Sollen die vielen “kirchlich Distanzierten” etwa in diese Kirchen wieder zurückkehren?

Über das Buch „Eine Kirche für viele, statt heiligem Rest“ von Erik Flügge und David Holte

Ein Hinweis von Christian Modehn

Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie muss sich mit der tatsächlichen Entwicklung des religiösen Bewusstseins befassen, auch in den Kirchen..

Die heute immer noch übliche Behauptung der sich rechtgläubig gebenden Bischöfe und Prälaten: „Lieber ein treuer kleiner heiliger Rest in den Kirchen als eine große Masse halbherziger, lauer Mitläufer“, ist natürlich ein Skandal. Denn da spricht die Arroganz der sich erlöst und besser Wissenden. Da kommt die Verachtung durch, dass all die anderen, die Mehrheit, die 90 Prozent, die nicht mit dem kirchlichen Leben und dem Seelsorge Betrieb intensiv verbunden sind, tatsächlich schon Abtrünnige oder gar Atheisten sind (beide Begriffe sind in der Sicht der Bischöfe und Prälaten bekanntlich ein Schimpfwort). Aber von den Kirchensteuerbeiträgen dieser 90 % lebt die Rest – Kirche trotz allem gern…

Insofern kann ich die Wut der beiden Autoren dieses Buches (Erik Flügge und David Holte) verstehen, wenn sie sich gegen eine Kirche wenden, die sich wie ein Sekte fast nur um den harten treuen „Kern“ der 10 % Kirchgänger kümmert: Sind es übrigens in Deutschland wirklich noch so viele? Ich denke, diese Ziffer 10 % ist bestenfalls gültig, wenn man immer die Teilnahme an den vielen Gottesdiensten zu Heilig Abend mitrechnet. In Frankreich jedenfalls nehmen heute noch 4 % der Katholiken regelmäßig, d.h. dort einmal am Monat, an der Sonntagsmesse teil, Tendenz fallend, weil die TeilnehmerInnen wie die Priester selbst meist im Senioren- und Greisenalter gelandet sind. Nichts gegen Senioren: Sie haben oft mehr Zeit für Sinnfragen als die gestressten Vierzigjährigen, vielleicht…)

Diese aktuellen religionssoziologischen Daten sind bekannt, sie kann man jederzeit nachlesen, aber sie werden aus Angst kaum innerhalb der Kirchen öffentlich diskutiert: Mit anderen Worten: Die Sterbende, also die Kirche, will ihren realen Zustand nicht wahrnehmen…Dass es in Afrika anders aussieht, tröstet nur begrenzt. Ohne jeden Zynismus möchte ich sagen: Die Armen, Hungernden und Sterbenden in den Elendsvierteln dort brauchen das Opium des Volkes, also die Religion, das ihnen manchmal von verbrecherischen, sich bereichernden Millionärs-Predigern dargeboten wird, für teures Geld in den super schicken Mega Churches von Nigeria etwa…

Wer auch noch ein bisschen Interesse hat am Überleben etwa der katholischen Gemeinden in Deutschland und Europa, in Spanien ist es ja nicht anders, in Holland auch nicht usw., sollte also die Kirchen- Szene beobachten. Denn für mich ist entscheidend: Mit dem systematisch betriebenen Verschwinden der Gemeinden und Gemeindezentren verschwindet auch soziales, kommunikatives Leben. Dadurch, dass sich der Klerus zum absolut einzigen Maßstab macht, wird sozusagen das Ende einer menschenfreundlichen Kommunikation befördert. Dass Gemeinden schließen und Kirchen abgerissen werden, bestimmt einzig der Klerus. Die Kommunikation in der Gemeinde war ja nicht immer klein kariert, denn sie enthielt die Chance, mit anderen Menschen in aller Vielfalt zusammenzukommen. Homosexuell lebende und liebende Menschen hingegen waren aus diesem „Club“ meist ausgeschlossen, es sei denn, sie verbargen ihre Identität. Aber das ist ein anderes Thema.

Das schmale Buch (ein Pamphlet sagt man in der romanischen Welt) der beiden Autoren ist wichtig, denn es ist förmlich ein letzter Aufschrei doch noch junger Menschen, denen noch etwas an Kirche und Gemeinde liegt; aber sie wollen Kirche nicht in der Form der heute schon wieder üblichen charismatisch fundamentalistischen Engstirnigkeit! Sondern eben als Kirche der Offenheit, des Geistes, der Fragen, der Vernunft. So etwas Grundlegendes darf man doch noch mal fordern, bevor alles Kirchliche hierzulande umkippt in Richtung Sekte. Richtig, kann ich da nur sagen.

Aber mir fehlt doch etwas: Die Überlegung fehlt, inwiefern die 90 %, (man verzeihe diese objektiverende Ausdrucksform!), außerhalb oder halbherzig noch innerhalb der Kirchen, auch ihre eigene, sehr persönliche Spiritualität TATSÄCHLICH bereits haben. Vielleicht hat gerade die Distanz zu den Kirchen sie befreit, um ihren eigenen Mittelpunkt im Leben zu suchen, Gott genannt, um in kleinem Kreis über diese eigene spirituelle Vorliebe zu sprechen: Es kann die Sehnsucht nach Liebe und Partnerschaft sein, die Freude über da Leben, die Kinder, die Sorge um die Natur, der Beistand für die Armen, oder einfach das Eingeständnis: Ich bin so kaputt, von der Arbeit, vom Betrieb, dass ich mich selbst allmählich verliere…

Mit diesen Menschen ins Gespräch zukommen, ist in der alten Kirchenstruktur gar nicht möglich. Dafür braucht man Menschen, die kompetent sind und Zeit haben, beides ist vom kirchlichen Personal, den Priestern etwa, meistens nicht zu erwarten. Dafür braucht man auch neue Räume außerhalb des Kirchengettos. Ich plädiere aus eigener, anders gelagerter Erfahrung für „Salons“, etwa philosophische Salons.

Noch wichtiger ist die Erkenntnis: Die Christen verlassen ihre Kirchen(gemeinden) auch, weil sie mit der Kirchenlehre und Kirchenmoral nicht mehr zurecht kommen, weil sie sich darin nicht mehr selber wieder finden. Das ist die entscheidende Erkenntnis. Niemand sollte in die alte Welt der vielen Dogmen und Glaubensvorschriften und Kirchengebote usw. zurück kehren müssen. Mi anderen Worten: Mir fehlt in dem Buch die elementare, aber selten deutlich ausgesprochene theologische Erkenntnis: Die alten Dogmen auch in dieser nicht mehr nachvollziehbaren Sprache sind nicht mehr Ausdruck unseres Glauben, vor allem unseres Lebens. Zu einer Kirche mit diesen Dogmen wollen und sollen die 90 % doch bitte nicht zurückkehren. Wir brauchen eine Dogmen – Entrümpelung,, ein Beseitelegen der dicken Kirchengesetzbücher, eine Reduzierung der christlichen Moral auf 10 begründete Sätze.

Darüber sollten nicht nur die beiden Autoren ein weiteres Buch schreiben, aber es können diesmal ruhig 150 Seiten mehr sein. Das Thema ist nicht nur spannend, es ist wichtig: Wie elementar einfach und menschlich, lebendig,wandlungsfähig ist der christliche Glaube? Auch in den Kirchen. Leben heißt ja sich wandeln, sich ändern, Neues sehen und sagen. Wer keine alten Dogmen und alten Überzeugungen zurücknehmen kann, ist also mindestens erstarrt. Wer will als lebendiger Mensch in erstarrte Verhältnisse zurück, ohne die geringste (rechtlich garantierte) Chance, diese Erstarrheit aufzubrechen?

Eine Kirche für viele. Statt heiligem Rest. Von Erik Flügge und David Holte. Herder Verlag, 78 Seiten, 2018, 8 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die AFD und der Front National, Frankreich

Hinweise von Christian Modehn nicht nur anläßlich des Katholikentages in Münster

Dieser Beitrag zeigt:

Die Verbindungen zwischen Katholiken und rechtsextremen Gruppierungen und deren Ideologien sind in Frankreich sehr viel ausgeprägter als in Deutschland. Das ist hier kein Grund zum Jubeln, sondern nur eine Art Mahnung: Was in Frankreich heute in weit verzweigten rechtsextrem – katholischen Netzwerken geschieht, kann bald auch in Deutschland (oder Österreich, der Schweiz usw.) bestimmend werden. Dabei ist historisch vorausgesetzt: Rechtslastiges und rechtsextremes Denken spielt im französischen Katholizismus seit der Französischen Revolution eine ungebrochen große Rolle. Der Kollaborateur Marschall Pétain etwa verstand sich als praktizierender Katholik. Und viele Bischöfe standen an der Seite Pétains. Die Résistance war bekanntlich nur die Sache einer Minderheit, von linken Katholiken, Sozialisten und Kommunisten.

Die freundschaftlichen Verbindungen zwischen der AFD und der rechtspopulistischen, rechtsradikalen Partei Front National sind spätestens seit dem Treffen dieser Parteien in Koblenz im Januar 2017 evident. Deutschland ist anders als Frankreich. Aber leidenschaftliche Verteidiger der Demokratie mit aller Hingabe zugunsten der Menschenrechte sind bekanntlich hier eher die Ausnahme.

Im Umfeld des Katholikentages von Münster im Mai 2018 wird viel über die „Christlichkeit“ der AFD und ihrer Grundsätze diskutiert. Immerhin haben bei der Bundestagswahl 2017 zehn Prozent der Christen in Deutschland die AFD gewählt; sie glaubten also, in der AFD auch ihrer Kirchlichkeit Ausdruck geben zu können. Viele kritische Beobachter sprechen hingegen treffend vom Verachten explizit christlicher Grundsätze im Parteiprogramm der AFD. Vor allem im verbalen Umgang dieser Politiker (und deren oft rabiater Anhänger) mit politischen Gegnern bzw. Feinden ist wenig von Toleranz und selten etwas von vernunftgesteuerter Debatte zu spüren. Toleranz und Vernunft sind bekanntlich die ins Weltliche, in Humanistische, übersetzten Prinzipien einiger Weisheits – Lehren Jesu von Nazareth. Menschenrechte als unantastbare Basis des Zusammenlebens haben humanistische Wurzeln, sind aber auch christlich inspiriert, aber das nur nebenbei.

Diese Debatten über die (Un)Christlichkeit der AFD wirken relativ“ milde“, wenn man an die Bindung von Katholiken an rechtsradikales Denken und rechtsradikale Parteien in Frankreich denkt.

Ich nenne einige Aspekte im weiten Netzwerk rechtsextremer Katholiken und deren Ideologien.

1.Rechtsextreme Katholiken in Frankreich sind – seit langem – sehr zahlreich. Soziologen unterscheiden in Umfragen zwischen den so genannten praktizierenden und den nicht mehr an Gottesdiensten teilnehmenden Katholiken: Beim 2. Wahlgang zur Präsidentenwahl 2017 haben 38 Prozent der praktizierenden (!) Katholiken für die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen gestimmt! (Quelle:http://www.lemonde.fr/election-presidentielle-2017/article/2017/05/09/les-catholiques-pratiquants-ont-vote-le-pen-a-38_5124530_4854003.html).

Diese Kreise benutzen jetzt die Ermordung des greisen Priester Jacques Hamel während der Messe in St. Etiénne du Rouvray bei Rouen am 26. Juli 2016 durch zwei islamistische Mörder des IS als Beweis für die Schwäche des französischen Christentums: Das Bild wird verbreitet: Der uralte Priester inmitten einer winzigen Gemeinde alter Menschen, die dem bedrohten Pfarrer nicht beistehen konnten. Es gibt eine katholische Gruppe mit dem Titel „Optimum“, die der katholischen charismatischen Bewegung Emmanuel nahe steht (sie ist auch in Deutschland sehr aktiv). Der „Optimum“ Gründer Gabriel Morin sagte im Zusammenhang der Ermordung des greisen Priesters: „Der Islam entwickelt sich bei uns, weil uns die Männlichkeit (virilité) fehlt. Die Muslime fragen uns: Warum sei ihr Christen nicht stärker? Sie können unsere Resignation/Schwäche nicht verstehen“. Dahinter verbirgt Gabriel Morin die Behauptung: Die Katholiken „müssen die Weichheit und Weiblichkeit aufgeben und männlicher und stärker werden, um dem Werben des Islams in Frankreich zu widerstehen“, so deutet der Politologe Jérome Fourquet in seiner neuesten Studie „à la droite de Dieu“, Paris 2018, S. 46, diese Aussage des „Optimum“ – Gründers. Er organisiert für Männer eine Art Sommerlager, damit diese wieder die Stärke ihrer (selbstverständlich) heterosexuellen Männlichkeit entdecken und pflegen. Diese Sommerlager mit der Männlichkeitsschulung stammen ursprünglich aus evangelikalen Kreisen der USA, aber sie finden in Frankreichs rechtslastiger katholischer Kirche Zuspruch (siehe: https://psyzoom.blogspot.de/2016/12/des-catholiques-veulent-rendre-leglise.html)

2. Die “starken katholischen Männer” sollen sich gegen die sehr männlichen, aber als aggressiv wahrgenommenen islamischen Männer und ihr missionarisches Werben behaupten: Dies ist auch das Ziel des Vereins „Pater“, gegründet von Pfarrer Simon Chouanard: „Gott (der katholische Gott, CM) will nicht freundliche Knaben; er will (echte) Männer“. Dies ist das Motto seines Vereins. Selbstverständlich tritt der Verein „Pater“ (Vater) für die Trennung der Geschlechter in der Erziehung ein. In entsprechenden „Lagern“ (camps-retraites) werden junge Männer den Initiationsriten unterzogen. Von dieser Idee ließ sich der allgemein als reaktionär eingeschätzte Bischof von Toulon, Dominique Rey, Mitglied der in Frankreich mächtigen charismatischen Bewegung Emmanuel, begeistern: Er veranstaltet „Sommerlager der Virilität“ seit 2014 in seinem Bildungshaus in Sainte Baume, Département Var. Nebenbei: Über Bischof Rey wurde schon vieles publiziert: Ich habe kürzlich geschrieben: Dem Front National eher zugeneigt ist neben anderen Bischöfen vor allem Dominique Rey vom Bistum Fréjus-Toulon: Im August 2015 hatte er die FN Politikerin Marion Maréchal-Le Pen zu einer Akademieveranstaltung nach Sainte-Baume eingeladen. Dort konnte sie ungehindert ihre Ideologie kurz vor den Regionalwahlen verbreiten: Für den FN stimmten dann in der Provence und Umgebung 45 % aller Wähler. „Bischof Rey hat auch zur Banalisierung des FN beigetragen“, schreibt treffend der Theologe Christian Terras Quelle: http://religionsphilosophischer-salon.de/9039_die-rechtsradikale-partei-front-national-und-marine-le-pen-sprechen-von-christlichen-wurzeln-europas-hinweise-auf-gefaehrliche-propaganda_religionskritik

3.Diese katholischen Initiativen zur Stärkung einer militanten katholischen Männlichkeit sind eng verbunden mit der seit Jahren bestehenden katholisch geprägten Massenbewegung „La Manif pour tous“, also der landesweiten Massen – Demonstrationen gegen die so genannte Homo-Ehe. Das Gesetz für die Homo-Ehe wurde vom Parlament im Mai 2013 beschlossen; aber die Proteste gehen weiter und haben das ganze Land aufgewühlt und gezeigt: Wie viele Massen von rechtslastigen katholischen Organisationen auf die Straße zur Demo gebracht werden können. Auf diese Weise wurde die Hetero- Ehe sozusagen neben Gott und der Kirche zum obersten Wertund Halbgott für Katholiken. Mit all der üblichen Abwehr von Gender – Akzeptanz! Die „heilige Hetero – Familie“ mit der Frau in der Küche erlebt nicht nur unter Frankreichs Katholiken einen Boom.

4.Selbstverständlich gibt es auch eigene katholische Vereine und Ordensgemeinschaften, die sich ausdrücklich um die Bekehrung der Muslims zum katholischen Glauben bemühen. Am 4. Februar 2017 fand etwa in der Gemeinde Notre Dame de Bellecombe von Lyon ein noch eher geheimes Treffen statt unter dem Thema: „Jesus der Messias. Wie kann man sich bilden, um die Frohe Botschaft Christi den Muslims zu verkünden“. Dabei waren Konvertiten aus dem Islam, wie etwa der bekannte Mohammed Christophe Bilek, 66 Jahre alt, er stammt aus Algerien und ist der Gründer des Vereins „Unsere liebe Frau von Kabylien und die Mutter Quabel“. Ausdrücklich wird angesichts der angeblichen totalen Bedrohung durch den Islam in Frankreich das Recht verteidigt, dass Muslime Christen werden sollten. Gegen Religionsfreiheit und freie Wahl der Konfession ist überhaupt nichts zu sagen! Auffällig ist nur der Rahmen, in dem für Konversionen aus dem Islam geworben wird! (vgl. die entsprechende Werbung: http://www.eleutheros.eu/prier/priere-du-dimanche-de-la-communion).

Und es bilden sich immer mehr Gruppen, die speziell die Muslims bekehren wollen, wie die „Kleinen Brüder und kleinen Schwestern vom Lamm“ (sic!) oder die Gemeinschaft Rocher, die betont: „Die Banlieue (mit ihren zahlreichen islamischen Bewohnern) ist eine unglaubliche Chance für die Evangelisierung“, so Cyrill Tisserand, Gründer von „Le Rocher“. Mit anderen Worten: Es setzt sich unter Katholiken die Meinung durch: Nur ein bekehrter Muslim ist ein akzeptabler Muslim, weil er dann „ungefährlich“ ist.

5.Auf der Linie der Werbung für Konversionen liegt auch der Orden „Missionare des göttlichen Erbarmens“, von Pfarrer Loiseau vor 12 Jahre gegründet, bezeichnenderweise hat dieser Orden mit vielen jungen Mitgliedern sein Zentrum im Bistum von Bischof Rey von Toulon. Pfarrer Loiseau betont: „Der Islam hat immer von Situationen profitiert, in denen das Christentum sehr schwach und gespalten war. Deswegen ist es eine Pflicht für Katholiken, den Islam als eine missionarische Priorität anzusehen“ (zit. aus dem Buch von Fourquet, Seite 50). Dieser Ideologie folgend will „der“ Islam will also wieder Europa erobern, eine Ideologie, die vor allem von der viel schreibenden jüdischen Autorin Bat Ye Or (Pseudonym für Gisèle Littmann) in zahlreichen Publikationen verbreitet wird, diese finden in reaktionären Kreisen heftige Begeisterung. Der norwegische Massenmörder Anders Breivik war, nebenbei gesagt, ein eifriger Leser von Bat Ye Or. Einige ihrer Bücher sind auch auf Deutsch erschienen. Ich habe über die Ideologie von Bat Ye Or schon mehrfach publiziert (http://religionsphilosophischer-salon.de/?s=bat+ye+or).

6.Von daher gibt es ein leidenschaftliches Interesse rechtslastiger und rechtsextremer Christen für die heute verfolgten Christen in den islamischen Ländern. Dabei wird unterstellt: Wenn die Katholiken nicht aufpassen, wird auch bald in Frankreich und in Europa das Christentum von Muslims verfolgt. Die Ermordung des greisen Priesters Hamel dient dabei als Beleg. Komisch nur, dass Katholiken und Kirchenführer darauf reinfallen und Pater Hamel am liebsten im Schnellverfahren selig und heilig sprechen wollen. Selbst Papst Franziskus nennt den greisen Priester Hamel sehr vorschnell, bloß weil er von Islamisten ermordet wurde, einen Seligen (Quelle: http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/franziskus-nennt-jacques-hamel-einen-seligen). Es wird nun eine neue rechtsextreme Ideologie verbreitet: In der Gesellschaft würde, durch Muslims vor allem eine „Christianophobie“ erzeugt, gegen die es sich katholischerseits zu wehren gilt. Es erstaunt darum nicht, dass Bernard Antony, ein rechtsextremer Politiker, lange Jahre führendes Mitglied in der Partei Front National, nun eine „Allgemeine Allianz gegen den Rassismus (gemeint ist der Rassismus gegen die Christen!) und für den Respekt der französischen und christlichen Identität“ (AGRIF abgekürzt) gegründet hat. Dieser rechtsextreme katholische Verein steht wiederum in enger Verbundenheit mit dem katholischen Club „Civitas“ von Alain Escada, er ist mit den erz-katholischen Traditionalisten nahe. Escada hat die Demos gegen die Homo- Ehe heftig mit organisiert. Seit 2007 gibt es sogar ein „Observatorium der Christianophobie“, finanziert von Guillaume de Thieulloy, einem Philosophen, der in seinem eigenen rechtsextremen Verlag die „Erinnerungen“ des Gründers des rechtsextremen Front National, Jean Marie Le Pen, als Buch herausgegeben hat. Ein toller Verkaufserfolg übrigens! De Thieulloy ist zudem mit dem ebenfalls rechtsextremen und sehr mobilen Club dem „Salon beige“ (also hell braun) verbunden.

7.Es ist evident: Es bildet sich in Frankreich ein breiter Strom rechtsradikalen Denkens und Agierens unter den Katholiken. Man spricht etwas zu milde von einem „christlichen Populismus“ (siehe das Buch von Fourquet, Seite 54).

8.Die Rechtsextremen und mit ihnen die rechtsextremen Katholiken instrumentalisieren das tatsächliche Leiden vieler Christen in der islamischen Welt für ihre eigenen innenpolitischen Zwecke. An vorderster Stelle ist da die Organisation „SOS Chrétiens d Orient“ zu nennen, gegründet von Leuten, die aus dem Umfeld der Partei Front National stammen, wie die objektive katholische Wochenzeitung La Vie, Paris, am 4. Januar 2017 nachgewiesen hat (zum Ganzen: https://fr.wikipedia.org/wiki/SOS_Chr%C3%A9tiens_d%27Orient). Mit dieser rechtslastigen SOS Organisation arbeitet auch das sehr katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ (vom „Speckpater“ gegründet) in Frankreich zusammen. Man veranstaltete gemeinsam eine Nacht des Gebets (ausgerechnet) im „Invalidendom“ zu Paris, berichtete die Tageszeitung La Croix am 23.6.2016. Dieses SOS – Hilfswerk arbeitet in mehreren Ländern, etwa in Syrien, im Irak…und entsendet auch Freiwillige. Selbst der offizielle Vertreter des offiziellen bischöflichen Hilfswerkes für die Kirche im Orient, Prälat Pascal Gollnisch, beschwerte sich über diese rechtsextremen SOS – Leute, er warnte ausdrücklich vor den Verbindungen zur Partei Front National und zu ihrer Verteidigung mit Bachar el Assad.

9.Es wäre weiter zu berichten über die Publikationen, die die hier genannten Ideen/Ideologien verbreiten, etwa die Wochenzeitungen „Valeurs actuelles“ (Auflage 163.000) oder sogar „Famille Chrétienne“ (Auflage 55.000). Es ist bezeichnend, dass der Chefredakteur von „Famille Chrétienne“, Samuel Pruvot, am 5. 6. 2017 in „Figarovox“ schrieb: „Das Gefühl herrscht vor, dass das Christentum dabei ist zu verschwinden. Dann kommt zweitens hinzu: Die wachsende Religion ist von nun an der politische Islam unter seiner radikalsten Gestalt“. Angst machen vor „dem“ Islam: Darin kommen rechte Katholiken und rechtsextreme Parteigenossen und Wähler überein.

10.Es wäre weiter zu sprechen über Bischöfe, die explizit politische wie theologisch reaktionäre Positionen beziehen, von Bischof Rey von Toulon war die Rede, über ihn habe ich vielfach publiziert. Interessant ist auch die Position des einstigen Militärbischofs und jetzigen Erzbischofs von Straßburg, Luc Ravel, der Positionen vertritt, die denen von Bat Ye Or nahe stehen (Quelle: http://religionsphilosophischer-salon.de/?s=Bischof+in+Stra%C3%9Fburg+)

11.Es wäre weiter zu berichten von den Klöstern, die ursprünglich traditionalistisch orientiert waren und damit der Le Pen Partei nahe standen. Die nun aber mit Rom offiziell versöhnt sind, aber die uralte Theologie und die Vorliebe fürs politisch Rechtsextreme bewahrt haben, man denke nur an Le Barroux, dessen heutige Abt Dom Louis Marie de Geyer d Orth explizit den bekannten rechtsextremen Journalisten Jean Madiran lobte. Und er erklärte: „Der Islam kann an sich nicht eine Chance für Frankreich sein. Der Islam ist in Frankreich zu integrieren“. (Quelle: https://www.lesalonbeige.fr/pere-abbe-du-barroux-la-montee-de-lislam-ne-peut-pas-etre-une-chance-en-soi-pour-la-france/). Sein Vorgänger, Dom Calvet, war tief verwurzelt in rechtsextremen Kreisen, auch noch nachdem ihn Kardinal Ratzinger wieder von den Lefèbvre Bindungen befreite und offiziell mit Rom versöhnte…

12.Zusammenfassend: Es gibt bis heute auch unter Frankreichs praktizierenden Katholiken eine breite, offenbar stabile sehr rechtslastige und meist rechtsextreme Bewegung: Sie tritt ein für die Nation, den Stolz auf Frankreich als Nation, die Abwehr der Fremden, vor allem der Muslims und der Flüchtlinge. Sie tritt ein für das alte klassische römisch katholische Kirchenmodell mit der Führung durch die Bischöfe, sie tritt ein für das alte Familienmodell. Und es sind sogar junge Leute, vor allem aus wohlhabenden Kreisen in Paris und Versailles, die diesen Ideologien folgen. Ob diese Kreise (immerhin haben ja, wie oben erwähnt, 38 Prozent der praktizierenden Katholiken 2017 Marine Le Pen als Präsidentin gewünscht) nun durch Präsident Emmanuel Macron eines besseren belehrt werden ist, fraglich.

13.Die Bindung an (anti-muslimische und fremdenfeindliche) Ideologien unter rechten und rechtsextremen Katholiken ist auch eine Flucht vor der Realität der eigenen Kirche, d.h. die zunehmende Schwäche des Katholizismus selbst: Es ist bezeichnend, dass 2018 (wie schon so oft vorher, man denke an die viel beachteten Studien der Religionssoziologin Prof. Danièle Hervieu- Léger) wieder eine große Studie erschien über den zahlenmäßigen Niedergang des französischen Katholizismus: „Comment notre Monde a cessé d etre chrétien“, erschienen im Verlag du Seuil, Paris. Verfasst von dem Historiker Prof. Guillaume Cuchet. Nur ein Beispiel: Im Jahr 1961 nahmen 25 Prozent der Katholiken jeden Sonntag an der Messe teil; 2012 waren es noch 5 Prozent. Heute sind es noch viel weniger angesichts der Altersstruktur der „praktizierenden Katholiken“. Etwa 55 Prozent der Franzosen nennen sich noch katholisch. Vor 50 Jahren waren es 90 Prozent. Die Zahl der sich „atheistisch, agnostisch“ nennenden Franzosen steigt stetig.

14.Wenn die Kirche in Frankreich also in wenigen Jahren so klein geworden ist wie eine „Sekte“, liegt das vor allem an der bis dahin geltenden All-Macht des Klerus, am Fehlen ernstzunehmender demokratischer Strukturen und an der mangelnden Bereitschaft, auf überholte Dogmen und moralische Prinzipien zu verzichten. Solange die katholische Kirche an allen, auch sprachlich kaum noch nachvollziehbaren Dogmen festhält, die irgendwann einmal definiert wurden, ist und bleibt sie eine starre, leblose, nicht der Kritik und Korrektur fähige Organisation. „Lebendigsein heißt Sich Korrigieren können“, sagt der Psychologe Erich Fromm. Auf die Reduzierung der dogmatischen„Inhalte“ also kommt es an, auf mehr Jesuanisches und weniger Dogmatisches: Diese Rückkehr zur einfachen, nur wesentlichen Lehre ist nicht nur in Frankreich am wichtigsten. Sonst werden die Kirche zu Gräbern Gottes, wie Friedrich Nietzsche voraussah…

15.Ich verdanke viele Informationen dem wichtigen Buch des Politologen Jérome Fourquet, à la droite de Dieu. Erschienen in den Editions du Cerf, Paris, 2ß18. 174 Seiten, 18 Euro. Dieser Verlag wird vom Dominikaner Orden geleitet.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

Die Irrtümer des Manfred Lütz in seinem Buch „Skandal der Skandale“: “Auf hohem Ross reitend und besserwisserisch”…

Ein Beitrag des Historikers Dr. phil. Josef Breinbauer.

Das von einigen Stellen mit viel Lorbeeren bedachte Buch von Manfred Lütz, kann nicht unwidersprochen bleiben. Sein durch fromme Scheuklappen eingeengter Blick lässt ihn viel, was er mit seiner Argumentation nicht als kompatibel empfindet, unter den Teppich kehren.

Im Lob von Toleranz und Gewaltlosigkeit der Christen (S. 35 ff.) kann sich Lütz kaum eingrenzen. Doch nicht einmal untereinander kamen die Christen ohne Gewalt aus. Natürlich bleibt daher bei ihm unerwähnt, dass bei der Papstwahl im Jahre 366 die Leute des dann erfolgreichen Damasus eine Kirche stürmten und darin 137 Anhänger seines Rivalen Ursinus umbrachten. Auch die sog. „Räubersynode“ von Ephesos (449) kann nicht gerade als Muster des respektvollen Umgangs der Christen miteinander gewertet werden. Skandale gibt es für Lütz aber erst nach der Jahrtausendwende. “Und wenn das Ende der Welt damals gekommen wäre, müssten wir uns bei der Bilanz des Christentums nicht mit den klassischen Skandalen aufhalten, denn es gab sie nicht. Es gab in den ersten tausend Jahren des Christentums weder Kreuzzüge noch Inquisition oder Hexenverfolgungen, auch keine Pogrome und eben so wenig eine dauerhafte Kirchenspaltung mit der Ostkirche. Man erwarb sich Verdienste bei der Humanisierung der Barbarei…..”( S.63 f.). Allein schon das frevelhafte Handeln von Papst Stephan VI. gegen seinen Vorgänger Formosus auf der Leichensynode von 896/97 macht eine solche Behauptung unglaubwürdig. Fehlanzeige auch der kirchliche Rangstreit 1062/63, als sich in Goslar die Leute des Bischofs von Hildesheim und die des Abtes von Fulda in der Kirche gegenseitig die Köpfe einschlugen, bis feststand, wer neben dem Mainzer Erzbischof sitzen darf. Lampert von Hersfeld, Annalen a. 1063: …multi utrimque vulnerati, multi occisi sunt…Mit der Solidarität der Glaubensbrüder untereinander war es also noch nicht so gut bestellt wie es uns Lütz glaubhaft machen will. Und wenn es ums Geld geht, hört die Friedensliebe der Christen auch gegenüber anderen Christen rasch auf: Siehe Eroberung von Zara beim Kreuzzug (1202).

Auf Seite 44 unterstellt Lütz dem Kaiser Konstantin, der sich erst am Ende seines Lebens taufen ließ, dass dieser im Sinne der Gewaltlosigkeit des Christentums handeln wollte. Ob das Licinius, Fausta und Crispus, denen er zu einem vorzeitigen Tod verholfen hat, auch so sehen, dürfte fraglich sein. Nicht zu vergessen, dass der Christengott für Konstantin zunächst ein Schlachtenhelfer war. Bei der Regelung der Osterfrage hatte Konstantin auch ein paar „Streicheleinheiten“ für die Juden übrig: „Nichts sei uns gemein mit dem feindlichen Volk der Juden!“

Bei der Ketzer- und Hexenverfolgung (Kapitel IV bzw. VI) hält Lütz den Anteil der Päpste möglichst gering, obwohl diese den Inquisitoren die gewünschte Autorität verliehen. Konrad von Marburg (S. 109 f.) wütete demnach eigenmächtig gegen Ketzer und sei auf die geschlossene Gegenwehr der Bischöfe gestoßen. Nach Konrads Ermordung 1233 sei Papst Gregor entsetzt gewesen, auch über das Vorgehen des Inquisitors. Dass ihm der Papst zuvor am 11.10.1231 die volle Gewalt, ohne Zulassung einer Appellation mit Prozessen gegen die Häretiker in Deutschland vorzugehen, übertrug, fällt bei Lütz unter den Tisch. Vgl. NDB, Bd.12, S. 545. Auch die päpstlichen litterae „Vox in Rama audita est“ von 1233, in denen die „luziferianischen“ Initiationsriten geschildert werden, bleiben unerwähnt. Konrad hatte die Phantasiekonstruktionen dem Papst übermittelt. Dem Handeln nach muss Gregor IX. diese für wahr gehalten haben. Ähnlich sparsam mit Informationen geht Lütz (S. 153) beim Hexenhammer (1487) um. Heinrich Kramer, „ein windiger deutscher Dominikaner“ habe sich vorher geschickt bei der päpstlichen Bürokratie ein „routinemäßiges Dekret“ besorgt und dann sein Machwerk gebastelt. Jetzt darf der Leser raten. War das nicht die berüchtigte Bulle „Summis desiderantes affectibus“ des Papstes Innozenz VIII., der sich zum Eingreifen verpflichtet fühlte ? Die in diesem Dokument von 1484 aufgeführten Untaten erklärte Innozenz als Tatsachen, deren Realität man nicht bezweifeln durfte. Für Lütz ist all das keinen Federstrich wert.

Sicherlich ist de Las Casas ein rühmliches Beispiel für die kath. Kirche. Gerne habe ich schon als Schüler Reinhold Schneider, Las Casas vor Karl V. gelesen. Stolz schreibt Lütz auf S. 188: „Die Päpste blieben bei ihrer strikten Verurteilung der Sklaverei.“ Er nennt dabei Urban VIII. (1568-1644) als seinen ersten Gewährsmann. Kein Wort fällt allerdings zu Nikolaus V, der gut hundert Jahre früher dem König von Portugal in der Bulle „Dum diversas“ (leicht im Internet zugänglich) die Vollmacht verlieh, heidnische, ungläubige Reiche, Ländereien… anzugreifen, zu erobern oder zu unterjochen, die Personen für immer in Knechtschaft zu halten…“ Erwähnen können hätte man in diesem Zusammenhang auch den römischen, also nichtchristlichen Philosophen Seneca, der in seinen Epistolae morales 47 entgegen dem damaligen mainstream die Sklaven als Menschen ansah (servi sunt, immo homines).

Das Kapitel um die Unfehlbarkeit des Papstes wird ziemlich flach abgehandelt (S. 198-202). Lütz kommt dabei aus ohne Konstantinische Schenkung, ohne Honorius-Frage, ohne Sutri (1046) und ohne Konziliarismus, welcher 1417 mit Martin V. dem Papsttum einen Neustart ermöglichte. Dieses war dann bedacht, konziliare Fesseln alsbald abzustreifen. Nach katholischer Lehre könne ein Papst nicht eine neue Lehre, die ihm irgendwie gefällt, zum Dogma erheben (S. 200). Da wäre nun eine Erläuterung fällig zu Kapitel IV der dogmatischen Constitution „Pastor aeternus“, wo es heißt: „..ideoque ejusmodi Romani Pontificis definitiones ex sese, non autem ex consensu Ecclesiae, irreformabiles esse“. In diese Zeit von Pius IX. gehört auch dies hinein: Der Skandal um die Nonnen von Sant’ Ambrogio. Was Hubert Wolf ausführlich beschrieben hat, kann natürlich bei Lütz keine Erwähnung finden. Der Gipfel von Heuchelei aber ist es, wenn Joseph Kleutgen, der sich als Beichtvater der Nonnen zu deren hübschesten ins Bett gelegt hatte, sich später in einer Predigt an die studierende Jugend wendet und die Unkeuschheit als Weg zur Hölle anprangert (Predigten von Joseph Kleutgen, Zweite Abtheilung, Pustet Verlag 1874, S. 99-117). Unbequemen Wahrheiten muss man einfach aus dem Weg gehen.

Beim Thema „Frau“ ist der Autor voll des Lobes für die emanzipatorischen Leistungen der kath. Kirche. Zunächst heißt es auf S. 29 ganz allgemein : “Noch ein anderer Keim ist im Monotheismus angelegt. In den kosmologischen Religionen der Vorzeit entspricht der Mann gewöhnlich der Sonne und die Frau dem Mond, womit Letztere immer nur ein Abglanz ist und nie Gleichberechtigung erhält. Hingegen spricht ihr der Monotheismus dieselbe Menschenwürde zu.”  Gegen Frauen im Dienst am Altar schritten Papst Gelasius (ep. 14,26) und später das Konzil von Paris (829) vehement ein. Logischerweise übergeht Lütz bei seiner Zitation von Paulusstellen jene in 1Kor11,7, wonach der Mann Abglanz Gottes ist, die Frau aber nur Abglanz des Mannes. Dementsprechend heißt es im maßgebenden Decretum Gratiani C.XIII. …ideoque mulier non est facta ad Dei imaginem…Diese nachgeordnete Gottebenbildlichkeit begegnet auch noch beim Brautsegen im Schott/ Das vollständige Römische Meßbuch, mit imprimatur von 1958, [125]. Was der heilige Abt Odo von Cluny, gest. 942, in diffamierender Weise über das weibliche Geschlecht sagt, ist schon mehr als skandalös. Könnte man unter die Haut sehen, würde man sich ekeln, da man nur Schmutz und Schleim vorfände (PL 133, Sp. 556). Nach Lütz sei aber die Kirche keineswegs sexualfeindlich (S. 261) und habe immer wieder prüde Sexualitätsgegner bekämpft (S. 263). Ob für ihn Abt Odo und Petrus Damiani zu diesen gehörten, erfahren wir leider nicht. Letzteren vermisst der kundige Leser auf S. 259. Dieser Heilige und auch Kirchenlehrer war energischer Vertreter der Kirchenreform und gestrenger Verfechter einer restriktiven Sexualmoral, nicht nur im Sinne der Durchsetzung des Zölibats für Priester. Mit seinen putzigen, am Tierreich orientierten Vorstellungen von Sexualität ( PL 145, Sp.777:…admiremur fecundam in vulturibus virginitatem. Perhibentur enim vultures caeterum avium more concubitui nullatenus indulgere, sed absque ulla prorsus masculini sexus admistione concipere…) passt er nicht in die Behauptung von Lütz. Auf S. 266 gelangt der Autor zu der erstaunlichen Feststellung, der hl. Alphons von Liguori, der Patron der Beichtväter, habe dazu geraten, „dass die Priester bei der Beichte in sexuellen Dingen nicht weiter nachfragen sollten.“ Wozu aber hat dieser dann sein großes Werk, die „Theologia moralis“, geschrieben? 1748 erstmals erschienen und dann über 70mal wieder aufgelegt! Sein Ziel war es, gute Beichtväter heranzubilden, die den Grad der Sündhaftigkeit aller möglichen sexuellen Handlungen beurteilen können. Mit Details wird bei Liguori nicht gespart. Seine Einstellung zum Sextum wird schon im ersten Band deutlich: „Nur mit Widerwillen schreiten wir jetzt zur Behandlung jenes Gegenstandes, dessen Name schon die Geister der Menschen unangenehm berührt….Doch diese Sünde muss nur allzu häufig und allzu reichlich Gegenstand der Beichten werden. Gerade ihretwegen wird der größte Teil der Verdammten in die Hölle gestürzt.“(zitiert nach Karl-Heinz Kleber, De parvitate materiae in sexto, S. 275). Dass die Kirche keineswegs sexualfeindlich und prüde sei, lässt sich nach Lütz (S. 261) an Papst Johannes XXI. aus dem 13. Jahrhundert ablesen, der für das Edelste, was es in der Ehe gebe, den Geschlechtsverkehr, offen ins Detail geht. Etwa 400 Jahre später verurteilt aber Innozenz XI. folgenden Satz: Opus conjugii ob solam voluptetem exercitum omni penitus caret culpa ac defectu veniali.“ Inwieweit das nun eine lässliche oder schwere Sünde ist, auch darüber muss Alphons von Liguori Rat geben.

Was Lütz zum Nationalsozialismus schreibt, bleibt ebenfalls geschönt. Von Brückenbauern wie Karl Adam, Joseph Lortz oder Michael Schmaus nimmt er natürlich Abstand. Um sein Bild des Katholizismus in der NS-Zeit nicht trüben zu müssen, liest man bei ihm weder vom „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“, welches die Philosophisch – Theologischen Hochschulen Bayerns 1933 unterzeichneten, noch vom „Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen“, hrsg. mit Empfehlung des deutschen Gesamtepiskopats von Erzbischof Conrad Gröber (1937). Vom kath. Feldgesangbuch von 1939 und diversen Hirtenbriefen deutscher (Erz-)Bischöfe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs hat Lütz offensichtlich keine Ahnung Am Erscheinungsort seines Buches hat 1940 der damalige Erzbischof ein Hirtenwort an die Soldaten im Feld gerichtet unter dem Motto: „Arbeite als ein guter Kriegsmann Christi“. Dessen Paderborner Amtskollege stellt zu Beginn der Fastenzeit 1942 in einem Hirtenwort die rhetorische Frage, ob nicht das arme, unglückliche Russland Tummelplatz von Menschen sei, „die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christenhaß fast zu Tieren entartet sind.“ Das liest sich konträr zu dem, was Lütz auf S. 213 hervorhebt: „Den Christen verbot die Überzeugung von der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen den Gedanken „minderwertiger Rassen:“ “

Fazit: Manchmal fragt man sich schon, wie klar oder unklar der Kenntnisstand von Herrn Lütz ist. Es ist tröstlich, dass sich viele seiner Aussagen problemlos zurechtstutzen lassen. Von dem hohen Ross, auf dem er besserwisserisch durch die Kirchengeschichte reitet, kann man ihn leicht herunterholen.

Manfred Lütz, Der Skandal der Skandale Die geheime Geschichte des Christentums, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2018, 286 S. , ISBN 978-3451-37915-4, gebundene Ausgabe 22 €.

COPYRIGHT: Dr. phil. Josef Breinbauer

Manfred Lütz und die Juden in seinem Buch „Skandal der Skandale“

Ein Hinweis von Christian Modehn am 16. 4. 2018

Einige LeserInnen meines Beitrags auf dieser website haben mich gefragt, was denn eigentlich der problematisch wirkende Satz von Lütz auf Seite 31 in seinem Buch „Skandal der Skandale“ bedeuten könnte.

Sie zitierten dann diesen Satz: „Der amerikanische Politologe Gary Remer ist sogar der Meinung, hätte im Mittelalter ein jüdischer Staat bestanden, dürften manche Heiden der Verfolgung ausgesetzt worden sein“. Nur das von mir kursiv Gesetzte stammt von Gary Remer. Der erste Teil des Satzes, der Hauptsatz, stammt von Herrn Lütz.

Mein Hinweis: Die Interpretation dieses Satzes erschließt sich wie so oft nur aus dem Kontext: ENTSCHEIDEND ist der Gesamtzusammenhang, in dem das Zitat von Gary Remer steht:

Denn einige Zeilen vor dem Zitat von Gary Remer spricht Lütz von der politischen Rolle des Judentums in der Geschichte: Das Judentum war als Minderheit nirgendwo eine dominante Religion, schreibt Lütz. Dann schreibt er wörtlich „Wie aber die jüdische Existenz stets eine geschlagene war, so blieb sie doch lange vor einer Herausforderung bewahrt: Der Toleranz-Gewährung“. Das heißt also: Die Juden kamen historisch nie in die Lage, anderen Toleranz zu gewähren… Diesen Hauptgedanken variiert Lütz noch einmal wörtlich: „Nicht weniger absolut als die beiden anderen Monotheismen, musste das Judentum den Rahmen einer „Erlaubten Religion“ nie selbst aktiv bestimmen.“ Das Judentum hat in der Sicht von Lütz also keinen Beweis seiner eigenen Toleranzpolitik vorgelegt. Das schwache Judentum brauchte nie und konnte nicht als Minderheit politisch die Grenzen der Toleranz in den Staaten bestimmen. Das Judentum hat also keine Ahnung und keine praktische Vorstellung von Toleranz. Diese Behauptung will dann Lütz durch eine spekulative Frage verschärfen, indem er fragt: Hätten denn unter anderen Bedingungen die Juden etwa den Heiden gegenüber sich tolerant verhalten? Diese Frage verneint Lütz selbst, lässt aber diese Verneinung einen Juden sagen, den amerikanischen Juden Gary Remer.  Wo genau Herr Remer diesen Halbsatz in welchem Buch sagt, verrät uns der angeblich wissenschaftlich arbeitende Herr Lütz nicht. Ob Herr Remer und jüdische Freunde von Lütz über diese seine Inszenierung eines möglichen intoleranten Judentums froh sind, ist die Frage…

Noch einmal: ERST nachdem Lütz die mögliche Intoleranz der Juden freigelegt hat, schließt Lütz den ominösen halben (!) Satz an, der in dem Gesamtzusammenhang eindeutig als Fortführung des eigenen, Lützschen Denkens zu verstehen ist, also als spekulative Interpretion der These von Lütz: Dass Juden politisch keine Ahnung von Toleranzgesetzen haben können.

Und dann folgt der Halbsatz, als Bruchstück, von Gary Remer, in den Lützschen Gedanken eingebau. Er ist in der Funktion des Halbsatzes eindeutig eine Verdeutlichung des Lützschen Denkens. Den Nebensatz von Remer baut Lütz also evident in seine eigene Interpretation ein. Es ist also förmlich Lütz selbst, der das sagt, was Remer in den acht Worten sagen darf.

Lütz schreibt also: „Der amerikanische Politologe Gary Remer ist sogar der Meinung, hätte im Mittelalter ein jüdischer Staat bestanden…., UND JETZT erst beginnt das Remer Zitat: “dürften manche Heiden der Verfolgung ausgesetzt worden sein“.

Lütz hätte in einem anschließenden Satz diesen Halbsatz von Remer kritisch kommentieren können. Macht er aber nicht. Stattdessen springt er sofort in die Gegenwart. Er schreibt: „Erst heute steht der Staat Israel vor der Aufgabe der Regelung religiöser Vielfalt“. Ob der Staat Israel als Staat der Juden nun endlich mal politisch Toleranz lebt (etwa gegenüber den Palästinensern) oder nicht, lässt Lütz offen.

Im ganzen ist dieser Gedanke von Lütz eigentlich auch skandalträchtig: Mit dem ins eigene Argumentieren eingebauten halben Satz von Remer suggeriert Lütz: Juden wären auch intolerant gewesen, wenn sie denn politsch über andere hätten herrschen können.

Damit wird das intolerante Bild „der“ Christen relativiert. Das nennt man christliche Apologie, sogar noch mit den Mitteln einer spekulativen Frage nach der Gewalt durch Juden gegenüber Heiden. Auch dieses Beispiel zeigt: Lütz hat oberflächlich und polemisch gearbeitet. Einmal musste er sich schon, ebenfalls im jüdischen Zusammenhang, öffentlich einen gravierenden Fehler eingestehen: In der Frankfurter Rundschau vom 28.3. 2018, Seite 32. Der FR  Journalist zitiert Lütz aus seinem Buch zum Thema Holocaust: „Manches im christlichen Verhalten (im Holocaust) mag skandalös gewesen sein“. Joachim  Frank weist auf dieses unpräzise Gerede hin. Darauf Lütz: „So steht das? Oh! Da bin ich für Ihren Hinweis dankbar. Da muss –ist- stehen. Wird in der 2. Auflage nach gebessert“.

Ich bleibe dabei und bitte den Herder Verlag um öffentliche Auskunft, warum gerade er als doch etwas theologisch ambitionierter Verlag dieses Buch von Lütz herausgebracht hat. Und so viele Käufer fallen offenbar auf dieses “”Opus”  rein. Geht es wirklich nur ums Geld?

Vor allem: Haben die sechs im Buch genannten hochkarätigen Theologieprofessoren wirklich dieses Opus vorweg gelesen?  Falls Ja, wäre auch diese eine Blamage.

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

 

Mai 68 und die katholische Kirche … und die Klöster im Mai 68

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Mai 68 und die katholischen Klöster: Wenn eine uralte Tradition in Europa verschwindet: 1996 lebten 42.000 Frauen und Männer in Klöstern in Deutschland; im Jahr 2017 sind es nur noch 20.0000, die allermeisten im “Seniorenalter”….

Ergänzung am 6.5.2018: Ich habe mehrfach – ohne Erfolg – gefordert, dass auch die Orden und Klöster, der Armut verpflichtet, ihre Finanzen freilegen. Nun hat der bekannte Bestseller Autor Pater Anselm Grün OSB von Münsterschwarzach zugegeben, dass er etwa 10 Millionen Euro durch Spekulation verloren hat. Das ist immerhin ehrlich, zeigt aber die Dimensionen der Finanzgeschäfte der armen Klöster, die zudem ständig um Spenden betteln. Hier klicken.

 

ERSTER TEIL:

Mein Leben im Kloster

Philosophische Religionskritik ist immer auch kritische Reflexion auf die historischen und gegenwärtigen Formen von Kirchlichkeit. Und dazu gehört die immer noch eher verschlossene Welt der Klöster, trotz all der „offenen Türen“, die man jetzt dort werbend organisiert. Ihre Finanzen legen die Orden – im Unterschied zu den Bistümern – nicht einmal ansatzweise frei.

 

  1. Was ich in diesem Essay über „Klöster und Mai 68“ schreibe, habe ich persönlich erlebt. Wie so oft: Ausführlichere Informationen zur „Geschichte des auch in Klöstern immer noch vorhandenen privaten Lebens“, hätte es nur in einer anonymen und fiktiven Form geben können. Ein Roman kann manchmal ehrlicher sein als ein Tatsachenbericht… Es ist notwendig, zuerst ausführlicher das thematische Umfeld im „katholischen Deutschland“ zu skizzieren.
  1. Mein Beitrag will zu einer historisch – kritischen Untersuchung des Themas: „Die Klöster und der Mai 68 in Deutschland“ auffordern. In der aktuellen Forschung der (Kirchen-)Geschichte wird dieses Thema nicht bearbeitet. Dabei gibt es noch Zeitzeugen.
  2. Das Thema „Klöster und Mai 68“ ist alles andere als marginal. Die Entwicklung der katholischen Klöster seit 1968 spiegelt die grundlegende Veränderung des Katholizismus an einer wichtigen, zentralen Schaltstelle katholischen Lebens. Klöster, Mönche und Nonnen waren (und sind ?) „Vorzeigeobjekte bzw. Vorzeige-Subjekte“ des Katholizismus. Heute ist es eine Tatsache: Die meisten Klöster in Deutschland und weiten Teilen Europas gleichen eher Altersheimen, wenn die Klöster nicht längst aufgeben und für gutes Geld verkauft wurden. Dies ist auch eine Untersuchung wert.
  3. Das seit 1968 anhaltende „Verschwinden“ der Klöster, und damit der Nonnen, Mönche und Ordensleute im allgemeinen hat mit einem „unbearbeiteten Mai 68“ gerade INNERHALB der Orden zu tun. Ein definitives Verschwinden des Ordenslebens wäre in Europa bei einer großen geistigen und theologischen Offenheit nicht nötig gewesen. Indem man aber nach wie vor nur unverheiratete (nicht offen homosexuell lebende) Katholiken als Mitglieder respektierte, die dann auch zu einer „ewigen Bindung“ an den Orden bereit sein mussten , hat man (d.i. der Vatiukan) sich nach 1968 förmlich aus der offenen, immer auch „relativen“ Kultur der Gegenwart verabschiedet. Diese bevorzugt eher kürzere Lebensbindungen und kein vernünftiger Mensch lässt es für sich selbst noch zu, dass man sich Gott weihen soll, aber dabei auf Liebe, auf erotische und sexuelle Liebe verzichten muss. Mit anderen Worten: Die Klöster sind auch selbst schuld, dass sie in Europa heute verschwinden.
  4. Zum theologischen Hintergrund: Der „katholische Mai 68“ fand zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Reformkonzils (Dezember 1965) statt. Dieses Konzil hatte unter vielen Katholiken, auch in Deutschland, Interesse, Anteilnahme, wenn nicht Euphorie geweckt und auch Ängste der sehr Konservativen und Reaktionären erzeugt: Sie hatten sich schon während des Konzils vereint als einflussreiche Minderheit (Ottavini, Ruffini, Lefèbvre, Sigaud, zum Teil auch Katrdinal Bengsch, um nur einige Namen zu nennen).
  5. Am 25. Juli 1968 veröffentlichte Papst Paul VI. seine Enzyklika „Humane Vitae“, die jegliche „künstliche Geburtenregelung“ verbot, die sonst eigentlich geschätzte Gewissensentscheidung katholischer Frauen und Männer diskriminierte und dadurch den Katholizismus sogar noch hinter das Mittelalter zurückschleuderte. Die Autonomie der Person, das große Thema des Mai 68, wurde total ignoriert. Die Kirchenführung im Vatikan lebte 1968 kulturell förmlich wie auf dem Mond; sie stand außerhalb des allgemeinen, reflektierten ethischen Empfindens der “Moderne“. Die Stimmung unter gebildeten, kritischen Katholiken war entsprechend sehr mies, manchmal rebellisch, aber wirksame Proteste gegen diese Kirche gab es kaum: Die Austritte aus der römischen Kirche hielten sich 1968 und einige Jahre danach noch in Grenzen. Die autoritäre Bindung, voller Angst vor Ungehorsam, war unter Katholiken noch die Haupttugend.
  6. In Lateinamerika ging es auch turbulent zu im Katholizismus: Vom 26. August bis zum 8.September 1968 fand in Medellin, Kolumbien, die erste, die berühmte lateinamerikanische Bischofskonferenz statt. Dort verpflichteten sich die Bischöfe, zumindest in ihrem Abschlussdokument, den Armen Vorrang und Respekt zu gewähren. Der Theologie der Befreiung wurde sozusagen eine gewisse Berechtigung zugesprochen. Diese qualitativ neue Theologie hätten die Amtskirche und Rom später aber am liebsten bald wieder ausgelöscht: Der Vatikan fand wenige Jahre später die Studien des angeblich marxistischen Leonardo Boff häretisch, Gustavo Gutiérrez hingegen galt als akzeptabel. Kardinal Müller nennt merkwürdigerweise Gutiérrez heute seinen Freund.
  7. Am 7.September 1968 erschien die erste Ausgabe der für katholisch Verhältnisse progressiven katholischen Wochenzeitung PUBLIK. Dieses katholische publizistische „Wunder“ dauerte nur einige Monate, bis zum November 1971. Dann wurde PUBLIK von den Bischöfen verboten. Angeblich fehlte ihnen das nötige Geld. Viele Millionen DMark stellten die Bischöfe (aus Kirchensteuergeldern) kurz darauf für die CDU Wochenzeitung Zeitung Rheinischer Merkur zur Verfügung. Die Bischöfe zeigten sich wieder einmal als Parteigänger der CDU/CSU.
  8. Der 82. Deutsche Katholikentag fand vom 4. bis 8. September 1968 in Essen statt, er war sicher einer der am deutlichsten von Kontroversen geprägte Katholikentage. „Fast alle TeilnehmerInnen waren für die Pille“, hieß es in einem Kommentar. Der deutsche Katholizismus erlebte eine gewisse aufmüpfige, rebellische Gruppierung. Sie wurde zu Beginn von der immer allmächtigen Hierarchie geduldet, wohl auch belächelt. Einige Hierarchen taten nach außen so, als freute sie sich über die Pluralität. Tatsächlich aber wollte der höhere Klerus die Vorherrschaft über die Kirche nicht aufgeben. Später (1971 – 1975) wurde in Würzburg eine katholische Synode veranstaltet, aber synodal, d.h. demokratisch organisiert, wurde die Kirche natürlich nicht. Viele damals engagierte Katholiken nannten ihren Einsatz nur traurig „eine Art Glasperlenspiel“, ein wirkungsloses Debattieren, eine Freizeitbeschäftigung…
  9. In diesen bewegten Wochen also trat ich in ein Kloster ein. Ich war, von meiner Heimat Berlin kommend, seit September 1968 Novize im Kloster St. Augustin bei Bonn, das Kloster war eine – staatlich anerkannte – philosophisch – theologische Hochschule. Der Orden nennt sich „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ (SVD); in Deutschland wegen des Hauptklosters in Holland in Steyl wird der Orden oft „Steyler Missionare“ genannt. Der Orden zählte damals weltweit ca. 5000 Mitglieder. In St. Augustin lebten ca. 170 Ordensleute, Priester, Ordensbrüder sowie ca. 120 Ordensstudenten und Novizen. An der Hochschule studierten nur Ordenskandidaten, also keine Frauen, auch keine Ordensschwestern. Es gab auch keine Frauen unter den Dozenten. Frauen waren für uns nur sichtbar in den Gestalten der kaum Deutsch sprechenden jungen jugoslawischen Nonnen, sie arbeiteten in der großen Küche. Dadurch konnten sie für ihren Orden in Jugoslawien – wie Gastarbeiterinnen – Geld überweisen. Frauen waren auch in den zahlreichen Betrieben tätig, wie etwa der „Missionsprokur“, die sich um Informationen aus den so genannten Missionsländern, vor allem aber ums Spendensammeln kümmerte. Die tatsächliche Drecksarbeit, das Saubermachen in den großen Räumen usw. leisteten Laien, unterstützt von einigen Ordensbrüdern.
  10. Ich bin sicher, dass diese Strukturen einer eher abgeschotteten männlichen Führung in allen Klöstern und Klosterhochschulen bestimmend war. Umgekehrt gab es in Frauenklöstern eben Frauen als Priorinnen, aber sie durften als Frauen nicht das Wesentliche im Klosterleben vollziehen: Die Messe feiern, dafür wurde immer ein Priester (auch als „Beichtvater“) benötigt.  Künftige Priester erlebten also in diesen Klöstern Frauen als Dienerinnen des Klerus. Und die Ordensleute verdienten sich ihren Lebensunterhalt nicht durch ihrer Hände (Schreib)- Arbeit, sondern man lebte vor allem von Spenden, auch von den sprichwörtlichen Spenden des armen Mütterchens sowie – wie in unserem Kloster – durch den Verkauf ordenseigener Zeitschriften…Eine gewisse Dekadenz des Sich – Bedienen – Lassens prägte das Ganze. Lächerlich erschien es mir manchmal, wenn ich an das Gelübde der Armut dachte: Denn tatsächlich wurde ich ja wie alle Ordensleute rundherum bedient und umfassend versorgt, selbst wenn ich meist nur ein Taschengeld verfügte. Wenn ich heute in den Großstädten die letzten verbliebenen Ordensleute an Bettlern und Obdachlosen vorbei gehen sehe, frage ich mich: Wer ist da wirklich arm? Die gut rundherum versorgten, sich arm nennenden Ordensleute gewiss nicht.
  11. „Mein“ Kloster war also eine sehr große, kaum überschaubare Kommunität (oder sollte man treffender von „Ansammlung von vielen“ sprechen?): Die Patres hatten ihren Speisesaal, die Ordensbrüder ihren eigenen, die Klerikerstudenten und Novizen wiederum ihren eigenen. Ebenso verhielt es sich in den „Lesesälen“ den Zeitschriften, ebenso in den Räumen, in denen das Fernsehen gestattet war. Bei dieser Größe und den ständig durchreisenden Missionaren aus aller Welt konnte es sein, dass sich ein Novize inmitten fremder Männer befand, die dann offiziell „Mitbrüder“ genannt wurden
  12. Als ich in das Kloster (mit der Hochschule) eintrat, waren einige STUDIEN Reformen bereits von den Ordensstudenten durchgesetzt worden, also der rebellische Elan hatte schon 1966 gewirkt. So wurde Pater Johann Haverott, seit Jahrzehnten ein Dozent für dogmatische Theologie, bestreikt: Die wenigen Publikationen dieses „Professors“ befassten sich mit dem Wunder in Fatima… Die Studenten konnten es nicht mehr ertragen, von ihm Vorlesungen zu hören, die das 2. Vatikanische Konzil missachteten. Der Streik hatte Wirkung: Pater Haverott wurde als Dozent pensioniert, lebte aber noch am Rande der gesamten Kommunität. Zudem war es dem Protest der Ordensstudenten zu verdanken, dass die Vorlesungen nicht länger in lateinischer Sprache, sondern auf Deutsch gehalten wurden. Es ist unbekannt in der interessierten Öffentlichkeit, dass bis Mitte der neunzehnhundertsechziger Jahre Vorlesungen in katholischer Theologie in den kircheneigenen, aber staatlich anerkannten Hochschulen (auch in Rom) auf Latein gehalten wurden. Es gab die berühmten Lehrbücher, etwa zur Moraltheologie, die auf Deutsch erschienen waren, aber heikle Themen, etwa zur Sexualmoral, nur auf Latein darstellten. Mir liegt das damalige Standardwerk „Katholische Moraltheologie“ von Pater Heribert Jone, 15. Auflage 1953, Schöningh Verlag noch vor, in dem ab Seite 200 die Homosexualität auf Latein besprochen wird unter dem Titel „Perversio sexualis“. Offenbar hatten die damaligen Theologen Angst, dass sich studentische Leser auf Deutsch mit dem Thema Sadismus, Masochismus, Fetischismus auseinandersetzen. Die Ordensstudenten sorgten auch dafür, dass sie im so genannten Rat der Hochschule mit einem Vertreter dabei sein konnten. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie die Ordensleitung, durch das Konzil und vielleicht auch durch die von Ferne aufgenommenen Informationen über den „Mai 68“ bestärkt, spürte: Die alte Kirchenwelt des autoritären Stils geht zu Ende. So war man halben Herzens zu Zugeständnissen bereit. Noch zu Beginn der sechziger Jahre lebten so viele Ordensstudenten in St. Augustin, dass nur große Schlafsäle zur Verfügung standen, so dass die Privatsphäre sehr eingeschränkt war. Als ich im Herbst 1968 in das Kloster kam, waren die Schlafsäle aufgelöst, es gab schon mehr Platz, weil viele junge Ordensleute das Kloster verlassen hatten. Aber die privaten Räume waren klein und bescheiden, nur die Patres, die sich als Dozenten oft großspurig Professoren nennen ließen, hatten große Zimmer. Als dann das Kloster immer weniger Mitglieder hatte, Mitte der neunziger Jahre, wurden dann die Wohn- Schlafzimmer mit Badezimmern ausgestattet. So gleicht eine Klosterzelle von einst heute einer Hotelunterkunft Qualität 3 Sterne…
  1. Zu meinem Noviziatskurs gehörten insgesamt 9 Abiturienten. Fünf kamen sozusagen „bruchlos“ nach dem Abitur in einem Internet der Steyler Missionare nach St. Augustin, vier kamen, wie ich, als so genannte Externe, von staatlichen Schulen. Wobei dieser Prozentsatz Externer sehr hoch war. Normalerweise kamen über alle Jahre – seit den zwanziger Jahren eigentlich – die Novizen aus den Internaten des Ordens. Manche waren dort schon mit Beginn der Sexta, als 9 Jährige, von den Eltern im Kloster – Gymnasium mit Internat abgegeben worden. Das Noviziat und der Ordenseintritt war sozusagen nur eine Fortsetzung der kindlichen (jugendlichen) Ausbildung. Wobei die Lebensbedingungen in diesen Steyler Internaten hier nur angedeutet werden können. Es gab nur Schlafsäle (schließlich mussten zwischen 1930 und 1960 bis zu 300 Knaben in dem Internat untergebracht werden), die Privatsphäre war eher minimal. Es gab eine streng geregelte Tageszeit, meist war der Besuch der täglichen Messe (in lateinischer Sprache) und einer Abendandacht obligatorisch. Der Orden kannte das so genannte Viertelstunden Gebet: Das heißt: Alle 15 Minuten wurde tagsüber – durch einen Glockenschlag signalisiert – jegliche Beschäftigung für einen Augenblick des Gebets und der Andacht unterbrochen. Wie viele theologische und philosophische Gedanken dabei unterbrochen wurden, ist eine offene Frage…Tatsache ist jedoch für diesen und viele andere Orden: Die Priester, denen später die Gemeinden begegneten, waren solche, die schon als Kinder mit dem Orden aufs engste verbunden warenund nur die klerikale Sonderwelt kannten. Viel Verständnis für „weltliche“ Lebensfragen konnte man von vielen dieser Priester nicht erwarten. Sie waren oft treu ergebene Funktionäre der Kirche.
  2. Als ich mit diesen hier nur kurz angedeuteten Tatsachen in meinem Kloster als Novize konfrontiert wurde, da fragte ich mich: Wo war ich gelandet? Ich hatte in meiner Heimat Berlin an einem staatlichen altsprachlichen Gymnasium Abitur gemacht; hatte danach ein Semester Philosophie und evangelische Theologie (als getaufter Katholik) studiert. Und wollte – naiverweise, musste ich schon bald mir sagen – über den Orden in Lateinamerika arbeiten. Das war mein Interesse. Nur eine starke Bindung an den Katholizismus durch die Familie erklärt mir mein Verhalten: Ich wollte als Ordensmitglied etwas Vernünftiges in Lateinamerika mit den Menschen dort tun. Damals gab es allerdings eher wenige säkulare Organisationen, die ein entsprechendes Angebot bereit stellten, anders als heute. Zudem: Ich wollte (eigentlich immer schon für Theologie und Philosophie interessiert) an einer kleinen Hochschule in Ruhe beides studieren. Dass die allermeisten Dozenten dort eher schwach waren auf ihrem Gebiet, kann ich hier nur andeuten. Viele trugen in ihren Vorlesungen seit Jahren schon die selben „Skripten“ vor oder schämten sich nicht, aus alten Büchern zur Kirchengeschichte, etwa von Bihlmeyer – Tüchle, einfach nur vorzulesen…  Das Angenehme aber an dieser Hochschule war die große Bibliothek, die ich seit dem Noviziat ständig besuchen könnte, auch abends, immer war sie offen. Welch ein Glück bei den sonst eher sehr mittelmäßigen Lehrveranstaltungen der Dozenten, sie hatten meistens und bestenfalls einen Doktortitel an einer römischen / vatikanischen Universität erworben, oft nur ein Lizenziat dort …
  3.  Von September 1968 bis Juli 1973 studierte ich an der Philosophisch – Theologischen Hochschule St. Augustin bei Bonn, als Mitglied der internationalen Ordensgemeinschaft „Gesellschaft vom göttlichen Wort“ (SVD).Da mir das reguläre Studienangebot dort nicht ausreichte, hatte ich die Möglichkeit, aus eigener Initiative zusätzliche Studienkreise und Gesprächskreise zu gründen und zu organisieren. Etwa: „Arbeitskreis Wissenssoziologie“ mit Dr. Karl HoheiselTheologische Wochenenden in dem zum Orden gehörenden Haus in Lohmar Hohn bei Siegburg, etwa über Transzendentale Theologie bei Karl Rahner oder kirchliche und autonome Moral.Dann gründete ich einen „Publizistischen Arbeitskreis“ mit dem Journlisten Edmund PlazinskiDann organisierte ich mit anderen Studenten eine Tagung über die lateinamerikanische Theologie der Befreiung im Juni 1973 in St. Augustin.Dann organisierte ich mit anderen Studenten eine Vortragsreihe „Christen und politisches Engagement“ , Vorträge u.a. von dem Dominikanerpater Prof. Paulus Engelhardt oder dem Marxisten Franz Marek (Wien).Dann gelang es mir, den Leiter der Beratungsstelle „Offene Tür Berlin“ (OTB) P. Michael van Leeuwen SVD zu einem Vortrag einzuladen.Oder ein Gespräch mit dem Dominikaner Pater Langer, Walberberg, über Heidegger.

    An der Uni Bonn konnte ich an mehreren Seminaren teilnehmen, u.a. bei den Philosophen Prof. Gerhardt Schmidt und den Theologen Prof. Heimo Dolch und Prof. Hans- Georg Geyer…

  4. Die jungen Ordensleute dort, die Theologiestudenten, gaben eine „hausinterne Zeitschrift“ heraus, zuerst mit dem heftigen Titel „Tarantel“, später dann milder „Fermente“. Dort wurden Vorschläge und Kritiken von Seiten der jungen Ordensmitglieder publiziert. Diese Zeitschriften waren bei der Ordensleitung nicht gerade beliebt, aber sie wurden wenigstens geduldet. Ich schrieb bald in FERMENTE einen etwas radikalen Artikel, in dem ich forderte, unser Orden sollte sich, auch dem Geist von 68 folgend, in ein „Internationales religiöses Dialogforum“ umwandeln: Anstelle der großen Klöster sollten kleine Wohngemeinschaften weltweit gegründet werden, in denen Ordensmitglieder mit Menschen anderer Religionen (auch Atheisten) zusammen wesentliche religiöse und philosophische Fragen besprechen und gemeinsam an gesellschaftlichen Projekten arbeiten. Dieser Vorschlag wurde noch nicht einmal öffentlich diskutiert.
  5. Als Novize habe ich am Anfang noch zwei oder dreimal meinen Novizenmeister fragen müssen, ob ich nach Bonn ins Kino gehen darf (ich hörte meine Freunde in Berlin geradezu lachen über meinen Ordensgehorsam). Irgendwann hörte diese Fragerei von selbst auf, es gab dann auch Hausschlüssel, so dass man sogar mal eine Spätvorstellung besuchen oder gar an einem philosophischen Seminar an der Universität Bonn teilnehmen konnte. Schließlich wurde jedem Ordensmitglied ein Taschengeld ausgezahlt, es waren, glaube ich, 20 DMark. Tatsächlich verfügten aber viele Ordensleute wohl über mehr Geld, meist durch Schenkungen aus dem Familienkreis, so dass man sich u.a. auch mit eigenen Büchern (oder Hemden usw.) nach eigenem Geschmack usw. recht gut eindecken konnte. Manchmal war so viel Geld übrig, dass man sogar mal in ein Restaurant gehen konnte. Diese eigentlich schlichten Beispiele zeigen, wie langsam, aber sicher sozusagen normale, sagen wir bürgerliche (im Doppelsinn von citoyen und bourgeois) Verhältnisse ins Kloster einzogen. Und die Mitglieder verbürgerlichten sich, das ist keine Frage. Man wurde durchaus gern ein bisschen bourgeois. Ich wurde dies wohl auch, weil die bürgerliche liberale Freiheit für ein Individuuum nun einmal etwas Unverzichtbares ist. Aber das war eher ein „schleichender Prozeß“, der sich langsam ausbreitete bis dahin, dass einige Patres ihren eigenen VW besaßen, „ein Geschenk von Mutti“, wurde gesagt…“Mein“ Kloster öffnete sich der Welt, übernahm selbstverständliche alltägliche Lebenspraxen aus der bürgerlichen Welt, aber keiner wusste so genau, wo die „Reise“ unter diesen Bedingungen hingeht. Die Öffnung zur Welt hin ist ja keine Verweltlichung, wie konservative Katholiken gern sagen. Denn in der Welt und der Gesellschaft ist so vieles Gute und Richtiges, dass man als Ordenschrist dies nur mit Freude annehmen kann. Aber nach den Jahren strenger Askese wurde dann Einstieg in die bürgerliche Welt vielleicht übertrieben. Und sehr viele junge Ordensleute verließen das Kloster. Heute studieren an der Hochschule St. Augustin noch 2 oder 3 aus Deutschland stammende Ordensstudenten, alle anderen sind wohl Laien, sie stammen aus China usw., auch Frauen sind als Studentinnen willkommen, eine neue, bessere Zeit des Studiums dort ist wohl ist angebrochen. Nur: Es sind eben fast keine Ordensstudenten mehr dort, mindestens fast keine aus Deutschland stammenden. Schlimm ist das für mich nicht, alte Systeme die sich nicht radikal wandeln, sterben, mindestens in bestimmten Regionen.
  6. Zurück zu 1968: Diese stetige und im ganzen von allen Betroffenen unreflektierte „Öffnung zur Welt“ berührte natürlich das Verständnis der drei Ordensgelübde, der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit. Das Gefühl, wirklich arm zu sein, hatte ich im Kloster nie: Ich war wie auch alle meine Ordensmitbrüder bestens umsorgt, brauchte nie Lebensmittel einzukaufen, brauchte nie zu kochen, ich kannte gar nicht die Brotpreise: Immer war der Tisch reichlich gedeckt, von morgens bis abends. Auch das Ordensgelübde Gehorsam wurde sehr menschlich ausgelegt, was ich ja sehr richtig fand, als Form des Dialogs: Je mehr Vernunft, um so besser! Noch in den fünfziger Jahren wurden Missionare von ihren Oberen irgendwohin mit irgendeiner Aufgabe geschickt, ohne auf die persönlichen Wünsche Rücksicht zu nehmen. Wie viele Missionare sind noch in den dreißiger Jahren an Tropenkrankheiten krepiert, weil ein solcher Einsatz ihrer körperlichen Konstitution nicht entsprach…Der Gedanke der Kollegialität und des Dialogs, vom 2. Vatikanischen Konzil propagiert, wirkte sich in meinem Kloster positiv aus. Oft ist allerdings der dialogische Gehorsam von Seiten der Leitung nur eine Verlegenheit, weil einfach so viele Stellen von so wenigen Ordensleuten zu besetzen waren, so dass der einzelne tatsächlich beinahe machen kann, was er will…Am schwierigsten ist es naturgemäß über das Gelübde der Keuschheit zu sprechen. Zum Thema Sexualität hat der „Mai 68“ im Kloster nicht stattgefunden. Es wurde damals insgesamt unter den Ordensstudenten über Sexualität geschwiegen, etwa auch darüber, wie die Patres mit ihren bevorstehenden Ordensaustritten und Heiraten umgingen, das wurde von uns abgeschirmt. Ich kam aus Berlin, wo in Studentenkreisen im Mai 68 das offene Wort selbstverständlich war. Im Kloster nun absolutes Schweigen, alles in dem Zusammenhang war peinlich, bloß keine gezielten Fragen stellen. Bloß keinen öffentlichen Disput! Man stelle sich das vor: Da leben 170 Männer auf engstem Raum zusammen und schweigen sich zu dem Thema aus… Ob das die seelische Gesundheit fördert, ist das noch eine Frage? Als ich einmal wissen wollte, was denn eine „echte Freundschaft“ sei, von der die neu formulierte Ordensregel SVD ausdrücklich spricht, wurde mir gesagt: „Na, ja, das ist halt eine wahre Freundschaft“. Meine Antwort: “Aha, Danke“…Irgendwann hörte ich so ganz versteckt und nebenbei, dass ein junges Ordensmitglied plötzlich über Nacht aus dem Kloster entlassen wurde. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, er sei „irgendwie und vielleicht homosexuell“. Das Wort homosexuell habe ich dort sonst kaum noch öffentlich gehört, in der Moraltheologie war nur von „Abweichungen und Verirrungen“ die Rede. Der Paragraph 175, aus der Nazizeit übernommen, hatte und hat die katholischen Gemüter vergiftet, er wurde ja erst 1969 abgeschafft. Schwule junge Ordensleute wurden zum Schweigen verdonnert, zur Nicht- Identität, zum Verstecken. Das hielt ich nicht lange aus…
  7. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Der Orden hat meine philosophischen und theologischen Interessen immer gefördert! Er hat mich etwa an Kongressen über den christlich – marxistischen Dialog teilnehmen lassen, er hat mir als Novizen schon die Teilnahme an den Salzburger Hochschulwochen erlaubt… Ich konnte den liberalen Marxisten aus Wien, Franz Marek, Chefredakteur des „Wiener Tagesbuch“, ins Kloster zum Vortrag einladen. Und ich konnte im Frühling 1973 zusammen mit drei Mitstreitern die erste Tagung in Deutschland über die lateinamerikanische Theologie der Befreiung anregen und auch organisieren. Aber längst hatte sich das Klima verändert, der Bischof von Essen, Franz Hengsbach, hatte als Chef des Hilfswerkers ADVENIAT und als Opus Dei Mitglied seine wilde Polemik gegen die Befreiungstheologie eröffnet. Da war eben eine Ordenshochschule zur „Ausgewogenheit“ verpflichtet. Dabei hätte es dieser neuen und noch unbekannten Theologie der Befreiung sehr gut getan, erst einmal als solche ausführlich diskutiert zu werden.Die Tagung war zwar ein großer Erfolg, aber sie zeigte mir, wie halbherzig auch ein „Missionsorden“ in Deutschland sich zur Stimme einer neuen Theologie in Lateinamerika macht. Auch kritische Informationen über schwerwiegende Vorgänge im Orden wurden nicht öffentlich diskutiert: Da gab es den brasilianischen Erzbischof Geraldo de Proenca Sigaud aus Diamantina, Brasilien. Er war Mitglied der Gesellschaft des Göttlichen Wortes. Während des Konzils gehörte er zum sehr konservativen Flügel, der alle Reformbeschlüsse ablehnte. Er hat, wie Nicolas Senèze schreibt, während des Konzils einen reaktionären Arbeitskreis von Bischöfen gegründet, dem dann auch Erzbischof Marcel Lefèbvre angehörte. Erzbischof Sigaud SVD war eng liiert mit der reaktionären „Bewegung für Tradition, Familie und Eigentum“. Sie hat eng mit den brasilianischen Militärs zusammengearbeitet. Eigentlich hätte dieses Thema auf die befreiungstheologische Tagung gehört, aber es wurde als unpassend zurückgewies Was die Spiritualität angeht, so gab es zumindest in den ersten Jahren den Willen, Neues zu versuchen: Messen wurde in kleinem Kreis, rund um einen Tisch, in einem der kleinen Gruppenräume gefeiert. Dass nicht der vorgeschriebene römische Kanon verwendet wurde, war eher selbstverständlich. Fast jede Messe wurde mir Gebeten von Huub Oosterhuis aus den Niederlanden gestaltet: Im ganzen waren meine Jahre im Kloster, vom September 1968 bis Juli 1973, von der Suche nach einem modernen Ordensleben geprägt. Erst spät wurde mir klar, dass dieses Projekt zum Scheitern verurteilt ist, solange das römische System als Herrschaft und Hort der Wahrheit fortdauert und sich durchsetzt. Lediglich den Talar gegen den Anzug einzutauschen ist eine reine Äußerlichkeit. Neuer Wein passt nicht in uralte Schläuche, zumal diese alten Schläuche permanent restauriert werden.
  8. Ab Herbst 1973 studierte ich in München in einem vom Orden so genannten „Freisemester“, um vor allem Philosophie zu studieren. Der Orden hat mir dies ermöglicht. Aber der Sprung – auch so vieler anderer junger Ordensleute – in eine normale studentische Freiheit wurde im Orden leider nicht reflektiert, es wurde nicht gefragt: Wie geht es mit den „Freisemestlern“ möglicherweise frei und anders als bisher dann im Kloster weiter? So galt wohl für die Ordensoberen das Freisemester als Intermezzo ohne Folgen für die Struktur des Ordens. Irgendwie hofften die Ordensleitungen insgesamt noch, das alte System irgendwie wiederherzustellen.26.
  9. Als ich 1968 an der Kloster- Hochschule St. Augustin bei Bonn zu studieren begann, gab es noch eine große Fülle ähnlicher Hochschule anderer Ordensgemeinschaften: Der Jesuiten in Frankfurt und München, der Pallottiner in Vallendar, die Oblaten in Hünfeld, die Redemptoristen in Hennef und Gars am Inn, der Franziskaner in München und Münster, der Kapuziner in Münster, der Dominikaner in Walberberg, der Picpus Missionare in Simpelveld Holland, der Salesianer in Benediktbeuern und so weiter und so weiter. Fast unglaublich, diese Fülle von theologischen Hochschulen. Was ist nur daraus geworden? Wohin ist diese ganze theologische Energie verdampft? Heute gibt es von allen diesen Ordenshochschulen noch drei oder vier. Sie können sich nur am Leben halten, weil sie ausländische Studenten (Chinesen, wie in St.Augustin), oder weil sie, wie in Vallendar auch medizinische Studien, anbieten. Die Hochschulen der Jesuiten erfreuen sich wohl großer Beliebtheit.. Insgesamt sind die Ordenshochschule aber in ihrer Existenz dadurch bedroht, dass es keine Ordensmitglieder mehr gibt, die an den Hochschule dozieren können und wollen. Das Ende dieser Hochschulen ist absehbar. Das Ordensleben wird in Deutschland in 20 Jahren an ein Ende kommen, einige Benediktinerabteien werden noch überleben, einige Jesuitengemeinschaften oder Dominikaner Kommunitäten auch. Viele Orden wollen in Deutschland dadurch überleben,dass sie Mitglieder aus Indien oder den Philippinen nach Deutschland holen, selbstverständlich auch aus Polen. In Holland kann man die Zahl der Klöster an einer Hand abzählen. Leider, sagen viele Holländer, die sich gern zur Meditation in Klöster zurückziehen. Über die durchschnittliche Altersstruktur der Klöster wird kaum gesprochen, 65 bis 70 Jahre ist üblich. Auch in Deutschland: Wer ist schuld für diese Entwicklung, noch einmal: Eben nicht nur der viel beschworene säkulare Geist, schon gar nicht der Atheismus, sondern die Mutlosigkeit, die geringe Reformbereitschaft der Ordensoberen.
  10. Im Jahr 1976 bin ich aus dem Orden ausgetreten, nachdem ich noch mein theologisches Schlussexamen gemacht hatte. Niemand hat meinen Austritt aus dem Orden mir gegenüber bedauert. Wer frei von seiner eigenen Sexualität spricht, wurde damals eher zur unerwünschten Person.Ich musste schmunzeln, als ich später las, dass von den fünf Jesuiten an der Amsterdamer Studentengemeinde vier heirateten und nur ein Homosexueller als Priester übrig blieb. Übrigens war er ein großartiger und aufgeschlossener, moderner Theologe und Studentenpfarrer…

Wer heute das noch verbliebene Klosterleben in Deutschland beobachtet, wird durchaus offene Strukturen und viel Gesprächsbereitschaft finden. Aber prinzipiell hat nichts verändert: Laien (sogar im ökumenischen Geist Protestanten) als voll berechtigte Mitglieder in den Klöstern als Mitglieder gibt es nicht. Einige Ansätze von assoziierten Mitgliedern mag es geben. Aber an der überlieferten, klerikal bestimmten Herrschaft hat sich nichts geändert. Einige junge Ordensleute haben im Umfeld des Mai 68 „das Wort ergriffen“, um ein berühmte Wort von Michel de Certeau SJ (prendre la parole) zum Mai 68 in Frankreich zu wiederholen, aber dieses Wortergreifen hat nur wenig vermocht bei den „ewigen“ Strukturen des römischen Katholizismus.

In Europa ist der Katholizismus mindestens von der Anzahl der so genannten praktizierenden Katholiken in seiner Existenz insgesamt bedroht. Was bleibt sind fundamentalistisch sektiererische Kreise, die sich obendrein noch selbst bekämpfen und zerreißen, wie es jetzt sogar deutsche Bischöfe vorführen…. Opus Dei, die Legionäre Christi, die Charismatiker, die Neokatechumenalen und viele andere Ultras bestimmen längst das Klima der katholischen Kirche. Über diese Gruppen umfassend kritisch und präzise mit Namensnennungen usw. zu berichten, wagt kaum ein Theologe. Ich habe 2015 einige Hinweise über die neuen sehr konservativen Orden veröffentlicht.

Zum Ende des westeuropäischen Katholizismus lese man nur die neuesten Studien von Soziologen und Theologen, etwa „Comment notre monde a cessé d etre chrétien, ed. du Seuil, Paris 2018. Über unsere Zeit (2024) als einer “post-katholischen Epoche” vor allem in frankreich siehe einen Beitrag von Christian Modehn LINK:

ZWEITER TEIL:

Junge Ordensleute in Paris als Rebellen

Ein Hinweis auf die Dominikanerhochschule

Von Christian Modehn

1.Auch die jungen Studenten des Dominikanerordens in Paris neigten im Mai 68 zur Rebellion. Und der Aufstand war wohl heftig. Dieser „Mai 68“ der Dominikaner fand auch präzise im Mai statt, vom 20. Mai bis zum 29. Juni 1968, berichtet der Politologe Yann Raison du Cleuziou in seinem Beitrag innerhalb der wichtigen Studie „A la gauche du Christ“, éd. du Seuil, Paris 2012, S. 314 ff. Es ist bemerkenswert, dass es überhaupt eine politologisch – soziologische Studie über einen zentralen Moment in der Geschichte der Orden in Frankreich gibt.

2.Diesem Beitrag folgend, nur einige Stichworte zur Rebellion der jungen Dominikaner-Studenten in ihrem Studienhaus in Etiolles bei Evry (bei Paris). Diese große Hochschule, auch traditionell Le Saulchoir genannt, hatte ein großes Renomé, wegen einiger herausragender Professoren, wie Pater Chenu oder Pater Congar, die immer wieder von Rom diskriminiert wurden wegen ihrer „neuen Theologie“, wegen ihres Eintreten für die Arbeiterpriester. Im 2. Vatikanischen Konzil kämpften sie dann an vorderster Front für die Kirchenreform.

Nach dem Protest der Studenten des Ordens, wurde die Hochschule dort 1971 aufgegeben und das Studium mit weniger Studenten nach Paris, in den Couvent Saint Jacques, Paris 13, verlegt. Leider zeigt der genannte Artikel nicht, welche Rolle die beiden genannten herausragenden Theologen bei der Rebellion ihrer jungen „Mitbrüder“ spielten. Ein anderer Dominikaner, Pater Jean Cardonnel, war eng mit dem allgemeinen Mai 68 verbunden, er deutete den Generalstreik im März 68 als eine Art „revolutionäres Fasten in der Vorosterzeit…“

3.Die Ordensstudenten protestieren zunächst gegen die Vorwürfe ihres Vorgesetzen, P. Besnard, der sie anklagte: „Ihr stellt Fragen, als wäret ihr die ersten, die neue Fragen stellen“. Eine neue Studienordnung sollte für die jungen Dominikaner erarbeitet werden, aber nur zwei von ihnen dürfen dann an den Beratungen teilnehmen. Dagegen protestiert die große Mehrheit der jungen Dominikaner. Sie beklagen die große Differenz zwischen dem Klosterleben und der erlebten (politisch – sozialen – kulturellen) Realität. Deutlich benennen die jungen Dominikaner ihre bereits gelebte Abweichung von den üblichen alten Ordensvorschriften: „Zum Chor-Gebet („vie chorale“) komme ich, wann ich will“. Ein anderer bekennt, eine Art taktischen Ungehorsam zu praktizieren, „um die Wahrheit unserer Ordensberufung im aktuellen Rahmen leben zu können“. Es gibt, so der Autor, eine Art Spott gegen die Ordens-Regel und damit die gesellschaftlichen und kirchlichen Regeln, was ein Charakteristikum ist für den Aufstand im Mai 68. Beklagt wird das Nebeneinander von offiziell Gesagten und wirklich Gelebten im Kloster. Ein junger Dominikaner sagt: „Man ist hier eher dazu verpflichtet, sich zu unterwerfen, als selbst zu denken“. Viele halten das Leben dort noch aus, so der Autor in dem genannten Buch, aber sie wissen: „Das wirkliche Leben ist anderswo“. „Unsere Riten in diesem Kloster dispensieren uns oft von brüderlichen Kontakten und ganz einfachen menschlichen Begegnungen“. Im Chorgebet, so wird berichtet, es dauert insgesamt täglich zwei Stunden, langweilt man sich. Im Studium glaubt man eher verformt als gebildet zu werden. Die Hochschule wird ein „System“ genannt. Die jungen Dominikaner, so berichtet der Autor, fühlten sich entfremdet: „Jeder macht die Erfahrung, nicht ganz bei sich selbst zu sein…“(S. 315).

4.Als Folge des Protestes wurden tatsächlich neue Formen des Zusammenlebens außerhalb des großen Klosters versucht. Aber, so möchte ich gar nicht zynisch sagen: Wer einmal die Freiheit des In der Welt Seins erlebt hat, bei allen Belastungen auch dieses Lebens, der kehrt nur ungern in die Enge eines Klosters, wenn nicht die Unfreiheit, zurück. Nur dann, wenn er sich zu schwach für diese Welt fühlt oder im Rückzug aus dieser Welt meint, Gott am besten dienen zu können. Der Dominikaner Orden in Frankreich, in dem sich eigentlich eine gewisse intellektuelle Elite versammelte, so wurde behauptet, hat in der Folge des Mai 68 sehr viele Mitglieder verloren.

5.Versuch einer Zusammenfassung

Es sind also heftigste Erfahrungen und Einsichten junger Ordensleute, dass die überlieferte, routionierte alte Klosterwelt nicht mehr akzeptabel ist; dass neue Themen das Theologie – Studium bestimmen müssen; dass Menschlichkeit wichtiger ist als die seit Jahrhunderten erzwungene klerikale Konformität, dass für die meisten eine Abgeschlossenheit in eine Klosterwelt wie die Flucht in ein gesellschaftliches und kulturelles Getto erscheint. Klosterleben und Weltflucht sollte nicht identisch sein. Wobei die Distanz zur „Welt“ gerade mitten in der Welt neu gefunden werden müsste. Aber diese Dialektik des In der Welt Seins war den wenigsten noch nicht einmal bewusst. Nur starke Persönlichkeiten können diese Dialektik wohl leben, mitten in der Welt und doch außerhalb von ihr zu sein.

Mit dem Mai 68 war die konkrete politische und kulturelle Gegenwart in das Klosterleben „eingebrochen“. Der Mai 68 fegte Unerträgliches weg, etwa den blinden Gehorsam gegenüber dem Oberen. Aber alle katholischen Klöster sind, mehr oder weniger, letztlich doch immer noch absolut eingebunden in das römische System der Kontrolle. Der Suche nach Ungehorsamen, Ketzern etc., wurde unter dem polnischen Papst und Ratzinger wieder Alltag.

Tragisch ist für die Entwicklung einer modernen Kirche und eines modernen Klosterlebens: Am traditionellen und umfassenden System der Dogmen und der Moral-Lehre wurde absolut nicht gerüttelt, keine veraltete Lehre wurde aufgegeben. Der Katechismus der vielen zu glaubenden Wahrheiten wurde nicht etwa immer schmaler, moderner, sondern immer dicker. Diese alte Glaubenswelt mit ihren Sprüchen und Bekenntnissen wollten nur wenige noch mittragen und nachsprechen und gar diese noch anderen erklären. Die Krise rund um den Mai 68 war also in der katholischen „Klosterwelt“ nicht nur

der eher “politische“ Versuch, institutionell und rechtlich etwas mehr Demokratie in dieser alten Welt zu wagen. Der Mai 68 führte zu dem bewussten (oder nur unbewusst vollzogenen) Eingeständnis: Die Last der alten und veralteten Glaubenslehre und Moral kann ich als reflektierter Mensch des 20. Jahrhundert nicht mehr als für mich gültig und bestimmend akzeptieren. Weil sich diese Einsicht bei so vielen in Europa durchsetzte, sind die Klöster heute in Europa und Amerika weithin leer. Und es ist eine vage Hoffnung, wenn in einer Kirchenzeitung (Tag des Herrn, vom 15.4. 2018) vollmundig auf Seite 1 behauptet wird: “Klöster wird es immer geben“. Ja, einige wenige in Europa und zahlreiche in Indien oder auf den Philippinen wird es „immer geben“, dort, wo die jungen Frauen und Männer aus ärmlichen Verhältnissen im Kloster auch Karriere machen wollen. Wie einst in Europa, seit dem Mittelalter, als der Eintritt in ein Kloster ein Schritt in soziale Sicherheit, Bildung und Karriere bedeutete. So lange also auch die ärmere Mittelschicht in Afrika und Asien so arm bleibt, wie sie heute ist, wird es wohl dort noch lange Zeit katholische Klöster geben. Dieser Pragmatismus der ärmeren jungen Menschen, in Klöster einzutreten, ist menschlich verständlich, sicher sind auch explizit religiöse Motive ausschlaggebend. Aber insgesamt gilt wohl: Viele Klöster gibt es nur dort, wo die demokratische Kultur nicht weit entwickelt ist und die Anzahl der Menschen aus der armen Mittelschicht noch groß ist. Es ist statistisch erwiesen: Die meisten Mitglieder haben viele Orden heute in Indien, auf den Philippinen oder in Kolumbien, nicht aber in Spanien, Deutschland oder Frankreich… Aus Afrika und Asien kommen hunderte von Ordenspriestern nach Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien usw., sie sind sozusagen “Gastarbeiter” und ersetzen den Klerus, der in Europa ausstirbt. Diese Priester aus Afrika und Asien (werden sie dort nicht gebraucht??) stärken also in Europa das Fortbestehen der alten Klerus -Kirche und verhindern so das Entstehen einer neuen, von Laien verantwortlich gestalteten ent – klerikalisierten Kirche…

Das langsame Verschwinden der Orden und Klöster aus Europa ist in gewisser Weise auch gesellschaftlich problematisch, weil Formen eines letztlich doch noch etwas radikaleren Lebensentwurfes verschwinden. Wenn es keine Häuser und Menschen der kritischen „Weltferne“ und reflektierten Weltfremde mehr gibt in dieser Konsumwelt, wird alles Leben noch eindimensionaler.

Es gibt zwar viele neu gegründete charismatisch geprägte und fundamentalistisch ausgerichtete, absolut dem Papsttum und den Dogmen ergebene Ordensgemeinschaften: Sie finden einen gewissen Zuspruch. Denn sie versprechen ihren Mitgliedern unerschütterliche, militante Gewissheit und eine anti-intellektuelle Weltferne, die schon wieder ins Getto einer römisch – katholischen Gegenwelt, eines Getto, führt. Diese neuen fundamentalistischen Orden sind zwar „vorhanden“, aber sie spielen im kulturellen und theologischen Leben keine Rolle. Sie pflegen die uralte Volksfrömmigkeit und giften gegen alle Katholiken, die noch an eine moderne katholische Kirche aufbauen wollen. Aber auch diese progressiven Kreise werden aus der Kirche vertrieben, sie sterben aus. Der heutige Trend zum Konservativen und Reaktionären betrifft als auch die Kirche und die Klöster.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Literaturhinweise zum Kloster in Deutschland:

Zur ersten wissenschaftlichen Tagung über die lateinamerikanische Befreiungstheologie im Mai 1973 in Deutschland, in Sankt Augustin bei Bonn: siehe: Christian Modehn, Orientierung, Zürich, 1973, S. 145f

Zur völlig unaufgearbeiteten Beziehung von Erzbischof Sigaud svd und dem traditionalistisch – integristischen Erzbischof Marcel Lefèbvre: Nicolas Senèze, La crise intégriste, Bayard, Paris 2008, dort s. 37f.

Zum schwierigen Umgang der Befreiungstheologie mit der schwulen Bewegung in Lateinamerika: André Sidnei Musskopf, Ein Spalt in der Tür. Persönliche Erfahrungen als schwuler Theologe im Kontext Lateinamerikas, in: Werkstatt Schwule Theologie, München, Heft 3 und 4, 2005, dort S. 112 ff.

 

 

 

 

Glauben als Lebenskraft: Ein Vortrag von Wilhelm Gräb über Paul Tillich

Vom 23.bis 25.März 2018 fand in der evangelischen Akademie von Hofgeismar eine Tagung statt über einen der wichtigsten Texte des Theologen und Religionsphilosophen PAUL TILLICH (1886 – 1965). „Der Mut zum Sein“ erschien 1952, das Buch fand und findet vielfache Beachtung. Denn, so Tillich, Glaube ist keine Bindung an Dogmen, sondern eher der existentiell erlebte und vollzogene MUT, das eigene Leben anzunehmen, trotz aller Widrigkeiten dieses Lebens.

Der protestantische Theologe Prof.Wilhelm Gräb hielt in Hofgeismar den Abschlussvortrag mit dem Titel „Glaube als Lebenskraft“. Sie können den Vortrag nachlesen:  Glauben-als-Lebenskraft-Tillich-Hofgeismar-Gräb.pdf

Das Buch „Der Mut zum Sein“ ist bei de Gruyter erschienen mit einem Vorwort des Theologieprofessors Christian Danz (Wien)

Manfred Lütz: “Der Skandal der Skandale”: Ein Skandal.

Über das Buch von Manfred Lütz „Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums“ (Herder Verlag 2018).

Siehe auch die aktuelle Ergänzung vom 28.9.2018.

Die ersten Hinweise von Christian Modehn wurden verfasst am 6.3. 2018.

Der Historiker Josef Breinbauer hat das Buch von Lütz untersucht, klicken Sie hier. 

Zum Thema Manfred Lütz  “Skandal der Skandale” UND die Juden klicken Sie bitte hier.

Wer sich für die pauschale Ablehnung jeglicher aktiver Sterbehilfe durch Dr. Manfred Lütz  interessiert, lese diesen Beitrag.

Zu einer Entgegnung des Philosophen Herbert Schnädelbach auf  Manfred Lütz “Skandal der Skandale” klicken Sie hier.

Das Motto dieses Beitrags: „Manchmal muss Philosophie not-gedrungen vor allem Religions – und Kirchenkritik sein“. (Voltaire). Der Beitrag „Skandal der Skandale“ wurde bis zum 26.Mai 2018, also innerhalb von 2 Monaten, direkt, also ohne den Umweg über die Startseite des Reigionsphilosophischen Salons, 720 mal aufgerufen; der Beitrag „Professor Herbert Schnädelbach erwidert Manfred Lütz“ ebenso 664 mal; der Beitrag „Die Irrtümer des Manfred Lütz“ 117 mal, „Manfred Lütz und die Juden“ 71 mal.

Die ideologische und politische Einordnung des Buches von Lütz:

Das der Kirchen – und Religionsgeschichte gewidmete Buch von Manfred Lütz „Skandal der Skandale“ wurde vom katholischen Herder Verlag am 28.2. 2018 nicht etwa, wie sonst bei katholischen Verlagen üblich, in einem katholischen Haus, etwa einer katholischen Akademie, präsentiert. Sondern ganz groß und ganz offiziell, also durchaus entschieden in einem politischen Ambiente, im „Haus der Bundespressekonferenz“ inmitten des Berliner Regierungsviertels. Zwei Politiker wurden bezeichnenderweise zur Präsentation eingeladen, Herr Spahn (CDU) und Herr Gysi (LINKE), die, mit Verlaub gesagt, nicht gerade herausragende Spezialisten für Religionsgeschichte sind…

Und das Ganze wurde zu einem Zeitpunkt inszeniert, als der Koalitionsvertrag der Großen Koalition vorlag. Und darin ist auch, damals kaum bemerkt, eine Art Religionskapitel enthalten, allerdings ohne entsprechende Überschrift. „In der Eile der Verhandlungen hat die Gruppe (der Groko Leute) die Überschrift vergessen“, so Fabian Klask in „Christ und Welt“ vom 13. März 2018, Seite 3. Dieser Religionstext im Koalitionsvertrag soll „die religiöse Identität markieren“: „Von christlicher Prägung unseres Landes“ ist da die Rede! Auf dieser christlichen Basis will sich die Regierung dann freundlicherweise „für ein gleichberechtigtes gesellschaftliches Miteinander in Vielfalt einsetzen“. Konkret heißt das auch: Es wird in der neuen Regierung einen „Beauftragten für die Religionsfreiheit“ geben. Diese Religionsfreiheit, so viel ist klar, soll vor allem zugunsten der vor allem in islamischen Ländern bedrohten Christen verteidigt werden. „Der“ Islam gerät so schnell weiter in den Geruch der Gewalttätigkeit. Differenzierungen werden mühsam…

Jedenfalls muss die Präsentation des Buches von Manfred Lütz „Skandal der Skandale“ in diesem Zusammenhang gesehen werden: Das Buch will oft deutlich und sehr oft zwischen den Zeilen auch deutlich die hervorragende, eigentlich wesentlich „gute“ Rolle des Christentums, der römischen Kirche vor allem, herausstellen, was Friedfertigkeit und Toleranz angeht. Und die eher schwache Rolle des Islams herausarbeiten, was Toleranz, Milde, ja Kultur im ganzen angeht. Insofern, möchte man meinen, entspricht das Buch von Lütz der herrschenden CSU Mentalität, dass der Islam doch nicht zu Deutschland gehört, siehe die Stellungnahmen von Herrn Söder.

Das Buch von Lütz ist eine hervorragende Unterstützung der CDU/CSU Politik. Man möchte meinen, es versucht, Schützenhilfe zu bieten für eine Renaissance der christlichen Basis deutscher Kultur. Dass diese Ideologie völlig an der faktischen Situation der Konfessionen in Deutschland heute vorbei geht, ist evident: Mindestens 33 Prozent der (zumal jüngeren) Bevölkerung sind konfessionsfrei, außerkirchlich, oft atheistisch. Merkwürdig erscheint, wenn jetzt sogar in rechtsextremen Kreisen, denen an dem „christlichen Abendland“ angeblich so viel liegt, immer auch das Wort „jüdisch“ im Zusammenhang europäischer Kultur mit auftaucht: So etwa bei Madame le Pen, die immer von jüdisch – christlicher Kultur Frankreichs spricht und damit die antisemitischen Äußerungen des FN Gründers Jean Marie Le Pen überspielt. Klar ist: Da wird nur aus ideologischen taktischen Gründen eine gewisse Nähe zu Jüdischem betont, die de facto gar nicht vorhanden ist in diesen rechtsextremen Kreisen. Auch die AFD spricht von „jüdisch christlicher Kultur. Das macht sie nur, um sich damit von der islamischen Kultur abzugrenzen.

In diesem ideologischen Raum ist also das Buch „Skandal der Skandale“ von Manfred Lütz aus dem katholischen Herder Verlag bewusst platziert.

Eine Ergänzung am 10.3.2018: Ganz offensichtlich ist diese Herabsetzung des Islams gegenüber dem Christentum ein aktueller (politischer) Focus des Buches im ganzen. So beruft sich Lütz ohne Quellenangabe auf Hans Küng (S. 81) und behauptet, schon Küng sei vom gotteskämpferischen Charakter des Islams überzeugt. Lütz beruft sich zudem auf den höchst umstrittenen Bernard Lewis (S. 81). Lütz behauptet wider alle  Forschung, “das Christentum sei immer eine Friedensreligion gewesen” (ebd.) Das gute Christentum soll dem belasteten Islam  (und der “Aufklärung” ) gegenüber gestellt werden. Das nennt sich Apologie des Christentums bzw. der römischen Kirche…

Die Leitlinie für “Skandal der Skandale” formulierte Lütz schon 1999 in seiner Hochschätzung des Mittelalters und einer gewissen Verachtung der Demokratie:  In seinem Buch „Der blockierte Riese“ Seite (106 f.) verbindet Manfred Lütz seine Hochschätzung der Freiheiten im Mittelalter (bekanntlich eine sehr demokratische Zeit) mit seiner Verachtung der modernen Demokratie und ihrer demokratischen Wahlen. Lütz schreibt: „Heute muss man historisch nüchtern feststellen, dass es das finstere Mittelalter nicht gab. Das Mittelalter kannte für den einzelnen Menschen womöglich mehr konkrete Freiheiten, die libertates, als man sie heute besitzt, wo man in unzählige Zwänge eingebunden ist und am Wahltag eine doch eher abstrakte Freiheit wahrnimmt, die dann in Zahlenverhältnissen untergeht“ (zitiert nach Peter Hertel, Glaubenswächter. Katholische Traditionalisten im deutschsprachigen Raum“ (2000).

Manfred Lütz, Psychotherapeut in den großen Alexianer – Kliniken, römisch – katholischer Diplom – Theologe, Gast in Talk- Shows und auf Katholikentagen, beliebter Interviewpartner in bischöflichen Radiosendern (Dom – Radio) und vor allem, wie der Herder – Verlag jetzt schreibt, Autor zahlreicher Bestseller. Lütz wollte nun wohl einen weiteren Bestseller vorlegen. Es bleibt zu hoffen, dass dieses neueste Buch „Der Skandal der Skandale“ eher übersehen wird, trotz des Medienwirbels um diese Schrift. Denn das Buch ist selbst ein theologischer Skandal. Und dies aus vielerlei Gründen, die hier kurz vorgelegt werden.

Einige Hinweise zum Inhalt des Buches:

1.

Lütz will zeigen, wie in Öffentlichkeit schon seit längerer Zeit, also durch die Medien, d.h. durch die Journalisten, die globale, aber in seiner (Lütz) Sicht irrige These verbreitet wird: Die Geschichte des Christentums, vor allem der katholischen Kirche, sei hoch belastet, unangenehm kriegerisch, also unmenschlich. Kurz: Die Geschichte des Christentums sei eben ein Skandal. Gegen diesen Skandal will der Autor argumentieren, indem er die Argumente der von diesem Skandal Sprechenden selbst schon einen Skandal nennt. Soviel Skandal war selten, möchte man meinen, im katholischen Bücherwesen; zumal hier nun darauf hingewiesen wird, dass dieses Buch auch noch ein theologischer Skandal ist. Man könnte auch von einer theologischen Blamage sprechen.

2.

Dass in der Geschichte des Christentums und der Kirchen, vor allem der katholischen Kirche, trotz einiger Lichtblicke und einiger Vorbilder und Heiliger weithin – in heutiger Sicht – skandalöse Verhältnisse und, vernünftig betrachtet, eben auch skandalöse Denkformen und Inhalte verfestigt wurden, ist ja bekanntlich ein Urteil, zu dem reflektierte Theologen, Religionswissenschaftler und Historiker ziemlich einmütig kommen. Dies ist der wissenschaftliche Gesamteindruck heutiger Wissenschaftler, die natürlich wissen: Das von ihnen in der Gegenwart frei gelegte Elend dieser Kirche(n) (der Skandal), wurde auch schon damals von vielen Beteiligten, den Verfolgten und Leidenden wegen dogmatischer Abweichungen, als solches erlebt. Der Skandal wurde als Skandal als solcher also damals schon von den Leidtragenden erlebt. Warum soll das Gesamtbild einer zweitausend Jahre alten Institution auch besser sein als die Herrschergeschichte der Franken-Könige oder der Bourbonen oder des Hauses Habsburg? Nur: Die Geschichte der Kirche wird gemessen an dem hohen Anspruch, den die Kirchenführer nach außen vertraten und heute behaupten. Aber diesen hohen Anspruch selbst kaum lebten, etwa seit dem 16. Jahrhundert in ihrer Bindung an reaktionäre Denkformen, die sich jedem Dialog mit der Moderne verweigerten. Man denke an Gregor XVI., Pius IX. und so weiter.

Lütz will also diese dunklen Seiten bzw. unangenehmen Strukturen der Kirche etwas reinwaschen. Dabei übersieht er die Liste der international geschätzten Wissenschaftler, die den Skandal dieser Kirche ohne apologetische Angst freilegten, etwa Prof. Jean Delumeau, übrigens ein überzeugter Katholik in Frankreich, lange Jahre Professor am Collège de France, Paris: Es steht im Zentrum seiner ausführlichen Studien die giftige Angst der Kirchenführung, diese machte die katholische Kirche zu einer „belagerten Festung“. Dies ist heute allgemeine wissenschaftliche (!) Überzeugung, daran sollte man eigentlich um der Erkenntnis willen nicht „wackeln“.

3.

Im ganzen will Lütz die alte und theologisch längst veraltete und oft überwundene Apologetik wieder neu beleben. Bis etwa 1960 bestimmte bekanntlich die tatsächlich so auch genannte “Apologetik” als Studienfach die Ausbildung aller katholischen Priester weltweit. Da wurde etwa eingehämmert, die Größe und Einzigartigkeit der römischen Kirche dadurch zu beweisen, dass man sagte: „Die katholische Kirche ist die wahre Kirche, weil ihre Lehre wahr ist“. Diese Wiederaufwärmung der alten Apologetik ist vielleicht selbst schon ein Skandal. Denn immer versucht Lütz im Laufe seiner Texte zu zeigen: Die katholische Kirchenführung hat da und dort zwar Fehler gemacht, aber die anderen Kirchen haben auch viele Fehler gemacht. Das kann man schreiben, wenn von der tieferen Reflexion auf die ureigenen Fehler im römischen Kirchensystem ablenken will.

Entscheidend ist für Theologen hingegen: Das sich schon sehr früh etablierende römisch katholische Kirchensystem als Klerus – Hierarchie produzierte förmlich diese Skandale ständig. Diesen systembedingten Skandal legt Lütz nicht frei. Er konzentriert sich auf viele Einzelfälle, auf Kreuzzüge und Renaissance-Päpste, die Unfehlbarkeit des Papstes und die Abtreibungen heute. Darüber wird weiter unten noch die Rede sein müssen, wie Lütz mit diesen Skandalen umgeht.

4.

Das Komische ist, dass Lütz im Vorwort betont, welche theologischen Spezialisten ihn in seinem Opus unterstützten, allen voran der pensionierte Kirchenhistoriker Prof. Arnold Angenendt, (83), dessen große Studie „Toleranz und Gewalt“ (2006) einige Aufmerksamkeit fand. Auf dieses Buch bezieht sich Lütz, ohne selbst im einzelnen zu zeigen oder nachzuweisen, wo er aus diesem Buch zitiert. Ist der größte Teil seines Textes ein Angenendt – Text? War die Motivation, diese sehr umfassende Angenendt Studie zu popularisieren, weil, so Lütz, sogar der atheistische Philosoph Herbert Schnädelbach von diesem Buch etwas gelernt hat? Bei der Lütz Lektüre fragt man sich, ob der Autor auch die Studie von Arnold Angenendt „Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter“ (2003) gelesen hat.

Schlimm ist und das wird viele schon vor der Lektüre bewahren, dass das Lütz Buch (immerhin 288 Seiten) auf präzise Quellenangaben, auf ein Literaturverzeichnis und auf ein Namensregister verzichtet. Das haben ihm offenbar auch nicht die mitlesenden und korrigierenden Theologieprofessoren einreden können, die alle Lütz dankend auf Seite 15 erwähnt, ich zähle 6 Namen. Witzig soll sein, wenn Lütz schreibt: „Wie üblich hat das Buch mein Frisör kontrolliert, damit alles allgemein verständlich, Locker und lesbar bleibt“. Der arme Frisör, möchte man meinen, der sich da durch den Text durchgeboxt hat. „Locker“ ist ja der Lütz Text manchmal. Aber locker heißt überhaupt nicht: auch gut oder wichtig. Hilfreich sollen dem Autor zwei Dr.h.c.mult., also zwei multiple geehrte Theologie – Kapazitäten, zu Seite gestanden haben: Heinz Schilling und Christoph Markschies. Dass diese beiden und die anderen Theologen den Arzt nicht vor hoch problematischen und theologisch einfach falschen Äußerungen gewarnt haben, ist schon erstaunlich. Wie sah denn die Mitarbeit der Theologieprofessoren aus? Kein Wort darüber. Ist das Lütz Buch bei so vielen Helfern überhaupt ein Lütz – Buch? Hat vielleicht nur der Frisör die meiste Lese-Arbeit vor Drucklegung geleistet? In jedem Fall gehört der Haarschneider aus dem Kölner Raum in die nächste Talkshow zum Thema: Frisöre als Theologen. Vielleicht hat sich der Frisör über die flapsige Bemerkung von Lutz über Karl den Großen besonders gefreut: “Sein Sexualleben hält jeden Vergleich mit Mick Jagger aus“ (Seite 56). Der Frontmann der Rolling Stones könnte sich über so viel Ehre vielleicht freuen…

5.

Schon auf Seite 13 verschlägt es einem Theologen die Sprache: Da wird behauptet, Jesus aus Nazareth, hätte „seiner Kirche“ keine ungebrochene Heiligengeschichte „vorausgesagt“ (sic). Hat Jesus von Nazareth nicht – laut NT – ganz was anderes vorausgesagt, nämlich das baldige Ende der Welt und seine, Jesu, Wiederkunft? Es ist naiv, gelinde gesagt, zu meinen: Dieser Jesus von Nazareth hätte diese römische Kirche förmlich schon vor Augen gesehen und als Papst-Kirche gegründet. Lütz schreibt gleich anschließend: „Die von ihm persönlich berufenen Säulen der Kirche, die Apostel, waren durchaus von durchwachsenem Charakter…“ Soll das heißen: Mäßige Typen, tatsächlich ja Analphabeten, Männer, die zudem ihre Frauen und Familien im Stich ließen etc? Also Jesus von Nazareth hat die Säulen „der“ Kirche schon etabliert. Noch komischer wird es, wenn Lutz auf Seite 284 schreibt: Jesus habe förmlich zu seinen eigenen Lebzeiten schon „Kirchenbesuch bei ihm selbst erlebt“, weil man ihn als Herrn der Kirche besuchte. Wer waren die ersten Kirchgänger in der Sicht von Lütz: Die Apostel natürlich. Wer solches heute in einem theologischen Unter- Seminar schreibt, fliegt raus.

6.

Lütz hingegen hält „die Kirche“, die römische, für, so wörtlich eine „göttliche Gründung“. Das kann man er ja wider alle theologische und sonstige Vernunft persönlich in aller Freiheit glauben. Nur ist diese subjektive Meinung niemals ein hermeneutischer, theologisch gesicherter Ausgangspunkt für die Wissenschaft, an der Lütz so viel liegt. Und sein ganzes Buch soll ja angeblich Wissenschaft verbreiten…Lütz spricht, gar nicht so typisch für einen Psychotherapeuten, von dem „Skalpell der Wissenschaft“ (Seite 14 schon und später auch), mit dem er der so weit verbreiteten angeblichen Skandalgeschichte des Christentums, so wörtlich, zu „Leibe rücken will“. Gott sei Dank braucht sich auch der Autor der umfangreichsten Studien zum Thema, Karlheinz Deschner, vor dem Skalpell des Herrn Lütz nicht mehr zu fürchten. Deschner, den unter anderem „Die Zeit“ in ihrer Objektivität noch 2013 sehr treffend für seine Verdienste würdigte, ist 2014 verstorben.

7.

Manche Behauptungen bleiben im vagen, wenn Lütz etwa zugeben muss, dass das Abschlachten im Rahmen der Schwertmission nur „ein brutaler politischer Gewaltakt war“ (Seite 60), die Kirche steht also relativ fein da! Und selbst die Heiligsprechung dieses sehr potenten Machtmenschen Karl d. Gr. betrifft die Kirche nicht: Sie war ein illegaler Akt und ein Provokation. Weil Lütz ahnt, dass man fragt: Und warum wird dieser dann doch nicht heilige Herrscher immer noch in Aachen als Heiliger verehrt, nämlich am 28. Januar? Doch wohl nicht nur aus folkloristischen und geldbringenden touristischen Motiven? Da schreibt Lütz weise voraussehend diese Entschuldigung für diese Feier dieses heiligen Herrn: „Für eine Entschuldigung käme also etwa der deutsche Bundespräsident in Frage – oder sein Kaplan, wenn es den gäbe“. Man sieht an diesem Stil, pendelnd zwischen Zynismus und der vom Frisör gebotenen Lockerheit, in welcher Weise Lütz argumentiert als Apologet. Zwischendurch stehen immer wieder einzelne Sätze, die von Vernunft zeugen: Etwa: „Christlich kann man eine solche gewalttätige Ausdehnung des Christentums im Mittelalter nicht nennen“ (Seite 63). Dann wird auch dies wieder relativiert mit einer an Eurozentrismus grenzenden Behauptung von Johannes Fried: „Ohne (gewalttätige) Mission keine höhere (!) Zivilisation“. Das Töten usw. hat sich also letztlich gelohnt. Das nennt man wiederum gute alte Apologetik, der Zweck heiligt die Mittel.

8.

Immer werden katholische Missstände und Verbrechen im Vergleich zu anderen Religionen relativiert. Etwa auf Seite 31: „Hätte es im Mittelalter einen jüdischen Staat gegeben, dürften manche Heiden dort der Verfolgung ausgesetzt worden sein“. Juden als Verfolger…Ein hübsches Thema für den katholisch – jüdischen Dialog…

Oft arbeitet Lütz auch die Mängel des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus heraus, etwa wenn er meint: Protestanten seien viel mehr gegen die Weimarer Republik eingestellt gewesen als Katholiken. Das ist wieder die alte Masche der überholten katholischen Apologetik: Rom steht doch vergleichsweise recht gut da! (Seite 209 f). Dass die Zentrumspartei Hitler etwa durch den „Steigbügelhalter“ Hitlers Franz von Papen an die Macht mit beförderte, wird verschwiegen. Ebenso, dass etliche Bischöfe den Krieg der Deutschen gegen Russland als Kreuzzug (!) rühmten. Oder dass Benediktiner Äbte wie Albanus Schachleitner oder Abt Albert Schmitt aus Grüssau Nazis waren… Pater Delp, Pfarrer Metzger und Prälat Lichtenberg waren die absolutesten Ausnahmen! In Österreich musste in vielen Kloster – Stiften das ganze Leitungspersonal nach 1945 ausgetauscht werden, weil so viele Nazis waren… Es ist dieser Mangel an Differenzierung, die so sehr dieses Buch eigentlich wertlos macht. Um der Apologie des Christentums willen werden Fakten verschwiegen!

Allen Ernstes erwähnt Lütz etwa Martin Heidegger als Beispiel für die Attraktivität des Katholizismus bei den Intellektuellen in der Weimarer Zeit: Er wertet positiv die Tatsache, dass Heidegger öfter mal im Benediktiner Kloster Beuron weilte und doch offenbar still saß, vielleicht betete. Dies gilt bei Lütz als Beleg für katholisches Denken bei Heidegger. Dabei weiß inzwischen jeder philosophisch Gebildete, dass der katholisch getaufte Martin Heidegger aus der Kirche austrat und in die Nazi Partei eintrat und ihr bis 1945 angehörte.

9.

Die Ausführungen zum Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens und Sittenfragen von 1870 finde ich skandalös. Es wird auf jegliche Verbindung dieses Dogmas mit der damaligen politischen Situation verzichtet, auf das Ende des großen Vatikanstaates 1870. Keine Rede vom heftigen Wunsch des Papstes Pius IX., wenigstens noch ideologisch machtvoll, eben unfehlbar zu sein. Erst unter dem Faschisten Mussolini wurde ein kleinster Vatikan Staat wieder eingerichtet, zur Riesenfreude der Päpste, die nun auf politischer Ebene wieder voll mitmischen dürfen, diese Doppelrolle des Papstes als politischer Herrscher und geistlichem Oberhaupt wird nirgends angesprochen… Hingegen schreibt Lütz apologetische Albernheiten: “Das Unfehlbarkeitsdogma wirkt eher als Unfehlbarkeitsverbot, es begrenzt Rechthaberei, verhindert Selbstüberschätzung und Sektenbildung“ (Seite 201). Die Päpste bis Papst Franziskus seien also vor Rechthaberei geschützt gewesen… lächerlich diese Apologetik. Man denke an die Theologenprozesse gegen Leonardo Boff oder Hans Küng und andere bestrafte katholische Theologen weltweit.

10.

Schlimm ist auch das Kapitel über die Euthanasie, durch die Nazis betrieben: Da ist dann von der Erbsündenlehre die Rede und Lütz behauptet allen Ernstes (S. 213), diese von Adam und Eva an die ganze Menschheit überlieferte Erb-Sünde ohne individuelle Vergehen (!) sei „ein tagtäglich erfahrbares Phänomen“. Dabei ist diese Erbsünde, durch den Geschlechtsverkehr der offiziellen Lehre nach übermittelt, als solche gar nicht erfahrbar. Erbsünde ist eine pure Behauptung. Erfahrbar sind lediglich die einzelnen Verfehlungen, dogmatisch Sünden, genannt. Die Erbsünde ist ein Konstrukt, das Augustin mit aller Macht im 5. Jahrhundert durchsetzte. Das ist historisch evident. Warum hat da keiner dieser Doctores multiple h.c den Arzt Lütz aufgeklärt? Immerhin nennt Lütz an anderer Stelle die eher düstere Deutung des späten Augustins, also die erbsündliche Begierde des Fleisches, sei “etwas zu pessimistisch“! “Etwas zu pessimistisch”, wie hübsch. Wie vielen Millionen gläubiger Katholiken wurde die durch diese „etwas pessimistische“ Deutung des Sex durch Augustin die Lebensfreude auch als Freude an Erotik und Sex verdorben? Diese Art zu schreiben, etwas eben „etwas pessimistisch“ zu finden, ist die typische alte Apologetensprache, nach dem Motto: „Alle Übel, die die Kirche verursacht, sind halb so schlimm“…Selbst die Pillenenzyklika Papst Paul VI. verteidigt Lütz noch apologetisch mit den Worten: “Es war die Neigung weniger informierter Journalisten (wieder mal diese bösen Journalisten, CM), in der katholischen Kirche fälschlicherweise im Wesentlichen eine Institution zur Verhinderung sexueller Freude zu sehen“ (Seite 265). Wie konnte Lutz auf einen solchen abwegigen Gedanken kommen? Viele zölibatäre Priester suchten sich bekanntermaßen sexuelle Freuden eben in pädophilen Beziehungen. Oder sie leisteten sich eine Freundin, falls ein Kind geboren wurde, zahlte und zahlt der Bischof die Alimente. Natürlich schreibt der Apologet Lütz davon nichts.

11.

Im Zusammenhang der Frauenemanzipation kommt Lütz zu überraschenden Thesen: Die Reformation brachte zwar manche (welche ? CM) Liberalisierungen, aber für die Rolle der Frau auch manchen Rückschritt“. Denn: „Das Ordensleben war Frauen im Protestantismus verwehrt“ (S. 253). Aber seit wann gibt es eigentlich Diakonissen und evangelische Frauenorden, hätte Herr Lütz recherchieren können. Natürlich verteidigt Lütz auch die Werte des Zölibats für Priester. Jesus selbst lebte zölibatär, meint er, vergisst dabei aber die Freundschaft Jesu zu etlichen Frauen und die tiefe Zuneigung zu dem explizit Lieblingsjünger genannten Johannes, der immer so hübsch an der Brust des Herrn ruhte. Der Mann Jesus und seine Erotik, bislang theologisch leider total tabuisiert, wäre doch mal ein Thema für den Psychologen Lütz.

12.

Ganz unerträglich werden die Ausführungen von Lütz, wenn er auf den Schwangerschaftsabbruch zu sprechen kommt und als Pro-Life – Fan offenbar jede Abtreibung bereits pauschal „Kindestötung“ nennt. Es sind immer „ungeborene Kinder“ (Seite 268), die in seiner Sicht abgetrieben werden. Nuancen sind doch aber in dem Zusammenhang ein bisschen üblich geworden, oder? Lütz meint, heute wären „die Ärzte die einzige Gruppe, die Abtreibungen vornimmt“, so auf Seite 268. Wenn das doch bloß so wäre, möchte ich ihm zurufen! Soll sich der Arzt Lütz doch etwa in Lateinamerika umschauen, in den noch immer katholischen Ländern. Dort verfügen Bischöfe politisch sehr einflussreich (oft vom Opus Dei unterstützt) das absolute gesetzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, wie in der Dominikanischen Republik (man denke an den unsäglichen politisch allmächtigen Kardinal Lopez Rodriguez) oder in El Salvador oder sogar in Chile… So müssen Frauen und Mädchen dort, wenn sie abtreiben wollen und abtreiben müssen, zu den “Kurpfuschern” gehen, viele Frauen sterben bei dieser Prozedur. Es sind diese so undifferenzierten Äußerungen in dem Buch, die total stören, weil sie falsch sind oder miserabel recherchiert sind, wie in unserem Beispiel. So wird auch Kindertaufe verteidigt, mit dem Argument, die Eltern würden sich dadurch um die christliche Erziehung des Kindes kümmern. Mag ja manchmal noch so sein. Aber der entscheidende Grund für die Kindertaufe ist: Die Seelen der Babys zu bewahren vor der Hölle und dem Limbus Puerorum, in die ungetaufte Seelchen gelangen könnten. Es ist die Angst, die die Kindertaufe begründet hat…ein Ausdruck dieser furchtbaren Erbsündenlehre…

13.

Katholische Waisenhäuser (S. 270) mögen ja Fantastisches geleitet haben: Nur hat Herr Lütz von den Nonnen in Irland gehört, die Waisenkinder in die USA verkauften oder von den Nonnen in Spanien, die Kinder den republikanisch-sozialistischen Familien wegnahmen und dann nach einem Aufenthalt in den Heimen an offenbar impotente Franco-Freunde weiterreichten? Lütz behauptet weiter vieles Falsche: Dass Joseph Ratzinger schon als Kardinal in Rom „entschieden gegen pädophilen Missbrauch durch Priester vorging“ (S. 274). Das Gegenteil ist der Fall: Der pädophile Verbrecher und Ordensgründer der Legionäre Christi (Pater Marcial Maciel) hatte im Vatikan alle Freiheit, auf seine unsägliche Art zu agieren, auch noch in der Zeit, als Ratzinger Chef der römischen Glaubensbehörde war. Denn der polnische Papst (und viele seiner Kurien Kardinöle) war ein guter Freund von Pater Marcial Maciel. Gegen den konnte/wollte der gehorsame Deutsche Ratzinger nichts machen…Nebenbei: Erst nach dem Tod von Johannes Paul II. wurde der Fall Maciel ein bisschen aufgelöst, der Orden besteht noch heute, in der spanischen Welt „Milionarios de cristo“ treffend und richtig genannt. Ich habe mit Verlaub gesagt seit Jahren darüber publiziert. Kein Theologe einer deutschen Universität hat sich dieses Themas (aus Angst wohl) angenommen…

14.

Gegen Ende des Buches ist wieder vom helfenden Skalpell die Rede. Es wird von Lütz bedauert, dass so viele Menschen die apologetische (rein waschende) Sicht auf den römischen Katholizismus nicht teilen. Lütz sieht darin die Konstruktion eines Sündenbockes: Die Bösen werfen alles Übel auf diese so wunderbare Institution Kirche. Denn die Katholiken und die Christen sind es, meint Lütz, die für Solidarität in der Gesellschaft sorgen. Atheisten seien nicht so hilfsbereit. Und er bezieht sich dabei sogar auf einen Ausspruch von Gregor Gysi. Nun wird der Ärmste noch zum Freund von Lütz hoch gejubelt und er spielt diese Rolle offenar gern mit. Aber Lütz muss dann freundlicherweise gestehen: „Auch viele Atheisten sind zu starken humanitären Impulsen bereit“ (Seite 281). Dann aber dieses:„Das ist aber nicht selbstverständlich“. Also: Nur bei Christen ist also das humanitäre Engagement eben selbstverständlich…. Von René Girard meint er gar, er hätte dieses und jenes „jüngst“ behauptet: Girard ist im November 2015 gestorben, also nicht „jüngst“. Hat ein Lektor diesen Text durchgeschaut?

Das ganze Buch ist eine Zumutung, ich will von den Beschönigungen etwa im Lebensstil des wirklich berüchtigten Papstes Alexander VI. nicht viel reden, die Lütz etwa auf Seite 116 betreibt: Alexander VI., als Papst bekanntlich verheiratet: Er zeigt, so wörtlich als dem Zölibat verpfichteter Papst, „durchaus Verantwortung und Familiensinn“. Und weiter: „Unter Alexander VI. herrschte eine durch und durch liberale (sic!) Stimmung in Rom“ … „Wohl war er tieffromm“, er „hat sogar das Gebet „Gegrüßet seist du Maria“ erweitert“. In dieser also so prächtigen liberalen und frommen Stimmung konnten sich dann die klerikalen sexuellen Lustmolche entwickeln, über die sich dann die Reformatoren ihre eigene Meinung bildeten.

15.

Mit dem theologischen Profil des Arztes und Diplomtheologen Lütz könnten sich andere theologische Fach – Journalisten, die wie ich noch etwas auf kritische Recherche halten, weiter befassen. Werden sie das tun? Es ist kein Zufall, dass Lütz zusammen mit Kardinal Paul Josef Cordes ein Buch unter dem Titel „Benedikts Vermächtnis“ (2013) veröffentlichte. Cordes ist leidenschaftlicher Verteidiger der neu- katholischen Massenbewegung der Neokatechumenalen, die sehr viele seriöse Theologen für eine Sekte halten. Ich habe darüber seit Jahren publiziert. Das sind, kurz und richtig gesagt, die verbissenen Leute, die behaupten, erst nach einem ca. 6 jährigen Katechismus Kurs könne man ein guter Katholik sein. In Berlin und anderswo ist fast der gesamte jüngere Klerus „neokatechumenal“… Kardinal Cordes ist heute einer der heftigsten Kritiker von Papst Franziskus. In dem Verlag MM aus Aachen, der dem Opus Dei sehr nahe steht und eine Art Sammelbecken sehr konservativer Theologen ist, veröffentliche Lütz ein Buch mit dem ebenfalls sehr konservativen (inzwischen Kardinal) Walter Brandmüller. Das sind die Connections, die das theologische Profil von Herrn Lütz deutlicher machen. Lütz hätte ja auch ein Buch zusammen mit Hans Küng oder Leonardo Boff oder dem Protestanten Friedrich Wilhelm Graf herausgeben können. Hat er aber nicht. Er liebt das konservativ- reaktionäre Milieu, tut dabei sehr jovial und liberal, wie es sich für einen alten Rheinländer gehört… Die Autoren der genannten Verlage sind seine Freunde. Dagegen ist nichts zu sagen, nur sollte er bei seinem neusten „Skandal der Skandale“ Buch auch die Karten auf den Tisch legen und sagen: Ich will nun die römische Kirche um allen Preis nach alter apologetischer Art verteidigen und rein waschen. Ich nenne mein Vorhaben Wissenschaft. Ich lasse mich aber bei dieser meiner “Wissenschaft” von der Glaubensüberzeugung leiten, dass der liebe Gott (Seite 198) bzw. der arme Jesus von Nazareth diese römische Kirche begründet hat. Das ist der hermeneutische wissenschaftlich genannte Ausgangspunkt. Das wäre genauso, wenn heute DKP Funktionäre eine Geschichte des Kommunismus schreiben würden und dabei behaupten: Karl Marx hat selbstverständlich die KPs begründet und er wollte, dass das ZK die einzige Wahrheit und die einzige Macht hat…. Noch einmal:Mit den Bestsellern von Lütz müssten sich viele kritische recherchierende Journalisten befassen, etwa mit dem Buch über Gott. Oder mit seiner Polemik gegen Eugen Drewermann: In einem Interview mit dem kircheneigenen DOMRadio zu Köln sagte Lütz allen Ernstes im zustimmenden Sinne: „Inzwischen weiß ja kein Mensch mehr was von Drewermann“ (Sendung vom 26.3.2017). Soll Lütz doch nur einmal die Drewermann Vorträge in der Berliner URANIA besuchen, von einem solchem leidenschaftlichen Interesse von hunderten Besuchern kann Herr Lütz nur träumen… Beim Katholikentag in Münster im Mai 2018 ist Lütz selbstverständlich als Referent dabei, wie schon vorher bei den Katholikentagen in Regensburg und Leipzig. Man hat den Eindruck, er ist einer der letzten noch verbliebenen „Intellektuellen“ in der katholischen Kirche Deutschlands, sieht man von dem ebenfalls sehr kirchentreuen Herrn Mosebach vielleicht ab. Intellektuellen Kapazitäten hat diese Kirche nicht mehr. Da freut man sich über Arzt und Theologen Lütz, wahrscheinlich auch noch im Vatikan…

16.

Lütz zeigt sich in dem Buch als Verteidiger der bestehenden katholischen Kirche als einer unbezweifelten Stiftung Jesu. Das ideologische System dieser Kirche interessiert ihn nicht. Ob all die Dogmen und Lehren und Moralvorschriften heute so noch gültig sein sollen und vermittelbar sind, diese Frage stellt er nicht. Die Krise des Christentums bzw. des Katholizismus ist bekanntlich die Krise seiner ausufernden, in unverständlichen dogmatischen Formeln überlieferten Lehre. Und der ewig selben Form der Messe in einer Kunstsprache, die aus dem Lateinischen wortwörtlich übersetzt wurde und voller unverständlicher sprachlicher Merkwürdigkeiten steckt. An den Dogmen und ihrer Sprache müsste also mit dem von Lütz zitierten Skalpell gearbeitet und gesäubert und vieles entfernt werden, um dem Christentum, vor allem der jesuanischen Gestalt dieses Glaubens, eine Zukunft zu bereiten. Aber an ein Beiseitelegen von Dogmen ist gar nicht zu denken, weil die Kirchen – Chefs meinen: Alle einmal formulierten Dogmen seien ewig so in der fixierten Form gültig, weder umzuformulieren noch abzuschaffen. Der Psychoanalytiker Erich Fromm nannte versteinertes Denken „nekrophil“.

Nebenbei: Für mich ist es unverständlich, wie der doch theologisch renommierte Herder Verlag dieses Buch auf den Markt werfen konnte, das, wie oben schon gesagt, durch den totalen Verzicht auf Quellenangaben sowieso unbrauchbar ist. Es wird zweifellos ignoriert werden von den vielen Menschen, die keine der Institution dienende Apologetik des Christlichen und der römischen Kirche wünschen. Sondern freie und unabhängige wissenschaftliche Autoren suchen, also wahrhaftige Auseinandersetzungen, wie sie Hans Küng in seinem umfangreichen Werk vorgelegt hat oder Eugen Drewermann, dessen Bibeldeutung für viele zu einer Art „existentiellem Rettungsanker“ wurden.

Ein Hinweis zum Schluss: Zur „Entspannung“ meditiere man die Behauptung von Manfred Lütz, wenn er sagt: Im Unterschied zu den intellektuellen Wortführern des mittelalterlichen Islams (wie Farabi, Avicenna, Averroes), „war das Christentum immer eine Friedensreligion gewesen, die keinen heiligen Krieg kennt“. (Seite 81) Es gab im Christentum vielleicht keine explizit heilig genannten Kriege, aber viele hundert Kriege, die nationalistisch – heilig waren und von den jeweiligen Kirchenführern gut geheißen wurden. Selbst Päpste führten als Fürsten des Vatikans eben Kriege.

Manfred Lütz, “Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums“. Herder Verlag. 286 Seiten. 22 EURO.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.