Es ist heute problematisch, die Toten in Mexiko zu feiern. Tausende werden pro Jahr ermordet in einem brutalen Krieg der Banden, der Drogenbosse und der unfähigen Polizei. Journalisten sind oft die bevorzugten Opfer dieser bestialischen Mörder. Selbst katholische Priester werden erschossen, und das in einem angeblich katholischen Land. Nun wird deutlich, wie oberflächlich die religiöse Bildung ist, wenn es sie denn für die weitesten Kreise überhaupt gibt, in Mexiko, und nicht nur dort. Ein gewisser spiritueller Rettungsanker in diesem Land des Mordens ist der traditionelle Totenkult, der “Dia de los Muertos” am 1. und 2. November. Indigene Bräuche werden mit Volksritualen des Katholizismus verbunden. Diese volkstümlichen Feiern finden immer noch viel Anklang. Es ist den Religionspsychologen überlassen, das Ausmaß des “Aberglaubens” in diesen Volksfesten zu beschreiben. Der Theologe Alfons Vietmeier aus Mexiko-Stadt hat in einer Beitragsreihe über Mexiko für diese website auch über den “dia de los muertos” publiziert. Wir erinnern noch mal, wegen vielfältiger Nachfragen, an das Thema … lesen Sie diesen Beitrag und klicken hier.
Theologische Bücher
Pater Klaus Mertes für ökumenisches Abendmahl: Katholiken können am evangelischen Abendmahl teilnehmen
Ein Buchhinweis von Christian Modehn
Ausführliche Briefe, über drei Monate (bis Februar 2016) hin und her geschickt zwischen zwei prominenten Theologen, sind heute – nicht nur in Zeiten der absolut vorherrschenden emails – eine Seltenheit. Und noch seltener ist, wenn man so sagen kann: Dass diese Briefe auch als Buch publiziert werden. Die Kategorie Briefwechsel spielt ja in heutigen Verlagsgeschäften keine große Rolle mehr.
Nun haben die protestantische Theologin und Grüne-Politikerin Antje Vollmer und der Jesuitenpater Klaus Mertes ihre Korrespondenz veröffentlicht. Sie dreht sich immer wieder um das Problem der Gebundenheit an christliche Konfessionen, also evangelisch und römisch-katholisch. Und je länger der freundliche Brief-Austausch dauert, um so mehr nähern sich die theologischen Positionen an. Für die protestantische Theologin Antje Vollmer ist es eigentlich selbstverständlich, dass Katholiken an einem evangelischen Abendmahl nicht nur als Gäste dabeisitzen, sondern sich eben das Abendmahl von einem protestantischen Pfarrer reichen lassen. Ökumene, als versöhnte Verschiedenheit, wird so greifbar. Es gibt eigentlich nur noch wenige theologisch Gebildete, die eine solche Feier der Einheit der Christen ablehnen. Das müssen schon Dogmatiker der uralten Schule sein oder Angestellte der vatikanischen Aufsichts-Bürokratien, die bis nach Deutschland ihren Einfluss haben. Aber es ist eben im Katholizismus zweierlei: Man kann als katholischer Theologe eine richtige Meinung zur Praxis der ökumenischen „Mahl-Gemeinschaft“ haben, aber man darf diese nicht öffentlich sagen, geschweige denn öffentlich praktizieren. Das ist eben das viel besprochene Klima der Angst, das den Katholizismus bis heute bestimmt bzw. innerlich vergiftet und aus Glaubenden eben Mutlose und Verängstigte macht, solche Leute also, die um ihres Jobs in der Kirche/Caritas wegen auf ihre (ökumenische) Meinung und ökumenische Praxis doch besser verzichten. So entstehen gespaltene Persönlichkeiten…
Pater Klaus Mertes kennen und schätzen so viele, er gehört zu den Mutigen, den Offenen, den Aufgeschlossenen. Er hatte 2010 die unglaubliche Courage gehabt, „pädophile“ Vergehen durch Jesuiten an dem Jesuiten-Gymnasium in Berlin öffentlich zu machen. Er wusste: Allein die Freilegung der Tatsachen ist hilfreich. Er löste wohl als einer der wenigen Mutigen, die die Wahrheit sagen, ein mittleres Erdbeben in der römischen Kirche aus. Es dauert bis heute…Man denke an die Skandale der immer noch agierenden Ordensleute der „Legionäre Christi“, “Millionäre Christi” oft genannt, die von einem pädophilen Verbrecher gegründet wurden…
Nun zu dem Buch: Da ist es keine Überraschung, dass Pater Mertes am Ende des Buches, also ab S. 154, in aller Deutlichkeit für die „ökumenische Gastfreundschaft sich einsetzt“. „Ich bin überzeugt, dass es einem katholischen Christen im Gewissen frei steht, die Einladung zum evangelischen Abendmahl anzunehmen… Ich lasse mir nichts zu schulden kommen, wenn ich einer (protestantischen) Person nach dem „Amen“ die Kommunion reiche. Im Gegenteil, ich ließe mir etwas zu schulden kommen, wenn ich es nicht täte“, so Pater Mertes (S.155). Die theologische Begründung für diese richtige Haltung liefert er im Buch!
Diese Aussage weist in die Zukunft. So sehr vielleicht auch weniger religiöse Zeitgenossen über das Thema schmunzeln und sich sagen: Was haben diese getrennten Christen denn noch für Sorgen! Gibt es wirklich nichts Dringenderes? Gibt es natürlich!
Trotzdem ist diese Stellungnahme von Pater Mertes innerkirchlich gesehen ein wichtiger Durchbruch: Denn es kann ja sein, dass nun Katholiken in sich gehen und den Worten des Jesuiten folgen. Viele tun es längst, heimlich natürlich!
Diese Worte von Pater Mertes haben großen Wert für den kommenden evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin: Da wird es dann hoffentlich auch viele katholische Teilnehmer geben, die am evangelischen Abendmahl teilnehmen. Der Streit um den katholischen Professor Gotthold Hasenhüttl, der 2003 beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin Protestanten die Kommunion reichte, wird sich so nicht mehr wiederholen. Es wäre auch eine Blamage, wenn nicht Katastrophe, für die Herren der Kirche, nun auch 2017 beim Reformationsgedenken wieder hart durchzugreifen. Prof. Hasenhüttl wurde von dem damaligen Trierer Bischof Reinhard MARX (jetzt München) vom Priesteramt suspendiert….Dass es einen suspendierten Pater Mertes geben könnte, ausgerechnet im Luther-Jubiliäum, befürchtet irgendwie die besorgte Protestantin Anje Vollmer, sie schreibt: „Dieser Briefwechsel darf nicht dazu führen, dass Sie, Pater Mertes, damit in unabsehbare Schwierigkeiten mit Ihren Kirchenhierarchien kommen“ (S. 145). Wird er wohl nicht, denn er hat himmlischen Beistand: Seinen sehr berühmten Mitbruder, den Theologen Pater Karl Rahner: Er hat zusammen mit dem katholischen Theologen Heinrich Fries (München) 1983 eine bedeutende Studie verfasst: Veröffentlicht ebenfalls in dem katholischen HERDER Verlag, mit dem alles sagenden Titel „Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit“. Also: Kircheneinigung ist JETZT möglich, alles offizielle katholische Gerede vom Warten und immer wieder weiter Beten usw… entpuppt sich klerikale Ideologie des konfessionellen Machterhalts. Theologie muss endlich Ideologie-Kritik werden. Dieses große Buch von Karl Rahner hat zwar 5 Auflagen erlebt, hat meines Wissens aber nicht den Verstand und das Herz der katholischen Hierarchie erreicht. Sie hielten diese großen Vorschläge „Ökumene JETZT“ für Theologengeschwätz. Es ist diese Ignoranz der Hierarchen gegenüber der Theologie, die so manchen erschüttert. Nur der Ungehorsam, siehe Luther, führt wohl in versteinerten Systemen ins Freie.
Die Ökumene stagniert, kaum noch jemand interessiert das und kaum noch jemand interessiert sich leidenschaftlich insgesamt noch für die Kirchen… Weil die katholische Hierarchie in ihrer dogmatischen Fixierung alles wirkliche Weiterführende in der Ökumene verbietet. Die Kirche selbst vertreibt die Gläubigen…wie damals, zu Luthers Zeiten!
Nun kommt also noch mal ein Vorschlag von Pater Mertes, zu sehr später Stunde möchte man sagen, wo sich die Kirchen in Deutschland tatsächlich leeren und nur noch die Kirchensteuergelder bestens fließen. Man kann nur hoffen, dass Pater Mertes nicht wie der Augustiner Pater Martin Luther gezwungen wird zu sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Bevor dies hoffentlich nicht passiert, sollte das Buch gelesen werden: Es behandelt selbstverständlich nicht nur dieses Thema.
Buchempfehlungen: Klaus Mertes, Antje Volmer, Ökumene in Zeiten des Terrors. Streitschrift für die Einheit der Christen. Herder Verlag 2016, 2169 Seiten.
sowie immer noch lesenswert und zur Praxis empfohlen: Karl Rahner und Heinrich Fries, Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit. Herder Verlag 1983. 156 Seiten.
Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin
Thomas Müntzer – der (fast) vergessene Reformator als Theologe der Revolution
Von Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin, 2016.
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Form in der Zeitschrift PUBLIK FORUM am 9. September 2016.
1.
Der erste „Theologe der Revolution“ war auch einer der ersten Liturgie-Reformer. Vor Martin Luther hat er bereits 1523 die Messe auf Deutsch gefeiert: Thomas Müntzer wollte seine Gemeinde in Allstedt (Südharz) von „magisch wirkenden“ Texten befreien, um zur Erkenntnis des wahren Gottes zu führen. Dabei sollte zur Gewissheit werden: Die auserwählten Christen sind im heiligen Geiste eins mit Gott. Diese mystische Erfahrung bestärkte seinen politischen Kampf. Darum unterstützte Müntzer auch in Allstedt die empörten Bauern und Tagelöhner: Sie wollten „den wohllebenden Mönchen keinen Zins zahlen“ und gründeten einen „Widerstandsbund“. Gegen die Allmacht der Herrscher hatte sich ihr Pfarrer schon andernorts heftig ausgesprochen. Müntzer gehörte selbst zu den Verarmten. Für sie war er „Der Knecht Gottes“.
In den deutschen Messen zu Allstedt wurden zwar noch die alten, gregorianischen Melodien – auf Deutsch – gesungen. Aber das Volk war begeistert und strömte zu den Predigten. Dass Thomas Müntzer gleich nach der Liturgiereform die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen heiratete, störte nur die katholischen Grafen der Umgebung.
2.
In seiner „Fürstenpredigt“ im Schloss Allstedt (13.7.1524) ermahnte er, biblische Propheten zitierend, Fürst Johann von Sachsen und die anderen: Sie sollten sich der Protest-Bewegung des Volkes anschließen. Denn das Volk habe bei seiner Unterdrückung ein heiliges Recht auf Widerstand. Wenn die Fürsten an ihrer Herrschaft festhielten, gelten sie als Gottlose, die das Volk bekämpfen und vernichten wird. Müntzer sah die Ursache allen Elends bei den Herrschenden.Wenn er Gewalt unterstützte, dann nur als Reaktion auf vorhandenes Unrecht der Fürsten und der Kirche bzw. Klöster. Dass “Gott die Mächtigen vom Thron stürzt”, wie das Magnificat Marias im Neuen Testament sagt, nahm Müntzer wörtlich! Er fühlte sich – mit den Ausgegrenzten – auf der Seite Gottes! So wie die Fürsten (und Luther) das Wort der Bibel wörtlich nahmen vom “Gehorsam der Untertanen unter (jede) Gewalt”…und dieses Wort rabiat durchsetzten um des eigenen Machterhaltes willen.
3.
Es ist bezeichnend, dass von Müntzer, diesem „theologischen Revolutionär“ (H.J. Goertz), kein authentisches Porträt überliefert ist. Im Vergleich zu zahllosen Luther-Porträts ein Beleg, wie heftig er auch von den Wittenberger Reformatoren ausgegrenzt wurde. Selbst sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt: Um 1489 wurde Müntzer in Stolberg (Harz) geboren. Biografische Details fehlen oft. Erst in den letzten Jahren wurde begonnen, eine kritische Gesamtausgabe seiner wenigen Bücher und zahlreichen Briefe herauszugeben. Er studierte Theologie in Leipzig und Frankfurt/Oder, 1513 wurde er zum Priester für das Bistum Halberstadt geweiht. Seit der Zeit, bis zu seiner Hinrichtung am 27. Mai 1525, war er ruhelos unterwegs, um für die Einheit von Mystik und Revolution einzutreten. In etwa 30 Städten, zwischen Prag und Braunschweig, Wittenberg und Basel, Zwickau und Frankenhausen, hat er sich aufgehalten, immer auf der Suche nach einer Predigerstelle. Müntzer ist der Heimatlose, überall wurde er verjagt und verfolgt.
3.
Seit 1521 ist der eine Mittelpunkt seines Denkens offensichtlich: Der heilige Geist wirkt in jedem Glaubenden; es gibt eine Gottunmittelbarkeit, der Klerus spielt dabei keine Rolle. Aus der Gottunmittelbarkeit folgt die grundlegende Veränderung der Gesellschaft und das Ende der Gewaltherrschaft der Fürsten. Und sogleich ergoss sich der öffentliche Zorn Luthers über ihn, den Müntzer seinerseits ebenso heftig beantwortete. Inzwischen haben, dank der Studien etwa von Hans-Joachim Goertz, die alt vertrauten Müntzer Klischees keine Chance mehr: Er ist weder der sozialistische Held des Bauernkrieges noch der „Erzteufel“, wie ihn Luther und seine Kirche lange Zeit hinstellte.
4.
Entscheidend ist heute: Müntzer war ein eigenständiger Reformator. Darum sollte 2017 über ihn umfassend diskutiert werden. Themen gibt es genug: Im Unterschied zu Luther galt ihm die je eigene, geistvolle Erfahrung des lebendigen Gottes alles. Er dachte oft wie die Mystiker des Dominikanerordens, vor allem Johann Tauler. Das Wort Gottes, auch die Lehre von der Rechtfertigung, waren für Müntzer nur ein äußerer Anstoß, Gottes Geist „in mir“ zu erleben. Und diesen Geist sah er im Widerstand der Armen politisch am Werke. Einzig dem Projekt „Reich Gottes auf dieser Erde am Ende unserer Zeiten“ wollte er dienen. Dabei dachte er wie andere Reformatoren apokalyptisch. Er sah im Aufstand des unterdrückten Volkes eine Art Notwehr. Denn einzig bei den Fürsten nahm die Gewalt ihren Anfang. Müntzer verteidigte „das Gewaltrecht der Guten“, also der leidenden Christen. Dass der staatskonforme Luther mit seiner Sympathie für die Fürsten letztlich auch nicht den Frieden förderte, ist eine Tatsache. Heute wünscht man sich, die vernünftigen Humanisten hätten mehr Einfluss gehabt in dieser apokalyptisch aufgewühlten Zeit. Vernünftiges Denken, Klarheit der Begriffe, Selbstkritik und philosophische Logik hatten bei dem Reformator Luther und seinem Kreis keine Chance. Und sie waren im Gefolge Augustins stolz darauf, Verächter der Philosophie und des Humanismus zu sein!
5.
Thomas Müntzer wurde schließlich im „Endkampf“ aufseiten der Bauern in Frankenhausen (11. Mai 1525) gefangen genommen und in Mühlhausen am 27.Mai 1525 hingerichtet. Luther, aber auch Philipp Melanchthon, stachelten die Fürsten sogar noch an, diesen “Unmenschen” Müntzer zu töten. Diese direkte Aufforderung zur Tötung eines andersdenkenden Reformators ist – aus heutiger Sicht – ungeheuerlich. Diese Mordaufrufe Luthers werden offiziell in lutherischen Kirchen überhaupt nicht “behandelt”. Der Müntzer Spezialist und Historiker Hans-Jügen Goertz schreibt: Luther stand explizit und kämpferisch aufseiten der Fürsten und warnte diese eindringlich vor Müntzer als dem “lügenhaften Teufel, Weltfresser, Schwindelgeist”. “Luther tilgte alle menschlichen, individuellen Züge Müntzers”(Goertz, S. 254). Noch schlimmer: “Luther ließt sich die Gelegenheit nicht nehmen, den Gotteslästerer und Aufrührer Müntzer literarisch hinzurichten, bevor das Urteil gesprochen war und der Henker sein Schwert erhoben hatte. …Luther unterdrückte jeden Zweifel an dem martialischen Abschlachten der fliehenden Bauern bei Frankenhausen. Luther wollte allen Regungen von Mitleid und Nachsicht zuvorkommen. Dem Teufel und dem Antichristen (Müntzer) durfte niemand mit Verständnisund Erbarmen begegnen” (Goertz S. 254 f.) “Seither, (also durch Luthers Polemik verursacht, CM) geistert die Kunde von dem Mordpropheten Müntzer durch die Zeiten…und die Deutschen haben gelernt, Nonkonformisten, Dissidenten und Revolutionöären mit Abscheu zu begegnen”. (Goertz, S. 257).
6.
Nur vereinzelt fällt heute sein Name unter den Theologen der Befreiung. Sie wissen wie er: Die Kirche muss mit den mit den Unterdrückten Gerechtigkeit realisieren, sonst bleibt all ihr Tun gottlos. Eine Kirche aufseiten des Staates, eine Kirche, die den Staat sozusagen automatisch unterstützt, noch schlimmer: eine Staatskirche, ist in dieser Sicht eine Art Gotteslästerung; siehe etwa auch die entsprechenden Verbrechen in katholischem Milieu in der Zeit der katholischen Franco-Diktatur in Spanien.
7.
Ob es im Reformationsgedenken (ab 31. Oktober 2016 ein ganzes Jahr lang) auch ein Müntzer-Gedenken geben wird, ob er eine Rolle spielen wird in den zahlreichen (evangelischen) Akademien-Veranstaltungen oder beim Kirchentag 2017, wäre zwar wünschenswert, ist aber angesichts dieser seiner „störenden Theologie“ eher unwahrscheinlich. Müntzers Theologie ist deswegen störend, weil mit ihm die ständige Staatsnähe des Luthertums (bis heute) kritisch diskutiert werden müsste. Müntzer würde heute von kirchlicher, also wohl christlicher Seite, diese Frage an die C-Parteien stellen: Seid ihr christlich, ihr so genannten Christlichen Parteien? Was soll dieses “C”? Diese Frage würde er angesichts des Umgangs mit Fremden und Flüchtlingen stellen, angesichts der von C Parteien nicht kritisierten und verhinderten Rüstungsproduktion, der geringen staatlichen Beiträge für eine unwirksame Unterstützung armer Länder, der zunehmenden Armut auch in Deutschland usw. Das Ergebnis wäre nicht nur für Müntzer niederschmetternd. Er würde wohl für die Streichung des “C” aus dem Titel der beiden Christlichen Parteien plädieren. Wäre auch ein hübsches Thema im Reformationsgedenken 2017…
Die „Thomas-Müntzer-Gesellschaft“ hat ihr Büro in Mühlhausen, dort erscheinen zahlreiche Studien. Etwa: Alejandro Zortin, “Thomas Müntzer in Lateinamerika.” 2010., 44 Seiten.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin
Luthers Bindung an die Fürsten: Die Sicht niederländischer Forscher
Wer sich mit der Reformation in den Niederlanden im frühen 16. Jahrhundert befasst, ist überrascht: Trotz zahlreicher Freunde und Sympathisanten Luthers in den Niederlanden (und Antwerpen) damals, hat die lutherische Form, Kirche zu sein, dort um 1520 und später keinen zahlenmäßigen Erfolg gehabt. Und das liegt daran, so die Autoren der Studie „Ketters en Papen onder Filip II.“ (herausgegeben vom Rikjsmuseum Het Catharijneconvent Utrecht, 1986), dass Luther 1531 etwa ausdrücklich die Antwerpener Lutheraner warnte: Sie sollten auf versteckte, aber der Öffentlichkeit bekannte Zusammenkünfte verzichten; sie sollten entweder völlig privat, in aller Stille ihre Gottesdienste feiern oder das Land verlassen und dort hin gehen, wo das Wort Gottes frei verkündet werden kann. „Dieser Standpunkt schließt ganz an Luthers Neigung an, Unterstützung zu suchen bei den Fürsten. So ist die lutherische Reformation fast überall das Werk der regierenden Fürsten gewesen. In Deutschland geschah die Reformation von oben nach unten, nach dem Willen und dem Beschluss der Landesherren. Und diese Fürsten behielten die Leitung bei der Sicherung des reformatorischen Geistes. In den Niederlanden war so etwas ausgeschlossen… Das niederländische Volk wandte sich mehr den radikalen Bewegungen der Wiedertäufer zu und später dem militanten Calvinismus“. (S. 45 im genannten Buch, Beitrag von J. Decavele).
Wir erinnern an diese starke Bindung Luthers an die Fürsten, um noch einmal seinen tiefen Hass gegen den sozial-orentierten Reformator Thomas Müntzer (und seine Forderung, dass die Fürsten ihn verhaften und verbrennen) deutlich zu machen.
Copyright: Christian Modehn
Mutter Teresa, die Heilige mit dem Burn-Out!
Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 27.8.2016
Eine Ergänzung am 1.9.2016: Die folgende Kritik an Mutter Teresa erscheint mir selbst noch viel zu milde, wenn man die Studien von Geneviève Chénard (2013) (“Les côtés ténébreux de Mère Teresa”) berücksichtigt oder die älteren Arbeiten von Christopher Hitchens oder die Hinweise des indischen Schriftstellers Aroup Chatterjee. Unser Beitrag bleibt dennoch lesenwert, weil er auf die seelischen Leiden der Mutter Teresa hinweist, die 50 Jahre dauerten und nicht “bearbeitet” wurden…
Am 4. September 2016 hat Papst Franziskus auf dem Petersplatz die katholische Ordensfrau Mutter Teresa (geb. 1910 in Skopje, gestorben 1997 in Kalkutta) heilig gesprochen. Nach katholischer Lehre ist sie nun nicht nur göttlich bestätigtes Vorbild für alle Katholiken. Sondern auch, „zur Ehre der Altäre erhoben“, wie die offizielle Lehre betont, ist Mutter Teresa für die bittenden Menschen, die sich an sie „wenden“, so etwas wie eine Art Beistand „an Gottes Thron“. Über dieses immer noch gültige römisch-katholische Denkbild ließe sich ausführlicher diskutieren im Jahr der Erinnerung an die Reformation… Mutter Teresa ist weltweit eine allseits bekannte Ikone der Barmherzigkeit. Und man freut sich natürlich, dass in dieser heutigen Welt der brutalsten Macht, diese Frau so viel Zustimmung findet. Und man freut sich doch auch, dass sie als Beispiel der Hilfsbereitschaft hoch gelobt wird. Sie ist als Heilige in jedem Fall viel sympathischer als etwa der heilige Gründer des internationalen Geheimclubs Opus Dei, Josemaria Escriva oder der fromme Scharlatan, der heilige Pater Pio in Süditalien.
Dennoch werden sich manche Leser, kritische Leser, fragen: Kann diese Nonne tatsächlich Vorbild sein, “heiliges Vorbild”, wie die katholische Presse jetzt ständig behauptet? Kann Mutter Teresa Vorbild sein in ihrer strikten Betonung einer Leidens”mystik”, von der Martin Kämpchen in der Jesuiten-Zeitschrift “Stimmen der Zeit” (2010) berichtete: “Daraus hat sich im Orden (Mutter Teresas) eine Leidensmystik entwickelt, in deren Mittelpunkt der gekreuzigte Christus steht. Wie Christus soll der Patient (in den Häusern Mutter Teresas) seine Leiden eher ertragen, anstatt zu versuchen, sie zu mildern”.
Mutter Teresa wird etwa in hinduistischen Kreisen Indiens als die „Mother“ wie eine Göttin verehrt und in der Kirche erinnern viele Darstellungen (Mutter Teresa mit sterbendem Kind usw.) an Marien-Darstellungen, etwa an die Pietà. Gibt es nun, katholisch gesprochen, gleich zweimal „die Mutter Gottes“? Noch einmal soll der Spezialist für indische Religionen und Spiritualitäten Martin Kämpchen zitiert werden: “Im christlichen Symbolbereich nähert sie (Mutter Teresa) sich der Madonna mit dem weiten Schutzmantel an, unter dem alle Platz finden; im Hinduismus sind es die Muttergottheiten Durga und Kali, die gerade in Kalkutta besonders verehrt werden. Mutter Teresas Resolutheit läßt an die Dämonen tötende Durga denken, ihre Barmherzigkeit verbindet sich mit der gütig-milden, schenkenden Neigung von Kali”. Die Frage ist, wie stark im hinduistischen Indien heute auf die Heiligsprechung Mutter Teresas reagiert wird: Ist sie vielleicht eine gemeinsame katholisch-hinduistische Heilige, wenn nicht “Mutter-Gottheit”? Wäre dieses interreligiöse “Mischung” der Heiligen dem Vatikan sympathisch und der “Lehre” entsprechend? Wird Papst Franziskus eine “multireligiöse Heilige” nun etablieren?
Für ihn ist eine heilige Mutter Teresa die stärkste Stütze für seine theologische Lieblingsidee, die Barmherzigkeit unter allen Umständen zu fördern. Universale Barmherzigkeit ist, hier nur nebenbei gesagt, etwas anderes als universale Gerechtigkeit. Es ist eine alte Erkenntnis, dass der Arme, dem Barmherzigkeit erwiesen wird (ein Stück Brot etwa als Geschenk erhält), zunächst dankbar ist; aber immer wieder nach der viel dringenderen Gerechtigkeit schreit. Ist Gerechtigkeit für alle primär? Gewiss doch! Auch dies ist ein anderes Thema.
Es ist keine Frage, dass Mutter Teresa und die von ihr gegründeten Ordensgemeinschaften viel Gutes getan haben und tun. Eben Barmherzigkeit zeigen, so, wie sie Barmherzigkeit verstehen: Die Ordensleute leben als Arme und den Armen, was in Indien für Ordensleute in ihren nicht gerade erbärmlichen Klöstern so selbstverständlich nicht ist. Und die Schwestern und Brüder Mutter Teresia kümmern sich um die Ärmsten, die Sterbenden, und bieten ihnen eine Art erste Hilfe an, sie kümmern sich auch um Obdachlose in Europa oder Leprakranke in Afrika. Das verdient Respekt. Keinen respekt verdient die allgemeine Abweisung von theologischer Reflexion oder die Zurückweisung, den Verbleib der vielen Spenden freizulegen, die diese armen Nonnen erhalten…
In jedem Fall werden nach dem 4. September 2016 noch mehr (katholische) Lobeshymnen auf die „Mutter“, die Nonne Teresa, gesprochen werden. Bei einem solchen Jubelfest, das einmal mehr die Strahlkraft des Katholizismus anzeigen soll, sind kritische Fragen natürlich für die Veranstalter deplaziert, um der umfassenderen Wahrheit willen jedoch wohl notwendig. Die Veranstalter von Heiligsprechungen ließen sich durch kritische Fragen allerdings nie stören. Und kritische Studien zur “Mutter” werden a priori abgewiesen, stammen sie doch, so meint man, von Feinden der Religion…Den “Medien” gar, wie etliche Prälaten sagen. Wie manche Schemata im Denken sich doch so durchsetzen bis in neue politische Gruppierungen hinein.
Trotzdem, in aller Kürze einige zentrale Tatsachen, die einer weiteren wissenschaftlichen Vertiefung bedürfen: Wird es eines Tages auch umfassend-kritische Studien über Mutter Teresa und ihren Orden geben und nicht nur die üblichen Heiligengeschichten? Wir fürchten bei den Verhältnissen: Eher nicht.
Tatsache ist: Mutter Teresa hat von theologischen Reflexionen niemals viel gehalten. Sie wollte nur fromm sein. Und dieses Modell einer theologiefernen Frömmigkeit hat sie ihren Ordenschwestern und Ordensbrüdern übermittelt, bis heute.
Mutter Teresa hat nie viel von medizinischen oder sozialwissenschaftlichen Kompetenzen für ihre Hilfszentren gehalten (von entsprechenden Studien für die Nonnen ganz zu schweigen).
Mutter Teresa hat angesichts des Elends der vielen Millionen Armen nicht von den gesellschaftlichen und politischen Ursachen der Armut gesprochen.
Mutter Teresa wollte nur persönlich helfen, eben nur „Barmherzigkeit” praktizieren. In persönlicher Hilfsbereitschaft sah sie als die Lösung der Probleme, nicht in politischer Aufklärung und politischer Arbeit.
Mutter Teresa hat, der Frömmigkeit des frühen 20. Jahrhunderts entsprechend, viel von Aufopferung, von persönlichem Selbstverzicht, gesprochen und diese Haltung auch total, möchte man sagen, gelebt.
Diese Selbstaufopferung als Selbstverzicht, als Verzicht auf die immer auch nötige Selbstliebe, ist wohl auch die Ursache für ihre lange dauernde tiefe seelische Erschütterung, man könnte sagen: seelische Krankheit (Depression).
Seit 2007 liegen die Tagebücher Mutter Teresa, post mortem, veröffentlicht vor. Ganz eindeutig ist: Mutter Teresa lebte über viele Jahre in tiefer spiritueller „Dunkelheit“, wie ihre Interpreten zugeben. Der Indien-Spezialist und Kenner der indischen Spiritualitäten, Martin Kämpchen, schreibt in der Jesuiten-Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ (2010): „Die Lektüre (der Tagebücher CM) belehrte mich, dass diese Dunkelheit die Ordensfrau Mutter Teresa tatsächlich fast 50 Jahre lang begleitet hat“.
Das heißt: Mutter Teresa lebte 50 Jahre, privat für sich allein, nur ihren Beichtvätern bekannt, in einem seelischen Zustand, den sie Gottesferne, ja Gottlosigkeit und Dunkelheit nannte. Ein etwas längeres Zitat: Schon am 3.9.1959 (!) notiert sie. „In meiner Seele fühle ich, dass Gott mich nicht will, dass Gott nicht wirklich existiert (Jesus, bitte vergib mir meine Gotteslästerungen – es wurde mir gesagt, ich soll alles aufschreiben). Diese Dunkelheit, die mich von allen Seiten umgibt – wofür arbeite ich? Wenn es keinen Gott gibt – wenn es keine Seele gibt, dann Jesus bist du nicht wahr. Der Himmel, welche Leere… Ich verausgabe mich selbst, doch ich bin mehr als überzeugt davon, dass das Werk nicht mein ist…Doch ich habe keinen Glauben, ich glaube nicht“ (in: Mutter Teresa, Komm sei mein Licht, Pattloch Verag, 2007, Seite 228 f). Diese Äußerungen Mutter Teresa werden von den vielen wohlwollenden Interpreten (es ist ja schwer, bei dieser heiligen Ikone, nicht rundum wohlwollend zu sein) als “dunkle Nacht” gedeutet. Damit wird Mutter Teresa eingereiht in die große mystische Tradition einer Theresa von Avila und eines Johannes vom Kreuz, auch sie sprachen ja in ihren wertvollen Büchern poetisch von ihren dunklen Nächten. Ob diese Verbindung zu den Mystikern des 16. Jahrhunderts so treffend ist, bloß weil auch Mutter Teresa ihren Zustand „dunkle Nacht“ nannte, ist fraglich. So wird Mutter Teresa jedenfalls “hoch gedeutet” und, so möchte man meinen, es wird übersehen, dass sie wahrscheinlich doch ein Burn Out, wie wir heute sagen, permanent erlebte, wenn sie nicht auch unter der Krankheit Depression litt. Das wäre selbstverständlich nicht schlimm, und es wäre für eine reife Gesellschaft auch nicht schlimm, dies öffentlich einzugestehen. Eine Krankheit ist keine Schande. Aber wenigstens den ständigen Burn Out öffentlich einzugestehen, passt der Kirche nicht; sie will ein bestimmtes Image von Mutter Teresa verbreiten. Und vor allem: Offenbar hat Mutter Teresa in all den langen Jahres ihres Burn Out bzw. ihrer Depression keine psychotherapeutische Hilfe bekommen. Psychotherapie (als “Erfindung von Sigmund Freud möglicherweise in katholischen Kreisen unbeliebt) stand offenbar außer Reichweite der Nonne Mutter Teresa. Sie wollte und musste wohl auch unter allen Umständen VORBILD sein, als eine Heilige wurde sie schon zu Lebzeiten bewertet und hoch “gespielt” möchte man sagen: Zudem: Wer unbedingt Vorbild sein will, sein muss, weil es übergeordenete Autoritäten wünschen, der bzw. die kommt schnell in psychische Verkrampfungen…
So wurde in katholischen Kreisen auch nicht über die Ursachen ihres 50 Jahre dauernden seelischen Leidens gesprochen. Auf Seite 228 in dem genannten Buch, erst post mortem pubiziert !, stehen, wie gesagt schon 1959 geschrieben, die entscheidenden Sätze Mutter Teresas: „Ich verausgabe mich…“ Und dann die Bitte, das Gebet, dass sie die ihr schon zu Lebzeiten zugewiesene Rolle der leibhaftigen Heiligen auch weiterhin erfülle: „Jesus, lass nicht zu, dass meine Seele getäuscht wird – UND LASS MICH NIEMANDEN TÄUSCHEN“.
Das heißt: Mutter Teresa wusste, dass sie auch bei ihren vielen internationalen Auftritten, bei Katholikentagen und bei den Reden zur Annahme des Friedensnobelpreises (1979), eigentlich die Leute „täuschen“ könne. Sie wusste: Ich sage öffentlich nicht das, was mein Inneres in der Tiefe wirklich bewegt. Sie sprach auch niemals über ihre möglicherweise politische Ahnung zu der himmelschreienden Ungerechtigkeit. Man darf nicht vergessen, Mutter Teresa war ja keine „dumme“ Nonne, sondern zuerst als Lehrerin und Nonne in einem vom Geist der Jesuiten geprägten Schulorden (“Loretto Schwestern”) tätig. Es gilt die Vermutung, dass Mutter Teresa als „Helferin der Sterbenden“ die unpolitische Rolle einer „Barmherzigen“ spielen musste. Solch ein “Heiligentyp”, eine absolut hilfsbereite Frau, wurde einfach in der katholischen Szene gebraucht. Wenn sie denn öffentlich “politisch wurde”, dann niemals als Kritikerin der Ursachen von Elend und Not. Etwa in Oslo, bei der Annahme des Friedensnobelpreises, sprach sie ausschließlich (!) und ständig von ihrer Kritik an der Praxis der Abtreibung in den bösen liberalen Gesellschaften. Darin folgte sie direkt ihrem großen Gönner, dem ebenfalls nun heiligen Papst Johannes Paul II. aus Polen. Und den Impulsen der Pro-Life-Bewegungen. Eine der wenigen kritischen Studien über Mutter Teresa hat der Theologe Werner Fischer verfasst, DTV 1985, jetzt, bezeichnenderweise, nur noch antiquarisch zu haben. Fischer weist darauf hin: Mutter Teresa ist Symbol für die „Inferiorität der Frauen in der Kirche (S. 177), sie war das „Ausstellungsstück konservativer Positionen“ , sie verbreitete in der Öffentlichkeit die These „Abtreibung ist schlimmer als Krieg“ (S.175). Auf das Festbankett zu ihren Ehren in Oslo 1979 verzichtete sie mit der Begründung “Ich bin nichts“! Und viele fanden diese Worte so heilig mäßig überragend und so prächtig-bewundernswert, weil sie nicht wussten: Diese Frau kann sich selbst eigentlich gar nicht lieben, sie kann sich nicht feiern lassen… Wenn sie sich öffentlich feiern ließ, dann nur als der selbst-vergessene und selbst-lose „Engel der Sterbehäuser von Kalkutta“.
Die Frage ist, ob auf diese seelische Befindlichkeit (also auch Krankheit) Mutter Teresas bei der Heiligsprechung hingewiesen wird. Dann gäbe es eine Chance, auch über die Selbstliebe als wesentlicher Form christlichen Lebens und vor allem: seelischer Gesundheit zu sprechen. Hat nicht Jesus gefordert, man solle „den Nächsten lieben WIE SICH selbst“ (Das würde ja bedeuten: Wer sich selbst nicht liebt, kann auch den anderen nicht lieben…)
Wenn Mutter Teresa hingegen als Vorbild katholischen Lebens, auch des Ordenslebens, heute hingestellt wird: Dann sagt man direkt: Leute, die sich total aufopfern, auf sich SELBST verzichten, sind heilig; Menschen, die auf Selbstliebe verzichten, sind heilig. Katholiken, die nur barmherzig und dabei total unpolitisch sind, die werden heilig. Wenn dies die Botschaft am 4. 9. 2016 wäre, dann wäre das ein großes theologisches und psychologisches Problem, vorsichtig formuiert.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon.
Zu viel Luther? Einige Fragen zum (Bücher) Kult um den Reformator
Eine Art Luther (- Bücher -) Boom hat gewisse Bereiche des kulturellen und religiösen Lebens in Deutschland erfasst: Claudia Keller hat im “Tagesspiegel” vom 23. August 2016 (Seite 6) für den Herbst etwa 50 neue Bücher über Luther gezählt, es werden nicht die (zeitlich gesehen) letzten sein. Der Reformator aus Wittenberg in allen nur denkbaren Variationen wird da “behandelt”. Nur einige Beispiele: “Luther für Eilige”, “Luther für Neugierige”, “Mensch Luther”, Luther der Rebell” und so weiter. Bald werden wohl diese Titel folgen: “Luthers liebstes Bier”, “Luthers Geheimrezepte”, “Luthers unbekanntes Liebesleben” usw. Man muss sich fragen: Haben die Autoren und die möglichen LeserInnen keine anderen Sorgen, als alle Details zum Reformator Luther zu verbreiten und zur Kenntnis zu nehmen? Soll ein neuer, aber ganz alter, nämlich spätmittelalterlicher “Nationalheld” etabliert werden? In Zeiten, in denen “die Nation” leider in sehr rechtslastigen Kreisen wieder zu wichtig genommen wird? Schwappt wieder einmal die Vorliebe für Sekundärliteratur über und vernichtet alle Lust, Luthers eigene Werke selbst zu lesen? Und vor allem: Welche geistigen und theologischen Energien werden fest gelegt, wenn sich im Reformationsgedenken 2017 dann doch offenbar alles um Martin Luther dreht? Erwartet die Welt, um es einmal großspurig zu sagen, erwartet die Welt heute inmitten von Kriegen, Aggressionen, von Mord und Todschlag und Verhungernlassen ganzer Städte, von Erdulden der Herrschaft von Diktatoren, von Verzweiflung weiter Kreise der Menschheit usw. usw. wirklich, dass sich große Verlage und viele tausend Leser so hyper-intensiv mit Luther befassen? Da sage “man” bitte nicht, alle diese großen entsetzlichen Probleme der Menschheit von heute fänden doch in Luthers Büchern eine Antwort. Etwa gar in seiner eher grausigen augustinischen Lehre von der Erbsünde und der angeblich daduch total verdorbenen menschlichen Vernunft? Zudem: Ist der massive, kommerziell bedingte Bücherboom zu Luther vielleicht eine umgekehrte Fortsetzung des Ablasshandels? D.h. Wollen sich Autoren (und Verlage) frei kaufen von der Notwendigkeit und in unserer Sicht der Pflicht, einen einfachen, einen elementaren, modernen und nachvollziehbaren und berührenden Glauben zu formulieren – jenseits der alten Formeln und dogmatischen Floskeln, die heute selbst sehr nachdenkliche Menschen beim besten Willen nicht mehr verstehen und mitvollziehen können. So versteckt man sich in Theologenkreisen angstvoll in der ewigen Luther-Interpretation, anstatt einen modernen christlichen Glauben neu vorzuschlagen; selbstverständlich auch in einer neuen, entstaubten Kirche. Darum macht man es sich mit dem Bücher-Boom und den bevorstehenden Festivals im Reformationsgedenken 2017 wohl zu einfach, zu bequem. Wem ist damit gedient, d.h.spirituell “geholfen”? Ist das nicht alles Spektakel? Wer fragt, inwiefern und warum die römische Kirche immer noch – 500 Jahre nach der Reformation – an den “Skandalthemen” Luthers festhält, wie Ablasswesen, Klerikalismus, Ablehnung einer synodalen Struktur der Kirche, Zölibat, Unfehlbarkeit des Papstes usw.? Gibt es da Grund zum Feiern? Anstatt diese Fragen zu stellen: Schreibt man lieber Bücher, die Luther als den “Propheten der Freiheit” feiern, vielleicht bloß der inneren, der geistigen Freiheit? Wer schreibt über die grausigen Kämpfe und Attacken zwischen Lutheranern und Calvinisten bis ins 18. Jahrhundert? Merkwürdig ist zudem, dass bis heute der Augustinerorden, dem Luther bekanntermaßen angehörte, nicht die minimalste Äußerung zu seinem “Mitbruder” Martinus publiziert hat? Ist dem Augustinerorden dieser Mitbruder Martinus nur peinlich? Stört er das Ordensleben? Wenn ja, wie? Dazu würde man doch gern etwas vernehmen: “Katholisches Ordensleben heute trotz Luther”
Wenn man sich schon als philosophischer Religionskritiker mit Reformatoren von einst befassen will, dann empfehlen wir zwei unterschiedliche Reformatoren, die im Luther-Rausch der offiziellen Kirche natürlich, möchte ich fast sagen, untergehen und ins Vergessen gedrängt werden. Ich meine den Reformator und Theologen Thomas Müntzer und den Reformator und Theologen Jacob Arminius. Sie können den Namen klicken und werden zu weiterem kritischen Fragen und Nachdenken weiter geführt… über Luther hinaus, natürlich.Und dann wird man doch auch wieder sich Erasmus von Rotterdam zuwenden, dem moderaten, philosophisch gebildeten Theologen, der genau wusste: Auf eine kluge, man möchte sagen, vernünftige Reduzierung dieses ganzen Dogmen-Balastes des Christentums kommt es, also auf ein zeitgemäßes “Wesen des Christentums”. Dieses Projekt wird in Deutschland, von der “neuen liberalen Theologie” abgesehen, nicht bearbeitet. Wäre aber der wichtigste Beitrag im Luther-Jahr.
PS: Zu einem leider wenig beachteten Aufsatz über Erasmus: “Erasmus und sein Gott” des polnischen Philosophen Leszek Kolakowski, 1965 erschienen. Noch nachzulesen in: L.K.: “Geist und Ungeist christlicher Traditionen”, dort S. 44 bis 58. Merken wir uns, im Blick auf den in dieser Hinsicht völlig verstörten Luther, der der Vernunft und damit der Philosophie nichts zutraute: Kolakowski schreibt über Erasmus` Lehre: “Es ist nicht wahr, dass die Natur und die natürlichen Fähigkeiten (also die Vernunft) durch den Satan monopolisiert sind…Ein durch Gott geschaffener Mensch kann nicht einfach nur böse sein” (S. 51). Das Böse, vorhanden, muss nicht über die Erbsünde im Sinne Luthers verstanden werden. Solche Mythen braucht der heutige Mensch nicht, der weiß, dass Freiheit immer “böse Dimensionen” hat…Wie sehr Luther mit seiner Polemik das allgemeine “Licht” der Kultur verdunkelt hat, mit unabsehbaren Folgen: DARAN muss man sich erinnern im berühmten Reformationsgedenken 2017! Und sich von diesem Aspekt Luthers befreien.
copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin
Die reaktionären Piusbrüder sind bald wieder offiziell römisch-katholisch.
Die Reaktionären setzen sich durch: Die Piusbrüder sind bald wieder offizieller Teil der katholischen Kirche.
Ein Hinweis von Christian Modehn.
Ein aktueller Hinweis am 17.10.2016: Oberster Traditionalist beim Chef der Glaubenskongregation: So berichtet die Tageszeitung La Croix am 14.10.2016: Le supérieur de la Fraternité S. Pie X. a rencontré le préfet de la Congrégation pour la doctrine de la foi. Mgr Bernard Fellay, supérieur de la Fraternité sacerdotale Saint-Pie-X (FSSPX), a été reçu jeudi 13 octobre pour la deuxième fois par le cardinal Gerhard Ludwig Müller, préfet de la Congrégation pour la doctrine de la foi. Peu avant cette rencontre, le chef de file des lefebvristes a brièvement rencontré le pape François, a indiqué la fraternité.
Die Versöhnung macht also Fortschritte!
Am 12.5. 2017 veröffentlichte ich einen Beitrag, der sich auf den Besuch von Papst Franziskus in Fatima bezog:
Piusbrüder und Traditionalisten mit Rom versöhnt?
Ein Hinweis von Christian Modehn am 12. Mai 2017
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Wir beziehen uns auf den aktuellen Beitrag in La Croix vom 12.5. 2017: http://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/France/En-France-FSSPX-releve-fonctions-pretres-resistants-rapprochement-Rome-2017-05-12-1200846684
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Wird sich Papst Franziskus bei seinem Aufenthalt am 13.Mai 2017 im portugiesischen Wallfahrtsort Fatima mit den Traditionalisten offiziell versöhnen? Das ist die viel diskutierte Frage. Wird diese Versöhnung dann förmlich Maria gut geschrieben, die dort genau vor 100 Jahren, angeblich persönlich, ausschließlich drei Hirtenkindern vom Himmel herab erschien und allerlei Geheimnisse hinterließ, die peu à peu von den Päpsten veröffentlicht werden.
Die katholische Tageszeitung „La Croix“ aus Paris, oft sehr gut informiert über römische Interna, hält diese Versöhnung Roms mit den Erzreaktionären (den Piusbrüdern und ihren Gemeinden) am 13. Mai 2017 für möglich, so in einem Beitrag vom 12. 5. 2017. Der Papst denkt daran, diese Herrschaften in die Kirche wieder als volle Mitglieder aufzunehmen und ihnen den kirchenrechtlichen Status eines „Prälatur“ zu verleihen, die direkt dem Papst unterstellt ist und in die Bischöfe vor Ort nicht hineinreden dürfen. Diese exklusive rechtliche Struktur gilt auch seit Jahren schon für den internationalen mächtigen Geheimclub OPUS DEI.
Die Annäherungen der offiziellen römischen Kirche und der eigenständigen, schismatischen Traditionalistenkirche dauern schon einige Zeit, wir haben auf dieser website darüber berichtet. Papst Benedikt XVI. hat die vier Traditionalistenbischöfe von der Exkommunikation befreit. Papst Franziskus, der angeblich progressive oder auch der Taktierer mit den reaktionären Kräften im Vatikan, wer weiß, hat erst kürzlich noch erlaubt, dass die Eheschließungen durch Pius-Brüder-Priester auch vom Vatikan als gültig anerkannt werden. Das sind Kleinigkeiten für Außenstehende, haben aber einige Bedeutung als Gesten der Annäherung. Bezeichnenderweise haben sich einige Hardliner unter den Piusbrüdern gegen diese Vereinnahmung durch Rom ausgesprochen, auch darüber berichtet La Croix.
Diese Versöhnung von Vatikan und reaktionären Piusbrüdern ist keine politische und theologische Kleinigkeit. Denn deutlich wird: Im Vatikan gibt es viele einflussreiche Kardinäle usw., die mit diesen Piusbrüdern sympathisieren und deren Theologie, die im Jahre 1950 abbricht, richtig finden. Das wirft ein bezeichnendes Bild auf die Verfassung der römischen Kirche. Sie ist viel konservativer als alle Ökumene Dokumente der wenigen aufgeschlossenen Vatikan-Herrscher ahnen lassen. Rom bleibt Rom, da hat sich seit Luther fast nichts verändert. Man glaubt an Marien-Erscheinungen wie in Fatima und findet die alte Messe aus dem 16. Jahrhundert, wie sie die Piusbrüder still vor sich hin lesen, manche sagen brabbeln, ebenfalls toll. Man darf auch nicht vergessen, dass Rom seit 30 Jahren versucht, die Traditionalisten zu spalten: Rom hat eine eigene, mit dem Papst versöhnte Priestergemeinschaft gegründet, sie heißt bezeichnender weise Petrusbruderschaft: Ihre Mitglieder denken wie die Traditionalisten, bekennen sich aber formal zum Papsttum und zu einigen Aspekten des 2. Vatikanischen Konzils. So haben reaktionäre Traditionalisten längst Einfluss in Rom und der ganzen Kirche.
Aber wird es nun wirklich zur Versöhnung mit den Leuten kommen, die ihren Führer in Erzbischof Marcel Lefèbvre sehen? Denjenigen, der die Konzilsbeschlüsse nicht akzeptierte (etwa die Anerkennung der Religionsfreiheit und die Ablehnung der Kirche, Juden zu missionieren) und mit der unerlaubten Weihe von Bischöfen eine eigene Kirche schuf? Genaues wird wie üblich auch jetzt nur angedeutet. Journalisten fühlen sich in dieser Pressepolitik des Vatikans etwas an den Hof Ludwig XIV. erinnert.
Der Vatikan und die schismatischen Piusbrüder als Anführer der traditionalistischen Theologie und damit verbunden der Vorliebe für reaktionäre Politik (Marine Le Pen ist mit der Traditionalisten-Gemeinde St. Nicolas du Chardonnet in Paris als Mitglied verbunden) lieben das dunkle Reden, das Vermuten, das Andeuten, wenn es um die Frage geht: Wann integriert denn der Papst den zahlenmäßig eher überschaubaren Kreis der Traditionalisten mit der römischen Weltkirche? Seit 1988 bilden die unabhängigen Gemeinden der Piusbrüder förmlich eine eigene katholische Kirche, trotz aller Behauptungen der Piusbrüder, nur 100prozentig katholisch zu sein.
Wenn es zur Integration der reaktionären Piusbrüder in die katholische Kirche kommt, rückt diese römische Kirche noch mehr nach rechts und entfernt sich von der Ökumene und dem Dialog mit der modernen Welt. Man denke daran, dass Bischof Lefèbvre in seiner pauschalen Verurteilung immer “die Protestanten, die Liberalen, die Demokraten, die Freimaurer, die Sozialisten” explizit und ständig giftend verurteilte. Rom, mit den Traditionalisten vereint, entzieht sich dem Respekt einer kritischen demokratischen Öffentlichkeit noch mehr. Ob das Papst Franziskus weiß? Warum will er diese Brüder um sich haben? Die Antwort ist in dem klerikalen System der römischen Kirche klar: Diese Piusbrüder haben in Europa noch viele junge Priester, im Unterschied zu offiziellen römischen Kirche. Von Polen abgesehen, will fast kein junger Mann in Europa noch Priester werden. Die Piusbrüder garantieren die Vorherrschaft des Klerus, wie dies schon die konservativen Neokatechumenalen Priester, die Legionäre Christi und andere alles andere als moderne Kreise und Orden tun.
Katholizismus und Moderne passen überhaupt nicht zusammen. Das begreifen leider nicht sehr viele. Aber das bestätigen diese Vorgänge, selbst wenn es in Fatima jetzt noch nicht zur Versöhnung kommen sollte.
Copyright: Christian Modehn
Der Beitrag von September 2016:
Religionen verändern heute – wie immer schon – auch inhaltlich ihre Schwerpunkte. Religiöser Wandel ist niemals nur Wandel im äußeren Erscheinungsbild. Diese „inneren“ religiösen Entwicklungen betreffen dann aber auch das Zusammenleben in der Gesellschaft. Jetzt ist es absehbar, dass die theologisch reaktionäre, auch politisch, ethisch, philosophisch reaktionäre, „Priesterbruderschaft Sankt Pius X.“ wieder offiziell in die römisch-katholische Kirche integriert wird. Das ist auch politisch und sowieso auch religionsphilosophisch eine wichtige Neuigkeit, die das „Gesicht“ der römischen Kirche langfristig verändern wird. Deswegen lohnt es sich auch für philosophisch Interessierte, sich mit dieser bevorstehenden Integration der Reaktionären auseinanderzusetzen. Wir gehen in unserem Religionsphilosophischen Salon davon aus, dass die Grundbegriffe und die wichtigen Daten zu den Piusbrüdern bekannt sind bzw. leicht nachgelesen werden; beschränken uns also weitgehend auf die aktuelle Entwicklung (Stand 3.8.2016). Die populäre, aber naive Meinung, der Katholizismus sei doch „modern“ bzw. werde immer „zeitgemäßer“, wird nun einmal mehr als Irrtum erscheinen. Das wahrzunehmen, gehört zu den Aufgaben religionsphilosophisch Interessierter. Denn Philosophien und Religionswissenschaften in ihrer Distanz zu den katholischen Institutionen sind viel mehr als die institutionell nun einmal von Amts wegen immer kirchen/obrigkeits-abhängigen Theologen in der Lage, eine freie und objektive Analyse zu bieten.
Der Zeitpunkt ist interessant: Im Vorfeld der Reformationsfeierlichkeiten und hoffentlich umfassenden theologisch-philosophischen Besinnungen auf Luther und die anderen Reformatoren stellt die katholische Kirche jetzt deutlich wieder ihr konservativ- römisches Profil in den Mittelpunkt. Dass es wieder Ablässe gibt und dafür ganz ausdrücklich geworben wird, dass der Marienkult blüht und die Heiligenverehrung auch unter Papst Franziskus, ist allgemein bekannt. Nun aber geht es um die Integration (das ist mehr als „Versöhnung“) der Piusbrüder in die offizielle Kirche: Es ist jene inzwischen international verbreitete traditionalistische Gemeinschaft, die sich auf Erzbischof Marcel Lefèbvre (1905 – 1991) als „Gründergestalt“ beruft.
Zur Erinnerung: Erzbischof Lefèbvre hatte drei Feinde der Religion und des Staates (an Demokratie dachte er nicht!) immer wieder benannt: „Die Protestanten, die Sozialisten, die Freimauer bzw. die Liberalen“. Religionsfreiheit war für ihn, den Päpsten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts treu folgend – ein Wahnsinn, der zur Zerstörung der menschlichen Kultur führe genauso wie auch die Ökumene und der Dialog der Religionen schädlich seien. Daran halten die Piusbrüder und ihre weltweiten Gemeinden bis heute selbstverständlich fest.
Lefèbvre wurde aber 1988 exkommuniziert, nicht etwa wegen seiner Lehren, sondern weil er ohne päpstliche Erlaubnis vier seiner Priester zu Bischöfen weihte. Ungehorsam gegen den Papst wiegt also schwerer als Verdammung der Religionsfreiheit und Demokratie…
Die Kreise, die sich um ihn international scharten, es sind wahrscheinlich 150.000 weltweit, wurden –bis vor einigen Jahren – von Rom eher wie eine Sekte außerhalb der römischen Kirche behandelt und eben eher rechts liegen gelassen. Rom gründete die konservative Konkurrenz „Petrusbruderschaft“ (Wigratzbad) wohl in der Meinung, dass die Leute um Lefèbvre für Rom sowieso wohl für Rom „verloren“ sind… Über die Nähe etwa der französischen Traditionalisten bzw. Piusbrüder zu den Parteien des Rechtsextremismus (Le Pen und co.) ist viel, auch im Religionsphilosophischen Salon geschrieben worden. Interessant ist auch immer noch der Beitrag von 2009, der auf Verbindungen Lefèbvres zu Pinochet, Franco, Salazar hinweist: „A l extreme droite de Dieu“,http://www.resistances.be/fsspx01.html
Aber Papst Benedikt XVI. selbst sehr konservativ, meinte es gut mit den Reaktionären und hob die Exkommunikation der Lefèbvre Bischöfe auf. Und jetzt? Seitdem Papst Franziskus Erzbischof Guido Pozzo als Sekretär für den Dialog mit dieser traditionalistisch-reaktionären Gemeinschaft bestätigt hat, wird die Intergration betrieben. Zwischendurch hatte Papst Franziskus schon für einen gewissen „Dialog“ gesorgt, als er seinen Katholiken die Beichte bei einem eigentlich schismatischen Lefèbvre- Priester als gültiges Sakrament gestattete. Zudem hat er den Chef der Bruderschaft, Bischof Bernhard Fellay, in Privataudienz empfangen. Papst Franziskus will ausdrücklich einen freundschaftlichen Dialog mit den Traditionalisten, wie Bischof Pozzo in einem ausführlichen Interview mit der Zeitung „Christ und Welt“ vom 28. Juli 2016, Seite 5, darlegt.
Nur so viel aus dem ausführlichen Interview, das Julius Müller-Meiningen führte: Es werden jetzt gezielt in Rom Schritte unternommen, die „zur vollen Aussöhnung mit den Traditionalisten“ führen, so Pozzo. Rom scheint beruhigt zu sein, dass der bekannte antisemitische traditionalistische Bischof Richard Williamson aus der der Pius-Bruderschaft 2012 (von dieser) ausgeschlossen wurde. Ob antisemitische, xenophobe und homophobe Kreise – etwa in Frankreichs traditionalistischen Gemeinden – noch bestehen, scheint den Vatikan nicht zu interessieren. Zentraler Punkt in der Integration der Reaktionären ist die Deutung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es wurde bisher von ernstzunehmenden Theologen immer als Reformkonzil, als Neubeginn, wenn nicht als „Einschnitt“ in der theologischen Entwicklung gedeutet. Diese Theologen, wie Küng, Schillebeeckx, Rahner usw. sahen darin vernünftigerweise einen Ausdruck von Leben und geistvoller Lebendigkeit. Früher verdammten Päpste die Religionsfreiheit, im Konzil wird sie gelobt. Früher verdammten Päpste die Reformation, nun wird Ökumene offiziell gepflegt. Wenn das kein Einschnitt, kein Bruch, kein Neubeginn ist? Aber Rom liebt heute wieder das Starre und Ewige, das Depositum, den uralten Text usw. mehr als die Lebendigkeit und die zum Leben immer gehörende Veränderung. Über die psychischen Strukturen solcher erstarrter Bürokraten hat Erich Fromm Wichtiges geschrieben und sie treffend als Nekrophilie, Liebe zum Toten und Erstarrten, gedeutet…
Aber Pozzo und mit ihm wohl auch der Vatikan behaupten stur: Das Zweite Vatikanische Konzil liegt ganz auf der Linie der früheren Konzilien und der Tradition, die ja bekanntlich das römische Lehramt festlegt. Also: Ökumene, Religionsfreiheit, Toleranz gehören gar nicht ins Zentrum katholischen Glaubens. Deswegen können die Piusbrüder auch guten Gewissens dieser römischen Kirche wieder beitreten. Denn sie halten – wie gesagt – gar nichts von Ökumene, Religionsfreiheit, Toleranz…Vielleicht gelingt dann eine hübsche Ökumene der Piusbrüder mit den fundamentalistischen Muslims und den Wahabiten… Dies als kleiner, nicht ganz falscher Scherz zur Auflockerung dieser trübsinnigen Entwicklung.
Wenn die Integration der Piusbrüder also zustande kommt, und wenig spricht in römischer Sicht dagegen, dann wird also Profil der römischen Kirche selbst unter Papst Franziskus wieder reaktionärer. Denn er will ja diese Piusbrüder wie eine Art katholischer Sondergemeinschaft, als „Prälatur“, wie das ähnlich organisierte Opus Dei, IN die römische Kirche integrieren. Noch einmal: Für Erzbischof Pozzo vom Vatikan sind die Lehren vom Dialog und der Religionsfreiheit, die das Zweite Vatikanische Konzil einschärfte, „nicht Glaubenslehren oder definitive Aussagen, sondern bloß Anweisungen oder Orientierungshilfen für die pastorale Praxis. Über diese pastoralen Aspekte kann auch nach der kanonischen Anerkennung (der Piusbrüder, also ihrer definitiven Integration in die römische Kirche) weiter diskutiert zu werden, um sie einer Klärung zuzuführen“. Soweit Pozzo. Nebenbei: “Pastoral” heißt in vatikanischer Bedeutung immer: “weniger wichtig”, “relativ”…Diese Worte Pozzos muss man sich förmlich auf der Zunge zergehen lassen: Sind denn nicht Religionsfreiheit und Ökumene ein für allemal beschlossene Sache auch unter Katholiken? Was soll denn da noch weiterdiskutiert werden mit den reaktionären Piusbrüdern? Ja, es kann weiter diskutiert, damit auch relativiert werden zur Ökumene und Religionsfreiheit, so Pozzo… Hingegen, so meint er, darf überhaupt nicht im entferntesten “die Sakramentalität der Bischöfe” (also die Klerus-Vorrangstellung) und “die Lehre über den Primat des Papstes und des Bischofskollegiums” diskutiert werden, so in der 3. Spalte des genannten Artikels in „Christ und Welt“. Noch einmal: Katholisch ist für diesen Herrn, wer an den Primat des Papstes glaubt und an den gottgewollten Vorrang des Klerus. Alles andere, Menschlichkeit, Toleranz, Religionsfreiheit, Liberalität, Ökumene ist verhandelbar, also auch einzuschränken. Kann man im Ernst theologisch so tief sinken, fragen Mitglieder des Religionsphilosophischen Salons? Welche Schande auch, wenn Pozzo ausdrücklich eine „Anpassung an irgendeine Kultur der Gegenwart“ zurückweist (5. Spalte im genannten Artikel). Die Anpassung an sein Luxusleben im Vatikan und anderswo wird er wohl gern genießen…Dass Papst Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Konzils immer wieder zustimmend vom aggiornamento der Kirche sprach, wird unterdrückt von diesen Klerikern. Aggiornamento heißt ja wohl Anpassung. Papst Johannes XXIII. ist wohl nun ein Ketzer, wenn er ausdrücklich Anpassung der Kirche wünschte.
Das Zweite Vatikanische Konzil ist nun in römischer Sicht eines von vielen Konzilien, Teil einer großen Tradition, die sich Erzbischof Pozzo allerdings hütet, genauer zu beschreiben: Denn dann würde er das ganze Grauen dieser Tradition sehen: Päpstliche Macht in einem korrupten Staat, Hexenverfolgung, Ketzerverbrennung, aggressive Mission, Frauenunterdrückung usw.
Was sind die tieferen Gründe für das Versöhnungsbedürfnis des Papstes mit diesen Kreisen? Eine praktische Antwort: Bei einer immer noch auf den Klerus fixierten römischen Kirche gelten alle Kreise sehr viel, die noch viele junge Priester „stellen“ können, das sah man etwa, als der hoch umstrittene Orden „Legionäre Christi“ mit seinem verbrecherischen Gründer Marcial Maciel eben NICHT aufgelöst wurde. Warum? Weil die Legionäre Christi immer noch viele junge Priester haben. Zur Piusbruderschaft gehören heute 600 (meist jüngere) Priester und 200 Seminaristen. Diese könnten doch den allgemeinen Mangel an Priestern gut „beheben“ und man bräuchte nicht über eine Aufhebung des Zölibates nachzudenken.
Eine theologische Antwort: Es ist für den Vatikan unerträglich, dass es noch eine weitere (kleine) Kirche gibt, die sich auch katholisch nennt und das Papsttum als solches so liebt und die Traditionen, die Rosenkränze, die Sühneandachten, das Sich Aufopfern für Maria usw… Diese Konkurrenz ist für eine große Kirche, die alles auf Uniformität und Einheit setzt, unerträglich.
Journalisten und Theologen sollten sich wirklich mal die Mühe machen und das offizielle Mitteilungsblatt der Piusbrüder etwa in Deutschland lesen, das „Mitteilungsblatt Omnia instaurare in Christo“ („Alles in Christus wieder aufrichten“). In der Ausgabe vom Juli 2016 ist ein Vortrag des Piusbruderchefs Bischof Bernard Fellay vom 1. Mai 2016 publiziert. Darin bestätigt Fellay die Aussagen des vatikanischen Erzbischofs Pozzo. Fellay betont: „Kürzlich durften wir in Rom zum ersten Mal hören, dass wir das (Zweite Vatikanische) Konzil nicht mehr akzeptieren müssen. Stellen Sie sich das vor: das ist enorm. Man sagte uns: Sie dürfen bei Ihrer Meinung bleiben…Man sagt uns: Das Konzil ist nicht verpflichtend, man muss niemanden zur Annahme des Konzils zwingen, um katholisch zu sein...Man sagt uns: Das Konzil ist nicht doktrinal (von der Lehre her maßgebend), es ist pastoral. Das ist ungefähr das, was wir selbst immer gesagt haben…“ (Seite 24 f. in dem genannten Heft der Piusbrüder). Aber: Für die Piusbrüder ist diese Entwicklung noch kein „Triumph, „es handelt sich um eine neue Phase im Krieg (mit Rom)“, so der Traditionalisten Chef Fellay wörtlich (Seite 25)
Die Traditionalisten fühlen sich nach wie vor so stark und selbstbewusst, dass sie in ihren Heftchen und Publikationen heftig Papst Franziskus kritisieren, etwa sein Schreiben „Amoris laetitia“. Dieses stelle „einen Dammbruch dar, der die gesamte katholische Morallehre in Frage stellt“, so der Piusbruder Pater Matthias Gaudron, im Mitteilungsheftchen vom Juni 2016, Seite 33.
Aber im Vatikan selbst gibt es bedeutende Stimmen machtoller Kleriker, die ähnlich denken. Von daher sind solche Attacken der Piusbrüder gegen den Papst nicht hinderlich für die bevorstehende Integration.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
