Gemeinden als Orte der Lebenskunst
Zur Zeitschrift ADREM der Remonstranten
Von Christian Modehn
Die Remonstranten in den Niederlanden, diese freisinnige christliche Kirche, nennt ihre Monatszeitschrift ADREM. Dieser Titel klingt lateinisch: „Zur Sache“, heißt die Übersetzung. Es geht um die „Sache“ spirituellen Lebens im Heute … auf der Basis einer vernünftigen, kritischen, „modernen“ Theologie. Aber der Titel ADREM unterstreicht auch, dass eben REMonstranten selbst zeigen, wie sie in der Gesellschaft, die säkular ist, pluralistisch, der Globalisierung ausgesetzt usw., ihr Leben gestalten.
Das neueste Heft, 26. Jahrgang, erschienen im Juli 2015, ist im besten Sinne ein vielstimmiges Plädoyer für eine Dimension der Lebenskunst: die Einübung der Stille, die Überwindung von Stress und Hektik.
Die Philosophin Joke H. Hermsen plädiert für das „langsame Leben“, die Unterbrechung, die Pause, die Stille. Nur dann können wir das menschliche Maß wieder finden, uns befreien aus den monotonen Rhythmen, die vorgegeben werden von der offenbar allmächtigen „ökonomischen Uhrzeit“, also dem Diktat, nur noch effizient mit der Zeit umzugehen. Lebenszeit wird in dieser „ökonomischen Uhrzeit“ ausschließlich zur Arbeitszeit. Und freie Zeit funktional zur Vorbereitung auf die kommende Arbeitszeit.
Gemeinden, natürlich auch Remonstranten Gemeinden, sind unter den Bedingungen dann eben Orte der Einübung von Stille, auch Orte des Widerstands gegen die „ökonomische Uhrzeit“. Der Pastor der Utrechter Gemeinde Geertekerk, Florus Kruyne, berichtet in ADREM über seine Ausbildung und Praxis in der Achtsamkeits-Meditation, im englischen Sprachraum spricht man auch von „Mindfulness-Training“. Im Herbst wird er wieder „Aufmerksamkeits/Achtsamkeits-Übungen/Meditationen“ anbieten: “Ich sehe dies als eine geistliche Arbeit“, also als ein wichtiges spirituelles Tun eines Pfarrers.
Gemeinde als Ort der Lebenskunst: Dies scheint mir eine treffende „Definition“ von Remonstranten-Gemeinden zu sein. „School of life“ wäre ebenfalls ein passender Titel, aber der wird schon in England von einer philosophischen Bewegung verwendet. In jedem Fall gewinne ich als Leser von ADREM den Eindruck, dass eigentlich die Remonstranten Gemeinden ein neues inhaltliches Profil suchen bzw. schon entwickeln: Orte der Lebenskunst zu sein, in dem sich viele unterschiedliche spirituelle Menschen treffen und in den Austausch treten über das, was sie „am Leben hält“. Das können Erfahrungen mit biblischen Texten sein oder mit anderen literarischen, religiösen, philosophischen und künstlerischen Zeugnissen. Der Theologe und Philosoph, der kürzlich pensionierte Pastor Johan Goud aus Den Haag, zudem Professor in Utrecht, sagt in ADREM: „Die Remonstranten sollten sich bewusst bleiben über das Eigene (Auszeichenende), das sie im Ganzen der religiösen Landschaft haben und einbringen können: Sie sind eine Gemeinschaft mit offenen Augen für die Kultur, und das in Verbindung mit der christlichen Tradition. Dabei lesen sie sorgfältig die verschiedenen Bedeutungen von christlicher Tradition. Und sie schaffen Verbindungen und Beziehungen, wo es andere nicht tun und nicht tun dürfen. Wenn Remonstranten das qualitativ gut tun, können sie sich auch in der Zukunft gut unterscheiden vom Rest (also von den anderen Kirchen CM)“. In dem Interview hat Johan Goud Beispiele genannt für den eigenen Umgang der Remonstranten mit der Tradition: „Ich sprach einmal von dem Gott, der beinahe nicht besteht. Damit will ich zeigen, dass man eigentlich niemals abstrakt über Gott sprechen kann, abgehoben von dem, was wir Menschen hoffen, vermuten, singen, bitten, kurz über Gott zur Sprache bringen. Darum muss man die Bibel auch als Literatur lesen, wo dem =Bestehen= von Gott eine performative Form gegeben wird.“.
Zum Thema passend bietet ADREM im Juli Heft 2015 auch einen ermunternden Beitrag über SLOW FOOD, auch wenn sanfte Kritik an der weltweiten Bewegung des langsamen, besinnlichen und dadurch eher genussfreudigen Essens geübt wird: Gemeinden brauchen ja nicht Mitglieder der von Carlo Petrini gegründeten Bewegung sein: Es wäre vielleicht viel gewonnen, wenn etwa der slow lunch bei Gemeindeveranstaltungen eingeübt wird. Und alle Veranstaltungen etwas vom Geist des „slowly“ hätten: Hat man schon über slowly prayer, slowly preaching, nachgedacht?
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Zu einigen Büchern von Prof. Johan Goud, Prof. an der Universität Utrech (appointed on the chair for Philosophical Theology from the Perspective of Liberal Christianity, since 2009 he is Professor of ‘Theological Aesthetics: Religion in Literature and Art’, at the Utrecht University, so die website der Uni. Klicken Sie bitte hier.
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