Fichtes 250. Geburtstag: Ein “Atheist” oder ein moderner Denker des Göttlichen?

Ein „Atheist“ oder ein moderner Denker des Göttlichen?

Hinweise zum 250. Geburtstag von Johann Gottlieb Fichte

Von Christian Modehn

Anlässlich des 250. Geburtstages des Philosophen Johann Gottlieb Fichte ( am 19. Mai 2012) möchte ich auf einige (!) interessante Aspekte seines Denkens – vor allem im religionsphilosophischen Zusammenhang – hinweisen.

-Es wurde vielfach debattiert, ob die „theoretischen“ Arbeiten Fichtes (also etwa seine Wissenschaftslehren) als Hauptthema neben den eher sekundären „populären“ Arbeiten stehen, also etwa der „Bestimmung des Menschen“ oder der „Anweisung zum seligen Leben“. Die Studie von Peter L. Oestereich und Herman Traub „Der ganze Fichte“ (Stuttgart 2006) zeigt, dass auch die „populären“ Arbeiten gleichberechtigt zu sehen sind und für Fichte selbst genauso wichtig waren.

–  Man darf nicht vergessen, dass ein Hauptmotiv für Fichtes eigenes Philosophieren war, die Vermittlung des Denkens an eine breite Allgemeinheit zu leisten. Es ist bekannt, dass Fichte als Vortragender und Professor – etwa in Berlin – durchaus um Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit sehr bemüht war. Rhetorik war eines seiner Hauptinteressen. Selbst fürs Predigen hatte er eine frühe Leidenschaft, Das schließt nicht aus, dass seine „Wissenschaftslehren“  durchaus höchste Konzentration verlangen, also „schwierig“ sind.  In jedem Fall: Philosophie kommt für Fichte aus dem Leben her und führt nach grundlegender Reflexion wieder zum (dann neu gesehenen) menschlichen Leben zurück.

– Diese Philosophie hatte kein anderes Ziel, als die Freiheit des Menschen zu begründen und zu verteidigen und sozusagen Mut zu machen, praktisch frei zu leben in einer autoritär geprägten Welt.

– Für Fichte hießt eine entscheidende Hauptfrage: Wie kann ich philosophisch überzeugend von dem Absoluten reden? Die religionsphilosophische Thematik gehört also entschieden zu Fichtes Denken.  In dem Zusammenhang wird dann gern auf die interessante Schrift „Die Anweisung zum seligen Leben“ (von 1806) verwiesen, sie ist in Berlin erschienen; an der heutigen Humboldt Universität war er 1811 der erste gewählte Rektor! Für alle Berlin – Interessierten: Fichte wohnte (seit 1800) in der Kleinen Präsidentenstraße Ecke Neue Promenade.

„Die Anweisung zum seligen Leben“ von 1806 hat als Voraussetzung die Schrift Fichtes „Appellation an das Publikum“ von 1799. In dieser Schrift muss sich Fichte gegen den Vorwurf verteidigen, er sei Atheist. Diese Debatte hatte damals sehr viel Aufmerksamkeit gefunden und die ganze „intellektuelle Welt“ Deutschlands bewegt. Verständlicherweise, in einer Gesellschaft, in der die kirchliche Orthodoxie auch politisch noch allmächtig war. Man sprach darum von einem „Atheismus – Streit“, ausgelöst durch eine Publikation im „Philosophischen Journal“. Fichte hatte in einem Beitrag  gezeigt- darin von Kant inspiriert -, dass die Ethik der Religion VOR – geordnet ist. „Religion entsteht einzig und allein aus dem Wunsch des guten Herzens, dass das Gute in der Welt die Oberhand über das Böse behalten möge“. Und an anderer Stelle schreibt Fichte: „Es ist nicht Pflicht zu glauben, dass Gott als moralischer Weltregent existiert. Sondern es ist allein die Pflicht zu HANDELN, als ob man es glaube“. Darum ist für Fichte die „moralische Ordnung selbst das Göttliche“. Wer Gott Persönlichkeit und Bewusstsein zuspricht, wird in blasphemischer Weise dafür sorgen, dass Gott zu einem endlichen Gegenstand wird, so Fichte. Diese Debatten sind bis heute aktuell, man denke nur an die Diskussionen rund um die Publikationen des niederländischen Pfarrers (der mit den Remonstranten verbunden ist) Klaas Hendrikse. Fichte jedenfalls verteidigte sich 1799, er wollte angesichts dieser Einsichten nicht als Atheist gelten (was auch sozial  und finanziell damals höchst unerfreulich gewesen wäre). „Fichte hat einen großen Teil derer, die sich in der Öffentlichkeit zu äußern pflegten, zumindest darin auf seine Seite gezogen, dass die Anklage des Atheismus grundlos sei“, so Wilhelm G. Jacobs, in der Rowohlt Monographie „Fichte“.

Diese Position von 1799 hat Fichte dann in seiner Publikation „Die Anweisung zum seligen Leben“ (1806) revidiert. Jetzt hat Fichte offenbar die radikale Subjektivitätsphilosophie seiner früheren Jahre verlassen, in der vom Subjekt aus die ganze Wirklichkeit konstituiert wurde. Nun wird Religion als etwas Objektives gedeutet, das vor aller „Konstitution“ durch das Ich besteht. Religion wird nun als objektiv gegebene Macht erlebt, die den einzelnen wie die Gesellschaft zu bilden vermag. Nun sieht Fichte – durchaus mystisch -, dass es vor allem auf die Liebe ankommt, in der der Mensch  sich mit dem Göttlichen vereinigen kann. In der Liebe werden die Grenzen der Vernunft überschritten. Im Gedanken kann der Mensch dann das Ewige hier auf dieser Welt erreichen und aussprechen. Dann erreicht der Mensch in der das Denken eröffnenden Liebe das „Leben in Gott, das Freisein in Ihm“. Aber dieses Ewige soll im Gedanken „egriffen“ werden!

– Was ist menschliches Leben für Fichte? Es ist geistiges Leben, das sich philosophierend gestaltet, nicht nur in einer Art von philosophischer Kontemplation, sondern im Einsatz für die Freiheit im Staat und in der Gesellschaft.

– Zur Grundtendenz seiner Philosophie schreibt Fichte: “In Absicht der Religionslehre ist der Zweck meiner Philosophie der, dem Menschen weder seinem Verstand noch seinem Herzen irgendeinen Standpunkt übrig zu lassen, als den der reinen Pflicht und des Glaubens an eine übersinnliche Welt“.

Fichte wurde am 19.5. 1762 in Rammenau in der Lausitz geboren, er ist am 29.1.1814 in Berlin gestorben.

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