Das Ende der Ökumene? Kardinal Woelki schlägt zu

Zum Ende der Reformationsdekade ein verstörender Text

Ein Hinweis von Christian Modehn veröffentlicht am 7.Oktober 2017, auch als Einstimmung zum Reformationstag.

Die Monatszeitschrift „Herder – Korrespondenz“ veröffentlicht in ihrer Oktober Ausgabe 2017 einen Beitrag des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki mit dem Titel „Das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern im Reformationsjahr: EHRLICHKEIT in der Ökumene“. Dieser Text – in einer durchaus repräsentativen katholischen Publikation – kann großzügigerweise im Internet kostenfrei herunter geladen werden. Und dann, nach dem Studium, zu ebenso „ehrlichem“ Widerspruch auffordern. Falls man dazu nach all den dogmatischen Debatten über die angebliche rechte Lehre noch die Kraft und die intellektuelle Lust verspürt.

Kardinal Woelki (Köln) zeigt kurz vor Ende der Reformationsdekade 2017 das wahre Gesicht des offiziellen Katholizismus. Alle Hoffnungen auf einen möglichen Sprung nach vorn zugunsten der Einheit der Christen werden katholischerseits in Frage gestellt, wenn nicht vernichtet. Woelki ist in der römischen Kirchenführung insgesamt nicht irgendeiner: Er ist – tatsächlich – Mitglied des “Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen”, abgesehen von Mitgliedschaften in anderen päpstlichen Kommissionen, wie der für Gottesdienste und Sakramente. Diese Kommission leitet der bekanntlich erzreaktionäre Kardinal (und Papst Franziskus – Feind) Robert Sarah aus Guinea. Wenn Woelki also nun vor weiteren Hoffnungen auf Fortschritte in der evangelisch – katholischen Ökumene warnt und diese bisher errungene Ökumene eigentlich nicht mehr will, dann ist es förmlich der Vatikan selbst, der da spricht. Ob dieser unerwartete Querschuss dieses sehr Konservativen (Woelki hat seinen Dr. theol. bekanntlich an der römischen Opus-Dei-Universität erworben) mit Papst Franziskus abgesprochen ist, wird man wohl bei der üblichen Öffentlichkeitsarbeit im Vatikan niemals erfahren.

Was ist die Grundtendenz dieses Beitrags, auf den eigentlich nur bestimmte konservativ – reaktionäre katholische Kreise gewartet haben: Zunächst: Es gibt für Woelki einen Dissens zwischen Katholiken und Protestanten in sozialethischen Fragen, Beispiel Homoehe. Die evangelische Kirche verstehe sich zudem als „Konfession der Freiheit“, und deute dabei Freiheit als Autonomie und Emanzipation. Diese beiden Werte lehnt Woelki ab, für ihn gilt, angeblich darin ein treuer Schüler des ursprünglichen Luther, an erster Stelle der so genannte Gottesgehorsam. Und dieser schwammige Begriff wird selbstverständlich katholisch einzig gültig von den Herren der Kirche, den Bischöfen, interpretiert. Selbstverständlich auch für Woelki die alten konfessionellen Differenzen in der Dogmatik und Kirchenlehre weiter, etwa die von Gott selbst gewollte Vorrangstellung des Klerus gegenüber der Gemeinde oder etwa das Herausstreichen, dass sich diese ganze Schar der Bischöfe und Päpste über all die Jahrhunderte als Apostelnachfolger begreifen. Die anderen, etwa die obersten Leiter Reformierter Gemeinden, haben da ja katholischerseits nichts zu bieten. Ist so viel katholische Arroganz eigentlich heute noch denkbar? Nebenbei: Dass viele katholische Bischöfe und Päpste im Laufe der langen Geschichte de facto Verbrecher waren, wird im allgemeinen ja von Katholiken anerkannt, aber, so lautet die kluge Lösung, es waren die Menschen, die schlecht, also gar nicht so nett wie Petrus und Jacobus, waren. Schlecht war jedoch nicht das Amt, das sie als Bösewichter ausübten…Nur auf dieser Basis ist es möglich, dass der verbrecherische Ordensgründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel, als Verbrecher (so genannte Pädophilie u.a.) von Papst Benedikt XVI. überführt ist, dieser Orden aber weiter besteht, als hätte ein Engel ihn begründet….

Zurück zu Woelki: Es wird von ihm ein neuer Stillstand im Miteinander von Katholiken und Lutheranern eingeläutet. Die Bindung an die alten Dogmen siegt wieder einmal. Die Glaubensformeln des 4. Jahrhunderts (die einige noch sprechen, aber fast keiner mehr versteht) sollen in der autoritären Glaubensinterpretation  Woelkis also weiterhin maßgeblich sein und so die alten konfessionellen Gräber erhalten. Manche der letzten wackeren Mohikaner im ökumenischen Leben werden sagen: „Es ist zum Heulen mit diesen katholischen Bischöfen“. Wie viele Katholiken haben für die Ökumene ihre wertvolle Lebenszeit eingesetzt, nun dieses Desaster. Woelki vertreibt so wahrscheinlich viele Katholiken weiter aus der Kirche. Und freut sich über die kleinen Schar der Aufrechten und Orthodoxen und Unkritischen…

Das Skandalöse ist, dass Bischöfe wie Woelki, die ja auch als Theologen etwa in der Großstadt Köln an der Gegenwart und ihrer Zerrissenheit ein bisschen innerlich teilnehmen, nicht sehen: Dass sich durch den heute lebendigen Geist Gottes, würden weit blickende Theologen sagen, das religiöses Bewusstsein der Menschen grundlegend verändert hat: Menschen sind froh, wenn sie überhaupt noch an Gott/Göttliches als Geheimnis des Lebens glauben können. Jesus wollen sie nicht als eine Person mit zwei Naturen verehren, sondern als erlösendes, menschenfreundliches Vorbild. Gebete verstehen sie bei der berechtigten Zurückweisung des allmächtigen Wundergottes vernünftiger- und geistvoller weise als persönliche Poesie. Und Gemeinde – wie der große Schleiermachen – als Ort des Austauschs und der Feier von religiösen, vor allem menschlichen Fragen. Debatten über das richtige Verständnis der Transsubstantiation oder der apostolischen Sukzession usw. sind den Menschen in Europa (ist es in Zimbabwe oder in Uruguay anders?), mit Verlaub gesagt, völlig schnuppe. Die Menschen haben, wenn sie überhaupt noch religiös und christlich sein wollen, andere Sorgen in dieser zerrissenen Welt. Es geht um den Sinn des Lebens in einer verrückten Welt. Mehr nicht. Wenn da die Herren Erzbischöfe keine Antworten finden, können sie sich ohnehin in ihre Paläste definitiv zurückziehen und weiterhin Texte verfassen oder die immer noch reichlich sprudelnden Kirchensteuermillionen glücklich strahlend nach zählen.

Jedenfalls: Vor den globalen Problemen sind die Ausführungen von Kardinal Woelki geradezu lächerlich und kindisch. Sie sind regressiv. Weil nicht erkannt wird:  So viele Christen, Katholiken, haben genug von dem Ballast, den die Kirchen in ihrer Dogmenfixiertheit verbreiten. Sie nehmen sich zurecht die Freiheit, ihren eigenen Glauben selbst zusammenzustellen. Individuell und frei.

Dass die Menschen diesen Dogmen – Ballast nicht mehr akzeptieren wollen, zeigen die Kirchenaustritte und die leer werdenden Kirchen anlässlich der Sonntagsgottesdienste… Und bei jungen Leuten ist das Ausbleiben des Interesses am Pfarrerberuf, Ordensleben etc. ganz offensichtlich. Die Klöster machen zu. Ende. Die Letzten machen dort tatsächlich schon ständig das Licht aus, weil diese dogmatische fixierte Welt junge Menschen nicht mehr lebensmäßig bewegt und befreit. Warum denn werden in Köln und anderswo immer mehr katholische Gemeinden zusammengelegt? Weil sich kein Kölner mehr findet, der sich in die zölibatäre Lebensform einspannen lässt. Oder manche treue Seelen landen in sektiererischen Gemeinschaften strengster Lehre, wie bei den Neokatechumenalen oder den Legionären Christi. So geben Katholiken die Freiheit auf zu denken und autonom zu leben. Das wird ja von Woelki gewünscht, siehe oben. Autonomie ist sein großes Schreckgespenst, darin folgt er den (anderen) maßgeblichen Opus-Dei-Theologen.

Das heißt: Diese alte dogmatische Kirche ist de facto und geistig theologisch am Ende, das kann jeder sehen. Nur die alten Dogmatiker wie Woelki klammern sich noch an die alten Lehren und wollen diese den Menschen einpauken und dabei auch die Errungenschaften der Ökumene beschädigen: Warum wohl? Weil diese Herren der Kirche in diesem System der Dogmen und Herrschaft eben auch privilegiert gut leben und weiterhin leben wollen. Gut leben im materiellen Sinne verstanden. Aus diesem puren Egozentrismus heraus, als Liebe zur eigenen Herrschaft und Vorrangstellung („besonderes Priestertum“) machen diese Leute die Ökumene kaputt. Darum können sie nicht weit denken, nicht großzügig sein, nicht Wesentliches von historisch Gewachsenen unterscheiden.

All das interessiert uns, offen gesagt, als Religionsphilosophischer Salon Berlin nur am Rande. Wir sind philosophisch nur entsetzt, wenn Kardinal Woelki gleich im 4. Absatz seines Beitrags die Überzeugung verbreitet, es lasse sich aus dem Evangelium eine „verbindliche Ethik ableiten“. Mit Evangelium ist wohl auch der Text des Neuen Testaments gemeint. Denn nun kommt wieder einmal der absolute Wahrheitsanspruch der römischen Kirche nach vorn: „Denn aus katholischer Sicht ist die Wahrheit in Christus offenbar geworden“.

„Die“ Wahrheit also ist in den Sätzen des Buches Neues Testament enthalten. Aus diesem Buch NT soll sich, so Woelki, eine „verbindliche Ethik ableiten“ lassen. Was sagte doch gleich Jesus zur Hospizbewegung und was zu Transplantationen usw? Mit dem Evangelium Buch in der Hand soll ins politische und allgemein ethische Alltagsgeschehen hinein agiert werden. Das sehen die evangelikalen Fundamentalisten in den USA und Europa genauso. Fördert Woelki wie viele seiner bischöflichen Kollegen in den USA eine rechts-fundamentalistische Ökumene von Katholiken und Evangelikalen? Man hat stark den Eindruck.

Aber was würde denn Woelki sagen, dass bekanntermaßen auch Muslime behaupten: Aus dem Koran lässt sich eine verbindliche Ethik für den Staat ableiten? Was, wenn orthodoxe Juden kämpferisch durchsetzen, aus der hebräischen Bibel lasse sich eine verbindliche Ethik (auch gegen die Palästinenser) ableiten? Was, wenn Buddhisten sagen, aus den Weisungen des Erleuchteten lasse sich eine verbindliche Ethik fürs heutige Japan ableiten? Was, wenn Atheisten sagen, aus den Werken Nietzsches lasse sich eine verbindliche Ethik ableiten? Und so weiter? Diese hundert religiösen und weltanschaulichen Ethiken würden die Welt noch weiter zerreißen. Oder denkt Woelki gar, die Wahrheit des Evangeliums sei DIE universale Wahrheit für alle, dieser Wahrheit Roms sollten alle folgen?

Wir fragen uns: Wie theologisch begrenzt darf eigentlich ein katholischer Bischof sein? Hat Woelki, der bekanntlich an der Opus Dei Universität in Rom zum Dr. theol. promoviert wurde, mit einer umstrittenen Fleiß-Arbeit über „Die Pfarrei“, hat also Woelki niemals etwas von den modernen katholischen Universitäts – Theologen Franz Böckle oder Alfons Auer gehört? Diese zeigten schon vor Jahren eindeutig: Die Ethik der Katholiken ist eine Vernunftethik, eine autonome Ethik! Katholische Ethik entstammt nicht unmittelbar dem Evangelium. Bestenfalls kann das Evangelium einzelne ethische Haltungen verstärken, wie die Nächstenliebe, aber dies geschieht nur, nachdem die Vernunft als Kriterium angesetzt wurde.

Aus religiösen Basis- Texten wie der Bibel oder dem Koran lässt sich keine allgemeine, begründete, für alle Menschen gültige Ethik ableiten. Man lese bitte wieder einmal Immanuel Kant!

Insofern ist dieser Woelki Text auch theologisch eine Blamage. Und ein Hinweis darauf, in welchen geistigen Höhen der oberste Klerus in Deutschland sich bewegt. Wenn schon Woelki für ein wortwörtliches Übernehmen der Evangeliums Sprüche eintritt, dann sollte er bestimmte, vom Klerus nie zitierte Worte Jesu auf sich selbst und seine Kollegen anwenden: Jesus sagte den Aposteln, den Jüngern: „Nennt euch nicht Meister“. Und er sagte: „Wer der Größte sein will, sei der Diener aller“. Und vor allem sagte er, so wird überliefert: „Eher gelangt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ins Himmelreich“. Kardinal Woelki erhält als Single vom Staat ein Monatsgehalt von ca. 12.000 Euro monatlich, von allen Vergünstigungen, Dienstwohnung, Dienstwagen etc. abgesehen.

Den Woelki Text werden die noch verbliebenen Christen voller Wut beiseite legen und dann hoffentlich den eigenen, vernünftigen und jesuanischen Weg weiter gehen. Eine Schande bleibt dieser Text am Ende der Reformationsdekade allemal.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin