Camilo Torres: 50 Jahre tot und lebendig

Camilo Torres: 50 Jahre tot und lebendig

Ein Hinweis von Christian Modehn.  Siehe auch ein Interview mit dem Soziologen Juan Camilo Biermann LINK

Der Beitrag wurde am 1. März 2016 ergänzt mit einem Hinweis zu dem bislang nicht beachteten Thema: “Camilo Torres in Berlin“, mitgeteilt von dem columbianischen Historiker Juan Biermann Lopez. Den interessanten Beitrag finden Sie weiter unten.

Und eine weitere wichtige Ergänzung am 11.8.2024: Der katholische Bibelwissenschaftler Prof. Fridolin Stier (Uni Tübigen) versucht das Auferstehungs”ereignis” Jesu von Nazareth deutlich zu machen, indem er an die Bedeutung und Erfahrung des “Fortlebens” des Befreiungstheologen und Revolutionärs Camilo Torres (3.2.1929 – 15.2.1966), Kolumbien) erinnert. Und zwar in dem Buch “Vielleicht ist irgendwo Tag” (Herder 1993), Seite 49. In dem kurzen Essay schreibt Stier u.a. “Es bildet sich nach dem Tod Camilo Torres eine Gemeinde, die durch sein Wesen, seine Tat und sein Wort bewegt ist, die Leute wissen sich eins mit ihm… Der Toteist gar nichtganz tot…” Fridolin Stier schrieb diese Zeilen, um die Auferstehung deutlich zu machen, er kannte Camilo Torres Leben, vier Jahre nach dem Tod (dem Erschossenwerden) von Camilo Torres an Ostermontag 1970 notiert!!

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Am 15. Februar 1966, vor 50 Jahren, wurde ein Priester als Guerillero im kolumbianischen Urwald erschossen, in „Patio Cemento“ im Nordosten des Landes. Er hatte sich als Theologe und Soziologe, der Befreiungsbewegung ELN erst ein paar Tage zuvor angeschlossen. Camilo Torres ist sein Name, er ist einer der ersten lateinamerikanischen Theologen des 20. Jahrhunderts, der das bestehende Elend der Massen als – von den Herrschenden- gewolltes und gemachtes Elend begriffen hatte und anklagte. Viele Menschen in Europa aber haben von ihm nur „irgendwie“ „etwas Schlimmes“ gehört, zumeist durch die abwertenden Urteile, wenn nicht Verteufelungen seiner Person durch katholischen Erzbischöfe, Kardinäle und Rom-ergebene Theologen im Rahmen des „Anti-Kommunismus“… als Ergebenheit gegenüber dem Imperiuim, den USA. Diese Kirchenführer sahen in Camilo Torres vor allem einen Gewalttäter, einen Revoluzzer, einen üblen Burschen, der zu den Waffen griff usw. usw. Dabei wurde und wird verschwiegen, dass Camilo Torres als einer der ersten Theologen in Lateinamerika, und noch dazu in dem ultra-konservativen Katholizismus in Kolumbien damals, die Verpflichtung der Christen deutlich formulierte: Es gilt nicht zuerst, fromme Seelen zu bilden und treue und gehorsame Kirchenschäfchen zu formen, sondern mündige Bürger, die im Geist des armen Jesus von Nazareth die Sache der Armen praktisch vertreten, und deswegen fordern: Nicht mehr caritative Hilfe, sondern bessere und gerechterer politische und soziale Strukturen in einem Staat, der den Namen Demokratie verdient. In Kolumbien damals wechselten sich Konservative und Liberale in der Regierung ab, eine dritte Möglichkeit war ausgeschlossen. Wenn es gerecht zuginge, müßte Camilo Torres, der hochbegabte Theologe und Soziologe, ein Prophet genannt werden. Gerecht geht es aber nicht zu…

Inzwischen wissen jedoch viele Menschen in Kolumbien und Lateinamerika sehr viel besser, wer Camilo Torres war: Er war Theologe und Soziologe; er war einer der ersten, der Erlösung, dieses spiritualistisch verwendete Wort, als reale Befreiung, als soziale Befreiung, als Gültigkeit der universalen Menschenrechte, verstand und selbst lebte. Er wollte zum Schluss erst dann die Messe wieder feiern, wenn die Gerechtigkeit wenigstens elementar gilt und real ist in Staat und Gesellschaft. Vorher muss eben aufgeklärt, diskutiert und informiert werden… Wohl aus Verzweiflung griff dann Camilo Torres zu den Waffen und wurde, kaum kämpfend, erschossen. Eine Tragik, die bisher keine Erklärung gefunden hat.

Camilo Torres wurde am 3. Februar 1929 in Bogotá geboren, die biografischen Daten lassen sich leicht finden. Erste Übersichten bietet wikipedia. Wichtig ist die Erkenntnis, dass die “Radikalisierung” des Studentenpfarrers Camilo Torres (zum Priester geweiht 1954) vor allem durch die “Blockadehaltung der kolumbianischen Bischöfe” verursacht wurde, davon spricht Hubert Frank in seiner Kolumbien-Studie in “Kirche und Katholizismus seit 1945, Band 6, Seite 312, 2009 Paderborn). Das heißt: Es waren die Kirchenfürsten selbst, in ihrem blockierten Denken, die einen klugen Theologen wie Camilo Torres zur politischen Radikalität führten! 1965 verzichtete er auf den offiziellen priesterlichen Dienst, hatte aber immer das Bewußtsein, weiterhin “priesterlich” (d.h. für die anderen lebend) zu wirken. In Kolumbien galt für engagierte Leute nur die abstrakte Gegenüberstellung, entweder die Mitwirkung in der Kirche (und dem Staat) in der gegebenen korrupten Form oder eben in der Guerilla. Von dem damaligen Kardinal von Bogotá, Luis Concha, wird berichtet, dass er die völlig abwegige und falsche Lehre vertrat, das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) verpflichte nur zu liturgischen, nicht aber sozialen Reformen im Land. (siehe Hubert Frank, ebd.). Solche Bischöfe haben den Status quo der himmelschreienden Ungerechtigkeit nur verlängert. Sie waren Ideologen, und was Kardinal Conchas Meinung zum Konzil betrifft, eben Irrlehrer, Irrlehrer im Bischofsamt.

Interessant ist, dass sich Camilo Torres schon als Kind in BERLIN aufhielt, sein Vater war Kolumbianischer Konsul; ein zweites Mal war er im Jahr 1959 für einige Wochen in BERLIN. Von diesem Berlin-Aufenthalt hier ist meines Wissens fast nichts Näheres bekannt. Jedenfalls kehrte er danach wieder nach Bogotá zurück. Es wäre eigentlich für eine Religions – und Theologie-Geschichte Berlins doch hoch bedeutend, darüber mehr zu wissen. Berlin, ein bißchen auch die Camilo Torres Stadt, warum denn nicht? Wäre ein Thema für eine sich katholisch, also „allumfassend“ nennende Akademie hier… Oder für den neuen Titel einer Kirche, vielleicht anstelle des kriegerischen Kaisers Wilhelm? Und seiner „Gedächtniskirche“ (An welche vorbildliche Haltung soll man bei diesem Kaiser eigentlich spirituell denken?, … aber das ist ein anderes Thema). “Camilo Torres Gedächtniskirche”: Warum sollte es solche Kirchen nicht geben? Vielleicht in Berlin, wo es mindestens schon 10 mal Luther- oder 5 mal Herz-Jesu-Kirchen usw. gibt…

Inzwischen, dank Papst Franziskus wieder mal und möglicherweise, wer weiß es, wird selbst in der römschen Kirche Kolumbiens etwas objektiver über die große humane Gestalt, den großen Theologen Camilo Torres anders, nämlich objektiver, gedacht. Der Erzbischof von Cali, Dario de Jesus Monsalve, meint gar, Camilo Torres sei heute ein „Symbol der Versöhnung für diese Zeiten des Friedens in Kolumbien“. Die Prälaten erinnern sich an das zentrale Projekt ihres neu entdeckten Helden, an die von Camilo mehrfach besprochene „amor eficaz“, die wirksame Liebe, also jene Nächstenliebe, die gerechtere Strukturen tatsächlich schafft und nicht nur bespricht.

Heute gibt es – außerhalb Deutschlands – bereits zahlreiche Orte, Häuser und Studienzentren, die nach Camilo Torres  benannt sind, in Kolumbien sogar schon und in Santander, Spanien, in Louvain, Belgien, wo Torres studierte,  ist ein Studentenheim der katholischen Uni nach ihm benannt. Inzwischen gibt es ein Studienzentrum Camilo Torres (Mitarbeiter dort ist der Historiker und Camilo Torres Spezialist Juan Biermann), das Theater La Candelaria in Medellin, Kolumbien, führt ein Torres Stück auf.

Man merke also: Die üble Anti-Torres-Propagada, vertreten durch das allmächtige Opus Dei in Kolumbien und ihren CIA-Freund, den kolumbianischen Kardinal Lopez Trujillo, (Medellin, später im Vatikan,) all diese Verleumdungen haben nicht den Sieg errungen: Camilo Torres lebt heute, sein theologisches Denken inspiriert, abgesehen von seinem späten Gang zu den Waffen. Das war eine Verzweiflungstat, der kein Verzweifelter nachfolgen darf.

Aber Camilo Torres hat schon unmittelbar nach seinem Tod inspiriert, als sich in der Kirche kritische Gruppen bildeten: So trafen sich 1968 auf dem Landgut Golconda (Kolumbien) viele Priester (mit dem Bischof von Buenaventura) zur Gründung einer eigenen Priestergruppe, die später als „Golconda-Gruppe“ internationale bekannt wurde. Sie hatte auch bis nach Argentinien gewirkt und wurde von dem damaligen Erzbischof von Buenos Aires, Bergoglio, und dem insgesamt konservativen Episkopat dort, attackiert…

CAMILO TORRES UND BERLIN: Als Camilo Torres in Berlin war….

Hinweise von Juan Biermann, Bogota.

Der Historiker und Spezialist für Camilo Torres, Juan Biermann Lopez, Bogotá, schreibt dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en am 1. 3. 2016 über den bislang völlig unbekannten Aufenthalt von Camilo Torres in Berlin.

„Camilo Torres hat sich in Ost-Berlin aufgehalten, für mich vom Datum her noch nicht genau zu sagen, irgendwann in den Jahren 1957 bis 1959; er besuchte Luis Villard Borda, der damals der letzte kolumbianische Botschafter war in der DDR.

Die Begegnung mit Luis Villard Borda war darin begründet, dass beide alte Freunde waren, sie studierten am Liceo Cervantes in Bogotá. Camilo Torres besuchte Berlin, um eine Gruppe junger Kolumbianer zu bilden, die gemeinsam die sozialen Probleme des Landes studieren wollten. Es bildete sich dann auch die Gruppe „Equipo Colombiano de Investigación Socio-Económica“ (ECISE), die wohl ein Jahr existierte, aber keine große Bedeutung erreichte.

Andererseits ist es wichtig, daran zu erinnern, dass Camilos Mutter, Isabel Restrepo Gaviria, zuerst mit einem Deutschen verheiratet war, mit Herrn Westendorp, mit ihm hatte sie zwei Kinder, Edgar und Gerda. Dann heiratete die Mutter Calixto Torres, und mit ihm hatte sie die beiden Söhne Fernando und Camilo. Mit Gerda und Edgar lernte Camilo Deutsch auf dem Colegio Aleman, bevor er zum Liceo Cervantes überwechselte“.

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Ein weiteres Thema, das wir intensiver bearbeiten sollten, heißt: „Camilo Torres und Thomas Müntzer“ bzw. „Die lateinamerikanische Befreiungstheologie und Thomas Müntzer“. Christian Modehn hat in seinem 30 Min. Feature fürs Erste, ARD, 1989, über den Reformator Thomas Müntzer auch Camilo Torres vorgestellt mit einem O – Ton in deutscher Sprache.

Copyright: Christian Modehn

Zur Vertiefung:
http://www.unperiodico.unal.edu.co/dper/article/camilo-torres-restrepo-mucho-mas-que-un-cura-guerrillero.html

http://razonpublica.com/index.php/cultura/8665-en-los-zapatos-de-camilo-torres

1986 veröffentlichte die Züricher Zeitschrift des Jesuiten-Ordens ORIENTIERUNG einen sehr informativen Beitrag über Camilo Torres, leider wurde diese kritische Zeitschrift des Jesuitenordens eingestellt! “Stimmen der Zeit” der Jesuiten in Deutschland blieb erhalten…. Aber den Beitrag von Mario Calderon kann man noch und sollte man  nachlesen, klicken Sie bitte hier.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon. .

 

 

Kardinal Gerhard L. Müller in Rom: Er hat die Wahrheit. Er verteidigt sie kompromisslos. Zu einem Interview in “Die Zeit”.

Er hat die Wahrheit. Er verteidigt sie kompromisslos: Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Vatikan.

Zu einem Interview in „Die Zeit“ mit Evelyn Finger vom 30. Dezember 2015, Seite 54.

Hinweise von Christian Modehn

Aktualisiert am 8.10.2016: Grundsätzliches zur Erinnerung: Lebendige Philosophie muss –wegen des Zustandes der Religionen heute – auch Religionskritik sein.

Ein Beispiel: Das Thema “Die politische Theologie” des obersten Glaubenschefs in Rom,Kardinal Müller, begegnet uns immer wieder. Diese Aspekte im Denken und Handeln Müllers werfen noch einmal ein Licht auf die von ihm so oft genannte Freundschaft mit dem peruanischen Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez OP. Diese Freundschaft wird tausendmal beschworen. Sie bedeutet jedenfalls nicht, dass Müller irgendetwas von der Befreiungstheologie gelernt hat, wie die folgenden Informationen zeigen. Am 6. Oktober 2016 hat Kardinal Müller ausgerechnet bei einem Orden zur Eröffnung des Akademischen Jahres 2016/17 gesprochen, der als erklärter Feind der Befreiungstheologie in Lateinamerika gilt: Bei den Legionären Christi, in deren Universität Regina Angelorum in Rom. Über diese Ordensgemeinschaft haben wir auf dieser website Vieles berichtet, auch über den verbrecherischen Ordensgründer, Pater Marcial Maciel, einen Vertrauten des heiligen Papstes  Johannes Paul II.

Aktualisiert am 1.10.2016: “Die Botschaft der Hoffnung” wurde sinnvollerweise bei der Fürstin vorgestellt: Das neueste Buch (bei Herder erschienen) des obersten römischen Glaubenswächters Kardinal Gerhard Ludwig Müller erläuterten illustre Gäste wie Peter Gauweiler, Martin Mosebach und Henryk Broder in Müllers heimatlichem Gefilde, also in Regensburg. Georg Ratzinger, der berühmte “Bruder” und einst oberster Domspatz, war auch noch dabei. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, die Schloßherrin und Gastgeberin und Freundin des Herrn Kardinal, machte zur Begrüßung den gebotenen Hofknicks aus barocken Zeiten und küsste den anulus epicopi, also den Bischofsring, bevor sich der Hochadel und die Hochkirche und ihre feuilletonistischen Mitläufer den feinen Speisen hingaben. Ob sie dabei an die Armen in Peru dachten, gar an die letzten, von der römischen Glaubensbehörde nicht verfolgten Befreiungstheologen, ist nicht bekannt und in diesem erlesenen Rahmen eher unwahrscheinlich. Bekanntlich hat ja Kardinal Müller eine ganz intime Zuneigung zu den Armen in Peru, die er früher öfter besucht hat und dort Vorlesungen der klassischen europäischen Art den jungen Theologen dargeboten hat. Schon möglich, dass man etwas bei der Fürstin für die Armen in Peru gespendet hat, Spenden gehören sich ja so ein bißchen…(Weitere Informationen in “Christ und Welt” vom 22.9.2016, Seite 2,Beitrag von Patrick Schwarz)

Ergänzt am 2.3.2016: Inzwischen hat Pater Klaus Mertes SJ in einem Interview mit dem “Kölner Stadtanzeiger” (am 1.3.2016) den Rücktritt von Kardinal Gerhard Müller gefordert, wegen dessen offenkundiger  Verschleierungspraxis im Umgang mit  sogenannen pädophilen Tätern zu einer Zeit, als Müller Bischof in Regensburg war (Die Opfer: Etliche “Domspatzen”). Es bleibt abzuwarten, wie der oberste Chef der Glaubensbehörde mit dem berechtigten Hinweis von Pater Mertes umgehen wird.  Die entscheidende Passage aus dem Interview können Sie am Ende dieses Beitrags lesen. 

Das Interview mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller in „Die Zeit“ offenbart die Denkweisen und damit auch die Art, mit Gläubigen umzugehen, die in der Glaubensbehörde im Vatikan heute gültig sind. Leider ist zu befürchten, dass sie nach dem Tod von Papst Franziskus verstärkt fortgeführt werden.

Es lohnt sich, aus dem Text in der „ZEIT“ einige Behauptungen Müllers der Deutlichkeit wegen herauszustellen. Sie offenbaren den geistigen, den theologischen Zustand des römischen Katholizismus im Vatikan. Sie zeigen, wie dort eine von mehreren theologischen Überzeugungen zu „der“ Lehre „des“ Katholizismus hochgespielt werden, ungeachtet jeglicher theologischer Sensibilität für andere, bessere und wissenschaftlichere Formen des Denkens. Müllers Theologie soll als katholische Welt-Theologie gelten.

Zum Titel des Beitrags: Ein Zitat von Kardinal Müller: „Die Kirche ist kein Philosophenclub“.

Ich meine: Wäre die römische Kirche wenigstens annährend auch so etwas wie ein Philosophenclub, würden die Fragen und die Fraglichkeit, das Suchen und das Zweifeln, also die elementare Lebendigkeit des Geistes und der Vernunft, nicht unterdrückt werden wie in einem vatikanischen Club, der sich der absoluten Wahrheit total gewiss ist und diese Gewissheit einem einzelnen Herrn, dem Kardial Müller, zu schützen anvertraut hat. Ohne Fragen gibt es kein geistiges Leben! Das wussten schon die antiken Philosophen. Es gab frühchristliche Theologen, die die Kirche zurecht als “philosophische Schule“ verstanden. Man denke an Clemens von Alexandrien. Und man lese nur die Bücher des großen Philosophen und Philosophiehistorikers Pierre Hadot.

Kardinal Müller muss sich von Amts wegen, so wörtlich in „Die Zeit“, um die „Delikte gegen den Glauben oder die Heiligkeit der Sakramente kümmern“.

Ich frage: Was heißt das nette, das caritative Wort „kümmern“? Bis heute werden katholische Theologen von Müllers Behörde, besonders gern auch Theologinnen, angeklagt wegen Irrlehren… Dann aber ohne offenen, menschenwürdigen Prozess, sie werden abgesetzt und ins Abseits gedrängt. Das bedeutet also „kümmern“. Müller spricht von „Delikten“ gegen den Glauben und gegen die Sakramente. Ich meine: Delikte begehen Verbrecher. Sind denn jene Theologen Verbrecher, die gegen die totalitäre Sprachgewalt der Dogmatik rebellieren? Sind sie Verbrecher, weil sie wissen, dass diese römische Dogmatik in ihren Formulierungen schon fast steinzeitmäßig veraltet ist?

Wie kommt eigentlich jemand dazu, sich als absoluter Herr „der“ Wahrheit aufzuführen?

Irritierend ist ferner, dass Müller davon spricht, für beide Päpste, also Benedikt XVI. und Franziskus, „die Arbeit zu koordinieren“, das Wort koordinieren wird im Präsenz, als Gegenwart, verwendet. Das heißt: Müller koordiniert auch noch die Arbeit des pensionierten Papstes Benedikt XVI., den – geografisch gesehen – Nachbarn von Franziskus im Vatikan. Welche dogmatischen Fragen werden zwischen den Freunden Müller und Ratzinger besprochen?

Die 20.000 Euro, die vatikanische Ermittler, keineswegs also Polizisten Italiens, in Müllers Büro in einer Wiener – Würstchen-Büchse kürzlich entdeckten, werden von Müller als „Fantasterei der Yellowpress“ abgetan. Interessant, wie der oberste vatikanische Wahrheitshüter (der gegen „Delikte“ vorgeht) mit Wahrheit umgeht, wenn sie ihn bzw. sein Büro selbst betrifft. „Die Fahnder hätten daraufhin im Schreibtisch von Müllers Verwaltungsleiter Monsignore Mauro Ugolini 20 000 Euro Bargeld gefunden, versteckt hinter einer alten Dose Wiener Würstchen. Das Geld sei beschlagnahmt, der Verwaltungsleiter vorübergehend suspendiert worden“. So die SZ am 9.Dezember 2015. „Vatikansprecher Federico Lombardi wies allerdings eine Verwicklung Müllers zurück. Lombardi erklärte am Mittwoch, es seien vor einiger Zeit “einige Unregelmäßigkeiten” in der Verwaltung der Glaubenskongregation festgestellt worden“, so die „Rheinische Post“ am 9.Dezember 2015. Als Chef der Büros ist dann aber Müller doch mit-betroffen, verantwortlich für solche Delikte. Aber offenbar zählen im Vatikan dogmatische Delikte mehr als finanzielle. Sind SZ und “Rheinische Post” „Yellowpresses“? Dann ist der „Osservatore Romano“ Super-Yellow.

Kardinal Müller identifizert sich als Chef der Glaubenskongregation, einst die Heilige Inquisition“, offenbar völlig mit dieser Behörde: „Als wir im Jahre 1542 entstanden…“ Mit „Wir“ meint Müller die Heilige Inquisition, heute Glaubenskongregation genannt. Er reiht sich gern ein in diese grausige Tradition.

Schwerwiegender und für alle ökumenischen Initiativen bedrückend ist die Aussage des Glaubenshüters Müllers in “Die Zeit“: „Volle Einheit der Kirche ist nach katholischem Verständnis nur mit dem Bischof von Rom als Nachfolger Petri möglich“. Also: Die protestantischen Kirchen müssen den Papst anerkennen. Welchen Sinn hat dann noch die Ökumene als Weg zur Anerkennung der verschiedenen Kirchen in ihrer Verschiedenheit? Welchen Sinn hat dann noch die Einladung des Papstes nach Wittenberg anlässlich der Reformationsfeiern 2017? Wann werden das die Manager des Protestantismus in Deutschland begreifen? Offenbar denkt Müller genauso wie Ratzinger, der sich auch als Kardinal schon die Einheit der getrennten Kirchen nur vorstellen konnte, wenn alle Kirchen den Papst anerkennen.

„Der” Glaube wird von Müller verteidigt: Die Lektüre der Bibel durch die Vatikan-Behörden gilt als die einzige mögliche. Für den Theologieprofessor, der Müller einmal war an staatlichen Fakultäten (die, von Steuergeldern bezahlt, eigentlich der kritischen Forschung dienen sollten), gilt: Es gibt nur „das objektive“ vorgegebene Wort Gottes, wie eine Art feste Gesteinsmasse, die ewig unveränderlich im Vatikan ruht und nur angeschaut werden muss, um ewige Antworten zu bekommen. Diese objektivistische Sicht „des“ „Wortes Gottes“ ist ein Hohn auf alle theologische Forschung der letzten Jahrzehnte.

Dem entspricht, wenn Müller sagt, dass „Jesus der einzige Retter der Welt ist“. Wie wenig ist eigentlich der Theologe Müller von den Erkenntnissen moderner Theologen weltweit berührt, die Gott nicht so klein-römisch machen wollen, dass er nur in Jesus Christus die Welt retten will? Kann man Glaubenschef einer Weltkirche sein, ohne die Vielfalt der Theologien heute auch annähernd zu kennen? Das sind die Tatsachen, gegen selbst die progressiven Katholiken nichts, aber auch gar nichts bewirken können. Sie stehen dem System absolut rechtlos gegenüber. Wie Luther, damals.

Die hymnenähnlich Preisung der Hetero-Ehe durch Kardinal Müller ist etwas zum Schmunzeln: „Die Begegnung von Mann und Frau als höchste Verwirklichungsform des Schöpferwillens“ usw., Sprüche, die man schon tausendmal gehört in Rom und bischöflichen Residenzen hat. Die Frage ist nur: Warum verzichtet Gerhard Ludwig Müller persönlich auf diese höchste Verwirklichungsform, wo doch dann, nach den Gesetzen der Logik, der Zölibat etwas Zweitklassiges gegenüber dieser höchsten Verwirklichungsform ist? Warum wählt Herr Müller das Zweitklassige, den Zölibat, den doch eigentlich Paulus für etwas Besonderes hielt? Warum lässt er, warum lässt nicht auch der Papst, verheiratete Männer als Priester zu, die, so heißt es, die höchste Verwirklichungsform des Schöpferwillens in der Hetero-Ehe leben? Es ist der Wille, die klerikale Macht der “Zölibatären” unter allen Umständen zu verteidigen und bewahren. Diese Überzeugung wurde seit dem Mittelalter grundgelegt. Sie ist die Basis des römischen Systems.

Zur Freundschaft Kardinal Müllers mit dem prominenten Befreiungstheologen, Gustavo Gutierrez aus Peru: Über diese Freundschaft ist eigentlich bisher wenig in der theologischen Literatur geschrieben worden.

Müller präsentiert sich gern, offenbar von Gutiérrez inspiriert, als Förderer der (armen) Gemeinden in Peru. Und Müller verdient Respekt, wenn er, wie er berichtet, als Theologieprofessor damals über 15 mal in Peru „pastoral“ tätig war. Es ist erstaunlich, dass Müller in seinem Buch „Armut. Die Herausforderung für den Glauben“ (München 2014) betont, wie prägend die Begegnungen mit dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez seit 1988 für ihn gewesen sein sollen. Da spielte sich für ihn, den europäischen Theologen, wörtlich „eine Umkehrung des Denkens“ ab. Gemeint ist dabei ausdrücklich, dass in der Befreiungstheologie drei „Schritte“ entscheidend sind: Nämlich zuerst das Sehen, unvoreingenommen als Wahrnehmung der Wirklichkeit. Diese umfassende Wahrnehmung wirkt sich dann (zweitens) auch aufs theologische Urteilen aus, will man denn wirklich und wahrhaftig zeitbezogen, „sehend“ und „wahrnehmend“ theologisch argumentieren. Und aus dieser zeitbezogenen, die heutige soziale, kulturelle und politische Realität wahrnehmenden Haltung folgt dann (drittens) das Handeln, das Handeln der Kirchen, der Gemeinden, bezogen auf die wahrgenommene Realität. (Siehe dazu in dem genannten Buch die Seite 35 f.)

Es muss bezweifelt werden, dass Müller als Chef der Glaubensbehörde diesen ersten, alles entscheidenden Schritt des Sehens, der Wahrnehmung der Menschen, auch heute leistet. Dass er also die vielfältigen Situationen der Menschen (etwa im Blick auf die Vielfalt der zu respektierenden Formen der Liebe und Ehe) überhaupt als solche wahr-nehmen kann und will. Das muss auch nach der Lektüre des Zeit-Interviews bezweifelt werden. Mit anderen Worten: Was Müller angeblich in Peru seit 1988 gelernt haben will, hat keine sichtbaren Auswirkungen auf seine Stellungnahmen als römischer Glaubens-Chef. Da wird viel frommer Nebel verbreitet, die Gläubigen sollen staunen über ihren Kardinal Müller…

In seinem politischen Denken wurde Müller, wohl durch die Erfahrungen unter den Armen in Peru, zu einer deutlichen Kritik am Kapitalismus geführt, davon spricht er in einem Interview mit dem Magazin „alle Welt“ von Missio Österreich (siehe: https://www.missio.at/fileadmin/media_data/xx/sonstiges/Presse/Kardinal_Mueller/interview_kardinal_mueller_alle_welt.pdf).   Darin sagt Müller im Blick auf den Kampf der Armen, also der von den USA und Europa arm gemachten Klassen in Lateinamerika: „Der Klassenkampf entspringt aus dieser Konfliktsituation, aus der Kluft zwischen Arm und Reich. Dass große Teile der Gesellschaft so elend sind, hängt auch damit zusammen, dass die Besitzenden und politisch Mächtigen ihre Macht und ihren Besitz zur Selbstbereicherung ausnützen. So entstehen Hass- und Neidkomplexe oder die Abwehrhaltung der Reichen gegenüber den Armen. Sowohl die Struktur wie die Mentalität müssen hier verändert werden, damit ein Solidaritätsbewusstsein entstehen kann“.

Auffällig ist, dass im Zeit-Interview davon keine Rede ist. Müller gibt sich völlig unpolitisch. Interessanter noch ist, dass eine Glaubensbehörde, die sich als Hüterin „der“ Wahrheit sieht, eine Tatsache nicht wahrnimmt: Sie selbst steht aufseiten der herrschenden westlichen kapitalistischen Gesellschaft. Diese offizielle römische Theologie lässt z.B. die Pluralität indischen, japanischen, afrikanischen katholischen Theologie und Liturgien nicht gelten, sie zeigt sich darin als Teil der herrschenden „wahren“ westlichen Kultur. Indem Müllers Behörde sich als Hort „der“ Wahrheit definiert, also der europäischen Wahrheit, und sich, so wörtlich, um Delikte gegen den Glauben kümmert, verbleibt sie selbst, diese Behörde, befangen im europäischen Machtdenken. Man hat den Eindruck, dass die von Kardinal Müller viel beschworene Freundschaft mit dem Gründer der Befreiungstheologie, Gustavo Gutierrez, etwas „Abgespaltenes“ bleibt. Es fehlt bei Müller auch der Mut, Kardinal Juan Luis Cipriani, offen zugegeben Opus-Dei-Mitglied, und reaktionärer Erzbischof von Lima, auch nur zu erwähnen, das ist bezeichnend: Cipriani ist und war es, der dem Müller-Freund Gutiérrez das Leben sehr schwer gemacht hat. Manche sagen, seinetwegen habe sich Gutierrez in hohem Alter in den Dominikanorden als Mitglied „geflüchtet“.

Gustavo Gutiérrez hat sich merkwürdigerweise bis jetzt gar nicht, für mich bis jetzt nicht auffindbar, zur Freundschaft mit Müller geäußert. Wer entsprechende Freundschaftsbekenntnisse von Gutierrez findet, möge sich bitte melden.

Nachtrag am 21. 1. 2016: Nun wurde mir berichtet, dass sich Gutiérrez kurz und knapp zu Müller, so wörtlich, “als einem guten, als einem sehr guten Freund” geäußert hat, klicken Sie hier. Wer die wenigen Zeilen liest, stellt fest: Die Äußerungen von Gutiérrez zu dieser Freundschaft sind sehr allgemein, eigentlich nichts-sagend. Gutierrez erläutert nicht, in welcher Weise sich denn nun Müller für ihn und darüberhinaus für die in Peru hoch bedrohte Befreiungsthologie einsetzt oder eingesetzt hat. Man hat den Eindruck, dass Gutiérrez den Schutz durch “Freund” Kardinal Müller immer noch braucht, wahrscheinlich hat er eine furchtbare Angst vor dem maßlos konservativen Kardinal von Lima, Cipriani, erklärtermaßen Opus Dei-Mitglied. Ich halte diese Freundschaftsbekundung von Gutiérrez für eine Taktik; falls das nicht der Fall ist, sondern echte tiefe Sympathie von “Herz zu Herz”, von einem armen peruanischen Mönch und einem bestens ausgestatteten Kurien-Kardinal, dann weiß Gutiérrez nicht oder will nicht wissen, was sein Freund Herr Müller alles so “Hübsches” in Regensburg als Bischof mit der “Basis” gemacht hat.  Ich finde, Gutierrez spricht in dem “Freundschafts-Interview” höchst moderat, wenn nicht ängstlich, er entschließt sich sogar zu einer für einen kritischen Theologen seltsamen Aussage: “pero la teología no es sinónimo de la doctrina cristiana, simplemente es una manera de tratar sobre ella”. Er meint also, dass die “christliche Lehre”, wie sie im Vatikan vertreten wird, nicht ihrerseits selbst eine Variante von Theologie ist. Wenn also Rom und Müller “die” christliche Lehre vertreten und lehren in der Sicht von Gutiérrez, dann kann doch Müller nur happy sein über diesen peruanischen Befreiungs-Freund.

Nebenbei:Die Süd-Anden Region in Peru ist kirchlich fest in reaktionärer Hand (“Sodalitium”, Opus Dei, Neokatechumenale), der Dialog mit den indigenen Religionen ist durch diese Gruppen sehr bedroht. Dagegen konnte (und wollte) der Freund des Peruaners Gutiérrez, also Kardinal Müller, offenbar nichts tun. Nicht thematisiert wird auch von Gutiérrez, welche Theologie denn Freund Müller im Priesterseminar von Cuzco bei seinen “Gastauftritten” dort gelehrt hat? Die Befreiungstheologie oder die in den hübschen Studierstuben von München und Regensburg niedergeschriebene und publizierte mehrbändige Dogmatik? Alles spricht dafür, dass dort die alte europäische Schulbuchweisheit verbreitet wurde!

Soweit ein Exkurs in die aktuelle Religionskritik, bedingt durch den Zustand der Religionen. Dieser Zustand wird sich wahrscheinlich alsbald nicht bessern. Darum wird Religionskritik dringend nötig bleiben. Und sie wird viel zu selten betrieben.

Noch zwei Ergänzungen:

1. Über die Wohnung Kardinal Müllers in Rom berichtete der Journalist Gianluigi Nuzzi:

“Müller beteuert, er lebe in Rom bescheiden, so wie seine Eltern, die aus Mainz-Finten stammen – bis auf die Bibliothek, die ein Uni-Professor eben habe. Wer allerdings die jüngste Veröffentlichung des Vatikan-Insiders Gianluigi Nuzzi liest, kann daran durchaus zweifeln. Demnach bewohnt Müller laut internen Dokumenten eine knapp 300 Quadratmeter große Wohnung im Zentrum Roms. Sie ist dem Leiter der Glaubenskongregation vorbehalten und gehört dem Vatikan. Für viele dieser Wohnungen ist keine oder geringe Miete fällig.  Quelle: http://www.wochenblatt.de/nachrichten/regensburg/regionales/Nach-Wuerstchendosen-Affaere-im-Vatikan-Lebt-Kardinal-Mueller-auf-300-Quadratmetern-;art1172,344162vom 30.12.2015

In dem von Müller und Gutiérrez gemeinsam herausgegebenen Buch “Armut – Die Herausforderung für den Glauben” (2014!, siehe hinweise weiter oben) heißt es in einem Text, den, soweit ersichtlich, Josef Sayer offenbar verfasst hat: Dass Müller in den Anden wochenlang arm lebte, so dass dies “zu einem äußerst einfachen, elementaren Lebensstil anleitet” (Seite 103). Eben auch in Rom…

2.Über die Umgangsformen Müllers mit kritischen Laien im Bistum Regenburg, das Müller von 2002-2012 leitete, siehe z.B. die Auseinandersetzung mit dem Laien-Vertreter Johannes Grabmeier: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/katholische-kirche-gespaltenes-bistum-regensburg-1.930270      vom 19. Mai 2010

Aus dem KÖLNER STADTANZEIGER am 1. 3. 2016: Müller soll zurücktreten, fordert Pater Klaus Mertes SJ.

Strafe müsse weh tun, haben Sie mit Blick auf die Höhe der Opferentschädigung gefordert.

MERTES: Die Strafe muss den Tätern, aber auch ihren Beschützern und der dahinter stehenden Institution weh tun. Das ist bei den Entschädigungen bis heute nicht der Fall. Aber Geld ist nicht alles, und darum gilt  auch für die disziplinarischen Folgen: Sie dürfen nicht auf die Täter im engeren Sinn beschränkt bleiben.

Sondern?

MERTES: Bischöfe, die an Vertuschungen beteiligt waren, sollten ihr Amt verlieren oder zurücktreten. Aber stattdessen klettert ein Bischof Müller, der in Regensburg an höchster Stelle vertuscht und  vernebelt hat,  mir nichts dir nichts auf der römischen Karriereleiter nach oben.

Gerhard Ludwig Müller ist heute Präfekt der Glaubenskongregation und wird demnächst Kardinal.

MERTES: Da sitzt er als Nummer drei im Vatikan und fabuliert immer noch ständig von irgendwelchen „böswilligen Pressekampagnen“ gegen die katholische Kirche. Von Reue keine Spur, und erst recht nicht von der Bereitschaft, sich auf Strukturprobleme der Kirche im Zusammenhang mit Missbrauch einzulassen. Müller macht einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Er tut so, als hätte es da halt ein paar böse Kleriker gegeben, aber sonst wäre in der Kirche alles in Ordnung und könnte so bleiben, wie es immer war.  Ich halte das für unerträglich. Unerträglich vor allem auch für die Opfer. Wie will dieser Mann ausgerechnet als Chef der Behörde, die ja nicht zuletzt für das Thema Missbrauch zuständig ist, eigentlich je wieder glaubwürdig sein

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Babylon-Mythos und Wirklichkeit. Zu dem neuen Buch von Frank Kürschner-Pelkmann

„BABYLON – Mythos und Wirklichkeit“

Herr Kürschner-Pelkmann, Sie haben gerade jetzt wieder ein Buch veröffentlicht, das der kritischen Information, der Aufklärung, dient. Diesmal wollen Sie die LeserInnen mit den wahren Verhältnissen in der so vielfach gescholtenen Groß-Stadt BABYLON konfrontieren und Vorurteile in Frage stellen. Darum hat Ihr Buch BABYLON den treffenden Untertitel: „Mythos und Wirklichkeit“. Beginnen wir beim Mythos: Was ist denn der wichtigste, der extrem falsche, möchte ich sagen, Mythos unter den vielen Mythen, bezogen auf Babylon?

Viele Menschen glauben immer noch, dass die biblischen Geschichten vom sündigen Babylon und seiner Zerstörung einen historischen Hintergrund haben. Das ist problematisch, denn ein solches Verständnis dieser biblischen Geschichten verbaut den Zugang zu dem, worum es in der biblischen Botschaft geht.

Die Geschichten über Babylon können als Glaubensgeschichten verstanden werden, die gläubige Menschen vor Jahrtausenden aufgeschrieben haben, um ihren israelitischen Mitmenschen das Wunderbare der Existenz des einen Gottes nahe zu bringen. Im babylonischen Exil mussten sie mit den traumatisierenden Erfahrungen der Verschleppung und des Exils fertig werden. Wen kann es da wundern, dass sie auf göttliche Rache und die Vernichtung der Feinde hofften und dies auch aufschrieben? Aber wir sollten heute unsere Hoffnungen nicht auf einen brutalen und rachsüchtigen Gott setzen, sondern können diese biblischen Texte historisch einordnen und in ihrer Zeitgebundenheit verstehen.

Der “Turmbau zu Babel” ist ein weit verbreiteter Mythos, möchte man meinen. Was ist Ihrer Meinung die Wahrheit über den Mythos Turmbau zu Babel?

Wir müssen uns dafür die Situation der aus Jerusalem verschleppten Israeliten bewusst machen. Als sich ihr Zug der Stadt Babylon näherte, erblickten sie gewaltige Stadtmauern und einen riesigen Turm, der alles überragte. Dann kamen sie in eine fremde Stadt, in der ein verwirrend buntes Leben herrschte und viele Sprachen zu hören waren. Das musste die Neuankömmlinge zutiefst verunsichern. Bald waren sie selbst Teil dieser multikulturellen Gesellschaft, und viele von ihnen fürchteten, ihre Identität als Volk und als religiöse Gemeinschaft zu verlieren. Die Geschichte vom unvollendeten Turmbau sollte der realen Macht der Babylonier die Glaubensüberzeugung entgegenstellen, dass diese Großmacht nicht von Dauer sein würde und ihre Machtsymbole nicht in den Himmel reichten.

Das Gegenüber bzw. Gegeneinander von Jerusalem und Babylon, also von der gottesfürchtigen und der heidnischen, gewalttätigen Stadt, hat ja auch in der christlichen Theologie und Predigt eine lange anhaltende Beliebtheit. Wie erklären Sie sich die gedankenlose Gegenüberstellung?

Es ist in Predigten immer effektvoll, Gut und Böse einander schroff gegenüberzustellen. Und die Rolle des Bösen übernimmt dabei allzu häufig das „sündige“ Babel mit dem „Bösewicht“ König Nebukadnezar. Nicht nur Archäologie und Altorientalistik haben längst nachgewiesen, dass dies ein Zerrbild der Stadt am Euphrat und seines bedeutenden Herrschers ist, sondern auch die theologische Wissenschaft hat dieses Bild korrigiert. Aber leider ist die Versuchung weiterhin groß, in Predigten bei Schwarz-Weiß-Gegenüberstellungen stehen zu bleiben.

Sie zeigen in Ihrem Buch ausführlich, dass Babylon zwar keine Musterstadt war, welche Stadt ist das schon, sondern eine lebendige multikulturelle, durchaus kreative Kultur-Stadt, was verdanken wir heute denn noch Babylon?

Auch andere Völker beobachteten Naturphänomene wie den Lauf der Gestirne. Aber die Babylonier haben dank ihrer Jahrhunderte langen systematischen Beobachtungen und deren Notierung auf Keilschrifttafeln erkannt, wie die Sterne sich auf berechenbaren Bahnen bewegen. Sie waren auf dieser Grundlage zum Beispiel in der Lage, eine Sonnenfinsternis lange vorher anzukündigen. Die heutige Astronomie und Astrologie haben ganz eindeutig babylonische Wurzeln.

Die griechische Wissenschaft hat sehr stark von den Erkenntnissen babylonischer Gelehrter profitiert. So beruht zum Beispiel der Satz des Pythagoras auf mathematischen Berechnungen, die schon Schulkinder in Babylon gebüffelt haben. Übrigens geht auch unsere Aufteilung der Stunde in 60 Minuten mit je 60 Sekunden auf babylonischen Festlegungen zurück. In der babylonischen Rechenkunst hatte die Zahl 60 eine zentrale Stellung.

Offenbar ist die Unkenntnis über das wahre, frühere Babylon immens. Sie berichten in Ihrem Buch, dass westliche Soldaten jetzt achtlos mit den Resten des alten Babylon umgehen. Was ist da passiert?

Als amerikanische Truppen im Irakkrieg das Land eroberten, richteten sie ausgerechnet in den Ruinen von Babylon eines ihrer Hauptquartiere ein. Rücksichtslos fuhren sie mit gepanzerten Fahrzeugen kreuz und quer zwischen den antiken Ruinen herum. Auch legten sie auf archäologisch noch gar nicht untersuchtem Gelände Schützengräben an. UNESCO-Experten waren entsetzt, als sie die Spuren dieses Zerstörungswerkes zu Gesicht bekamen. Das amerikanische Vorgehen war Ausdruck einer völligen Missachtung fremder Kulturen und Religionen.

Und die Keilschrifttafeln, können die noch gerettet werden?

Viele Keilschrifttafeln befinden sich heute in europäischen oder irakischen Museen. Aber es gibt einen florierenden illegalen Markt für solche Tontafeln, und Raubgräber nutzen die Bürgerkriegssituation, um ihre Funde an ausländische Sammler zu verkaufen. Auch der „Islamische Staat“ mischt hier mit. Dadurch gehen der Wissenschaft viele Informationen verloren, die es ermöglichen würden, das Leben in Babylon noch besser zu verstehen.

Wer die Reste des alten Babylon heute zerstört, etwa die IS, der will das Bild, wenn nicht das Vorbild, einer uralten (!) multikulturellen Stadt zerstören?

Babylon selbst ist noch nicht durch den Bürgerkrieg zerstört worden, wohl aber Ruinen in anderen irakischen und syrischen Ausgrabungsstätten. Für den IS spielt dabei eine wichtige Rolle, dass Kulturen wie die in Babylon dadurch geprägt waren, dass Menschen aus unterschiedlichsten Völkern und Religionsgemeinschaften friedlich zusammenlebten. Vielfalt war geradezu das „Erfolgsgeheimnis“ Babylons. Genau eine solche Vielfalt wollen Gruppierungen wie der IS bekämpfen und vernichten.

Sollten sich religiöse Menschen, auch Christen, heute zu Babylon bekennen und sagen: Die uralte Kulturstadt wollen wir ehren und respektieren?

Viele Christinnen und Christen haben inzwischen gelernt, anderen Weltreligionen mit Respekt zu begegnen. Das ist schon deshalb wichtig, weil wir mit Menschen dieser Glaubensgemeinschaften heute Tür an Tür leben. Aber es ist auch für die Menschen im Irak von Bedeutung, wenn wichtige historische Persönlichkeiten wie Nebukadnezar immer wieder diffamiert oder die babylonische Kultur und Religion herabgewürdigt werden. Babylonien und Assyrien sind von immens großer Bedeutung für ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein und eine gemeinsame Identität des zerrissenen und zerstörten Landes. Für uns alle gilt: Von Babylon lernen heißt, Vielfalt zu schätzen und als Reichtum zu begreifen.

Der “Religionsphilosophische Salon Berlin” empfiehlt sehr für private Lektüre und Studium, aber auch für die Gruppenarbeit das neue, spannend zu lesende, vielseitige und aktuelle Buch von Frank Kürschner-Pelkmann:

„Babylon. Mythos und Wirklichkeit“. Steinmann Verlag, Rosengarten bei Hamburg. 2015, 239 Seiten, 24,80 Euro.

ISBN: 978-3-927043-65-7

 

Milliardären wird der Ablass gewährt. Neues zum katholischen Orden “Legionäre Christi”

Milliardären wird der Ablass gewährt. Neues zum katholischen Orden “Legionäre Christi”

Hinweise von Christian Modehn am 2.12.2015

Der Religionsphilosophische Salon arbeitet von seinem philosophischen Anspruch der Aufklärung und der Religionskritik seit einigen Jahren auch kritisch über die katholische Ordensgemeinschaft “Legionäre Christi” und über die mit ihm verbundene Bewegung für Laien „Regnum Christi“. Einige wichtige neue Entwicklungen haben in der deutschen Öffentlichkeit bisher (2.12.2015) wenig Aufmerksamkeit gefunden. CM.

1.

Der katholische Orden „Legionäre Christi“ wird erneut – diesmal aber noch gründlicher und umfassender recherchiert – „ein Finanzimperium“ genannt. Sein Gesamtvermögen beträgt jetzt 43.600 Millionen Dollar. Die Ordensgemeinschaft (1941 gegründet, von dem mexikanischen Marcial Maciel, damals im jugendlichen Alter von 21 Jahren) zählt heute 950 Priester als Mitglieder, hinzukommen ca. 700 junge Männer in der Ausbildung, die man nicht als „vollständige Mitglieder“, also in „ewigen Gelübden“, bezeichnen kann. Mit anderen Worten: 950 Männer, die als Ordensleute wie alle anderen katholischen Ordensleute sonst auch „Armut“ als Gelübde gelobt haben, sind Multi-Milliardäre. Diese Fakten werden reich belegt von dem mehrfach ausgezeichneten mexikanischen Recherche-Journalisten Raul Olmos in seinem neuesten Buch (erschienen am 13. November 2015) „ Una mafia empresarial disfrazada de congregación“, „Ein Mafia-Unternehmen, das sich als religiöse Kongregation verkleidet“. Das Buch ist im Verlag Grijalbo (Madrid und Barcelona) erschienen. Es zeigt das weite Netz der Verbindungen des Ordens zu den Zentren politischer, ökonomischer und kultureller (Medien-) Macht. Hunderte von „Gesellschaften“, „Stiftungen“, „Vereinen“ und Privaten – Hochschulen gehören den Legionären Christi. Zur Ersparnis von Steuern halten sich die Ordensbrüder auch gern in so genannten Steuer-Paradiesen auf. Diese Fakten werden von Raúl Olmos ausführlich beschrieben.

Die schon populär “Milliardäre Christi” genannten Priester können also hübsche Feierlichkeiten ausrichten zum 75. Geburtstag ihres Ordens bzw. Finanzimperiums im Jahr 2016 und können wie üblich ihre zahlreichen Gönner, auch im Vatikan, reich beschenken. Der Orden wie auch das Finanzimperium wurden aufgebaut von dem Mexikaner, Pater Marcial Maciel, der 2006 (als 86 Jähriger) von allen seinen Funktionen der seit 1941 dauernden (!) Ordensleitung befreit wurde, und zwar auf Druck von Papst Benedikt XVI. Papst Benedikt hatte zudem 2010 das Leben des Ordensgründers von einer katholischen Priestergruppe untersuchen lassen, und kam zu dem Schluss:“ „Es ist ein Leben, das jenseits des Moralischen liegt, ein abenteuerliches, vertanes, verdrehtes Leben“. Mit anderen Worten: Der notorische pädophile (vornehm ausgedrückt) Täter Pater Maciel ist in der Sprache der Justiz ein Verbrecher. Er hat zudem viele Millionärswitwen um deren Vermögen erleichtert, weil er sich als charmanter Liebhaber ausgab usw… Aber den (staatlichen) Gerichten wurde der Verbrecher vom Vatikan, wie üblich, nicht übergegeben. Papst Benedikt bat den Ordensgründer im Jahr 2006 nur, Maciel möge sich zur Buße still und schweigend dort zurückziehen… Gestorben ist Maciel nicht als stiller Büßer in seinem römischen Kloster, sondern wie auf der Flucht, im warmen Florida. All das wurde auch von uns dokumentiert, ebenso die vatikanischen „Untersuchungen“ über den Orden insgesamt, nach dem Tod Maciels. Eigentlich hätten die „Untersuchungen“ von 2010 zur Auflösung des Ordens führen müssen. Das forderten viele prominente Katholiken. Denn welcher Orden soll in alle Zukunft einen Verbrecher als Gründer haben, der zudem einst, überall sichtbar, wie ein Heiliger verehrt wurde, obwohl dessen weit reichende finanziellen, sexuellen und drogenabhängigen Aktivitäten allen Mitglieder und vielen Prälaten in Rom bekannt waren. Nur die zahlreichen ehemaligen Mitglieder, die Missbrauchs-Opfer, meldeten sich im Vatikan seit 1989, (!), aber man hörte sie nicht. NICHTS wurde von amtlicher vatikanischer Seite gegen Maciel unternommen, auch nicht von Kardinal Ratzinger damals als Chef der Glaubenskongregation. Maciel hatte tatsächlich zu viele Freunde unter den Kardinälen, und selbst der polnische Papst pries den Verbrecher offiziell und lautstark explizit „als Vorbild der Jugend….“ Die Reisen von Papst Johannes Paul II. wurden immer von dem kundigen Mexikaner Pater Maciel begleitet. Ob die Reise von Papst Franziskus nach Mexiko in 2016 auch wieder von den Legionären betreut wird?  Aber der Orden wurde eben nicht aufgelöst. Er besteht weiter, wenn auch die Begeisterung junger Männer für diesen Orden etwas gebremst ist: Seit 2008 ist die Zahl der Mitglieder in Ausbildung befindlichen Mitglieder von 1.081 auf 693 zurückgegangen, berichtet El Pais. Aber die Geldquellen scheinen trotzdem bestens zu fließen, siehe oben.

2.

Diese Mitglieder dieses Milliardärsordens haben jetzt von Papst Franziskus die Zusage erhalten, in dem nun begonnen Jahr der Gnade den vollkommenen Ablass zu gewinnen. Damit entspricht Papst Franziskus dem Wunsch von Pater Eduardo Robles Gil, dem gegenwärtigen Ordensoberen, der sich, wie für ein Imperium eben passend, wie auch schon sein Vorgänger Pater Maciel, „Generaldirektor“ nennt. Der vollkommene Ablass wird den Mitgliedern der Milliardäre Christi gewährt, “wenn sie ihre Gelübde erneuern, also auch das Armutsgelübde, wenn sie beten, wenn sie sich den Werken der Spiritualität widmen und die christliche Lehre verbreiten“, heißt es in dem päpstlichen Indulgenz – (Ablass) – Schreiben.

Erstaunt ist man abermals, dass der Ablass, DAS Thema Martin Luthers, 2 Jahre vor dem Reformationsgedenken 2017, wieder und wieder selbst von apst Franziskus aufgewärmt wird. Kann man angesichts dieser Vorlieben diesen Papst im Ernst „progressiv“ nennen? Wohl kaum, meinen wir. Will man so für eine neue Ökumene mit den Protestanten sorgen? Warum spricht kein prominenter Protestant von dem aufgewärmten Ablass-Wahn des Katholizismus? Das Heilige Jahr mit Pilger/Touristen-“Strömen” nach Rom hat gerade begonnen. Aber das ist ein anderes Thema.

Die sexuellen Missbrauchsopfer des vom Papst Benedikt so genannten Verbrechers Pater Maciel sehen in dieser überflüssigen Ablass- Gewähr eine Art Anerkennung und Reinwaschung des Ordens. Denn im Jahr der Gnade kann doch eigentlich jeder Katholik, eben auch ein Legionär, sowieso bei Respekt der Vorschriften den Ablass gewinnen. Warum also diese Sonder-Gewähr eines Ablasses für diesen Orden? Besteht ein Grund für den Papst, sich mit dem Orden gut zu stellen?

3.

Viele Beobachter fragen sich erneut bei dieser Entscheidung, wie widersprüchlich eigentlich die theologische Linie des so vielfach gerühmten Papstes Franziskus ist. Wie sehr steht er offenbar unter Druck einer vatikanischen Mafia, dass er diesem “Club”, den Legionären, diese außergewöhnliche Gnade explizit gewähren muss? Kann Papst Franziskus nur noch im Vatikan wohl auch physisch überleben, wenn er auch den umstrittensten Orden, theologisch zudem extrem konservativ, also den Legionären Christi, sein Wohlwollen zeigt? Die Indulgenz-Ablass-Entscheidung des Papstes von Ende Oktober 2015 wirft auch ein Licht auf die dunklen Verhältnisse in den Palästen des Vatikans. Herrschen dort, wieder einmal, vor-reformatorische Zustände? In jedem Fall sind die neuesten Entwicklungen/Erkenntnisse ein interessanter Beitrag zu dem offiziell propagierten “Jahr der Orden 2015”.

4.

Eine Einschätzung des Ordens “Legionäre Christi”, der bekanntermaßen in Mexiko besonders mächtig ist, von dem mexikanischen Religionswissenschafter Elio Masferrer, mitgeteilt in der spanischen Tageszeitung El Pais vom29. Oktober 2015, siehe: http://internacional.elpais.com/internacional/2015/10/28/mexico/1446071736_323939.html

Zu Elio Masferrer: http://www.revistaacademica.com/consejo.asp

Zuerst der spanische Text aus El Pais: “Elio Masferrer, presidente de la Asociación Latinoamericana para el Estudio de las Religiones y profesor e investigador emérito de la Escuela Nacional de Antropología e Historia. “[La Orden] es uno de los problemas más graves del catolicismo. Maciel fue un impresentable, un criminal, y es el paradigma de una Iglesia corrupta, alejada de los feligreses”.

Die Übersetzung ins Deutsche: “Elio Masferrer, Präsident der lateinamerikanischen Vereinigung zum Studium der Religionen und Professor (und Forscher emeritus) de „Nationalen Schule der Anthropologie und Geschichte, sagt in der spanischen tageszeitung El Pais vom 29. Okrober 2015: „ Der Orden der Legionäre Christi ist eines der schwersten Probleme des Katholizismus. Maciel (der Gründer) ist ein „nicht gesellschafäftsfähiger“, d.h : eigentlich ein öffentlich gar nicht vorzeigbarer Mensch gewesen, er war ein krimineller und er ist das Modell einer korrupten Kirche, weit entfernt von den treuen Gläubigen (eigentlich: Pfarrkindern)”.

5.

Die Millionärsfamilie Oriol (Madrid) will ihr Landgut von den Legionären Christi zurückhaben.

Die einflussreiche Unternehmer-Familie Oriol fordert vor Gericht die Rückgabe einer Millionenerbschaft an die Legionäre Christi von diesem Orden zurück. Es handelt sich um die Rückgabe des Landsitzes Cerro del Coto, eines Landgut (9,7 Hektar groß), am Rande von Madrid, im reichsten Viertel der Stadt, in Majadahonda. Besonders interessant ist, dass dieser Prozess der Rückgabe eines Geschenks an den Orden von drei ehemaligen Priestern der Legionäre Christi und einer Frau, die als „geweihte Frau“ dieser Gemeinschaft angehörte, verlangt wird, gerade jetzt, nach den bekannt gewordenen Skandalen des Gründers, Pater Maciel. Diese 4 Personen sind Geschwister, sie gehören zur Familie Oriol, die als eine der besonders begüterten Familien Spaniens gilt. 4 Kinder aus ein und der selben Familie bei den Legionären, und alle 4 treten aus dem Orden aus! Dabei hatte die ultrareiche Familie Oriol dem jungen Pater Marcial Maciel geholfen, als er von Mexiko aus in Spanien Fuß fasste … Daran wird deutlich, dass schon um 1945, als Maciel von Spanien aus nach Rom zog, die reichsten Leute auf ihn „hereinfielen“. Maciel ist von Anfang an planmäßig vorgegangen und sich nur um die Reichsten gekümmert. Sozialarbeit war ein Alibi, sagen Beobachter.

Ob es rechtlich möglich ist, eine Schenkung wieder rückgängig zu machen, ist sehr die Frage. Das Beispiel zeigt nur, in welchen höchsten Finanzkreisen sich die Legionäre Christi immer schon bewegen und wie es ihnen gelingt, z.B. prächtige Ländereien als Erbschaften zu “übernehmen”…

Ein Zitat aus der angesehenen Tageszeitung El Pais, Madrid:

„Promotores de Iberdrola y del tren Talgo, los Oriol encarnan a una de las principales riquezas latifundistas españolas. La fortuna de los cinco hermanos Oriol Muñoz superaría los 30 millones de euros, según el periodista de EL PAÍS Jesús Rodríguez, autor de La Confesión (Debate, 2011). De ese dinero, la familia habría entregado 16 millones al movimiento de Maciel durante tres décadas. Su patrimonio se completa con la finca de 957 hectáreas Los Peñones en Hornachuelos (Córdoba) valorada en 14 millones que gestiona la Fundación San Miguel. Y las inversiones inmobiliarias administradas por Javier Oriol, uno de los cinco hijos de Íñigo María de Oriol que no perteneció a la legión. Según el libro de Rodríguez, la orden urdió una campaña “de acoso y derribo” en 2004 para que los Oriol entregaran a Maciel el resto de una fortuna que suma 25 millones. Esta donación se habría frustrado tras destaparse que Maciel (1920-2008) fue un depredador sexual de seminaristas“.

Eine Zusammenfassung auf Deutsch: Die Familie Oriol ist in Iberdrola und im Unternehmen des Express-Zuges Talgo finanziell beteiligt; die 5 Geschwister haben ein Vermögen größer als 30 Millionen Euro; während drei Jahrzehnten hat die Familie Oriol dem Pater Maciel 16 Millionen Euro geschenkt; nach einer journalistischen Recherche zettelten die Legionäre Christi 2004 sogar eine Kampagne voller Belästigungen an, mit dem Ziel, dass die Familie Oriol noch mal eine Summe von 25 Millionen Euro den Legionären übergab…

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.

 

Meine Biografie – meine Theologie.

Meine Biografie – meine Theologie. Hinweise zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 27. 11. 2015

Von Christian Modehn

Wir danken Prof. Johan Goud aus Den Haag, dass er uns mit seinen Beiträgen im Salon am 27.11.2015 zu Einsichten und weiteren wichtigen Fragen geführt hat.

Das Thema des Abends (mit 26 TeilnehmerInnen) “Autobiografie und Theologie” wird uns auch im nächsten Jahr weiter beschäftigen.

Es ist für mich als Veranstalter des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin interessant zu sehen, wie stark das Interesse an dem Thema ist. Wir mussten etliche Interessierte leider wegen Platzmangel abweisen. Zugleich wird dabei deutlich, wie in Zeiten der Krise, wie jetzt, der Wunsch wächst, sich über Grundlegendes auszutauschen. Dies sollte in kleinen, überschaubaren Kreisen geschehen, eben in philosophischen Salons.

Zum Salon am 27. 11. 2015 selbst:

Es geht um eine Erkenntnis, die viele ahnen, spüren, aber selten auszusprechen wagen: Als Ausgangspunkt und Quelle der Inspiration von Theologien und auch Philosophien gilt das eigene Leben. Nicht das abstrakte, neutrale, a-historische Ich, befreit von allen Bindungen an Geschichte und Kultur. Sondern das Individuum, die Person, geprägt in einer religiösen oder eben auch einer nicht-religiösen Welt, die sich mit der Frage befasst: „Wer bin ich, wo will ich hin, was ist mir entscheidend wichtig, was ist für mich ein gutes Leben, was will ich in der Gesellschaft sein?“ usw. Wer diesen Fragen nicht ausweicht, kommt oft dazu, seine Autobiografie zu schreiben. Das kann auch „nicht-professionell“ geschehen. Man muss nicht den Ansprüchen der großen „Confessiones“ eines Augustin oder Rousseau nacheifern.

Autobiografie kann in Fragmenten geschehen, oft nur in Gedanken und Meditationen, am besten aber doch in schriftlicher Form. Und dann kommt immer wieder später der Rückblick auf mein Leben, dann zeigen sich in wachsendem Abstand neue Erkenntnisse, dann wird weiter geschrieben, immer im Verzicht auf Banales, Nebensächliches, sondern im Blick auf Entscheidendes, Prägendes, Sinnstiftendes. „Was lässt mich leben?“

Diese Fragen nach der Autobiografie sind keineswegs Ausdruck eines egozentrischen Denkens. Sie sind Ausdruck dafür, dass ich mich – in Gemeinschaft mit anderen – wichtig nehmen soll. Es geht ja um mein Leben, um die Gestaltung (m)eines guten Lebens. Darin wird das angezielt und vielleicht erlebt, was man klassisch-theologisch „Erlösung“ nennen könnte.

Um den Grund der Theologie in meinem eigenen Leben zu erkennen und wahr- zu nehmen, gibt es wohl eine spezifische praktische Einstellung, als Bedingung der Möglichkeit der Wahrnehmung: Dies ist etwa die Praxis der Ruhe, der Gelassenheit. Offenbar zeigt sich dieser gründende Sinn, den manche göttlich nennen, nur, wenn er sich mir schenkt, mich überrascht, als eine Gabe für mich. Welche Rolle spielt dann noch das eigene Aktivsein? Hat Suchen den Anspruch, Wesentliches zu finden? Ist also eine gewisse „passive“ Haltung die Voraussetzung für das Wahrnehmen des „Göttlichen“ in meinem Leben? Auch darüber wurde in unserem Salon gesprochen. Welche Rolle spielen Texte der Poesie, spielt die Musik, die Kunst, wenn ich nach Vertiefung oder Erweiterung meiner eigenen Erfahrungen suche? Wenn ich die Zeugnisse der Kunst usw. wichtig nehme, weil sie ja auch Ausdruck des Lebens sind: Dann entsteht die Frage: Warum werden sie so selten in der religiösen, christlichen Praxis als Quelle wahrgenommen? Warum gibt es weithin diese starre Fixiertheit ausschließlich auf biblische Texte im christlichen Raum, etwa auch in den offiziellen „Gottesdiensten“? Entspricht diese enge Haltung überhaupt noch der „religiösen Globalisierung“ heute? Gott und das Göttliche zeigen sich in der Vielfalt. Aber gibt es ein Kriterium für die Auswahl hilfreicher oder eher verstörender Texte? Kann dieses Kriterium nur ein bestimmtes Verständnis der Bibel sein? Oder auch die selbstkritische Vernunft?

Noch einmal: Die zentrale These, an diesem Abend ausgesprochen, über die weiteres gemeinsames Nachdenken lohnt:

Nur aus der eigenen Biografie wächst der eigene Glaube bzw. die eigene Ablehnung eines religiösen Glaubens. Nur unter dieser Voraussetzung wird „authentische“ Theologie bzw. A-Theologie möglich.

Dann muss die klassische Theologie befragt werden: Ist die abstrakte Gegenüberstellung von Theologie und A-Theologie, von Glaube und Nicht-Glaube, tatsächlich ein wahrer Gedanke, der die gemeinte „Sache“ trifft? Wird da nicht viel zu objekthaft von dem Göttlichen bzw. dem Nichtgöttlichen gesprochen, so, als würde man von vorhandenen Gegenständen reden und mit diesen vergleichend hantieren und gedanklich „probieren“. Die Beschreibungen der positiven Wesenseigenschaften gelten ja nicht Gott als Gott, sondern sie sind Aufforderungen an uns, sozusagen göttliche Eigenschaften zu leben, selbst barmherzig zu sein, Frieden zu stiften, Gerechtigkeit zu praktizieren. Die literarisch bezeugten negativen Eigenschaften Gottes (Rache, Gewalt gegen anders usw.) sind nur historisch zu verstehende Bilder einer noch eher unreif lebenden religiösen Gemeinde, die sich als schwache Gemeinde aufwerten muss, indem sie Andersdenkende – auf Gottes Befehl angeblich – ausschaltet.

Wichtig ist die Erkenntnis: Nicht die Frage: „Gott oder Atheismus? „ist entscheidend, sondern die Art, wie ich, wie wir, als Mensch(en), leben in der Welt: Ist es Liebe und Solidarität, ist es Hass und Diffamierung? Ist die Sehnsucht nach Schönheit wichtiger als die destruktiven Kräfte? Die Antwort ist für jeden vernünftigen Menschen klar. Gibt es also eine neue Ökumene derer, die Liebe und Gerechtigkeit als die oberste Norm ansehen? Dabei ist es diesen Menschen eher zweitrangig, ob sie sich das eigene Leben mit oder ohne Gott begründen.

Sollte es also eine neue Ökumene der Menschen geben, derer, die das Menschliche über alles schätzen, also humanistisch leben? Dabei ist klar, dass es kulturell unendlich viele Ausdrucksformen des Humanismus gibt und geben muss. Aber diese Vielfalt ist immer auch Humanismus, es gibt etwas Universal-Menschliches, es gibt also bei aller Vielfalt einen gemeinsamen „Nenner“ des gemeinsamen „Humanums“. Wären hier Projekte geboten, angesichts des Terrors? Vielleicht gerade als prophylaktische Aufgabe aller Humanisten, Fundamentalismus und anderen Wahn argumentativ zu besprechen und dadurch stark einzuschränken. Dass dies ohne eine Politik, auch Sozialpolitik, des Respekts nicht gelingen wird, ist auch klar.

Mit anderen Worten: Der Humanismus als die sich stets erneuernde und wandelnde Lebens-Philosophie ist die Basis für alle Menschen. Religiöse oder nicht-religiöse Lebensdeutungen und Dogmen gehören an die zweite Stelle! Diese Überzeugung dient dem Frieden, zumal dann die Religionen durch den Geist eines sich stets reformierenden Humanismus sich selbst weiter reformieren, also etwa alle Gewalttexte eigener religiöser Traditionen wissenschaftlich verstehen, aber dann eben existentiell und praktisch beiseite legen.

Wo sind die Räume für einen Austausch solcher Erfahrungen? Das bloße Nachsprechen von vorgefertigten alten traditionellen Lehren, Dogmen usw. ist da wenig hilfreich und führt eher zur Begrenzung der eigenen spirituellen Lebendigkeit.

Diese wenigen, nur skizzenhaften Fragen, die hier notiert wurden, zeigen, welche Dimensionen der Diskussion sich im Laufe des Abends eröffneten, dank der Vorschläge und Beiträge auch von Prof. Johan Goud.   Sein neuestes Buch in niederländischer Sprache hat den Titel „Onbevangen“. Es ist im Verlag Meinema in Zoetermeer, NL, erschienen. 127 Seiten. 15 Euro. ISBN: 978 90 2114386 6

Copyright: Christian Modehn

 

Ein Denker des Christlichen: Zu René Girard, verstorben am 4. November 2015 in Stanford, Kalifornien

Ein Denker des Christlichen: Zu René Girard, verstorben am 4. November 2015 in Stanford, Kalifornien

Ein Hinweis von Christian Modehn

Er ist einer der kreativen Denker, kreativ im Sinne von Neues schaffend, keiner Mode nachlaufend, eigenständig und eigensinnig, über alle wissenschaftlichen „Disziplinen“, nicht ohne Stolz, erhaben: Er hat streitbare Erkenntnisse formuliert, deswegen war er immer umstritten, deshalb hatte er aber auch viele Freunde, viele Schüler, viele LeserInnen, auch wenn er wohl immer ein Einzelgänger blieb. Einige Jahre, seit 2005, gehörte er zu dem erwählten und erlauchten Kreis der Mitglieder der „Académie Francaise“ in Paris. Dabei hatte er zu Frankreich eher ein etwas gespanntes Verhältnis; die deutlichste Rezeption seines Denkens erlebte er wohl in den USA und Italien. Seine Wirkung bezieht sich heute auf Philosophen, Psychologen, Theologen… Seinen viele “Disziplinen” übergreifenden und deswegen umfassenden Forschungsbereich nennt man wohl am besten “Kulturanthropologie”.

René Girard wurde 1923 in Avignon geboren, er war ein mittelmäßiger Schüler, wurde dann, ab 1947, in den USA erfolgreich, lehrte dort (an der John Hopkins University von Baltimore zuerst) französische Literatur. Dann wurde er Professor in Stanford für Anthropologie, mit starken Interessen an den Religionen, besonders am Judentum und Christentum. Seine Entdeckung, die er sein Leben lang erklärte und verteidigte: Die Mimesis ist die Basis, um menschliches Miteinander zu verstehen. Der Mensch ist das nachahmende Wesen! Wenn zwei Menschen dieselbe Sache begehren, so die Grundkonstellation, entsteht ein Konflikt; diese Rivalität ist für Girard die Basis, um die Gesellschaft zu verstehen. „Der westliche Humanismus sieht nicht, dass die Gewalt sich spontan entwickelt, wenn die Menschen ein und dasselbe Objekt begehren“, so Girard im Interview mit dem „Magazine Philosophie, Hors Serie, November 2011, Seite 12.) Aus der Mimesis folgt, um Frieden zu schaffen inmitten der Rivalitäten und Konflikte, das Bedürfnis, einen Sündenbock zu haben, der “an allem” schuld ist bzw. schuld sein soll; über den sich die rivalisierenden Kräfte (kurzfristig) vereinen und versöhnen können. Auf dem Opfer eines Unschuldigen beruht also der (kurzfristige) Friede. Der entscheidende Punkt ist: Die Jesus Gestalt ist auch ein Sündenbock, aber sie legt den Wahn der Sündenbock Mechanismen frei, sie offenbart den Zusammenhang von Mimesis, Gewalt und … Sündenbock. Und weil durch Jesus die realen Verhältnisse der Gewalt offenbar werden, kann Frieden möglich werden. Jesus ist kein passiv erduldender Sündenbock, er ist unschuldig und er weiß das, dieses Leben ist einzig möglich für ihn im Glauben an seinen „Vater“. Die Offenbarung des Neuen Testaments ist damit für Girard ein geradezu notwendiges Buch der Analyse der menschlichen, elenden Wirklichkeit mit der Zusage der Erlösung. Der Gott der Bibel solidarisiert sich mit dem Opfer! Nicht mit den Tätern!

Das Evangelium als Text kultureller und politischer Relevanz wird somit durch Girard in die Kultur der Gegenwart „zurückgeholt“. Selten hat man in den letzten Jahren eine solche Lehre der Erlösung, also des Friedens in der Gesellschaft, gelesen, anspruchsvoll und bei den Prämissen dann auch fundiert. Selten hat sich der christliche Glaube so einbringen können als Deutung der Wirklichkeit! Das Ende der Gewalt ist möglich durch Einsicht in die tiefsitzenden seelischen “Mechanismen”. Noch enmal: Gewalt kann durch Einsicht und Vernunft überwunden werden. Wodurch denn auch sonst? Eine Welt ohne Sündenböcke ist möglich, und damit auch eine Welt ohne das irrige Bewußtsein der Täter, Recht zu haben in ihrem Töten des Sündenbocks. Der Zwang der Mimesis, der sich auch als Zwang der Tötung des Sündenbocks äußert, kann durch kritische Selbst-Erkenntnis überwunden werden.

Girard verstand sich also explizit als christlicher Denker, eine Rarität in der intellektuellen Welt von heute. Er war, wie er selbst sagt, Autodidakt, er vertiefte sich in die Grundtexte des Christentums: „Ich bin Christ geworden, weil mich meine Forschungen dahin geführt haben, was ich denke, und so bin ich Christ geworden“. Also ein Christwerden durch das Studium; eher ein seltenes Ereignis heute, könnte man meinen. In dem Buch „Des choses cachées depuis la fondation du monde“ von 1978 wird diese „Umkehr“ deutlich. Tatsächlich hat sich Girard in den USA spirituell in den letzten Jahren eher den lateinischen, den klassischen Messen zugewandt. Das Heilige sprach sich für ihn offenbar am besten auf Latein aus.

In dem oben genannten Heft der Reihe “Philosophie Magazine” von 2011 über Girard äußert sich auch Peter Thiel über diesen vielseitigen Anthropologen. Thiel, ein Schüler von Girard an der Stanford University, ist der Erfinder von PayPal, und erster Aktionär von facebook, er hat den Hegdefond Clarium geschaffen, der Tea –Party soll er nahe stehen (gestanden haben) usw. Bei allen Bindungen an den Neoliberalismus ist doch eine religiöse Entdeckung für Peter Thiel durch Girard wichtig geworden: „Girard hat die Vernunft des Christentums neu gedacht“ (Seite 97). Den Glauben an das permanente Wirtschaftswachstum hat Peter Thiel, so im Interview, jedenfalls nicht verloren. Und eine Bekehrung zu den Armen hin eigentlich Kernbotschaft des Evangeliums,  wird auch nicht einmal von ihm angedeutet im Interview. Girard selbst hat immer wieder vom „subversiven Charakter des Christentums“ gesprochen. Diese Lehre ist offenbar nicht bei allen seiner Schüler in den USA angekommen! Christentum als Theorie eben. In seinem Buch „Achever Clausewitz“ von 2007 sagt Girard angesichts der zunehmenden Gewalt und des Egoismus: „Das Christentum ist gescheitert“. Ihm (und uns) bleibt die Hoffnung: Dass die Menschen weltweit nicht die globalen kriegerischen Gewalttaten ständig nach-ahmen, diese wieder und wieder wiederholen zu ihrem eigenen immer heftigeren Verderben. Nein. Dass die letzten “Restbestände” einer ethisch guten Praxis nachgeahmt werden, dass die Menschen wieder lernen, das ethisch Gute (nach kritischer Selbstprüfung) nachzuahmen und zu leben. Wenn diese ethische Aufgabe das Christentum fördert, dann wäre es wohl doch nicht ganz gescheitert.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Unbefangen Gott denken: Ein Hinweis auf ein neues Buch des niederländischen Theologen Johan Goud.

Unbefangen Gott denken. Ein Hinweis auf das neue Buch von Johan Goud.

Der remonstrantische Theologe Johan Goud ist Autor des Buches „Onbevangen. De wijsheid van de liefde“, „Unbefangen. Die Weisheit der Liebe“. Erschienen 2015 bei Meinema, Holland.

In einem Beitrag in der Zeitschrift ADREM (Mai 2015) erläutert Peter Korver das Buch: „Einerseits wird darin die solide theologische Kenntnis deutlich, andererseits wird nach einer Verbindung mit der modernen Kultur gesucht, besonders in der Kunst und der Literatur. Johan Goud beschreibt sich als jemand, der sein Leben lang versucht hat, tief das Wort Gott zu verstehen. Er sagt selbst: “Ich bin ziemlich sicher, dass das Rätselwort Gott von einer Wirklichkeit beantwortet wird, einer Wirklichkeit, die in letzter Hinsicht unbegreiflich ist, die aber in den Menschen wohnt und die es anstellt, dass die Menschen tun, was sie tun, zum Schlimmen, aber auch zum Guten. Das Wort Gott selbst brauchen Menschen dabei nicht einmal auszusprechen“.

Peter Korver fährt fort: Dabei ist der Titel des Buches „Unbefangen“ wichtig: Es geht um eine unbefangene Weise des theologischen Denkens, weg von Dogmen und Konventionen, das ist keine einfache Sache. In der Kunst, der Literatur und der Mystik gibt es Raum für diese Unbefangenheit. Gott ereignet sich in Gedichten oder in der Musik, aber auch zuweilen unerwartet in Reflexionen. Was wird dabei entdeckt? Das Überraschende und Ergreifende ist, dass nicht du am Suchen und am Finden von Antworten bist. Es ist eher umgekehrt. Du entdeckst, dass du gefunden wirst durch das, was du suchst und findest. Dieser Wechsel (Umschlag) ist wesentlich, er wird von Goud Liebe genannt.

Diese Denkhaltung ist etwas anderes, als wenn in Untersuchungen Gott als ein etwas objektiviert wird und beurteilt wird.

Der Untertitel des Buches verweist auf den Philosophen Emmanuel Lévinas, mit dessen Denken sich Goud schon sehr früh befasst hat.

Am Freitag, den 27. November 2015, um 19 Uhr, ist Prof. Johan Goud zu Gast im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin, Hektorstr. 9 in Berlin-Wilmersdorf. Anmeldungen bitte an: christian.modehn@berlin.de

Übersetzung: Christian Modehn.