Über ein neues Buch des Theologen Stefan Seidel, Leipzig
Ein Hinweis von Christian Modehn
1.
„Gott“ ist – auch jetzt – ein missbrauchtes Wort. Die Herren mit höchster politischer Macht, gemeint sind die Diktatoren und Verbrecher, sind so unverschämt, ihre Herrschaft mit „Gott“ zu legitimieren. Die Rede von Gott verkommt zur politischen Ideologie auch bei „prominenten“ Kirchenführern, man denke an Kyrill, den Patriarchen von Moskau, oder an Führer evangelikaler Kirchen in den USA, Brasilien, Südkorea, Uganda, Nigeria usw. Überall fördern diese angeblich Frommen eine gewisse Verdummung der religiösen Menschen mit ihrem Beharren auf ein wortwörtliches Verstehen von Bibelsprüchen. Als könnte Gott ALS Gott höchstpersönlich direkt zu uns sprechen…welch ein Wahn. Man denke auch an den Papst und katholische Bischöfe, die, angeblich von Gott als Klerus auserwählt, gegen das Selbstbestimmungsrecht und die Gleichheit von Frauen sowie gegen das Recht auf Ehe von Homosexuellen kämpfen. Vom ideologischen Missbrauch Gottes im Islam und in jüdischen Traditionen (siehe die rechtsextremen Politiker im Staat Israel) wäre zu sprechen, vom gewalttätigen Hindu-Nationalismus ebenso, von den Göttern der Konsumwelten und des Kapitalismus, von den Star – Fußball – Helden in Argentinien wäre zu reden, die wie Lionel Messi oder zuvor schon Maradona als Messias, also wie Götter, massenweise verehrt werden. Kein Mensch bei klarer Vernunft darf heute auf die Frage verzichten: Wie kann ich heute überhaupt von Gott noch sprechen? Oder sollten wir nicht eher verstummen? Angesichts universellen Missbrauchs des Namens Gottes eine viel zu wenig diskutierte Option…
2.
Das ist evident für alle, die noch reflektierte Lebenserfahrungen mit dem Göttliche haben: Sie können das Wort Gott nur noch verwenden, um für eine vernünftige und freie und zugleich spirituelle Gottlosigkeit von allen diesen genannten Götzen und Göttern einzutreten. Nur der von diesen Göttern radikal Befreite ist derjenige, der einen wahren Gott, den unnennbar Ewigen, umschreibend und suchend und fragend und skeptisch benennen kann…
3.
Es gehört also viel Mut dazu, von dem vielfältigen „Gott“ zu sprechen. Die Lösung heißt: Sprechen wir – so der Titel des neuen Buches von Stefan Seidel – von Gottsuchern. Wer Gott sucht, zweifelt heftig an seinem angelernten, geglaubten, angeblich gefundenen Gott, er ist selbstkritisch, will raus aus dem Gefängnis der transzendenten Sicherheiten. Und beginnt, für Gott neue, immer vorläufige, immer irgendwie relative Namen zu suchen. Der (die) Absolute könnte es sein, oder besser der (die) Ewige oder der Sinngrund, oder der Eine und die Einzige, oder „die Liebe über aller Liebe“.
4.
Darauf besteht derAutor Stefan Seidel zurecht und das ist durchaus originell: Wer nach Gott fragt, ist ein Grenzgänger. Wer aber ist ein Grenzgänger beim Fragen nach Gott? Es ist ein Mensch, der alles Weltliche als Endliches erkennt und zu überschreiten sucht, der sich mit dem nur Irdischen und nur Endlichen niemals zufrieden gibt. Menschen genießen die Kraft des Geistes und der Vernunft, um nicht im bloß Weltlichen festzustecken. Erst wer die Grenze des Endlichen, also sich selbst überschreitet, kann überhaupt wissen, was es bedeutet, das Endliche als Endliche zu erleben. Wirklichkeitserfahrung ist ohne ständige Grenzgänge nicht möglich und undenkbar. Hegel kann uns das lehren: Wir sollten also in dem Sinne immer Grenzgänger sein. Wer aber oft Grenzen überschreitet, bemerkt die Grenzen gar nicht mehr, fühlt sich im neuen, dem überschrittenen „Territorium“ zuhause. Findet eine neue Heimat jenseits der Grenzen.
5.
Die LeserInnen dieses Buches werden hineingeführt in den kritischen Umgang mit dem gleichzeitig Gewissen wie Ungewissen, dem Deutlichen wie dem Dunklen, dem „Gott in uns“ und dem „Gott außerhalb von uns“. Stefan Seidel hat sich Gesprächspartner gesucht, die wissen, wie falsch die Wiederholung der traditionellen Dogmen ist, wie einschränkend die eingeübten Floskeln und Formeln der Kirchen sind: Diese können keine Wegweiser sein „über die Grenze hinaus“ in ein neues, befreites Leben. Vielleicht suchen viele, die diese Kirche als zahlende Mitglieder verlassen, dieses spirituelle Leben jenseits bisheriger Grenzen?
6.
Gesprächspartner Seidels sind vor allem SchriftstellerInnen, zwei Musiker, eine Tiefenpsychologin und auch sieben TheologInnen, aber die sind keine strengen Dogmatiker… der Vatikan und die Landeskirchenämter sind weit weg. Diese in sich vielfältige Gemeinschaft der GrenzgängerInnen stammt überwiegend aus Deutschland (wie Daniela Krien, Christian Lehnert, Patrick Roth, Ingrid Riedel…), aber auch eine Norwegerin Hanne Orstavik) kommt zur Wort, ein Tscheche (Tomas Halik) usw… Immer aber sind es Menschen, die mehr die Mystik leben und lieben als die Sprachen und die Denkgewohnheiten der Institution Kirche. Das ist entscheidend: Nur weil die Interview-PartnerInnen Distanz haben zu den üblichen religiösen Bindungen, können sie inspirierend und deswegen weiterführend sprechen. Stefan Seidel schreibt in seinem Vorwort. „Heute braucht es viele einzelne unorthodoxe, kreative Stimmen, die gewissermaßen als Mystikerinnen und Mystiker von heute -die Sicht auf den Horizont der Horizonte wiedereröffnen und uns dabei helfen, in einem tieferen Verbundensein mit allem zu ankern“ (S. 18). Die neunzehn Gottsucher haben eine gemeinsame Spiritualität: Sie ist mit der Mystik verbunden. Mystik ist dabei alles andere als eine Erfahrung von Wundern und erhebenden Momenten, nicht das Verzückten von Gott und den Heiligen, Mystik ist die nüchterne, reflektierte Form der mehr geahnten, mehr gefühlten Verbundenheit mit dem Unendlichen und Ewigen.
7.
Die 19 Interviews können hier natürlich nicht im einzelnen besprochen werden. Allen Interviews stellt Stefan Seidel biografische und eher werkgeschichtliche Hinweise voran. Seine Fragen haben eine feste Struktur: Seidel fragt eingangs nach der eigenen Gotteserfahrung und dem „Gottesbegriff“, und es scheint sein Lebensthema zu sein, immer wieder auch nach dem „Sprung in den Glauben“ im Sinne des Philosophen Kierkegaards zu fragen.Und so oft fordert der Autor am Ende eines jeden Gesprächs auf, über die persönliche Bedeutung von Sterben und Tod und der Auferstehung Jesu von Nazareth zu sprechen. So zeigt sich eine gewisse metaphysische Dimension. Denkbar wäre ja auch, immer wieder am Ende der Gespräche nach der Hoffnung zu fragen, die sich im politischen Engagement zugunsten der Millionen arm gemachter Menschen zeigt oder in der Mitarbeit in NGOs zugunsten eines letzten Rettungsversuches von Natur und Klima. Oder im Kampf gegen den Rechtsradikalismus, der sich überall (AFD, FPÖ, Fratelli d Italia, Le Pen Frankreich usw.) ausbreitet.
8.
Auf eine GesprächspartnerIn soll hier etwas ausführlicher hingewiesen werden. Viele LeserInnen, wie der Autor dieser Rezension, werden sich freuen, ein längeres Interview mit der aus Südkorea stammenden Theologin Tara Hyun Kyung Chung zu lesen. Es ist ein überraschendes Erlebnis der eigenen eurozentrischen Begrenzung sich einzugestehen, dass diese außergewöhnliche Theologin hierzulande kaum bekannt ist: Christliche Gemeinden und ihre TheologInnen kreisen in Deutschland um sich selbst, wissen so wenig, wie viele Inspirationen gerade ChristInnen aus dem Süden dieser Welt bieten. Frau Chung, geboren 1956, lebt und arbeitet seit einigen Jahren in New York, sie hat unter der koreanischen Diktatur Widerstand geleistet und gelitten, hat den Buddhismus nicht nur studiert, sondern ihn als buddhistische Nonne praktiziert. Frau Chung versuchte, das enge eurozentrische und oftmals nationale Denken der europäischen Protestanten zu weiten, als sie auf der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra, Australien, im Jahr 1991, eine neue ökumenische Spiritualität aus Korea nicht nur in Worten beschrieb, sondern ihr leiblichen Ausdruck im Tanz verlieh. Das war damals für viele ein Skandal. Tara Hyun Kyung Chung ist eine außergewöhnliche Grenzgängerin: Theologin, Buddhistin, Therapeutin. Stefan Seidel schreibt: „Das entscheidende Kriterium religiöser Wahrheit ist für Frau Chung, ob diese Wahrheit zur lebensspendenden Kraft wird, mit der wir unser Leben erhalten und befreien können“ (S. 187).
9.
Der bekannte schwedische Dirigent Herbert Blomstedt erläutert, wie beim genauen Hören von Musik eine Spiritualität entstehen kann, „wo man sich von der Gottheit angesprochen fühlt“ (S.288). Der bekannte Lyriker und Theologe Christian Lehnert beantwortet die Frage Stefan Seidels: „Wie kann heute von Gott gesprochen werden?“ „Vielleicht mit einer Wiederentdeckung der Poesie des Glaubens. Christentum ist kein System von Aussagen. Es geht nicht darum, was man sagen kann, sondern darum, was sich in der Sprache vollzieht, welche Kraft in der Sprache entsteht. Es geht darum, ein Spannungsfeld in der Sprache zu schaffen, das eine Beziehung zu Gott ermöglicht“ (S. 72).
10.
Der bloß angenommene, nur angelernte und übernommene Glaube, so schreibt Seidel im Gespräch mit der norwegischen Schriftstellerin Hanne Ørstavik, ist in der Gefahr, eine „Spielart der Macht und Manipulation und Lenkung“ durch andere zu sein, es gelte, hin zu einem „wahrhaftigen Glauben zu gelangen, und der ist eine „ureigene Rückbindung an das göttliche Ganze“ (S. 83).
11.
Grenzgänger sind die wahren spirituellen und theologischen LehrerInnen…Wer nicht religiöser Grenzgänger ist, bleibt ein Gefangener in seiner kleinen endlichen Welt. Grenzgänger können auch Friedensstifter, vielleicht Vermittler des Friedens sein. Denn sie sind in mindestens zwei verschiedenen Welten zu Hause.
Stefan Seidel: Grenzgänge. Gespräche über das Gottsuchen. Claudius-Verlag München 2022. 26,00 €.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Jesus von Nazareth, der „Sohn Gottes“: Tot in seinem Grab. Und auch Gott ist tot?
Ein Hinweis von Christian Modehn
Es wird Zeit, der Gedankenlosigkeit oder Oberflächlichkeit zu widerstehen. Wir sollten vernünftig verstehen, was christliche Gedenk-Tage und Feier-Tage bedeuten können… etwa der „KARSAMSTAG“. Das ist, so wird hier gezeigt, keine spekulative Spielerei. Wenn Gott wenigstens für kurze Zeit tot war, können sich doch Atheisten freuen. Und Christen mit ihnen.
1.
Einige haben den Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag den Samstag des „toten Gottes“ genannt. Was für ein treffender Titel! Vielleicht zeigt sich da ein für Atheisten und Christen gemeinsamer Feiertag, ein gemeinsamer Gedenktag? Welch eine Herausforderung für eine wirklich umfassende Ökumene aller Menschen, also einer Gemeinschaft, die sich nicht durch enge konfessionelle Strukturen, sondern von der menschlichen Situation angesichts von Leben und Tod bestimmt. Eine Utopie? Vielleicht.
2.
Zu der Überzeugung, dass Gott selbst tot im Grab liegt, sind religiöse Menschen gekommen durch theologische Poesie, ein Lied des Mainzer Jesuiten Friedrich von Spee. Er, der Feind aller Hexenverfolgungen, hat seine Verse 1628 geschrieben, zu Beginn des allgemeinen Abschlachtens der Christen untereinander im „Dreißigjährigen Krieg“. Die Strophe des Jesuiten hat den theologisch wahrlich umwerfenden Text: „O Traurigkeit, o Herzeleid, ist das denn nicht zu klagen! Gottes Vaters einigs Kind wird zu Grab getragen.“
Gott des Vaters „einigs Kind“ – es ist jenes „Kind Gottes“, das ganz “EINS” ist mit Gott dem Vater im Himmel… dieses “Kind” ist in der klassischen Theologie Jesus von Nazareth. Mit dem sterbenden und toten Kind Gottes, Jesus, liegt also auch Gott selbst im Grab. Sind doch Christen wie auch der Jesuit von Spee vom Einssein Gottes mit Jesus überzeugt. So liegt also Gott selbst tot im Grab. Und noch zugespitzter gesagt im Denken der klassischen Theologie: Zwei „Personen“ der Trinität sind tot. Nur der Heilige Geist, in der klassischen Theologie die dritte „Person“ der Trinität, lebt weiter, der Geist ist ewig.
3.
Es ist die Mühe wert, sich auf ein Intermezzo einzulassen und die Rezeption dieser Strophe und des dann weiter gedichteten Liedes „O Traurigkeit, o Herzeleid“ zu bedenken. Der protestantische Theologe und Poet Johann Rist hat 1641 die Strophen 2 bis 6 hinzugefügt.
Christen, selbst die „rechtgläubigen“, die dogmatisch korrekten Protestanten und Katholiken, haben diese Strophe des Jesuiten Friedrich von Spee in ihre Gesangbücher aufgenommen. In dem katholischen Gesangbuch „Ehre sei Gott“, Berlin 1958, ist es unter der Nr. 58 mit diesem Text aufgeführt. Auch die späteren Neuauflagen (etwa „Gottlob 1975) haben den Text so, wie er ist, beibehalten, das gilt auch für die evangelischen Gesangbücher (1993), dort die Nr. 80.
Hingegen wurde die zweite Strophe dieses Liedes, geschrieben von dem protestantischen Pfarrer und Dichter Johann Rist, von Katholiken verändert. In der ursprünglichen Fassung von Johann Rist heißt es in der zweiten Strophe „ O große Not! Gottes Sohn liegt tot…“, so im „Evangelischen Kirchen-Gesangbuch von 1951 wie auch in der Neuausgabe des evangelischen Kirchengesangbuches von 1993.
Theologische Angst vor einem „toten Sohn Gottes“ bekamen hingegen die Katholiken. Und so folgen sie nicht dem Text des Protestanten Johann Rist. Und behaupten in ihrer katholischen Fassung der 2. Strophe: „O höchstes Gut, unschuldiges Blut. Wer hätt dies mögen denken, dass der Mensch seinen Schöpfer sollt an das Kreuz aufhenken“.
Diese katholische Formulierung „der Mensch hängt seinen Schöpfer ans Kreuz“ ist für fromme Gemüter auch sehr irritierend und äußerst gewagt: Nicht mehr nur Gottes Sohn (Jesus) ist tot, sondern nun auch sogar der Schöpfer selbst, also Gott Vater! Und zwar wurde Gott selbst von Menschen ans Kreuz gehängt, wie es in der zweiten Strophe heißt. Gott ist also durch die Tat der Menschen gestorben. Diese hier zitierte zweite Strophe von „ O Traurigkeit, o Herzeleid“ ist tatsächlich die Nr. 188 im offiziellen katholischen Gesangbuch für Deutschland, Österreich, Brixen und Lüttich enthalten!
4.
Dieser Hinweis war notwendig, um Probleme beim Verstehen des Karsamstag deutlich zu machen. Dieser Samstag heißt immer noch der Karsamstag, das Wort „Kar“ stammt vom althochdeutschen Kara und bedeutet: Kummer und Trauer. Der Karsamstag ist also der Kummer-Samstag, der Trauersamstag. Wenigstens für diesen einen Tag ruht tatsächlich auch heute noch der ganze übliche kirchliche Betrieb, also auch das Feiern von Messen und Gottesdiensten, wenigstens an diesem einen Tag, dem Karsamstag, so will die katholische Kirchenführung, soll in ihren Kirchengebäuden förmlich „toten Stille“ oder besser „Stille des Toten Christus oder des toten Gottes“ herrschen. In den katholischen Kirchen ist der Altar leer geräumt, es gibt keinen Blumenschmuck, in manchen Kirchen wurde früher sogar ein Sarg, als Symbol des Grabmals Jesu, aufgestellt.
5.
Der Karsamstag ist also eingefügt zwischen dem Kar-Freitag, dem Kreuzestod Jesu, und dem Sonntag, dem Tag der Auferstehung Jesu, dem Tag, an dem Jesus siegreich den Tod überwunden hat und mit verklärten Leib der Gemeinde erscheint. So formuliert die klassische Theologie der Rechtgläubigen, der Katholiken und Protestanten, das Oster-Geschehen – in dem eigenes konstruierten „Kirchenjahr“. In diesem kirchlichen Jahresablauf hat der tote Jesus von Nazareth als „Gottes eigenes Kind“ nur einen einzigen Tag der Toten-Ruhe, nach dem Tod am Kreuz geht es nach dem Intermezzo des Karsamstags gleich siegreich und erfreulich und voller Wunder mit Jesus weiter, wie es die vier Evangelisten sehr bildhaft und extrem, unkontrolliert enthusiastisch beschreiben.
6.
Der Karsamstag als Tag der Leere und des toten Jesus (bzw. des toten göttlichen Weltenschöpfers, wie es das Lied sagt) war und ist den Kirchen immer irgendwie peinlich. Ich kann mich nicht erinnern, dass dieses Lied in der Zeit vor Ostern in den Messen oft gesungen wurde. Es ist ein Fremdkörper. Der tote Jesus, oder kirchlich-dogmatisch, der tote Jesus Christus oder sogar der „ans Kreuz gehenkte Schöpfer“, stören den Betrieb einer runden, alles wissenden und immer positiv gestimmten Theologie. Es gibt fast keine theologischen Studien zum toten Jesus (Christus) im Grab als Leiche. Es gibt also keine ausgebreitete und aktuelle Theologie des Karsamstags, die doch inspirierend sein könnte angesichts der Erfahrung vieler Menschen vom toten Gott.
7.
Denn der Gedanke könnte doch sein: Die Menschen haben „Gottes eignes Kind“ getötet, sie haben sogar den Schöpfer der Welt ans Kreuz gehenkt, wie es im Lied heißt. Die Menschen als Mörder Gottes, oder allgemeiner gesagt: Die Menschen als Mörder des Göttlichen, des Ewigen, des Heiligen – welche Provokation. Die Menschen haben die Idee Gottes ausgelöscht. Ist dieser Gedanke heute so abwegig, wenn wir an die Allmacht der Menschen in anderen Bereichen denke, in der Technik, der atomaren Rüstung, der systematischen Zerstörung der Natur, des Klimas, der Umwelt. Drückt „die letzte Generation“ nicht genau diese Erfahrung aus?
8.
Könnte Karsamstag nicht ein Tag werden, an dem das Schweigen in den Kirchengebäuden für eine Stunde unterbrochen werden sollte, etwa durch Lesungen, etwa aus Nietzsches Rede des tollen Menschen in dem Buch „Also sprach Zarathustra“: Nur ein kurzer Auszug:
„Wohin ist Gott?” rief der tolle Mensch, “ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir sind seine Mörder! Aber wie haben wir das gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun?
Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?…..
9. Friedrich Nietzsche könnte also der Philosoph des Karsamstags sein. Und der katholische Schriftsteller Reinhold Schneider könnte mit seinen Notizen “Winter in Wien” ein Theologe des Karsamstags werden. LINK. Als musikalische Inspiration zu Veranstaltungen an Karsamstag könnte die “Liturgie pour un Dieu mort” (“Liturgie für einen toten Gott”) wichtig sein, siehe die CD unter diesem Titel, der Komponist ist Charles Rabvier (1934-1984).
Auch andere Philosophen haben von Karsamstag gesprochen, etwa der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er spricht in seiner Frühschrift „Glauben und Wissen“ (1802) von Karfreitag, ausführlicher dann wieder in seinen „Vorlesungen zur Philosophie der Religion“, die er viermal in Berlin vorgetragen hat. Dort sagt Hegel: „Gott ist gestorben. Gott ist tot. Dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist, die Negation selbst in Gott ist; der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden“ (Suhrkamp, Theorie Werkausgabe, Band 17, S. 291). Man sollte diese Worte einmal mit Nietzsches “tollem Menschen” vergleichen….Aber für Hegel ist der Tod Gottes nur ein vorübergehendes Moment im Leben Gottes: Und dieses Leben des göttlichen Geistes ist von der Dialektik der Vernunft bestimmt: Das Negative (Tod) muss also sein, aber es wird überwunden, “aufgehoben”! Gott erhält sich selbst in seinem Tod, er ist stärker als der Tod, so dass der Tod Gottes förmlich nur ein kurzfristiger Irrtum des Betrachters ist. Hegel schreibt im Anschluss an das genannte Zitat: „Es findet eine Umkehrung statt: Gott nämlich erhält sich in diesem Prozess, und dieser ist nur der Tod des Todes. Gott steht wieder auf zum Leben!“ (ebd.) Und später sagt Hegel. „Es ist die unendliche Liebe, dass Gott sich mit dem Fremden (d.i. dem Tod) identisch gesetzt hat, um es, das Fremde, also den Tod, zu töten“ (S. 292).
10.
Der Philosoph Hegel denkt die Lehre des protestantischen Christentums seiner Zeit in philosophischen Begriffen, so hofft er, auch die unkirchlichen, die skeptischen Zeitgenossen für den zentralen Inhalt des christlichen Glaubens interessieren zu können. Einige Jahre vor Hegel hat der Dichter Jean Paul (1763-1825) eine „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“ formuliert (1797), aber Jean Paul hat den Toten Christus vorsichtshalber nur als Traumgestalt beschrieben. LINK
11.
Eine starke Bedeutung für aktuelle Reflexionen und Diskussionen haben freilich die oben genannten Ausführungen Nietzsches. Von ihm stammt auch die aktuelle Frage: „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“ Auch diese Frage stammt aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ (1887, III, Buch, Nr. 125: Dort heißt es: “Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“
Mit diesem Thema hat sich als einer der wenigen Theologen der niederländische Augustinerpater Robert Adolfs auseinandergesetzt: LINK Robert Adolfs Buch erschien 1966 unter dem Titel „Wird die Kirche zum Grab Gottes?“ (Styria Verlag auf Deutsch).
Robert Adolfs hat seinem Buch ein Zitat des Jesuiten Alfred Delp vorangestellt, der als Widerstandskämpfer gegen die Nazis am 2. 2. 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde. Alfred Delp schrieb kurz vor seinem Tod: „Die Kirche steht durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise sich selbst im Wege. Ich glaube, über all da, wo wir uns nicht freiwillig um des Lebens willen von dieser Daseinsweise trennen, wird die geschehende Geschichte uns als richtender und zerstörender Blitz treffen“.
Die katholische Kirche wird für viele spirituelle Menschen besonders heute zum Grab Gottes: Das ist eine empirisch belegbare Tatsache. Man denke an den sexuellen Missbrauch durch Priester und Ordensleute, an die vielfache Korruption in den so genannten „neuen geistlichen Gemeinschaften“, an den immer noch herrschenden Klerikalismus und die ungebremste unkontrollierbare Allmacht des Klerus: All das vertreibt die Gläubigen aus der Kirche, sie sehen in ihrer dogmatisch erstarrten Kirche „Das Grab Gottes“. Und wollen auferstehen…
12.
Und was ist mit dem Grab Jesu? Ist es leer seit dem Ostermorgen? Vernünftige und kritische Theologen sagen nein. Die Überzeugung, dass Jesus von Nazareth auferstanden ist und lebt, kommt ohne den “Glauben” an das leere Grab aus. Jesu Körper bleibt im Grab, so ist es bei allen anderen Menschen. Aber: Jesu Geist lebt, sein Geist hat den Tod überwunden, so wie der Geist eines jeden Menschen den Tod überwindet. Wie genau der Geist im Ewigen lebt, das wissen wir nicht. Aber es bleibt dabei: Der Geist ist das Ewige im Menschen. Auch im Menschen Jesus von Nazareth. Siehe auch den Hinweis zur “Auferstehung Jesu – vernünftig verstehen”: LINK
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Ostern feiern und dabei die Frage stellen “Was bedeutet die Auferstehung Jesu von Nazareth?” kann alle Menschen berühren. Nicht nur die wenigen “Kirchgänger”. Die entscheidende Einsicht: Der Mensch hat Anteil am Ewigen, am Göttlichen. Nur deswegen kann der Tod ein Übergang sein in eine neue geistige Wirklichkeit. Diese Überzeugung ist selbstverständlich NICHT an eine Kirchenmitgliedschaft gebunden.
1.
Ein wichtiges, aber schwieriges Thema, „die Auferstehung Jesu von Nazareth“. Das Thema verweist auf die genauso schwierige Frage: Gibt es eine Form der Überwindung des Todes, also ein „Weiterleben“ nach dem Tod?
Theologien und Religionsphilosophien können auf das Thema nicht verzichten, denn sie haben es mit der Lebensgestaltung, auch mit Sterben und Tod zu tun.
Hier wird eine dem Argument, also der Vernunft verpflichtete Interpretation des Auferstehung Jesu von Nazareth vorgestellt. Und diese vernünftige Deutung ist einfach, verglichen mit dem Wortschwall der vielen bloß subjektivistischen, fundamentalistischen Deutungen der Auferstehung Jesu.
Die universal geltende Vernunft ist also auch bei der Frage nach der Bedeutung der Auferstehung entscheidend. Vernünftiges Sprechen von Sterben, Tod und Auferstehung ist, dem Thema angemessenes, sozusagen sanftes, suchendes, fragendes Sprechen.
2.
Die Antworten auf die Frage „Was bedeutet die Auferstehung Jesu von Toten“ sind vielfältig. Am häufigsten wird bis heute in den Kirchen gelehrt und gepredigt: „Jesus ist seinem Grab entstiegen, und er ist als der leibhaftig Lebendige der Gemeinde erschienen. Er ließ sich sogar körperlich berühren (vgl. die Erzählung vom „ungläubigen Thomas“)… Und später ist der Auferstandene leibhaftig in den Himmel aufgefahren“. Diese sehr schlichte, aber regelmäßig bsi heute verkündete Lehre hat sich leider in den Köpfen festgesetzt. Und den christlichen Glauben zu einer mysteriösen Angelegenheit gemacht. Die üblichen Worte der Kirchen zur Auferstehung wecken kein nachvollziehbares Verstehen, sondern sie verbreiten den Nebel des Mysteriösen. So rutscht der christliche Glaube an die Auferstehung Jesu in den Bereich der Märchenerzählungen ab, aus Angst der Prediger und Theologen vor der Vernunft!
Man denke auch an die zahllosen Gemälde etwa aus der Barockzeit, die den Auferstandenen leibhaftig in der Welt herumlaufend zeigen oder das leere Grab mit schlafenden Grabeswächtern und siegreichen Engeln. Angesichts so viel wunderbaren Zaubers sagen dann viele Gläubige verzaubert: „Nach meinem Tod gibt es für mich im Himmel das große Wiedersehen mit den Eltern und dem lieben Onkel Heinrich und der Tante Charlotte“.
Man muss wohl diese private Spiritualität als Meinungsäußerung respektieren, aber es ist kein Ausdruck von Atheismus, wenn man sie theologisch und religionsphilosophisch für falsch hält. Sie hilft nicht zu einer reflektierten Spiritualität der Menschen im 21. Jahrhundert. Sie hilft nicht zu einer reifen Spiritualität reifer, d.h. kritisch nachdenklicher, vernünftiger Menschen des 21. Jahrunderts.
3.
Die Frage ist also: Soll die Auferstehung Jesu von Nazareth ein zauberhaftes Ereignis in einer wunderbaren Welt des Ostermorgens voller frommer Phantasien bleiben? Oder sollte die Auferstehung Jesu von Nazareth mit dem einen Satz erläutert werden: „Die Freunde Jesu erkennen bald nach seinem Tod: Wie Jesus als der “Auferstandene” haben alle Menschen in ihrem Geist Anteil am Ewigen, es ist der Geist des Ewigen, der göttliche Geist, der den Tod eines jeden, auch den Tod Jesu, überwindet. Es geht um ein ewiges, geistiges „Leben“, nicht um ein leibliches.“
4.
Ein Hinweis zu den Auferstehungs-Erzählungen im Neuen Testament:
Die zentrale Erkenntnis heißt: Nach seinem Tod wird Jesus von der Gemeinde, nach einer Phase der Trauer und des Entsetzens über seinen Tod am Kreuz, als der Lebendige erkannt.
In ihrem Nachdenken über Jesus von Nazareth wendet sich die Gemeinde noch einmal dem Leben und den Lehren ihres Propheten Jesus von Nazareth zu: Und sie entdeckt: Dieser Jesus von Nazareth war von außergewöhnlicher geistiger Kraft in seinem Umgang mit den Menschen, in ihm selbst wurde die göttliche Wirklichkeit deutlich. Die Gemeinde erkennt also das Göttliche, das Ewige im Leben Jesu von Nazareth. Und dieses Göttliche, dieses Ewige kann nur eine geistige Realität sein, sie kann als das Ewige im Menschen nicht sterben. Jesus nannte den Ewigen stets seinen Vater, er fühlte sich als sein „Sohn“, und lehrte zugleich: Ihr Menschen seid – im Bild gesprochen – ebenfalls Söhne und Töchter des Göttlichen, des Ewigen, meines und unseres „Vaters“ im Himmel. Weil die Menschen Anteil haben am Ewigen, sind sie in der Lage, Jesus als den Auferstandenen zu erkennen.
Im „Neuen Testament“ gibt es vier unterschiedliche Erzählungen über diese Einsicht der Gemeinde: „Unser Freund und Lehrer Jesus von Nazareth, der „Menschensohn“, ist nicht ins Nichts des Todes verschwunden. Wir erfahren und verstehen kraft unseres Geistes IHN als eine bleibende, geistige Präsenz über den Tod hinaus.“
5.
Diese Erzählungen von der Auferstehung Jesu im Neuen Testament sind keine Tatsachenberichte! Kein Journalist, kein Historiker, hat die Auferstehung Jesu gesehen. Die Auferstehungs-Erzählungen des Neuen Testaments beziehen sich nicht auf ein datierbares Ereignis. Sie sind Mythen, d.h. Erzählungen von Menschen, die mit diesem Jesus persönlich und voller Liebe verbunden waren und nach seinem Tod gemeinsam zu neuen, überraschenden Erkenntnissen kommen.
6.
Die Erzählungen von der Auferstehung Jesu sind also Mythen. Der Theologe Rudolf Bultmann nannte sein Programm das „Entmythologisieren“ der biblischen Erzählungen, und er meinte damit überhaupt nicht die Zerstörung des Inhalts von Mythen, sondern die Übersetzung der Mythen in nachvollziehbare moderne Sprache. Nur dann können etwa die Mythen der Auferstehung als Lebensorientierung gelten.
Lebensorientierung anbieten – das ist der Sinn von christlichen Erlösung. Von Erlösung spricht die Kirche ständig, aber was Erlösung inhaltlich nachvollziehbar bedeutet, wird meist ins Imaginäre, Phantastische geschoben, etwa in die Ideologie der Befreiung von der sogenannten Erbsünde.
Die Erkenntnis vom „Ewigen“ in jedem Menschen kann als Erlösung verstanden werden, im Sinne der Befreiung von der Angst, im Tod ins Nichts zu versinken. Es ist der Geist als die Präsenz des Ewigen, der als Geist den Tod eines jeden Menschen überwindet. Weitere Details zum „himmlischen Weiterleben“ zu nennen, würde nur zu haltlosen phantasievollen Spekulationen führen.
7.
Es bleiben Fragen zu den Mythen der Evangelisten: Etwa zum leeren Grab Jesu: Das Grab Jesu kann gar nicht leer sein, Auferstehung ist, wie gerade betont, ein geistiges Geschehen. Jesu Körper blieb also im Grab, und er wurde – geistig – als der Lebendige erfahren. Die Kirchen erlauben seit einiger Zeit auch die Feuerbestattung, offenbar wissen sie: Der Verstorbene lebt, geistig, auch wenn sein Körper zu Asche wurde.
Und nebenbei: Wäre der Auferstandene mit seinem alten, gekreuzigten Körper „auferstanden“, hätte er ja als ein Mensch noch einmal sterben müssen, was wäre dann aber passiert? Ein erneuter Prozess gegen ihn, den Kritiker des strengen religiösen Systems? Sinnlose Spekulationen sind das.
Der katholische Theologe Hans Kessler, Autor einer umfassenden Studie zum Thema, schreibt: „Wenn vom leeren Grab gesprochen wird, so ist dies nur eine Veranschaulichung der Auferstehung Jesu, ein Bild, ein Symbol, das die Erzählung farbiger machen soll. Der Osterglaube wird nicht vom leeren Grab begründet. Der Gedanke des leeren Grabes ist kein notwendiger Bestandteil des christlichen Auferstehungsglaubens. Eine im Grab aufgestellte Video-Kamera hätte den Auferstehungsvorgang nicht aufgenommen. Wer als religiöser Mensch auf einem leeren Grab besteht, leugnet das Menschsein Jesu Christi. Aber dass Jesus ganz Mensch ist, bleibt eine unaufgebbare Einsicht der Christenheit“. Zum Buch von Hans Kessler: LINK
8.
Wann gibt es die ersten schriftlichen Zeugnisse vom Glauben der Gemeinde an die Auferstehung Jesu?
Die erste schriftliche Äußerung hat der Apostel Paulus im Jahr 50 in seinem „Ersten Brief an die Gemeinde in Thessalonich“ notiert, also knapp 20 Jahre nach Jesu Tod am Kreuz. Auch Paulus nennt kein Datum der Auferstehung. Paulus kennt aber den bereits lebendigen Auferstehungsglauben der Gemeinde, er spricht von der gemeinsamen, alles entscheidenden Überzeugung: „Wenn Jesus gestorben ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zu Herrlichkeit führen“ (4. Kapitel, Vers 14). Mit anderen Worten: Die Verstorbenen werden wie Jesus „auferstehen“. Damit sagt Paulus in seinen Worten das aus, was oben gezeigt wurde: Weil alle Menschen im Geist mit dem Ewigen verbunden sind, werden auch sie – wie Jesus – zur Herrlichkeit Gottes gelangen. Der katholische Theologe Giuseppe Barbaglio von der Universität Mailand schreibt in der theologischen Zeitschrift CONCILIUM (2006): „Jesus Christus ist als der Auferstandene unser älterer Bruder. Was ihm widerfuhr, wird uns widerfahren. Seine Auferstehung ist das Anheben unseres neuen Lebens … und unserer Auferstehung“.
9.
Die Rede vom „Ewigen im Menschen“ hat als notwendigen theologischen Hintergrund eine vernünftige Deutung des biblischen Bildes von der „Schöpfung“ der Welten durch Gott oder das Göttliche oder den Ewigen.
Nur diese kurze Erläuterung: Wenn „Gott“, der Ewige, die Welten „schafft“, dann kann Gott, der Ewige, dies nur realisieren, wenn diese Welten mit ihm, dem Göttlichen, verbunden sind. Wären die geschaffenen Welten total selbstständig, also außerhalb der Wirklichkeit des Ewigen, dann wäre Gott nicht mehr der Göttliche, der Alles Stiftende und Umfassende. Die gottlose Welt wäre eine Konkurrenz zu einem Gott, der dann keine göttlichen Qualitäten mehr hätte.
Die Welt und die Menschen können also nur in einer tiefen geistigen Verbundenheit mit Gott, dem Ewigen, dem lebendigen GEIST, verstanden werden. Eine Überlegung, die vor allem der Philosoph Hegel energisch vorgetragen hat.
10.
Die Gegenwart des Ewigen wird inmitten des Lebens erfahren und nicht nur theoretisch gedacht. Das ist die Überzeugung der frühen Christengemeinde, die der Autor des 1. Johannesbriefes im Neuen Testament ausspricht, es ist ein Text, der am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben wurde. Der Autor schreibt:
„Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod”. (1 Joh 3, 14). Und im 4. Kapitel, Vers 12, heißt es: “Niemand hat Gott je geschaut, wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet”.
Mit anderen Worten: In der Liebe wird das Ewige in diesem menschlichen Leben erfahren.
Nur weil die Menschen lieben, also Liebe (er)leben (und Liebe ist immer mehr als Caritas, sie ist immer auch erotische Liebe), erfahren sie und denken sie das Göttliche, das im Menschen lebt. Dieses inmitten des Lebens präsente Göttliche wird den Tod überdauern. Diese Erkenntnis spricht der 1. Johannes Brief lapidar aus im Vers 6, Kap. 4: „Wir aber sind aus Gott”.
11.
Die Welt als eine „Schöpfung des lebendigen göttlichen Geistes“ verstehen: Dies ist das einzige Wunder, mit dem sich kritisches theologisches Denken auseinandersetzen muss. Andere „Wunder“ braucht kein Christ, kein religiöser Mensch. Der evangelische Theologe Prof. Stefan Alkier (Uni Frankfurt.M) schreibt in seinem Buch „Die Realität der Auferstehung“ (2009) diese entscheidenden Sätze: „Die Welt, alles Leben und auch das je meinige Leben entspringen […] nicht einem blinden Zufall, sondern der intentionalen Kreativität des sich liebevoll in Beziehung setzenden Gottes…Wer diese Hypothese nicht teilt, kann auch nicht mit den Schriften des Neuen Testaments […] von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sprechen“ (S. 238).
12.
Die Auferstehung Jesu sollte eine Lebensphilosophie inspirieren. Die Theologin Elisabeth Moltmann – Wendel schreibt: „Wenn wir aufmerksam werden auf die verwandelnden Kräfte, die schon hier unser Leben verändern, die uns anders sehen, fühlen, hören, schmecken lassen, dann können wir auch erwarten: Solche Kräfte werden nicht mit unserem biologischen Leben zu Ende sind. Wir können dem Schöpfersein Gottes zutrauen, dass es Energien gibt, die über unseren eigenen Lebenshorizont hinausreichen“.
13.
Man könnte fragen: Kann die hier angedeutete Interpretation der Auferstehung Jesu von Nazareth trösten?
Sterben und Tod gehören zwar zum „Wesen“ der Menschen, aber das Sterben wird verschieden erlebt und erlitten: Im Krieg viel brutaler genauso auch in Hungerkatastrophen, dieses Sterben ist gewalttätiger als in einem gepflegten Hospiz in Europa. Immer sollte es dabei um die gemeinsame Frage gehen: Wie hätte das vorzeitige Sterben noch verhindert werden können? Durch eine Friedenspolitik, durch eine solidarische Politik oder, möglicherweise durch den Respekt für einen gesunden Lebensstil im reichen Europa.
Aber selbst wenn diese Fragen durchgearbeitet sind, drängt sich die eine Frage auf: Ist mit dem Tod alles vorbei? Ist das Versinken im Nichts die Antwort? Waren die jungen Soldaten im Krieg Russlands gegen die Ukraine nichts als „Kanonenfutter“, nur „lebendes Fleisch“, das dann durch den „Fleischwolf“ des Krieges geschickt wurde, wie kürzlich ein Kriegsreporter in einer Talkshow sagte?
Wer an das Versinken des Verstorbenen im Nichts behauptet, verkündet seine Glaubensüberzeugung, genauso wie es eine Überzeugung, eine Glaubenshaltung ist, die Ewiges im Menschen, in jedem Menschen, erkennen kann.
Angesichts des Todes denken – dabei kann man, wie immer bei existentiellen Fragen, keine Evidenz erreichen, wie man sie in den Naturwissenschaften oder der Mathematik gewöhnt ist. Eigentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit.
14.
Mystiker gehen soweit zu sagen: Die Menschen sind mit göttlichem Geist begabt, beschenkt, sie haben „den göttlichen Funken“ (Meister Eckart) ins sich. Viel mehr Worte sind dann nicht mehr nötig, um das Thema der Auferstehung anzusprechen, also das Thema „Das Ewige im Menschen, das den Tod überdauert“.
15.
Eine Frage bleibt: Gilt das auch für die schlimmsten Verbrecher, Kriegstreiber, Mörder, Diktatoren? Dass sie als Menschen die Chance hatten, der vernünftigen Kraft ihres Geistes und ihrem Gewissen zu folgen, steht außer Frage. Nur: Sie haben sich dann offenbar im Laufe des Lebens stets für das Böse entschieden. Und sie sind dabei selbst böse geworden und haben sich damit selbst bestraft. Was mit diesen Leuten sozusagen post mortem passiert, entzieht sich jeder ernsthaften philosophischen oder theologischen Aussage… Die klassische Theologie kennt die neutestamentliche Erzählung vom Endgericht – und da wird eine deutliche Sprache gesprochen.
16.
Diese Überlegungen sind keine abstrakten Spekulationen, sie haben auch politische Bedeutung. Wenn die Menschen wissen, sie sind mit dem Ewigen verbunden, dann haben alle Menschen eine besondere Würde. Dabei ist die wesentliche Gleichheit aller Menschen der Mittelpunkt der Menschenrechte, eine Gleichheit, die im Zusammenleben in einer gerechten Weltordnung realisiert werden muss.
Inspirierend bleibt dabei das „Auferstehungsgedicht“ des Schweizer Dichters Kurt Marti (1921-2017).
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme,
erst dann die Herrschaft der Herren,
erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer!
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
so weiterginge wie immer.
Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren!“
17.
Die klassische Lehre heißt: Jesus von Nazareth hat den Tod überwunden. Aber das muss man verstehen und deuten: Mit Jesus haben alle Menschen Anteil am ewigen göttlichen Geist: Aber dies ist nur eine Dimension von Ostern.
18.
Genauso wichtig ist das Eintreten für die Menschenrechte und die Menschenpflichten. Ostern ist also auch ein politisches Fest, das Fest der universalen gleichen Würde aller Menschen.
Dass diese gleiche Würde aller Menschen endlich Realität wird, ist die zentrale Aufgabe der Kirchen, wenn sie behaupten, dem Auferstandenen zu folgen. Aber die Kirchen sind zur Zeit fixiert auf sich selbst, zumal die katholische Kirche („Synodaler Weg“, Zölibat etc.), so dass sie ihre entscheidende Aufgabe der Weltgestaltung beinahe vergessen. Diese Weltgestaltung wird in dem schönen biblischen Symbol „Reich Gottes“ ausgedrückt, als einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens. Darin liegt der Lebenssinn für Menschen, die sich Christen nennen.
19.
Ich habe schon mehrfach Hinweise zum Thema “Die Auferstehung Jesu von Nazareth vernünftig verstehen” publiziert, etwa in einer Radiosendung für den RBB im April 2016, der TEXT: LINK
Ein etwas ausführlicher Essay (2021) zum Thema Ostern und die AuferstehungJesu: LINK
Und speziell ein Hinweis “Kant und die Auferstehung Jesu”: LINK
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Auf dieser website hat Christian Modehn schon mehrfach auf den international geschätzten Theologen Karl Rahner hingewiesen, etwa am 24.3.2014.
Dieser neue Hinweis wurde im Februar 2023 veröffentlicht. Es handelt sich um den Versuch, als Diskussionsbeitrag, Rahners umfangreiche katholische Theologie als eine moderne, und, durchaus gewagt formuliert, aber treffend, als eine „liberale katholische“ Theologie und als eine zaghafte „modernistische katholische Theologie” zu erweisen. Dass Rahner auch sehr explizit viele „katholisch-dogmatische Themen“ dargestellt hat, steht außer Frage. Aber es kann doch in einigen zentralen Texten und in der Grundform des Denkens eine Dimension freigelegt werden, die man liberal-theologisch bzw. vor allem modernistisch nennen könnte. Ich weiß, die meisten RahnerinterpretInnen, und sie sind meist katholisch, würden dieser genannten Dimension der Rahnerschen Theologie nicht zustimmen.
Aber vielleicht hilft ein ungewohnter Blick, Neues zu entdecken. Dabei ist klar, dass für den Religionsphilosophischen Salon Berlin „theologisch-liberal“ und „modernistisch“ wertvolle, sogar erstrebenswerte, positive Dimensionen jeder Theologie sind. Liberal-theologisch und modernistisch sind für uns also keine Schimpfworte, wie so oft bis heute in konservativen katholischen Kreisen, und die meisten, einflussreichen Kreise der katholischen Kirche sind dogmatisch-konservativ und klerikal. Und werden es wohl ohne eine wirkliche Reformation, die mehr ist als ein paar Reförmchen, bleiben.
Dieser Hinweis hat einen praktischen Zweck: Er will den heute und seit langem schon an ihrer Kirchenführung verunsicherten KatholikInnen (vor allem den zurecht an ihrer Kirche verzweifelten Frauen) Mut machen, von Rahners genannten Ideen inspiriert, das Wesentliche im menschlichen Leben zu entdecken und das Wesentliche im christlichen Glauben zu leben. Alle Debatten über Inner-Kirchlich-Katholisches und Strukturelles sind dann sekundär. Und mit Rahner wird man wohl sagen können: Menschlich leben und christlich glauben kann man auch außerhalb der katholischen Kirche. Dann wird vielleicht das (religiöse) Leben etwas leichter und freier.
1. Lässt sich Katholizismus und moderne Lebenswelt verbinden? Darüber wird auch jetzt wieder gestritten in den weltweiten Debatten um einen „synodalen Weg“ in der katholischen Kirche, also um eine moderate, sehr bescheidene Form der Demokratie in dieser Klerus-Männer-Kirche. Für die meisten ist und bleibt „Katholizismus und moderne Lebenswelt“ also sicher ein Widerspruch, aber das Thema ist in jedem Fall eine Herausforderung fürs (geistige) Überleben dieser Kirche. Und damit sollte sich die kulturell interessierte Öffentlichkeit befassen.
Dieser Hinweis zeigt in der gebotenen Kürze: Es gibt eine katholische Theologie, die den Katholizismus aus der theologischen Sackgasse mittelalterlichen, erstarrten neu-scholastischen Denkens herausführen könnte. Der Initiator dieses zeitgemäßen Denkens ist der katholische Theologe Karl Rahner. Seine – von manchen revolutionär genannten – Einsichten sind heute weiten Kreisen kaum bekannt, seine Vorschläge haben sich noch längst nicht innerhalb der katholischen Kirche durchgesetzt, obwohl einige Bischöfe wahrscheinlich die theologischen Entdeckungen Rahners verstanden haben (wie einst Kardinal Karl Lehmann). In den evangelischen, diesen philosophisch-theologischen Spekulationen eher abgeneigten Kirchen, fand Rahners Theologie kein großes Echo, schon gar nicht in den in vielfacher Hinsicht theologisch nach wie vor erstarrten orthodoxen Kirchen.
Es ist also Zeit, an Karl Rahner zu erinnern. Der äußere Anlass: Sein Geburtstag (am 5.3.1904) oder auch sein Todestag 80 Jahre später (am 30.3.1984). Biographische über wikipedia als Erstinformation.
2. Karl Rahner SJ ist ein katholischer Theologen der „besonderen“ Art: Er war immer auch Philosoph bzw. immer philosophierender Theologe, man denke an seine Studien „Geist in Welt“ (1939) oder auch „Hörer des Wortes“ (1941). Nur in der spekulativen Kraft seines philosophischen Denkens konnte Rahner ein hervorragender Theologe werden, der endlich Eigenes, Neues, zu sagen hat.
Rahner gebührt zweifellos das Prädikat „einer der bedeutendsten“ Theologen des 20.Jahrhunderts: Nur dies als eine knappe Begründung: Er hat die uralten Fixierungen erstarrter katholischer Theologie aufgebrochen, überwunden zugunsten einer grundlegenden Reform der Kirche. Er hat die katholische Theologie mit einer ungewöhnlichen Denkform vertraut gemacht, die man treffend „liberal theologisch“ und sogar „modernistisch“ genannt hat (1). Solche – katholisch immer umstrittenen – Prädikate einem katholischen Theologen zuzuweisen, bedeutet nicht, ihn „einzuordnen“, sondern nur aufmerksam zu machen: Wie mutig dieser Theologe war, sich auf offiziell, katholischerseits verachtete und verfolgte Denkformen der Moderne und der philosophischen Aufklärung einzulassen.
Nichts war und ist bis heute verwegener, schlimmer, skandalöser, als wenn Rom einen Theologen mit dem Titel „Modernist“ (2) diskriminiert(e) (3). Also als einen Theologen „qualifizierte“, der die subjektiven Glaubenserfahrungen des einzelnen zum Schlüssel und zum Mittelpunkt allen katholischen Glaubens macht. Und so musste Rahner sich hüten, um des eigenen Überlebens willen, mit allzu großer Deutlichkeit diese seine „modernistische“ oder auch „liberale“ Denkform plakativ zu vertreten. Er musste sogar bei seinen mehr als 4000 Publikationen uralte Themen bearbeiten und publizieren, die in die katholischen „Steinzeit“ gehören, wie etwa die Lehre von Ablass. Diese wie bestellt wirkenden Beiträge (auch gegen Hans Küngs Neuverständnis der päpstlichen Unfehlbarkeit) verfasste Rahner wohl, um in dem kontrollierenden System überleben zu können und seine aktuelle „modernistische“ Theologie weiter zu bearbeiten. Das ist eine sich aufdrängende These, wenn man die Zurückhaltung, wenn nicht Angst in den 1950-1960 Jahren denkt, mit der Rahner seine eigentlichen theologischen Neuerungen vortrug.
3. Der „Modernismus“ war eine breite und vielfältig ausgeprägte theologische Bewegung innerhalb der katholischen Kirche von ca. 1890 bis 1940), vor allem in Frankreichs, Englands und Deutschlands Kirche. Kurz zusammengefasst: Die Modernisten (ein Titel, der ihnen von Rom, dem Zentrum der Feinde des modernen katholischen Denkens, gegeben wurde) deuteten den katholischen Glauben „als die Wahrnehmung des im menschlichen Bewusstsein wirkenden Gottes; dieses lässt das Dogma entstehen, das sich also in einer vitalen Entwicklung aufgrund der Verarbeitung dieser Erfahrung durch den menschlichen Geist bildet“, schreibt der katholische Historiker Prof. Roger Aubert (4). Diese Beschreibung des „Modernismus“ ist in dieser Kürze wohl treffend, auch wenn Auberts Lexikonbeitrag eher die kirchen-offiziell gewünschte Kritik am „Modernismus“ durchblicken lässt.
4.
In diesem Hinweis wird kurz, aber angemessen, eine besonders neue, auffällige Dimension im Denken des ungewöhnlichen Karl Rahner vorgestellt. Diese Gestalt seines Denkens ist zunächst unter dem Stichwort „anthropologische Wende“ bekannt geworden. Diese Wende zum Menschen, die als Ausgangspunkt aller theologischen Reflexion die menschliche Lebenswelt nimmt, leitet heute prominente Autoren, wie Pater Anselm Grün aus Münsterschwarzach oder auf andere Art auch Eugen Drewermann. Anthropologische Wende bedeutet, kurz gesagt, für Rahner: Des Menschen geistiges Leben, wie etwa Lieben, Solidarität, Auseinandersetzung mit Verzweiflung, mit Tod, verweisen von sich aus auf eine transzendente Dimension, auf eine Bindung des menschlichen Geistes an etwas absolut Geltendes, das man Gott nennen kann, so benennt die klassische Theologie den Unendlichen und Ewigen.
Diese von Rahner inszenierte anthropologische Wende hat weitreichende Konsequenzen: Sie sprengt sozusagen die enge Bindung an einen immer wieder vermittelten amtlichen Dogmen-Glauben, der nur als Gehorsam gegenüber Dogmen etc. verstanden wird. Der offizielle „Katechismus der katholischen Kirche“ von 1995 hat fast 800 Seiten der „zu-Glaubenden“ Sätze, d.h. Wahrheiten! Welch ein Wahn! Rahner hingegen erkennt: Auf den bewussten Vollzug geistigen Lebens kommt es an, auf die Reflexion über das lebendige geistvolle Leben inmitten des Alltags: Da und nur da wird Gott erfahren. In der Lebenspraxis, die immer Praxis des Geistes, der Vernunft ist, zeigt sich einem jedem die Verbundenheit mit dem Ewigen, Absoluten, Göttlichen (5). So kann Rahner ausführlich begründet: zeigen Nächstenliebe ist Verbundenheit mit Gott, ist „Gottesliebe“. Und darauf kommt alles an im menschlichen Leben.
5.
Von dieser Einsicht aus zeigt sich für Karl Rahner eine ungewöhnliche Hochschätzung der Mystik. Denn in der Mystik wird die Trennung von Göttlich-Menschlich überwunden. Mystik „macht“ den Menschen also nicht zu einem Gott, sondern sie erfährt und benennt dann auch die Anwesenheit des Göttlichen im endlichen, begrenzten Menschen. Über die Mystik wird erneut Rahners Interesse an einer „modernistischen und liberalen katholischen Theologie“ deutlich. Grundlage ist seine zentrale, auch heute ständig zitierte These “Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein“ (6). Und Mystik ist eben nur denkbar als eine INDIVIDUELLE Lebensform und Interpretation des Glaubens. Eine historische Erinnerung: “Ab dem 16. und 17. Jahrhundert wird Mystik die Erfahrung eines radikal individuellen Umgangs mit dem Universellen, dem Transzendenten, mit Gott“. (7)
6.
Wenn Rahner von Gott spricht, dann immer nur von dem “unendlichen Geheimnis”. Geheimnis meint dabei nichts Mysteriöses, Hinterweltliches oder gar Spinöses, sondern eine alles grundlegende geistige Wirklichkeit, die sich im Denken und Handeln erschließt, die aber nur berührt, niemals umfasst und definiert oder gar beherrscht werden kann. Die Naturwissenschaften haben es mit „Rätseln“ zu tun, die sie im Laufe der Forschungen immer wieder annähernd beantworten können. Philosophien und Theologie haben es hingegen mit einem niemals durchschaubaren, aber ansatzweise erfahrbaren, berührbaren und in Poesie ahnungsweise nennbaren Geheimnis zu tun. Die alles grundlegende Wirklichkeit wird Gott genannt, aber Gott immer als als Geheimnis. Und damit stört Rahner alle besserwisserische Alltags-Theologie, die mit Gott umgeht wie mit einem Gegenstand und ihn in albernen Liedern, Gebeten etc. besingt und in höchsten Tönen preist oder aber ihn ideologisch, politisch missbraucht.
Diese Relativierung aller menschlichen Definitionen von Gott ist eine Art Revolution für die römische Kirche. Rahner denkt radikal und lässt sich von kirchenamtlichen Kritikern nicht beirren: Gott ist absolutes Geheimnis. Aber noch einmal: Dieser Gott als Geheimnis ist eine ungreifbare, aber in allen geistigen Vollzügen des Menschen anwesende Kraft, der unendliche Horizont des Denkens, der nie greifbare Urgrund, der alles gründet und belebt. Damit steht Rahner in der Tradition der Mystik. Er erwähnt in seinen Aufsätzen etwa Meister Eckart oder Theresa von Avila.
Mystik ist also nur die andere Seite der anthropologischen Wende der Theologie. Mystik ereignet sich „immer schon mitten im Alltag, verborgen und unbenannt“ (8). An vielen Beispielen aus den „konkreten Lebenserfahrungen“ zeigt Rahner die Anwesenheit des Geistes, des Heiligen Geistes, die Anwesenheit von Mystik (9), diese gut nachvollziehbaren Beschreibungen der Mystik im Alltag sind absolut lesenswert! Er spricht von Erfahrungen der Freiheit, von dem Nahesein der Finsternis des Todes, vom Trost angesichts von Verzweiflung…Und aus der Beschreibung geistvoller Lebenserfahrung in jedem Menschen zieht Rahner eine radikale Konsequenz. Radikal deswegen weil sie das enge Kirchendenken und die Herrschaft der Kirche über den einzelnen überwindet. Rahner notiert zu diesen geistvollen Alltagserfahrungen: „Da haben wir auch faktisch die Erfahrung des Übernatürlichen (also Gottes) gemacht“ (10). Und diese erfahrene, aber nie fassbare Nähe Gottes, des Ewigen wie auch immer , ist das alles Entscheidende für den Theologen Karl Rahner. Jetzt versteht man, warum er ein neuer „Modernist“ ist. Er reduziert die „Glaubenslehre“ auf Wesentliches, auf Humanes!
7. Es muss nun hingewiesen werden auf die kreative „modernistische“ Leistung Karl Rahners: Es handelt sich um seine „transzendentale Theologie“. Der Begriff transzendental erklärt den Grund, die subjektive „Basis“ des religiösen, auch des mystischen Erleben des einzelnen Menschen.
Mit dem Begriff „transzendental“ bezieht sich Rahner auf den Philosophen Immanuel Kant. Er hatte „transzendental“ seine damals neue, alles entscheidende Frage genannt, die nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis im Menschen (im Subjekt) fragt. Diese Bedingung der Möglichkeit des Erkennens liegt – populär gesagt – in der Vernunft des Menschen, in seinem Geist. Dem folgt Rahner gegen die Überzeugungen der versteinerten katholischen Theologie der fünfziger und sechziger Jahre, und er sagt: “Die transzendentale Frage in der Theologie bedeutet: Welche Bedingungen müssen im Geist des Menschen gegeben sein, damit das Wort der Bibel überhaupt verstanden wird?” Rahner geht noch weiter: „Der Mensch kann die Bibel nur deswegen verstehen, weil Gott, als göttliche Gnade, bereits im Menschen anwesend ist, als innere, als subjektiv erlebte, als „transzendentale Offenbarung“ , schreibt Rahner. Er will zeigen, dass „der Glaube an Jesus Christus nicht als eine bloß von außen kommende, auch noch so erhabene Zutat zur unabwälzbaren Existenz des Menschen erscheint. Sondern wir wollen den Glauben an Jesus Christus in der innersten Mitte der Existenz auffinden, wo er schon wohnt, bevor wir, hörend auf die Botschaft der Kirche, diesen Glauben satzhaft reflektieren“ (11).Und an anderer Stelle schreibt Rahner: „Ich bin der Überzeugung, dass das Christentum eben nicht nur eine von außen her kommende Lehre ist, die dem Menschen eingetrichtert wird. Sondern, dass es wirklich ein Christentum von Innen heraus, von der innersten persönlichen, menschlichen Erfahrung her, gibt und geben muss. Das Christentum ist nicht eine Lehre, die von aussen einem erzählt, dass es so etwas gibt wie Gnade, Erlösung, Freiheit, Gott, so wie einem Europäer mitgeteilt wird, dass es Australien gibt. Sondern das Christentum ist wirklich die Auslegung dessen, was in der innersten Mitte des Menschen (an einer vielleicht verdrängten, vielleicht nicht reflektierten Erfahrung doch) schon gegeben ist“.
8. Mit der „transzendentalen Offenbarung“ ist die Anwesenheit Gottes im Geist, in der Seele des Menschen, und zwar JEDES Menschen, gemeint. Dabei werden universale Perspektiven wichtig! Das Denken wird befreit aus der engen Kirchenwelt des dogmatischen Klerus. Dieser Gott ist im Geist und der Seele und im Fühlen und Denken eines jeden Menschen grundsätzlich wirksam, lebt im Menschen, und der Mensch äußert seinen subjektiven Glauben selbstverständlich auch in Worten. Die zur anregenden Glaubenseinsicht auch für andere werden können. Dieser „innere“, der subjektive Gott ist der Ursprung der in der Geschichte sich äußernden Wort/Schrift-Offenbarung mit ihren biblischen Texten. Die „objektive“, sozusagen „außen“ greifbar sich zeigende, in der Geschichte sichtbare Offenbarung als Text ist nur in dieser engen Verbindung zur inneren Anwesenheit Gottes in jedem Menschen zu verstehen. Damit wird Entscheidendes gesehen: Wenn der Mensch den weisheitlichen Weisungen der Bibel folgt, die man als göttliche Offenbarung (Buch) nennt, dann folgt er zugleich seinen eigenen inneren Weisungen, die ihm auch seine eigene Vernunft erschließt. Es gibt also keine Fremdheit mehr gegenüber der Weisheit, die dem religiösen Menschen in den Texten der Bibel begegnen. Rahner schreibt: „Man soll aus der Erfahrung des eigenen Daseins heraus erfahren, ob das Christentum die Wahrheit des Lebens sei“ (12)
9. Nun kann bei dieser Einsicht für den Glaubenden nicht jeder Satz der Kirchenlehre die gleiche Bedeutung, Würde und Dringlichkeit haben. Es gibt also ein Kriterium, mit dem der Glaubende Wichtiges von Unwichtigem in der riesigen katholischen dogmatischen -ethischen- rechtlichen Glaubenslehre findet. In dem Aufsatz „Die Forderung nach einer =Kurzformel= des christlichen Glaubens“ (13) zeigt Rahner das wahre, und das ist das einfache (also von der Überfülle der Lehren und Sätze befreite!) Zentrum des Glaubens auf. Letztlich hat die eine alles entscheidende Mitte einen Namen: Die Nächstenliebe, die auf die Gottesliebe zugleich verweist und die Erkenntnis, dass der Mensch in seinem Leben auf ein unendliches Geheimnis (Gott genannt) bezogen ist und sich von diesem unendlichen Geheimnis getragen wissen kann.
10.
Karl Rahner wusste das er sich das Leben und Arbeite als katholischer Theologe nicht leicht macht mit seinen tatsächlich neuen Erkenntnissen. Er weist sozusagen prophylaktisch im Blick auf das strafende Lehramt in Rom auf die für ihn zentrale, aber trotz Neuinterpretation orthodoxe Gnadenlehre hin (14). In Fußnote 1 dort heißt es also: „Wenn man bedenkt, dass die Gnade Christi der äußeren Predigt des Evangeliums IMMER SCHON zuvorgekommen ist (nämlich als Anwesenheit der Gnade im Menschen selbst, CM), kann diese Forderung (nämlich nach einer Kurzformel) nicht des Modernismus verdächtigt werden“.
Wer die Geltung subjektiver Wahrheit, ja subjektiver Offenbarung im Glauben des einzelnen als Bedingung objektiver christlicher Wahrheit herausstellt, hat es also nicht leicht in der auf objektive Lehren fixierten Kirche. Kein Wunder also, dass Rahner sich schützen musste. Man sollte bedenken, dass Rahner seit den fünfziger Jahren immer unter der Kontrolle des “Heiligen Offiziums” in Rom stand und sogar noch 1961 vom Vatikan mit einem Schreibverbot bedroht wurde. Man möchte denken, dass die tatsächlich oft schwierige Sprache Rahners nicht auch sein Schutz ist, um seine Erkenntnis vor oberflächlichen Dogmatikern zu schützen! Tatsächlich sind manche Artikel Rahners eine gewisse sprachliche Zumutung, etwa sein wichtiger Beitrag über „Transzendentaltheologie“ ,ausgerechnet in dem eher doch wohl für breite Kreise bestimmten „Herders Theologisches Taschenlexikon“ Band 7, Freiburg, 1973, Seite 324-329.
Trotz dieser unerfreulichen, feindlichen Situation etwa in Rom fühlte sich Rahner doch immer frei, zumal nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also in den siebziger Jahren, kirchenpolitisch öffentliche Kritik zu äußern. Es gibt viele Stellungnahmen, Interviews, Zeitungsbeiträge Rahners, die seine Ablehnung des römischen Herrschaftssystems belegen: So nannte er vatikanischen Theologen „Bonzen“, (16), im Sinne von ideologisch verblendeten Partei-Bonzen oder Partei-Genossen.
Seine Kritik an der bürokratischen, der möglicherweise den „heiligen Geist auslöschenden Kirche“, ist unvergessen, sein Zorn über die Dummheit der etablierten Kleriker ist bekannt. Seine radikalen Vorschläge für eine praktische „Ökumene jetzt“ (mit den Protestanten) fanden nicht das gewünschte Echo. Denn Rahner sagte tatsächlich: Abendmahls/Kommuniongemeinschaft unter Protestanten und Katholiken ist möglich, und zwar jetzt! Wenig Interesse zeigte sich die in ständigen Variationen doch immer gleichbleibende bürokratische Kirche an Rahners radikalen Vorschlägen, die er in seinem wichtigen Buch “Strukturwandel der Kirche als Chance und Aufgabe”, 1973, machte.
Nebenbei: Ich erinnere mich noch gern, dsss sich Rahner 1977 auf ein ihm durchaus neues Thema einließ und ein Vorwort schrieb zu dem von mir (und Hans Zwiefelhofer) herausgegebenen Buch „Befreiende Theologie“, (Kohlhammer Verlag), also über die Theologie der Befreiung in Lateinamerika.
11.
Warum also Rahner als modernen Theologen lesen und seinen Impulsen folgen? Das wird eingestanden: Nicht alles von ihm Veröffentlichte hat heute (2023) Relevanz für viele, etwa seine Äußerungen zum Zölibat oder zu Details der Dogmengeschichte.
In zentralen Aufsätzen hingegen hat Rahner die unaufgebbare Bedeutung und das grundlegende Recht des Glaubens des einzelnen, des Subjekts, des Menschen, im Ganzen des Glaubens verteidigt und begründet! Rahners Denken in seinen zentralen und aktuellen Veröffentlichungen befreien, weil sie auch überkonfessionell, ökumenisch, das Wesen des christlichen, also auch katholischen Glaubens zeigen, und dieses Wesen des Glaubens ist inhaltlich einfach und universal: Die Nächstenliebe und das Erspüren, dass menschliches Leben mit einem unendlichen Geheimnis zu tun hat. Mehr braucht der Mensch eigentlich nicht. Dieses von Rahner mehrfach herausgestellte Zentrum des christlichen Glaubens erinnert an Kant, an seine Religionsschrift. Aber das ist keine Kritik in meiner Sicht. Das ist gut so. So wird deutlich, dass Rahner auf die Herausforderung der modernen Philosophie, des modernen Denkens, antworten wollte. Und auf die Spuren Hegels in Rahners Denken wäre eigens hinzuweisen, also auf die Erkenntnis, dass der subjektive Geist auch die Formen des objektiven Geistes und damit auch des absoluten Geistes (Religion) prägt und in der lebendigen Geschichte zur Darstellung bringt. Und auf die Inspirationen, die Rahner von Heideggers Existenzanalysen in „Sein und Zeit“ empfangen hat, wurde schon mehrfach hingewiesen. Hier soll nur noch einmal betont werden: Rahner hat sich auf seine Art, angstvoll manchmal, den Herausforderungen der Moderne gestellt.
Zum Schluss ein Wort Rahners: „Das Christentum ist die „universale Botschaft, die nichts verbietet als die Selbstverschließung des Menschen in seine Endlichkeit. Das Christentum ist die universale Botschaft, die nichts verbietet, als dass der Mensch nicht glaubt, dass er mit der radikalen Unendlichkeit des absoluten Gottes begabt ist”. (16).
——————————— Belege der Zitate:
(1) Rahner als liberaler und modernistischer Theologe: Beleg beim englischen Theologen Philip Endean SJ in „Stimmen der Zeit, Spezial 1, 20004, Karl Rahner“. Karl Rahner als liberaler Theologe dort S. 67, 68, 69. Karl Rahner als Modernist S. 67: „Karl Rahners Vorhaben war im Grunde genommen dasselbe wie das ihre (der Modernisten)“ , S 67.
(2) Zum Modernismus, eine kurze Einführung: Prof.Peter Neuner, „Erfahrung und Geschichte. Die bleibende Herausforderung des Modernismus“, Orientierung Zürich, 1979, S. 2-6. Dieser Text kann noch im Archiv der Orientierung nachgelesen werden.
(3) Der viele Jahrzehnte gültige Antimodernisten-Eid, den alle Priester ablegen mussten, wurde 1967 von Papst Paul VI. abgeschafft, siehe den Beitrag „Antimodernisteneid“ in wikipedia.
Eine moderatere Form des Antimodernisteneids wurde aber von Kardinal Ratzinger bzw. Papst Johannes Paul II. 1998 wieder eingeführt: „Als dann in den streckenweise chaotischen Jahrzehnten nach dem Konzil anstelle des Modernismus ein Relativismus, also eine gewisse Beliebigkeit in Glauben, Liturgie und Lehre Einzug hielt, versuchte wieder ein Papst, mit einem Eid gegenzusteuern. Johannes Paul II. (1978-2005) führte 1998 einen vom damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger formulierten Treueid verbindlich ein.Er enthält im Wesentlichen eine feierliche Wiederholung des “normalen” Glaubensbekenntnisses aller Gläubigen, darüber hinaus aber auch Formeln wie diese: “Fest glaube ich auch alles, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird, sei es durch feierliches Urteil, sei es durch das ordentliche und allgemeine Lehramt.” Auch gegen diesen Eid gab es zunächst Proteste und Polemik. Eine tiefgreifende Krise wie der Antimodernisteneid vor 100 Jahren löste die neue, deutlich gemäßigtere Formel indes nicht aus.“ (Quelle: DOM RADIO, Beitrag von Ludwig Ring-Eifel 31.8.2010.)
(4). Lexikonbeitrag „Modernismus“ in „Herders Theologisches Taschenlexikon“ Band 5 (1973), Seite 100.
(5). Aufsatz „Einheit von Gottes- und Nächstenliebe“ In: „Karl Rahner Lesebuch“, Freiburg 2014 hg. Albert Raffelt, S. 408 ff.
(6). Christ ist Mystiker… Siehe: Karl Rahner: „Frömmigkeit früher und heute“, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. VII, Einsiedeln u.a. 1966, 22f.
(7) Koenraad Geldof, in: “Michel de Certeau”, hg. von Marian Füssel, Konstanz 2007, Seite 140.
(8) Karl Rahner, , siehe Fußnote 5, S. 257.
(9) ebd. S. 258 ff.
(10) ebd. S. 261
(11), Karl Rahner, „Ich glaube an Jesus Christus“, Benziger Verlag, 1968, S. 29.
(12) : in „Gegenwart des Christentums“, Freiburg 1963, S. 51, dort der Aufsatz „Über die Möglichkeit des Glaubens heute“, 1960 geschrieben
(13), veröffentlicht in Band VIII der „Schriften zur Theologie“, Seite 153 ff.
(14). ebd. auf Seite 153 in Band VIII.
(15) In“ Gegenwart des Christentums“, S. 51.
(16) Die Kleriker, die in ihrer rigiden Haltung Rahner viel Leid, viele Probleme, zufügten nannte Karl Rahner schon 1962 „gräßliche Bonzen“, Leute, die sich eines Spitzel – und Zuträgersystems bedienten. In: Herbert Vorgrimler, „Karl Rahner verstehen“, Topos Taschenbücher 2002, S. 117.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.
Ein Hinweis von Christian Modehn anläßlich des 100. Todestages des Theologen und Philosophen und Soziologen Ernst Troeltsch
Das Vor – Wort:
Die zentrale Erkenntnis des Theologen, Philosophen, Historikers und Soziologen Ernst Troeltsch (1865-1923) zum Katholizismus: Die römisch – katholische Kirche ist als machtvolle Institution der Prototyp des dogmatisch – hierarchischen Christentums. Als eine „dogmatische Heilsanstalt“ gehört der Katholizismus nicht mehr in die demokratische Moderne, selbst wenn die katholische Kirche faktisch als „Altertum“ unter den christlichen Konfessionen noch fortbesteht. Davon war der umfassend Gelehrte Ernst Troeltsch zumal angesichts der Verurteilungen und Verdammungen der Päpste, Gregor XVI. und Pius IX., überzeugt.
Eine gewisse Zukunft des Christentums in der demokratischen Moderne konnte sich Troeltsch insgesamt eher in kleinen Gemeinschaften vorstellen, in freien (ökumenischen) Zusammenschlüssen. Er verwendete in dem Zusammenhang den inhaltlich neutralen Begriff „Sekten“. Und abgesehen von diesen kleinen Gemeinschaften sah er eine Zukunft des Christentums in der Mystik als der lebendigen „inneren“ Frömmigkeit der einzelnen.
Diese Erkenntnisse können heute zur Diskussion anregen und zu denken geben, vor allem angesichts der geradezu verzweifelten Versuche progressiver katholischer Laien weltweit, einen „synodalen Weg“ (nicht etwa eine Synode als demokratisches Organ auch mit mitentscheidenden Laien!) in der Papstkirche durchzusetzen. Die progressiven Katholiken wollen also trotz aller Widerstände der mächtigen und einflußreichen Konservativ-Erstarrten eine leicht reformierte katholische institutionelle Form gegenüber dem Vatikan „erkämpfen“ , eine katholische Kirche also, die ein bißchen Demokratie realisiert. Und sie wollen vor allem dafür sorgen, dass endlich Frauen alle Rechte in dieser Kirche erhalten. Dies also ist der aktuelle Ausgangspunkt.
1.
An Gedenktagen (100. Todestag von Ernst Troeltsch) kritisch zu denken, hat also nur Sinn, wenn ein aktueller Ausgangspunkt formuliert ist und eine bestimmte Frage leitend ist.
Ernst Troeltsch wurde am 17.2.1865 in der Nähe von Augsburg geboren. Vor 100 Jahren, am 1.Februar 1923 ist er in Berlin gestorben. Er war, summarisch aber treffend gesagt, eine wahre Geistesgröße, nicht nur zu seiner Zeit, sondern anregend auch heute. Sein Werk ist äußerst umfangreich, zur Biographie siehe etwas Wikipedia oder die neue große und empfehlenswerte Studie von Friedrich Wilhelm Graf.
2. Was denkt Troeltsch über den römischen Katholizismus?
Bei dem Protestanten Troeltsch wird man bei dem Thema zuerst auf die Reformation Martin Luthers verwiesen. Er sieht in Luthers Tat NICHT schon den definitiven Sieg eines modernen christlichen Glaubens. Luther ist für ihn die zentrale Gestalt des „Altprotestantismus“, ein Titel, den er verwendet wegen Luthers Bindung an die „alte (katholische) Zeit kirchlicher Autoritätskultur mit ihrer Heils – und Erlösungslehre“ (Wilhelm Gräb, 17) und dem dann entstehenden typisch lutherischen „Staatskirchentum“ (ebd. 22). Zweifellos hat Luther das Individuum und die private Frömmigkeit geschätzt, er hat gegenüber der Klerus – und Papstherrschaft das „allgemeine Priestertum“ der „Laien“ herausgestellt und verteidigt. Aber er war doch theologisch noch in mittelalterlichen Welten befangen (Teufelsglaube etc.)
3.
Dieser „Altprotestantismus“ des 16. und 17. Jahrhunderts hat also NICHT die Moderne entscheidend gefördert oder gar hervorgebracht. Erst die spätere Verbindung protestantischer Theologie mit den Lehren der Aufklärung machte den Protestantismus in Deutschland, d.h. dessen Universitäts-Theologie, zu einer modernen Religion. Troeltsch spricht dann von „Neuprotestantismus“. Das Programm des Neuprotestantismus seit dem 18. Jahrhundert „besteht in der Suche nach einer der neuzeitlich-modernen Rationalität und Autonomie nicht widersprechenden, sondern dem neuzeitlichen Bewusstsein angemessenen Gestalt von Lehre und Leben des reformatorischen Christentums“ (Prof. Christian Albrecht), LINK.
Das Verhältnis von Vernunft und Religion wird also im „Neuprotestantismus“ neu bestimmt. Es ist die Vernunft, die historisch-kritische, wissenschaftliche Vernunft, die jetzt hilft, die Bibel angemessen zu verstehen. Und: Das Christentum hat nicht mehr die nur im Glauben anerkannte Sonderstellung der „absoluten, einzig wahren Religion“, das Christentum wird vielmehr Teil der allgemeinen Religionsgeschichte.
4.
Diese Erkenntnis, nun auf den Katholizismus bezogen, verlangt zunächst eine unbefangene, objektive Beschreibung des Zustandes dieser Kirche in der Sicht von Troeltsch: Der Katholizismus kennt kein allgemeines Priestertum aller, also auch der Laien, das allgemeine Priestertum hat selbstverständlich gegenüber dem besonderen Priestertum des Klerus und des Papstes eine Gleichberechtigung. Der Katholizismus weigert sich, mindestens bis ca.1960, die Bibel als einen Text zu lesen und zu erforschen, der nur mit der historisch-kritischen Forschung adäquat verstanden werden kann.
5.
Troeltsch kennt einige vernünftig gesinnte Katholiken innerhalb der römischen Kirche, sie werden aber als so genannte Modernisten von den Päpsten verfolgt und ausgegrenzt, wie etwa der „Modernist“ Freiherr von Hügel, mit dem Troeltsch etliche Jahre korrespondierte. Im Oktober 1905 verfasste Troeltsch einen Brief an diesen vatikanischen „Ketzer“, den „Modernisten“, Friedrich von Hügel (1852-1925), einen von 23 Briefen an ihn): „Meiner Empfindung nach ist Ihr Katholizismus so wenig katholisch als mein Protestantismus protestantisch; wir haben beide die Christlichkeit der modernen Welt.“ Der Historiker Andreas Lindt schreibt: Bei aller Sympathie Troeltschs für die katholisch verfolgten Modernisten „konnte und wollte man zur Papstkirche (!) als moderner liberaler Protestant keine ernsthaften innere Beziehung finden“ (zit. In „Theologische Berichte IX“, Benziger Verlag 1982, Seite 81).
Es geht für Troeltsch also um eine neue, offene Ökumene. Prof. Friedrich Eilhelm Graf betont: „In kritischer Distanz zur latenten Kulturkampfmentalität im liberalprotestantischen Milieu war Troeltsch davon überzeugt, dass sich eine religiöse Erneuerung des Christentums nur durch einen die Grenzen der Kirchen überschreitenden, insoweit ökumenischen Austausch ernsthaft Gläubiger fördern lasse“, betont Prof.Friedrich Wilhelm Graf, LINK . Das aber bedeutet: Nur freie Zusammenschlüsse von Christen verschiedener Konfessionen passen noch in eine demokratische Welt mit demokratischen Mentalitäten.
6.
In seinem äußerst umfassenden und umfangreichen theologischen Hauptwerk „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ (veröffentlicht 1912) hat Troeltsch eine herausragende Leistung vollbracht. Soziologische Kategorien wendet er zum Verständnis der christlichen Konfessionen an. Er schreibt: Der Katholizismus hat „in steigendem Maße die Innerlichkeit, die Persönlichkeit und die Beweglichkeit der Religion der festen Objektivierung in Dogma, Sakrament, Hierarchie, Papsttum und Infallibilität (Unfehlbarkeit des Papstes) geopfert“ (S. 980). Darum können eher kleine christliche Gruppen (er spricht von „Sekten“) das christliche „Reich der Liebe“ leben, die großen Kirchen, wie der Katholizismus, können als Massenbewegungen die Radikalität des Evangeliums kaum realisieren. Troeltsch nennt als positives Beispiel des Christentums die individuell gelebte Mystik, aber die sei fast nur noch in den Ordensgemeinschaften lebendig. Troeltschs eigene Spiritualität war wohl von der mystischen Dimension bestimmt. Nebenbei: Man denke daran, dass der katholische Theologe Karl Rahner (1904 – 1984) sagte 1966: „„Der Fromme der Zukunft wird ein ‘Mystiker’ sein, einer, der etwas ‚erfahren’ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ — Karl Rahner, Frömmigkeit heute und morgen. In Geist und Leben 39 (1966), S. 335
Das hätte der Protestant Ernst Troeltsch genauso sagen können. Vielleicht hat diese Erkenntnis Rahner aber bei Troeltsch gelesen? Wäre ja zu wünschen…
7.
Für Troeltsch ist die Zeit der großen institutionell machtvollen, hierarchischen Kirchen vorbei. Am Ende seiner großen Studie schreibt er:
„Die Tage des reinen Kirchentypus in unserer Kultur sind gezählt. Die Selbstverständlichkeiten der modernen Lebensanschauung fallen mit denen der Kirche nicht mehr zusammen.“.
8.
Der Historiker Andreas Lindt beendet seine Hinweise mit Anmerkungen, die auch heute aktuell sind:
„Die Sympathien protestantischer Theologen für die katholischen Modernisten haben meist etwas Wehmütig-Resigniertes: Hier wäre Hoffnung gewesen auf eine Auflockerung des starren vatikanischen Systems, aber diese Hoffnung scheiterte am harten Einspruch Roms und letztlich an der inneren Logik der von der kurialen Kirchenleitung propagierten konsequenten Selbstisolierung. So haben bekannte evangelische Kirchenhistoriker wie Karl Holl in ihren Äußerungen zu den innerkatholischen Entwicklungen jener Zeit in absehbarer Zukunft keine Wende zum Besseren mehr erwartet, – aber trotzdem daran festgehalten, auf lange, sehr lange Sicht werde die Geschichte den Modernisten einmal recht geben“ (ebd.).
9.
Ernst Troeltsch hat sich seit 1918 für die bedrohte Republik eingesetzt, vor allem als Berliner „Spitzenkandidat“ der linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP).In seinen Briefen machte er „seine Verachtung für das Versagen der Eliten des alten monarchischen Systems deutlich, die in ihrer politischen Blindheit und Arroganz Deutschland und Europa in eine Katastrophe gestürzt hätten“, schreibt Friedrich Wilhelm Graf, der Autor der neuen großen Troeltsch Biographie, in einem Beitrag der Zeitschrift der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 2020, Seite 55.
Literatur:
-Wilhelm Gräb, „Vom Menschsein und der Religion“, Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2018.
-Friedrich Wilhelm Graf, “Ernst Troeltsch. Theologe im Welthorizont“. C.H.Beck Verlag, 2022.
-Andreas Lindt, in: „Theologische Berichte IX“, Benziger Verlag 1982.
-Karl Rahner SJ, Frömmigkeit heute und morgen. In Geist und Leben 39 (1966), S. 335.
– Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. IN: Gesammelte Schriften. Scientia, Aalen 1977 (Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1922).
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin
Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus.
Gründer und Initiatoren des „Religionsphilosophischen Salon Berlin“ sind:
Christian Modehn, 1948 in Berlin – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe -Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn bzw. Universität San Anselmo, Rom) und Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973 als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM, sowie früher auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht) usw.. Zur Information über einige meiner Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen klicken Sie bitte hier.
Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet.
…………
Seit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 gab es keine öffentlichen Salon – Veranstaltungen (“Präsenz-Veranstaltungen”) mehr, sondern nur Debatten in kleinerem Kreis; hingegen werden oft neue Beiträge als Hinweise zur Debatte auf unserer Website publiziert.
Warum ein religionsphilosophischer Salon?
1.
Der Titel und die „Sache“ „philosophischer Salon“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre (also in einem „Salon“), ist evident.
(Frontal-) Vorträge – etwa in Akademien – vor zahlreichem, weithin bloß zuhörendem Publikum sind oft Ausdruck autoritären Belehrens. Ein Salon ist ein freundlicher Ort des Dialogs.
2.
In unserem religionsphilosophischen Salon soll das Philosophieren geübt werden, also das selbstkritische, systematische Nachdenken. Das Thema Religion wird auch in den heutigen Philosophien ernst genommen. Philosophische Religionskritik hat nicht mehr Sinn zu beweisen, dass Religion bedeutungslos ist, im Gegenteil: Philosophische Religionskritik zeigt, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann. Und welche Gestalten von Religion/Kirchen/”Sekten” alles andere als einen befreienden Charakter haben. Der Klerikalismus herrscht ungebrochen in der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen; im weiten Feld des Evangelischen nimmt die Herrschaft der fundamentalistischen evangelikalen Kirchen ständig. freisinnige, vernünftige christliche Kirchen sind leider marginal (vgl. die Remonstranten).
3.
Unser religionsphilosophischer Salon ist wichtig angesichts des tiefgreifenden religiösen Umbruchs in Deutschland /Europa. Die Bindung an die Kirchen lässt bekanntlich immer mehr nach. Die so genannte Säkularisierung nimmt zu. Aber Säkularisierung bedeutet gerade nicht automatisch Zunahme des Atheismus. Religionsphilosophische Salons können die Themen der Religionen und das subjektive Bewegtsein durch religiöse Fragen angesichts der Kirchenkrise vernünftig weiterführen, in der Freiheit des Geistes… über den Klerikalismus oder den vielfältigen religiösen Fundamentalismus hinaus.
4.
Religionsphilosophie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine besonders relevante Frage, auch angesichts der Zunahme christlicher und muslimischer Fundamentalismen. Dringend wird die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?
5.
Religionsphilosophien bieten also in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt. Dabei treten diese unterschiedlichen Entwürfe in einen lernbereiten Dialog. In unserem religionsphilosophischen Salon gibt es z.B.ein starkes Interesse am (Zen-) Buddhismus.
6.
Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten können und sollen und das Göttliche, das Transzendente erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend. Es ist sozusagen unthematisch gegenwärtig im Geist des Menschen.
Wenn der Mensch nach dem Göttlichen fragt, hat er also notwendigerweise „immer schon“ ein gewisses Vorverständnis vom Göttlichen. Dieses „Vorwissen“ gilt, nebenbei, für alles Fragen und Suchen.
7.
Insofern ist Religionsphilosophie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Religionsphilosophie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. In dieser Offenheit, Grenzen zu überschreiten, zeigt sich die Lebendigkeit der Religions -Philosophie. Philosophieren ist etwas Lebendiges, im Unterschied zu vielen klerikalen Konfessionen ist sie nichts Erstarrtes voller Verbotsschilder
8.
Diese „Entdeckungsreisen“ der Religionsphilosophien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus. Mit anderen Worten: Religionsphilosophie findet eigentlich in allen Lebensbereichen statt, kann sich von allen „Produkten des Geistes“ (Hegel) bewegen lassen. Wer die Gesprächsthemen anschaut, die wir seit 2007 in den meist monatlichen Veranstaltungen („Salon-Abende“) in den Mittelpunkt stellen, wird von der großen Vielfalt überrascht sein. Bisher fanden ca. 100 Salon-Gespräche statt.
9.
Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen Ort? Als Raum eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und öffentlichen Räume. Sie sind meist nicht sehr „inspirierend“, d.h. sie sind „ungemütlich“, also keine Salons, sondern eher Amtsstuben.
10.
In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.
11.
Unser religionsphilosophischer Salon sollte auch ein Ort freundschaftlicher Begegnung und menschlicher Nähe. Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Religionsphilosophischen Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrnemtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird.
12.
Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans – van Gunst aus Amsterdam…
Am 25.1.2023 notiert: Eine traurige Nachricht, ein großer Verlust für eine moderne “liberale Theologie”: Prof. Wilhelm Gräb, Prof. em. für praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, ist am 23. Januar 2023 in Berlin nach langer Krankheit gestorben. Der Religionsphilosophische Salon Berlin verdankt ihm viele wichtige Anregungen und dankt nochmals auf diese Weise für insgesamt 65 Beiträge und Interviews, die Wilhelm Gräb in mehr als zehn Jahren für diese website gab. LINK.
Ich darf sagen, wir haben einen Freund verloren, der als ein Theologe der heutigen Moderne ungewöhnliche, aber richtige Perspektiven zeigte in seiner großen Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit. Für ihn war die religiöse Glaubensform eines jeden Menschen wichtiger als die fixierenden, dogmatischen Lehren der Kirche. Diese theologische Freiheit, alle dogmatische Engstirnigkeit, allen Fundamentalismus auch in der evangelischen Kirche zu überwinden, “beiseite zu tun”, wie Wilhelm gern sagte, ist in ihrem radikalen Mut schon ziemlich einmalig. Ob diese Vorschläge und Ansätze zu einer Reformationen der Kirchen noch ernstgenommen werden, gerade in dieser “Kirchenkrise” ist eine offene Frage… Über seine Verdienste in der Forschung zu Schleiermacher wird später zu berichten sein.
Interessant in dem Zusammenhang das Interview, das uns Wilhelm Gräb 2012 zum Thema TOD und Sterben gab: LINK
Zur theologischen Besinnung empfehle ich auch unser Interview mit Wilhelm Gräb “Der Gott der Liebe”. LINK:
Über vierzig viel beachtete Interviews mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb (Berlin, Humboldt – Universität) sind auf unserer Website publiziert. LINK.
Die Bilanz, vorläufig, Ende Juni 2022, formuliert: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs außerhalb der üblichen kirchlichen Räume (!), also in Café oder Galerien, aufgegriffen und realisiert wurde. Das ist ein Faktum: Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. So konnten wir auch in jeder Hinsicht frei arbeiten!
Hinweis zu unseren Themen: Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Genauso wichtig wie die Salonabende sind auch die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de , bisher sind dort ca.1.300 Beiträge als „Hinweise“ veröffentlicht, mehr als eine Million vierhundertausend „Klicker“ gab es bisher (Stand 27.6.2022).
Der geplante religionsphilosophische Salon am 27.3.2020 über Hegel musste leider wegen der Corona – Pandemie ausfallen. Wir hoffen, dass noch einmal Salon – Gespräche stattfinden können. Sicher auch über Hegel.
Dass die Veranstaltung über Hegel anlässlich seines 250. Todestagesausfallen musste, ist aber besonders zu bedauern. Einige einführende Hinweise zur Philosophie Hegels hatte ich für den 27.3. 2020 vorbereitet, klicken Sie hier. Nach wie vor empfehle ich das große „Hegel-Handbuch“ von Walter Jaeschke, J.B. Metzler Verlag, 3. Auflage, 540 Seiten, nur 24, 90Euro.
Unser letztes Salongespräch fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist schon bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.
PS: Der religionsphilosophische Salon Berlin erhält von keiner Seite finanzielle Zuwendungen oder Unterstützung. Wir sind unabhängig und frei. Alle Arbeit für den Salon, also Organisation und die Impuls-Referate und die Moderation, leisten wir ehrenamtlich. Von den TeilnehmerInnen eines Salon-Abends werden lediglich 5 Euro erbeten … für die Raummiete in der Galerie Fantom.
Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprehend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”.
Anläßlich des Bestehens der rechtsradikalen Partei AFD wird gelegentlich auch von “Katholiken im Umfeld der AFD” gesprochen. Eine zentrale Figur ist dabei der em. Prof. für katholische Soziallehre Pater Wolfgang Ockenfeks aus dem Dominikanerorden. Er ist auch Chefredakteur der Zeitschrift “Die Neue Ordnung”, eine Art “Sammelbecken” sehr konservativer katholischer Theologen, Bischöfe, Wissenschaftler, Journalisten.
Am 21.10.21 veröffentlicht:
Die AFD nahe Stiftung Erasmus könnte bald, vom demokratischen Staat finanziell gefördert, “aufblühen”. Bis zu 70 Millionen Euro könnte dieser AFD-Club dann aus Steuermitteln erhalten. Der Bundestag könnte diese Förderung einer äußerst rechtslastigen, manche sagen zurecht rechtsextremen Partei noch verhindern…
Wir haben schon Ende Juli 2018 darauf hingewiesen, dass zum Kuratorium der AFD nahen Stiftung auch ein sehr konservativer Dominikanerpater gehört, Wolfgang Ockenfels. Dem Provinzial der Dominikaner in Köln war diese Tatache kurzfristig mal peinlich, deswegen gab er eine offizielle Erklärung heraus, die dann kurze Zeit danach öffentlich nicht mehr zugänglich ist. Wer hat da Druck ausgeübt?
Und außerdem: Pater Ockenfels hat sich schon im Dezember 2014, kurz nach der Annexion der Krim durch Putin, als Putin-Freund und Putin-Verteidiger offenbart. Das passt gut zu seiner Nähe zur AFD.
Am 25. 7.2018 veröffentlicht:
Die AFD setzt sich in christlichen Kreisen immer mehr durch: Ein Thema auch für den Religionsphilosophischen Salon in Berlin, er weiß sich der Philosophie des demokratischen Rechtsstaates, der Menschenrechte und damit der allseitigen Religionskritik verpflichtet.
1.
Jetzt ist es nicht mehr unwahrscheinlich, dass es demnächst einen „Arbeitskreis von Theologen in der AFD“ geben könnte, selbstverständlich ökumenisch vereint. In der Lutherischen Kirche Sachsens (etwa in Bautzen) würde man sicher fündig werden; im Katholizismus hat nun der in konservativen Kreisen ohnehin umtriebige Theologe und Dominikanerpater Prof. Wolfgang Ockenfels ein Zeichen gesetzt: Er gehört zum „Kuratorium“ der AFD „nahen“(wie man vornehm sagt) „Stiftung Desiderius Erasmus“.
Dabei dauern die Verbindungen von Ockenfels zur AFD schön länger: Etwa im März 2017 sprach er über „Gewalt und Religion“ auf einer Tagung der AFD von Baden-Württemberg: Den Koran sollte man lesen, meinte er. Den Koran zu lesen hielt er dann aber für eine „grauenhafte Zumutung“, so berichteten sehr rechtslastige websites pünktlich zum Vortrag! Anfang 2017 betonte Ockenfels: „Meiner persönlichen, nicht maßgebenden Meinung nach ist es – nach gründlicher Lektüre des AfD-Programms – nicht unchristlich, dieser Partei anzugehören oder sie zu wählen.“ (Quelle: Rolf Seydewitz: „Kirchen stehen ziemlich blamiert da“. In: Trierischer Volksfreund. 12. Januar 2017, abgerufen am 17. Juli 2018 (Interview).
Die schon lange andauernden Verbindungen von Ockenfels mit der rechtslastigen Wochenzeitung “Junge Freiheit” sind bekannt. Seit einigen Monaten ist Pater Ockenfels Kolumnist der “Jungen Freiheit”, so etwa zum “Heiligung statt Heilung” vom 6.4.2021. LINK
2.
Ockenfels jedenfalls kann aufgrund seiner weitreichenden vielfältigen Kontakte vor allem im rechts-konservativen katholischen Milieu nun seine AFD Affinität auch werbend in seinen Kreisen zur Sprache bringen: Er ist emeritierter Professor für Christliche Soziallehre an der theologischen Fakultät der Universität Trier (dort seit 1985, er hat also viele Religionslehrer usw. ausgebildet); er ist (Stand 2018) geistlicher Beirat im „Bund katholischer Unternehmer“; Beiratsmitglied der Akademie des deutschen Handwerks/Schloß Raesfeld; Präsident der Internationalen Stiftung Humanum (Lugano), Referent beim sehr konservativen „Forum deutscher Katholiken;” häufiger Mitarbeiter des sehr reaktionären katholischen Blattes „Der Fels“; Chefredakteur der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“. Zur Redaktion gehören auch zwei andere Dominikaner, der eine, Pater Wolfgang Spindler, hat etwa kürzlich „Gedichte für und über Carl Schmitt“ in der Carl Schmitt Gesellschaft herausgegeben. Carl Schmitt war ja bekanntlich der „Kronjurist der Nazis“… Autor der „Neuen Ordnung“ von Pater Ockenfels ist auch der heftige Gegner/Feind von Papst Franziskus, Kardinal Walter Brandmüller.
3. Am 24. Juli 2018 hat nun auch der für Pater Ockenfels zuständige Provinzialobere des Dominikanerordens in Köln, Pater Peter L. Kreutzwald, eine Stellungnahme publiziert.
Um es vorweg zu sagen: Diese Stellungnahme entspricht nicht der Bedeutung, dass nun ein katholischer Theologieprofessor sich in einer AFD Organisation engagiert. Diese Tatsache ist eine schlimme Wende, sie führt hin zur “Normalisierung” dieser AFD Partei und ihres Umfeldes sowie ihrer bekannten Connections mit rechtsextremen Parteien in Europa.
Im ersten Teil seiner Stellungnahme erwähnt Pater Kreutzwald die im Dominikanerorden offenbar übliche Pluralität: Man liebt dort die „kontroverse Diskussion“. Und angesichts dieser damit angedeuteten Toleranz im Dominikanerorden wird dann auch die „Haltung“ von Pater Ockenfels, also seine Sympathie für die AFD, als „persönliche Einzelmeinung“ förmlich abgewertet. Aber: „Diese persönliche Einzelmeinung“ wird „von der Provinzleitung nicht geteilt“. Immerhin, dies wird gesagt. Ob nun kontroverse Debatten, offenbar in dem Orden üblich, nun auch mit Pater Ockenfels geführt werden, auch öffentlich, wird vom Provinzial nicht einmal angedeutet. Wie toll wäre es doch, einmal einen kritischen Dialog unter Dominikanern, die nennen sich ja offiziell „Predigerbrüder, über das Thema öffentlich zu erleben.
Diese äußerst knappe allgemeine Abgrenzung des Ordensoberen bedeutet letztlich: Ein Ordensoberer ist gegenüber dem politischen Engagement eines zudem einflussreichen Ordensmitglieds machtlos; der Ordensobere zeigt hilflos, nicht mehr als die offizielle Ablehnung dieser Privatmeinung eines einzelnen Mitglieds im Orden mitzuteilen. Man könnte sich im Fall dieser gravierenden AFD Unterstützung ja auch denken: Dass der Ordensobere entscheidet, die Ordensmitgliedschaft des Betreffenden „ruhen“ zu lassen, solange dessen AFD Aktivitäten fortgesetzt werden.
Hingegen suggeriert der Kölner Ordensobere an der Stelle seiner knappen Stellungnahme, als wäre diese persönliche Einzelmeinung von Ockenfels nur von so geringer Bedeutung wie etwa eine absolute Vorliebe fürs vegetarische Essen oder für anstrengende Bergwanderungen. Mit anderen Worten: Der Ordensobere spielt in diesem ersten Absatz die AFD von Pater Ockenfels herunter. Damit wird indirekt für andere das Zeichen gesetzt: Wenn schon ein Dominikaner Theologe sich AFD nah engagiert, warum kann ich als katholischer Laie dies nicht auch? „Also los, wählen wir AFD“, sagen sich praktizierende Katholiken, die nachweislich oft noch sehr autoritätshörig sind.
Im zweiten, etwas längeren Teil der „Stellungnahme“ von Pater Kreutzwald wird dann ohne jeden ausdrücklichen Bezug zur AFD – Mitarbeit des Dominikaners Ockenfels nur Allgemeines zur politischen Situation Deutschland und Europas gesagt: Die AFD wird von dem Provinzial durchaus als „rechtsgerichtete Partei“ bewertet. Dass “rechtsgerichtet“ sehr milde klingt, ist klar! Kreutzwald gibt zu, diese Partei argumentiere mit „vereinfachender Polemik“ bis hin zu offener Feindseligkeit. Die Frage stellt der Provinzial an dieser Stelle nicht: Darf ein Theologe, darf ein Christ, sich zu dieser offenen Feindseligkeit (die die AFD nachweislich inszeniert) bekennen?
Zum Schluss erinnert der Obere an den Anspruch des Dominikanerordens, des Predigerordens, „in einer vernünftigen Sprache differenziert und ausgewogen die gegenwärtigen Herausforderungen ins Wort zu bringen“. DER TEXT von Pater Kreutzwald war kurze Zeit erreichbar über: http://www.dominikaner.de/ Am 21-10-2021: Diese Information des Provinzials ist schon seit längerer Zeit nicht mehr auf der website des Ordens auffindbar. Der “Fall Ockenfels” Ist wohl zu peinlich für die Ordensleitung?
4.
Auch der katholische Theologe David Berger (2010 Autor des heftig antiklerikalen Erfolgs-Buches „Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche“) gehörte kurze Zeit zum Kuratorium dieser AFD-Organisation. David Berger ist ein Kenner des Werkes des mittelalterlichen Theologen und Dominikaners Thomas von Aquin, deswegen hat er enge Verbindungen zu einzelnen Dominikanern in Berlin und in Rom (dazu in dem genannten Buch S. 128 ff.). Er hat sich vom konservativen katholischen Theologen erst zum heftigen Kirchenkritiker und Gay-Aktivisten nun wieder zum AFD nahen Theologen (zurück-?) “entwickelt”. Eine interessante “Karriere” in der AFD…Die allerdings im Juni 2019 ein Ende fand: David Berger ist aus dem Kuratorium der AFD Stiftung ausgeschieden…
Bemerkenswert jedenfalls ist die nach außen hin gezeigte Toleranz von Ockenfels gegenüber dem offen homosexuell lebenden, einstigen Chefredekteur des Gay – Magazins „Männer“ im schwulen Bruno Gmünder Verlag in Berlin: Gegenüber seinem damaligen Co-Beirat David Berger in der AFD Stiftung zeigte sich Ockenfels sehr tolerant: Er hielt den nun AFD affinen (ehemaligen ?) Gay-Aktivisten und Gay-Publizisten David Berger für einen „sehr anregenden, kompetenten Gesprächspartner“. Dabei ist diese tolerante Aussage von Ockenfels hoch erstaunlich: Sie steht wohl ganz im Dienste der gemeinsamen AFD-Verbundenheit: Denn Ockenfels hat sonst gegen alle „moderne“ Moral (der „68 er-Bewegung“) gewettert, gegen Feminismus und Gender-Forschung etwa. Gegen die so genannte „Homoehe“ argumentierte Ockenfels in einem von Norbert Geis (CSU – Hardliner) herausgegebenen Buch mit dem Titel „Homoehe“, er verfasste den Beitrag “Staatliche Prämierung der Unfruchtbarkeit“ (gemeint sind „die Homos“). AFD Homos sind jetzt – dank David Bergers Liebe zur AFD – offenbar nicht mehr so „unfruchtbar“. Inzwischen gehört Berger nicht mehr dem beirat der AFD nahen Stiftung an, CM, 7.2.2023)
5.
Pater Ockenfels, ein PUTIN-Freund:
Pater Ockenfels zeigt sich Putin – Freund und Putin – Verteidiger, und darin ist er auf der Linie der AFD. Man denke auch an Gaulands frühe Verteidigung der Annexion der Krim durch Putin… (Siehe unten, Fußnote 1)
Am 3. Dezember 2014, also wenige Monate nach der Annexion der Krim durch Putin (im März 2014 ), schrieb Pater Ockenfels in der sehr konservativen katholischen website kath.net :
„Aber die neuen Schaleks (das sind Journalisten im Werk von Karl Kraus, CM) beiderlei Geschlechts bevölkern zur Anheizung des neuen Konflikts unsere Medien, die ihren Haß auf den Teufel Wladimir Putin kaum noch zügeln können: Er sei sowieso krank, er habe Krebs, und überdies sei er paranoid, wie Herr Doktor Andreas Schockenhoff MdB per Ferndiagnose herausfand, statt sich als Christdemokrat einmal zu völkerrechtlichen Regeln, die für alle und reziprok gelten (sollten) und über die einseitige Interessen- und Machtpolitik hinausgehen, nachdenklich zu äußern. Die heute bei uns vorherrschenden antirussischen und antichristlichen Affekte werden freilich nicht vom Volksverhetzungsparagraphen erfaßt“. Kath.net 3.Dezember 2014.
Fußnote 1: „Schon 2014, die AfD war erst wenige Monate alt, war Alexander Gauland zu Gast in der russischen Botschaft. Gauland, damals noch Landeschef in Brandenburg, ist heute Vorsitzender der Partei. Kurz nach dem Besuch trat er mit dem Kreml-Lobbyisten Wladimir Jakunin bei der Konferenz „Frieden mit Russland“ des rechtsextremen Magazins Compact auf. Er reiste nach Sankt Petersburg, traf einen nationalistischen Oligarchen und diskutierte mit dem radikal antiliberalen Philosophen Alexander Dugin, den das US-Magazin Foreign Affairs „Putins Hirn“ taufte.
Und so ging es weiter: AfD-Politiker reisten zu Konferenzen in die Ostukraine, wanzten sich an die Putin-Jugend ran, trafen sich in Moskau mit der Kremlpartei oder der Stadtregierung… Quelle: TAZ: https://taz.de/Russland-und-die-AfD/!5579084/
Fußnote 2:
Der Dominikaner Pater Ockenfels ist ständiger Mitarbeiter der äußerst rechtslastigen website “kath.net”, seine Texte: https://kath.net/suche.php?suche=Ockenfels
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin