„Die Religion als Opium des Volkes“. Zum 199. Geburtstag von Karl Marx (5. Mai 1818)

„Die Religion als Opium des Volkes“

Die aktuelle Diagnose auch im Reformationsgedenken 2017

Zum 199. Geburtstag von Karl Marx (5. Mai 1818)

Ein Hinweis von Christian Modehn

Sehr schön passend, kurz vor Beginn des Evangelischen Kirchentages in Berlin am 24.Mai (Das Motto: „Du (Gott) siehst mich“) werden einige philosophisch und religionsphilosophisch Interessierte erneut an Karl Marx denken: anlässlich seines 199. Geburtstages am 5. Mai. Und sie werden im religiösen Umfeld dieser frommen Kirchen-Tage an das viel zitierte (und historisch so oft bestätigte) Wort des Philosophen Karl Marx denken: „Die Religion ist das Opium des Volkes“ (1843 formuliert in der Einleitung der Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“).

Abgesehen von einer breiten und partei-ungebundenen Marx-Exegese, die trotz des Zusammenbruchs und Verschwindens der meisten sich kommunistisch nennenden Regime aktuell bleibt: Dieser Spruch „Religion ist Opium des Volkes“ verdient alle Aufmerksamkeit in einer Welt, die alles andere als säkular ist, sondern in der Religionen und Sekten und esoterische Bewegungen ständig ihr sichtbares, problematisches und auch politisch gefährliches Wesen zeigen. Man denke an den Boom der Evangelikalen in den Hunger-Staaten Afrikas, an die verschiedenen Formen des Islams, an die so vielfältigen, oft aber tyrannisch-geldgierigen Pfingstkirchen in Brasilien usw. Die Frage bleibt: Gibt es Religion, die kein Opium des Volkes sind, sondern wahre inspirierende Nahrung, um im Bild von Marx zu bleiben. Das es nicht-beruhigende Religion gibt, ist für uns klar.

Darüber später mehr, sonst siehe die Beiträge zur Theologie der Befreiung auf dieser website. Und auch dies: Die moderne “liberale Theologie” (dies ist natürlich keine FDP-Theologie)  und auch die Theologie der freisinnigen protestantischen Kirche in Holland, der “Remonstranten”, (ebenfalls Infos auf der website), sind de facto eine Überwindung der These “Religion ist Opium des Volkes”, es sind freie und selbständig-kritische Theologien und Glaubensformen.

Mit anderen Worten: „Religion ist Opium des Volkes“ könnte als kritische Begleitmusik auch alle Veranstaltungen des Kirchentages beleben. Etwa mit der Frage: Verbreiten wir jetzt Opium, wollen wir beruhigen? Aber welchen Aufstand des Gewissens wollen wir? Welche grundlegende Veränderung auch der Kirchen wollen wir? Warum haben wir als ängstliche Lutheraner, staatsteu wie einst, Thomas Müntzer, dem Reformator und Kollegen Luthers, keinen Platz beim Kirchentag eingeräumt? Wer wird diese Frage nach der Abwesenheit Müntzers stellen?

Insofern ist es fast ein philosophisches Geschenk, dass wir am 5. Mai an Karl Marx, an den kritischen Philosophen, wieder einmal “besonders” denken. Und uns hoffentlich befreien von der dogmatischen Starre, in der sein philosophisches Denken durch die Regime des Ostens eingesperrt und stillgelegt wurde. Nun haben die Kirchen allen Grund, nach dem Tod des Erzfeindes Kommunismus, sich erneut dem Denken von Marx zu stellen, dem Philosophen und auch dies: dem Ökonom.

Und es könnte eine Art philosophiehistorischen Aberglauben fördern, wenn wir nun auch noch bedenken: Ausgerechnet an einem 5. Mai wurde auch noch der Philosoph und dialektisch-lutherisch-Glaubende Sören Kierkegaard geboren (im Jahr 1813). Und man hätte Lust, Marx und Kierkegaard einmal in einen religionsphilosophischen Disput zu verwickeln. Solche philosophischen religionskritischen Salons wären doch ein schöner, geistvoller Gottesdienst.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer salon Berlin

 

Wissenschaften sind stärker als Ideologien: Zum Marsch für die Wissenschaften am 22.4.2017

Der weltweit organisierte “Marsch für die Wissenschaft” am 22.4.2017 ist eigentlich ein Skandal: Ein Skandal, dass solch eine Veranstaltung als öffentliches Eintreten zugunsten der Wissenschaften überhaupt stattfinden muss. Leben wir wieder im dunklen Zeitalter? Also vor dem siècle des lumières? Offenbar! Vor allem befördert, durch die unerträglichen Verdrehungen von Fakten, von Wahrheit und Mißbrauch der Wissenschaft durch Mister Trump. Schon in den ersten 100 Tagen seines Herrschens hat die “Washington Post” ihm mehr als 100 Lügen nachgewiesen. Wird die Welt von einem politisch mächtigen Lügner bestimmt? Was kann man diesem Herrn und seinem System noch glauben?

Um so dringender, dass wir die Vernunft stärken und eben für die Wissenschaften öffentlich eintreten. Traurig ist es schon. Und traurig, dass mir bisher nicht bekannt ist, welche Katholisch-Theologische Fakultäten in Deutschland an diesem March for science teilnehmen. Denn diese Fakultäten kämpfen doch ständig um ihren Status als freie und unabhängige wissenschaftliche (zudem: staatlich anerkannte und vom Staat bezahlte)  Institutionen. Denn das letzte Wort in der Berufung von Professoren für diese katholisch-theologischen Fakultäten haben die Bischöfe, also die Kirchenleitungen. Das wäre vergleichsweise so, wie wenn der Justizminister die Professoren für Jura beruft oder der Außenminister die Professoren für Politologie. Der Status der katholisch-theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten ist nach wie wissenschaftlich prekär. Freie und unabhängige Forschung kann es da eigentlich nicht geben. Gesellschaftich Impulse von dort sind rar. Und: Wer zu kritisch ist, fliegt raus. Wer als Priester-Professor heiratet, fliegt raus. Die Bischöfe sagen, was erforscht wird und wer forscht. Man denke nur an den berühmten “Fall Küng”: 1979 wurde ihm von den katholischen Bischöfen (im Einvernehmen mit Rom selbstverständlich) die Lehrerlaubnis an der Katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen entzogen. Küng hatte es gewagt als Wissenschaftler, wie es sich gehört, eine neue Interpretation der immer umstrittenen päpstlichen Unfehlbarkeit vorzulegen und nicht wie alle anderen Theologen angstvoll das Alte nachzubeten. Das durfte nicht sein! Der Staat musste für den dann arbeitslosen katholischen Theologen Küng einen neuen Posten an der Uni Tübingen schaffen. Dass dann dort wiederum Hans Küng großartige Forschungen gelangen, ist klar. Ein zweites Beispiel: Der katholische Theologieprofessor und Priester Michael Bongardt durfte nicht mehr an dem winzigen Seminar für Katholische Theologie an der FU weiter arbeiten, weil er heirate. Auch für ihn musste der Staat eine neue Stelle schaffen. Ist das nun Ausdruck der Trennung der Kirche vom Staat oder ist dies ein devoter Gehorsam des Staates gegenüber den eigenen (von vielen unvernünftig genannten) Gesetzen der römischen Kirche? Das Komische ist: Niemand will diese staatliche Kirchen-Treue ändern…

Zum march for science:

1. Zum Selbstverständnis des March for science: 

Der „Marsch für die Wissenschaft“ will die Bedeutung von Erkenntnissen und überprüfbaren Ergebnissen der Forschung für unsere Gesellschaft stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Wissenschaft und Forschung sind Säulen von Freiheit und Wohlstand. Wir sind überparteilich und überinstitutionell. Wir wollen, dass Wissenschaft als gemeinsames Gut begriffen wird, das Politik und Gesellschaft hilft, Entscheidungen wissensbasiert und im öffentlichen Interesse zu treffen.

Wissenschaft und Forschung haben sich in den vergangenen Jahrhunderten zu einem zentralen Baustein unserer Zivilisation entwickelt. Unser Wohlstand verdankt sich den Ergebnissen der Arbeit von Forschenden, WissenschaftlerInnen und daraus erwachsenden Innovationen. Wissenschaftliche Erkenntnisse über die Zusammenhänge in Natur und den Gesellschaft fließen in Schule und Ausbildung ein, das stetig wachsende Wissen macht die Menschheit zukunftsfähig.

Wissenschaftlicher Fortschritt muss durch überprüfbare Arbeit erstritten werden. Derzeit wird die Basis unserer modernen Lebensweise durch populistische Forderungen und die Verbreitung von „Fake News“ gefährdet. Wissenschaftlich erwiesenen Tatsachen werden, nicht nur in den USA, unbelegte „alternative Fakten“ entgegengehalten. Einmal wird der Klimawandel als Erfindung abgetan, ein andermal die überwältigenden Beweise für die Evolution der Lebewesen auf Erden geleugnet und durch Kreationismus ersetzt, Impfen wird als Teufelszeug abgetan – die Beispiele werden zahlreicher, wo selbst unstrittige Erkenntnisse politisiert werden.

Wir sind nicht „gegen“, sondern „für“:  Anti-Trump ist uns zu kurzsichtig. Die Wissenschaftsfeindlichkeit eines bildungsfernen Präsidenten ist nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Strömung, die wissenschaftliche Fakten und sicheres Wissen denunziert. Wir sind für die Wissenschaft und Forschung als zivilisatorische Errungenschaft, die für unsere offene Demokratie unabdingbar ist. Deutschland stellt nur ein Prozent der Weltbevölkerung, ist zugleich aber global die viertstärkste Wirtschaftsnation. Unser Wohlstand beruht auf Wissenschaft, Forschung, Technologie und Ausbildung. Es geht buchstäblich um unsere Zukunft.

Forschung und Wissenschaft sind die Kunst des Lösbaren, helfen Welten erbauen, die Menschen Freiheiten schenken. Wir appellieren an alle Bürger, die wissen, wie wichtig die Wissenschaft in der Demokratie ist. Engagieren Sie sich gegen rückschrittliche und populistische Sichtweisen. Glauben Sie keinen einfachen Erklärungen. Die Welt ist kompliziert, gerade deshalb ist sie schön.

Quelle: http://marchforscienceberlin.de/leitbild

2. Zum Marsch in BERLIN,  er findet selbstverständlich auch in anderen Städten statt.

Der March for Science startet am 22.04.2017 um 13:00 Uhr vor der Humboldt-Universität zu Berlin (Unter den Linden 6). Mach mit!

Von der Leugnung des Klimawandels bis hin zu absurden Verschwörungstheorien – immer häufiger werden wissenschaftlich belegte Tatsachen geleugnet oder sogar erwiesene Unwahrheiten als „alternative Fakten“ dargestellt.

Unser Land lebt von Wissenschaft, Forschung, Technologie und Ausbildung. Umso mehr muss uns die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit, vor allem in den westlichen Industrienationen, alarmieren.

Forschung und Wissenschaft sind zu wichtig um zuzulassen, dass sie als Spielball populistischer Interessen missbraucht werden.

Am 22. April 2017 werden daher anlässlich des „Earth Day“ wieder weltweit, auch in vielen Städten Deutschlands, Menschen auf die Straße gehen (Karte). Sie demonstrieren für den Wert von Wissenschaft und Forschung als eine Lebensgrundlage unserer offenen und demokratischen Gesellschaft.  In Deutschland findet der “March for Science” in Berlin, Bonn/Köln, Dresden, Frankfurt, Freiburg, Göttingen/Kassel, Greifswald, Hamburg, Heidelberg, Jena, Leipzig, München, Stuttgart und Tübingen statt.

Diese Demonstrationen sind überparteilich. Alle Bürgerinnen und Bürger, denen unsere Zukunft wichtig ist, sind eingeladen – nicht nur WissenschaftlerInnen.

Weiter führende Überlegungen:

Der „Marsch für die Wissenschaft“ ─ Vier Gedanken und ein Fazit

(Eine Ergänzung am 24.4.2017: Inzwischen melden sich kritische Stimmen zu diesem Marsch für die Wissenschaft, klicken Sie hier. )

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Viele Nationen. Aber keine Nationalisten. Ein neues kosmopolitisches Volk? Beim Betrachten des Petersplatzes zum „Urbi et Orbi“ am 16. 4. 2017

Von Christian Modehn. Veröffentlicht am 16.4.2017

Wie oft haben wir die Bilder am Ostersonntag gesehen, wenn der Papst seinen Segen „Urbi et Orbi“ spricht.

Wie oft haben wir dort, in der Menge herausragend, die vielen Fahnen gesehen, auf die auch Pilger nicht verzichten können: Sie wollen stolz zeigen, wo sie herkommen und wo sie national hin gehören. Also: Deutsche Flaggen, polnische, brasilianische, argentinische, kroatische, sogar eine schwedische Flagge habe ich heute entdeckt und viele andere mehr. Man muss förmlich Flaggenkundler sein, also der eher noch marginalen Vexillologie verbunden sein, um alle die bunten nationalen „Tücher“ zu identifizieren. Aber der Eindruck ist prägend: Diese Gruppen wollen nicht dem Nationalismus frönen, sondern eher die bunte Vielfalt des Glaubens, in vielen Nationen zu Hause, ausdrücken.

Selbst wenn zu Beginn der TV Übertragung die Hymne des Staates Vatikanstadt und danach die italienische Hymne gespielt wird, also ein Hauch des Nationalen entsteht: Aber der ist nur der (eigentlich überflüssigen) musikalischen Tradition verpflichtet.

Diese internationale Versammlung auf dem Petersplatz ist keine Versammlung von Nationalisten. Wer sich da mit seiner Flagge hinstellt, neben die Flagge einer anderen nationalen Gruppe, überwindet gerade seine nationale Bindung. Kaum vorstellbar also, dass sich Madame Le Pen (sie nennt sich Katholikin) da mit der französischen Flagge hinstellt (und dem Papst zuhört) und in ihrer Nachbarschaft etwa ist sie der Flagge aus Eritrea oder einem anderen afrikanischen Staat ausgesetzt, aus Staaten also, wo die Flüchtlinge herkommen…Oder kann man sich den rechtsradikalen Holländer, Herrn Wilders, ehemals katholisches Kirchenmitglied, auf dieser Versammlung anlässlich des Urbi et Orbi vorstellen oder gar Frau Petry oder Frau von Storch (AFD), diesmal als ökumenische Gäste. Diese sich Politiker nennenden Leute schaffen noch nicht den Sprung, mit ihrer Flagge sozusagen den Nationalismus zu überwinden…Sie bleiben begrenzt und verschlossen.

Sind die anderen alle Kosmopoliten, wenn sie da auf dem Petersplatz bunt gemischt stehen und die Friedensworte hören? Hoffentlich. Wer kann schon ins Herz der 50.000 Katholiken dort schauen. Aber de facto setzen sie mit ihrer Flagge neben den vielen anderen Flaggen eben eine Relativierung des Nationalen. Bleibt zu hoffen, dass alle diese verschiedenen Menschen nach dem Segen dann, mit Geist und Courage gesegnet, das multikulturelle Gespräch suchen, in kleinen Gruppen auf den Plätzen, den hoffentlich offenen Kirchen und Klöster oder in den Cafes. Dann wäre Ostern gleichzeitig Pfingsten. Ohne einen geweiteten, neuen Geist, kann niemand Ostern verstehen. Insofern sind Ostern und Pfingsten sachlich –theologisch sowieso eins.

Ein Debatten – Thema sollte sein: Die Rückbesinnung auf die schöne Definition der Kirche: Sie nennt sich – ohne dabei antisemitisch zu sein – neues Volk Gottes: Es gibt also förmlich ein neues, ein universales, die Welt umfassendes kosmopolitisches Volk: Die eine neue über-nationale „Nation“, die keinen Krieg mehr duldet zwischen den dann relativen und kleinen „realen“ Nationen, heißen sie nun USA, Russland, Deutschland, usw. Diese Nationen sind eben begrenzt und zweitrangig. Gegenüber der einen großen Friedens-Nation derer, die sich zum Christentum bekennen. Und über die enge Konfessionalität dieses Glaubens hinauswachsen: Also in diesem Bekenntnis niemanden ausgrenzen, geschweige denn attackieren! Also keine neue/alte Rechthaberei! Sondern dieses neue Volk, das sich Volk Gottes nennt, ist einzig der Menschlichkeit verpflichtet, dem Frieden, den Menschenrechten. Aber dies ist ein Projekt, vielleicht ein Traum. Hat die Kirche schon realisiert, dass sie eigentlich eine große Friedensbewegung ist? Mit allen politischen Konsequenzen. Mit aller Parteinahme für den Frieden?

Copyright: Christian Modehn, Berlin. Religionsphilosophischer Salon Berlin

Benedikt der Sechszehnte wird neunzig: Der konservative „EX-Papst“ im Hintergrund.

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., wird am 16. April 2017 90 Jahre alt

Hinweise von Christian Modehn

Der Chefredakteur der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ (München), der Jesuiten Theologe Andreas Batlogg, hat nach dem Erscheinen des Interviewbuches mit Joseph Ratzinger (Ex-Papst Benedikt XVI.) recht mutig im Deutschlandfunk (9.9.2016) gesagt: Das neue gemeinsame Buch mit Peter Seewald „Letzte Gespräche“ (erschienen im September 2016) „dürfte es eigentlich nicht geben“. Es sei stillos, wenn Ratzinger den gegenwärtigen wirklichen und wirkenden Papst Franziskus „in diesem Buch kommentiere“. So werde der Eindruck geweckt, Joseph Ratzinger sei doch noch irgendwie als Papst tätig… Dabei hatte er versprochen, nach seiner Abdankung (am 28.2.2013) zu schweigen. Aber wer einige Meter vom tatsächlichen Papst entfernt wohnt und nicht etwa im bayerischen „Gnaden“-Ort Altötting, der beobachtet alles, hört alles und redet auch mal wieder, um seine bekannten, mindestens sehr konservativ zu nennenden theologischen Meinungen zu verbreiten.

Pater Batlogg sagte in der Ra­dio­sen­dung: „Ich denke Benedikt ist sich treu geblieben. Er ist sich treu geblieben, ich bin da (in dem Buch, CM) Feindbildern und Klischees begegnet, die ich aus den 70er Jahren kenne… Ich merke, da hat er Feindbilder, die er über Jahrzehnte behalten hat, und jetzt, wo er wieder viel fitter ist als bei seinem Rücktritt im Februar 2013, da kommen diese Dinge wieder. Ich denke er schadet sich damit selbst“.

Wohl wahr… Aber diese Worte des EX – Papstes helfen auch all den vielen Prälaten, Kardinälen und reaktionären “neuen” geistlichen Gemeinschaften usw., die ihm, dem Benedikt, verbunden sind und förmlich darauf warten, dass der „alte Geist, der Ratzinger- Geist“, wieder herrscht. Solches freut doch den munteren Ex-Papst. Noch nie wurde wohl von Konservativen bzw. reaktionären Katholiken das Verschwinden eines Papstes so ersehnt wie das Ende von Papst Franziskus. Es gibt bekanntlich Bücher katholischer Journalisten, die den Hass auf Papst Franziskus dokumentieren, wie etwa „Les ennemis du Pape“ (Bayard Presse, Paris, 2016. „Die Feinde des Papstes”. Mit dem tatsächlichen Untertitel: “Über jene, die seinen Tod wollen“; Autor ist der sehr katholische Journalist Nello Scavo. Es werden bald Studien erscheinen, warum wohl Papst Franziskus bei Begegnungen mit ihm Wohlgesinnten immer wieder diese förmlich anflehte: “Betet für mich“. Diese permanente Häufung von Gebets-Wünschen lässt auch Böses ahnen…

Nun wird Joseph Ratzinger am 16. April 2017 90 Jahre alt. Uns interessiert nicht so sehr, ob irgendwelche lieben Domspatzen oder Altöttinger Liebfrauen-Brüder ihn beehren werden und bayerische Schweine-Schmankerl mitbringen.

Wir entsprechen nur den Nachfragen einiger LeserInnen dieser Website: Sie baten darum, noch einmal einige zentrale Texte aus unseren Forschungen zu Ratzinger zugänglich zu machen. Dabei ist für mich keine Vollständigkeit erreichbar. Etwa die Themen “Unterdrückung der Kenntnis und der Bestrafung sexueller Täter in der Zeit von Ratzingers Tätigkeit als oberster Glaubenschef in Rom” werden nicht erwähnt, das haben andere schon getan. Im Rahmen unserer Forschungen zu dem entsprechend belasteten Orden der „Legionäre Christi“ wurde hingegen oft von Ratzinger/Benedikt XVI. gesprochen.

Tatsache ist und die ist wichtig für die Geschichte der katholischen Religion: Unter Benedikt XVI. wurde die traditionelle Kirche, ganz auf den zölibatären Klerus fixiert, weiter gestärkt. Mit all den katastrophalen Folgen durch Priestermangel in den europäischen und nordamerikanischen Gemeinden. Tatsache ist weiter, dass dieser Papst die evangelischen Kirchen nie als Kirchen anerkannt hat. Hingegen schwadronierte Benedikt XVI. von einer Versöhnung mit den, Verzeihung, theologisch weithin verkalkten und oft korrupten orthodoxen Staatskirchen. Wer will mit Putin-Patriarchen und Bischöfen schon „eins“ werden und im uralten, dort üblichen Kirchenslawisch Gesänge schmettern?

Es werden hier also nur einige Beispiele, seit 1968, und einige Grundhaltungen des Theologen Ratzinger aufgezeigt, die er als Papst nicht aufgeben wollte und konnte. Ratzinger hatte ja bekanntlich seine private Theologie als DIE Theologie des Katholizismus vertreten und mit Gewalt verteidigt und durchgesetzt. Ihn inspirierte völlig der Kirchenvater Augustinus (gestorben 430) und eben nicht Karl Rahner oder Hans Küng.

Zu einem längeren biographischen Hinweis zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers seit 1968 klicken Sie hier.

Zum Widerspruch Benedikts gegen Formen des so genannten Relativismus klicken Sie hier.

Zu seiner Ehelehre und der Zurückweisung jeglicher Homo-Ehe klicken Sie hier.

Zu dem merkwürdigen Phänomen der ins Idolatrie abgleitenden Papsthymnen bei seinem Besuch in Mexiko klicken Sie hier.

Die Versöhnung mit den reaktionären Pius-Brüdern (gegründet von Erzbischof Marcel Lefèbvre) ist sicher eine der schwer wiegendsten Entscheidungen Benedikt XVI., sie zeigt wohl auch seine versteckten und unausgesprochenen Sympathien für diese angeblich so treu ergebenen katholischen Kreise… Über die so gütigen, verständnisvollen Bemühungen Ratzingers/Benedikt XVI., mit diesen auch politisch reaktionären, oft dem FN nahe stehenden traditionalistischen Kreisen (in Frankreich) zu einer Versöhnung zu kommen, wird in dem Bericht zur politischen Rechtslastigkeit Ratzingers gesprochen. Besonders die Affäre um den FN –Freund Abt Calvet von Le Barroux ist unvergessen: Dieses traditionalistische Benediktinerkloster versöhnte sich mit dem Papst, durfte aber die eigene reaktionäre Theologie und Politik ungebrochen fortsetzen. Calvet war ein Freund des Pétain Anhängers und Nazis Paul Touvier….Der Abt zeigte sich verständnisvoll für die Brandstifter, die das Kino “St. Michel” in Paris 1988 anzündeten, als dort der Scorsese Film „La dernière tentation de Jésus“ gezeigt wurde. Die Brandstifter machten übrigens ihre Exerzitien in seinem Kloster. Diese Versöhnung mit Le Barroux und weiteren reaktionären Klöstern ist eine der ganz dunklen Seiten in der Theologie und Kirchenpolitik Ratzingers. Über sie wird kaum noch gesprochen. Die Versöhnung mit dem Papst wurde im Kloster “Le Barroux” übrigens groß gefeiert, Kardinal Mayer OSB reiste aus Rom eigens an und feierte die Messe mit vielen rechtsextremen Frommen, wie etwa Bernard Anthony vom FN und dem Chefredakteur der FN Zeitung „Présent“ Jean Madiran. Ratzinger jedenfalls meinte unschuldig und nach außen naiv: „Die traditionalistische Messe auf Latein (d.h. der Priester spricht still seine Texte vor sich hin, mit dem Rücken zum schweigenden, bzw. den Rosenkranz betenden Volk,CM) ist ein Bollwerk für den Glauben“ (Viele Details sind nachzulesen in der wichtigen Studie „Des Intégristes très intégrés“ in: Les Dossiers du Canard, “Les Cathocrates”, Paris 1990, Seite 20 f.).

Zu Abt Dom Gérard einige Hinweise sogar auf Englisch vom Kloster selbst: https://www.barroux.org/en/nos-fondateurs-articles/dom-gerard-en.html

Ein eigenes Thema wäre: Wie betreibt Papst Franziskus die weitere Versöhnung mit den Pius-Brüdern? Manche kundigen Beobachter sagen: Die Versöhnung steht bevor. Warum wohl? Weil diese Piusbrüder eben viele junge Priester haben. Die sind ja absoluter Mittelpunkt im katholischen Denken! „Der Klerus muss herrschen“. Das ist die selten besprochene, aber tatsächlich wichtigste Botschaft des Vatikans im Reformationsgedenken 2017.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Post-faktische Untaten: Ein philosophischer SALON über das Lügen.

Am Freitag, den 21. April 2017  um 19 Uhr, laden wir wieder zu einem Salonabend ein. Treffpunkt ist die Kunst-Galerie Fantom, Hektorstr.9 in Wilmersdorf. Wir wollen Elemente einer Kultur der Wahrhaftigkeit zusammentragen bzw. zusammen-denken, in einer Zeit, in der wir von Lügen auch in der Politik überschwemmt werden. Die meisten Lügen verbreiten jene, die “die” Lügenpresse attackieren. Aber auch Despoten und Herrscher, die sich auch als Herren der Fakten verstehen und nach eigener Machtgier Wahrheiten erzeugen wollen. Ohne eine aufmerksame kritische Presse wären wir diesen diabolischen Menschen hilflos ausgesetzt…Nebenbei: In der Bibel wird der Teufel “Herr der Lüge” genannt. Diese Metapher vom Teufel finden wir  treffend…

So viel ist klar, und das ist keine Lüge: Ohne Wahrhaftigkeit, also den Verzicht aufs Lügen, wird unser eigenes Leben wie das Leben der Gesellschaft zerrüttet. Wollen das jene, die Lügen als Fakten hinstellen, also eine zerrüttete Gesellschaft? Welche begrenzte Bedeutung haben Not-Lügen? Ist das Verschweigen der Wahrheit eine Lüge? Hat Kants radikale Ablehnung jeglicher Lüge ein gutes Recht?

Wir werden über Jonathan Swifts Überlegungen, der Aufklärung verpflichtet, über “Politische Lügen” sprechen und über die bisher wenig beachteten Hinweise des Philosophen Max Scheler zur “Organischen Verlogenheit”, also der schon gar nicht mehr bewussten Verlogenheit der Ressentiment-geladenen Leute und Politiker.

Die Zahl der Lügen, die Mister Trump in den ersten Wochen seiner Herrschaft verbreitet hat, sind alle bestens dokumentiert und gezählt, mehr als 100 sind es bestimmt. “Ihr seid Fake-News”, dieses Gift verbreitete Trump gegenüber dem Sender CNN. Allmählich ist er selbst eine Art personifizierte Fake-News  geworden, freilich nicht er allein, Herr Putin und Co. steht ihm da sehr nahe!  Wie soll man solchen passionierten Lügner glauben? Muss man ja wohl als Bürger… Politische Lügner mit solcher Bedeutung zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In dem Falle lohnt es sich, die Leute zu untersuchen, die unter “organischer Verlogenheit” (Max Scheler) leiden.

Uns freut besonders, dass unser Salon am Vorabend des Wissenschaftstages mit den entsprechenden Demonstrationen, also am 22.4. 2017, stattfindet.

Die Einladung zu diesem Salonabend ist herzlich gemeint, und dies ist keine Lüge. Aber die Bitte: Anmelden bei: christian.modehn@berlin.de

Karl-Otto Apel wird 95 Jahre. Gegen Skepsis und Relativismus.

Einer der anregendsten Philosophen unserer Zeit wird am 15. März 95 Jahre alt: Karl-Otto Apel, geboren in Düsseldorf, der Begründer der Diskurs-Ethik, mit ihrer Darstellung universaler Ansprüche im vernünftigen Argumentieren. Apel scheute nicht die Auseinandersetzung mit der Postmoderne. Welcher Philosoph nennt sich – nach all den Debatten – heute noch ernsthaft “postmodern”? Hingegen ist das Denken Apels über die letztbegründeten Regeln im Argumentieren nach wie vor von drängender Aktualität: Mit unserer “Entscheidung zur Vernunft”, also in der reflektierten Bejahung, nicht in performative Widersprüche kommen zu wollen, folgen wir nur der für Vernunftwesen einzig möglichen Entscheidung. Karl-Otto Apels Denken ist aktueller denn je. Hat schon jemand versucht, die Debatten um den sich verkrampfenden, unvernünftigen, aggressiven Populismus in der Denkweise Apels auseinanderzunehmen? In einer vernünftigen Widerlegung natürlich. Was denn sonst? Denn indem Populisten die Öffentlichkeit bedrängen mit ihren Sprüchen, behaupten sie ja selbst, sich argumentativ in die allgemeine, sprachliche Debatte einzuschalten. Also müssen sie bei dieser von ihnen selbst gesetzten Behauptung der Vernunft es auch ertragen, dass andere, Demokraten, Freunde der allgemein gültigen Menschenrechte usw. vernünftig, argumentierend mit ihnen sprechen und ihnen vernünftig widersprechen…

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Geert Wilders, der Populist und der Populismus in anderen Parteien.

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 5. 3. 2017.

Am 6. 3.: Zunächst eine, hoffentlich bis zum 15. 3. bleibende, erfreuliche Nachricht: Die jüngsten Umfragen zeigen, dass Wilders und seine PVV auf Platz zwei in der Wählergunst gerutscht sind. Und es ist zudem sowieso sehr wahrscheinlich, dass die PVV in der künftigen Koalition nicht (mit)regieren wird. Dennoch ist eine Auseinandersetzung mit dem zweifelsfrei etablierten Populismus auch in den Niederlanden wichtig. CM

In seinem neuen Buch „de populistische revolutie“ (2017) bietet Hans Wansink einen knappen Essay zum Populismus in Europa, den USA und auch in Deutschland (S. 91 ff). Wansink arbeitet als Redakteur der Tageszeitung „de Volkskrant“, er ist auch Autor einiger politischer Studien. In dem Buch bietet er auch einige interessante, hierzulande oft eher unbekannte Aspekte des politischen Lebens in den Niederlanden.

Auf Seite 40 erinnert er etwa an eine “Wähleruntersuchung” aus dem Jahr 1998, also noch vor dem Auftreten des Populisten Fortuyn: Damals meinten 60 Prozent der niederländischen Wähler: Ethnische Minderheiten und Allochthone (= Ausländer, so werden sie vornehmer genannt in Holland) hätten sich an die Gebräuche und Gewohnheiten der Niederlande anzupassen. Diese Leute meinten also, die alte Form der Assimilierung sei für Allochthone am besten, also die Aufgabe des Eigenen, um so zu werden wie die Mehrheit im Lande. Assimilierung ist auch aus der deutsch-jüdischen Geschichte bekannt. Bekanntlich hat die Assimilierung der Juden in Deutschland die mörderischen Verbrechen der Nazis gegen die Juden gerade nicht verhindert.

Diesen 60 Prozent der Niederländer also standen 20 Prozent gegenüber, die meinten: Die Allochthonen könnten ihre eigene Kultur in Holland beibehalten. „Dieses Wahl-Verhalten ist stabil geblieben und es gilt auch für die Asylsuchenden“, schreibt Wansink. „Ungefähr die Hälfte der Wähler meint seit 1998, dass „so viele wie möglich sich in den Niederlanden aufhaltende Asylsuchende in ihr eigenes Herkunftsland zurückgebracht werden müssen“. Ungefähr 20 Prozent meinen, dass “die Niederlande gerade mehr Asylsuchende aufnehmen sollten“. Man sieht daraus: Eine gewisse abweisende Haltung gegen Ausländern ist viel größer als die Bereitschaft, PVV und Wilders zu wählen. Abweisung von Fremden reicht viel tiefer und weiter…

Auch zur moralischen Einstellung der Populisten bietet Wansink einige Hinweise, die er im Anschuss an den Politologen Cas Mudde darlegt:

Es geht den Populisten immer um das saubere Volk, die der korrupten Elite gegenübersteht. Politik sollte für Populisten ein Ausdruck des Volks-Willens sein, wobei als „das“ Volk sich die Populisten (autoritär) verstehen. Kompromisse sollte dieses (populistische) Volk nicht eingehen; denn Kompromisse könnten das saubere Volk korrumpieren. Nebenbei: Über den Begriff „sauber“ und „säubern“ sollte man alsbald eigene politologisch-philosophische Studien betreiben, im politischen Zusammenhang verwendet erinnert Säubern natürlich an die Nazi-Sprache, interessant ist und kaum beachtet, dass der konservative Theologen Ratzinger alias Benedikt XVI. permanent vom „Säubern“ in Theologie und Kirche sprach. Populisten behaupten also unentwegt: Wir sind das echte Volk.

Auch Wansink erinnert daran, dass das jetzige Parteiprogramm von Geert Wilders (PVV) noch „extremer ist als das frühere“ (S. 168). Heute soll, nach seinen antidemokratischen Vorstellungen, auch die Religionsfreiheit von einer Million niederländischer Muslime eingeschränkt werden. Wansink schreibt, noch moderat: „Das ist ein rabiater Standpunkt, dadurch wird ein großer Teil der niederländischen Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse gemacht. Das Programm der PVV steht in Spannungen (so milde sagt es Wansink) zum niederländischen Grundgesetz“.

Tatsache ist auch: Die Wähler von Wilders können sich ihren Führer gar nicht als Premierminister vorstellen. Sie „wollen durch Wilders nur ihren Unmut zu Wort bringen, es geht ihnen nicht darum, politische Verantwortung zu übernehmen“ (S. 168)

Unsere Vermutung, die jetzt schon überall im demokratischen Europa zu beobachten ist: Dann entsprechen eben auf etwas moderatere und diplomatischere und etwas vornehmere Art die etablierten regierenden Parteien dem, was Wilders, Le Pen, AFD (Pegida), FPÖ usw. fordern. Das heißt: Die Populisten regieren leider indirekt längst mit, auch wenn sie noch nicht an der Macht sind. Im Verzicht auf den absoluten Respekt vor den Menschenrechten und natürlich auch Flüchtlingsrechten, im Verzicht auf die grundlegenden, oft als christlich beschworenen Grundsätze nähern sich die demokratischen Staaten immer mehr den Überzeugungen der Populisten an. Die Folgen sind: Grenzen und Mauern rings um Europa; Hinnahme des Sterbens von Menschen auf dem Mittelmeer; Verhandlungen mit absolut korrupten Staaten oder ähnlichen Gebilden wie Libyen oder Ägypten; das alles mit dem Ziel: Europa soll so wohlhabend bleiben, wie es ist. Ethisch leitende Begriffe wie „das Leben mit anderen, Fremden, teilen“ und „solidarisch sein“ sind aus dem Wortschatz der Regierenden weithin verschwunden. Und nur noch wenige finden das schlimm. Die Angst vor möglichen Terror lähmt Vernunft und Gewissen der Herrschenden. Insofern ist der Populismus sowohl in den sich populistisch nennenden Parteien und wie der Populismus in den sich nicht populistisch, also demokratisch nennenden Parteien ein philosophisches Thema.

Hans Wansink, de populistische revolutie. 2017, Prometheus Verlag Amsterdam.

 

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin