Von der Notwendigkeit der Muße

Von der Notwendigkeit der Muße
Vom zweckfreien Genießen des Daseins
Von Christian Modehn
(Diese “philosophische Meditation” geht auf eine Ra­dio­sen­dung im NDR Juli 2011 zurück)

Eine meiner Freundinnen beschäftigt sich mit der europäischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Sie ist davon so begeistert, dass sie mich gelegentlich zu privaten Führungen in Museen einlädt. Vor einigen Wochen traf ich Karla in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel. „Heute habe ich eine Überraschung für dich“, sagte sie. Und wir gingen gleich los, vorbei an den Arbeiten von Menzel, Feuerbach und den Meistern des Impressionismus. „Jetzt sind wir am Ziel“, sagte sie und wies auf das Gemälde „Der Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich. „Du hast es sicher schon mehrfach in Büchern gesehen“, flüsterte sie mir zu. „Aber jetzt schalte mal ab und schau das Gemälde an“.

Überrascht von ihren pädagogischen Anweisungen setzte ich mich brav auf eine Bank direkt dem Bild gegenüber. Je länger ich mich auf das Gemälde konzentrierte und das Spiel der Farben betrachtete, um so mehr glaubte ich, in die Welt des Bildes einzutreten. War ich mit ihr eins geworden? War ich aus der Zeit ausgestiegen? Später, in der Cafeteria, merkten wir, dass wir eine gute halbe Stunde mit dem Gemälde „Der Mönch am Meer“ verbracht hatten. „Ich wollte, dass du dir mal einen Museumsbesuch in Ruhe und Beschaulichkeit gönnst“, sagte Karla. „Das oberflächliche Rennen von Bild zu Bild ist doch ein Graus. Es bringt keine neuen Erkenntnisse“.

Wir tauschten unsere Eindrücke aus, wie z.B. die Mitte des Bildes von dem bedrohlichen Meer mit dem schwarzen Wolkenhimmel erfüllt ist. „Aber das Dunkel wird vom Licht begrenzt“, meinte Karla, „das ist mir so wichtig. Diese Helligkeit lebt! Sie entsteht, geht auf … und trotzt der Finsternis“. „Und der Mönch?“, fragte ich. „Er ist wie alle Menschen im Ganzen des Kosmos nur eine winzige Gestalt“, sagte sie. Der Mönch stehe zwar aufrecht, sei aber doch leicht gekrümmt. Er wirkt zerbrechlich inmitten einer bedrohlichen Welt.

An diese Unterbrechung des Alltags denke ich noch oft. Es war eine Zeit, ausgefüllt mit stillem Sitzen, Nichtstun und Warten. Ob mir eine kluge Inspiration kommt oder nicht, war mir wohl in dem Augenblick egal. Im Verweilen vor dem Gemälde sammelte sich der Geist, konzentriert einen Punkt hin. Das habe ich selten erlebt. Diese halbe Stunde der Muße war ein Geschenk, alles andere als vergeudete Zeit.

Seit dem Zeit schaue ich die Menschen um mich herum aus einer anderen Perspektive an als zuvor: Die Leute auf der Straße hetzen aneinander vorbei, sie haben offenbar nur eins im Sinn: Bloß keine Zeit zu verlieren! Pünktlich zu sein, damit ihr so genanntes Zeitmanagement nicht durcheinander gerät. Denn „Zeit ist Geld“. Dieser Spruch wurde von dem amerikanischen Politiker und Naturwissenschaftler Benjamin Franklin vor 250 Jahren formuliert; seine Maxime gilt seitdem als Inbegriff der Weisheit für die moderne Gesellschaft.

Auf den 100 Dollar Scheinen ist Franklin, einer der Gründervater der Vereinigten Staaten, abgebildet. So werden die Menschen ständig daran erinnert, die ihnen geschenkte Lebenszeit effektiv zu nutzen, und das heißt: in Geld zu verwandeln. Wie oft hört man im Elternhaus und in der Schule: Trödle nicht herum! Hör auf zu dösen, lass das Träumen am helllichten Tag. Mein Vater forderte: Mach was aus deiner Zeit: Lese, übe Klavier. Meine Tage und Stunden waren schon in der Jugend voll gestopft von Terminen. Nichtstun, Ruhigwerden, Muße, dies waren Fremd -Worte, die nur für Einsiedler und Mönche Gültigkeit hatten. Heute weiß ich: Manchmal dauert es Jahre, ehe man sich aus dieser von Hektik und Stress geprägten Welt befreit. Du musst immer schnell sein, effektiv und erfolgreich. Dieses Dogma gilt heute unerschütterlich weltweit.

Der amerikanische Psychologe Robert Levine hat eine „Landkarte der Zeit“ veröffentlicht; ein Buch, das inzwischen als Standartwerk gilt. Es untersucht die Frage: Wie gestalten Menschen in unterschiedlichen Staaten die eigene Lebenszeit. Am schnellsten, so Robert Levine, laufen die Menschen in West – Europa, Nordamerika und Ostasien. Spitzenleistungen im hastigen Gehen vollbringen Schweizer, Iren und Deutschen, vor allem aber Japaner.

Wenn diese vom Dauerstress geplagten Menschen gefragt werden, wie denn ihre Zukunft aussieht, denken sie an die bevorstehende Arbeit, hat Levine beobachtet. Und Vergangenheit ist für sie vor allem Erinnerung an erledigte Arbeit und erfolgreiche Leistung. Diese Menschen antworten auf die Frage, ob sie Mittwoch in zwei Wochen eine Einladung annehmen können, mit den Worten: „Das klappt, da habe ich noch nichts“. Sie sind glücklich, wenn ein leerer Fleck auf dem Terminkalender gefüllt wird. Der Soziologieprofessor Hartmut Rosa von der Universität Jena hat beobachtet, dass immer mehr Menschen wie in einem sich ständig drehenden Hamsterrad lebten: Das läuft und läuft und erzeugt nur Leerlauf, keiner weiß eigentlich, warum sie das Rad ständig drehen.

Handys und Blackberrys verführen zu permanenter Ruhelosigkeit. Die Journalistin Elisabeth von Thurn und Taxis, 29 Jahre alt, hat kürzlich im „Zeitmagazin“in aller Offenheit ein Bekenntnis abgelegt:

„Nur in einigen wenigen Momenten, im Urlaub, gelingt es mir, das Handy für ein paar Tage auszuschalten. Ich bin eine von diesen Blackberry – Abhängigen. Wenn ich es mal schaffe, in einer freien Minute nicht auf meinen Blackberry zu starren, vermerke ich das als gelungene Meditation“.

Ob ein paar freie Minuten ausreichen, zu einem anderen Lebensstil zu finden, der nicht von permanenter Hektik geprägt ist? Können wir es noch lernen, uns über Zeiträume zu freuen, die nicht gefüllt sind mit Arbeiten und Beschäftigungen oder Freizeitaktivitäten? Mit einem guten Bekannten, der eine philosophische Praxis der Lebensorientierung leitet, habe ich kürzlich über diese Frage gesprochen. Er meinte zu meiner Überraschung: „Das liegt daran, dass wir Langeweile nicht ertragen können“.

Aber Langeweile… ist das nicht ein trauriger Zustand, fragte ich. Da sitzt man zum Beispiel auf dem Bahnhof und muss zwei Stunden auf den nächsten Zug warten. Man läuft hin und her, schaut zwanzig mal auf den Fahrplan, versucht dann sogar den architektonischen Charme der schlichten Wartehalle zu entdecken, trinkt einen Tee nach dem anderen im stickigen Bistro, blättert in Illustrierten, schaut immer wieder erwartungsvoll auf den Bahnsteig: Diese zwei Stunden können zur Qual werden, wenn man sich vorstellt, was man alles verpasst: Termine müssen abgesagt, interessante Gespräche verschoben werden. Ist Langeweile nicht immer eine sinnlose Zeit?

„Das muss nicht sein“, meinte der Philosoph. „Wenn wir einmal freie Zeit haben, wenn uns also leere Stunden bevorstehen, wie ich gern sage, dann sollten wir sie zulassen und nicht aus Angst vor dem Untätigsein wieder mit Aktivitäten voll stopfen. Die Langeweile kann wirklich zu einer angenehm langen Weile werden, zu einer ausgedehnten freien Zeit, über die man sich freuen kann. Du hast doch jetzt noch über eine Stunde frei, sagte sie dann unvermittelt. Lies mal nicht, telefoniere mal nicht, mach gar nichts. Genieße diese bevorstehende lange Weile. Geh also in den Park, da ist es ziemlich ruhig. Setz dich auf eine Bank und tu nichts“.

Schon wieder bin ich an einen „Pädagogen“ geraten, dachte ich. Dabei fiel mir aber ein, wie gut mir der Museumsbesuch mit meiner energischen Kunst – Freundin getan hatte. Und so setzte ich mich auf eine Parkbank, umgeben von Rhododendron Sträuchern; eine leicht geschwungene Holzbrücke vor Augen. In dem kleinen See sah ich zwei Entenpärchen schwimmen, und, auch dies, ein paar Amseln piepsten. Und ich erinnere mich an den Gedanken: Jetzt bloß nicht sentimental werden. Darum schloss ich lieber die Augen und saß einfach nur da, still meinem Atmen folgend. Irgendwelche belanglosen Gedanken gingen mir zuerst noch durch den Kopf, doch dann wurde ich ganz ruhig. Ich dachte an nichts mehr. Und, so erinnerte ich mich später, die Zeit insgesamt war für mich stehen geblieben. Ich erlebte reine Gegenwart. Meine Verbindung mit der Zukunft wie auch mit der Vergangenheit war unterbrochen. Ich lebte ganz im Jetzt, in einer langen Weile, die nur Gegenwart bedeutete. Und diese stille Gegenwart war für mich nichts als wirkliches Lebendigsein.

Ich weiß noch, wie ich die Augen öffnete, und ich ein Gefühl der Dankbarkeit spürte, in diesem schönen Park einfach nur da zu sein, leben zu dürfen. Kann man das Leben selbst schmecken? Die Frage hätte ich früher albern gefunden, jetzt konnte ich sie bejahen. Später musste ich an den Philosophen Michael Theunissen denken, er hatte die Erfahrung der Muße und des kreativen Nichtstuns ein Verweilen genannt. Er dachte dabei an unsere Offenheit für das, was unser Leben trägt. Sinngemäß hatte er einmal geschrieben:

Das Verweilen ist der Versuch, ganz präsent, ganz gegenwärtig zu sein. Wenn wir uns auf diese Gegenwart hin sammeln, erleben wir eine Art Glückserfahrung, das Gefühl, aufgehoben, geborgen zu sein. Der Philosoph meinte sogar: Ewiges werde dann sichtbar.

Ich ging zurück zu meinem philosophischen Lehrmeister, um von meinen Eindrücken zu berichten. Er wollte aber gleich noch Grundsätzliches mitteilen: „Wir Menschen brauchen Auszeiten, wie wir heute etwas salopp sagen, also Stunden oder Tage, in denen wir aus der Zeit heraustreten und gewissermaßen außerhalb der Zeit sind“, sagte sie in leidenschaftlichem Ton. Nur so kann sich unser Geist regenerieren und unser Körper neue Vitalität entwickeln“.

Mein Philosoph kam dann fast ins Schwärmen, als er dann von ihrem letzten Urlaub berichtete: „Morgens überlegte ich nur, wohin ich so ungefähr wandern will“, erzählte sie, „aber da gab es auch keinen Druck, keine Pflicht. Manchmal ging ich nur ein paar hundert Meter, weil mich eine Landschaft so begeisterte, dass ich einfach sitzen blieb und nur schaute. Dann war der halbe Tag vorbei. Ich hatte in diesen Stunden das Gefühl, lebendig zu sein. Muße gelingt nur in der Langsamkeit, im eher zögernden als zielstrebigen Gehen, im Innehalten und Verweilen.

Die freie Zeit wie ein Geschenk annehmen. Das gelingt nicht von selbst; offenbar muss man den Umgang mit diesem Geschenk lernen. Muße ist ja nicht nur das stille Sitzen im Museum oder im Park, Muße ist auch das ruhige Gespräch, der Dialog, wo man einander zuhört, wo man sich Pausen gönnt, Zeichen dafür, dass man nachdenkt und gemeinsam eine bessere Erkenntnis sucht. Einfach um zu provozieren, hatte ich kürzlich einen Kollegen gefragt: „Na, hattest du denn heute schon etwas Muße?“ Er schaute mich groß an, dann sagte er. „Heute nicht. Aber gestern, da habe ich ehrenamtlich, wie man so sagt, in einem Hospiz zwei Stunden verbracht. Und bei einer Schwer – Kranken gesessen; still, ohne viele Worte, gelegentlich berührte ich Ihre Hand, manchmal befeuchtete ich ihre Lippen. Das ist für mich Muße! Übrigens, eine wunderbare Zeit auch für mich, eine Zeit zum Nachdenken, eine gute Möglichkeit, sich dem eigenen Tod zu stellen“.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich aus dem System der Hektik, der Schnelligkeit, der Atemlosigkeit zu befreien. Aber, so bemerkt der Soziologe Hartmut Rosa, dies gelingt nur mit einer gewissen Anstrengung. Er empfiehlt die so genannte Odysseus Strategie: Wie der Held der griechischen Sage muss man sich in gewisser Weise selbst fesseln, um den unendlichen Möglichkeiten des Freizeit Betriebes und der Unterhaltungsindustrie nicht zu verfallen. Odysseus musste sich vor den verführerischen Fabelwesen, den Sirenen schützen, sie waren seine tödliche Bedrohung. Heute bedrohen uns die vielen Angebote der Unterhaltungsindustrie seelisch, sie lassen uns nicht zum Nachdenken kommen, verhindern jegliche Form der Selbstwahrnehmung, sie beeinträchtigen unsere Lebensqualität erheblich.

Wenn Menschen offenbar freie, leere Zeiten so schwer ertragen können: Sollten sie sich dann vielleicht an verhaltenstherapeutische Übungen gewöhnen? Diese Überzeugung hatte kein geringerer als der vielseitig begabte französische Philosoph Blaise Pascal. In seinen Pensées, Gedanken, notierte er im Jahr 1660:

„Als ich es unternommen habe, die ruhelose Geschäftigkeit zu betrachten, denen sich die Menschen zu Hofe und bei Kriege aussetzen, woraus so viele Streitigkeiten, Leidenschaften erwachsen, hab ich mir gesagt: Das ganze Unglück der Menschen rührt aus einem einzigen Umstand her, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können“.

Also schließ dich ruhig einmal in deinem Zimmer ein, meide die Welt der Vergnügungen und Unterhaltungen und denke über deine Lebenszeit nach. Ob diese eher rabiate Therapie, wie sie Blaise Pascal vorschlägt, hilfreich ist, um die Muße zu lieben zu lernen, ist fraglich. Der Philosoph Martin Heidegger setzte auf die Kraft der Erkenntnis: Und die beginnt mit dem Satz:

„Die dir gegebene Zeit ist dein Leben. Denn das menschliche Dasein ist zeitlich geprägt, mehr noch: Das Dasein ist selbst Zeit. Deswegen gilt: Sinnlos verbrachte Zeit ist sinnlos verbrachtes Leben“.

Kürzlich sah ich mich genötigt, diese Erkenntnis ein paar Jugendlichen verständlich zu machen. Ich hatte mich erneut auf meine meditative Parkbank an der hübschen Holzbrücke gesetzt und einfach nur die Natur betrachtet. Da kamen drei Jungs, vielleicht 16 Jahre alt, vorbei und grölten: O, da langweilt sich aber einer. Ich rief ihnen zu: Was ist denn für euch Langeweile? Da meinte einer: Wenn uns langweilig ist, gehen wir raus, machen irgendetwas Spontanes, wir müssen ja die Zeit irgendwie totschlagen.

Ich war darüber erst einmal tief bestürzt. Dann sagte ich: Wenn ihr eure Zeit totschlagt, dann schlagt ihr euch irgendwie auch selber tot, den die Zeit ist doch euer Leben. Die drei Jungs starrten mich einige Augenblicke an. Ob sie mich verstanden hatten? Ich will es hoffen. Sie zogen dann kleinlaut weiter.

Darin sind sich Pädagogen einig: Kinder sollten schon früh mit dem Gedanken vertraut gemacht werden: Langeweile muss man nicht vertreiben. Wenn das eine Spiel beendet ist, kommen Kinder oft laut schreiend zu den Eltern oder den Geschwistern und sagen: Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Da sollte man bloß nicht den Kindern das nächste Spiel zeigen oder gar zu, Zeitvertreib an den Computer schicken. Langeweile können auch Kinder schon aushalten. Sie kommen dann selbst auf neue Ideen, wollen ein Bild malen, ein paar Zeilen krakeln oder einfach nur auf dem Teppich liegen und träumen.

Oder sind diese Überlegungen schon längst überholt, gar naiv und idyllisch? Darüber sprach ich kürzlich mit dem türkischen Psychologen Kazim Erdogan im Berliner Bezirk Neukölln. „Langeweile voller Phantasie gestalten, genau darauf kommt es an, auch hier bei den türkischen und arabischen Jugendlichen“, meinte er. „Nicht die Mädchen, die Jungen müssen lernen, ruhig zu werden; sie müssen lernen, in kleinen Gruppen zu plaudern, zu musizieren, Sport zu treiben, sonst rennen sie bloß auf der Straße rum und dann machen sie irgendwelchen Unsinn“.

Lass die Langeweile zu, fliehe nicht vor ihr, hab keine Angst vor der leeren Zeit. Mit dieser Überzeugung begeleitet die Psychotherapeutin Verena Kast aus Zürich ihre Patienten, die „ausgebrannt sind“, unter burn out leiden und am Dasein zweifeln und verzweifeln, weil sie sich aus dem von Stress geprägten Arbeitsleben nicht befreien können. Der therapeutische Ansatz heißt dann: Hab Mut zur Langeweile. Verena Kast schreibt:

Um mit Langeweile umgehen zu können, müssen wir sie akzeptieren als ein sinnvolles Gefühl, als Übergang, zu neuen Interessen. Wenn es uns gelingt, uns mal darauf zu konzentrieren, dass uns jetzt gar nichts anspricht, dann kann eine neue Idee auftauchen. Dann merken wir plötzlich, wo eigentlich unsere Interessen wären, was uns von Innen her wirklich ansprechen würde. Aber dazu braucht es eben einen Mut zur Langeweile. Das wissen Menschen verhältnismäßig gut, die kreativ sind; die haben etwas gemacht, die haben eine Idee ausgearbeitet. Und dann fällt ihnen zunächst mal nichts ein. Und dann langweilen sie sich. Und sie wissen aber aus Erfahrung: Wenn ich mich auf diese Langeweile konzentriere, dann wird wieder etwas Neues. Darum nutze die Muße, die du jetzt empfindest, lass diese Unterbrechung deines Lebensrhythmus zu, halte jegliche Aktivität fern. Dann lebst du auf.

Die Einsichten von Therapeuten, Philosophen und Soziologen lassen sich in zwei Sätzen zusammenfassen: Ohne Muße ist das Leben nicht lebendig. Ohne das Verweilen hat alles Tun keinen Sinn. Deswegen hat die radikale Forderung „Muße muss sein“ auch ihre Berechtigung. Natürlich ist es problematisch, in Fragen praktischer Lebensgestaltung, also auf dem weiten Feld der Ethik, das Wort Müssen zu verwenden. Nur in Freiheit und ohne Zwang können Menschen ein gutes Leben führen und wahrhaftig werden.

Aber heute haben wir eine extrem belastende Situation: Der Mangel an Muße, an Verweilen, an zweckfreiem Ruhen, führt zu schweren Erkrankungen, vor allem zum so genannten „Seeleninfarkt“. Davon spricht zum Beispiel der Psychotherapeut Joachim Galuska; er hat in Kliniken für psychosomatische Medizin aufgebaut. Mit anderen Therapeuten weist er darauf hin: Auch die Seele braucht intensive Pflege, sie braucht Ruhe, Stärkung; und die beste Medizin, die schon präventiv wirkt, ist die Muße. Ein Infarkt der Seele äußert sich in Depression, Angststörung, Schlaflosigkeit, Sucht. Um diese Seeleninfarkte zu behandeln mussten zum Beispiel im Jahr 2008 fast 29 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Aber die Muße als Lebenshaltung wird natürlich nicht empfohlen, um die Krankenkassen zu entlasten. Muße muss sein, weil nur sie das Leben in seiner ganzen Fülle erlebbar macht, weil sie erfahrbar macht: Wir Menschen sind weder perfekt funktionierende Robotter noch Arbeitstiere.

„Ora et labora“, bete und arbeite, hieß das Lebensprinzip der Mönche im Mittelalter. Man könnte es modern formulieren: Genieße deine Muße und verweile in der Gegenwart. Und Arbeiten bleibt eine Not – Wendigkeit; aber pflege das zweckfreie Nichtstun. Nur so findest du deine Balance.
Copyright: christian modehn.

Zwischen Verstand und Gefühl – Ein Interview

Als “Gast – Interview” stellte uns Monika Herrmann dieses Interview für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon zur Verfügung:

Zwischen Verstand und Gefühl
Ein Interview mit dem philosophischen Praktiker Roger Künkel, Berlin.

„Philosophie ist bis ins 20. Jahrhundert hinein fast nur im universitären Bereich angesiedelt, ihre Urform war jedoch immer Praxis orientiert“, sagt Roger Künkel.
Als Philosoph und Diplom-Psychologe betreibt er in Berlin eine philosophische Praxis und begleitet dort Menschen mit unterschiedlichen Problemen. Das Interview führte Monika Herrmann, Berlin, für die Wochenzeitung „Die Kirche“, Berlin.

Herr Künkel, Philosophen wird nachgesagt, sie würden in erster Linie denken und weniger handeln. Ist das so?

Nein, das ist ein Vorurteil. Seit Anfang der 80-er Jahre bieten sie auch Beratung in eigenen Praxen an: Es geht dort um existentielle Fragen, die Menschen haben: Wie kann mein Leben gelingen? Wie können wir verstehen, wer wir sind, wohin wir gehen und woher wir kommen? Aber auch um Anleitung zum Denken, um Entscheidungssuche und Meinungsfindung. Diese praktischen Philosophen wollen eine Alternative bieten zu therapeutischen, theologischen und religiösen Angeboten. Das heißt: Philosophische Praxen sind offen für Menschen, die Fragen haben zu sich selbst oder zur Welt.

Wen beraten und begleiten sie?

Manche meiner Klienten wollen einfach ihren Lebensweg neu bestimmen. Also Fragen nach der Gestaltung der Lebenszeit spielen eine Rolle. Es kommen auch Menschen, die Probleme mit ihrem sozialen Umfeld haben. Andere leiden an Sinnkrisen oder massiven seelischen Problemen.

Sind dafür nicht Psychotherapeuten zuständig?.

Ich glaube, dass die Psychotherapeuten in erster Linie die Verletzungen der Seele als Krankheit sehen. Man kann aber psychologische, Sinn bezogene, theologische und philosophische Fragen nicht von einander trennen.
Deshalb therapiere ich auch nicht im klassischen Sinn, sondern führe mit meinen Klienten einen Dialog mit dem Ziel, dass sie lernen, Zusammenhänge zu verstehen und letztlich sich selbst verstehen. So kann ich Paaren helfen, die nicht mehr weiter wissen, oder Menschen, die Probleme im Berufsleben haben. Aber auch Familien, die in Krisen geraten sind, oder alten Menschen, die mit ihrem Ruhestand unzufrieden oder einsam sind und den Sinn des Lebens verloren haben. Philosophische Praxis ist nicht nur etwas, das mit Intellekt und Verstand zu tun hat, wie oft vermutet wird. In der Philosophie geht es auch um Emotionen. In meiner Praxis spielen sie eine große Rolle.

Das bedeutet, ihre Klienten dürfen weinen, klagen, schreien

Man darf alles. Denn die Gespräche, die ich mit meinen Klienten führe, sollen zur Klarheit des eigenen Seins führen. Dass man seine Gefühle auch verstehen lernt, ist wichtig. Ein Balanceakt zwischen Verstand und Gefühl ist das. Wenn Menschen nur mit dem Verstand reagieren, verstehen sie nicht viel von sich. Anders herum geht es auch nicht. Also eine gesunde Balance, die aber für jeden individuell verschieden ist.

Wenn es Ihnen so sehr um die Seele der Menschen geht, verstehen sie sich auch als Seelsorger?

Natürlich. Schon in der Antike, bei Platon beispielsweise, wurde die Philosophie als die Sorge um die Seele betrachtet.
Das heißt, sie ist ein primäres Anliegen der Philosophie. Seelsorge wird heute weit gehend von Religionsgemeinschaften angeboten. Das Problem ist: Menschen werden dort im Sinne der jeweiligen Träger beraten. Ich will das nicht kritisieren. Aber der Gesprächsrahmen steht fest. In der philosophischen Praxis ist das anders. Dort bestimmt der Klient, in welche Richtung er gehen möchte und zu welchen Räumen er eine Tür geöffnet haben möchte.

www.philosophische-praxis-kuenkel.de

Stille in der Stadt – Ein Interview mit Ursula Richard

Stille in der Stadt – Interview mit Ursula Richard
Ursula Richard ist Autorin und Mitbegründerin der “Edition Steinrich” in Berlin. Im August erscheint von ihr ein wichtiges Buch im Kösel Verlag über “Stille in der Stadt”, ein Thema, das viele religionsphilosophisch Interessierte sicher bewegt. Ursula Richard hat dem religionsphilosophischen Salon schon vorweg ein Interview gegeben.

Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Stille in der Stadt“.
Warnen Sie also indirekt vor der Stadtflucht, die so viele erfasst, die gern meditieren und zur Ruhe kommen.

Ich warne vor falschen Sichtweisen und Trennungen, (die ich natürlich selbst gut kenne) – hier die Stadt als energie- und kräftezehrender Vampir, da das Land, das Natur, Zur-Ruhe- oder Zu-Sich-Kommen verspricht. Dieser Sicht zufolge muss ich so oft wie möglich der Stadt entfliehen, um in ländlichem Umfeld die Energie aufzutanken, die ich dann in der Stadt wieder so schnell verbrauche. Mein Vorschlag: Diese Sichtweisen und Trennungen einmal fallenlassen und schauen, wie viele Möglichkeiten doch in der Stadt selbst gegeben sind, Ruhe, Stille und vielleicht noch viel mehr zu finden.

Aber mussten Sie sich in der Stadt die Stille erst einmal „erobern“?

Ich musste nur die Fluchtbewegung aufgeben und dann sehen: die Stille ist auch in der Stadt zu finden, ja letztlich ist sie immer und überall da. Sie ist auch in den Geräuschen zu finden. Stille ist nicht zu erobern, sondern zu entdecken als eine Qualität, die alles durchdringt. Aber natürlich sind solche Entdeckungen an Hauptverkehrsstraßen zur Rushhour schwieriger als auf dem eigenen Balkon zu machen. Christian Herwartz, der in Berlin Straßenexerzitien leitet, erzählte von einer Frau, die die Erfahrung tiefer Stille am Kottbusser Tor machte, einem sehr lauten, belebten Ort in Berlin, vor dem sie sich zudem fürchtete, da er von vielen Drogenabhängigen und alkoholkranken Menschen bevölkert wird.
Ich finde es aber auch faszinierend, dass man die Stille auf dem Land meist als so wohltuend wahrnimmt, aber wenn man genau hinhorcht, ist es ja gar nicht still; es zirpt und schilpt, Vögel zwitschern, Frösche quaken, Kühe muhen, Trecker fahren, aber man empfindet das nicht als Lärm. Der Geräuschpegel kann im Städtischen mancherorts viel niedriger sein, aber da ist man viel schneller dabei, sich gestört zu fühlen. Und so kann man erkennen, wie viel unseres Erlebens vor allem von unseren Wertungen abhängt.

Wo haben Sie denn in Berlin, mitten in der Stadt, Ruhe und Stille gefunden?

Ruhe und Stille in einem eher vordergründigen Sinne habe ich in Berlin an vielen Orten gefunden: auf dem eigenen Balkon, auf Friedhöfen, in Parks, in Kirchen, in Meditationszentren, mit einem Boot auf dem Wannsee, früh morgens auf den Straßen … Aber ich habe auch schon Ruhe und Stille gefunden, als ich z. B. offenen Sinnes den Kudamm entlang gegangen bin, auch Ruhe und Stille in den vielfältigen Blickkontakten oder Begegnungen, die an solchen belebten Orten so einfach möglich sind.

Sie sprechen auch von urbaner Spiritualität. In den Bergen und den Wüsten bin ich allein. Ist urbane Spiritualität eine „Frömmigkeit“, die den anderen, die andere, wahr – nimmt? Eine Spiritualität des Antlitzes?

Ja, für eine urbane Spiritualität ist m. E. die Dimension der Verbundenheit sehr wichtig und damit ist sie sicherlich eine Spiritualität des Antlitzes. Ursula Baatz spricht davon, das Antlitz des Anderen wahrzunehmen und zu ehren; bei den Straßenexerzitien von Christian Herwartz kann ein Leitimpuls sein, im Anderen Gott zu finden. Ich nehme den anderen Menschen nicht mehr als jemanden wahr, der potenziell meine Ruhe und meine Kreise stört, mir fremd und suspekt ist, sondern schaue und handle aus einer Haltung der Verbundenheit heraus und das ermöglicht ganz neue faszinierende Begegnungen, in der U- oder S-Bahn, auf der Straße usw.

Es gibt „stille Abteile“ bei der Bahn. Wünschen Sie sich ähnliches, etwa „stille Cafés“ z.B. in denen von 4 bis 8 Ruhe herrscht?

Ich denke, dass Großstädte vielfältige „Räume der Stille“ brauchen. Das können „stille Cafés“ sein oder in Restaurants ein Raum, in dem in Stille gegessen werden kann. Oder geöffnete Kirchen; denn Kirchen erscheinen mir immer noch mit die machtvollsten Kraftorte der Stille zu sein. Und es gibt noch so viele Kirchen bei uns, doch sie sind viel zu selten geöffnet. Aber für mich sind auch „Räume der Stille“ am Potsdamer Platz z. B. denkbar in Räumlichkeiten, die von Hotels oder Daimler Benz oder der Deutschen Bahn zur Verfügung gestellt werden, oder leer stehende Läden in Neukölln oder im Wedding, Räume, in denen man allein oder mit anderen für eine Weile in Stille sein kann. Da ließe sich vieles vorstellen. Ich würde gerne mit anderen an Konzepten und der Realisierung von Räumen der Stille arbeiten.

Wie geht es weiter mit dem Buch: Wünschen Sie sich, dass LeserInnen ihre Ruhe Momente in der Stadt mit Ihnen austauschen?

Ja, im letzten Teil meines Buches entwerfe ich eine Art Utopie, wie ich mir eine Stadt in einigen Aspekten wünsche (und da spielen die Räume der Stille eine große Rolle), und ich lade die LeserInnen ein, auch ihre Phantasie spielen zu lassen, um ihre Stadt oder ihr näheres städtisches Umfeld zu entwerfen. Und dann für sich zu schauen, was kann ich oder will ich persönlich tun, um diese Stadt Wirklichkeit werden zu lassen. Und über solche Ideen, Phantasien würde ich mich gerne austauschen, aber auch über die Qualität von Begegnungen aus einer Haltung der Verbundenheit heraus und natürlich auch über Ruhe-Momente in der Stadt, gern an ausgefallenen Orten. Im Moment bin ich noch dabei, einen blog zum Thema einzurichten als einer Möglichkeit des Austauschs. Das Thema einer urbanen Spiritualität hat mich wirklich gepackt. Im Prozess des Schreibens habe ich so viele neue interessante Erfahrungen machen können mit der Stadt, mit mir, mit meinen Mitmenschen, einfach dadurch, dass ich mir meiner gewohnten Sichtweisen, Trennungen und Wertungen über sie bewusster geworden bin und diese immer wieder auch habe loslassen können, und einfach neu geschaut und ganz viel spannendes entdeckt habe.
religionsphilosophischer-salon.de, publiziert am 12. 6. 2011
Ursula Richard und die Edition Steinrich: Arndtstr. 34, 10965 Berlin.
Das Buch “Stille in der Stadt” hat den Untertitel: Ein City – Guide für kurze Auszeiten und überraschende Begegnungen, ca. 160 Seiten, Kösel verlag, August 2011.

Europa im Hausflur: Zum internationalen “Tag des Nachbarn”

Philosophie als Orientierung und Lebensgestaltung kann nicht darauf verzichten, auch praktische Beispiele eines humaneren Miteinanders vorzustellen. Alleinsein und Einsamkeit sind Themen der Philosophie. In der Praxis werden am “Tag des Nachbarn” Brücken gebaut, Verbindungen gestiftet für mehr Nähe und Solidarität unter den Menschen.

Europa im Hausflur
»Das Fest der Nachbarn« – damit die Stadt menschlicher wird
Von Christian Modehn

Sieben Jahre wohne ich in dem Hochhaus zusammen mit 80 anderen Mietern. Im Fahrstuhl schauen die meisten eher weg, wenn jemand einsteigt. An der Haustür ist ein zaghaftes Nicken schon eine Meisterleistung der Kommunikation. Seit ein paar Monaten ist das anders: Ich kenne die Namen einiger Mitbewohner; eine afrikanische Familie hat mich zum Aperitif eingeladen; als ein Pärchen verreiste, habe ich die Blumen gegossen; an einem Sonntag hat mich ein älteres Ehepaar gebeten, sie zur Ambulanz zu begleiten: Allmählich wird das Leben hier menschlicher, freundlicher.«

Gisèle Perroux, 46 Jahre, sie lebt in Paris und ist Versicherungsangestellte, Single, wie die meisten Bewohner ihres Hauses. Vom Charme der Seine-Metropole ist hier, im 13. Stadtbezirk, wenig zu spüren: Ein Wohn-Turm steht neben dem anderen, es gibt wenig Grünflächen, durch die Straßen donnert der Verkehr, die typischen »Pariser Bistros« muss man anderswo suchen. Auf engstem Raum wohnen hier 300 000 Menschen zusammen aus 45 Nationen. »Vor einem Jahr hatten wir in unserem Hausflur ein kleines Fest veranstaltet: Mit einem Plakat an der Eingangstür hatte ich alle Mieter eingeladen, am Abend zu einer kleinen Stehparty zusammenzukommen: Immerhin: 30 Nachbarn fanden sich ein; vier Leute brachten Rotwein mit, eine Familie aus Spanien hatte gleich drei Flaschen Sherry dabei, ich hatte für etwas Käse gesorgt, eine Dame aus Vietnam brachte Frühlingsrollen: Drei Stunden feierten wir gemeinsam.«

Gisèle Perroux hatte im Radio von einer neuen »Bürgerbewegung« gehört. Sie heißt »Immeubles en fete«, »Wenn Mietshäuser feiern«: Einmal im Jahr, immer im Mai, werden die Bürger in ganz Frankreich eingeladen, den Tag der guten Nachbarschaft zu feiern. In diesem Jahr, am 25. Mai, haben mehr als drei Millionen Menschen in 210 verschiedenen Städten zusammen gefeiert. »Bei unserem Haus-Fest in der Rue Barni hatten wir sogar einen Akkordeonspieler dabei, wir haben im Hof etwas gegrillt, eine marokkanische Familie war ganz glücklich, dass sie dabei sein konnte, zum ersten Mal hat sie sich mit jungen Chinesen aus unserem Haus unterhalten. Eine pensionierte Lehrerin hat mit meinem Sohn lange Zeit diskutiert; sie will ihm jetzt Nachhilfeunterricht in Mathematik geben. Ich konnte von meiner Vorliebe für die Homöopathie vielen Nachbarn erzählen«, berichtet Carole Minois aus Lille. Sie ist begeistert: »Das Leben in unserem Haus macht wieder Spaß.«

Für die Initiatoren von Immeubles en fete ist das schon eine Überraschung: Viele tausend Franzosen lassen sich von der Idee ansprechen, etwas Sinnvolles für ein menschlicheres Zusammenleben in den Städten zu tun. Vor fünf Jahren hatte der Sozialwissenschaftler Atanase Périfan ganz bescheiden in seinem Wohnbezirk in Paris seine Nachbarn zum gemeinsamen Fest eingeladen. Bürgermeister hörten von der Initiative, Journalisten meldeten sich, Städteplaner, Pfarrer, Ärzte, Lehrer, alle wollten Näheres wissen. Sie alle fanden die Idee »ganz toll«. Ein Jahr später war Immeubles en fete längst in ganz Frankreich bekannt: Im Jahr 2002 waren bereits 126 Städte beteiligt, ein Jahr später machten auch Städte in Belgien, Spanien, Rumänien, Österreich, Irland, Italien mit. Immer mehr Europäer lassen sich von der französischen Kunst, zu improvisieren, begeistern: Einen ganzen Abend im Haus zu feiern, im Flur, im Hof, im angrenzenden Garten oder auf der Straße. Jeder bringt etwas mit. Wichtig ist nur, dass sich jemand für diese Feier verantwortlich fühlt.

Immeubles en fete« ist inzwischen ein professionell arbeitender Verein mit eigenen Büros in Paris. Atanase Périfan versorgt mit seinem kleinem Team aus sechs hauptamtlichen und vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern inzwischen europaweit die Bürger mit allen nötigen Informationen. Der Verein ist politisch unabhängig und weltanschaulich neutral. »Wir wollen von der Basis her, von den Interessen der Bewohner, das Leben in der Stadt etwas menschlicher machen. Jammern nützt nichts, auf bessere Zeiten warten auch nichts. Wir Bürger können jetzt was tun, können jetzt unser Zuhause freundlicher gestalten, können uns aus den Zwängen der Anonymität und des Individualismus befreien. Unser Motto heißt: Wir überlassen unser Viertel nicht der Gleichgültigkeit. Wir ermuntern die Menschen, den anderen wieder wahrzunehmen, aus der Einsamkeit der eigenen vier Wände herauszukommen.«

Im August 2003 sind bei der großen Hitzewelle in Paris einige tausend alte Menschen in ihren Wohnungen umgekommen, sie sind verhungert, verdurstet, haben den Schlaganfall nicht überstanden. Angesichts der Opfer der Hitzewelle wurde den Franzosen einmal mehr bewusst, wie es um die Menschlichkeit in den großen Städten bestellt ist. Darum fördern jetzt Politiker aller Parteien die große Volksbewegung »Immeubles en fete«. Die Bürgermeister sind voll des Lobes für diese Basisbewegung, die den Städten »das menschliche Herz« wiedergeben kann. Und Sozialwissenschaftler fragen sich, warum eigentlich noch niemand vorher auf diese Idee gekommen ist: »800 000 Singles wohnen in Paris, dass die Einsamkeit groß ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Viele ältere Leute haben niemanden. Die gute Nachbarschaft wieder zu entdecken ist geradezu lebensrettend, sie führt zur Vitalisierung des urbanen Lebens«, sagt Robert Rochefort, er ist Direktor des »Pariser Studienzentrums für die Lebensbedingungen in den großen Städten«.

Um die aufwändige Werbung und die nötige Lobbyarbeit zu fördern, haben sich Firmen als Unterstützer gemeldet. In den Filialen der Supermarktkette Monoprix liegen Informationen aus; auch das katholische Verlagshaus Bayard-Presse mit seiner Tageszeitung La Croix macht ordentlich Werbung. Der menschliche Zusammenhalt ist in Metropolen wie Paris mit seinen 9 Millionen Einwohnern, Marseille oder Lyon (jeweils mit mehr als einer Million Bewohner) längst zerbrochen. Verbindung mit den Kirchengemeinden haben nur noch verschwindende Minderheiten, die Kneipe als Treffpunkt ist für viele längst zu teuer. Die gute Nachbarschaft kann das soziale Netz wieder stärken, das Gefühl der Verantwortung wecken: So wird selbst eine schlichte Sozialwohnung ein Stück Zuhause, vielleicht sogar »Heimat«.

Kontakt: Immeubles en fete. 1 bis, Rue Descombes, F-75017 Paris; www.immeublesenfete.com
copyright:Christian Modehn, Berlin

Wenn die Kirche einen Tyrannen liebt: Ein Hinweis auf die Geschichte der Dominikanischen Republik

Am 30. Mai 1961 wurde Rafael Leonidas Trujillo, Dominikanische Republik, erschossen.
Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 29.5.2011.

Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa, gestorben am 13.4.2025 , hat auch den vielfach beachteten Roman “Das Fest des Ziegenbocks” verfasst (2000, auf deutsch 2001), in dem die politischen Verhältnisse unter dem Diktator Rafael Leonidas Trujillo in der Dominikanischen Republik beschrieben werden. Wir haben 2011 einen Beitrag veröffentlicht – anläßlich der Ermordung Trujillos fünfzig Jahre zuvor -, einen Beitrag, der sich vor allem mit der merkwürdigen, d.h. skandalösen Beziehung des Diktators Trujillo mit der katholischen Kirche, auch mit dem Vatikan, befasst. Dies als ein Beispiel für die Verbundenheit des Vatikans unter Papst Pius XII. mit  rechtsextremen Diktaroren, wenn sie denn nur heftig antikommunistisch sind und nach außen hin alles tun, um die katholische Kirche im Land zu fördern. Kircheninteressen sind wichtiger als Menschenrechte, war das Motto, dem Papst Pius XII. schon im Umgang mit Hitler folgte.

1.

Im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon ist immer Raum für Religionskritik. Und manchmal reicht es aus, anlässlich von „Gedenktagen“ an Tatsachen und Zusammenhänge zu erinnern, die z.B. die enge Verquickung von diktatorischen Regimen mit den Religionen bzw. Kirchen aufzeigen. Etwa die äußerst freundschaftliche Beziehung zwischen der katholischen Hierarchie sowie den meisten Priestern in der Dominikanischen Republik mit dem Regime des Diktators Rafael Trujillo. Er beherrschte das Land von 1930 bis zu seiner Ermordung am 30. Mai 1961. Er wird in Publikationen aus der Dominikanischen Republik heute meist „Tyrann“ genannt, ein Titel, der an die übelsten römischen Willkürherrscher der Kaiserzeit erinnert… In dem dokumentarischen Roman von Vargas Llosa „Das Fest des Ziegenbocks“ wird anschaulich ein Eindruck geboten von den Lebensumständen zur Zeit des Diktators, vor allem in den letzten Wochen vor seinem Tod.

2.

Die Erinnerung an Trujillo ist aus mehreren Gründen wichtig:
Viele Millionen Touristen haben die Dominikanische Republik in den letzten 30 Jahren besucht; die Kenntnis der Geschichte dieses Landes zu vertiefen scheint deswegen eine Notwendigkeit zu sein.
Für religionskritische Fragestellungen ist der Zusammenhang zwischen der Trujillo Diktatur und der Katholischen Kirche des Landes bzw. des Vatikans hoch aktuell, weil dort eine Art Musterbeispiel erlebt werden kann, wie die katholische Kirche bzw. der alles bestimmende Vatikan/Papst einen Diktator duldet und ihn sogar jubelnd unterstützt aus dem einzigen Grund, weil dieser sich finanziell äußerst großzügig gegenüber der Kirche als Institution verhält. Hinzukommt, dass die kirchliche Überzeugung, der Kommunismus sei der allerböseste Feind, das Interesse gefördert wird, einen sich extrem antikommunistisch gebenden Tyrannen zu unterstützen.
So war der Katholizismus in der Dominikanischen Republik damals „doppelt“ gläubig; er glaubte an die Macht seiner immer weiter auszubauenden Institution – selbst mit Geldern des Tyrannen – und er glaubte, dass der Kommunismus der böse Feind sei.

3.

Wir erinnern an einige Fakten:
Rafael Leonidas Trujillo Molina (geb. 1891) war unstrittig einer der extrem brutalen und in vielfacher Hinsicht „gerissenen“ Diktatoren Lateinamerikas; sein Geheimdienst und sein Spitzelwesen haben wahrscheinlich weitere Diktatoren inspiriert…Trujillo betrachtete die Dominikanische Republik als seinen Privatbesitz; die „demokratischen Institutionen“ waren nichts als Kulisse; Menschrechte galten nichts, Oppositionelle wurden verfolgt und bestialisch ermordet; der Diktator beanspruchte den „Zugriff“ auf jede Frau seiner Wahl; die Presse war gleichgeschaltet, das Volk musste diesem grausigen „Benefactor“, dem sich Wohltäter nennenden Herrscher, zujubeln; beinahe jeder Tag des Jahres war ein Gedenktag der Familie Trujillo, die Hauptstadt Santo Domingo wurde nach seinem Namen umbenannt.
Er war nicht nur ein Freund General Francos, sondern auch respektiert von westlichen Politikern, weil er dem Credo der Zeit entsprach, den Kommunismus als den teuflischen Feind schlechthin ausrotten zu wollen. US – amerikanische Politiker unterstützten ihn und er bot ihnen Unterstützung an. Kardinal Spellman (New York) lobte ihn öffentlich in höchsten Tönen. Mit dem Vatikan (Pius XII.) schloss Trujillo am 16. 6.1954 ein Konkordat, Papst Pius XII. empfing ihn persönlich; das Konkordat erklärte den Katholizismus zur offiziellen Religion.

4.

Es ist Ausdruck für Naivität und Dummheit  auch in den “theologischen und kirchenrechtlichen Studien” in Deutschland, wenn etwa Pater Josef Funk SVD in seinem Buch “Die Religion in den Verfassungen der Erde” (1960, Kaldenkirchen) auf Seite 135 voller Lob das Konkordat des Vatikans mit dem Diktator Trujillo bewertet:  “Das Konkordat ist ein wahres Musterbeispiel dafür, wie einträchtig Kirche und Staat miteinander verkehren und wie sie zusammenarbeiten können zum Besten des Volkes”. Pater Funk war Jahre lang, bis ca 1975  Dozent, aber “Professor” genannt an der Ordenshochschule St. Augustin bei Bonn.

5.

Vor dem Konkordatsabschluß im Vatikan hatte Trujillo seinen Freund Franco in Spanien besucht, dort erklärte er feierlich: Das dominikanische Volk gehöre zur spanischen Rasse, es sei dadurch zutiefst mit dem katholischen Europa verbunden. Damit grenzte er sich von den „Negern“ im Nachbarland Haiti ab. Dieser Rassismus, diese abgründige Verachtung der Schwarzen, wurde zur volkstümlichen nationalen Ideologie, die das Denken vieler Politiker und so genannter Eliten, aber auch des „einfachen Volkes“ dort bestimmt. So wird den in der Dominikanischen Republik geborenen Haitianern bis heute die gesetzlich zustehende dominikanische Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt… „Noch immer kommt es vor, dass Kindern (haitianischer Eltern) in der Dominikanischen Republik die Taufe verweigert wird, damit nicht mit der Taufurkunde die Tür zur Staatsbürgerschaft geöffnet werden könnte“, schreibt Michael Huhn, ein Kenner der Verhältnisse.

6.

Als Trujillo 1930 die Macht übernahm, war die katholische Kirche institutionell und personell äußerst schwach. Der Diktator förderte von Anfang an den Klerus, um im Land Schulen zu errichten; er brauchte die Kirche insgesamt, damit sie in Predigten und caritativen Projekten die Einheit der Nation fördere. Gerade im Grenzland zu Haiti (etwa in Dajabon) setzt er seit 1936 Jesuiten ein, damit sie die „spanische Kultur“ dort verteidigen gegen die ungebildeten „Neger“ im Nachbarland Haiti. Bezeichnenderweise hielt der Diktator dort am 2. Oktober 1937 die Rede, in der die „Bereinigung der Lage“ angekündigt wurde, einen Tag später begann der Massenmord an mindestens 18.000 Haitianern… Die Kirche in der Dominikanischen Republik „bedauerte diese Ereignisse und rief diffus zur Vergebung auf, „als ob nicht klar gewesen wäre, wer Opfer war und wer Täter“, schreibt der Kenner des Landes, der Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks ADVENIAT Michael Huhn.

7.

Trujillo ließ es sich nicht nehmen, jede große „kulturelle“ Propaganda – Festivität mit einem Segen des Klerus zu krönen. Er förderte den Bau eines Priesterseminars, „um einen Klerus heranzubilden, der den Kommunismus bekämpft“. Trujillo kümmerte sich persönlich um den Bau des neuen Marienwallfahrtsbasilika „Alta Gracia“ in Higüey, die allerdings erst 1971 eingeweiht wurde, aber er finanzierte den massiven Betonklotz (französischer Architekten), der heute noch von Touristen besichtigt, vor allem aber von frommen Katholiken aus der ganzen Karibik besucht wird.
Der Jesuit Oscar Robles Toledano, Vizerektor der Universität von Ciudad Trujillo und enger Vertrauter Trujillo, wurde 1953 sogar als Mitglied der dominikanischen Delegation zur UNO entsandt; Erzbischof Ricardo Pittini aus dem Salesianerorden (seit 1935 in Ciudad Trujillo) wagte es nie, eine Stimme des Protests in der Öffentlichkeit gegen das brutale Regime zu erheben. „Pittinis öffentliches Verhalten war von totaler Unterwerfung unter die Diktatur geprägt und darüber hinaus lobte er den Diktator öffentlich“, schreibt der Politologe Jesus de Galindez, er wurde nach der Veröffentlichung seiner kritischen Studien vom Diktator umgebracht…
Wer noch einen Rest Glauben sich bewahrt hatte, wurde von dem gleichgeschalteten Klerus enttäuscht.
Dass die Katholische Kirche heute im Land wenig enthusiastisch ist, keine Theologen der Befreiung kennt, rührt von dieser tiefen Entfremdung zwischen den Menschen und der Kirche aus dieser Zeit…

8.

In dem Konkordat verpflichtete sich die Kirche, sonntags in jeder Messe zu beten: „Herr, schütze die Republik und seinen Präsidenten“ (Artikel 26, Protokoll). Katholischer Religionsunterricht wurde nun in allen Schulen obligatorisch; andererseits wurde es der Kirche zugestanden, aus eigener Entscheidung auch ausländische Priester ins Land zu holen. Dadurch hatte sie sich einen letzten Freiraum bewahrt.
Es waren ausländische Priester, Spanier und US Amerikaner, die dann 1960 massiv das Regime kritisierten. Der angeblich so fromme Diktator versuchte, die endlich einmal aufmüpfigen Bischöfe von La Vega und San Juan aus dem Wege zu schaffen. Sie hatten vor allem dafür gesorgt, dass am 25. Januar 1960 von den Kanzeln aller Kirchen ein Hirtenbrief verlesen wurde: Er erinnerte nach dreißig Jahren kirchlichen Schweigens an die Menschenrechte .“Obwohl die Regierung in dem Hirtenbrief mit keinem Satz erwähnt wurde, verstanden die Gläubigen die Kritik“, schreibt Michael Huhn. Als sich allerdings danach der Konflikt zuspitzte, bekamen sie es dann doch mit der Angst zu tun: In einem Brief vom 10. Januar 1961 boten sie dem Diktator als Versöhnungsgeste an, „die Priester aufzufordern, sich nicht weiter zu politischen Fragen zu äußern“, schreibt Michael Huhn, sofern dadurch die Attacken des Diktators auf den Klerus unterbleiben…Diese Ängstlichkeit konnten viele progressive Priester der Hierarchie kaum verzeihen…

9.

Aber als dann nach der Ermordung des Tyrannen in freien Wahlen der eher linke Politiker und Schriftsteller Juan Bosch zum Präsidenten gewählt wurde, unternahm die Hierarchie alles, um ihn als kommunistische Gefahr zu diffamieren. “Noch mehr Ärgernis erregte, dass viele Priester ankündigten, allen Anhängern Juan Boschs die Absolution in der Beichte zu verweigern“, schreibt Michael Huhn…Der Schatten der Tyrannei bestimmte noch Jahre kirchliches Handeln. An einer „Aufarbeitung“ der Vergangenheit zeigt sich die Kirche kaum interessiert… Nach einer nur 8 Monate dauernden Regierungszeit wurde Juan Bosch, auch mit Hilfe des CIA, im September 1963 gestürzt. Ein alter Vertrauter des Tyrannen, Joaquin Balaguer, ein frommer Katholik und Antikommunist, übernahm dann viele Jahre die höchste politische Verantwortung…

10.

30 Jahre lang hat die Kirche der Dominikanischen Republik geschwiegen; sie hat sich unter Trujillo recht wohl gefühlt, weil er den Klerus reich beschenkte, ständig neue Kirchen baute und kirchliche Bildungszentren finanzierte. Bei so viel Wohlwollen war die Kirche bereit zu schweigen, mehr noch: Entgegen aller sonst geltenden rigiden Moralvorstellungen drückten die Bischöfe alle Augen zu, wenn der Diktator seine dritte Ehe nach der Scheidung kirchlich feiern wollte. Und des Diktators unehelichen Kinder wurden kirchlicherseits nicht, wie damals sonst üblich, ausgegrenzt, sondern gefeiert.
Erst als sich weltweit die Stimmung gegen Trujillo drehte, zog die Kirche bzw. der Vatikan mit und entdeckte das Eintreten für die Menschenrechte (auf einmal) als göttliche Pflicht.
Ohne eine Revolution des Denkens, die ein Papst, in dem Fall Johannes XXIII., vollzieht und auch gegen Widerstände durchsetzt, ändert sich nichts Grundlegendes in der römischen Kirche weltweit…

11.

Am 30. Mai 2011 wurde in der Altstadt von Santo Domingo endlich ein Museum eröffnet, das den Widerstand gegen die Trujillo Tyrannei dokumentiert. Es handelt sich um das “Museo Memorial de la resistencia dominicana”, es befindet sich in der Calle Arzobispo Nouel 210, und ist immer dienstags bis sonntags von 9.30 bis 18 Uhr geöffnet; Luisa de Peña Díaz ist die Direktorin des Museums. Dort sind zahlreiche Dokumente des Widerstands gesammelt, es zeigt u.a. die berüchtigte Folterkammer “La 40” in dem Gefängnis des Tyrannen, es bietet ein Verzeichnis von 50.000 Opfern aus dieser Zeit. Die dominikanische Regierung hat das Museum zusammen mit 5 privaten Stiftungen finanziert. 50 Jahre nach dem Tod Trujillos kann eine Zeit der kritischen Besinnung weiter gefördert werden. Ob die Rolle der Kirche dabei kritisch zur Sprache kommt, bleibt abzuwarten.
Jedenfalls wurde eine staatliche Kommission gebildet, die bis zum Jahr 2012 verschiedene Veranstaltungen organisiert, um vor allem den Schülern und Studenten die Zeit der Tyrannei nahezubringen, “denn sie ist der Ausgangspunkt der dominikanischen Demokratie”, sagte Eduardo Diaz, der Präsident der “Stiftung 30. Mai”. Er sprach an dem “Monumento a los Heroes del 30 de Mayo”, und nannte den Tag der Auslöschung des Tyrannen “la noche luz”, “die Licht Nacht”.

Literaturhinweise:
Der Beitrag von Michael Huhn erschien in dem Buch „Kirche und Katholizismus seit 1945“, Band 6: Lateinamerika und Karbik, 2009, Schöningh Verlag, dort die Seiten 229 bis 247.

Jesús de Galindez, La era de Trujillo, Editorial Americana, Buenos Aires, 1958.
Der baskische Hochschullehrer Galindez wurde von Mitarbeitern Trujillos (in Zusammenarbeit mit dem CIA) in New York entführt, in Santo Domingo wurde er, der Oppositionelle, den Haien zum Fraß vorgeworfen. Er gilt noch heute als “verschwunden”. Manuel Vaszquez – Montalban hat über Galindo einen Roman verfasst.

Wir empfehlen außerdem den dokumentarischen Roman von Julia Alvarez, einer Dominikanerin, die in den USA lebt, über die vier Schwestern Mirabal, die sich dem Widerstand gegen Trujillo widmeten und dabei ihr Leben riskierten. Auf Deutsch erschienen im Piper Verlag. Nur eine der Schwestern überlebte den Widerstand. Der Titel: “Die Zeit der Schmetterlinge”.

Hulio Rodriguez Grullon, Trujillo y la Iglesia, Santo Domingo 1991

Jose R. Cordero Michel, Analisis de la era de Trujillo, Santo Domingo 1999.

Lauro Capdevilla, La dictatura de trujillo, Santo Domingo 2000. (aus dem Französischen übersetzt, dort bei Harmattan).

Esteban Rosario, Iglesia catolica y oligarchia, Santiago de los Caballeros, 1991.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Salon Kultur wieder beleben

Die Salon Kultur wiederbeleben – auch im Radio.

Kann ein Gespräch im „Salon“ 26 Minuten dauern?
Wir machen das Experiment im RBB, in der Redaktion Religion. Und es scheint erfolgreich zu sein, was das große Interesse der HörerInnen angeht. Die Sendungen wurden immer Sonntags um 9.04 bis 9.30 Uhr im Kulturradio des RBB ausgestrahlt.
Seit 2007 versuche ich, Philosophen oder Theologen im Radio als Gastgeber zu präsentieren; sie lassen sich von kompetenten Gesprächspartnern in einen Dialog verwickeln. So wird ein kleiner Ausschnitt philosophischen Denkens und theologischen Fragens hörbar, es werden Perspektiven gezeigt, weiter an dem Thema „dran zu bleiben“.

Die Gastgeber der bisherigen Radio – Salons:
– Michel de Montaigne, 2007
– Georg W.F. Hegel, 2008
– Martin Heidegger, 2009
– Immanuel Kant, 2010
– Friedrich Schleiermacher, 2010
– Rudolf Bultmann, 2011

Manuskripte können bestellt werden:
religion@rbb-online.de
Redaktion: Anne Winter.

“Das echte Leben”. Monat der Philosophie in Holland

Was ist das „echte, das authentische Leben“?
Zum 10. Mal findet in Holland der „Monat der Philosophie“ statt.
Alle Freundinnen und Freunde der Philosophie können aufatmen: Während in Deutschland die Philosophie und das Philosophieren gesellschaftlich immer noch ein eher marginales Dasein fristen, trotz einiger „philosophischer Praxen“ und einiger philosophischer Cafés: In Holland sind die Menschen von der Philosophie begeistert. Immer mehr Verlage drucken philosophische Bücher; die sehr ansehnliche Monatszeitschrift „filosofie magazine“ erscheint nun schon im 20. Jahr und hat eine Auflage von 17.000 Exemplaren, das ist für den relativ kleinen Leserkreis der Niederlande (16 Millionen Einwohner) sehr beträchtlich. Zur „Nacht der Philosophie“ im klassischen Kulturzentrum „Felix Meritis“ in Amsterdam kamen am 8. April 800 Teilnehmer zusammen, junge und ältere Menschen, in Holland geborene „Autochthone“ wie auch viele Menschen anderer Kulturen. Gäste waren u.a. Peter Bieri, Berlin und Susan Neiman, Direktorin des Einstein – Forums Potsdam. Von abends um 8 bis bis nachts um 2 wurde diskutiert und nachgedacht; ab Mitternacht sorgten Musiker für eine Auflockerung des Denkens. Der finanzielle Rahmen für solche äußerst erfolgreichen Termine scheint gesichert zu sein: In jedem Jahr wird ein eigens geschriebener philosophischer Essay unters Volk gebracht, in diesem Jahr hat die junge Philosophin Stine Jensen ein äußerst anregendes Buch über Intimität und Freundschaft durch „facebook“ geschrieben, „Echte Vrienden“ ist der Titel des 122 Seiten umfassenden Buches, es liegt stapelweise in den Buchhandlungen und kostet nur 4, 95 Euro. Im ganzen Land finden insgesamt 200 philosophische Veranstaltungen im April statt, die Themen sind alles andere als abstrakt und verstaubt, es geht um Philosophie und popmusik, um Wahrheit und Lüge, die Auseinandersetzung mit dem Tod, Philosophie und Arbeit usw… Oft sind philosophische Cafés die Träger dieser Initiative, wie etwa die Gemeinde der protestantischen freisinnigen Kirche der Remonstranten in Haarlem, die allein vier Veranstaltungen im April anbieten. Der Philosoph Marc de Kesel diskutierte dort z.B. über die Notwendigkeit des Zweifels in jeder monotheistischen Religion. Vor 10 Jahren hat dieser Monat der Philosophie bescheiden gestartet, heute ist er aus dem kulturellen Leben in Holland nicht mehr wegzudenken. Der Erfolg verdankt sich einer kleinen, energischen Gruppe von Philosophen, die das Denken aus dem Elfenbeinturm der Universitäten befreien wollen. Sie haben Erfolg gehabt! Sie haben eine Stiftung gegründet, die ohne öffentliche Unterstützung auskommt. Den diesjährigen Preis im philosophischen Monat erhielt der Philosoph Hans Achterhuis (Universität Twente), vor allem als Anerkennung für sein neuestes Buch: „De utopie van de vrije markt“. (Die Utopie vom freien Markt).

Siehe www.filosofiemagazine.nl
www.maandvandefilosofie.nl