Wie könnten Christen Weihnachten noch feiern? Abschied von der “Stillen Nacht”: Weil “alles schläft”!

Ein Kommentar und Diskussions-Beitrag

Von Christian Modehn am 29.Dezember 2018

Einige Freundinnen haben mich gefragt: Was denn der “Hintergrund” für diesen Kommentar sei.

Meine Antwort: Weihnachten ist weltweit so ein zentrales Ereignis, dass man sich auch außerhalb der Weihnachtstage mit dem Ereignis befassen sollte. Und vor allem: Weil die bisher üblichen Weihnachtsfeiern/Gottesdienste der Kirchen nicht den gewünschten “Erfolg” zeigen, und dies seit Jahrhunderten: Weihnachten als viel besprochenes “Fest des Friedens” etwa ist eine reine Farce. Wer Jahre lang an Weihnachtsgottesdiensten teilnahm, der ist, soweit man das empirisch feststellen kann, eben nicht friedlicher geworden: D.h.:Die Welt ist trotz der üblichen vielen Weihnachtsgottesdienste eben nicht besser, “erlöster”, “geretteter” geworden. Man denke nur daran, dass in dem “katholischen Kontinent” Lateinamerika die tötende Gewalt, die Korruption, die Verbrechen gegen die Menschenwürde alltäglich sind und immer mehr zunehmen. Haben diese Verbrecher nicht oft an (Weihnachts-)Messen, die so hübsche Krippe verehrt und an Wallfahrten und Prozessionen teilgenommen? Haben sie nicht die “heilige Jungfrau” so oft singend gepriesen, bevor sie zu Massenvergewaltigungen sich entschieden haben? Kann eine Kirche so viele “spirituelle Erfolglosigkeit” auf Dauer ertragen? Ist das nicht alles für die Kirche furchtbar blamabel? Warum sollte man angesichts dieses spirituellen wie politischen Desasters nicht fragen: Dann sollen die Christen und Kirchen z.B. endlich beginnen, radikal anders Weihnachten zu feiern. In unserem religionsphilosophischen Salon am 14. Dezember 2018 hatten wir uns auch schon auf dieses Thema eingelassen. Zu wenig Beachtung findet auch in diesem Text leider die totale Ökonomisierung des Weihnachtsfestes. Weihnachten ist eben total Weihnachts-MARKT geworden. Und die Kirchen machen diesen Trubel und Konsumrausch mit.

Es ist naturgemäß verwegen, die Kirchen in Europa, auch in Deutschland, aufzufordern: Weihnachten in der bisherigen Form nicht mehr zu feiern. Das wäre ein dringendes Thema für die nächsten 12 Monate in 2019.

Denn, so sagen die zahllosen kirchlichen Weihnachtsfreunde: Die Gottesdienste sind doch gut besucht, wenn nicht überfüllt. Die Leute singen halt so furchtbar gern „Stille Nacht“ und „Zu Bethlehem geboren“ in den Kirchen bei Kerzenschein usw. Die Kindern staunen dann auch über die (meist kitschigen) Krippen. Einige gute Summen an Spenden werden gesammelt, für „Brot für die Welt“ und „Adveniat“. Wobei niemand wagt, diese ca. 70 Millionen Spenden in ein Verhältnis zu setzen zu den Milliarden Ausgaben zu Weihnachten für Geschenke. (Von den sinnlos verschleuderten, die Umwelt schädigenden Millionen fürs Herumballern zu Silvester ganz zu schweigen). Hinzu kommt: Die Predigten der Bischöfe und Pfarrer zu Weihnachten werden auch nicht kritisch – theologisch untersucht auf einen nachvollziehbaren Inhalt hin für die heutigen, weithin säkularisierten Weihnachtsgottesdienst-Besucher. Viele Predigten sind nur eine Wiederholung der Weihnachtsmythen der Evangelien. Und wenn es politisch wird, dann immer staatstragend moderat: Dass zu der Zeit, wo „Stille Nacht“ gesungen wird, viele Flüchtlinge in der stillen Nacht des Mittelmeeres herumirren auf ihren Kähnen, wird kaum gesagt, genauso wenig, dass so viele Menschen hierzulande eben keinen Gänsebraten verzehrten, weil die Ungerechtigkeit, d.h. die Armut, so groß ist. Nur Tierschützer können sich über diesen aufgezwungenen Gänsebraten- Verzicht freuen.

Wenn Weihnachtspredigten einen Hauch von Politik, und das heißt Politik-Kritik haben, dann sind sie allgemein, unverbindlich, in den Aussagen eben nicht „hart“ formuliert. Dass Geldspenden nur eine äußerst hilflose Art der Solidarität mit den arm gemachten Menschen in Afrika usw. ist, wagt kein Prediger zu sagen: Er müsste nämlich von einem Umbau unseres kapitalistischen Wirtschaftssystem sprechen. Wer will das schon hören?

Die Menschen verlassen die Gottesdienste der überbeschäftigten Weihnachtspastoren in dem schon von der Großmutter überlieferten kindlichen Wissen: „Christus ist erschienen, uns zu versühnen“, wie es im Lied altmodisch heißt. Oder: „Der Erlöser, der Retter, ist da. Alleluja“. Aber keiner weiß, was das bedeutet: Der Erlöser ist da? Wie bitte? Hier bei uns, in Afrika, bei Mister Trump und Putin und den übrigen so furchtbaren inhumanen Politikern wie in Syrien, Brasilien oder auf den Philippinen. Weihnachten, so der Gesamteindruck, bestätigt nur unverstandenes Geraune: „Der Erlöser ist da“, „Maria geht durch einen Dornwald“, „Tochter Zion freue dich…“ Und so weiter.

Weihnachten ist das Fest der Christen, das einerseits viel populäre Beliebtheit hat und andererseits in seinem Inhalt kaum verstanden wird.

Es ist populär beliebt, weil es mit dem Kaufrausch verbunden ist. Darum wird es auch in Japan gefeiert: Dort sagt man sich: Endlich irgend so ein europäisches Fest, das uns mit bestem Gewissen maßlos konsumieren lässt.

Aber: Der Inhalt wird auch hier in einem einst kirchlichen Europa nicht verstanden: Und der wesentliche Inhalt lässt sich in drei Worten sagen: „Weihnachten ist das Fest der „Vergöttlichung der Menschen“. Man denke an den Mystiker Angelus Silesius: „Wäre Jesus Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest dann verloren“. Weihnachten also heißt: Alle Menschen sind absolut wertvoll, das Ewige wohnt in ihnen; alle Menschen, aber auch alle, haben deswegen ein göttliches Anrecht, umfassend – menschlich zu leben. Weihnachten ist also ganz modern, sehr säkulär und nachvollziehbar für alle Vernünftigen gesagt: Das Fest der Menschenrechte.

Natürlich mag es in dieser zerrissenen Welt für einige hübsch und beruhigend sein, zu Weihnachten in infantile Phasen zurück zu gleiten, Kindheitserinnerungen zu pflegen, „vom Himmel hoch“ zu singen, zu Tränen gerührt zu sein über die sympathischen Heiligen Drei Könige etc. Aber alles das hat mit Weihnachten als dem göttlichen Fest der Menschenrechte nichts zu tun. Wobei Menschenrechte als ideale, aber bindende Forderung verstanden wird, viele verbrecherische Politiker, die Waffenhändler, die “Reformer” der neoliberalen Wirtschaft usw. berufen sich schamlos auf die Menschenrechte, das ist leider Realität, spricht aber nicht gegen die absolute Geltung der Menschenrechte.

Fordern wir also –aussichtslos, aber deutlich – eine Unterbrechung kirchlicher Weihnachtsgottesdienste der alten, „ewig“ wiederholten Art? Ja! Eindeutig!

Warum also nicht zu Weihnachten Alternativen pflegen: die Kirchen öffnen, dort nachvollziehbare Dialoge führen mit Menschen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn sind, vernünftig von Jesus von Nazareth sprechen, von seiner Familie, von seinen Geschwistern, seiner späteren Rebellion; dann etwas Musik hören, still sitzen, Kunst betrachten, miteinander Kleinigkeiten essen, Wein trinken, einander kennenlernen, Freundschaften bei solch einem Weihnachtsfest in den Kirchen schließen, Verabredungen treffen, also endlich mal in einer Kirche lebendig werden…

Mal sehen, wie dann die alten Weihnachtsfreunde reagieren, wie sie an den Kirchentüren klopfen und bitten: Erklärt uns doch endlich mal, was Weihnachten wirklich ist. Was die Geburt dieses armen Propheten Jesus von Nazareth eigentlich bedeutet? Gibt es für uns Erlösung, Heil, Rettung? Wenn ja: Wo und wie? Und die Antwort heißt: Erlösung gibt es nur, wenn wir den Vorschlägen und Vorschriften der Menschenrechte praktisch folgen. Und nur das ist der wahre Gottesdienst (im Sinne Jesu). Und dann kann man noch manchmal, aber sehr leise, ein bisschen schamhaft, „Stille Nacht“ singen, dann, wenn die Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet sind und die vielen tausend Menschen im Jemen nicht mehr krepieren und die Milliardäre weltweit endlich angemessene, also gerechte Steuern zahlen müssen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Philosophie ist kein Beruf, keine Disziplin, sondern ein schöpferischer Akt“

Den georgischen Philosophen Merab Mamardaschwili entdecken:

Ein Hinweis von Christian Modehn auf das Buch „Die Metaphysik Antonin Artauds“

Das Erstaunen ist in Deutschland sicher noch groß: Es gab einmal im Sowjet-Imperium einen ziemlich frei denkenden, eigenständigen Philosophen. Sein Überleben dort war nicht einfach, er nutzte aber die geringen Ausweichmöglichkeiten der Freiheit, er studierte u.a. französische Autoren. Seine Wirkung auf die damals Studierenden war wohl groß: Auch Michail Ryklin zählt zu den Philosophen, die von ihm beeinflusst sind: Von dem aus Georgien stammenden Philosophen Merab Mamardaschwili (1930-1990). Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2018 habe ich schon einige Hinweise zum Denken Mamardaschwilis veröffentlicht.

Nun liegen (endlich) zwei kleinere Essays vor, es sind Vortrags – Mitschriften von Studenten: Denn Mamardaschwili bevorzugte als Philosoph die freie Rede. Und das ist auch in den Essays deutlich zu spüren, es ist der freie Denkstil, der sich da äußert. Das macht die Lektüre nicht immer einfach. Aber die Breite seiner öffentlichen Auseinandersetzungen etwa mit Artaud, Proust, Kafka, aber auch Descartes und Kant ist erstaunlich.

Vielleicht sollte man zuerst das Nachwort von Zaal Andronikashvili lesen, dort wird auf Mamardaschwilis Kritik an der kommunistischen Gewaltherrschaft hingewiesen, er nannte das Regime eine „Hölle“ (S. 47), ein Urteil, das vielen „Links-Intellektuellen“ im Westen gar nicht gefiel (S. 94). Mamardaschwili hat sich als Philosoph der philosophisch reflektierten, kritischen und „klassischen“ Metaphysik verpflichtet gewusst. Was ja äußerst schwer war in einem Sowjetsystem, das seine eigene primitiv- materialistische „Metaphysik“ als Staatsideologie durchsetzte. Mamardaschwili verstand Philosophie nicht als ausgegrenzten Beruf einiger weniger Spezialisten an der Universität.Philosophie war für ihn Grundvollzug des menschlichen, d.h. personalen, kritisch sich selbst reflektierenden Lebens (vgl. S. 97 ff).

Der Essay bzw. abgedruckte Vortrag erfordert große Konzentration. Und man wünscht sich, dass nachvollziehbarere Texte des georgischen Philosophen bald auf Deutsch zugänglich werden. Die Art des freien Denkens und des freien Vortrags macht neugierig. Vielleicht ließe sich eine Übersetzung des auf Französisch erschienenen Interviews „La pensée empechée“ (Paris 1991) ermöglichen. Zu einer Weitung der hiesigen philosophischen Perspektiven kann dieser, auch gegenüber Georgien, kritische Denker sicher beitragen.

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Merab Mamardaschwili, „Die Metaphysik Antonin Artauds“ (1988), mit einem weiteren Essay „Wien vor der Jahrhundertwende“ (1990) und einem Nachwort von Zaal Andronikashvili. Aus dem Russischen übersetzt von Roman Widder und Maria Rajer.   Matthes und Seitz Verlag Berlin, 2018, 110 Seiten, 16 €.

Religions-philosophischer Salon Berlin: Ein Rückblick.

Ein Jahresrückblick: 

Was haben wir im Jahr 2018 unternommen? Die Salon-Gespräche fanden 2018 in der Galerie Fantom, Hektorstr. 9 statt. Für die Gastfreundschaft besten Dank. Ich habe etliche mails erhalten von den (insgesamt 480) Abonnenten meines newsletters, die unsere Initiative beachtlich finden und leider nicht teilnehmen können: Sie wohnen zu weit entfernt von Berlin… Weitere Informationen, auch über die Notwendigkeit weiterer kleiner philosophisch-religionswissenschaftlich und auch (liberal)-theologischer Salons finden Sie auf meiner website. Auf die Salonabende wird auch auf meiner webiste www.remonstranten-berlin.de hingewiesen. Zu allen Veranstaltungen stehen kurze  inspirierende Hinweise und Einführungen von Christian Modehn auf der website bereit. Alle Veranstaltungen wurden gemeinsam mit Hartmut Wiebus geplant und gestaltet.

Eine Übersicht: Zusammengestellt von Christian Modehn am 22.12. 2018:

Am 28.12.2018 eine kleine (private) philosophisch-poetische “Weihnachtsfeier” mit einigen TeilnehmerInnen des Salons.

Am 14. 12. 2018: Eine kleine Philosophie des (Weihnachts-) Festes: Mit einem Hinweis auf einen Weihnachtstext aus dem Philipperbrief des Apostels Paulus: Gott unterbricht sich selbst (Kenosis). Zugleich einige Hinweise auf Denken des Philosophen Gianni Vattimo. Es waren 12 TeilnehmerInnen dabei.

Am 23. 11. 2018: „Tod-Sterben-Abschied“. Ein Salonabend mit Prof. Johan Goud, Pastor der Remonstrantenkirche, Den Haag. Mit 23 TeilnehmerInnen.

Am 18.10.2018: Gespräche (und gemeinsames Speisen) im algerischen Bistro „Chez Zola“ in Berlin, Gespräche über Algerien, islamische Philosophie, interreligiösen Dialog. Mit 12 TeilnehmerInnen.

Am 28. 9. 2018: „Monotheismus und Gewalt. Hinweise zu Jan Assmann“ (14 TeilnehmerInnen)

Am 24. 8. 2018: „Die Weisheit der Bibel und die philosophische Weisheit“ (14 TeilnehmerInnen)

Am 10.8. 2018: Sommerausflug des Salons nach Erkner (Gerhart Hauptmann Museum) und Friedrichshagen (Friedrichshagener Dichterkreis). Mit 10 TeilnehmerInnen.

Am 20. 7. 2018: „Jürgen Habermas und die Religion“ (18 TeilnehmerInnen)

Am  22. 6. 2018: „Der alltägliche Rassismus“  (13 TeilnehmerInnen)

Am 5. 2018: „Warum wir Europa fördern“. Zus. mit Jungen Remonstranten aus Holland (20 TeilnehmerInnen)

Am 23.3.2018 sprachen wir (mit 17 TeilnehmerInnen) über „Was gibt uns Halt im Leben?“

Am 23.2.2018 sprachen wir (mit 19 TeilnehmerInnen) über „Gibt es Fortschritt in meinem Leben“?

Am 26.1.2018 (mit 21 TeilnehmerInnen) sprachen wir mit Prof. Wolfgang Ullrich über das Thema „Wahre Meisterwerte“. So auch der Buchtitel im Wagenbach – Verlag.

2017:

Am 15. Dezember 2017 (mit 15 TeilnehmerInnen) sprachen wir über das Thema: “Eine kleine Philosophie der Sehnsucht”.

Am 23.11.2017 (mit 19 TeilnehmerInnen) sprachen wir über das Thema: „Vanitas, die Vergeblichkeit von allem?“

Am 25. 10. 2017 (mit 8 TeilnehmerInnen) sprachen wir – angesichts des Reformationsjubiläums – über das Thema : “An welchen Gott können wir und wollen wir heute (noch) glauben?“

Am 15. September 2017 (mit 17 TeilnehmerInnen) sprachen wir über das Thema: Was tun? Über den MUT, diese schwierige Tugend in düsteren politischen Zeiten!”

Am 4. August 2017 machten wir mit 10 TeilnehmerInnen den Sommerausflug, diesmal nach Frohnau, u.a. mit Gesprächen mit Pfarrerin Gräb, dem Künstler Moegelin und einer Begegnung im Buddhistischen Haus…

Am 14. Juli 2017, sprachen wir mit 19 TeilnehmerInnen – anlässlich des 125. Geburtstages des Philosophen Walter Benjamin (am 15.Juli) vor allem über dessen „Geschichtsphilosophische Thesen“.

Am 26. Mai 2017 sprachen wir mit 15 TeilnehmerInnen über das Thema „Ist Religion Opium? Wann ist Religion kein Opium?“ (Anlässlich des Geburtstages von Karl Marx).

Am 21. April 2017 sprachen wir mit 17 TeilnehmerInnen über das Thema: “Postfaktische Untaten – Ein Salonabend über das Lügen und die Suche nach Wahrheit”.

Am 31.März 2017 sprachen wir mit 17 TeilnehmerInnen über das Thema: “Glauben und Wissen. Getrennt und doch verbunden”.

Am 24. Februar 2017 sprachen wir mit 14 TeilnehmerInnen über das Thema: „Bei Verstand bleiben. Philosophie als Lebenshilfe in Zeiten politischer Verwirrung“.

Am 29. Januar 2017 sprachen wir mit 22 TeilnehmerInnen über das Thema: “Die Heimat des Weltbürgers. Ein Versuch, dem Wahn des Nationalismus und Dogmatismus zu widerstehen“.

2016:

Ende Dezember 2016 machten wir wieder eine kl. philosophische Weihnachtsfeier.

Am 16. Dezember 2016 sprachen wir mit 22 TeilnehmerInnen über das Thema: „Was ist uns heute (noch) HEILIG?“

Am 18. November 2016 sprachen wir mir 20 TeilnehmerInnen über die aktuelle Bedeutung des Philosophen LEIBNIZ, anlässlich seines 300. Todestages.

Am 26. Oktober 2016 sprachen wir mir 20 TeilnehmerInnen über das Thema „Der Mensch ist böse? Und von Gott geschaffen?“ (Zur so gen. „Erbsünde“)

Am 23. September 2016 sprachen wir mir 13 TeilnehmerInnen über das Buch des Philosophen Michel Serres: „Erfindet euch neu“. Mit einem Beitrag von Hans Blersch.

Am 26. August 2016 machten wir wieder unseren Sommerausflug, diesmal nach Karlshorst mit dem dortigen Pfarrer Edgar Dusdal.

Am 15.Juli 2016 sprachen wir mit 19 TeilnehmerInnen – anlässlich der großen Ausstellung „El siglo de Oro“ (Spanien im 17. Jahrhundert und die spanischen Künstler) über die religiösen und philosophischen Hintergründe des „Goldenen Zeitalters“.

Am 24. Juni 2016 sprachen wir mit 21 TeilnehmerInnen in der Weinhandlung „Sinnesfreude“ anlässlich des vorgegebenen Themas der Neuköllner Kulturtage über das Thema „Sattsein ….Übersättigtsein …..Hungern“.

Am 20. Mai 2016 sprachen wir mit 23 TeilnehmerInnen über den Philosophen Emil Cioran, mit dem Berliner Philosophen Dr. Jürgen Große.

Am 29. April 2016 sprachen wir mit 18 TeilnehmerInnen über das Thema “Alle Menschen sind Grenzgänger”.

Am 18. März 2016 gab es ein sehr großes Interesse mit 25 TeilnehmerInnen zum Thema “Für eine Philosophie der Auferstehung”.

Am 26. Februar 2016 sprachen wir mit 22 TeilnehmerInnen über das Thema “Privateigentum und Gemeinwohl”. Mit einem Beitrag von Elisabeth Hoffmann..

Am 22. Januar 2016 sprachen wir mir 18 TeilneherInnen über das Thema: “Was ist wichtiger: Freiheit oder Sicherheit?

Zu 2015 nur diese wenigen Hinweise:

Wieder fand eine kl. eher private philos. Weihnachtsfeier statt.

Am 11. Dezember 2015 sprachen wir mit 17 TeilnehmerInnen (in der Weinhandlung „Sinnesfreude“, Neukölln, über „Der schöne Schein, Wahrhaftigkeit und Authentizität“.

Am 27. November 2015 sprachen wir mit 26 TeilnehmerInnen mit dem remonstrantischen Theologen Prof. Johan Goud aus Den Haag über das Thema: „Theologie und Autobiographie“. 

….. die Liste ab Oktober 2015 wird demnächst fortgesetzt und auf der website veröffentlicht….

Der Religionsphilosophische Salon wurde 2007 gegründet und hat seit der Zeit meistens einmal im Monat eine Veranstaltung angeboten. Der Religionsphilosophische Salon wird seit der Zeit von Christian Modehn geleitet, sozusagen “ehrenamtlich” und ohne jede finanzielle Unterstützung von irgendeiner Seite.

Weihnachten – das Fest der (göttlichen) Unterbrechung und der Menschenrechte.

Hinweise von Christian Modehn zum religionsphilosophischen Salon am 14.12.2018

Zuerst einige Hinweise zu einer kleinen Philosophie des Festes als einer not-wendigen Unterbrechung im Leben. Dann, damit zusammenhängend und auf Weihnachten bezogen, einige Hinweise zu der Überzeugung: Gott selbst unterbricht sich. Gott wird Mensch. Zu Weihnachten gedenken/feiern Christen also den menschlichen Gott, d.h. Gott als Menschen und den Menschen, jeden Menschen, ja auch dieses in gewisser Weise, als göttlich. D.h. in säkularer Sprache: Absolut wertvoll. Von daher ist Weihnachten das Fest der universalen Menschenrechte. Selbstverständlich der ideologisch, kapitalistisch usw. NICHT missbrauchten Menschenrechte.

Ein Fest hat wesentlich den Charakter der Unterbrechung.

Wir können ein (Weihnachts-)Fest feiern, wenn wir noch in der Lage sind, ein Fest außerhalb der üblichen Gewohnheiten und Strukturen des Alltags zu gestalten und eben nicht bloß – zwangsweise, traditionsgemäß etc. – zu „begehen“. Feste als Routine werden ohne innere Bewegtheit, ohne spirituelles Berührtsein, ohne „Resonanz“ (Hartmut Rosa) bloß “abgefeiert”. Mit Gästen, die sich langweilen. Diese Feste werden ohne Vorbereitung, ohne Reflexion zuvor, ohne eine(n) „Zeremonienmeister(in)“, ohne eine kleine „Liturgie“, bloß „abgewickelt“. Ein Fest hat viel mit lebendigem Ritus, mit Hinhören und Nahesein, Überraschung, Spontaneität, mit Gemeinschaft ohne dauernde „Bla Bla“-Gespräche, zu tun, also auch mit Ausgelassensein, Tanz, Musik, Ekstase, Reflexion, Dialog und mit gemeinsam ausgehaltenen, erfreulichen Schweigen. Warum wird bei Festen nicht auch einmal gemeinsam geschwiegen? Mir scheint: Die meisten Europäer können keine Feste (mehr) in dieser Weise feiern. Weil der Alltag mit seinen Strukturen von Zeit (-„Managment“), Streß und Frust allbestimmend ist.

Für ein Fest brauchen alle Beteiligten Zeit UND inneres Offensein. Und Zeit haben heute immer weniger Menschen. Aber nur, wenn wir dieses Wichtige (Zeit) im Leben neu gestalten, wenn wir also im Fest aus der einseitig nach vorn laufenden Zeitlinie heraustreten können und wollen, wenn also eine „lange Gegenwart“, als dauernder und gewünschter langer Augenblick entsteht, dann ist ein Fest ein Ereignis des Miteinanders.

Wir können oft Feste nicht mehr feiern, weil wir sie nicht als Unterbrechung, sondern als lediglich als eine uns vorgesetzte, eine aufgesetzte kurze, zeitlich determinierte Pause verstehen. Zum Beispiel: Auch christliche Gottesdienste, die eigentlich immer ein Fest sein sollten, sind heute nur “Pausen”: Bei den Gottesdiensten schauen so viele schon auf die Uhr. Christliche Gottesdienste als gemeinsames Mahl und Miteinander des Sich-Austauschens sind weithin verschwunden. Sie wurden zur Routine. Und haben mäßigen Zuspruch: Wer will schon in seiner freien Zeit auch noch an rituellem Leerlauf teilnehmen? Die Gottesdienste in Taizé selbst z.B. werden wohl von vielen als Fest der Gemeinschaft erlebt, ohne Zeitdruck, ohne Floskeln etc. ein Ort, an dem die petsönliche Poesie, Gebet genannt, gelingen kann. Leider ersetzen diese Taizé-Feierstunden nicht die üblichen langweiligen Messen und Gottesdienste um 10 Uhr morgens…

Aus einer Pause kehrt man nur ein bisschen entspannt und etwas innerlich bewegt wieder in den alten Lebens/Arbeitsrhythmus zurück. Eine Pause ist noch keine Unterbrechung, denn diese zeigt neue Lebensmöglichkeiten. Unsere auf Fortschritt und Wachstum getrimmte Zivilisation versteht Pausen, auch den Kurz-Urlaub, nur als funktionale Formen der Rekreation, um dann in den vorgegebenen Alltags- und Arbeitsprozess „mit bester Gesundheit“ zurückzukehren. Die „Auszeit“ wird heute oft propagiert, sie steht wahrscheinlich aber auch noch im Dienst einer zu stärkenden Arbeitskraft, als Rückkehr ins alte Leben und der Wiederholung der üblichen Rhythmen und Arbeiten.

Ein Fest hingegen lässt sich nicht funktionalisieren! Es ist in sich sinnvoll und zeigt überraschende Wirkungen möglicherweise. Ein Fest dient nicht der Steigerung der Arbeitsfähigkeit. Es dient der Kommuniktionfähigkeit und Lebenslust.

Eine Unterbrechung hingegen ist also eine längere zeitliche Einheit, in der man Abstand nimmt vom üblichen Rhythmus zuvor; die Unterbrechung selbst wird als eine eigene Lebenswirklichkeit erfahren und reflektiert. Eine Unterbrechung kann eine von außen erzwungene Unterbrechung sein, etwa eine Krankheit; sie kann aber auch und dies ist wichtig, ein frei gewählter Abschied, wenigstens für kürzere Zeit, sein, Abschied vom „früheren Leben“ und früherem, für selbstverständlich gehaltenen Denken mit seinen je eigenen Werten.

Die Unterbrechung selbst ist eine eigene Zeit:

Man lässt die alte Alltagswelt hinter sich, man verabschiedet sich förmlich vom Alltag, tritt in einen freien Zeit-Raum, der voller Überraschungen sein kann und neuen Einsichten, und weiß, aus diesem freien Zeitraum, genannt Unterbrechung, tritt man ins Alltags-Leben verändert heraus: Man kehrt ja nach der Unterbrechung wieder ins Alltägliche zurück, aber in ein nun zu veränderndes Alltägliches: Denn du hast dein Leben und Denken (ein bisschen, vielleicht tiefer gehend) verändert mitten in der Unterbrechung. Du erlebst dich anders, denkst auch anders, du hast andere Werte und Ziele.

Weihnachten ist als Fest eine Unterbrechung.

Es ist ein Fest, über das christlich gebildete Menschen wissen: Gott unterbricht sich selbst. Das Fest als Unterbrechung findet sozusagen zu Weihnachten eine Art „göttliche“, absolute Bestätigung.

Die Kirchen haben auch zugelassen, dass Weihnachten wohl weltweit zum Konsumrausch wurde. Und mit Kitsch und Lametta zu einem meist banalen Weihnachtsmarkt-Unternehmen entartete. Weihnachten und Markt gehören ganz eng zusammen. Die Kirchen lassen das zu. Die Kirchen haben keine eigene Weihnachtskultur entwickelt. Sind die überfüllten, oft hektisch „abgesungenen“ Weihnachtsgottesdienste Ausdruck einer Weihnachtskultur? Ich denke: Sie sind es eher nicht.

Ich schlage als Beleg dafür, dass Gott sich selbst unterbricht, um es in einer dem Mythos entlehnten Sprache zu sagen, eine Lektüre eines Textes aus dem Neuen Testament vor. Im Philipperbrief des Apostels Paulus wird gezeigt: Die Metaphysik des herrschenden allmächtigen Gottes in einem fernen Himmel wird überwunden. Es gibt einen Gott, der sich verändert, der auf seine Macht verzichtet.

Nur als Hintergrund angedeutet: Das Neue Testament ist ein Buch voller unterschiedlicher Vorschläge zur Lebensgestaltung. Über die man selbstverständlich sich kritisch verständigen soll. Das Neue Testament ist ein Buch der Lebensweisheit, das sollte man endlich wahrnehmen, formuliert von Menschen, die ganz unter dem Eindruck einer ihnen einmalig erscheinenden Person, Jesus von Nazareth, lebten. Und die dieses innere Bewegtsein von dieser Person anderen weitergeben wollten. Dabei haben diese Autoren des Neuen Testaments auch viel Unsinn – in heutiger Sicht – gesagt, etwa zum Thema Frauen in der Kirche oder zur Homosexualität. Nicht alles ist weise im Neuen Testament, aber doch vieles. Wenn man es richtig übersetzt, auch säkular übersetzt.

Und so ist auch der jetzt folgende Text aus dem Philipperbrief des Apostels Paulus ein Vorschlag zu einem Verständnis der eigenen Existenz und der Welt: Auch ein Bibeltext hat niemals nur eine einmal autoritär festgelegte Sinnrichtung und Interpretationsmöglichkeit. Ein Text schenkt sich dem Leser zu einem je neuen und je eigenen Interpretieren. Weil der Text selbst in seiner Sprache schon eine Pluralität des Verstehens enthält. Der Philosoph Emmanel Lévinas sagt: „Biblische Texte werden gewissermaßen vom Leser fortgeschrieben. Derjenige, der geschrieben hat, hat mehr gesagt, als er selbst denken konnte. Als ob es ein Denken gäbe, das mehr zu denken vermag, als es denkt und sagt“ (In: „Aussichten des Denkens“, S. 43).

Noch einmal zum Philipperbrief, 2.Kapitel: Gott selbst, lehrt Paulus, setzt eine Unterbrechung. Und zwar radikal: Er unterbricht sich selbst. Er will für sich selbst, für sein göttliches Leben möchte man fast sagen, eine Unterbrechung, d.h: Gott selbst will Neues, Welt und Menschen Veränderndes. In dieser Sicht ist die Vorstellung nicht mehr möglich, Gott sei ewig derselbe.

Wem das Wort Gott zu abgenutzt oder zu diffus erscheinen mag: Ich könnte auch sagen: Der grundlegende und alles tragende letztlich gute Sinn zeigt sich je neu; in einer Unterbrechung offenbart sich neuer Sinn…

Ich verwende aber den Begriff Gott, weil er ein Symbol ist für eine Wirklichkeit, die in der Tradition immer wieder verwendet wurde und wird. Wir haben vielleicht kein anderes Wort zur Verfügung?

Der Theologe Paulus dachte anfangs sehr systematisch: Gott im Himmel, der Mensch auf Erden. Dieser Vorstellung des Apostels Paulus folgend schreibt Paulus im Philipperbrief das Provozierende: Der Logos wird Mensch. Das bedeutet nichts anderes: Gott selbst wird ganz menschlich. Dies ist die zentrale These. Wenn man das weltlich interpretieren will: Der grundlegende Sinn zeigt sich neu mitten in der Welt.

Der Theologe Paulus geht davon aus, dass es Gott gibt; dass er „im Himmel“ lebt; dass er als lebendiger Gott „nicht allein im Himmel ist“, sondern einen Logos, eine göttliche Weisheit, bei sich hat. Dies ist die Rede von der Prä-Existenz des göttlichen Logos in himmlischen Sphären. Das Prä, das Zuvor, bezieht sich auf seine dann Existenz eben in Himmelshöhen. Aus der göttlichen Himmelswelt tritt der Logos heraus. Wird Mensch, wird Welt. Dies ist eine Revolution der Gottes-Bilder.

Zum Kapitel 2 des Philipperbriefes des Apostels Paulus: Philippi ist eine Stadt in der Nähe von Kavala in heutigen Nordgriechenland. Diese erste christliche Gemeinde in Europa wurde von Paulus im Jahr 49 gegründet. Der kurze Text im 2. Kapitel enthält zuerst die Aufforderung an die Gemeinde, sich der Existenz-Form, also der Gesinnung Jesu von Nazareth, anzuschließen. Dies ist eine übliche Einladung an die Gemeinde, die Lebensphilosophie des Christlichen zu leben und zu vertiefen.

Noch einmal: Christlicher Glaube ist eine Lebensphilosophie, und diese gibt es nur im Plural. Und als (politische) Praxis!

Der Brief des Theologen Paulus selbst wurde etwa im Jahr 54 geschrieben, also etwa 20 Jahre nach dem Tode Jesu von Nazareth.   (https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/paulinische-briefe/philipper/

In der Übersetzung der Züricher Bibel heißt es: (http://www.neutestamentliches-repetitorium.de/inhalt/philipper/Paragraph8.pdf)

DER TEXT: Vers 5:  Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht:

6 Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein,

7 sondern gab es preis und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven, wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch.

8 Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

JETZT folgt die theologische Aufwertung dieses Lebens im „Abstieg“zu einem weltlichen Leben Gottes:

9 Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist,

10 damit im Namen Jesu sich beuge jedes Knie, all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

11 und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Zur Interpretation:

Paulus denkt hier an die göttliche Wirklichkeit im Himmel. Diese göttliche Wirklichkeit wurde schon in der jüdischen Weisheitsliteratur so gedacht, als wäre die Weisheit als göttliche Weisheit schon bei der Schöpfung der Welt durch Gott „dabei“.

Diese göttliche Weisheit bei/in Gott wird in der frühen christlichen Theologie als Person aufgefasst, als Christus-Gestalt. Logos bedeutet auch Vernunft und Gespräch. Wenn der Logos in die Welt kommt, sucht er – als Jesus von Nazareth/Christus – den Dialog.

Und jetzt kommt das Entscheidende: Und das führt uns zu Weihnachten: Dieser Gott als Logos tritt aus dem Himmel des Göttlichen heraus und wird ganz Mensch, eben in der uns bekannten (siehe die Mythen im Matthäus/Lukas Evangelium) Krippe im Stall zu Bethlehem. Der göttliche Logos als göttliche Weisheit wurde Mensch, und dieser Jesus von Nazareth folgte immer seinem Gewissen („hörte auf die Stimme Gottes, den Jesus Vater nannte“) und Jesus endete als Freund der Menschen, der Ausgegrenzten zumal, als radikaler Kritiker der Gesellschaft und des herrschenden Gottesbildes am Kreuz. Jesus wusste um das Risiko seiner theologisch-politische Radikalität und war zum Äußersten bereit. “Ihm liegt daran, eine neue Ordnung, eine neue „Herrschaft“ der Liebe zu verkünden, dieses Projekt ist konträr zur bestehenden Gesellschaft. „Für Jesus hat Menschlichkeit Priorität vor einer akribischen Gesetzeserfüllung“ (Jos Rosenthal, Der Prozess Jesu, 2003 S. 24.)

Und es entsteht dann die Überzeugung der Gemeinde: Dieser außer-gewöhnliche Mensch wurde dann von Gott für sein Leben „ausgezeichnet“: Gott will, so glaubt man, dass dieser Mensch Jesus ein Lebensmittelpunkt für andere sein kann. Es ist ein Vorschlag, den das Neue Testament und Paulus machen: Dieser Jesus kann für die Menschen sogar von absoluter Bedeutung werden, das meint Paulus, wenn er von „Erhöhung“ durch Gott: Vor ihm kann man niederknien, wie sagt man heute: Das ist ja zum Hinknien usw.

Das ist die Grundaussage: Wer Gott sucht, wird auf den Menschen verwiesen, auf die Menschlichkeit, wie sie Jesus von Nazareth lebte. Diese Menschlichkeit ist Liebe. Liebe zum Nächsten. Gott wird also in der Liebe entdeckt.

Dieser Text, der den Verzicht Gottes auf seine Göttlichkeit beschreibt, wird als Erniedrigung als „Kenosis“ heute auch philosophisch bedacht.

Kenosis: Auf dieses griechische Wort aus dem Philispperbrief kommt es an: es meint das Leerwerden. Die Entäußerung. Das Freiwerden. Alles dies auf Gott selbst bezogen.

Der italienische Philosoph Gianni Vattimo definiert Kenosis „als Verzicht Gottes auf die eigene souveräne Transzendenz“, in: „Die Zukunft der Religion“, S. 62). Auch in seinem Buch „Glauben-Philosophieren“ (Reclam, 1997, Seite 56) sagt Vattimo: Die Menschwerdung Gottes, also die kenosis, sei das große Paradox, das einzige Skandalon der christlichen Offenbarung. Vattimo spricht von einer „Aussetzung aller transzendenten, unverständlichen und bizarren Züge des Göttlichen“.

Der Philosoph Vattimo ist der prominente Denker eines Christentums, das als Kenosis lebt, auch einer Kirche, die als Kenosis, als Verzicht, lebt. „Ein kenotisches Christentum ist von der Liebe (caritas) bestimmt, es entsagt allen Gewaltmechanismen, auch denjenigen, die nur theoretisch eine letzte, allgemeinverbindliche Wahrheit verteidigen wollen“ (Bernd Irlenborn, „Nach dem Tod Gottes. Gianni Vattimos Entwurf eines postmodernen Christentums“ (in: Orientierung, Zürich, 2004, S. 258)

Vattimo hat sich dem christlichen Glauben wieder zugewandt, allerdings in der Gestalt der Kenosis, was ihn zum Kritiker der etablierten und dogmatischen Kirche,  des immer noch noch auf Macht und Gewalt bedachten offiziellen Katholizismus machte. Vattimo nennt sein eigenes Denken „schwaches Denken“, „schwach“, weil es nicht mehr der metaphysischen Macht der alten Gottes-Konzepte lebt. (Siehe auch sein Buch: „Jenseits des Christentums“, München 2004.). Die kenotische Kirche akzeptiert die Säkularisierung (die schwache Kirche ohne Macht) als eine Konsequenz des Glaubens, meint (nicht nur) Vattimo.

Für Vattimo ist die Interpretation der Kenosis als der zentralen Erfahrung des Christentums eine Neuentdeckung. So soll es auch sein, denn die Interpretationsgeschichte geht weiter in die Zukunft.

Weihnachten als Kenosis Fest ist von daher nicht rückwärts, in die Vergangenheit gerichtet, sondern nach vorn, zu einen Erfahrungen…

Dies ist eine Einladung einer spirituellem Lebensphilosophie: Wir sollten, wenn wir denn dem Lebensmodell folgen wollen, leer werden, uns unserer Sicherheiten entäußern. Wenn man so will: Dann werden wir heil, „glücklich“…Landen aber vielleicht wie Jesus von Nazareth am Kreuz, siehe Erzbischof Romero in El Salvador, oder Dietrich Bonhoeffer usw…

Weihnachten ist ein Fest des Leerwerdens. Des Weggebens alter Überzeugungen. Dem Befolgen des Gewissens. Der Verbundenheit mit den Menschen. Gott ist Liebe, sagt die Tradition. Die Lebensphilosophie Jesu von Nazareth, des Logos, folgt dieser Weisheit umfassend. Jesus von Nazareth wird selbst zum Symbol der Liebe. Wir können also sagen: Die Liebe ist göttlich, die Liebe ist in gewisser Weise Gott?

Diese Verse aus dem Philipperbrief wurden oft interpretiert, weil es um die Unterbrechung Gottes geht. Und die Göttlichkeit des Menschen!

Darum noch ein Hinweis auf den Philosophen und Religionskritiker Ludwig Feuerbach. Im Anschluss an die Jesus-Gestalt sagt er: „Gott ist die Liebe. Wer also den Menschen um des Menschen willen liebt, der ist Christ, der ist Christus selbst“ (zit. in Vittorio Hösle, Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie, 2013, s 172.)

Feuerbach will dem Leben und der Förderung des Lebens als solchem eine religiöse Bedeutung abgewinnen und darin folgt ihm dann Nietzsche: Er hat als heftigster Religionskritiker jedoch die Jesus-Gestalt geschätzt, wenn er sagte: Man muss sich Jesus als »wärmstes Herz« denken, als den »edelsten Menschen«. Seine Botschaft der Ganzheitlichkeit lautet, so in „Der Antichrist“: »Das wahre Leben, das ewige Leben, ist gefunden. Es wird nicht verheißen, es ist da! Es ist in Euch: Als Leben in der Liebe, in der Liebe ohne Abzug und Ausschluss, ohne Distanz.« Diese Erfahrung der innersten Nähe des Göttlichen »hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in tausend Jahren. Es ist eine Erfahrung in einem Herzen, es ist überall da, es ist nirgends da …«

Gott ist Mensch. Und der Mensch, jeder Mensch, ist in gewisser Weise göttlich. Dies ist Weihnachten. Sucht Gott nicht mehr im Himmel!

Säkular verstanden: Der Mensch, jeder Mensch, ist absolut wichtig und voller einmaliger Würde. Die Pflege und Unterstützung des Menschen, jedes Menschen, der Notleidenden zumal, ist absolut wichtig. Unverzichtbarer Mittelpunkt auch aller Politik.

Weihnachten wird so zum Fest der – ideologisch von Kapitalisten usw. nicht missbrauchten – Menschenrechte. Die Aufforderung zu Weihnachten, etwas Geld für „gute Zwecke“, für die Armen usw. zu spenden, ist der hilflose Versuch, den Menschenrechten auch etwas zu entsprechen. Dabei wäre umfassende Information über den Niedergang der Menschenrechte weltweit verbunden mit politischem Engagement die treffende Antwort auf den Geist des Weihnachtsfestes. Der ewige Singsang der Kinderlieder zu Weihnachten ist nett, eine Ablenkung, vielleicht ein kurzer Ausstiegaus der banalen Alltagswelt; aber dieser Singsang ist sicher nicht die einzige Antwort auf den Gott, der Mensch ist.

Man sollte nicht in diesen Kinderliedern auf Dauer hängen bleiben. Und dann, dumm geblieben, Gott als Mann mit Bart sich denken, umgeben von hübschen Putten etc… Auch der christliche Glaube als eine Lebensphilosophie ist intellektuell anspruchsvoll. Hat nichts mit Infantilität zu tun, auch nicht zu Weihnachten. Aber leider bilden sich in der Hinsicht so wenige (Christen) Menschen weiter. Wir bedienen z.B. smartphones wie die Verrückten, wissen alles darüber…Aber wir wissen nichts von Weihnachten, wie es wirklich ist in einer reflektierten Lebensphilosophie. So bleiben viele als Erwachsene infantil, hängen den idyllischen Weihnachtsbildern Bildern der Kindheit an…Und danach geht alles weiter wie bisher. Ohne Unterbrechung. Siehe oben!

Das Spenden-Wesen zu Weihnachten als bescheidene Tat der “Gewissensberuhigung”, aber auch als politische Ablenkung zu kritisieren, ist wohl eine der schwersten, äußerst selten vollzogenen Aufgaben eines kritischen Journalismus.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Wenn ein Kardinal durchdreht: Kardinal Pengo, Tanzania, fordert sein Volk auf, lieber zu verhungern, als Hilfe von “Homosexuellen” anzunehmen

Ein religionskritischer Hinweis von Christian Modehn.

Manchmal ist es notwendig, sehr deutlich die Kritik der Religionen zu praktizieren und Unsinn freizulegen und zurückzuweisen. Vieles, was in den etablierten “hoch angesehenen” Kirchen gesagt und getan wird, widerspricht grundlegenden Werten der universalen Menschenrechte! Und diese universalen Menschenrechte stehen, nicht nur unserer Meinung nach, über den Lehren, Meinungen, Auslassungen von Kirchen und Klerikern. Etwa in Tanzania, siehe den Beitrag über Kardinal Pengo. Seine Aussagen werden in anderer Form in vielen Staaten Afrikas wiederholt, vom Klerikern wie von Politikern. Das ist die reale Dimension dieses Statements des Kardinals. Er folgt dabei theologischen Vorstellungen, die einst, im 19. Jahrhundert, europäische Missionare den Afrikanern beibrachten. CM.

Der Informationsdienst queer.de, aber auch andere, gar nicht so queere Informationsdienste, wie das sehr sehr streng katholische “kath.net”, haben über eine unglaubliche, sagen wir es, Wahnidee, noch milde ausgedrückt, eines römisch – katholischen Kardinals in Tanzania berichtet. Der sehr beleibte Kardinal Polycarp Ponzo hat seine Landsleute aufgefordert, besser vor Hunger zu sterben, als Hilfe von Staaten oder Organisationen anzunehmen, die irgendwie, seiner Meinung nach, in dem afrikanischen Land “Werbung” für Homosexualität machen. Der Kardinal wäre dann wohl der letzte, der dann sterben würde, immerhin ein frommer Überlebender…Man glaubt zu träumen, welche Wahnsinnsideen heute in den Köpfen von Kardinälen herumgeistern, die den Papst wählen und eigentlich die Menschen zur Erkenntnis umfassender Wahrheit führen sollten. Diese klerikalen Herrschaften sind Ideologen, also Zerstörer der Humanität, denn die Konsequenz dieser wahnsinnigen Äußerungen (dies ist eine Meinungsäußerung) ist: Homosexuelle werden weiter in Afrika verfolgt, erniedrigt, ermordet. Diese katholische Kirche hat mit Menschenrechten offenbar nichts im Sinn! Das muss man deutlich sagen, in Erinnerung an den Tag der Menschenrechte. Was für eine Schande, dass kein Papst diesem Herrn in Tanzania das Wort verbietet und zur Fastenkur in die Wüste schickt… Ich erlaube mir den ausführlichen Text von queer. de wiederzugeben, queer.de hat am ausführlichsten über diesen Menschenrechtsskandal, ausgelöst von einem Kardinal, berichtet:

“Kardinal Polycarp Pengo hat mehreren internationalen Medienberichten zufolge die Regierung Tansanias aufgefordert, keine Entwicklungshilfe anzunehmen, die mit Bedingungen zum Umgang mit Homosexualität verknüpft seien. Die aktuell unter anderem vom Portal der Deutschen Bischofskonferenz verbreiteten Worte fielen offenbar bereits vor wenigen Wochen – ausgerechnet bei einer Messe zum Erntedankfest.

Der Erzbischof von Daressalam berichtete demnach von mehreren Bedrohungen gegenüber Entwicklungsländern. So würde das Ausland die Unterstützung einstellen, “wenn wir gegen Homosexualität sind”. Es sei aber “besser, an Hunger zu sterben, als Hilfe zu erhalten und verpflichtet zu sein zu Dingen, die entgegen den Wünschen Gottes stehen”.

Die “Sünde der Homosexualität” sei der Grund der Zerstörung von Sodom und Gomorrha gewesen, so der Bischof weiter. “Diese Dinge stehen dem Plan Gottes zur Schöpfung entgegen und können in keinster Weise akzeptiert werden.” Das Mitglied der Glaubenskongregation, der Kongregation für die Evangelisierung der Völker und des Päpstlichen Rates für die Familie meinte: “Und wenn wir verhungern, weil wir abgelehnt haben, uns an solchen Akten zu beteiligen, dann sterben wir lieber mit unserem Gott. Homosexualität zu akzeptieren ist Gott abzulehnen.”

Dänemark ließ Entwicklungshilfe kürzen

Kardinal Pengo bedankte sich den Medienberichten zufolge bei der Regierung Tansanias für ihre Haltung in der Frage. Die Äußerungen des Erzbischofs fallen in eine Zeit, in der der Gouverneur seiner Stadt angekündigt hatte, anhand einer Namensliste gegen Homosexuelle vorgehen zu wollen (queer.de berichtete).

Die dänische Regierung hatte daraufhin Mitte November angekündigt, Entwicklungshilfe zu kürzen, auch weitere Staaten hatten sich in die Debatte eingeschaltet und Sanktionen angedroht (queer.de berichtete). In dem multireligiösen Land war es zuletzt häufiger zu Razzien und Festnahmen von LGBTI gekommen, wobei auch Analuntersuchungen eingesetzt wurden. Grundlage ist ein Gesetz aus deutscher Kolonialzeit, wonach Sex unter Männern mit bis zu 30 Jahren Haft geahndet werden kann. In Sansibar droht auch lesbischen Frauen Haft.

Äußerungen wie die des Kardinals hört man von afrikanischen Geistlichen und Politikern nicht selten. Papst Franziskus hatte 2015 bei einem UN-Gipfel zu “Nachhaltigen Entwicklungszielen” davor gewarnt, “eine ideologische Kolonialisierung zu fördern, indem man abnorme Lebensmodelle und -stile durchsetzt, die der Identität der Völker fremd und letztlich unverantwortlich sind” (queer.de berichtete). (nb)”

Man darf sich fragen, in welcher Weise kirchliche, katholische Entwicklungshilfe über Misereor, Missio, etc. diesen Herrn und seine Kirche fördert.

Christian Modehn

“Religion, zum Teufel!” Das neue KURSBUCH

Das neue „Kursbuch“ (Heft 196) über Religionen

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das „Kursbuch“, bekanntlich nach vierjähriger Pause 2012 noch einmal „auferstanden“, wird herausgegeben von dem Soziologen Armin Nassehi und dem Publizisten Peter Felixberger. Sie haben nun 13 Autoren eingeladen, zu den heutigen Erscheinungen der Religionen, vor allem des Christentums und des Islams, mehr Licht, mehr Aufklärung zu bringen. Provozierend vieldeutig der Titel: „Religion, zum Teufel!“

Es ist ja nicht so einfach, zu der allgemeinen und weit diskutierten Überzeugung Neues zu sagen, dass die Religionen nun doch wieder der reflektierenden Bemühung wert sind. Weil sie immer noch und immer stärker in vielen Regionen der Welt existieren. Denn von der einstigen These einer definitiven Säkularisierung sind selbst skeptische, agnostische Geister nicht (mehr) überzeugt.

Da freue ich mich sehr über eine für katholische theologische Verhältnisse ungewöhnlich deutliche und kritische (freilich nicht immer leicht lesbare) Analyse des Salzburger Theologen Gregor Maria Hoff. Er zeigt die – bisher kaum formulierten – Konsequenzen auf, die sich aus dem sexuellen Missbrauch durch katholische Priester weltweit ergeben: Das machtvoll durchgesetzte Verständnis des Priesteramtes als überlegen, höher stehend, gegenüber der „Masse der Gläubigen“ und der demokratischen Rechtsprechung, hat den sexuellen Missbrauch im Klerus begünstigt. Die geschlossene Welt des sich sakral erhobenen Klerus wollte auch diese Untaten unter sich aushandeln und dem Täter vergeben, sozusagen in bewusster Verachtung weltlicher, demokratischer Gesetzlichkeit. Wenn die Verbrechen der Priester besprochen wurden, dann in der Haltung etwa der Bischöfe: Die gesamte Kirche leidet wegen der Untaten. An die Opfer wurde dabei kaum gedacht. Hauptsache: Die Institution Kirche steht „sauber“ (nach außen) da. Die Konsequenz für Hoff ist klar: Die gesamte Plausibilität der gesamten Institution der katholischen Kirche „erodiert“ (S. 38). Das heißt: Die Überwindung des weltweiten sexuellen Missbrauchs kann nur ein vollständiger Umbau, eine Reformation, nicht bloß eine Reform, der römischen Kirche sein. Also: Überwindung der klerikalen Sonderwelt der bevorzugten „Hochwürden“, der Priester. Es ist selbst dem größten Optimisten klar, dass zu dieser Kirchenreformation der gut etablierte und finanziell zumindest in Europa bestens ausgestattete Klerus nicht bereit ist. Reformation wäre Machtverzicht, aber diesen will der herrschende Klerus nicht. Vielleicht aber stirbt er bald in Europa aus, das ist eine wahrscheinlich soziologische Prognose, die im Kursbuch leider nicht dokumentiert wird. Allein schon wegen dieses Beitrags von Gregor Maria Hoff lohnt sich der Kauf, die Lektüre, die Diskussion in Gruppen, des neuen Kursbuches. Es weist in dem Falle tatsächlich „den Kurs“. Die Bischöfe werden diesem Kurs(buch) wohl kaum folgen. Wäre ja ein Ding, wenn bei der nächsten Bischofskonferenz in Fulda alle Bischöfe mit dem Kursbuch in der Hand in den Dom einziehen…

Ich will auch den Beitrag der Freiburger Islamwissenschaftlerin Johanna Pink dringend empfehlen. Sie zeigt, dass der Koran keineswegs der einzige Bezugspunkt im Denken und Handeln der Muslims ist. Eindeutig ist der Koran nicht, er öffnet den Weg in vielfältige Interpretationen. Auch „außerkoranische Normen“ müssen etwa herangezogen werden, wenn Einzelfragen in Rechtsverhältnissen gelöst werden sollen (S. 134). Die Rolle der Hadithe als Interpretationshilfen des Korans haben „den“ Islam entscheidend mitgeprägt. Diese gewisse Relativierung des Korans wird nicht gern gehört, in fundamentalistischen islamistischen Kreisen nicht, (etwa in Saudi-Arabien), und auch nicht in christlich geprägten Gruppen, die gern „den“ Islam und „den“ Koran vor Augen haben wollen, um sich der Auseinandersetzungen mit den vielen Interpretations-Formen des Islams zu entziehen. Wer also heute als Bürger in Deutschland auf der Höhe der intellektuellen Klarheit sein will, übe sich ein in differenzierendes Denken im Blick auf die vielen Formen des Islams. Freilich gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts Tendenzen in islamischen Staaten, die sich gegen den inneren Pluralismus im Islam wehrten, um dadurch gegenüber dem Westen einheitliche Stärke zu demonstrieren (S. 140).

Noch eine etwas ausführlichere Leseempfehlung: Die Leipziger Soziologin Monika Wohlrab – Sahr untersucht seit Jahren die Formen der Säkularität etwa im Osten Deutschlands. Nun geht sie der weiterreichenden, viel diskutierten Frage nach, ob Säkularität, also auch die Trennung von Geistlich und Weltlich, und dann bis hin zu Formen der Religionsfreiheit und des Atheismus, nur in westlichen Gesellschaften Tatsachen sind oder eben auch in muslimischen Gesellschaften. Diese lehnen ja oft Säkularität als Trennung von Geistlich und Weltlich ab. Monika Wohlrab – Sahr zeigt detailliert, dass tatsächlich etwa auch in islamisch beherrschten Ländern und Kulturen ein gewisser Sinn fürs Säkulare vorhanden ist. Sie weist etwa auf die Funktionsunterscheidungen zwischen Kalifat und Sultanat hhin (S. 163). Differenzierungen zwischen weltlich und geistlich(religiös) gab es auch im vormodernen Japan (S. 165). Es geht also darum, wenigstens Elemente des Vergleichbaren freizulegen, des Vergleichbaren von geistlich und weltlich in der westlichen Kultur mit den nicht- westlichen Kulturen und Religionen. Damit wird gezeigt: Die Zielvorstellung auch von weltlich argumentierenden Rechtssystemen und Menschenrechten ist auch in den nichtwestlichen Kulturen und Religionen angelegt und sicher weiter zu fördern, um der Menschen und der Menschenrechte willen. Dies zu fordern ist alles andere als kolonialistisches Herrschenwollen. Die Menschenrechte sind zwar in Europa „entstanden“, aber der europäische Herkunftsort begrenzter Art hat keine Bedeutung für die universale Geltung der Menschenrechte. Nebenbei: Yoga und Formen der Zenmeditation, zwar in Asien entstanden, werden mit Begeisterung im Westen als „allgemein menschlich“ selbstverständlich praktiziert…

PS.: Ich würde mir wünschen, dass das KURSBUCH häufiger Themen der Religionen und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien aufgreift. Warum nicht einmal ein KURSBUCH herausgeben über die Vielfalt der wieder aktuellen und häufigen religiösen, politischen, ökonomische, “allgemein-menschlichen” KONVERSIONEN?

Kursbuch 196: „Religion zum Teufel!“ 191 Seiten. Erschienen im Dezember 2018. 19 Euro. Im Buchhandel zu haben. Siehe auch: www.kursbuch.online

Copyright: Christian Modehn , Religionsphilosophischer Salon Berlin

Religion und Religionskritik – das große Thema der Philosophen.

Zum neuen Handbuch „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Religionskritik“ von Michael Kühnlein (Hg)

Eine Buchempfehlung von Christian Modehn

Um einmal persönlich zu beginnen:

Endlich haben wir in unserem „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“ überhaupt keinen Grund mehr, uns bei der Zuspitzung unseres philosophischen Interesses irgendwie einsam oder marginal zu fühlen. Das war immer dann der
Fall, wenn fundamentalistisch Fromme aus allen Konfessionen und Religionen die kritische und freie Betrachtung des Religiösen, der Transzendenz, des Unendlichen, des Göttlichen und des atheistischen Nichts als störend für den
(naiven) Glauben (und störend für die selbstsicheren Institutionen vor allem!) abgewiesen haben.

Nun also liegt ein wichtiges Buch über „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Religionskritik“ vor, der Titel in dieser Zusammenstellung ist glücklich gewählt: Denn immer geht es auch um Religionskritik.

Das Buch enthält 80 Beiträge zu religionsphilosophischen Texten von Platon bis Charles Taylor, wobei 47 Beiträge auf Autoren des 20. bzw. 21. Jahrhunderts bezogen sind! Deutlicher kann die breite Aktualität re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­er Überlegungen kaum dokumentiert werden. Die oft vorausgesagte totale Säkularisierung als Verzicht auf „transzendenzoffene Situationen“ (M. Kühnlein) ist also im Denken (und damit auch im Leben der europäisch geprägten Kulturen) nicht eingetreten.

Jedes Kapitel stellt einzentrales Werk eines Philosophen vor. Nach sehr knappen biografischen Hinweisen wird der Kontext des jeweiligen Buches/Textes gewürdigt, dann folgt im 3.Schritt die ausführliche Darstellung des Werkes, es folgen dann Hinweise zur Rezeption und zusammenfassende Überlegungen, bevor die wichtigsten Quellen und Interpretationen genannt werden. Der Herausgeber, der Philosoph Michael Kühnlein (Frankfurt/M.), bedauert selbst, dass einige große Autoren fehlen (müssen – aufgrund des begrenzten Umfangs des Buches). Wer das Inhaltsverzeichnis studiert, wird etwa Lessing vermissen oder Hamann oder Troeltsch oder Martha Nussbaum oder Erich Fromm. Und er wird sehr bedauern, dass Religionsphilosophen aus dem asiatischen, afrikanischen oderlateinamerikanischen Raumvöllig fehlen! Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie ist heute ein weltweites Thema. Vielleicht wäre dies ein Thema für einen Fortsetzungsband. Auch wenn nordamerikanische Religionsphilosophen wie Taylor gewürdigt werden,das Buch ist eben doch noch euro-zentrisch angelegt.

Aber sein Wert liegt in der meistens wohl doch noch für philosophisch Nicht-Promovierte Leser meistens erreichbaren und mitvollziehbaren Lektüre. Ich habe alle Beiträge bisher nicht lesen können, mir fällt nur auf, dass etwa der hoch aktuelle Philosoph Meister Eckart („Opus tripartitum“) in einem leider sehr fachwissenschaftlich orientierten Duktus vorgestellt wird, so, als wollte man damit unter Eckart Spezialisten glänzen, wobei der Autor, Dietmar Mieth, ja durchaus allgemein zugängliche Texte zu Eckart schon anderswo geschrieben hat. Dieser Beitrag weckt dann doch wieder die Befürchtung, dass die Texte eher Fachphilosophen und Hauptfach Studenten hilfreich sein sollen,. Dabei ist etwa der Text über Ludwig Feuerbach (Das Wesen des Christentums) sehr zugänglich, verfasst von Ursula Reitemeier. Philosophieren und Philosophie sollte nach meinem Verständnis immer „Sache aller sein“. Man freut sich, dass Holger Zaborowski die vom Umfang her eher kleine (und nicht so viel beachtete) Schrift „Phänomenologie und Theologie“ (1927) von Martin Heidegger zugänglich macht, selbst wenn ich persönlich eher eine Interpretation der späteren Werke Heideggers, etwa „Vom Ereignis“ (1936), unter re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­er Sicht gewünscht hätte. Aber da hätte man auf die Nazi-Verquickung im Denken Heideggers eingehen müssen…

Wie weit das Verständnis von Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie bei Michael Kühnlein als Herausgeber reicht, zeigt sich deutlich an der Auswahl der Autoren des 20. Jahrhunderts, da werden etwa die Theologen Metz und Moltmann als religionsphilosophisch relevante Autoren verstanden. Auch der äußerst schwierige, explizit katholische Jean Luc Marion ist im Buch vertreten.

Diese Hinweise machen einmal mehr deutlich, dass Religion ein ganz breites Thema ist in der Philosophie sowie der Religionssoziologie (Peter L. Berger) und Psychologie (Freud).

„Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie und Religionskritik“. Ein Handbuch, hg. von Michael Kühnlein. 946 Seiten. Suhrkamp Taschenbuch, 2018, 36 €.

Christian Modehn Berlin