Reden von Gott und von dir selbst: Über Theologie und Autobiographie

Der Religionsphilosophische Salon und das Forum der Remonstranten Berlin am 27. November 2015 um 19 Uhr in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 in Wilmersdorf:

Reden von Gott und von dir selbst: Über Theologie und Autobiographie

Ein Abend mit dem Theologen und Kulturwissenschaftler Prof. Johan Goud aus Den Haag

Leider ist der Religionsphilosophische Salon am 27.11. 2015 AUSGEBUCHT. Alle bisherigen Anmeldungen (bis zum 24.11.) werden selbstverständlich berücksichtigt. Bitte um Verständnis, aber 1. sind die Raum – und Sitzzplatzkapazitäten begrenzt. Und 2. soll im Salon die Gesprächsmöglichkeit unbedingt – bei kleinerer Anzahl der TeilnehmerInnen – erhalten bleiben.

Gott und die Seele möchte ich kennen lernen, sonst nichts’, so Augustin (356-430), der vielleicht grösste Denker in der Geschichte des Christentums – er schrieb seine Confessiones in denen er diese beiden Themen mit einander verbunden hat. In diesem Vortrag geht es um die Verbindung von Autobiographie und Theologie unter heutigen Bedingungen. Der Vortragende ist Theologe der protestantischen Kirche der Remonstraten in Holland mit großem Interesse an Literatur und Kunst, in denen das Autobiographische fast immer mitspielt.

Der Vortrag ist in deutscher Sprache.

Der remonstrantische Theologe Johan Goud ist Autor des Buches „Onbevangen. De wijsheid van de liefde“, „Unbefangen. Die Weisheit der Liebe“. Erschienen 2015 bei Meinema, Holland.

In einem Beitrag in der Zeitschrift ADREM (Mai 2015) erläutert Peter Korver das Buch: „Einerseits wird darin die solide theologische Kenntnis deutlich, andererseits wird nach einer Verbindung mit der modernen Kultur gesucht, besonders in der Kunst und der Literatur. Johan Goud beschreibt sich als jemand, der sein Leben lang versucht hat, tief das Wort Gott zu verstehen. Er sagt selbst: “Ich bin ziemlich sicher, dass das Rätselwort Gott von einer Wirklichkeit beantwortet wird, einer Wirklichkeit, die in letzter Hinsicht unbegreiflich ist, die aber in den Menschen wohnt und die es anstellt, dass die Menschen tun, was sie tun, zum Schlimmen, aber auch zum Guten. Das Wort Gott selbst brauchen Menschen dabei nicht einmal auszusprechen“.

Peter Korver fährt fort: Dabei ist der Titel des Buches „Unbefangen“ wichtig: Es geht um eine unbefangene Weise des theologischen Denkens, weg von Dogmen und Konventionen, das ist keine einfache Sache. In der Kunst, der Literatur und der Mystik gibt es Raum für diese Unbefangenheit. Gott ereignet sich in Gedichten oder in der Musik, aber auch zuweilen unerwartet in Reflexionen. Was wird dabei entdeckt? Das Überraschende und Ergreifende ist, dass nicht du am Suchen und am Finden von Antworten bist. Es ist eher umgekehrt. Du entdeckst, dass du gefunden wirst durch das, was du suchst und findest. Dieser Wechsel (Umschlag) ist wesentlich, er wird von Goud Liebe genannt.

Diese Denkhaltung ist etwas anderes, als wenn in Untersuchungen Gott als ein etwas objektiviert wird und beurteilt wird.

Der Untertitel des Buches verweist auf den Philosophen Emmanuel Lévinas, mit dessen Denken sich Goud schon sehr früh befasst hat.

Johan Goud, Jahrgang 1950, geboren in Dordrecht, NL, studierte Theologie und Philosophie in Amsterdam und Tübingen, Promotion in Leiden (NL) über den jüdischen Philosophen Immanuel Lévinas. Goud ist Pfarrer in verschiedenen Gemeinden der liberal-theologischen, „freisinnigen“ Remonstranten Kirche, zuletzt in Den Haag, dort auch Initiator einer religionsphilosophischen Akademie. Die Remonstranten sind ja bekanntermaßen die einzige christliche, protestantische Kirche, (Mitglied im „Weltrat der Kirchen“ in Genf), die ihre Mitglieder nicht zu einem festen überlieferten Glaubensbekenntnis auffordert. Jeder Remonstrant ist eingeladen, sein eigenes, individuelles Glaubensbekenntnis zu sprechen und mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Die Remonstranten haben als erste christliche Kirche schon 1987 homosexuellen Paaren – gleich welcher religiöser Herkunft – in ihren Kirchen die Segnung der Partnerschaft, der Ehe angeboten, bis heute ist dies eine Selbstverständlichkeit. Sie sind die einzige Kirche, die auch Mitglieder anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften als Freunde willkommen heißt mit dem gleichen „Status“ wie die Mitglieder.

Johan Goud war bis vor kurzem Prof. in Utrecht (NL) für Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Theologische Ästhetik, speziell Religion und Sinnerfahrung in Literatur und Kunst. Seit einigen Monaten ist Prof. Goud emeritiert. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Zeitschriftenbeiträge zu dem Thema.

Prof. Johan Goud in einem Interview mit der großen niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad, 16.5. 2015:

Einige wichtige Zitate in einer Übersetzung von Christian Modehn.

„Es handelt sich in der Rede von Gott um eine Wirklichkeit, die unbegreiflich ist, aber die doch IN den Menschen wohnt, die sie antreibt, zu tun, was Menschen tun, zum Bösen, aber auch zum Guten. Genau wegen dieser Doppelung, die sich in dem Wort Gott verbirgt, Gutes und Leiden, Liebe und Hass, haben religiöse Traditionen auch Theologie nötig, das heißt, ein kritisches Nachdenken über Gott.

Frage: Die christliche Tradition zerfällt langsam in Europa, was verschwindet da?

Antwort: Ich frage mich, ob Menschen, die diese Themen (etwa die Frage nach Gott) für sich ausschließen und unsinnig finden, sich nicht doch von einem Teil unserer Wirklichkeit abschließen. … Damit könnte auch die Erinnerung an eine „Seele in uns“ verschwinden. Damit meine ich: Dass da mehr ist als das, was wir mit unserem Selbstbewusstsein wahrnehmen und denken. Dadurch haben wir Teil an etwas, das größer ist als unser Leben. Vielleicht verschwindet mit dem Gedanken an Gott auch die Erinnerung an die Liebe, die eine Wirklichkeit (wirksam) ist…Den grundlegenden Zusammenhang finde ich in Kunst und Literatur, bisweilen auch im Nachdenken und Meditieren. Gott ist in hohem Maße sozusagen „jemand“, der auf eine literarische Weise gelesen werden will..

Frage: Warum spricht die literarische Form Sie so sehr an, um dem Glauben eine Form zu geben?

Antwort: Dichter wie Rutger Kopland und Willem Jan Otten versuchen ein semantisches Äquivalent zu finden für die Glaubenssprache. Um diese Suchbewegung, darum geht es mir. Gott hat ständig neue Beschreibungen nötig. Bisweilen stößt man dann bei der Suche auf etwas. Dieses Gefühl: Jetzt treffe ich das Gesuchte, – „das ist es!“ – dauert vielleicht nur solange, wie ein Gedicht dauert. Diese Erfahrung kann durch Gedichte entstehen, aber auch in der Musik und auch unerwartet im Nachdenken.

Übersetzung: Christian Modehn.

 

Macht Arbeit Sinn? Zum neuen “Philosophie Magazin”

Macht Arbeit Sinn? Ein Themenschwerpunkt im „Philosophie Magazin“, Ausgabe Oktober 2015

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das „Philosophie Magazin“ erscheint leider nur alle 2 Monate. Die Leidenschaft fürs Philosophieren muss wohl noch erheblich in Deutschland zunehmen, damit wir auch hier – wie in Frankreich – monatlich auch durch Zeitschriften ins Fragen, ins philosophische Fragen, kommen… Das wird wohl erst möglich werden, wenn der Philosophie Unterricht an den Schulen viel weitere Verbreitung und größeren Respekt findet. Und die „philosophischen Cafés“ mehr Verbreitung finden und mehr Ansehen genießen und etwa als eigenständige kulturelle Basisinitiative gefördert werden und öffentliches Interesse finden. Es gibt in Deutschland etliche Literaturhäuser, aber kein einziges „Haus der Philosophie“…

Immerhin: Jedes Heft des Philosophie Magazins bietet auf 100 Seiten eine vielfältige Fülle von Anregungen, ins eigene Denken zu gelangen. Und dies natürlich nicht als eher belangloses „Hobby“. Das eigene kritische und selbstkritische Nachdenken bietet Orientierung und die Fragen, die zu Antworten führen rufen wiederum weitere Fragen wach und so weiter.

Der thematische Schwerpunkt heißt diesmal „Macht meine Arbeit noch Sinn?“ Die Frage ist dringend, und darauf weist Wolfram Eilenberger, der Chefredakteur, einleitend hin: Im Anschluss an Einsichten Dostojewskis aus dem sibirischen Arbeitslager betont er, dass „das Bewusstsein dauerhafter Sinnlosigkeit“ auch und gerade in der eigenen Arbeit erlebt, nicht ertragen werden kann. Und er weist auf die Tätigkeit der heutigen Finanzmanager hin, die nichts tun als Geld hin und her zu schieben per Computer-Knopfdruck „ohne etwas zu produzieren oder irgendjemandem benennbar zu nutzen“. Und Wolfram Eilenberger deutet politische Implikationen an: „Vielmehr geht die Sage, hinter diesem Geld-Geschiebe versteckten sich in Wahrheit tausend kleine Verbrechen“. Diese Erkenntnis möchte der Leser gern vertiefen. Sie ist auch philosophisch, weil ethisch, und würde zur vollständigeren Antwort die Zusammenarbeit mit Politologen und Verbrechensforschern implizieren. Diese neuen Bündnisse von Philosophie mit anderen Wissenschaften wären nicht nur reizvoll, sie könnten die Philosophie aus der naturgemäß eher abstrakten Argumentation herausführen; Philosophie würde so wieder mehr „ihre Zeit in Gedanken fassen“ (Hegel), also durchaus mehr mit empirischem Material „arbeiten“.

Die weiteren Hinweise von Wolfram Eilenberger sind wichtig: Nach diesem eher sehr wenig Sinn stiftenden Job, etwa an der Börse, „reißen sich“ sehr viele Bewerber. Sie suchen persönlich mit Luxus-Gehältern überhäuft zu werden. Und das ist für sie wichtiger als eine sinnvolle Arbeit. Denn Geld ist der (neue/alte) Gott, dem man sogar die eigene Sinnerfahrung und das eigene sinnvolle Leben opfert. Dieser Gedanke wird leider in dem Beitrag nicht weiter ausgeführt. Er könnte in die Richtung weisen „Für Geld tue ich alles“..

Viele dringende Fragen wirft auch der Beitrag „Macht meine Arbeit auch Sinn?“ auf, verfasst von Nils Markwardt. Auch er betont: „Der Sinnlosigkeitsverdacht der Arbeit beschäftigt uns (heute) wie nie zuvor“. In der Dienstleistung- und Informationsbranche oder im EDV Bereich werden keine vorzeigbaren, greifbaren „Werke“ hergestellt, die – idealerweise – als das eigene Werk angeschaut, eine gewisse Zufriedenheit des Handwerkers bewirkten: „Mein Werk, geschaffen für die anderen“, ist ja das bekannte Motto von Philosophen zugunsten nicht-entfremdeter Arbeit.

Heute hingegen erleben wir die Arbeit als „Fluxus“, als fließend und ungreifbar. „Die Verflüssigung des Werkes macht die Suche nach einem buchstäblich fassbaren Sinn zusehends schwieriger“.

Ob die sinnlose Arbeit dadurch wieder an Sinn gewinnt, „weil es schwer fällt, an den Tod zu denken, wenn es Arbeit zu tun gibt“, wie Alain de Botton in dem Beitrag zitiert wird, ist philosophisch doch sehr zu bezweifeln. Vorausgesetzt, man hält die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod philosophisch für sinnvoll. Das tun ja viele nachdenkliche, nicht nur „fromme“ Leute.

Merkwürdig, zum Fragen aufregend bzw. anregend und inspirierend ist der Schlussteil des Beitrags von Nils Markwardt. Darin behauptet er, dass es doch sinnvoll sei, wenn sich in „Sachen Arbeit“ „die Frage nach dem Sinn gar nicht erst einstellt“ (S. 47). Wir sollen uns in Selbstvergessenheit in der Arbeit öffnen, ein „ozeanisches Gefühl“ würde sich dann einstellen und „ein zeitloser Funkenflug der Selbsterfülllung“ und ein „göttlicher Zustand“ . O Gott, möchte man rufen, sag diese Weisheit bitte einmal nicht nur den gestressten Frauen an der Aldi-Kasse, den afrikanischen Plantagenarbeitern in Spanien, vor allem den ausgebeuteten Landarbeitern in Brasilien (Tageslohn nach 12 Stunden Arbeit: 5 Euro) oder den ausgepowerten, miserabel bezahlten, gesundheitlich stark gefährdeten Fabrikarbeitern etwa in Bangladesh. Nur wenn philosophisches Denken sich der Not der Menschen öffnet, und die allermeisten leben und arbeiten im kapitalistischen Weltsystem höchst erbärmlich, kann es den Anspruch haben, Weisheit zu sein, also humane Orientierung zu bieten. „Der zeitlose Funkenflug der Selbsterfüllung“ und dann sogar „der göttliche Zustand, den jeder von uns bei prosaischer Tätigkeit finden kann“, diese eher poetisch-mystischen Worte sind – mit Verlaub – nichts als Opium, eingepackt in schöne Worte.

In dem Heft werden Menschen vorgestellt, die so privilegiert sind, dass sie sich aus einem langweiligen, nervtötenden und sinnlos erscheinenden Job befreien konnten und neue erfreuliche Arbeit für sich entdeckten. Eine Assistenzärztin in einem deutschen Universitätsklinikum findet bei den „Ärzten ohne Grenzen“ eine insgesamt sinnvollere, auch mehr auf Eigenverantwortung setzende Tätigkeit unter elenden Menschen des Süd-Sudans. Ein Lehrer findet seine sinnvolle Erfüllung als Koch usw. Etliche Beispiele gelungenen Berufswechsels „um des Lebenssinns willen“ werden vorgestellt. Der Leser fragen sich: Habe ich selbst noch die Chance, neu und anders zu arbeiten? Diese Frage kann er weiter reflektieren wenn er sich auf die spannenden kontroversen Vorschläge bedeutender Philosophen einlässt. Michel Eltchaninoff stellt unter anderen die Überzeugungen Hegels und Simmels gegenüber zu der Frage: Arbeiten wir, um Geld zu verdienen? Weitere Beiträge gelten der Auseinandersetzung

Arbeiten wir, ja oder Nein, um die Welt zu verändern?

Erfreulich ist es in unserer Sicht, dass sich das „Philosophie Magazin“ auch religionswissenschaftlichen Themen zuwendet, diesmal wird eine Reportage geboten „Wer ist der nächste Dalai Lama?“.

Ein ausführliches Interview mit Michel Houellebecq über dessen neuestes Buch „Unterwerfung“ wird der klassischen (uralten, gegründet 1829) französischen Kulturzeitschrift „Revue des deux Mondes“ vom Juli 2015 entnommen. Dabei erscheint, mit Verlaub gesagt, der weltberühmte pessimistisch-nihilistisch-verzweifelt- suchende Autor wie ein ewig Klagender und Jammerer. „Gott will mich nicht. Er hat mich zurückgewiesen“ ist seine Aussage, und sein Bekenntnis gipfelt „in der Angst, der puren Angst“, dass „wir“ (also das angeblich christliche Europa) von einer anderen Kultur (gemeint ist eindeutig „der“ Islam) beherrscht werden könnten (Seite 31 unten). Da stellt der Journalist anschließend schon gar keine Frage mehr, er hat seine eigene These: „Aber es gibt keine Lösung für diese Angst“. Houellebecqs geradezu nahe liegende Antwort auf diese These: „Nein, das ist pure Angst“.

Ich finde es hoch bedauerlich, dass dieses doch schon relativ alte Interviews (es wurde für die Pariser Zeitschrift Revue des deux mondes sicher schon im Mai, Juni 2015 geführt) einfach kommentarlos stehen bleibt. Soll der große Meister Michel H. auch uns Angst machen, oder? Dieses Interview aus alten Zeiten jetzt zu platzieren, ist ohnehin sehr schade, hat doch die Tageszeitung „Le Monde“ im August noch mehrere sehr differenzierte Beiträge zu Michel Houellebecqs Denken (und pessimistischen, angstvollen) Raunen publiziert. Erstaunlich ist dabei vor allem der Beitrag vom 22. August 2015, in dem die Autorin Ariane Chemin der Beziehung Houellebecqs zum Katholizismus detailliert nachgeht. Sie berichtet von seinem Besuch im Benediktinerkloster von Ligugé bei Poitiers im Dezember 2013. Im Roman „Unterwerfung“ wird auch darüber ausführlich – mit Änderung der Namen der Mönche dort – geschrieben. Mit 13 Jahren, so betont „Le Monde“, erhält Houellebecq zum ersten mal eine Bibel, später nimmt er an katholischen Gruppen „Groupe de parole chétien“ teil, geht auf Wallfahrt nach Chartres. In Paris geht er viele Jahre zur Messe, nimmt in einer Gemeinde im Montparnasse-Viertel an der Vorbereitung zur Taufe teil. In seinem Buch „Ennemies publics“ lobt Houellebecq in höchsten Tönen das Ritual der katholischen Messe… Interessant ist zudem, wenn „Le Monde“ berichtet, wie der eher konservative Bischof von Poitiers, Msgr. Wintzer, sich, so wörtlich, „als absoluter Houellebecq Fan“ outet, mit dem er per email korrespondiert, beide haben sich sogar schon getroffen. Ganz anderer Meinung ist Erzbischof Dagens im benachbarten Angouleme, er ist Mitglied des Academie Francaise und hält Houellebecq, so wörtlich, für einen Unglückspropheten, vor dem man warnen muss. Auch wenn Houellebecq meint „Gott will mich nicht“, so hat er doch gegenüber Bruder Joel von Ligugé bekannt, nicht mehr Atheist, sondern Agnostiker zu sein (Le Monde, 22. August, Seite 21). „Ich bin sicher, Michel H. ist en route, ist unterwegs“, hofft Frère Joel. „Das Kloster ist bereit, von neuem seine Arme zu öffnen für seinen berühmten Gast“, heißt es in “Le Monde”.

Nach diesem kurzen Exkurs wieder zurück zum Heft:

Mit besonderer Aufmerksamkeit sollte man den Beitrag des in Berlin lehrenden Philosophen Byung-chul Han lesen über „Das falsche Versprechen der Arbeit“ (S. 62 ff.), ein ungeheuer dicht geschriebenes Essay, ursprünglich ein Vortrag zur Ruhrtriennale am 15.8.2015. Eine zentrale These: “Die Welt ist heute ohne jedes Göttliche und Festliche. Sie ist ein einziges Warenhaus geworden…Ich bin mit der Warenwelt nicht einverstanden… Wir haben auch jede Fähigkeit zu Staunen verloren…“ Man fühlt sich in die Zivilisationskritik Martin Heideggers zurückversetzt. Immerhin hat Byung-Chul Han im Unterschied zu dem bloß klagenden Heidegger einen knappen Vorschlag, wie es besser werden könnte: „Wir sollten aus diesem Warenhaus endlich ausbrechen, wir sollten aus dem Warenhaus wieder ein Haus, ja ein Festhaus machen, in dem es wirklich zu leben lohnt“ (Seite 65). Aber: WIE wir denn nun Schritt für Schritt das Warenhaus persönlich und mit anderen in ein Festhaus verwandeln können, wird nicht angedeutet. In dieser Undeutlichkeit meldet sich offenbar Meister Heidegger zurück, der bei solchen Problemen nur eins wusste und ewig wiederholte und seine Getreuen allein ließ mit seinem Raunen: „Hören wir auf die Weisungen des Seins (Seyns), werden wir zu Hirten des Seins” etc.

copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Das Philosophie Magzin kann per email bestellt werden: philomag@pressup.de

Oder telefonisch 040 41 448 463.

 

 

Philosophieren heißt Selber-Denken. Eine Alternative zur “Universitäts-Philosophie”

Philosophieren als Selber-Denken – Eine Alternative zur Universitäts-Philosophie

Ein Hinweis von Christian Modehn

Im „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ versuchen wir seit seiner Gründung (2006) das Selber-Denken als Form des Philosophierens zu üben, zu besprechen, zu leben, in einer freundlichen Atmosphäre der Vielfalt. Für viele, selbst gebildete ZeitgenossInnen, hat „die“ Philosophie einen eher schlechten Ruf. Viele halten sie für genauso „unerreichbar“ wie die „höhere Mathematik“. Philosophie wird leider als doktrinäres und abstraktes Lehren an Universitäten erfahren („fast ausschließlich durch bezahlte Beamte und Angestellte betrieben“, so der Züricher Philosoph Michael Hampe selbstkritisch (1)). Dabei ist am Ursprung der Philosophie, denken wir nur an Sokrates, das eigene Reflektieren und Fragen absolut entscheidend, weil es den Geist belebt gegenüber aller Fixierung, etwa in Systemen und Doktrinen. Diese finden in schwer mitvollziehbaren philosophischen Büchern ihren Niederschlag. Abstrakte Philosophie ist nach wie vor unverzichtbar, sie gehört zur Kultur Europas, aber sie „entspringt“ förmlich dem eigenen Philosophieren, das jeder Mensch unthematisch immer schon lebt. Da ist die Quelle der Philosophie. Dies muss akademisches Philosophieren immer respektieren, denke ich. Denn jede Lebensentscheidung ist als Entscheidung immer Ausdruck reflektierter Freiheit, ist also Philosophieren. Die umfangreichen Bücher der Fachphilosophen sind meist nur für die Kollegen an den Universitäten bestimmt, nicht aber für Menschen, die lebendiges Fragen und Zweifeln als Orientierung in ihrem Dasein suchen. Ein Quantenphysiker kann ausschließlich für Quantenphysiker schreiben. Anders aber ein Philosoph, er sollte als Liebhaber der Weisheit (das bedeutet Philosophie) niemals verzichten, andere Menschen zur deutlicheren Liebe der Weisheit zu führen, aber eben liebend, also wohl auch behutsam nachvollziehbar. Auf der Rückseite des Umschlages des Buches von Hampe steht: “Man kann Philosophie nicht lernen wie Physik”. Philosophieren hat mit mir zu tun, es geht um mich, aber auch um mich als (allgemeinen) Menschen…

Um so erfreulicher sind die Ausführungen des Züricher Universitäts-Philosophen Michael Hampe. In seinem Buch „Die Lehren der Philosophie“ legt er ausführlich dar, dass es auch eine andere, eine nicht-doktrinäre Form der Philosophie gibt und geben muss. Schon in den einleitenden Kapiteln 1 und 2 wird das deutlich. Wir empfehlen dringend die Lektüre!

Hampe zeigt zwei Gestalten der Philosophie in Europa: Das doktrinäre, universitäre, sich in Lehrbüchern niederschlagende wissenschaftliche philosophische Forschen. Auf der anderen Seite das auch in Europa lebendige „post-doktrinäre“ Philosophieren. Darin treffen sich Kritiker der herrschenden Moral, der politischen Ideologien, des religiösen Aberglaubens usw., betont Hampe. Zu denken wäre an Sokrates, an die Aufklärungs-Philosophien in den Salons von Paris, an Montaigne, Lichtenberg, Nietzsche, Wittgenstein und andere. Damit ist ja nicht geleugnet, dass etwa ein sehr systematischer, schwieriger Universitätsphilosoph wie Kant nicht auch „populäre“, halbwegs allgemein zugängliche Texte des Philosophierens publiziert hätte, etwa in seinen Beiträgen für die damaligen Berliner Kulturzeitschriften.

Das entschiedene Plädoyer Hampes für die postdoktrinären, oder sagen wir, vielleicht treffender, für die „nicht mehr doktrinäre Philosophien“ sollte auf breiter Ebene diskutiert werden. Es weitet das philosophische Selbstverständnis, es macht Mut, das Philosophieren – auch im Alltag unter „Nicht-Fachphilosophen“ (gibt es die??) – zu üben. Das nichtdoktrinäre Philosophieren ist ja keineswegs ein Plädoyer für die Beliebigkeit, etwa für die logische Willkür usw. Nicht doktrinäres Philosophieren ist nur nicht am Systemaufbau interessiert, nicht an der kryptischen Sprache, sondern am Verstehen und dann an der selbstverständlichen Kritik des alltäglichen Lebens: „Die nichtdoktrinäre Philosophie versucht zu verhindern, dass Menschen durch religiösen, politischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Dogmatismus unfrei werden“, so Michael Hampe, S. 49.

Hampe plädiert für das „Persönliche“ im philosophischen Denken, er fordert, dass die „die Philosophie auch in den akademischen Institutionen mit einem existentiellen Engagement zu betreiben ist“ (S.53). Und dieses Philosophieren muss selbstverständlich geübt werden, wie Hampe betont, (Seite 53 f.). Für dieses philosophierende „Üben“ als selbstkritisches Reflektieren, als Prüfung der Sprüche und angeblichen Weisheiten und Dogmen, die verbreitet werden, braucht man natürlich Räume, Orte. Und da ist Philosophie im öffentlichen Leben insgsamt absolut benachteiligt. Und niemand regt sich darüber auf! Es gibt Literaturhäuser, aber keine „Häuser der Philosophie“, in Paris gibt es ein entprechendes Haus in der Rue Descartes. Leider weist Hampe meines Wissens nicht auf die oft bescheidenden philosophischen Versuche der „Philosophischen Café“ oder der “Philosophischen Salons” hin: Dies sind ja solche bescheidenen, provisorischen Orte des Übens, wo Menschen sich auch selbst neu entdecken können und Fraglichkeit als Lebensform schätzen lernen. Ein philosophisches Leben führen, auch diese Maxime nennt Hampe (S. 64) hat viele Gestalten, sicher ist nur: Der Philosophierende wird starke Vorbehalte haben gegenüber vorgegebenen Lehren der Weisheit, der religiösen Institutionen. Nicht nur, weil er sich selbst und sein freies Leben darin NICHT wieder findet, sondern eher entmündigt fühlt.. Vor allem: Diese Lehren und Dogmen und Doktrinen werden eingesetzt von (demokratisch oft gar nicht legitimierten) Herrschern und Beherrschern. Darum kann es für Hampe auch niemals philosophische Gurus geben. Er weist auch „religiöse Lebenslehren“ (S. 65) aus diesem Grund, der Fremdbestimmung, zurück. Über dieses pauschale Urteil wäre aber zu diskutieren: Denn es könnte ja auch religiöse Lebenslehren geben, die aus dem selbstkritischen, reflektierten Lebenszusammenhang selbst entspringen, aus der Erfahrung des Absoluten “in” mir, so dass diese Religion nur das eigene Leben in seiner Tiefe aussagt und diese Aussage kritisch mit anderen (in einer religiösen Gemeinde) teilet, diese Menschen haben dann natürlich auch wieder ihre Erfarungen des Absoluten…Die neue liberale Theologie (als eine Theologie von unten, also vom Selbstbewusstsein her sich entwickelnd) würde diese nicht entfremdete Gestalt des Religiösen sein, in dem das im Menschen selbst entdeckte Göttliche zum Ausdruck kommen kann.

Michael Hampe bietet ein überaus inspirierendes Stück „Philosophie der Philosophie“. Und er macht damit deutlich, dass über Philosophie qualifiziert nur philosophisch gesprochen werden kann.

Copyright: Christian Modehn

(1) Michael Hampe, Die Lehren der Philosophie, Suhrkamp 2014, Seite 55).

Flüchtlinge, die Philosophen und Theologen sind.

Philosophen und Theologen als Flüchtlinge

Ein Hinweis (und ein Projekt) von Christian Modehn. Der  Beitrag wurde im August 2015 verfasst, er ist nach wie vor interessant angesichts der aktuellen Diskussionen.

Am besten hilft „man“ den Flüchtlingen heute in Deutschland natürlich praktisch. Das heißt menschlich. Das heißt solidarisch. Und politisch, indem man die Politiker daran erinnert, dass die Fluchtursachen für sehr viele Flüchtlinge, die dann in Europa landen, von den europäischen Staaten und ihren Regierungen selbst mit-verursacht sind: Stichwort Kolonialismus, einst und heute; Schädigungen der landeseigenen Ökonomie etwa in Afrika durch multinationale Firmen, die dort nur Armut erzeugen. Verfehlte Politik im Irak, in Syrien und so weiter. Das Elend der Flüchtenden aus diesen Ländern wurde durch eine unfähige (nur aufs Heute schauende, engstirnige und dumme) europäische und amerikanische Politik verursacht. Jetzt ist es zu spät, diese schweren politischen Versäumnisse westlicher Politiker seit den 1990 Jahren noch zu korrigieren.

Nun haben zwei Historiker, Birte Förster und Moritz Hoffmann, Uni Darmstadt bzw. Heidelberg, eine website gestartet, die sich mit den geschichtlichen Dimensionen der Flucht und dem Schicksal der Flüchtlinge einst und bis vor kurzem befasst. Ein wirklich „uferloses“ Thema. Es ist aber dringend geboten, weil wir daran erinnert werden, dass so unglaublich viele Menschen Flüchtlinge waren und noch sind, Heimatlose, Staatenlose, Degradierte…

Die website ist erreichbar: www.gefluechtet.de

Sie bietet auch in Links Hinweise zu praktischen Möglichkeiten der Hilfe.

Uns führt diese Website zu einem weiteren (Forschungs-) Thema unseres Salons: Die Flüchtlinge, die Philosophen waren und sind, ebenso die Theologen, die flüchteten und noch heute fliehen, verdienen mehr intellektuelle Aufmerksamkeit!

Wer nur die Geschichte der Philosophie oberflächlich etwa für das 18. Jahrhundert anschaut: Rousseau war in gewisser Weise Dauerflüchtling, Voltaire war oft auf der Flucht; der „alte Fritz“ bot Zuflucht; an Descartes wäre zu erinnern, er starb (vergiftet ?) in Schweden. Im 20. Jahrhundert: Hanna Arendt und die vielen großen jüdischen Philosophen, Walter Benjamin, Emmanuel Lévinas, Adorno und Horkheimer und die vielen anderen. Bei der dann eines Tages halbwegs umfassenden Dokumentation darf es aber nicht bleiben. Es muss die Frage gestellt werden: In welcher Weise hat die Flucht das Denken der fliehenden Philosophen verwandelt? Wie wurde es erschüttert, vielleicht sogar perspektivenreicher? Und auch anders gefragt: Hätte nicht manchen etablierten Philosophen eine Flucht sogar gut getan, ich denke etwa an Heidegger: Wie hätte sich sein Schwarzwald-Denken und Sein-Sinnieren verwandelt, wenn er etwa mit Hanna Arendt in die USA hätte fliehen müssen? Spannende, selbstverständlich hoch „spekulative“ Fragen.

Und bei den Theologen: Man denke an den großen Paul Tillich, er musste schon 1933 vor den Nazis in die USA fliehen. Man denke an die Befreiungstheologen, die vor der faschistischen Diktatur in Chile nach Costa Rica fliehen mussten, etwa Pablo Richard oder Franz Hinkelammert. Oder heute, da fliehen ja auch, kaum bemerkt, so viele ursprünglich einmal katholische Theologen in protestantische Kirchen. Die Kirche der Remonstranten definiert sich sogar durch ihren „Allgemeinen Sekretär“ selbst als Zufluchtskirche, als freier Raum nach der Flucht in die Freiheit, mit möglichst wenigen Dogmen usw. Viele Katholiken haben bei den Remonstranten und anderen liberalen protestantischen Kirche Zuflucht gefunden, zumal solche, die sich selbstverständlich offen zu ihrer homosexuellen Liebe bekennen. Und in diesen Kirchen kein Versteckspiel betreiben müssen,  wie in der römischen Kirche immer noch üblich.

Das Thema Flucht und Flüchtlinge auch philosophisch und theologisch betrachtet, steht erst am Anfang. Das innere Bewegtsein, philosophisch und theologisch, des Fliehenden, des Vertriebenen, gilt es herauszuarbeiten. Wie sozusagen auch mitten im Leiden (in der Fremde) Neues entsteht. Jedoch die Voraussetzung dafür ist: Die umgebende neue Gesellschaft muss die ankommenden Flüchtlinge unterstützen, begleiten, schätzen, respektieren. Das gelingt nur, wenn die „Gastgeber“ erkennen: Auch wir „Daheimgebliebenen“ sind wie unsere neuen Bewohner SELBER auch Flüchtlinge: Warum können sich die Zuhausegebliebenen nicht eingestehen: Wir fliehen vor der Mühe der Solidarität, wir fliehen vor dem Respekt für den „anderen“. Wir fliehen vor den neuen Herausforderungen, weil wir uns nicht ändern wollen, weil wir so viel Angst haben.

Aber gemeinsam haben wir diese Angst überwunden und sind aus dem alten, engen, ja sagen wir auch spießigen Leben „geflohen“ und neu begonnen…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Einladung zum Denken: Ein Buch von Vittorio Hösle

Einladung zum Denken

Das Buch von Vittorio Hösle „Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie“

Eine Empfehlung von Christian Modehn

Ein Buch für freie Stunden und Tage, zum Beispiel im Urlaub, und nicht nur für philosophisch schon stark vor gebildete LeserInnen geeignet: Vittorio Hösle, weltweit geschätzter Philosoph, hat ein wichtiges Buch veröffentlicht: Er ist in Italien geboren, deswegen „Deutsch als Fremdsprache zuerst erlebt“ (S. 19), aber über den lutherischen Religionsunterricht mit Deutsch vertraut gemacht, lebt seit mehr als 10 Jahren in den USA. Er ist jetzt Professor an der University of Notre Dame. Nun präsentiert er die, neben der griechischen wichtige Tradition der Philosophie, eben die deutsche bzw. Deutsch sprechende Philosophie. Ein vielleicht gewagtes Unternehmen und ein gewagter Titel, beides wird aber von Hösle ausführlich und treffend erläutert.

Wer sich für zentrale Einsichten der Großen unter den deutschen Philosophen von Meister Eckart, 14. Jh. bis Hans Jonas 20. Jh. interessiert, wird hier nicht etwa schulbuchmäßig informiert und mit befremdlichen Fakten konfrontiert, sondern selbst zum Mitdenken eingeladen. Und das eigene Nachdenken wird inspiriert durch die Interpretationen und Kritiken, die Hösle jeweils vorschlägt. Er verschweigt nicht, dass er die Höhepunkte deutscher Philosophie bei Kant, Fichte, Schelling und Hegel findet, auch heute noch. Hösle bedauert, dass das Bemühen um eine aktuelle Weiterführung des Denkens dieser „Klassiker“ heute eher ausbleibt. Immer wieder wird der Leser mit der sehr berechtigten zentralen Einsicht des Autors konfrontiert, dass alles darauf ankommt, die apriorische GELTUNG eines Arguments zu erweisen. Auf diese Weise will er das Denken auf sicheren, unumstößlichen Boden stellen. Philosophie hat für ihn mit einigen Wahrheiten zu tun, bei aller Vielfalt der Perspektiven. Philosophie vermittelt also auch klare und umstößliche Erkenntnis, Kant ist dabei immer wieder Vorbild, siehe die Formen des Kategorischen Imperativs. Deutlich ist auch, dass Hösle starkes Interesse hat an einer vernünftig argumentierenden Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. „Aber die philosophische Form von Religiosität, die Deutschland so stark etwa von den USA unterschied, ist verflogen…“(S. 311). Stimmt das so ohne weiteres ? Vielleicht ist eine neue liberale Theologie, die dicht an eine rationale Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie anschießt, ein möglicher Neubeginn, aber davon spricht Hösle leider nicht. Ansätze für eine zeitgemäße, aber doch der Tradition verbundene Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie bietet Hösle in unterschiedlichen Kapiteln, wenn er immer wieder daran erinnert, dass der „Gott in uns“ von Meister Eckart über Nicolaus von Cues bis hin zu Fichte und Hegel und Schelling, ja in anderer Weise auch bei Feuerbach, eine „andere“, nicht autoritäre und insofern auch nicht institutionell-kirchlich vermittelte Gotteserfahrung des einzelnen/des Individuums darstellt. Diese Linie des „Gott in uns“ in der Philosophie (und nicht etwa nur in der Mystik) ist ein zentrales Thema – auch für die Zukunft- des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons in Berlin. Hösle ist nicht nur der Philosoph, der Positionen anderer Denker kurz skizzieren kann und damit Interesse weckt, diese Autoren selbst zu lesen. Er hält mit seiner eigenen Meinung nicht zurück, etwa in einem durchaus polemisch zugespitzten Kapitel über bzw. gegen Nietzsche. Gerade in dem Beitrag wünscht sich der Leser Quellenangaben und Hinweise auf andere Nietzsche Interpretationen, Eugen Fink oder Günter Figal wären nur zwei Beispiele anderer Interpretationen. Auch Heidegger wird von Hösle kritisiert, weil die Ethik z. B. bei ihm völlig ausfällt, auch die Unklarheit der Sprache wird zurückgewiesen. ( 263). „Vermutlich hat es kaum einen bedeutenden Geist gegeben, der so wenig zur Selbstkritik fähig war wie Heidegger – er produzierte Bedeutendes und Wirres nebeneinander und war selbst nicht in der Lage, zwischen beidem zu unterscheiden“ (S. 269). Zur Bindung Heideggers an die NSDAP und die Naziideologie bemerkt Hösle: “Moralische Feigheit, ja Niedertracht und selbst partielle intellektuelle Verblendung sind mit großen Leistungen kompatibel“ (S. 260), dies schreibt Hösle vor der Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ Heideggers.

Im ganzen ist Vittorio Hösle nicht sehr optimistisch zum Fortbestehen der Philosophie in Deutschland bzw. expliziter der deutschen Philosophie, er spricht gar von einem „Niedergang der deutsche Philosophie“ (S. 309). Er hält die Bedeutung von Habermas eher für sehr begrenzt, Peter Solterdijk erwähnt er mit keinem Wort, Gadamer schätzt er auch mit Vorbehalten, dessen Ablehnung transzendentaler Geltungsreflexionen kritisiert er (S. 285). Das heute neu auflebende „populäre“ Interesse an Philosophie (etwa auch bei philosophisch “Suchenden”, Fragenden, „Laien“ meinetwegen), findet bei Hösle keine wirkliche Beachtung. Seine Einschätzung wirkt sehr apodiktisch und wird auch nicht begründet, wenn er die Hoffnung der Aufklärung für überholt findet, „die Philosophen würden Licht und Einigkeit dort bringen, wo die Religionen Finsternis und Zwist hinterlassen hatten“ (S. 308). Welchen Ausweg aus dem Niedergang der Religionen (Gewalt, Dogmatismus, Fundamentalismus usw.) haben denn die Menschen, wenn nicht in kritischen philosophischen Überlegungen. Da hätte eine Erinnerung an die Griechen,Platon, die Stoa usw. gut getan, die ja Philosophieren als Lebensform betrachteten, siehe etwa die großartigen Bücher von Pierre Hadot. Philosophie ist doch niemals nur Wissenschaft, niemals nur Universitätssache von gut bezahlten Beamten. Philosophie ist nie Spielerei, nie akademischer Schlagabtausch usw. Philosophie ist immer, wie der Name sagt, eine Liebe zur (Lebens) Weisheit, also eine kritische Hilfe, die Welt, die Menschen (und darin mitgemeint auch Gott) zu verstehen, um als Mensch leben zu können! Diese Leidenschaft für eine „praktische“ (Lebens)-Philosophie vermisse ich in dem kompakten Werk Hösles. Das Buch aber ist, davon abgesehen, durchaus wichtig, inspirierend, neue Fragen weckend, es verdient die Mühe der Lektüre, um dann selbst wieder weiter zu forschen, zu denken. Etwas Besseres kann man von einem philosophischen Buch kaum sagen.

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie. C.H. Beck Verlag, München 2013, 320 Seiten.

Ungehorsam ist eine Tugend. Zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 24. Juli 2015

Ungehorsam ist eine Tugend: Zum Gespräch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 24. 7. 2015.

Einige Hinweise von Christian Modehn. Einen ergänzenden Kommentar von Bianca Weihrauch (Berlin) finden Sie am Ende dieses Beitrags, publiziert am 11.8.2015.

Philosophie kann auch die Bedingungen schaffen für die sichere Erkenntnis, dass Ungehorsam eine Tugend ist; eine Tugend des (privaten) Individuums und eine Tugend des Bürgers, gerade heute in Deutschland und innerhalb der Macht der „Trias“, die von schwachen Mitgliedsstaaten, wie Griechenland, Unterwerfung und Gehorsam verlangen. Zur recht spricht der Philosoph Jürgen Habermas vom Verlust der Demokratie dort durch die Vorschriften der Trias; der Publizist und Ökonomie-Spezialist Harald Schumann, Der Tagesspiegel, spricht überzeugend von der Herrschaft des Stärkeren, die sich in einer Art “Protektorat Griechenland” ausdrückt.

Und die Deutschen finden sich nun ungewollt und ungefragt, durch die Verfügungen dieser Regierung (mit Herrn Schäuble), auf der Seite der „Stärkeren“ wieder, auf der Seite derer, die eben in der Sicht prominenter Wissenschaftler und Philosophen bereits post-demokratisch agieren. Was für eine Schande für ein Land, das sich selbst erst seit 45 Jahren in halbwegs demokratisches Leben eingewöhnt. Da hilft vielleicht die Einübung in das Verständnis des Ungehorsams. Deutsche müssen sich insgesamt noch von der tief sitzenden Unkultur des Gehorsams (man lese etwa „Der Untertan“ von Heinrich Mann) befreien. Erst inmitten dieser reflektierten und (selbst-)kritischen Kultur des Ungehorsams kann dann politische Praxis möglich werden. Damit ist von Anfang an deutlich, dass auch über die Tugend des Ungehorsams differenziert gesprochen muss: Wer meint, in seinem Ungehorsam die Menscherechte verletzen zu dürfen und etwa blutige Attacken auf Ausländer und Flüchtlingsheime verübt, ist nicht “ungehorsam”, sondern ein Verbrecher.

Die zentrale Einsicht ist: Es gibt eine enge und ständige Verbundenheit von Gehorsam und Ungehorsam. Das eine gibt es nie ohne das andere. Der Gehorsame kann sich nur frei und autonom zum eigenständigen Individuum entwickeln, wenn er ungehorsam wird. Und der Ungehorsame, wenn er denn nicht in totaler egoistischer Willkür leben will, wird auf seine Art auch gehorsam sein müssen. Aber wem gegenüber? Die Antwort ist klar: Dem Gewissen oder den Weisungen dessen, was Kant den Kategorischen Imperativ nennt oder auch den Menschenrechten gegenüber. Darum ist erst der diesen Menschenrechten „gehorsame Ungehorsam“ vernünftig. Aber der Ungehorsam ist sozusagen eine Bewegung, kein Stillstand. Immer neu gilt es im Dasein, ungehorsam neu einzuüben, gerade in Gesellschaften und Verhältnissen, die Resultat eines Ungehorsams (vielleicht einer Revolution sind). Der „etablierte Revolutionär“ ist ein Widerspruch.

Für eine weitere Reflexion zum Thema ist wichtig:

Ohne Gehorsam lernt kein Mensch – als Kind – den Umgang mit der Welt. Lernen heißt auch gehorchen. Gehorsam ist eine notwendige Voraussetzung für die Anpassung des Kindes an die Welt. Aber die Ablösung von der Gehorsamshaltung muss später erreicht werden, das ist auch Aufgabe der Eltern und der Erzieher.

Der reifer werdende Mensch auf dem Weg zur Autonomie muss die Vorgaben der Autoritäten prüfen: Blinder Gehorsam darf von einem vernünftigen Menschen NICHT und niemals geleistet werden. Er muss sich von den von außen vorgegebenen Formen der Anpassung und des Befehlens lösen.

Blinder Gehorsam folgt den irrationalen Ansprüchen bestimmter Macht-Autoritäten. Wer dem folgt, „will regiert werden“ (Erich Fromm). So bildet sich der autoritäre Charakter. In der gehorsamen Anpassung an den fremden Willen muss an die alte gefährliche Regel erinnert werden: „Wer einmal selbst befehlen will, muss zuerst gehorchen können. Gehorche heute, so wirst du morgen befehlen“.

Wer blinden Gehorsam leistet, kann diese Abhängigkeit sogar allmählich normal und beglückend finden. Manès Sperber spricht davon, dass den totalitären Systemen Menschen zustimmen, „willenlos Sklave zu sein und, wenn es die Führung verlangt, zu beschwören, dass die Sonne um Mitternacht auf geht“. Die Tyrannei lebt davon, dass die Untertanen die Tyrannei bejahen und ermöglichen. Auch in den „(post-) demokratischen Bürokratien“ werden die Menschen zum Gehorsam angehalten, den sie gern leisten, ohne dabei zu bemerken, wie fremdbestimmt sie sind. Dafür gibt es viele Beispiele: Wir gehorchen (= folgen) oft unreflektiert den Propaganda- und Werbesprüchen. Wir folgen schon wie selbstverständlich und oft unkritisch den Weisungen, Wegbeschreibungen usw. der Smartphones, die wir nie aus der Hand geben und permanent gläubig-gehorsam-harrend geradezu verehrend anstarren. Wir werden zum Konformismus erzogen und merken es oft nicht einmal. Wir sollen der Mode heute folgen, die morgen schon wieder eine andere ist. Modetrends leben vom Gehorsam. Wer ständig neue Moden schafft, will unser Geld…

Die Gesellschaften und Staaten wollen den gehorsamen, d.h. den folgsamen und bitte möglichst kritikfreien „stummen“ „Bürger“. Er soll dem System zustimmen und glauben, wenn Politiker als verlängerte Stimmen der internationalen Konzerne behaupten: „Es gibt keine Alternative“ zu dem, was die Konzerne und Weltbank usw. behaupten. Das System hat Interesse daran, die Bewohner eines Staates zu vereinzeln, jeder wird in vielen Bereichen zu einer Nummer. Jeder lebt für sich allein. Da kann dann Ungehorsam als gemeinschaftliche Aktion nur schwer entstehen. „Damit eine Herrschaft total sein kann, müssen alle Menschen einander entfremdet, ja einander Feind werden“, so Manès Sperber.

Eine Erinnerung an Kants Schrift von 1784, „Was ist Aufklärung?“: „Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es andern so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein“.

Ohne Mut gibt es keinen Ungehorsam. Mut ist die Tugend, die Ungehorsam möglich macht. „Ohne den Mut kann man eben bei sich und bei anderen dem Schlimmsten nicht wehren“ (André Comte- Sponville, Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben, 2001, S. 66). „Mut ist nicht Wissen, sondern Entscheidung, nicht Meinen, sondern Handeln“, so zitiert Comte-Sponville den Philosophen Jankélévitch (67) „Mut ist die Weigerung, beim Denken der Angst nachzugeben“ (S. 68). Comte- Sponville erinnert an den Aufstand des Warschauer Gettos: „Warum in solcher Lage kämpfen? Weil man kämpfen MUSS. Weil alles andere unwürdig wäre. Aristoteles schreibt: Der mutige Mann handelt aus dem Beweggrund der Sittlichkeit, aus Liebe zum Guten“ (73).

Mutig kann nur sein, wer sein Leben im ganzen sinnvoll getragen weiß von einem „Grund“, der umfassender ist als das Alltagsgeschehen. Von diesem Grund wissen wir uns immer schon getragen in unseren alltäglichen Entscheidungen. Wir leben dann von der Überzeugung, diese Entscheidung, dieses Nein, so bescheiden auch immer, ist im ganzen meines Lebens sinnvoll. Ist sinnvoller, als zu schweigen, als wegzusehen, Mitläufer zu sein. Voraussetzung für wirksamen Ungehorsam ist darum die Gruppenbildung. Und das lebt heute, auch politisch, man denke an „Podemos“ in Spanien, an Attac, an Syriza, an neue Formen des Konsumierens, des Verkehrs usw.

Erich Fromm nennt den Ungehorsam eine revolutionäre Einstellung, damit meint er die Loslösung und Befreiung, von den Bindungen an Blut und Boden, von seiner Mutter und seinem Vater, von besonderer Treue zu Staat, Klasse, Rasse, Partei oder Religion“ (in Funk, „Mut zum Menschen“, S. 129). „Der revolutionäre Charakter ist fähig, NEIN zu sagen, er ist zum Ungehorsam fähig“ , Erich Fromm.

Der ungehorsame Mensch ist auf dem Weg zur Autonomie. Aber er bindet sich in der Lösung vom autoritären Gehorsam an Werte des Humanismus. „Das einzige, wozu sich der Ungehorsame bekennen kann, ist ein universaler Humanismus“ (ebd.)

Ich denke, man muss dieser Erkenntnis den exklusiven Charakter nehmen, so, als wären wir nur höchst selten mal ungehorsam. Ich meine, wir sind immer schon im Alltag ungehorsam, wenn wir uns schon in „bescheidenen“ Entscheidungen anders verhalten als die Mehrheit. Oder wenn wir Notlügen benutzen, einen inneren Vorbehalt haben und den auch ausleben usw. Nur wenn wir erkennen, dass wir immer schon ungehorsam waren und sind, entdecken ir die schon vorhandene Energie, bei wichtigen Themen ungehorsam sein. Der Geist als das Überschreitende, Transzendierende, ist wesentlich ungehorsam. Das hießt: Wir sind mit unserem Geist wesentlich immer schon ungehorsam.

Aber, noch einmal, nicht jeglicher Ungehorsamist in sich schon wertvoll. Auch der Terrorist glaubt in seiner irrigen Sicht ungehorsam sein zu dürfen. Maßstab des humanen und vernünftigen Ungehorsams sind humanistische Werte. Wir meinen konkreter: Die Menschenrechte, deren Respekt auch die individuelle Befreiung fördert.

Dieser Maßstab gilt selbstverständlich auch für die Religionen: Kadavergehorsam etwa darf es in keiner Religion, die den Naen verdient, geben, in keiner Kirche und Gemeinschaft. Im Jahr 1558, zwei Jahre nach dem Tod des Ordensgründers, des Ignatius von Loyola, wurde vom Papst die Ordensregel der Jesuiten approbiert, darin heißt es zum Thema Kadavergehorsam: „Wir sollen uns dessen bewusst sein, dass ein jeder von denen, die im Gehorsam leben, sich von der göttlichen Vorsehung mittels des Oberen führen und leiten lassen muss, als sei er ein toter Körper, Kadaver, der sich wohin auch immer bringen und auf welche Weise auch immer behandeln lässt, oder wie ein Stab eines alten Mannes, der dient, wo und wozu auch immer ihn der benutzen will.“ (Deutsche Übersetzung von Peter Knauer SJ).

Heute sind die Jesuiten offenbar weit entfernt, noch den Kadavergehorsam zu respektieren. Kritische Geister sind unter den Jesuiten heute zahlreich. Aber immer noch haben sie ein eigenes Gelübde, das den besonderen Gehorsam gegenüber dem Papst betont. Aber es gibt Gruppen in den Kirchen, vornehmlich der römischen, die den blinden Gehorsam immer noch praktizieren, da könnten genauere Studien etwa zu den „Legionären Christi“ oder dem „Opus Dei“ vieles deutlich machen.

Es wäre eigens über die biblischen Mythen zum Thema Gehorsam zu berichten, etwa über die Bereitschaft Abrahams, seinen viel geliebten Sohn Issac auf Gottes befehl hin zu töten, zu opfern. Es wäre vor allem darauf hinzuweisen, dass diese Kindestötung durch den Eingriff eines Engels verhindert wird. Beginnt damit in Israel eine Geschichte der Gewaltfreiheit und der Abwehr, die eigenen Kinder zu töten? Im Buch der Richter im AT wird im 11. Kapitel noch berichtet, wie der Richter Jiftach seine Tochter tötet, und diese sogar zustimmt, weil es sich um ein Gott wohlgefälliges Opfer handelt. Das Buch der Richter wurde in dieser Form etwa um 450 vor Chr. geschrieben bzw. zusammengestellt!

Ein weiteres Thema wäre: Ungehorsam als Quelle der Kreativität. Künstler können ohne Ungehorsam (gegen vorgebene Trends und Traditionen, man denke an die Sezessionen) gar nicht leben. Viele Künstler müssen heute hingegen „gehorsam“ sein und den Moden der Kunst entsprechen, um über-leben zu können. Und auch in der Wissenschaft ist das Nein zu dogmatischen Überzeugungen der Sprung in eine Qualität der Forschung. Selbst die Theologie hat das Nein und den Ungehorsam nicht ganz vergessen: Was wäre die Reformation ohne den Ungehorsam Martin Luthers zum römischen System? Werden die religiösen Menschen, auch die Christen, den Ungehorsam heute nicht nur theoretisch wieder entdecken, sondern auch praktisch leben, in der Ökumene etwa, und einfach bestehende Kirchen-Gesetze (wie das Verbot eines ökumenischen Abendmahls) überspringen und beiseite schieben? Es sieht aber nicht danach aus, dass dieser Mut und dieser Ungehorsam zumindest im ängstlichen und gehorsamen Deutschland eine Chance hat. Das Reformationsjubiläum 2017 könnte ja auch ein Jahr des reformatorischen Ungehorsams sein. Aber daran denken vielleicht einige, sie wollen sich als gut bezahlte Kirchenfunktionäre nur nicht ihre Karriere verderben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

BIANCA WEIHRAUCH sendet diesen Kommentar:

Beim Lesen Ihres Textes fiel mir immer wieder das bekannte kleine Essay

“Empört Euch!” von Stéphane Hessel ein, wegen des Aufrufs zum Ungehorsam

gegen jene Systeme, die unsere Menschenrechte gefährden und auch wegen

seines klarsichtigen Hinweis (der ja auch so in unserer Diskussion

betont wurde), dass man sich in unserem heutigen globalisierten und

digitalisierten Zeitalter nur noch in einem Bereich entschlossen

einsetzen muss und kann, da die Gesellschafts- und natürlich auch die

Herrschaftsstrukturen für etwaige “Pauschal-Revolutionen” viel zu

Komplex geworden sind.

Ich denke gerade dieses Büchlein ist eines der wenigen, das unsere

Generation dazu veranlasst hat, für grundlegende Werte einzutreten und

unsere Meinung zu vertreten. Deshalb wollte ich es hier gerne noch

einmal anmerken.

Auch den Gedanken, dass wir Deutschen den Ungehorsam erst einüben müssen

fand ich interessant. Ich hatte das Buch “Ungehorsam als Tugend” von

Peter Brückner gelesen, der sogar von einer “Pathologie des Gehorsams” als

endemische deutsche Krankheit gesprochen hatte (da ich Freunde in Irland

und Frankreich habe, die über die “preußische” Gehorsamsmentalität nur

lachen, kann ich diese Definition leider bestätigen).

Ich denke, dass unsere heutige Arbeitswelt im ach-so-reichen und

international herausragenden Deutschland, dazu beiträgt, diese

Mentalität zu verschärfen. Dazu der Hinweis auf den folgenden Artikel:

http://www.zeit.de/karriere/2015-05/generation-y-mythos-leiharbeit-befristetung-unbezahlt-praktika/komplettansicht?print=true

 

 

 

 

 

Weiterdenken mit dem “Philosophie Magazin”.

Weiterdenken mit dem PHILOSOPHIE MAGAZIN

Ein Hinweis von Christian Modehn

Seit vier Jahren arbeiten auch JournalistInnen daran, Philosophie aus den kleinen Zirkeln der Universitäten zu befreien. Einige haben in Berlin, unterstützt von französischen philosophischen Journalisten, vor 4 Jahren das „PHILOSOPHIE Magazin“ gegründet. Es begleitet, inspiriert und provoziert eine bisher noch gar nicht umfassend wahrgenommene kulturelle Bewegung: Sie würde es verdienen, dass Kulturpolitiker sich auch mal darum kümmern. Zur förderungswürdigen Kultur gehören Menschen, die nichts anderes wollen, als sich in ruhigen Räumen mit guten Bibliotheken bei Tee oder Wein zu treffen – zum Nachdenken eben, zum Philosophieren, warum nicht auch mit einer guten philosophischen Zeitschrift. Nebenbei: Dass es  – wenigstens in Berlin – nicht ein “Haus der Philosophie” gibt _ angesichts so vieler anderer Kultur-Literatur-Kunsthäuser, finde ich skandalös.

Das alle zwei Monate erscheinende „PHILOSOPHIE Magazin“ ist eine Denkhilfe für einzelne, vielleicht auch eine Orientierungshilfe (wir wollen uns ja hoffentlich denkend im Leben orientieren) sowie auch eine Inspiration für die lebendigen philosophischen Gesprächskreise. Philosophie lebt vom Philosophieren in der Gruppe.

Das neue Heft (August/September 2015) ist in Buchhandlungen, aber auch in größeren Zeitungsläden, etwa in Hauptbahnhöfen, erhältlich zum Preis von 6,90 EURO bei einem Umfang von 100 Seiten wahrlich sehr erschwinglich. Zumal, wenn man bedenkt, dass in dem Heft jede Seite lesenswert ist … und man am besten die Hefte sammelt, um später noch einmal nachzulesen…zum Weiterdenken.

Es ist keine Frage: Philosophieren wird auch im “Philosophie Magazin” nicht immer als leichte Kost präsentiert. Vielleicht ist es auch Ausdruck einer allgemeinen philosophischen Entwöhnung –Philosophie ist ja leider kein relevantes Unterrichtsfach in den Schulen in Deutschland- dass wir etwa Technik und hoch komplizierte Gebrauchsanweisungen offenbar zugänglicher finden als grundsätzliche Reflexionen über Grundfragen des Daseins. Etwa die Frage: Was ist eigentlich ANERKENNUNG? Ein Thema, das viele Philosophen bewegt, nicht weil sie es zuerst für ein philosophisches Problem halten, sondern weil Anerkennung ein Thema mitten im Leben ist. Wenigstens vom Namen her bekannt ist die Anerkennungsproblematik, wie sie Hegel unter dem Stichwort „Herr und Knecht“ in seiner „Phänomenologie des Geistes“ entwickelt. Das neue Heft „Philosophie Magazin“ bietet in einer Beilage nicht nur den Text Hegels in der (sprachlich etwas antiquierten, aber sicher authentischen Fassung der Meiner Ausgabe von 2015), dazu auch ein einführendes Vorwort des Philosophen Martin Gessmann: „Womöglich hat das wahre Herr-und-Knecht-Kapitel in der Geschichte erst begonnen“, schreibt er mit Blick wohl nicht nur auf die ökonomische Ungleichheit/Ungerechigkeit innerhalb der Weltbevölkerung heute, sondern auch, wie denn die anderen bislang eher ignorierten Knechte, also die Automaten, Maschinen und Roboter als unsere „Assistenzsysteme“ eines Tages vielleicht die Rolle des bestimmenden „Herren“ übernehmen und möglicherweise die Menschen zu Knechten machen.

Der bekannte Frankfurter Philosoph Axel Honneth (er gilt als einer der brillanten Vertreter der „Frankfurter Schule“) bietet einen längeren Essay über „Hegel und die Anerkennung“, der Beitrag ist dem Thema gemäß höchst anspruchsvoll. Es ist wohl diese Melange aus sehr anspruchsvollen fachphilosophischen Beiträgen (wie diesem) und eher allgemein zugänglichen Texten und Interviews, die das Heft auszeichnet. Ob man die Herren Fachphilosophen bitten dürfte, immer die Nachvollziehbarkeit der “Bildungsbürger” im Blick zu haben, wäre eine interessante journalistische Frage.

Weil Philosophieren eben vorwiegend auch Dialog ist oder sein sollte, sind die Interviews, die manchmal auch Dialoge sind, im Heft besonders interessant. Francois Jullien, Experte in Paris für (alte) chinesisches Denken in Beziehung zum europäischen Denken/zur Philosophie,  zeigt im Interview, wie westliche Menschen von ihrer (begrenzenden) Fixierung auf Ziele befreit werden könnten – wenn sie denn wie die (alten) Chinesen „nicht nach dem Glück streben, sondern nach dem Im-Fluss-Sein“. „Das Wesentliche ist die Bewegung“… Auch der von vielen geschätzte Bestsellerautor und Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid (Berlin) kommt ausführlich zu Wort, auch mit Antworten zu seinem eigenen biographisch-philosophischen Weg. Wilhelm Schmid ist ein Mittler und Vermittler philosophischer Traditionen, ein Übersetzer, der durchaus den Mut hat, Philosophieren als kritische Form der Lebensbegleitung und Lebenshilfe darzustellen. Der Erfolg seiner Bücher, vor allem zur Gelassenheit, zeigen, dass Philosophen sich ins Gespräch der Öffentlichkeit nachvollziehbar für die meisten einschalten können bei der Diskussion zentraler Lebensfragen. Wahrscheinlich hat in dem Falle die Philosophie sogar die “Seelsorge” übernommen und tritt ein in die guten Traditionen, wie sie Pierre Hadot herausgearbeitet hat. Wilhelm Schmid ist ein freier Philosoph und Schriftsteller, er hat andere Verbindungen zur Alltagswelt als ein Professor für Philosophie an der Universität. Insofern erinnert er uns an den freien französischen Philosophen und Schriftsteller André Comte-Sponville. In Frankreich gibt es ohnehin die Tradition der „Populär-Philosophen“, man muss nicht gleich an Alain denken, aber selbst Albert Camus lebte und dachte bekanntlich außerhalb der Universitäten, und Emil Cioran arbeitete auch nicht an einer Universität usw.

In Deutschland werden wir es uns meines Erachtens abgewöhnen müssen, den Begriff und die Personen der Populärphilosophen gering zu schätzen. Waren die Stoiker und Epikuräer nicht etwa auch Populärphilosophen? Wahrscheinlich haben ja die Universitätsphilosophen ohnehin erst dann eine gewisse, über die engen Zirkel hinausgehende Wirkung, wenn sie selbst die Dimension des Populären pflegen und vor allem bitte endlich auch sprachlich darauf achten, auch schön zu schreiben, also lesbar für den gebildeten Bürger, ohne die fachspezifische Esoterik und Hermetik. Ich empfehle in dem Zusammenhang immer sehr gern die vorbildlichen Arbeiten von Prof. Martin Seel, Frankfurt am Main. Ein Beispiel: Sein Buch „111 Tugenden-111 Laster“ (Fischer Verlag)  sollte endlich als Taschenbuch zu einem erschwinglichen Preis erscheinen, damit es in Schulen, Volkshochschulen, Gesprächskreisen verbreitet und diskutiert wird.

Der Leser des neuesten Heftes des Philosophie Magazin wird sich besonders freuen, in einem Interview der Philosophin Chantal Mouffe zu begegnen, die als Denkerin des Politischen für eine neue Gestalt radikaler Politik eintritt. Der philosophische Einfluß etwa auf “Podemos” in Spanien wird unterstrichen.

Insgesamt möchten wir die Reihe “Philosophie Magazin” dringend empfehlen, vor allem., weil dieses Blatt das Potential hat, noch besser zu werden, noch deutlicher zu zeigen, wie Philosophieren immer und ständig stattfindet, auch in der Musik, der Literatur, dee Poesie, den Künsten, dem Alltag, den Religionen usw. usw. Und selbstredend eben in den immer neu zu entdeckenden Texten von PhilosophInnen.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin