie selbst die Dimension des Populären pflegen und vor allem bitte endlich auch sprachlich darauf achten, auch schön zu schreiben, also lesbar für den gebildeten Bürger, ohne die fachspezifische Esoterik und Hermetik. Ich empfehle in dem Zusammenhang immer sehr gern die vorbildlichen Arbeiten von Prof. Martin Seel, Frankfurt am Main. Ein Beispiel: Sein Buch „111 Tugenden-111 Laster“ (Fischer Verlag)  sollte endlich als Taschenbuch zu einem erschwinglichen Preis erscheinen, damit es in Schulen, Volkshochschulen, Gesprächskreisen verbreitet und diskutiert wird.

Der Leser des neuesten Heftes des Philosophie Magazin wird sich besonders freuen, in einem Interview der Philosophin Chantal Mouffe zu begegnen, die als Denkerin des Politischen für eine neue Gestalt radikaler Politik eintritt. Der philosophische Einfluß etwa auf “Podemos” in Spanien wird unterstrichen.

Insgesamt möchten wir die Reihe “Philosophie Magazin” dringend empfehlen, vor allem., weil dieses Blatt das Potential hat, noch besser zu werden, noch deutlicher zu zeigen, wie Philosophieren immer und ständig stattfindet, auch in der Musik, der Literatur, dee Poesie, den Künsten, dem Alltag, den Religionen usw. usw. Und selbstredend eben in den immer neu zu entdeckenden Texten von PhilosophInnen.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Wenn der Atheist den Christen liebt. Zu einer aktuellen Novelle von Honoré de Balzac

Wenn der Atheist den frommen Christen liebt:

Zu einer kleinen, aber großen Novelle von Honoré de Balzac

Von Christian Modehn

„La Messe de l athée“ („Die Messe des Atheisten“) ist eine der kürzesten Erzählungen von Honoré de Balzac. Aber der Text, leider eher selten noch beachtet, kann auch heute, 180 Jahre nach seiner Veröffentlichung (1836), viele übliche ideologisch-religiöse Grenzziehungen fragwürdig werden lassen. Es ist ein Text, der die LeserInnen berührt, bewegt… und verunsichert. Etwa hinsichtlich des wohl noch nicht ganz verschwundenen Vorurteils, dass Atheisten nicht in der Lage seien, religiöse Menschen, selbst solche, denen „man“ einen naiven (Köhler-)Glauben zugesteht, zu schätzen, zu achten, zu verehren, ja, auch dies: zu lieben. Natürlich ist ein literarischer Text als solcher ein Kunstwerk, das in sich selbst lebt. Aber Balzacs Romane und Erzählungen sind ja niemals „l art pour l art“, sind niemals schöngeistige Spielerei aus Freude am Nur-Ästhetischen. Von daher die Aktualität des Textes!

Ein Hinweis zum Inhalt: Doktor Desplein ist ein angesehener, berühmter Chirurg im Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts; er ist zudem bekannt für seine radikale atheistische Überzeugung. Eines Tages entdeckt sein junger Kollege, Horace Bianchon, dass Doktor Desplein die Kirche St. Sulpice (im 6. Pariser Arrondissement) morgens um 9, zur Zeit der Messe, von einem Seiteneingang aus betritt. Beobachtungen und Nachforschungen führen den neugierigen Bianchon, zur Gewissheit: Der berühmte atheistische Arzt nimmt regelmäßig, viermal im Jahr, an einer Messe teil; er kniet beim Beten, wie es sich gehört, er gibt Spenden in die Kollekte, er führt sich auf wie ein Frommer. Der Sakristan verrät dem jungen Arzt, dass der berühmte Desplein, „der unerschrockene Spötter“, schon seit 20 Jahren, immer im Rhythmus von drei Monaten, an der Messe teilnimmt. Von Bianchon angesprochen, erklärt der berühmte Atheist: Er selbst habe diese Messen als Totengedenken bestellt, also auch den Messe lesenden Priester bezahlt. Und das alles nur, um einen der wertvollsten Menschen zu ehren, die er je gekannt hab: Den frommen, ja naiv-frommen Wasserträger de Bourgeat. Er stammt vom Land, aus der Auvergne; die beiden haben sich in Paris kennen gelernt, als Desplein in höchster Not war: Als Student konnte er sich kaum noch ernähren, fürs Studium fehlte ihm das Geld. Da hat ihm der arme Fromme de Bourgeat geholfen, das Ersparte dem Studenten gegeben, in der Überzeugung, dass der junge Mann einmal ein berühmter Arzt werde. „Ohne ihn hätte mich das Elend getötet“, gesteht Desplein. Von seinem Gehalt kauft der Arzt dann später dem armen Wasserträger ein Pferd und eine Tonne fürs Wasser; bei schwerer Krankheit kann ihn der junge Arzt (de Desplein) noch retten, wenig später stirbt der Freund, der Wohltäter, der fromme Wasserträger. Um der verstorbenen guten Seele schnell den Zugang in den Himmel zu ermöglichen, bezahlt Desplein alle drei Monate die Toten-Gedenk-Messe. „Er war mein zweiter Vater“, berichtet Desplein dem jungen Arzt Bianchon, „de Bougeat starb in meinen Armen, er hat mir in einem Testament alles hinterlassen, was er besaß. Er liebte die Jungfrau Maria wie er wohl seine Frau geliebt hätte. Aber er fürchtete noch, nicht heilig genug gelebt zu haben. Nach seinem Tod merkte ich, dass er niemand hatte. Aber er hatte eine religiöse Überzeugung. Habe ich das Recht, darüber zu diskutieren?“ Aus tiefer Zuneigung und Dankbarkeit lässt der Atheist die Messe lesen. „Und ich sage in dem guten Glauben des Zweiflers: Mein Gott, wenn es eine Sphäre gibt, wo du nach dem Tod diejenigen bewahrst, die vollkommen gelebt haben, dann denke auch an den guten Bourgeat. Und wenn er noch leiden muss (gemeint ist wohl die Läuterungszeit im Jenseits, CM), dann übergib du mir dessen Leiden, damit er schnell eintreten kann in das, was man Paradies nennt“.

Die Geschichte von Balzac ist alles andere als eine kitschige Erbauungsstory für fromme Gemüter. Sie ist sachlich, kühl geschrieben. Sie kann als Plädoyer verstanden werden, dass sich Atheisten und fromme Christen so fern eigentlich nicht sind, wenn sie sich zuerst als Menschen und nicht zuerst als Mitglieder/Vertreter einer Religion oder Ideologie betrachten. Dann kann der extrem fromme Katholik einem jungen Atheisten helfen; und der Atheist kann an Gottesdiensten und Messfeiern teilnehmen, ja diese sogar bestellen und bezahlen, weil er, gemäß der Glaubenswelt seines Freundes, diesem noch post mortem Gutes tun will.

Diese Vorstellungen im engeren Sinne haben heute sicher keine große Relevanz mehr. Wichtig aber bleibt der Kern der Aussage von Balzac: Menschlichkeit ist wichtiger als Religiosität. Und aus der noch so schlichten Frömmigkeit kann viel Menschlichkeit erweckt werden. Und Atheisten haben keine Grund arrogant zu sein und sich als etwas Besseres zu fühlen.

Man übersetze diese Geschichte ins Heute: Ein katholischer Priester etwa finanziert einem atheistischen Studenten das Studium. Oder ein Atheist unterstützt das spirituelle Wohlergehen eines frommen Christen…Gibt es solche Beispiele, etwa in Deutschland?

„La Messe de l Athée“ ist kürzlich als kleiner separater Druck (zum Preis von 5,10 EURO) in den Editions Manucius, 40, Rue de Montmorency, 75003 Paris, erschienen (im Jahr 2013). Das Heft umfasst 75 Seiten, incl. einer Einleitung und eines Kommentars und Hinweise auf die wenigen Studien zum Text. Wir empfehlen diese preiswerte, gute Ausgabe auch für Schulen und Volkshochschule und kirchliche Akademien…

Wichtig dürfte besonders die Studie von John H. Mahazeri sein: „Un Atheismus particulier: Une lecture de La Messe de l Athée“. In: Essais sur la religiosité d Honoré de Balzac. New York 2008.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Probleme mit der Vernunft: Ein Sonderheft über den Koran des Philosophie-Magazin

Probleme mit der Vernunft:

Das Sonderheft „Der Koran“ des „Philosophie Magazin“.

Von Christian Modehn

Der Koran und die Philosophen/die Philosophien: Anders gesagt: Der Koran und die Bedeutung des kritischen, systematischen Denkens und des menschlichen Verstehens: Ein Thema, das immer schon Bedeutung hatte, umstritten war und jetzt neu entdeckt wird, etwa auch in Veranstaltungen des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ kürzlich. Das „Philosophie Magazin“ (Berlin/Paris) hat nun ein stattliches, 100 Seiten umfassendes Sonderheft zum Koran publiziert mit ca. 40 verschiedenen Beiträgen. Auf diese „bunte Mischung“ können wir nur partiell, aber wohl Wesentliches treffend, hier eingehen. Catherine Newmark ist die verantwortliche Redakteurin dieser Sonderausgabe. Sie bietet zahlreiche Informationen zum Thema, darunter auch Zitate aus Interpretationen des Korans von prominenten deutschen Philosophen, wie Herder, Lessing, Hegel, Nietzsche… Unter den zahlreichen Interviews ist interessant der Beitrag von Angelika Neuwirth, Professorin für Arabistik an der FU Berlin. Sie deutet das heute weit verbreitete Lektüreverhalten gegenüber dem Koran als „Nachschlagewerk für (aktuelle) Probleme“ als „Missbrauch“. Angelika Neuwirth folgend ist der Koran vielmehr in erster Linie „ein Inventar von Texten, die man im Gottesdienst braucht“ (S. 15.) Die Professorin für Arabistik erinnert auch daran, dass für die Muslime „Gott der alleinige Autor (des Koran) ist“. Kurz darauf schreibt Angelika Neuwirth: “Obwohl man die transzendente Herkunft (des Korans) nicht wissenschaftlich beweisen kann, hat man (!, CM) den muslimischen Geltungsanspruch, den der Koran ja auch selbst transportiert, zu respektieren“. Warum „man“, also auch Literaturwissenschaftler oder Philosophen, diesen von den Vertretern der Religion erhobenen „transzendenten Geltungsanspruch“ respektieren müssen, wird hier leider nur behauptet, aber nicht begründet. Kann „man“ unter Zustimmung zu dieser religiösen Weisung überhaupt Wissenschaft betreiben? ..Deutlich in dieser Sache wird der emeritierte Islamwissenschaftler Stefan Wild (Bonn). Er antwortet auf die Frage nach einer historisch-kritischen Lektüre des Korans, so, wie sich auch seit ca. 150 Jahren die historisch-kritische Bibelforschung durchgesetzt hat: „Generell kann man sagen, dass eine solche Lektüre im traditionellen Islam sehr wenig ausgeprägt ist“ (S. 45). Das wissen wir allmählich. Irritierend ist hingegen die weitere Einschätzung Von Herrn Wild: „Die meisten heutigen islamischen Theologen sehen, was in Mitteleuropa mit den offiziellen Religionen des Katholizismus und Protestantismus passiert ist. Sie sehen, oder glauben zu sehen, dass bestimmte Tendenzen der Exegese – etwa die Entmythologisierung – im Grund den Status dieser Religionen unterminieren. Und sie sagen: Das wollen wir nicht“.

Ich finde es als bedauerlich, nein: mangelhaft, dass solche Aussagen eines Professors ohne Widerspruch stehen bleiben und so den Eindruck erwecken, diese Aussagen seien richtig. Entmythologisierung der Bibel hat tatsächlich wie eine Befreiung gewirkt, hat Raum geschaffen für ein Verstehen der Bibel, bei dem der Leser nicht mehr auf seinen Verstand verzichten muss. Hat man denn noch nie gehört, dass Entmythologisierung im Sinne Rudolf Bultmanns nicht Vernichtung des Mythos, sondern dessen VERSTEHEN bedeutet! Vernunft hat im Christentum den Glauben gereinigt von Wahnvorstellungen usw. Vernunft im Christentum ist ein Gewinn! Wann wird man sagen können: Die menschliche Vernunft hat den Islam gereinigt?

Auch mit dem Kölner Islamwissenschaftler Stefan Weidner wird ein Interview geboten. Er erinnert – wie der Literaturwissenschaftler Nivid Kermani „Gott ist schön“, München 1999 – an die Schönheit, Heiligkeit und Unveränderlichkeit des Wortlautes des arabisch geschriebenen Koran. Die Schönheit, so wird immer wieder behauptet, erschließe sich eben nur in der arabischen Sprache….Diese Glaubensüberzeugung führt aber zu Problemen der Koran Übersetzungen in andere Sprachen. Stefan Weidner plädiert für Übersetzungen, weil er den Koran als Buch der allgemeinen Dichtung und Poesie versteht, weil er also den Koran ins „Menschliche“ hineinzieht und gern diesen poetischen Text (aus dem 7./ 8. Jahrhundert) den LeserInnen auch in europäischen Sprachen etwa zugänglich machen will. Stefan Weidner arbeitet selbst an einer „ersten poetischen Übersetzung des Korans seit Friedirch Rückert“, schreibt die Zeitschrift Philosophie Magazin, S. 25).

Der Kauf des Heftes lohnt sich auch wegen des leider knappen Interviews mit Souleymane Bachir Diagne, Professor an der Columbia University of New York (S. 61 f.) Zum Vers der Sure 2: 256 „Kein Zwang ist in der Religion“, sagt er: „Erst wenn (im Islam, CM) alle Zwänge, von den offensichtlichen (körperlichen, gesetzlichen, staatlichen) bis hin zu den hinterlistigsten, dem Konformismus geschuldeten Zwänge aufgehoben sind, wird die Wahl des Gottes (also mein Glaube, CM) ein authentisches Einwilligen in Gott sein“ (S. 62). Souleymane Bachir Diagne (er wurde in Senegal geboren) folgt den Sufis, für die es keine einzelne, absolut wahre Religion gibt: „In der Dichtung der Sufis besagen zahlreiche Verse, dass es zwischen Tempel, Synagoge, Moschee, Kirche und selbst den Götzenbildern letzten Endes keinen Unterschied gibt….“

Sehr lesenswert ist auch das Interview mit dem Journalisten und Islamwissenschaftler Thorsten Schneiders, er äußert sich zum Islamismus, der für ihn „ein politisches, kein religiöses Phänomen“ ist (S. 88 ff).

Ein weiterer Hinweis: In unserer philosophischen Sicht ist es außerordentlich betrüblich, wenn ein islamkritischer muslimischer Denker unter Pseudonym (Ibn Warraq) schreibt: „Das liberale (kritische) arabische Denken ist fragmentiert ..und es werden dessen Argumente nur von einem Bruchteil der arabischen Bevölkerung vernommen“ (S. 93).

Er soll das Schlusswort haben: “Ich glaube wirklich, dass in der islamischen Welt eine Aufklärung (etwa Trennung von Religion und Staat) nur mit einer kritischen Prüfung des Korans zustande kommen kann…“ Ob sich daran auch die muslimischen Islamwissenschaftler an deutschen Universitäten, auf ihren neu eingerichteten wissenschaftlichen Lehrstühlen, halten, wäre eine eigene Überprüfung wert.

Copyright: Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Jan Hus vor Jahren 600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt: Erinnerungen an einen radikalen Reformator

Jan Hus vor 600 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt: Erinnerungen an einen radikalen Reformator

Ein Hinweis von Christan Modehn

Jan Hus, der tschechische Reformator, wurde am 6. Juli 1415, vor 600 Jahren,  während des Konzils von Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sein Verbrechen: Er forderte eine grundlegende Reform der katholischen Kirche.

ARTE sendet am Mittwoch, den 1. Juli, einen wichtigen Film des tschechischen Fernsehen über Jan Hus, als Zweiteiler: Der erste Film beginnt um 20.15, der zweite um 22.15 Uhr.

Wir haben schon vor einigen Monaten auf das empfehlenswerte neue Buch des tschechischen Historikers Pavel Soukoup “Jan Hus”, hingewiesen, erschienen ist es als Kohlhammer-Taschenbuch 2015.

Einen grundlegenden Eindruck vom Anliegen des Reformator HUS vermittelt Pavel Soukup in einem Interview für den NDR (Info-Programm, Reihe Blickpunkt Diesseits).

Jan Hus – Die Urkirche als Vorbild: Der Reformator aus Prag

Eine Ra­dio­sen­dung von Christian Modehn

Vor 600 Jahren fand in Konstanz, auf deutschem Boden, ein Konzil statt. Die Zusammenkunft am Bodensee sollte nicht nur die Krise des Papsttums beenden, tatsächlich gab es zu dem Zeitpunkt drei Päpste, die um Anerkennung kämpften. Vor allem aber sollte auch ein radikaler Kirchenreformer zur Raison gebracht werden, ein böhmischer Theologe, den viele für einen Vorläufer Martin Luthers halten. Jan Hus.

Der Historiker Pavel Soukoup betont: „Ganz allgemein gesagt, wollte Hus die Kirche so haben, wie sie zur Zeit der Apostel war, also die Urkirche. Was das praktisch bedeutete: Also der Lebenswandel der Kleriker sollte besser sein; sie sollten sich auf die Predigt konzentrieren, und arm leben.“

Pavel Soukoup von der „Prager Akademie der Wissenschaften“ befasst sich seit Jahren mit dem Reformator Jan Hus, weil er weiß: Die Vorschläge von Hus zur Kirchenreform sind bis heute von Bedeutung! Im Jahr 1400 wurde Hus, kaum dreißigjährig, zum Priester geweiht. Schon bald verehrten ihn die Gläubigen, war er doch der führende Intellektuelle und populäre Prediger an der Prager „Bethlehems Kapelle“. Er wagte es nicht nur, in tschechischer Sprache anstelle des üblichen Latein die Bibel auszulegen. Er forderte radikal eine bessere, eine reformierte Kirche. Pavel Soukoup: Wenn Hus die Kirche und die Priester beobachtete, verlor er allmählich sein Vertrauen in die Kirche als Institution. Und er wollte eine Kirche haben, die sich auf das Evangelium orientiert und die nicht so stark als Institution hervortritt und sich auch machtpolitisch durchsetzt.

Unter Kirche verstand Jan Hus vor allem als eine geistige Gemeinschaft, die ohne Macht und Herrschaft auskommt. Wie sein Zeitgenosse John Wyclif, ein englischer Reformator, wollte der Böhme Jan Hus einen einfachen, elementaren Glauben fördern, betont Pavel Soukoup: „Hus und die meisten Hussiten haben die kirchliche Tradition nicht als ganze verworfen. Von daher wollten sie diejenigen Teile der kirchlichen Tradition anerkennen, die nach ihrer Interpretation mit dem Gesetz Christi übereinstimmen. Wenn dann etwas im Gegensatz zu Christi Gebot steht, sei es ein päpstlicher Erlass, dann muss das verboten werden“.

Aber die Bischöfe hatten die Macht. Sie sprachen das Verbot aus und untersagten dem beliebten Theologen Jan Hus die pastorale Arbeit. Er aber ließ sich nicht einschüchtern; als Wanderprediger kämpfte er für die Kirchenreform. Seine Sache wollte er beim Konzil in Konstanz verteidigen, freies Geleit wurde ihm offiziell zugesichert. Aber schließlich wurde er genötigt, seine Reformvorschläge zu widerrufen. Hus ließ sich nicht beirren, er folgte seinem Gewissen, beharrte auf seiner Lehre. Am 6. Juli 1415 wurde er in Konstanz verbrannt. Seit der Zeit ist er eine Art Nationalheld des Tschechischen Volkes. Als 1919 die Republik ausgerufen wurde, gründeten römisch – katholische Theologen eine unabhängige tschechische Nationalkirche, eine Art katholische Reformkirche mit der Messe in der Landessprache, auch die Priesterehe wurde zugelassen. Diese Kirche führt bis heute Jan Hus in ihrem Namen, berichtet der Münchner Historiker Martin Zückert: „Hervorgegangen aus einer Reform orientierten Bewegung der katholischen Kirche, konnte die Tschechoslowakische Kirche bis kurz vor dem 2. Weltkrieg auf knapp eine Million Mitglieder kommen. Allerdings immer begrenzt auf die böhmischen Länder, also das heutige Tschechien. Heute zählt die Tschechoslowakisch Hussitische Kirche nur noch knapp 100.000 Mitglieder, spielt also keine Rolle mehr“.

Aber diese Kirche kann, wie die anderen protestantischen Kirchen Böhmens, die Erinnerung an die böhmische Reformation immerhin wach halten: Und dies ist um so dringender, angesichts des bevorstehenden Gedenkens an die Hinrichtung von Jan Hus vor 600 Jahren. Denn die Kommunisten haben das Bild des Kirchenreformators für ihre Zwecke missbraucht und damit den guten Ruf von Jan Hus beschädigt, betont der Historiker Pavel Soukoup:

„Dann wurden die Hussiten als Vorkämpfer der kommunistischen Revolution angesehen, in der allgemeinen Meinung kann man vielleicht eine Reaktion beobachten: Weil Hussitismus von den Kommunisten so positiv angesehen wurde, dann neigt man heutzutage dazu, ignorieren oder sogar negativ anzusehen“.

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

Fromm und rechtsextrem in Deutschand: Eine Buchempfehlung

Fromm und rechtsextrem: Eine Herausforderung für Philosophie und Theologie

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn

Wer an den Gott der Bibel glaubt, ist gleichsam immun gegen rassistische Hetze und menschenfeindliche Propaganda; denn Brüderlichkeit und Gleichheit aller Menschen gehören zum Kernbestand des Bekenntnisses. Diese Überzeugung wird immer wieder verbreitet, aber hatte auch früher schon, etwa in der Nazi-Zeit, keine umfassende Gültigkeit. Tatsache ist: Auch heute folgen selbst praktizierende Christen rechtsextremen Parolen. Darauf weisen jetzt 21 Soziologen, Politologen und Theologen hin. Sie legen unter dem Titel „Rechtsextremismus – eine Herausforderung für die Theologie“ ein Buch vor, das eindeutig zeigt: Rechtsextreme tummeln sich nicht nur am Rande der Gesellschaft in militanten Gruppen oder in rechtslastigen, populistischen Parteien. Die Feinde von Demokratie und Menschenrechten sind auch in der Mitte der Gesellschaft, auch in Kirchen und Gemeinden zu finden.

Das Wort rechtsextrem beschreibt keineswegs nur die mörderischen Aktivitäten der kleinen Clique der NSU-Verbrecher. Rechtsextremismus ist überall anzutreffen, wo man von Rassen spricht und eine Rasse für minderwertiger als die andere hält und dabei die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen bekämpft. Mit dieser Ideologie soll der demokratische Verfassungsstaat überwunden werden. Diese Propaganda wird auf europäischer Ebene in weiten Kreisen der Partei „Front National“ in Frankreich verbreitet oder in der Freiheitspartei „PVV“ in den Niederlanden. Beide Organisationen rühmen sich, dass praktizierende Katholiken zu den Stammwählern gehören: Bei den französischen Départementswahlen 2015 war etwa jeder fünfte Wähler des Front National ein engagierter Katholik. In Deutschland sind rechtsextreme Tendenzen unter frommen Christen eher in gut vernetzten kirchlichen Vereinigungen zu beobachten: Darauf weisen die 21 Autorinnen und Autoren der Studie zum Rechtsextremismus hin. Die Soziologin Elke Pieck zeigt, dass der evangelikale Dachverband „Deutsche Evangelische Allianz“ immer wieder in seinen Medien Berichte aus äußerst rechtslastigen Medien übernimmt, wie der Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Auch mit islamfeindlichen Weblogs arbeitet diese konservativen Christen zusammen. So behauptet die „Deutsche Evangelische Allianz“, Muslime bemühten sich, die staatlichen Organe in Deutschland zu unterwandern. Die Soziologin Elke Pieck kommentiert: Angesichts dieser irrationalen Thesen könnten „Christen ins rechte und rechtsextreme Lager rutschen, das dann als Fortsetzung der eigenen christlichen Bindung erscheint“. Die Deutsche Evangelische Allianz ist in mehr als 1000 Gruppen organisiert und mit 350 Organisationen verbunden.

Für den katholischen Bereich berichtet der Theologie Professor Rainer Bucher aus Graz, dass nicht nur im österreichischen Katholizismus rechtsextremes Denken, etwa in der Partei FPÖ, weit verbreitet ist. Es gebe in ganz Europa einen spezifisch rechten katholischen Sektor, der, so wörtlich, „mit politisch reaktionären bis autoritären Positionen flirtet“. Ausdrücklich wird auf den Dachverband konservativer Gläubiger hingewiesen, der als „Forum Deutscher Katholiken“ immer wieder internationale Konferenzen organisiert. Hauptfocus ist dabei der Kampf gegen die rechtliche Gleichstellung homosexueller Menschen. Eine der Chefideologinnen des konservativen Katholikenforum ist die Soziologin Gabriele Kuby: Sie nimmt an internationalen Konferenzen teil, wie kürzlich in Moskau, wo sich Rechstextreme aller Couleur treffen, um ihren Hass auf die Homoehe gemeinsam zu artikulieren. Weitere extrem rechtslastige Positionen formulieren Christen aller Konfessionen heute mit der Parole „Gegen die Islamisierung des Abendlandes“.

Die Soziologen Oliver Decker und Johannes Kiess betonen, wie der Hass auf „den“ Islam sich machtvoll als eine eigene Form des „Religionsersatzes“ artikuliert.

Die Kirchen, ihre Gemeinden und die Theologen, so das Resumée, müssen sich vermehrt politischer und religionswissenschaftlicher Aufklärung widmen. Sie sollten die Empathie, das Mitfühlen lehren, um den anderen, den fremden und vielleicht auch befremdlichen Menschen schätzen und lieben zu können. Der einstige DDR Bürgerrechtler und heutige Leipziger Pfarrer Stephan Bickhardt betont: „Ich habe Angst vor einem Rechtsruck der Bundesrepublik. Ein Erosionsprozess der Demokratie hat begonnen“.

Mit besonderer Empfehlung weisen wir auf den Beitrag von Yasemin Shooman (Berlin) hin über “Das Zusammenspiel von Kultur, Religion, Ethnizität und Geschlecht im antimuslimischen Rassismus” (Seite 196-222) sowie auf den wichtigen Beitrag: “Homophobie und gruppenbezogener Menschenhass” (S. 223-244), dort wird deutlich, wie fundemantalistische Kirchen (aus den USA) etwa die Menschen in Afrika aufhetzen, “missionierend”, gegen homosexuelle Menschen. Der Hass auf Homosexuelle in etlichen Staaten Ostafrikas ist auch ein Produkt europäisch-amerikanischen Missionierungs-Wahns.

Sonja Angelika Strube (Hg.), Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie. Herder Verlag Freiburg, 2014, 317 Seiten, 24,99 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Emil Cioran zum 20. Todestag: Viel Nichts und keine Hoffnung

Viel Nichts und keine Hoffnung: Emil Cioran und die Religionen

Ein Hinweis von Christian Modehn

Gedenktage haben manchmal auch etwas Zwanghaftes. Gelegentlich glaubt man, das Feuilleton und der „Kulturbetrieb“ (Adorno) könnten fast nur noch bestehen angesichts der ständigen 100. oder 75. Geburtstage und Todestage „prominenter“ Leute. Große Jubiläen, wie etwa das Luther-Jahr 2017, werden viele Jahre lang bereits vor-gefeiert, vor-gedacht. Aber wird dann wirklich Neues gedacht? Und führt das Gedenken zu einem neuen Handeln, das über alles historisch „Bedachte“ natürlich hinausführen muss?

Nun erinnern sich vielleicht einige LeserInnen am 20. Juni an den 20. Todestag des Autors, Philosophen und Essaisten EMIL CIORAN (geboren 1911). Wer liest noch seine Texte? Wer diskutiert seine Thesen zum Thema Verzweiflung, Tod, Suizid? Das „Metzler Philosophen Lexikon“ von 2003 enthält keinen Artikel zu Cioran. Auch das Kleine Lexikon der Religionskritik (Herder, 1979) erwähnte ihn schon (zu Lebzeiten!) nicht. Ob sich jetzt auch die Theologen mit Ciorans Texten befassen, mit seinem Werk, das er seit seinem „Exil“ und später der neuen „Heimat“ in Paris (ab 1937, mit gelegentlichen Reisen noch nach Rumänien) fast ganz auf Französisch verfasste? Das voller Provokationen steckt für alle, die meinen zu glauben? Hat man wahrgenommen, dass da im 20. Jahrhundert ein Autor lebte, der sich selbst „Manichäer“ nannte, also einen Denker, der von einem bösen Gott und einer bösen Schöpfung überzeugt war?

Was hat er heute zu sagen, dieser radikale Pessimist, der sich nach dem Nichts und der absoluten Leere sehnte? Ist es vielleicht eine versteckte Form der Mystik, die auch er hoch schätzte und die ihn am Leben hielt? Ist also „Cioran der Mystiker als der Verzweifelte“ neu zu entdecken?

Dass er es seinen Lesern zudem nicht leicht macht in seiner Art, eher aphoristisch zu argumentieren, ist bekannt; zumal bei seinen „Positionswechseln“ und dem „Wiederverwerfen eben erst festgehaltener Gedanken“. Strenge Fixierungen seiner Äußerungen sind oft schwierig, wenn sie denn nicht von Cioran selbst verhindert werden (so Franz Winter in „Emil Cioran und die Religionen“, S. 23, die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf dieses Buch). Und das zentrale Thema Ciorans, mit den Begriffen Pessimismus, Verzweiflung, Nichts und Leere umschrieben, verlangt von den LeserInnen auch eine eigene Art von Anstrengung, wenn nicht Mut.

Denn sein Denken ist außergewöhnlich, einseitig, extrem.

Und auch sein politisches Engagement wirft immer noch gewichtige Fragen auf.

Die meisten seiner Texte liegen auch in deutscher Sprache vor, und die gründliche Cioran-Forschung bringt immer wieder wichtige Impulse. So hat etwa kürzlich der Berliner Philosoph Dr. Jürgen Große eine umfangreiche Studie vorgelegt: „Erlaubte Zweifel, Cioran und die Philosophie“.319 Seiten, Verlag: Duncker & Humblot, 2014.

Wir hoffen, auf diese umfangreiche Arbeit später einmal zurückkommen zu können.

Viele Hinweise speziell zum religionsphilosophischen Denken Ciorans bietet immer noch die oben schon erwähnte Studie des bekannten Wiener Religionswissenschaftlers Franz Winter „Emil Cioran und die Religionen. Eine interkulturelle Perspektive“ (Nordhausen 2007). Franz Winter zeigt genau, welche Bedeutung das Christentums, der Buddhismus und die Gnosis im Denken Ciorans haben. Dabei bietet Franz Winter in großen Linien auch Elemente zu einer Biographie, er zeigt ausführlich, dass Cioran durchaus auch politisch „sehr dunkle“ Seiten hat: Als junger Mensch in Rumänien und später dann bei Aufenthalten u.a. in Berlin (1933-1935) hat er explizit und nicht ohne Enthusiasmus faschistische Ideen hoch geschätzt. Aber, so betont Winter, „fest steht, dass Cioran (seit seinem Buch „Die Lehre vom Zerfall“ , ins Deutsche übersetzt von Paul Celan!, in Paris 1949 erschienen) seinen =Jugendwahn= zutiefst bereute, dass er sich aber davon viel später löste, als immer behauptet wird… Aber die Diskussion (über die faschistischen Verstrickungen Ciorans) sind noch lange nicht beendet“ (S. 57). Auch seine „Cahiers“, seine Tagebücher, sprechen da eine deutliche Sprache (S. 53). Die Skepsis als die alles entscheidende Dimension des späteren, also in der neuen Pariser Heimat einsetzenden Denkens, bewahrte Cioran davor, weiterhin mit Ansprüchen des Totalitarismus zu sympathisieren. Wenn auch die Frage nach einer möglichen „Vergiftung“ seines Denkens (durch den einst hoch gelobten Faschismus) offen bleibt. Ciorans selbst oft von ihm selbst beschriebenes Gefühl der Abscheu vor dem Leben, dem menschlichen Leben, das Angewidertsein vom Anblick der Menschen oder der Liebe: das sind ja bekanntermaßen Haltungen, die im Nazi-Faschismus und bei Mussolini eine zentrale Bedeutung hatten…Und zu fragen wäre, wie der Polytheismus, den Cioran so nachdrücklich verteidigt (etwa in „Die neuen Götter“, in „Die verfehlte Schöpfung“, Frankfurt 1979, S. 21 ff). nicht auch einer zentralen Lehre der faschistischen Ideologie entspringt: Bekanntlich warf Hitler den Juden als Grundübel vor, wegen ihres Monotheismus auch die Menschenrechte zu verteidigen. Faschismus und Polytheismus gehören zweifellos tendenziell zusammen. Geradezu hymnisch und manchmal peinlich wegen historischer Ungenauigkeiten preist Cioran in dem genannten Essay, der 1979 in Paris veröffentlicht wurde, die Liberalität und Großzügigkeit heidnisch- polytheistischer (Kaiser)-Kulte im alten Rom… bis hin zur dem Urteil: „Der einzige Gott macht das Leben unausstehlich“ (S. 27). Oder, eine heute in vielen Varianten wiederholte Formel: „Der Monotheismus enthält alle Formen der Tyrannei im Keim“ (S. 30). So behauptet denn Cioran weiter, das Heidentum sei „an seiner Großmut, an seinem übertrieben großen Verständnis (für das Christentum, CM) zugrunde gegangen…“ (S. 28). Da entsteht dann im Blick auf die Stringenz des Denkens Corans die Frage: Wie kann er dann als ein Feind des Monotheismus immerhin die noch aus dem monotheistischen Christentum stammende Mystik hochschätzen?

Wie also hielt es Cioran unter diesen Umständen – seit seiner Pariser Zeit – mit dem Christentum? Als Sohn eines orthodoxen Priesters kannte er natürlich auch christliche Lehren. Aber Emile Cioran sagt immer wieder klar und deutlich: Nicht glauben zu können…weil er die Gabe des Glaubens nicht besitzt.

Am Christentum stört ihn am meisten die Hochschätzung des Leidens, darin Nietzsche folgend, während er, anders als Nietzsche, sogar Jesus verurteilt: „Hätte er uns bloß in Ruhe gelassen…“(vgl. S. 62)… Andererseits betont Cioran, betont, dass nur im erlebten Leiden überhaupt Kreativität entstehen kann, also ohne Leiden kein geistvolles Dasein möglich ist, so etwa, wenn er seine andauernde leidevolles Schlaflosigkeit als die eigentliche Antriebskraft seines Denkens deutet (S. 33in Winters Buch). Aber das sind eher typische Argumentationsmuster, die bei ihm oft parallel (d.h. unvermittelt) laufen.

Bei aller Ablehnung der christlichen Religion (als Institution) gibt es eine gewisse Sympathie für die christliche Mystik. Da entdeckt Franz Winter „einen der interessantesten Züge des Werkes Ciorans“ (67). Denn die Mystiker (etwa Theresa von Avila) lassen dem eigenen, subjektiven Erleben völlig freien Lauf; sie verachten das System, auch das religiöse System. Sie sprengen die Begrifflichkeiten, treten in ihrem Erleben aus der Zeit heraus, sie wollen dem Denkenmüssen ( das nun einmal den Menschen auszeichnet) entfliehen (75)

Interessant sind die Hinweise, dass Cioran, angesichts der ihm eigenen „Urgewalt des Zweifels“, in der Musik von Johann Sebastian Bach (S. 45) eine religiöse Dimension stark empfinden konnte.

Cioran hat sich häufig auch positiv über „den Buddhismus“ oder das asiatische religiöse Denken geäußert. Er entdeckte in den Grundstrukturen dieses Denkens Parallelen zu eigenen Auffassungen, vor allem in der Hochschätzung des Nichts oder mehr noch der Leere als dem Ziel eines dann doch noch erstrebenswerten Lebens.

Manche Äußerungen Ciorans sind unseres Erachtens philosophisch schwer nachvollziehbar, etwa wenn er meint, die Sinnlosigkeit des Daseins und der Welt mit diesen Hinweisen zu begründen: “Wenn die Welt einen Sinn gehabt hätte, so wäre er offenbar geworden. Und wir hätten ihn längst erfahren“ (in „Auf den Gipfeln der Verzweiflung, ein Buch, das Cioran selbst als das philosophischste seiner Bücher betrachtete, S. 33). Warum soll denn, so wäre zu fragen, der Sinn sich sozusagen knallhart offenbaren? Wie sollte das gehen, als Wunder, als Belehrung? Ist da nicht viel zu objektivistisch vom Sinn gedacht?

Es stört auch eine gewisse Arroganz des leidenden Nihilisten, etwa wenn er den Schriftsteller und Philosophen Albert Camus „an Bildung einen Provinzler“ nennt, der angeblich nur die französische Literatur kennt….bloß weil Camus Ciorans Buch „Die Lehre vom Zerfall“ nicht loben wollte?

Auch zum Buddhismus formuliert Cioran kritische Vorbehalte: Er meint, Leute aus Europa könnten gar nicht Buddha verstehen und buddhistisch hierzulande leben. Interessant und zur weiteren Diskussion geeignet sind die Hinweise von Franz Winter zur „praktischen Unlebbarkeit der skeptischen Methode“, wie sie Cioran selbst sah. „Nichtsdestotrotz fühlt er sich in geradezu masochistischer Weise dieser (skeptischen) Denkform verpflichtet: Er schreibt in den =Syllogismen=: Die Skepsis, die nicht zur Zerrüttung unserer Gesundheit beiträgt, ist nur ein intellektuelles Exerzitium“ (S. 122).

Wie weit entfernt sich eine solche Position von einem Verständnis von Philosophie, die sich auch klassisch als weisheitliche Orientierung (sophia) versteht, (siehe etwa die selbst von Cioran – für ihn wieder einmal widersprüchlich? – gelobte STOA) ?

Emile Cioran hat mit aller Energie trotz aller permanenter und oft behaupteter Schlaflosigkeit versucht, sein eigenes und einzelnes und vielleicht darin einmaliges Dasein auszusprechen. Das macht seine Philosophie interessant, weil sich einmal mehr zeigt, dass Philosophieren auch als Form der Schriftstellerei eine Alternative ist zur akademischen Universitätsphilosophie. In Ciorans Werk sehen wir die Erschütterungen, ja wohl auch Verwirrungen eines leidenden Menschen, der stets erlebt: Alles, was entsteht, muss sterben. Also verschwinden. Und, wie Cioran meint, hoffentlich verschwinden. Denn diese Welt, so glaubt der Manichäer Cioran, ist eine böse Welt, geschaffen von einem bösen Gott. Darüber muss man diskutieren. Warum nicht auch in der Absicht, ob eine solche Position fürs Leben Orientierung oder gar Hilfe bietet, falls man denn überhaupt noch Orientierung und Hilfe von Cioran wünscht. In der tiefen Krise unserer Welt, bei dem Terror, dem Abschlachten aus religiösen wie machtpolitischen Gründen usw. kann dieses Denken wohl keine Auswege zeigen. Aber wollte Cioran Auswege zeigen? Wer diese Frage mit Nein beantwortet, weiß: Cioran bleibt dauerhaft verstörend und störend, und er lässt den Leser hilflos zurück. Wollte das vielleicht gar Cioran? War er vielleicht ein unbescheidener Missionar des nichtigen Nihilismus?

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Pflichtlektüre” zu Oscar Romero: „Die Linken kämpfen, um die soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen“

“Pflichtlektüre” zu Oscar Romero:  „Die Linken kämpfen, um die soziale Ungerechtigkeit zu beseitigen“

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn

Der katholische Erzbischof Oscar Romero (San Salvador) wird nun endlich auch von der römischen Kirche öffentlich geehrt und öffentlich als Vorbild empfohlen. Er wurde von reaktionären Katholiken (Todesschwadronen) ermordet. Im Vatikan heißt es seit Februar 2015 eindeutig, Romero wurde „aus Hass auf den (also auf seinen) Glauben“ ermordet, den Glauben eben an die Universalität der Menschenrechte und der befreienden Botschaft des Evangeliums. Das war der Glaube Romeros! (Zum Thema “Oscar Romero und das Opus Dei” klicken Sie bitte hier)

Am Samstag, den 23. Mai 2015, findet in der Hauptstadt des zentralamerikanischen Staates El Salvador die offizielle „Seligsprechung“ des von so vielen Lateinamerikanern (und vielen anderen auch außerhalb der römischen Kirche) verehrten Befreiungstheologen statt.

Der Religionsphilosophische Salon Berlin verteidigt die universalen Menschenrechte und auch auf die bleibende Aktualität der Befreiungstheologie. Denn sie ist ein qualitativ neue, andere Art, von Gott zu sprechen, deswegen ist sie auch philosophisch hoch interessant!

Nun ist dieser Tage die große Biographie zu Oscar Romero neu erneut publiziert worden, verfasst von dem us-amerikanischen Jesuiten James R. Brockman. Er hat dieses Buch mit dem Titel „Oscar Romero“ schon 1989 in den USA, in dem berühmten, dem hervorragenden Verlag Orbis Books, Maryknoll, veröffentlicht.

Die Neuausgabe der deutschen Übersetzung erschiennun – unser Dank ! – im Verlag TOPOS Premium, es hat 448 Seiten und kostet 26,95 EURO.

Dieses Buch ist für alle, die Oscar Romero und sein Werk verstehen wollen, eine Art Pflichtlektüre, auch wenn die Darstellung eben schon 1989 endet, also etwa die Phase der vom Vatikan betriebenen Zerstörung einiger Werke von Erzbischof Romero durch seinen späteren Nachfolger, den spanischen Opus Dei Bischof Saenz Lacalle, nicht mehr erwähnt werden kann. „Die Kirche ist in El Salvador unpolitisch“ war Saenz Lacalles Motto…

Der Vorteil der neuen Ausgabe des großen Buches von James R. Brockman ist, dass einer der entscheidenden Berater Oscar Romeros, der Jesuit und weltbekannte Theologe Jon Sobrino, ein kurzes Geleitwort geschrieben hat, vielleicht zu knapp nach unserer Meinung. Pater Sobrino erwähnt auch die Gegner Romeros im Vatikan, etwa, so wörtlich die „Grobheit“ des reaktionären Kardinals Lopez Trujillo, der die Seligsprechung Romeros Jahre lang unterbinden konnte, wie jetzt im Vatikan – ohne Schuldbekenntnis – zugegeben werden muss. Dass die Clique um einen einzelnen Herrn, Kardinal, so viel Macht hat, wäre mal eine eigene kirchenkritische Erörterung wert…

Wichtig bleibt als Leitlinie ein kurzes Zitat aus einer Predigt Oscar Romeros am 9. März 1980, also wenige Tage vor seiner Ermordung durch die rechtsextremen, von den USA mit ausgebildeten und finanzierten Todesschwadronen:
Romero sagte, so zitiert Brockman auf Seite 379:
„Wir übersehen auch nicht die Sünden der Linken (also den massiven, gewaltsamen Widerstand, CM). Aber sie stehen in keinem Verhältnis zur Gesamtmenge der repressiven Gewalt. Die Taten der politisch-militärischen Gruppen der Linken erklären die Unterdrückung nicht!… Die Morde der paramilitärischen Truppen sind Teil eines umfassenden Programms zur Vernichtung der Linken, die von sich aus keine Gewalt ausüben und fördern würden, wäre es nicht der sozialen Ungerechtigkeit wegen, die sie beseitigen möchten“.

Diese grundlegende Überzeugung Erzbischof Romeros hat im Vatikan und in führenden Kirchenkreisen damals kaum jemand verstanden, im Gegenteil…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin