Von der Lust zu reisen: Über Orte der Sehnsucht. Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Drei Fragen an Prof. Wilhelm Gräb

Wo wollen wir hin? Über Orte der Sehnsucht und die Lust zu reisen.

Die Fragen stellte Christian Modehn

Die Reiselust ist in Europa und den reichen Ländern ungebrochen groß. Noch fehlt eine Theologie des Reisens. Befassen wir uns heute mit dem freiwilligen Reisen, also nicht mit dem erzwungenen Weggehen aus der Heimat, das Flüchtlinge erleben, sie „verreisen“ ja eigentlich nicht. Die Frage klingt einfach: Warum wollen so viele eigentlich so oft wie möglich weg von Zuhause? Warum halten wir es zu Hause nicht aus, wie der Mystiker Blaise Pascal einmal behauptete?

„Es ist ein Sehnen tief in uns…“, so beginnt eines der neueren Kirchentagslieder. „Es ist ein Sehnen tief in uns, nach Dir, o Gott“, so geht es weiter. Es mag übertrieben erscheinen, wenn ich behaupte, dass das stimmt. Aber wenn wir denken, dass Gott die Fülle des Lebens ist, das Vollkommene, der absolute Sinn, dann wird verständlich, dass dahin doch recht eigentlich all unser Verlangen geht.

Der Alltag bleibt immer dahinter zu zurück. Das ist es demnach, so denke ich, was uns von Zuhause wegzieht, dieses Gefühl, dass dies nicht schon das Ganze gewesen sein kann. Die Meisten sind mit so vielem beschäftigt, das sie zwar in Bewegung hält, immer schneller und schneller, aber die Stunden und Tage, die wie im Fluge vergehen, sind doch keine erfüllte Zeit. Die Resonanz bleibt aus. Es kommt zu wenig zurück. Es verstärkt sich der Eindruck, nicht gemeint zu sein, eigentlich gar nicht vorzukommen, letztlich belanglos.

Deshalb zieht uns unsere Sehnsucht nach einem intensiveren Erleben des Lebens in die Ferne. Und es ist ja auch so, schon das Zeiterleben verändert sich am fremden Ort. Die Zeit vergeht langsamer. Das nennt man dann heute Entschleunigung. Und wir meinen damit genau dies, dass im Ausstieg aus den Routinen des Alltags und den fremdgesteuerten Beanspruchungen, Resonanzräume entstehen. Dann reagieren die Dinge wieder ganz neu auf uns und wir auf sie.

Das ist es, was wir erwarten, wenn wir verreisen. Endlich wieder Resonanz zu erfahren: Zeit zu gewinnen, die mir gehört, Landschaften zu sehen, die mich ansprechen, in Kirchen oder Museen zu gehen, die meinen Horizont erweitern.

Wo wollen wir eigentlich hin? Selbst, wenn wir am (Ferien) Ziel angekommen sind? Sind wir dann (bei uns selbst) angekommen? Ist jede Reise vielleicht auch mehr, etwa das Verlangen nach einem anderen Leben?

Die Sehnsucht nach Sinn, die uns von zuhause forttreibt, sie hat im Grunde kein konkretes Ziel. Ein solches kann es gar nicht geben. Dennoch müssen wir uns vornehmen, an einen bestimmten Ort zu reisen. Diesen suchen wir danach aus, ob er das Versprechen bei sich hat, dort etwas von dem zu finden, worauf unsere Sehnsucht geht: Ruhe, Natur, Bewegung, Entspannung, Zeit für sich selbst und miteinander.

Ich denke nicht, dass es ein anderes Leben ist, das wir suchen, manchmal vielleicht auch das. Vor allem aber verlangt uns danach, das eigene Leben, das, das wir haben und das uns im Alltag doch zugleich immer wieder entgleitet, intensiver zu spüren, wieder zusammenzufinden, mit dem Partner, der Partnerin, den Kindern. Schlicht der Ortswechsel tut schon gut. Er hilft, die Welt neu wahrzunehmen und wieder neu ein Empfinden dafür zu gewinnen, dass in sie hineinpassen, ja, sie einem sogar entgegenkommt.

Deshalb dürfen die Enttäuschungen auch keinesfalls zu groß sein. So neigen wir dazu, unsere Ferien im Nachhinein eher zu verklären. Wir zehren zudem von der Erinnerung, wenn wir wieder zuhause sind und der Alltag mit seinem Stress wie mit seiner Leere erneut einkehrt. Diese Erinnerung ist zugleich das immer noch nicht ganz eingelöste Versprechen, dass alles viel schöner sein könnte. Dieses Versprechen legt sich über die Wirklichkeit. So kompensieren die Ferien übers Jahr vieles von dem, was unser Leben in ein fades Grau in Grau taucht.

In den biblischen Erzählungen ist oft von Aufbruch und Aufbrechen aus der Heimat die Rede, etwa schon im Mythos von Abraham. Was unterscheidet eigentlich den biblischen „Aufbruch“ vom modernen Reisen? Können, sollten wir heute mehr „Aufbrechen“ (radikale Veränderung), als die kurzfristige Form des Verreisens zu wählen?

Der Abraham-Mythos bringt die religiöse Idee, die auch noch hinter unseren Ferienträumen steht – davon, dass wir in die Ferien „aufbrechen“ reden wir ja auch – zu einer präzisen Vorstellung. Wie wir im 1. Buch Mose, zu Beginn des 12. Kapitels lesen, bekam Abraham von Gott den Auftrag, in ein Land aufzubrechen, das er, Gott, ihm zeigen werde. Das sollte ein Aufbruch ins völlig Ungewisse sein. Doch über dieser Aufforderung zum Aufbruch ins Ungewisse stand zugleich die Verheißung der Fülle, eines gesegneten Landes und einer reichen Nachkommenschaft.

Was den biblischen „Aufbruch“ vom modernen Reisen unterscheidet, ist somit die Ausdrücklichkeit der religiösen Idee, die dahinter steht. Sie motiviert im Grunde aber auch unser heutiges Reisen. Auch wir suchen die Fülle. Auch wir erwarten, dass etwas zu uns zurückkommt, von dem was wir selbst in unsere Arbeit, in unsere Partnerschaft, in unsere Kinder investiert haben. Nur ist uns die religiöse Transzendenz, in die unsere Sehnsucht hineinreicht, vielfach nicht mehr bewusst.

In den Besitz der Fülle des Lebens zu gelangen, das wird uns Menschen nie möglich sein. Genau deshalb sehen wir die „schönsten Wochen des Jahres“, in denen wir, wie wir ebenfalls sagen, „die Seele baumeln lassen können“ immer wieder herbei. Ein Vorgeschmack von der verheißenen Fülle zu erlangen, das zumindest soll es dann doch sein.

Copyright: Prof. Wilhelm Gräb und Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Glück oder Sinn? Zwei kontroverse Kategorien einer Philosophie des Lebens

Glück oder Sinn?

Einige einleitende Hinweise zum Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 26.6.2015

Von Christian Modehn

Philosophie ist für unseren Salon keine abstrakte Theorie, sondern der Vollzug des selbstbewussten und selbstkritischen Lebens, also Philosophieren.

Diesmal wollen wir, etwas zugespitzt, zwei zentrale Dimensionen alltäglichen Lebens bedenken: Die Suche nach Glück und die Suche nach Sinn; die Erfahrung von Glück und die Erfahrung von Sinn.

In der heutigen Zeit, so das Vorverständnis, steht im Mittelpunkt der Lebensgestaltung das Glück. Bedingt durch eine mediale Propaganda, die in einer totalitären Konsumwelt alles Konsumieren als Glück anpreist. Als kurzfristiges Glück, das durch den Kauf neuer Produkte zu einer neuen (aber ähnlich konsumistischen) Beglückung, zu Genuss, Spaß, Ablenkung usw. führt. Dabei wird nicht übersehen, dass sehr viele Menschen selbst in Westeuropa in einem, arbeitsmäßig bedingt so öden Alltag leben, dass die Sehnsucht nach konsumierenden Glücksmomenten sehr verständlich ist. Als kleine Flucht aus dem eher wenig inspirierenden Alltag. Entsprechende Ratgeber-Bücher werden massenweise publiziert: Vorschläge zur Selbstoptimierung werden gemacht, Ideen verbreitet, wie man noch produktiver funktionieren kann in einer Gesellschaft, die nicht an Identität ihrer Mitglieder, sondern an deren Flexibilität und ökonomischen Verfügbarkeit interessiert ist.

Insofern ist die Suche nach Glück zugleich der Versuch, Unglücklichsein, Eingeschränktsein, der Monotonie Ausgesetztsein usw. zu überwinden. Glückmomente sollen eher langfristiges seelisches und körperliches Leiden überwinden. So die propagierten Verheißungen. Aber nach den Glücksmomenten kehrt man in den Zustand des eher dauerhaften Leidens zurück. Dann kann schnell die Sucht nach immer neuen Glücksmomenten wachsen, auch die Sucht nach dem Vergessen des Leidens. Also auch die Sehnsucht nach dem Schlaraffenland als dem totalen immer währenden Glück.

Nebenbei: Es ist ein Verdienst von Kant, dass er in seiner praktischen Philosophie nicht das Glück, sondern die Freiheit und Autonomie in den absoluten Mittelpunkt stellt. Im kategorischen Imperativ begegnet mir die Aufforderung, aus Pflicht das Gute zu sein. Da gibt es keine Neigung, keine Lust, die dann möglicherweise als Glück erlebt wird. Dieses tugendhafte Leben der Pflicht muss nicht immer glücklich machen. Das Glück bleibt unverfügbar. Der Mensch wird im Tun des Guten aber würdig, glücklich zu sein. Dann bildet sich eine Art Moraltheologie: Der gut Handelnde (aber manchmal Leidende) kann hoffen, dass er dereinst eine volle Glückseligkeit erleben kann. Aber aus dieser Idee darf keine fremdbestimmte, Jenseits orientierte Moral werden.

Und heute? Eine Philosophie, die wirklich „ihre Zeit in Gedanken fassen“ will, wie Hegel sagt, muss diese aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen und Zwänge berücksichtigen: Das heißt: Wir werden heute zum kurzen Konsum Glück gedrängt. Aber diese Glückserfahrungen sind nur Fragmente im Leben. Die Frage entsteht wie von selbst: Was macht mein Leben lebenswert? Was macht mein Leben sinnvoll?

Aber die Sinnerfahrung, das sinnvolle Leben? Was ist das? Sinn hat zunächst auch mit Sinnlichkeit zu tun. Mit dem über alle meine Sinne vermittelten Bezogensein auf Welt. Ich erlebe mit allen Sinnen die Welt, und bin so einbezogen in die Vielfalt der Welten. Ich erlebe mich dabei selbst als Wesen, das nur als Bezogenheit und im Netzt mit anderen und anderem existiert.

Dieses Bezogensein sollte jeder beachten, der nach dem eigenen Lebenssinn fragt: Etwa, wenn Gefühle der persönlichen Sinnlosigkeit sich breit machen: Dann bin ich aus einem vorherigen Sinnbezug herausgetreten oder er wurde mir genommen, ich stehe sozusagen zurückgeworfen auf mich allein da, ohne Netz und ohne sinnliche Verknüpfung mit anderem und anderen. Die Aufgabe einer neuen Sinnstiftung durch mich ist das Knüpfen neuer Verbindungen in dem Netz der Verbindungen und Beziehungen, in dem ich lebe. Diesen Sinn kann jeder und jede nur für sich selbst suchen und finden. Freunde oder manchmal (reife) Gemeinschaften können mit Vernunft beratend durchaus helfen.

Philosophisch scheint mir wichtig zu sein, dass wir erkennen: Wir leben IMMER SCHON in einem Sinnzusammenhang. Ein Beispiel: Wenn ich mich fortbewege, dann mache ich das um einer Sache willen, etwa, um an einer Konferenz teilzunehmen. Diese Teilnahme erscheint mir sinnvoll. Und diese Sache ist wieder verbunden mit einer größeren: Ich will etwa lernen, wie ich anderen Menschen besser nahe sein kann, ihnen vielleicht helfen kann. Aber wenn ich das dann tue, dann frage ich mich: Warum will ich den anderen helfen? Was ist der Sinn der Hilfe? Und wer hilft mir?

Das heißt, im praktischen Alltag setzen wir immer schon unseren Sinn, der sich dann immer ausweiten kann in grundlegendere Sinnerfahrungen: Etwa die Zufriedenheit darüber, dass ich anderen Menschen behilflich sein kann. Diese Erfahrungen können längere Zeit dauern, können uns langfristig prägen. Sie beglücken also, sie stiften Glück, aber anders als das kurzfristige durch Konsum entstandene Moment-Glück. Sinnglück ist von längerer Dauer und Intensität.

Wichtig ist also die Erkenntnis: Wir stehen immer schon im Sinnhorizont; das erkennt man freilich erst in der Reflexion auf das gelebte Leben, also auch im Abstandnehmen vom Alltag.

Wichtig ist ferner: Wir werden diesen anwesenden Sinnhorizont nicht „los“, selbst wenn wir ihn ablehnen. Selbst ein Suizid-Begehender findet, falls bei klarem Bewusstsein, diesen seinen Schritt für sich noch sinnvoller als Weiterzuleben.

In jedem Fall: Wir „machen“ unseren jeweiligen kurzen, „Etappen“-Sinn durchaus; wir „setzen“ ihn für uns. Wir sind dabei aber unabwerfbar gebunden an die ständige allgemeine „Sinn-Fähigkeit“ unseres Geistes überhaupt. Erst diese allgemeine geistige Dynamik ermöglicht überhaupt erst die konkrete und begrenzte Sinnsetzung im Alltag.

Das heißt: Wir „machen“ unseren Sinn, indem wir von der gegebenen (!) Sinn-Fähigkeit leben. Diese Aussage korrigiert die volkstümliche Behauptung: „Der Mensch „macht“ seinen Sinn, Basta“.   Diese Aussage ist demzufolge viel zu eng und „naiv“. Sinn ist immer gemacht und GEGEBEN (durch die Geiststruktur)

Dabei können sich Perspektiven für eine Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ergeben:

Wir können den Sinnhorizont, in den wir gestellt sind, nicht abstellen, nicht auslöschen. Er ist uns unzerstörbar gegeben. Wir haben also in unserem Leben immer schon mit etwas Unzerstörbarem zu tun. Wir leben in einer unabwerfbaren „Gabe“ der Sinnfähigkeit. Aber: Wir können diesen „letzten“ Sinn, also die eher formale und allgemeine Sinnfähigkeit, nicht noch einmal umgreifen, können also nicht im Umgreifen möglicherweise sagen: Jetzt haben wir die allgemeine und vorgebene Befähigung zum Sinn gepackt. Wir können nur im Hineingestelltsein in den Sinn sagen: Er ist eine Dynamik, die uns bewegt, die uns nie fixiert, die uns nie zur Ruhe kommen lässt, die uns immer weiter fragen lässt.

Letztendlich stellen wir uns dem Sinnhorizont in einer Form des allgemeinen Glaubens: Wir glauben eben, der Sinn und der Sinnhorizont seien etwas Positives für uns ist. Das unser Leben nicht ermöglicht, sondern in eine tiefere Zufriedenheit führen kann.

Von daher ergeben sich je individuell und in je verschiedener Perspektive Einsichten zur Frage: Was ist der Sinn „des“ Lebens? In dieser Abstraktheit und sozusagen universal einmal für immer lässt sich diese Frage NICHT beantworten. Das heißt aber NICHT, wie manchmal schnell behauptet wird: dass „das“ Leben sinnlos wäre. Wir erleben ja – unabwerfbar – den ständigen „Auftrag“, unseren je eigenen, aber immer humanen Sinn zu stiften.

Insofern kann man sagen: Was Leben langfristig gestaltet und glücklich macht, ist nicht das momentane „Glück“, sondern die Suche und das Erleben von Sinn als Leben in einem Netz von Beziehungen voller Verantwortlichkeiten und Freude.

Copyright: Christian Modehn

 

 

 

 

Die Gabe der Götter: Für eine Philosophie des Weines

Die Gabe der Götter: Hinweise zu einer Philosophie des Weines

Von Christian Modehn

Alles kann Thema des Philosophierens und damit der Philosophie werden. Auch der Wein. Er ist ein eher wenig beachtetes Thema der Philosophie. Sich darauf einzulassen, ist alles andere als ein “Luxus”.Es geht dabei um die Frage, wie wir leben wollen. Wie wir essen und trinken und miteinander feiern wollen. Wie wir mit den Gaben der Natur umgehen: Nehmen wir das, was uns leben lässt, was uns aus den Grenzen des Daseins etwas befreit und manchmal erhebt, noch als “Gabe”, als “Geschenk” (der Natur, des Göttlichen?) wahr? Oder ist für uns, die wir uns auf die Rolle der “Konsumenten” und “Schnäppchen-Jäger” begrenzen lassen von der Herrschaft des Marktes, alles nur noch “Industrie-Produkt” anonymer Herkunft: Bestimmt zum schnellen Verzehr, möglicherweise dann auch zum Wegwerfen, damit wir den hastigen Rhythmen der Arbeitswelt willig entsprechen? Wer sich auf die Philosophie des Weins einlässt, merkt vielleicht, wie eingeschränkt sein Leben (bis jetzt) ist. Die Besinnung auf den Wein als Gabe, als Geschenk der Götter/des Gottes, kann befreien…

Wir nennen einige Aspekte, die gleichsam „Bausteine“ sein können zum Thema: „Wein – Eine Gabe der Götter“.

Diese Gedanken wurden im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 29. Mai 2015 in der Weinhandlung SINNESFREUDE (Leitung Wolfgang Baumeister) in Neukölln, Jonasstr. 32, vorgestellt.

1.

Zur Einstimmung, bei einem Glas Wein: Wenn man sich philosophisch auf ein Thema einlässt, wird im Nach-Denken das alltägliche, das gewöhnliche und übliche Verständnis verwandelt. Was man vorher fixiert und fest zu verstehen, wenn nicht zu wissen meinte, erscheint nun „anders“; vielleicht verfremdet, in neuen Zusammenhängen, in überraschend-tieferer Bedeutung. Dieses neue Verständnis ist dann allerdings kein Endpunkt, sondern nur ein weiterer Ausgangspunkt für erneutes Nachdenken. Das gilt auch beim Thema Wein. Viele Menschen, besonders Weinfreunde wissen allmählich: Wein ist mehr als ein Getränk. Wein ist alles andere als ein Durstlöscher, ist mehr als ein Produkt von ausgeklügelten industriellen „Wein-Fabriken“. Wein ist viel mehr als ein Spekulationsobjekt für Kenner, die als connaisseurs beste Lagen und die richtigen Jahrgänge bevorzugen und nach guter Lagerung erfolgreich verkaufen. Wein als Objekt des Marktes? Entspricht das der “Würde” des Weines?

Es gibt in der Literatur, der Poesie, der Philosophie, der Religion, noch Erinnerungen daran, dass Wein und Weintrinken doch etwas ganz anderes, Bedeutungsvolles, ist: Wir stoßen immer noch mit Wein an: „Prosit“, sagen wir in Deutschland. In Frankreich heißt es bloß „salut“ oder „à votre santé“. Die Vermutung gilt: Wein hat etwas mit salut, das heißt ja Heil, Gesundheit, vielleicht auch mit Glück zu tun. Wir wissen das, zumindestens “unbewusst”, sonst würden wir ja sinnlose Sprüche sprechen.

Wein fördert die Gesundheit. Maßvoll getrunken, versteht sich, so wie alles im Leben dem individuellen Maß entsprechen sollte. Das wusste schon der Autor des 1. Timotheusbriefes im Neuen Testament, als er seinen Gemeindeleiter ermahnte: „Trinke ein bisschen Wein um des Magens willen“ (1 Tim. 5,23). Wichtig dabei insgesamt: Für die ersten Christen war Wein selbstverständliches Getränk. Wein wurde als Heilmittel angesehen. Aber bitte: Nur ein bisschen trinken. Also: Maß halten.

Es gibt noch den alten Spruch aus Griechenland: “Im Wein ist Wahrheit”. Weil der Wein die Zunge lockert, Mut macht, in Gesellschaft und vor sich selbst, ehrlich und wahrhaftig zu sprechen. Da werden wir vielleicht, mit Wein, so wie wir sind…

Jedenfalls gilt es das Besondere des Weins festzuhalten: „A votre santé“ sagt man meines Wissens nicht, wenn man gemeinsam Coca Cola oder eine Limonade trinkt.

Mir geht bei der jetzt vorgestellten kleinen Philosophie des Weins um einige Hinweise zum Weiterdenken, die durchaus eine neue Wein-Kultur befördern können. Das mag angesichts der heutigen Situation der Welt, des fundamentalistisch bedingten Mordens und religiös motivierten Abschlachtens und des sozialen Elends wie ein Luxus erscheinen. Aber es geht jetzt um eine Frage der inneren Einstellung, durchaus der Lebensfreude, vermittelt durch „Sinnesfreude“, und diese Lebens/Sinnesfreude hat dann sicher auch vernünftige politische Wirkungen in Richtung lebendiger Solidarität. Menschen ohne eigene Lebensbejahung und Lebensfreude können nicht solidarisch sein.

Auf diese Gedanken kommt man, wenn man Wein nicht nur allein genießt, sondern mit anderen, idealerweise beim (kleinen) Fest. Weintrinken, langsam, dem Aroma des Weins gegenüber senibel, überwindet die allzu oft erlebten Öde und Banalität des Daseins.

2.

Das ist ein erster Impuls einer Philosophie des Weins: Wein ist ein Geschenk, auch wenn viele Leute daran gearbeitet haben, er ist eine Gabe? Aber wer gibt? Religiöse und metaphysisch noch ansprechbare Philosophen sagen: Wein ist eine Gabe der Götter, also etwas Wunderbares, auch wenn man tausend mal die Wein-Chemie und die Poduktion analysieren und erklären kann.  Auf diese Spur bringt uns der Dichter Friedrich Hölderlin: Und dabei muss man dann auch etwas ausholen: Hölderlin spricht vom Wein in einem für uns Heutige zunächst ungewöhnlichen Zusammenhang. Er hat als Theologiestudent in Tübingen von 1788 bis 1793 seine Gegenwart, die Gesellschaft, den Staat und vor allem auch die dort vorherrschende protestantische Kirche als Erstarrung erlebt. Hölderlin spricht von einer „götterlosen, einer bleiernden Zeit“ . Und dies vor allem im Vergleich mit dem freiheitlichen, bewegten Aufbruch in Frankreich: Die dortige Revolution erlebte er mit seinen Tübinger Freunden, Schelling und Hegel, als Aufbruch der Freiheit, als Niederringung der starren und despotischen Systeme, als Beginn einer neuen, einer brüderlichen Gesellschaft.

Eine nicht erstarrte Welt, ein freies Miteinander, schien möglich. Das beförderte seinen Enthusiasmus für ein ganzheitliches Leben des Menschen in der ihn umgebenden Natur.

Es geht Hölderlin also um diese Wiedergewinnung eines intensiven Lebens. Um ein neues Lebensgefühl, das der geistigen Verfassung des Menschen entspricht. Wenn Hölderlin in seinen Gedichten ein Tal „lieblich“ nennt oder einen Berg „majestätisch“, sind das keine extravanganten oder bloß “gesuchten” Aussagen, um etwa nur eine hübsche Poesie zu schreiben. Sondern diese Formulierungen entspringen dem eigenen Lebensgefühl. Der Philosoph Ernst Cassirer hat sich mit dieser Erfahrung auseinander gesetzt und die Allgemeingültigkeit dieser Erfahrung Hölderlins beschworen. Cassirer schreibt: „Hölderlin bedarf für seine Naturansicht keiner anderen Bestätigung als das Gefühl, das jeder helle und heitere Frühlingstag dem Menschen gibt“.

Die Naturerfahrung Hölderlins kann sich also bei jedem geistig-bewegten Menschen einstellen. Es ist die Erfahrung des Erhabenen, die da vom Dichter angesprochen wird: Mensch und Natur sind verbunden, in einem gemeinsamen Grund verbunden, den man das Geheimnis allen Lebens bezeichnen könnte. Kurt Hübner schreibt: „Hierin hat alles Lebendige seinen Ursprung, seinen Sinnbezug, und sein Verlust ist dem Tode vergleichbar“.

3.

Entscheidend für unseren Zusammenhang ist: Die Tübinger Theologie erlebte Hölderlin als erstarrte Form der Religion. Hölderlin suchte die lebendige, tief im Gefühl verankerte Religion, also den unmittelbaren Bezug zum Göttlichen. Ohne diesen neuen Bezug zum Göttlichen kann es kein neues, intensives Leben geben. Schon 1788 sagt er: „Es glimmt in uns ein Funke der Göttlichen“. Das heißt: Mensch und Gott sind immer schon verbunden, sie stehen einander nicht gegenüber, sie sind eins. Und den tieferen Bezug zum Göttlichen entdeckte Hölderlin in den griechischen Mythen. Hölderlin hatte ja eine ausgezeichnete Kenntnis der klassischen Sprachen „Er verknüpfte das Altertum, also auch die Mythen und die dort lebendigen Götter oder Halbgötter, bei jeder Gelegenheit mit der Gegenwart“, so der frühe Biograph C.T. Schwab.

Hölderlin wendet sich vom dogmatischen Christentum ab … und auch vom angestrebten Pfarrerberuf. Mit den Göttern Griechenlands will er nun die Einheit der Wirklichkeit erfahren, er will das abstrakte Gegenüber und Gegeneinander von Mensch und Natur überwinden, er möchte die Verbundenheit von Mensch und Natur erleben.

4.

Erst nach diesem langen „Anlauf“ kann man verstehen, welche Bedeutung Hölderlin dem Wein einräumt: In seinen Gedichten, aus der mittleren Phase seines Schaffens (Hölderlin, 1770 geboren, fiel 1805 bis zu einem Lebensende 1843 in eine schlimme Form einer – damals- unheilbaren Geisteskrankheit) sind die wesentlichen Hinweise zum Wein enthalten, oft in versteckten Andeutungen aber doch klaren Anspielungen, immer dann, wenn Hölderlin von Dionysos spricht oder von Christus, etwa im Zusammenhang des Abendmahls. Er will eine „sinnliche Religion“ lebendig werden lassen, deswegen spricht er von einer neuen Mythologie, aber, und das ist entscheidend, „diese Mythologie muss im Dienst der Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden“, betont Hans Küng. Mythologie und neue Mythen werden ja heute oft zurecht als eigenständige, der Vernunft eher feindliche, also bloß gemachte Ideologien angesehen, man denke an Texte wie „Mythos des 20. Jahrhunderts“ usw., das sind oft nur mysteriös verpackte Herrschaftsideologien. Mit solch einer ideologischen Mythenauffassung hat Hölderlin nichts im Sinn. Wenn er sich auf Gestalten des griechischen Mythos bezieht, dann nur, um in ihrem Licht das eigene Leben, die überlieferten religiösen und philosophischen Traditionen, tiefer zu verstehen. Im Mythos wird eine Manifestation des Göttlichen spürbar, eines Göttlichen, das alles durchwaltet. Diese Erfahrung kann nur gelten, wenn man sich aus dem Christentum heraus begibt und eben in der griechischen Mythologie seine religiöse Welt erweitert. Noch einmal: Die Beschäftigung mit den Mythen der Griechen ist für Hölderlin keine Flucht „rückwärts“, sondern die Suche nach einer tieferen, dann aber auch reflektierten Erfahrung von Wirklichkeit.

5.

Dionysos ist für Hölderlin in der Tradition der Griechen der Gott des Weines und der Vegetation. Ich kann jetzt hier die vielen Mythen, die über Dionysos verbreitet wurden, nicht ausführlich berichten: Er ist in einem Mythos ein Sohn des obersten Gottes Zeus und einer Frau, Semele mit Namen, Tochter des Königs von Theben. Über das Zusammensein mit Zeus neugierig gestimmt, will sie wissen, wer denn Zeus ist: Der oberste Gott aber schleudert einen Blitz auf sie herab… und Semele stirbt. Das werdende Kind in ihrem Leib überträgt sich Zeus in seinen Schenkel, so der Mythos, von dort aus wird Dionysos geboren: Er ist also ein Gott-Mensch. Der Dionysos Kult war in Griechenland sehr weit verbreitet. Dionysos lässt Wein entstehen, er besänftigt aber auch wilde Raubtiere und, das ist entscheidend, er wird der „Lysios“ genannt, der Löser, der die Menschen von Sorgen und von Fesseln befreit. Dionysos als Gott des Weins macht das Leben erträglicher, er löst förmlich von Zwängen, Wein inspiriert. Hier gibt es bereits erste Verbindungen zur Christus Gestalt, wie sie die Hölderlin sieht: Wie Dionysos ist auch Christus geboren aus einer menschlichen Mutter und einem Gott; im Wein, so der Dionysos Kult, ist ein lösendes, erlösendes Symbol für die begrenzten Menschen zu sehen; Dionysos ist als Wein-Gott der Gott der Ekstase.

Im Wein sieht auch Jesus Christus die Gegenwart seiner Person in der Abendmahlsfeier der Gemeinde. Diese Erfahrung will Hölderlin beschwören, als gefeierte Realität, Christus ist zwar „der Liebendste des Vaters“ , aber auch Christus gehört für Hölderlin in die griechische Welt der Götter. Durch die Einbeziehung des Christlichen in eine andere, die griechische Welt, gewinnt das Christentum selbst, wie Walter Jens sagt, „eine neue und frische Signifikanz“. Christus tröstet, weil er die Botschaft von der Wiederkehr der Götter bringt, weil er in seinem eigenen Leben zeigt: Gott ist auf Erden. Zur Welt der Menschen gehört das Göttliche. Es gibt keine gottlose Welt! Christus wird für Hölderlin der letzte der griechischen Götter. Und Hölderlin hat eine gewisse Scham, dies so offen zu sagen. Aber er weiß, dass Christus mit den Göttern den denselben Vater hat, für Hölderlin ist er der geistigere unter diesen Göttern. Aber für beide, für Dionysos wie für Christus, gilt: Beide erlebten die Auferstehung, für beide ist der WEIN das sakrale Getränk.

6.

Man sollte sich für eine Philosophie des Weins mit Hölderlins Elegie „Brod und Wein“ befassen, sicher eines der bekanntesten Gedichte von ihm. Nur so viel: Die heile Welt, in der die Götter Orientierung boten, ist nicht mehr. Die Götter sind abwesend, siehe 6. Strophe. Der Dichter findet Trost in der 8. Strophe, denn die Götter haben als ihre Symbole Brot und Wein zurückgelassen. Da klingen die Verbindungen mit dem christlichen Abendmahl an……

Aus der 8. Strophe weise ich nur auf die entscheidenden Verse hin:

….Brod ist der Erde Frucht, doch ist’s vom Lichte gesegnet,

Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins.

Darum denken wir auch dabei der Himmlischen, die sonst

Da gewesen und die kehren in richtiger Zeit,

Darum singen sie auch mit Ernst, die Sänger, den Weingott,

Und nicht eitel erdacht tönet dem Alten das Lob.

…..Vorher aber hießt es:

Aber Freund! wir kommen zu spät. Zwar leben die Götter,

Aber über dem Haupt droben in anderer Welt.

Endlos wirken sie da und scheinen’s wenig zu achten,

Ob wir leben, so sehr schonen die Himmlischen uns.

Denn nicht immer vermag ein schwaches Gefäß sie zu fassen,

Nur zuzeiten erträgt die göttliche Fülle der Mensch.

Traum von ihnen ist drauf das Leben. Aber das Irrsal

Hilft, wie Schlummer, und stark machet die Not und die Nacht,

Bis dass Helden genug in der ehernen Wiege gewachsen,

Herzen an Kraft, wie sonst, ähnlich den Himmlischen sind.

Donnernd kommen sie drauf. Indessen dünket mir öfters

Besser zu schlafen, wie so ohne Genossen zu sein,

So zu harren, und was zu tun indes und zu sagen,

Weiß ich nicht, und wozu Dichter in dürftiger Zeit.

Aber sie sind, sagst du, wie des Weingotts heilige Priester,

Welche von Lande zu Land zogen in heiliger Nacht.

Es sind die DICHTER, „wie des Weingotts (Dioynsos) heilige Priester”, die das Bleibende stiften. In diesem Text drückt sich die Klage über das Verlorene aus. Die intensive Natur/Wein Erfahrung ist offenbar in der jetzigen Weltnacht (die Götter sind fern) nicht mehr möglich. Scheitert deswegen eine Philosophie des Weins, die sich an Hölderlin orientiert?

Es bleibt die Perspektive: „Brod ist der Erde Frucht, doch ist’s vom Lichte gesegnet,

Und vom donnernden Gott (Dionysos) kommet die Freude des Weins“.

7.

In diesem Licht verwandelt sich die Wahrnehmung der Welt, dies wird etwa deutlich im Gedicht „Stutgard“, dort heißt es: :

„Herrlich steht sie und hält den Rebenstab und die Tanne

Hoch in die seeligen purpurnen Wolken empor.

Sei uns hold! Dem Gast und dem Sohn, o Fürstin der Heimat!….

Auch auf die Bedeutung des Weins in dem Gedicht „Das Ahnenbild“ , von 1800, muss hingewiesen werden:

Da wird der verstorbene Ahn als gegenwärtig erfahren. „Er lebt im Gedächtnis, das man ihm bewahrt, indem die Familie beim gemeinsamen Mahle von ihm spricht und sein Glas auf ihn erhebt, auch er lebte und liebte wie er. So wohnt er als Unsterblicher bei den Kindern“, so Kurt Hübner.

Nur ein Auszug aus dem Gedicht:

Und am Hügel hinab, wo du den sonnigen

   Boden ihnen gebaut, neigen und schwingen sich

       Deine freudigen Reben,

           Trunken, purpurner Trauben voll.

Aber unten im Haus ruhet, besorgt von dir,

Der gekelterte Wein. Teuer ist der dem Sohn,

       Und er sparet zum Fest das

Alte, lautere Feuer sich.

Dann beim nächtlichen Mahl, wenn er, in Lust und Ernst,

   Von Vergangenem viel, vieles von Künftigem

       Mit den Freunden gesprochen

           Und der letzte Gesang noch hallt,

 Hält er höher den Kelch, siehet dein Bild und spricht:

   Deiner denken wir nun, dein, und so werd’ und bleib’

Ihre Ehre des Hauses

           Guten Genien, hier und sonst!

Und es tönen zum Dank hell die Kristalle dir;

   Und die Mutter, sie reicht, heute zum erstenmal,

       Daß es wisse vom Feste,

Auch dem Kinde von deinem Trank.

Wein wird wie ein sakramentales Zeichen der Erinnerung verwendet. Der Verstorbene lebt als Unsterblicher bei den Kindern.  Interessant ist auch: In Hölderlins Elegie Der Wanderer (dies ist die erste Elegie Hölderlins, 1797 erschienen) wird das Rheintal geschildert: Tal, Mauern, Gärten, Weinberge: Alles verdankt sich dem Fluss. Aber was ist der Fluss ohne Sonne, ohne die gesamte Natur? Ohne die ganze Schöpfung? Und der Fluss verbindet doch auch die Menschen.

In der Elegie „Der Wanderer“ heißt es:

Seliges Land! kein Hügel in dir wächst ohne den Weinstock,

Nieder ins schwellende Gras regnet im Herbste das Obst….

Heimatliche Natur! wie bist du treu mir geblieben!

Zärtlichpflegend, wie einst, nimmst du den Flüchtling noch auf.

Feuer trink ich und Geist aus deinem freudigen Kelche,

Schläfrig lässest du nicht werden mein alterndes Haupt.

Die du einst mir die Brust erwecktest vom Schlafe der Kindheit

Und mit sanfter Gewalt höher und weiter mich triebst,

Mildere Sonne! zu dir kehr ich getreuer und weiser,

Friedlich zu werden und froh unter den Blumen zu ruhn.

8.

Der Wein spielt in der christlichen Tradition, durchaus schon in der jesuanischen Tradition, eine große Rolle. Und ich muss sagen, man ist erstaunt, wie wenig die Kirchen ihren eigenen Wein-Kult schätzen und feiern. Man denke nur daran, dass in der katholischen Eucharistie der Wein nur ganz selten allen Gläubigen gereicht wird; es sind die Priester allein, die ihn trinken. Reformatorische Bewegungen, wie Jan Hus, haben den Kelch für alle zu ihrem Programm gemacht.

In der Umwelt Jesu von Nazareth war der Wein durchaus ein übliches Getränk, im Alten Testament wird der Wein als Gabe Jahwes (Hos 2, 10.17) beschrieben. Er wird sogar als eines der wichtigsten Nahrungsmittel empfohlen. (Sir 39,26).

Wein wurde als Heilmittel im Neuen Testament angesehen, etwa in der Samaritergeschichte (LK 10,34) Und im Brief an Timotheus schreibt ein Paulus sich nennender Autor, der Gemeindevorsteher solle ein wenig Wein trinken, „um des Magens willens, weil du oft krank bist“, 1 Tim 5,23).

Auch in der auf Jesus bezogenen Ikonographie kommt Wein immer wieder vor: Etwa auch in Emmaus, beim gemeinsamen Abendessen mit den zwei Jüngern mit dem unerkannt anwesenden Jesus, dem Auferstanden,. Im Text des Lukas wird zwar nur das Brotbrechen erwähnt. Aber die Künstler wollten auf den Wein nicht verzichte: Etwa bei Caravaggio: Abendmahl in Emmaus (um 1601) Oder: Gemälde „Cena in Emmaus“ von Jacopo Bassano (1537/38) in der Kirche von Cittadella. Oder man denke an das Kirchenfenster von Arnaud de Moles in der Kathedrale Sainte-Marie in Auch, Frankreich.

9.

Wenn von Dionysos als dem Weingott die Rede ist, muss auch Friedrich Nietzsche erwähnt werden. Für ihn ist Dionysos eine Art Symbol für ein ganz anderes Leben, das nicht der Entfremdung verpflichtet ist: Das Dionysische als Lebenshaltung ist der Einstieg in eine Selbstvergessenheit, der lustvollen Selbstübersteigung, der Entgrenzung. Es wird in diesem Zusammenhang immer an die Dialektik des Apollinischen und des Dionysischen erinnert. Nietzsche benutzte dieses dialektische Gegenüber zuerst in seinem Buch von 1873: „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Gemeint ist dieser Text als eine Huldigung Richard Wagners. Für Nietzsche ist die Tragödie die wahre Dimension des Menschseins. In der Tragödie erschließt sich das wahre Wesen der Welt. Tragödie heißt: Jemand wird schuldlos schuldig, fällt dabei, und stirbt. Nietzsche meint: Die Tragödie ist aus dem rituellen Chortanz des Dionysoskultes entstanden.

Nietzsche spricht dann vom tragischen Lebensgefühl als einem Ja-Sagen zum Leben, als Zustimmung, auch zum Furchtbaren, zu Tod und Untergang. Dieser Untergang ist die Heimkehr zum Lebensgrund. Leben und Tod sind tief verschwistert und alles steht in einem geheimnisvollen KREISLAUF. Das Apollinische Klare und Verständige wird dabei von Nietzsche als Teil des Dionysischen, des Rauschhaften, verstanden. Es gibt das auferbauende und das zerstörerische Spiel des Lebens: Es trägt den Namen Dionysos.. Entscheidend ist für Nietzsche die Bejahung des Vergehens und Vernichtens.

Dionysos wird so zum Inbegriff des allseits lebendigen und lebhaften Seins, er ist die Heiligkeit des Seins selbst.

Nietzsche stellt Dionysos neben Christus, den Gekreuzigten.

Es gibt meines Wissens wenige Äußerungen Nietzsches direkt zum Wein: Er hält Wein für wichtig, aber der Mensch soll auch die Fähigkeit haben, aus Wasser selbst Wein zu machen. Er sagt in „Menschliches Allzu Menschliches“: „Noch besser ist es, wenn man beide (Kunst und Wein) nicht nötig hat, sich an Wasser hält und das Wasser aus innerem Feuer, innerer Süße der Seele immer wieder von selber in Wein verwandelt“.

10.

Wie kann Rausch in eine Philosophie des Weins passen? Rausch sollte nicht als Betäubung verstanden werden, sondern als Form eines Lebens, das den Lebensimpulsen, den vitalen Impulsen, folgt. Dionysos ist also eine Gottheit dieses anderen Lebens. Als solche repräsentiert Dionysos Leben in seiner höchsten Form, weil er zeigt: Tod und Vernichtung gehören auch zum Leben und sollten nicht als Gegensatz gesehen werden, sondern als Teil des Lebens. Dieses „ganze“ Leben im Auf und Ab, im Sterben und Werden. Dazu bekennt sich Nietzsche bis zuletzt: Die „Dionysos-Dithyramben“ sind das letzte Manuskript, das er druckfertig machte…

11.

Der Rausch des Weins ist etwas anderes als der Rausch, den andere alkoholische Getränke verursachen: Darauf hat der englische Philosoph Roger Scruton in seinem Buch „Ich trinke also bin ich“ hingewiesen. Nicht nur, dass Wein als Geschmacksempfindung und Sinnlichkeit auch eine ähnliche berauschende Wirkung haben kann wie Musik und Kunst und Poesie. Beim Wein spielt das Aroma die entscheidende Rolle. Jeder Wein hat sein eigenes Aroma, also sein eigenes Gesicht. Wein hat Individualität. Anders als Bier oder Wodka. Diese Getränke werden oft nur schnell in Gier und aus Durst heruntergekippt, da soll schnell die berauschende Wirkung entstehen. Anders beim Wein: Da wird die Substanz genossen, die Farbe, das Gesicht des Weins. Da entstehen Gespräche, ein Miteinander, Wein wird nicht heruntergekippt.

12.

Eine Philosophie des Weins lebt von kritisch reflektierten Mythen: Das gilt bis heute: Beim Weintrinken beginnen Menschen, ihre Geschichten zu erzählen, der Wein lockert die Zunge und deswegen liegt „im Wein ja auch die Wahrheit“, wie das Sprichwort des Alkaios aus Lesbos sagt. Odo Marqurd, der kürzlich verstorbene Philosoph, hat ja nachdrücklich darauf hingewiesen: „Ohne Mythen können Menschen nicht leben“ .

13.

Im „Symposion“ erzählt Platon den Mythos von einer „Wein Feier“ u.a. mit Sokrates. Nur ein Aspekt dieses anregenden Textes kann hier erwähnt werden: Der Wein befördert hier indirekt auch die individuelle Wahrheit. Etwa, wenn man auf den Politiker Alkibidades am Ende der Erzählung achtet, der in Platons Geschichte im Weinrausch zu diesem Wein –Symposion gelangt und dort, in aller Ehrlichkeit (!), auch von seinem erotischen Gefühlen für Sokrates spricht. Dabei wird übrigens Sokrates auch als sehr trinkfähig beschrieben. Er kennt aber das richtige Maß, auch wenn er die ganze Nacht getrunken hat, ist er am nächsten Morgen fit.

14.

Immer mehr setzt sich dann in der Philosophie die Überzeugung durch: Im Rausch kann die Wahrheit nicht mehr entdeckt werden. Das ist Platons Grundüberzeugung, die sich dann bei Aristoteles noch weiter radikalisiert. Wahrheitsfindung wurde zur rein intellektuellen Anstrengung. Wer in der heftigen Ekstase förmlich aus sich heraustritt, seine Vernunft nicht mehr klar benutzt, kann die Wahrheit nicht finden.

Nebenbei: Auch Kant lehnte den Rausch ab. Er war bekanntermaßen ein Wein – Kenner und Wein – Liebhaber: Aber für ihn stand aller Wein Genuss unter dem Gebot des Maßes, des Maßhaltens.

15.

Die Vorschläge Hölderlins, den Wein als Gabe der Götter zu verstehen, bleiben inspirierend, wenn man denn sein Motto (eher als Begriff, der eine Sehnsucht ausdrückt) übersetzt: Weintrinken könnte eine neue rituelle, hoch geschätzte und deswegen „heilige“ Bedeutung erhalten, wenn er in Ruhe und langsam erfahren und getrunken wird. Und so Gemeinschaft stiftet, auch von Menschen, die einander bisher nicht kannt. Es gibt ja slow food, warum nicht auch slow drinks oder slowly drinking?

Gemeinsames Weintrinken als Kultur der Kommunikation: Vielleicht brauchen wir dafür wieder die „alten“ Weinstuben, die es als solche in vielen Großstädten Deutschlands nicht mehr gibt. Hingegen werden in Frankreich die bar à vin immer häufiger eröffnet, oft sogar als Buchhandlungen, die bis weit über Mitternacht geöffnet haben: Zum kommunikativen Weintrinken oder zurückgezogenem Lesen und Schmökern in den Büchern und Literaturzeitschriften, die dort amgeboten werden.

16.

Die einzelnen Gaben der Natur wieder schätzen lernen Das führt uns – nebenbei – zur Teekultur in Japan. Die Tee-Zeremonien sind in Japan und darüber hinaus als besinnliches gemeinsames Tee-Trinken unter der gastfreundlichen Leitung eines Meisters durchaus rituell strukturiert. Der Tee-Meister Soshitsu Sen schreibt: „Die grüne Farbe des Tees ist ein Spiegel der uns umgebenden Natur. Ich schließe meine Augen und tief in mir finde ich die grünen Berge und das klare Wasser der Quellen. Ich sitze, werde still und fühle, wie all dies ein Teil von mir wird“.

17.

Weitere Elemente einer Philosophie des Weins wären zu bedenken: zum Beispiel die immer heftig debattierte „Geschmacksfrage“. Dabei handelt es sich um erkenntnistheoretische Probleme: Zum Beispiel: Sind Geschmacksurteile auch objektiv, oder sind sie völlig der subjektiven Willkür überlassen? Ist mein Urteil zu einem bestimmten Wein mehr als meine Einschätzung, wenn ich sage: Ich finde den Wein etwas gradlinig und leicht nach Stachelbeere schmeckend, allerdings mit Schärfe im Abgang usw.“ Ist dieses mein Urteil mit anderen Urteilen zu vergleichen?

Kant hat daran erinnert, dass ein Urteil aussprechen, heißt: Einem bestimmten Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft zuzuschreiben. Etwa: Ein Ball ist rund. Das werden alle bestätigen.

Aber wie es bei dem individuellen Schmecken von Wein? Gibt es da nur und ausschließlich einander widersprechende subjektive Geschmackserlebnisse?

Natürlich ist es leicht, sich dabei auf Ludwig Wittgenstein zu beziehen, der die grundlegende Frage stellte, ob sich überhaupt alles in Begriffe bringen lässt.

Aber im Anschluss an David Hume (1711-1776) „Of the standard of Taste“ kann man doch sagen:

Es gibt keinen totalen Subjektivismus, keine totale Beliebigkeit und damit totale Widersprüchlichkeit in der Beurteilung eines Weins. Nicht alle Urteile haben recht im Bereich des Geschmacks. Stinkende Gerüche werden in einem bestimmten Kulturkreis wohl von allen als stinkend beurteilt.  Und stark verkorkste Weine wird wohl kaum jemand mit Genuss trinken. Und über die scharfe Säure eines missratenenen Weines werden sich wohl die meisten verständigen: An diesen extremen Beispielen wird schon deutlich, dass es elementare Grundüberzeugungen gibt, auch in der Einschätzung von Wein. Und ein Geschmacksurteil setzt immer auch eine gewisse Vorbildung, Ausbildung, voraus. Das gilt in anderen Urteilen zu „Geschmacksfragen“ ganz deutlich, etwa im literarischen Bereich: Da ist es evident, dass ein „Lore-Groschen-Roman“ nicht die gleiche künstlerische und sprachliche Qualität hat wie etwa ein Goethe-Gedicht…

18.

Wenn man sich das Studienprogramm der Universität in Geisenheim im Rheingau, anschaut, sie ist spezialisiert auf Weine und Weinanbau etc., wird man leider feststellen: Dort gibt es (bis jetzt) kein Studienfach „Philosophie des Weins“. Kann man aber künftige Weinspezialisten ausbilden, ob das Grundlegende, das Kulturelle, das Philosophische? Ist Wein nur noch eine Frage der Technik und des Kommerz?

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

“Glücklich leben” contra “sinnvoll leben”? Modelle der Lebensgestaltung. Ein Salonabend am Fr., 26.Juni um 19 Uhr

“Glücklich leben” contra “sinnvoll leben”? Modelle der Lebensgestaltung

Der Religionsphilosophische Salon im JUNI 2015 findet am Freitag, den 26. Juni, wieder um 19 Uhr in der schönen Galerie FANTOM in der Hektorstr. 9 statt. Der Beitrag wegen der Raummiete beträgt 5 Euro. Für StudentInnen gratis. Dazu herzliche Einladung. Mit der Bitte um Anmeldung: christian.modehn@berlin.de

Wir wollen uns dem offenbar so alltäglichen, tatsächlich aber anspruchsvollen philosophischen Thema Glück nähern. Und fragen: Kann mein individuelles Glück mein Lebensziel sein? Oder hat die Idee des sinnvollen Lebens eine viel tiefere Bedeutung? Texte zum Thema Glück, auch in populärer “Propaganda” gibt es in großer Fülle. Philosophisch relevant sind hingegen im Rahmen seiner “Philosophie der Lebenskunst” die leicht zugänglichen Überlegungen von Wilhelm Schmid im Insel Verlag “Glück”. Alles was Sie darüber wissen müssen…”

Sehr tiefschürfend ist der Versuch einer  “rationalen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie” durch Prof. Volker Gerhardt in seinem Buch “Der Sinn des Sinns” (2015, C.H.Beck Verlag, 358 Seiten).  Anregend ist auch das Buch des  Philosophen Michael Hampe, Zürich: “Das vollkommene Leben. Vier Meditationen über das Glück”. Auch die Lektüre dieses Buches ist inspirierend, es ist bei DTV erschienen, (3. Auflage 2004), es kostet nur 9, 90 Euro: “Virtuos komponiert. Glasklar geschrieben”, schreibt die Neue Züricher Zeitung. “Das Glück wird in der Vielstimmigkeit gefunden”, schreibt die Frankfurter Rundschau.

Ist das Streben nach “meinem Glück” zu individualistisch, gar egoistisch? Ist die Suche nach dem Lebenssinn von größerer ethischer Relevanz, weil im Lebensinn das Göttliche sichtbar werden kann (so Volker Gerhardt). Das ist nur eine Frage, die wir gesprächsweise etwas erhellen wollen. “Glück oder/und/contra Lebenssinn ?” wird so zur Frage nach meinem eigenen Lebensentwurf.

Einige weitere philosophische Hinweise von Christian Modehn wurden am 27.6.2015 publiziert, klicken Sie bitte hier.

Bei der Endlichkeit stehen geblieben. Hinweise zum Philosophen Odo Marquard

Bei der Endlichkeit stehen geblieben. Hinweise zum Philosophen Odo Marquard

Von Christian Modehn

Sein Tod hat die breite Öffentlichkeit kaum berührt. So ist es heute in Deutschland, wenn Philosophen sterben, selbst wenn sie sich in ihren Essais um allgemeine „Erreichbarkeit“ ihrer Argumente bemühten, also durchaus eine gewisse „Öffentlichkeit“ bedienen wollten. Odo Marquard hat die meisten seiner Texte, durchaus bezeichnend für ihn, im (populären) Reclam-Verlag Stuttgart (in den griffigen gelben Heften zu erschwinglichen Preisen) publiziert. Er wollte wohl heraustreten aus dem Elfenbeinturm, in dem sich so viele Philosophieprofessoren in Deutschland heute verstecken und ihre Bücher eher für Fachkollegen als für kulturell Interessierte, Philosophierende, schreiben. Marquard wollte kein philosophisches Getto. So wurde er direkt oder indirekt inspirierend bei der Einrichtung philosophischer Praxen und philosophischer Salons, also jener Orte, in denen das philosophisches Denken, eben das elementare Philosophieren, belebt wird. Es ist sicher bezeichnend, dass Gerd B. Achenbach, der Gründer der ersten philosophischen Praxis in Deutschland (1982 gegründet!), bei Odo Marquard in Gießen promoviert wurde. Und es ist weiter bezeichnend, dass man Marquards zahlreiche Essais („Ende des Schicksals“, „Philosophie des Stattdessen“, „Zukunft und Herkunft“, um nur einige zu nennen) mit der nötigen Konzentriertheit, aber doch eben als bloß Philosophierender noch mühelos lesen konnte, eben weil sie in jede Jackentasche passten, auf Reisen, in Wartesälen, auf Parkbänken…Dabei waren seine Gedanken alles andere als „leichte Kost“, schon gar nicht philosophisches fast food, auch wenn Marquard oft locker und ironisch, manchmal gar an der Grenze des Albernen formulierte: Er war alles andere als ein „Populärphilosoph“, auch wenn er, wie gesagt, nachvollziehbar schreiben konnte und schreiben wollte. Am 9. Mai ist der vielfach ausgezeichnete „Transzendentalbelletrist“, wie er sich selbst nannte, im Alter von 87 Jahren gestorben: Odo Marquards hat immer Wert darauf gelegt, Schüler des Philosophen Joachim Ritter zu sein, tausend mal hat er davon gesprochen, um immer nur klarzumachen, dass er einem konservativen Denken verpflichtet sei und deswegen nichts von den Veränderern, den linken „Revoluzzern“ schon gar nichts, halte. Seine ironisch formulierte Polemik gegen den Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas war heftig (und falsch in unserem Sinne). Marquard selbst publizierte eine „Apologie der Bürgerlichkeit“, das war wohl für ihn eine Variante einer bei ihm konservativ verstandenen Skepsis.

Ich habe etliche Essais von Marquard dann doch gern gelesen, weil sie eben sprachlich hübsch waren und schnell zum Widerspruch reizten: Man denke etwa an seine Warnung vor dem Willen, vieles zu verändern in der Gesellschaft: Die Beweislast, dass die veränderte Situation besser ist als die gegenwärtige, trage der Veränderer, so Marquard, darin durchaus beruhigend fürs Bestehende eintretend und darin eben der skeptischen Tradition verpflichtet. Damit wollte er warnen vor allzu heftiger Gesellschaftskritik, vor der Bindung an Utopien, überhaupt an Hoffnungen, dass „es später doch einmal besser werden muss“. Diese These hat mir nie eingeleuchtet: Weil doch das Leiden so vieler Menschen an dieser Gesellschaft so groß ist, dass diese Unerträglichkeit doch überwunden werden muss! Und die Leidenden schreien ja förmlich danach. Die neue, andere Situation kann nicht noch schlimmer sein als die gegenwärtige, sagten mir Slumbewohner in Santo Domingo. Da zeigt sich ohnehin die strukturelle Begrenztheit des Denkens von Odo Marquard: Er dachte im Horizont des alten Europa, vielleicht des alten Deutschland, der Bundesrepublik: Globalisierung und Elend in der Dritten Welt und Ökologische Katastrophen und Rechtsextremismus und Islam und so weiter und so weiter kamen bei ihm nicht vor. Er war in meiner Sicht doch der biedere Philosoph, irgendwie auch der etwas brillante Schöngeist, der mit seinen Essais durchaus seine klassische philosophische Kompetenz zeigte, aber doch in der bürgerlich-konservativen Welt befangen blieb.

Nebenbei: Meines Wissens hat Odo Marquard bei seinen ständigen Hinweisen und Lobeshymnen auf seinen hoch verehrten Lehrer Joachim Ritter in Münster niemals daran erinnert, dass dieser Ritter (offenbar in der Jugend ein Kommunist) am 11. November 1933 zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat gehörte; und dass Ritter 1937 in die NSDAP, die NS-Studentenkampfhilfe, den NS-Lehrerbund und die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt eintrat. Diese „Herkunft“, auch so ein Lieblingswort Marquards, wurde von ihm nicht thematisiert. Marquard war eben dann doch kein konsequenter Aufklärer, denn Aufklärung war ja auch nicht gerade seine Lieblingsphilosophie.

Man hat trotzdem Marquards Essais gern gelesen, weil sie zum Widerspruch aufforderten! Marquard selbst hat ja die von ihm betriebene Skepsis als „Zerstörung von Zustimmungen“ beschrieben (in „Skepsis und Zustimmung, 1994, Seite 10). Und das konnte man bei ihm lernen. Sein Insistieren auf der „endlichen Endlichkeit“ war schon penetrant und in meiner Sicht unphilosophisch-unkritisch, selbst wenn Marquard förmlich als Entschuldigung beteuerte, von Hegels Denken sich abgewandt zu haben: Aber es tut trotzdem gut an Hegel zu erinnern und ist von der Sache her wohl geboten, dass Endlichkeit ALS Endlichkeit eben nur in dem Darüberhinaussein, also im Transzendieren, überhaupt nur sein kann. Wir sind also als Endliche immer schon ins Unendliche einbezogen. Aber davon wollte Marquard partout nichts wissen: Er wollte die ins einer Sicht prinzipielle Endlichkeit unseres Daseins und Denkens dadurch erträglich machen, dass er diese prinzipielle Endlichkeit aufteilte, in viele kleine Endlichkeiten, um so das Leben noch im Alter – kurz vor dem Tode – halbwegs erträglich zu machen: „Endliches zeigt sich als das Menschliche nicht dadurch, dass es aufhört, das Endliche zu sein, sondern dadurch, dass bekräftigt wird, dass es das Endliche ist. Endliches wird humoristisch nicht durch Unendliches, sondern durch anderes Endliches distanziert, in dem man – sozusagen – die Endlichkeit auf die Schultern möglichst vieler Phänomene verteilt: Geteilte Endlichkeit ist lebbare Endlichkeit.“ (IN „Endlichkeitsphilosophisches“. Über das Altern. Hrsg. v. Franz Josef Wetz. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2013)

Dieser Vorschlag, hübsch formuliert, klingt wie eine verhaltenstherapeutische Weisung, er löst aber nicht das philosophische Problem der in jeder Endlichkeitserfahrung eben mit-gegebenen Unendlichkeitserfahrung: Da war der ebenfalls kürzlich verstorbene große Philosoph Michael Theunissen (Berlin) sehr viel reflektierter und sehr viel gründlicher im Denken als unser „Transzendentalbelletrist“. (Nebenbei: Auch an den großen Michael Theunissen wurde leider kaum erinnert).

Inspirierend, aber eben zur Kritik inspirierend bleibt auch der Essay Marquards „Lob des Polytheismus“ von 1978, der zweifellos eine gewisse Breitenwirkung hatte. Dort deutet er – durchaus kreativ, das wollte er ja immer sein – die demokratische Gewaltenteilung als „entzauberte Wiederkehr des Polytheismus“ und behauptet, das Individuum als Individuum könnte im Monotheismus gar nicht entstehen (in: „Abschied vom Prinizipiellen“, 1981, Seite 108). Da wird dann die später in rechtsextremen Kreisen (der Neuen Rechten, der nouvelle droite in Frankreich etwa) verbreitete These in Umlauf gebracht: Der Mensch müsse im Monotheismus „dem einzigen Gott nur parieren“, wie es Marquard polemisch ausdrückt. Dass durch die Vorstellung des einen Gottes die Menschen als gleichwertige „Menschheitsfamilie“ gesehen werden, dass also im Einheitsdenken die Menschenwürde eines jeden einzelnen gerettet wird und also im Monotheismus der Ursprung der Menschenrechte liegt, all das kann und will Marquard in seinem „Lob des Polytheismus“ nicht sehen und zugeben. Es mag wie ein (schwerer) faux-pas erscheinen, dass Odo Marquard in dem Beitrag ein paar Zeilen später in Hinweisen zur Mythenrezeption (Seite 109) in einem Atemzug „Roland Barthes und Alfred Baeumler“ einfach so hintereinander nennt: Als wäre Alfred Baeumler ein gleichermaßen kritischer und wichtiger Kopf wie der große Roland Barthes. Es wird nicht mit einem Wort erwähnt, dass der (sachlich wohl unnötigerweise) zitierte Alfred Baeumler der führende und prominente Kopf der Nazi-Philosophen war. Er gehörte zu den wenigen NS Philosophen, die nach 1945 nicht an eine deutsche Hochschule zurückkehrten. Muss Marquard wirklich dann in Fußnote 32 auf eine Arbeit Baeumlers hinweisen? Ohne weiteren Kommentar?

Trotz aller Kritik: Die Essais von Marquard bleiben (manchmal leicht) lesbar, trotz aller Egozentrizität mancher Formulierungen und der gewollt witzigen Bonmots. Marquards Essais, er schrieb ja eigentlich nur Essais, also in gewisser Weise kurze Studien, vielleicht manchmal auch Fragmente, bleiben inspirierend, gerade weil sich an ihnen so schnell der Widerspruch, das Nein, entwickelt.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Vernünftig mit dem Unvernünftigen umgehen. Ein Gastbeitrag zum Thema Esoterik von Hartmut Caemmerer

Wir freuen uns, wieder einen Gastbeitrag im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon veröffentlichen zu können: Zum komplexen Thema Esoterik/Exoterik bietet Hartmut Caemmerer einen unterscheidenden Durchblick. Es handelt sich um Thesen, die naturgemäss eher knapp ausfallen und auch als Gesprächseinleitung gemeint sind. Sie haben unseren Dialog am 24. 4. 2015 sehr belebt. Manche wollen die Thesen noch einmal nachlesen, weiterbedenken, weiterdiskutieren. Hartmut Caemmerer, seit etlichen Jahren mit dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin verbunden, hat diese Thesen noch einmal zur Verfügung gestellt. Dafür besten Dank. Unser Gesprächskreis lebt von der Vielfalt der Meinungen und der Vielfalt der Publikationen im Rahmen der Philosophie/ des Philosophierens oder einer “liberalen Theologie”. CM

Einige Thesen zum rationalen Umgang mit dem Irrationalen, mit Esoterik und Hochreligionen.

Von Hartmut Caemmerer, vorgetragen im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 24. 4. 2015 als Einleitung in ein Gespräch.

1. Esoterische Lehren unterscheiden sich von denen der Hochreligionen (exemplarisch: Christentum und Buddhismus) hinsichtlich der Einbeziehung irrationaler Gehalte nicht grundsätzlich, wenn auch im Einzelnen quantitativ und qualitativ durchaus (z.B. starke narrative Elemente im Christentum, nicht in der Esoterik). Beide arbeiten stark mit Symbolen, Bildern, notwendig unpräzisen Begriffen u.ä.

2. Innerhalb des Irrationalen ist zu unterscheiden zwischen dem Antirationalen, das objektiven Tatsachen und Denkgesetzen (Alltagserfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen) widerspricht, und dem schlicht Nicht-Rationalen wie Gefühlen, Empfindungen, inneren und äußeren Wahrnehmungen, Symbolen, Bildern u.a.m.

3. Von einem rationalen Standpunkt aus, sind antirationale Vorstellungen und Aussagen grundsätzlich nicht akzeptabel. Darüber hinaus ist gedankliche Kohärenz innerhalb der schlicht Nicht-Rationalen Gehalte zu fordern.

4. Diese Kohärenzforderung stößt allerdings leicht auf Schwierigkeiten, da mentale, psychische, spirituelle Bewusstseinsinhalte oft in sich widersprüchlich, vielschichtig oder vage sind, so dass sie sich präziser Rationalität in unterschiedlich starkem Maße entziehen.

5. Eine mittelbare, oft sehr effektive Kohärenzprüfung ergibt sich aber aus der Konfrontation mit Erklärungshypothesen aus anderen, säkularen Wissensbereichen. Die Erklärung einer Missempfindung aus Familienkonflikten oder körperlichen Beschwerden ist u.U. wesentlich plausibler als aus dem Wirken einer spirituellen Kraft.

6. Wegen der Hinweise zu 4. ist darüber hinaus Übereinstimmung mit gesellschaftlichen und personalen Wertmaßstäben (Wertrationalität) zu fordern bzw. zu prüfen; wie

-(gesellschaftlich:) eine demokratisch-egalitäre Grundeinstellung, Toleranz,  kommunikative Offenheit;

-(personal:) Wahrhaftigkeit, Intention zu größtmöglicher Rationalität; Authentizität, Integrität.

7. Diese Wertkriterien sind z.T. ihrerseits in der Anwendung problematisch. Die Unterscheidung eines wahrhaftig bekannten Glaubenssatzes, eines authentischen symbolischen Erlebens von einer Aussage bzw. von einem Erlebnis, die sich mehr einer Gruppenkonformität oder einer Gruppensuggestion verdanken, dürfte oft sowohl für den Betreffenden selbst als auch für den Außenstehenden (u.U. äußerst) schwierig sein.

8. Aufgrund der Hinweise in 4. bis 7. ist die Einschätzung einer hinreichenden Rationalität religiöser oder esoterischer Aussagen unvermeidlich bis zu einem gewissen Grade relativ und subjektiv. Jeder muss für sich selbst entscheiden, welche Auffassungen und Überzeugungen er für sich selbst als hinreichend rational übernehmen kann.

9. Die Akzeptanz von Irrationalität bei anderen kann (und sollte) großzügiger gehandhabt werden, als bei sich selbst. Nicht jeder ist zu einem anspruchvollen Rationalitätsniveau in der Lage; viele sind auch nicht sonderlich daran interessiert. Auch mit solchen Menschen kann aber der geistige Austausch (trotz kritischer Vorbehalte) anregend und lehrreich sein, jedenfalls dann wenn ihre Einstellungen und Verhaltensweisen den unter 6. genannten Wertmaßstäben genügen.

copyright: Hartmut Caemmerer.

 

 

 

Georg Elser – der einzelne und seine (Ohn)Macht. Hinweise und dringende Fragen zum Film

Georg Elser – der einzelne und seine (Ohn)Macht

Hinweise, dringende Fragen und radikale Vorschläge anlässlich des Films

Von Christian Modehn

Einige Szenen, einige Aussagen, kann niemand vergessen, der oder die den Film ELSER (mit Christian Friedel in der Hauptrolle) gesehen hat. Diese Szenen/Aussagen/Bilder bleiben im Gedächtnis, das ist wohl das Beste, was man von einem kinofilm sagen kann. Sie werden weitere Diskussionen und hoffentlich auch Veränderungen in der deutschen Erinnerungs-Kultur auslösen.

Vorweg noch ein Hinweis zur Dringlichkeit des Themas, darum diese Ergänzung vom 29.4.2015: Mit Nachdruck erinnert der Film ELSER an die Mitläufer, die Weggucker, die Unschuldslämmer, die Dummen, die Feigen, die Frommen, die Egoisten und alle die anderen, die sich dem Verbrechen der Nazis nicht entgegenstellen, also an die Mehrheit der Deutschen damals. Und heute? Die Juristin Doris Dierbach ist die Anwältin von zwei Nebenklägern im NSU Prozeß nach mehr als 200 Verhandlungstagen. In “DIE ZEIT”  (vom 29. April 2015, Seite 4) antwortet auf  sie die Frage, ob Sie denn nun besser verstehe, warum 10 Menschen (von den Nazis) ermordet wurden: “Wir wissen heute mehr darüber, was sich abgespielt hat. Aber es steigt auch die Verständnislosigkeit. Ich hätte nie geglaubt, dass es in unserem Land eine so manifeste Nazi-Szene gibt. Ich verstehe heute auch besser, warum der NSU so lange unerkannt bleiben konnte: Weil so viele in diesem Umfeld diese Mentalität teilen”. Und ihr Kollege, der Jurist Thomas Bliwier, auch er Anwalt von zwei Nebenklägern, weist im gleichen Interview darauf hin, dass diese Nazis (NSU) Leute sich im Laufe der Jahre immer mehr radikalisierten. “Aber niemand schritt ein, weil das Umfeld das gar nicht problematisch fand”.

Es gibt angesichts der hier nur angedeuteten deutschen Zustände allen Grund, sich näher mit dem Film ELSER zu befassen:

Die Poesie

Als Georg Elser zum ersten Mal von den Nazis verhört wird und – so will es die Bürokratie – seinen Namen und sein Geburtsdatum nennen muss, antwortet er nicht direkt. Er beginnt leise, in sich gekehrt, das Volkslied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ (Text und Musik von Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio, 1838) zu summen: Das ist bittere Ironie. Denn kein Land ist 1939 katastrophaler als das Hitler „Reich“. Andererseits: Poesie zeigt sich hier als Quelle des Widerstands, des seelischen Halts, als Methode, an den ewigen Wert des Menschen zu glauben, auch in dem Ausgeliefertsein an die Nazis – Bestien. Und eben als Erinnerung, dass es einmal … „das schöne Land“ gab. Die Mitläufer und alle vom Wahn Geblendeten haben dieses schöne Land, die „Heimat“, so viel beschworen, aufgegeben, verraten, zugunsten des Todes-Landes Nazi-Reich.

Das Gebet

Georg Elser, der Freigeist, betet in einer Gefängnis-Zelle. Beten sprengt den Raum. Elser sieht unter den vielen Graffitis an der Wand seiner Zelle ein Wort: JESUS CHRISTUS. Das gekrakelte Wort wird zu seiner Ikone. Er betet „Das Vater Unser“. Was denn sonst? Das Gebet, das alle religiösen Menschen immer sprechen können. Und das „Dein Reich komme“, also das Gottes Reich, können sogar Atheisten und Humanisten ersehnen und poetisch sprechen: Siehe etwa Ernst Bloch. Damit zusammenhängend: Szenen aus besseren Zeiten zeigen Georg Elser beim Schwimmen im Bodensee, wunderbare Bilder, die deutlich machen: Elser spürt inmitten der Natur, im Eintauchn ins Wassers, im Blick auf die umgebenden Berge, eine tiefe Lebensbejahung und eine Form von transzendenter Geborgenheit. Das ist religiös. Mehr braucht der Mensch kaum.

Der einzelne

Georg Elser handelt als verschwiegener, hoch begabter einzelner. Er muss Hitler aus dem Weg räumen. Er unterstützt nicht die Schlägereien, in die Kommunisten die Nazis etwa in der Dorfkneipe verwickeln. Das ist für ihn bloß wirkungsloser Aktionismus. Er will das System stürzen. Zurecht. Das ist das einzige, was weiterhilft. Keine homöpathischen Protestworte also, sondern radikales Handeln. Das kann auch der einzelne. Georg Elser tat es leid, dass sein leider erfolgloses Attentat doch auch Unschuldige (und leider nicht Hitler) in den Tod gerissen hat. Als Gefangener versucht er, seine Entschuldigung und sein Mitgefühl den Opfern und Hinterbliebenen noch mitzuteilen. In der Philosophie wird der Tyrannenmord als „ultima ratio“ ethisch verteidigt. Mord und tötende Gewalt sind als absolute Ausnahmen alles andere als alltägliche Vollzüge, wie manche Fundamentalisten heute meinen. Elser will Hitler nicht aus ideologischen, religiösen Gründen ermorden, sondern aus menschlichen. Er will die Menschheit retten, indem er Hitler tötet.

Der Liebende

Georg Elser wird als der erotisch Liebende gezeigt. Die Liebe zu den Frauen ist für ihn -poetisch gesprochen- ein Vorschein des Glücks. Interessant ist, dass der Film Elser nur als den erotisch Liebenden, nicht als den sexuell Aktiven, zeigt. Er will eine Welt, in der Liebe wieder ohne Gewalt möglich ist. Eine erotische Welt also. Rebellion lebt aus der Kraft der erotischen Liebe.

Das System rechnet nicht mit dem einzelnen

Die ihn verhören, quälen und erniedrigen aus Sadismus und im Auftrag Hitlers sind fassungslos, dass ein einzelner überhaupt noch auf die Stimme seines Gewissens hören kann. Die Nazis rechnen auch nicht damit, dass ein einzelner „kleiner Mann“ so umfassende technische Kompetenz besitzen kann, um Bomben mit Zeitzünder zu bauen! Das Verbrecher-System, wie vielleicht jedes System und Regime, rechnet vor allem gar nicht mehr damit, dass es noch Individuen mit einem lebendigen Gewissen gibt, dass es noch Menschen gibt, die ihre eigene Vernunft gebrauchen; die nicht nachplappern, die nicht um der Karriere willen schweigen und das Verschwinden der Nachbarn, der Juden, übersehen: es könnte ja den hoch heiligen Job kosten. Das Nazi-System wie jedes System glaubt, dass immer nur Organisationen mittels unfreier, gehorsamer (Partei-) Mitglieder handeln. Das Nazi –System glaubt also, dass die Gleichschaltung der Bürger, das Ausradieren ihres kritischen Bewusstseins, durch die Allmacht der Apparate und Organisationen total sein kann. Darin sind wohl alle Systeme und Regime verwandt..

Der 20. Juli

Die prominenten Widerstands-Kämpfer des 20. Juli 1944 stehen gegenüber Georg Elser eigentlich seit diesem Film sehr blass und als verspätete Akteure da. Sie kamen zu spät, viel zu spät. Elser lehrt: Nur rechtzeitiges Verändern eines verbrecherischen Systems ist überhaupt sinnvoll..

Wird man in Zukunft den Erinnerungstag, den 20. Juli, auf andere Weise begehen. Wird Georg Elser, der „einfache Mann“, in die Runde der zum Teil adligen Herren und Helden des 20. Juli einbezogen? Wie viele Schulen werden nach Elser benannt werden? Immerhin sind 56 Straßen und Wege nach Georg Elser benannt. Allerdings: Keine Straße im Zentrum des damaligen Faschismus, in Berlin. Wann wird man eine der vielen nach Bismarck benannten Alleen und Straßen z. B. zu Elser Straßen umbenennen?

Warum wurde Georg Elser so lange vergessen/verdrängt?

Dies ist die entscheidende Frage, die kritische Historiker bitte klären sollten: Falls das längst geschehen ist, bitte mich zu informieren! Meine Frage: Warum wollte die Bundesrepublik seit 1945 nichts von Elser wissen? Wollte die DDR etwas von ihm wissen? Gab es vielleicht eine stillschweigende Diffamierung in der BRD, Elser sei ja Kommunist gewesen, was ja nicht stimmt? Passte Elser also nicht ins Weltbild des Kalten Krieges?

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin