Picasso und das Christentum: Überlegungen anläßlich des 50. Todestages Picassos am 8.April 2023.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

1.

Picasso hat seine Distanz gegenüber dem christlichen Glauben und der katholischen Kirche oft geäußert. Deswegen ließ er sich zur Mitarbeit an der inzwischen berühmten „Künstler-Kapelle“ von Assy (Savoyen) nicht gewinnen. Pater Alain Couturier, Künstler und Kunstexperte, hatte ihn – wie etliche andere andere Künstler – dazu eingeladen. Auch die Mit-Gestaltung der Rosenkranz-Kapelle in Vence bei Nizza (eingeweiht 1951), von Matisse gestaltet, hat Picasso abgelehnt.
Picasso,1881 in Malaga geboren, kannte den volkstümlichen Katholizismus Spaniens der Prozessionen und Heiligenverehrung, mit der Bindung des Klerus an die herrschenden Großgrundbesitzer. In Barcelona lernte er die frühe anarchistische Bewegung kennen, die auch die mächtige Klerus-Herrschaft bekämpfte. 1901 kam er in Paris an und war dort mit einer katholischen Kirche konfrontiert, die noch um Macht und Einfluss kämpfte. Erst 1905 wurden Kirchen und Staat getrennt. Es war der Klerikalismus, den Picasso stark ablehnte. Seine eigene, ungewöhnliche, nicht den kirchlichen Dogmen konforme Spiritualität zeigt er in seinen Werken. Man muss sie nur suchen.

2.

Vor allem ein – vom Umfang her – kleines Gemälde aus dem Jahr 1930 kann als eine der wenigen expliziten Darstellungen Picassos christlicher Motive gelten: die „Kreuzigung“. In einigen Zeichnungen (1929) hat Picasso dieses Gemälde vorbereitet: Eine weibliche Gestalt, mit dem Kopf nach unten, umschließt die Beine Jesu von Nazareth am Kreuz. Der Kunsthistoriker Horst Schwebel über diese enge Verbindung von Jesus und der Frau: „Dieses Bild ist eindeutig als Koitus zwischen dem Gekreuzigten und der Frau zu verstehen“ („Die Kunst und das Christentum“, München 2022, S. 160). Eine provokative Deutung des kirchlich gepredigten „Erlösungsgeschehens“ am Kreuz, auf die dann Picasso letztlich doch verzichtete: In dem Ölbild von 1930 ist dieses Motiv nicht mehr sichtbar.

3.

Man wird auch „Die Kreuzigung“ von 1930 mit der Lebensgeschichte Picasso verbinden müssen, es ist die letzte Zeit der Ehe mit der Tänzerin Olga Koklowa, die Ehe erlebte Picasso in ihrer letzten Phase als unerträglich…
Das kleine Gemälde „Kreuzigung“ (jetzt im Picasso Museum in Paris) hatte für Picasso immer eine große Bedeutung, er hat es bis zu seinem Tod nicht weggegeben (verkauft), sondern bei sich behalten. Das Gemälde erschließt sich dem Betrachter nur mit viel Ausdauer.
Der Betrachter ist gewarnt, durch die Hinweise des Kunstkritikers John Berger („Glanz und Elend des Malers Pablo Picasso”, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 44), beim Verstehen der Arbeiten Picassos zu sehr aufs begriffliche Verstehen zu setzen: „Picasso leugnet die Kraft der Vernunft…Er hasst jede verstandesmäßige Erklärung und verachtet Ideen“ (S. 43 f.). Dennoch ist es normal, dass sich die Betrachter auch der “Kreuzigung“ eigene Gedanken machen… und die haben immer eine sprachliche, eine begriffliche also dann doch vernünftige Struktur…

4.

Zum Gemälde „Kreuzigung“:
Jesus am Kreuz ist von kleiner Gestalt, dabei eher an eine Skizze erinnernd, die Person ist kaum wahrzunehmen. Der Gekreuzigte wird in heller, weißer Umgebung dargestellt. Sonst dominieren die Farben Gelb, Rot, Orange, aber Schwarz als üblicher Ausdruck der Trauer wird vermieden. Der in heller, lichter Umgebung Hängende ist umstellt von Figuren, die man als bedrohlich und ungeheuerlich mit aufgerissen Maul deuten kann. Wollen sie die schmale Jesus-Gestalt verschlingen? Man entdeckt, wie ein Typ in die rechte Hand Jesu einen Nagel hämmert, eine andere Gestalt sticht mit in einer Lanze in Jesu Körper. Ein weibliches Wesen, ist es Maria (?), kann erahnt werden. Sie ist wie Jesus selbst eher schemenhaft dargestellt, dabei erscheint sie eher unsympathisch, aber offenbar abwehrend-aggressiv gegen die Widersacher?
Zu denken geben die hellen Farben, die Picasso für diese Darstellung von Leiden und Gewalt und Tod Jesu wählt: Picasso sieht offenbar in diesen lichtvollen Farben, dass der Gekreuzigte schon den Tod überwunden hat.

5.

Der in Künstler-Kreisen damals sehr bekannte Dominikanerpater Marie-Alain Couturier ( 1897-1954) stand auch mit Picasso in Verbindung. (Quelle: http://forezhistoire.free.fr/pierre-couturier.html) Pater Couturier hat die Darstellung christlicher Motive durch eher kirchenferne Künstler stets unterstützt und verteidigt. Zusammen mit dem Dominikaner Pater Pie R. Régamey (1900-1996) hatte er einige Jahre die angesehene Zeitschrift „l Art sacré“ geleitet, der Grundsatz dieser Zeitschrift war: Das Können der Künstler ist wichtiger als deren konfessionelle Bindung oder religiöse Orientierung. Er wandte sich gegen alle schlichte, bloß erbauliche Kirchen-Kunst. Die große intellektuelle Offenheit machte ihn in klerikalen Kreisen nicht gerade beliebt. Sein Freund Pater Regamey sagte: „Jedes gute Gemälde ist in sich edel und fromm und von daher geeignet, Gott zu ehren, ohne dass dazu der übernatürliche Glaube nötig sei“ (Régamey, „Kirche und Kunst im 20. Jahrhundert“, Graz-Wien, 1954, S. 245.)

6.

Vermag der Betrachter des Gemäldes „Kreuzigung“ (1930) die bei Picasso oft erlebte Erfahrung zu machen, förmlich hineingezogen zu werden in das Bildgeschehen? Wer etwa den „Spiegel“, 1932, oder den „Weiblicher Akt“,1939, betrachtet, ist geradewegs gezwungen, alle übliche Distanz zum Bild aufzugeben und ins Bild „hineinzutreten“ und auf vertraute Interpretations-Konventionen zu verzichten. Beim Gemälde „Kreuzigung“ ist die Erfahrung prägend, „dass das Minimum an Abstand“ (John Berger, S. 132) gegenüber dem Gemälde doch noch erhalten bleibt.

7.

Spiritualität im Werk Picassos sollte also gerade außerhalb der expliziten „christlichen Darstellungen“ zu suchen sein.
Der „frühe“ Picasso zeigte in Paris (etwa 1904) ein starkes Interesse und eine Leidenschaft für die armen Menschen, für jene, die aus der Gesellschaft ausgestossen waren.Man denke etwa an das Gemälde „Das kärgliche Mahl“ von 1904. „Das (hungernde) Paar verlangt nur das (eigene) Kranksein, um damit das von der Bourgeoisie monopolisierte und vulgarisierte Wohlbefinden zu beschämen. Es ist die entsetzliche Überlegenheit (des armen Paares)“, schreibt John Berger über dieses Picasso-Gemälde (a.a.O.,S. 54). Auch das berühmte Gemälde „Les Demoiselles d Avignon“ (von 1907) gehört in seiner kraßen Darstellung der fünf nackten Frauen zu den frühen Provokationen Picassos, zu seiner Kritik an der so genannten Zivilisation, die für ihn nichts als dekadent ist. Auch in diesem frühen Eintreten Picassos für die Armen und Ausgestoßenen zeigt sich eine Form von Spiritualität, die dem Geist des armen Jesus von Nazareth so fern bekanntlich nicht ist. Insofern ermuntert Picasso dazu, das ungewöhnliche Gesicht des Christlichen, des Jesuanischen, zu suchen und vor allem Spiritualität von Kirchenbindung zu unterscheiden.

8.

Auch beim bekanntesten Gemälde Picassos „Guernica“ (1937 ) werden spirituelle Dimensionen und eine Verbundenheit mit christlichen Traditionen vielfach besprochen. Das Gemälde entstand als Versuch einer Antwort auf die zerstörerische Gewalt der deutschen („Legion Condor“) und italienischen Faschisten, sie hatten die kleine, hilflose baskische Stadt Guernica 1937 in einem Bombenangriff fast total vernichtet, etwa 2.000 Tote sind zu beklagen.
Picasso hatte sich mit dem Isenheimer Altar auseinandergesetzt, das ist bekannt, und manche Betrachter des Gemäldes Guernica entdecken etwa das Motiv der Pietà in „Guernica“. In jedem Fall ist dieses Gemälde deutlicher Ausdruck für den Willen Picassos, mit seiner Kunst an der Seite der Leidenden, der Ausgegrenzten, der Opfer sinnloser Gewalt zu stehen.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass in “Guernica”, von der Wahl der Farben her, eindeutig eine pessimistische Grundstimmung sich offenbart, durch die Schwarz-Weiß und GRAU Töne, die dominieren. Es ist, angesichts des Niedergangs der Macht der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg, ein Dokument der Trauer, vielleicht ein ahnungsvolles Zeugnis des Nahen der Finsternis…(siehe dazu Werner Spiess, Picasso – Die Zeit nach Guernica”, Hatje Verlag Stuttgart  1993, “Picasso”, S. 18 ff.).

1955 wird das riesige Original „Guernica“ im Haus der Kunst in München gezeigt. „Doch es dient dort nicht zur Aufklärung über die Luftangriffe der deutschen Legion Condor auf den baskischen Ort Guernica. Das ist besonders auffällig“, erklärt Julia Friedrich, Kuratorin im Museum Ludwig in Köln, „wenn so ein Bild, das die Verbrechen der Legion Condor zeigt, im Haus der Kunst in München präsentiert wird und dieser Zusammenhang ausgeblendet wird, sodass sich die deutschen Besucher, die dieses Bild angucken, mit den Opfern auf dem Bild identifizieren können, obwohl sie dem Kollektiv der Täter angehört haben.“ (Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-geteilte-picasso-im-osten-verehrt-als-kommunist-im-100.html, vom 25.9.2021). Und dieses ignorante Verhalten damals ist sicher typisch für den Umgang der frühen BRD- (Kultur)-Politiker mit der Vergangenheit, den Verbrechen des Nazi-Deutschland.

Über Picassos innere Verbundenheit mit der Kommunistischen Partei Frankreichs, der er 1944 beitrat und aus der nie austrat, müsste in dem Zusammenhang weiter nachgedacht werden. Und muss bedenken: Die Kommunisten und ihre Partei PCF galten in Frankreich als die stärksten Kräfte der Résistance gegen die Herrschaft der Nazis in Frankreich unter dem Pétain-Regime.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Sexueller Missbrauch durch einen hochrangigen Priester im Spanien des 17. Jahrhunderts: „Der Prozess versandete“…

Eine historische Studie zum sexuellen Missbrauch.

Ein Hinweis von Christian Modehn, zuerst veröffentlicht 2021, aktualisiert am 23.7.2023

1. Zur Einführung:

Die Geschichte der Homosexuellen war und ist eine von der heterosexuellen Mehrheit ignorierte Leidensgeschichte. In 69 Staaten wird auch heute noch, 2023, Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in 11 Staaten droht Homosexuellen die Todesstrafe. Quelle: LINK   
Ohne körperliches Leiden, ohne Verfolgung, ohne Scheiterhaufen konnten nur einige wenige prominente Homosexuelle, modern gesprochen ohne „Outing“, überleben, es waren Fürsten und Päpste, Bischöfe und Pfarrer und Ordensobere und „einfache Mitglieder“ von Ordensgemeinschaften.
Und wie bei der jeder Geschichte von unterdrückten Minderheiten gibt es, abgesehen vom Judentum, auch keine ausgebreitete, gründliche Forschung zur Geschichte der Verfolgung der Homosexuellen, obwohl etwa in Spanien und Italien viele Dokumente zur Verfolgung und Ausrottung der Homosexuellen durch die katholische Inquisition in den Archiven vorliegen.

2.

Es ist förmlich ein Glückstreffer, wenn man in Deutschland Beiträge kirchenunabhängiger Historiker findet zu dem Thema. Ich empfehle die Lektüre des Aufsatzes von Prof. Raphael Carrasco „Sodomiten und Inquisitoren im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts“. Die Studie ist erschienen in dem Sammelband „Die sexuelle Gewalt in der Geschichte“, hg. von dem Historiker Alain Corbin, Wagenbach Verlag, 1992, dort S. 45-58. Die französische Ausgabe erschien 1989. Das Buch ist auf Deutsch nur noch antiquarisch verfügbar…

3. Über den sexuellen Missbrauchs eines spanischen Priesters aus dem Merzedarier-Orden im 17. Jahrhundert , dargestellt von Raphael Carrasco, siehe die ausführliche Darstellung:  LINK.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Die Auferstehung Jesu: Ostern ist das Fest des Ewigen im Menschen.

Ein Hinweis von Christian Modehn (März 2023).

Ostern feiern und dabei die Frage stellen “Was bedeutet die Auferstehung Jesu von Nazareth?” kann alle Menschen berühren. Nicht nur die wenigen “Kirchgänger”.  Die entscheidende Einsicht: Der Mensch hat Anteil am Ewigen, am Göttlichen. Nur deswegen kann der Tod ein Übergang sein in eine neue geistige Wirklichkeit. Diese Überzeugung ist selbstverständlich NICHT an eine Kirchenmitgliedschaft gebunden.

1.

Ein wichtiges, aber schwieriges Thema, „die Auferstehung Jesu von Nazareth“. Das Thema verweist auf die genauso schwierige Frage: Gibt es eine Form der Überwindung des Todes, also ein „Weiterleben“ nach dem Tod?
Theologien und Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können auf das Thema nicht verzichten, denn sie haben es mit der Lebensgestaltung, auch mit Sterben und Tod zu tun.
Hier wird eine dem Argument, also der Vernunft verpflichtete Interpretation des Auferstehung Jesu von Nazareth vorgestellt. Und diese vernünftige Deutung ist einfach, verglichen mit dem Wortschwall der vielen bloß subjektivistischen, fundamentalistischen Deutungen der Auferstehung Jesu.
Die universal geltende Vernunft ist also auch bei der Frage nach der Bedeutung der Auferstehung entscheidend. Vernünftiges Sprechen von Sterben, Tod und Auferstehung ist, dem Thema angemessenes, sozusagen sanftes, suchendes, fragendes Sprechen.

2.

Die Antworten auf die Frage „Was bedeutet die Auferstehung Jesu von Toten“ sind vielfältig. Am häufigsten wird bis heute in den Kirchen gelehrt und gepredigt: „Jesus ist seinem Grab entstiegen, und er ist als der leibhaftig Lebendige der Gemeinde erschienen. Er ließ sich sogar körperlich berühren (vgl. die Erzählung vom „ungläubigen Thomas“)… Und später ist der Auferstandene leibhaftig in den Himmel aufgefahren“. Diese sehr schlichte, aber regelmäßig bsi heute verkündete Lehre hat sich leider in den Köpfen festgesetzt. Und den christlichen Glauben zu einer mysteriösen Angelegenheit gemacht. Die üblichen Worte der Kirchen zur Auferstehung wecken kein nachvollziehbares Verstehen, sondern sie verbreiten den Nebel des Mysteriösen. So rutscht der christliche Glaube an die Auferstehung Jesu in den Bereich der Märchenerzählungen ab, aus Angst der Prediger und Theologen vor der Vernunft!

Man denke auch an die zahllosen Gemälde etwa aus der Barockzeit, die den Auferstandenen leibhaftig in der Welt herumlaufend zeigen oder das leere Grab mit schlafenden Grabeswächtern und siegreichen Engeln. Angesichts so viel wunderbaren Zaubers sagen dann viele Gläubige verzaubert: „Nach meinem Tod gibt es für mich im Himmel das große Wiedersehen mit den Eltern und dem lieben Onkel Heinrich und der Tante Charlotte“.
Man muss wohl diese private Spiritualität als Meinungsäußerung respektieren, aber es ist kein Ausdruck von Atheismus, wenn man sie theologisch und religionsphilosophisch für falsch hält. Sie hilft nicht zu einer reflektierten Spiritualität der Menschen im 21. Jahrhundert. Sie hilft nicht zu einer reifen Spiritualität reifer, d.h. kritisch nachdenklicher, vernünftiger Menschen des 21. Jahrunderts.

3.

Die Frage ist also: Soll die Auferstehung Jesu von Nazareth ein zauberhaftes Ereignis in einer wunderbaren Welt des Ostermorgens voller frommer Phantasien bleiben? Oder sollte die Auferstehung Jesu von Nazareth mit dem einen Satz erläutert werden: „Die Freunde Jesu erkennen bald nach seinem Tod: Wie Jesus als der “Auferstandene” haben alle Menschen in ihrem Geist Anteil am Ewigen, es ist der Geist des Ewigen, der göttliche Geist, der den Tod eines jeden, auch den Tod Jesu, überwindet. Es geht um ein ewiges, geistiges „Leben“, nicht um ein leibliches.“

4.

Ein Hinweis zu den Auferstehungs-Erzählungen im Neuen Testament:
Die zentrale Erkenntnis heißt: Nach seinem Tod wird Jesus von der Gemeinde, nach einer Phase der Trauer und des Entsetzens über seinen Tod am Kreuz, als der Lebendige erkannt.
In ihrem Nachdenken über Jesus von Nazareth wendet sich die Gemeinde noch einmal dem Leben und den Lehren ihres Propheten Jesus von Nazareth zu: Und sie entdeckt: Dieser Jesus von Nazareth war von außergewöhnlicher geistiger Kraft in seinem Umgang mit den Menschen, in ihm selbst wurde die göttliche Wirklichkeit deutlich. Die Gemeinde erkennt also das Göttliche, das Ewige im Leben Jesu von Nazareth. Und dieses Göttliche, dieses Ewige kann nur eine geistige Realität sein, sie kann als das Ewige im Menschen nicht sterben. Jesus nannte den Ewigen stets seinen Vater, er fühlte sich als sein „Sohn“, und lehrte zugleich: Ihr Menschen seid – im Bild gesprochen – ebenfalls Söhne und Töchter des Göttlichen, des Ewigen, meines und unseres „Vaters“ im Himmel. Weil die Menschen Anteil haben am Ewigen, sind sie in der Lage, Jesus als den Auferstandenen zu erkennen.
Im „Neuen Testament“ gibt es vier unterschiedliche Erzählungen über diese Einsicht der Gemeinde: „Unser Freund und Lehrer Jesus von Nazareth, der „Menschensohn“, ist nicht ins Nichts des Todes verschwunden. Wir erfahren und verstehen kraft unseres Geistes IHN als eine bleibende, geistige Präsenz über den Tod hinaus.“

5.

Diese Erzählungen von der Auferstehung Jesu im Neuen Testament sind keine Tatsachenberichte! Kein Journalist, kein Historiker, hat die Auferstehung Jesu gesehen. Die Auferstehungs-Erzählungen des Neuen Testaments beziehen sich nicht auf ein datierbares Ereignis. Sie sind Mythen, d.h. Erzählungen von Menschen, die mit diesem Jesus persönlich und voller Liebe verbunden waren und nach seinem Tod gemeinsam zu neuen, überraschenden Erkenntnissen kommen.

6.

Die Erzählungen von der Auferstehung Jesu sind also Mythen. Der Theologe Rudolf Bultmann nannte sein Programm das „Entmythologisieren“ der biblischen Erzählungen, und er meinte damit überhaupt nicht die Zerstörung des Inhalts von Mythen, sondern die Übersetzung der Mythen in nachvollziehbare moderne Sprache. Nur dann können etwa die Mythen der Auferstehung als Lebensorientierung gelten.
Lebensorientierung anbieten – das ist der Sinn von christlichen Erlösung. Von Erlösung spricht die Kirche ständig, aber was Erlösung inhaltlich nachvollziehbar bedeutet, wird meist ins Imaginäre, Phantastische geschoben, etwa in die Ideologie der Befreiung von der sogenannten Erbsünde.
Die Erkenntnis vom „Ewigen“ in jedem Menschen kann als Erlösung verstanden werden, im Sinne der Befreiung von der Angst, im Tod ins Nichts zu versinken. Es ist der Geist als die Präsenz des Ewigen, der als Geist den Tod eines jeden Menschen überwindet. Weitere Details zum „himmlischen Weiterleben“ zu nennen, würde nur zu haltlosen phantasievollen Spekulationen führen.

7.

Es bleiben Fragen zu den Mythen der Evangelisten: Etwa zum leeren Grab Jesu: Das Grab Jesu kann gar nicht leer sein, Auferstehung ist, wie gerade betont, ein geistiges Geschehen. Jesu Körper blieb also im Grab, und er wurde – geistig – als der Lebendige erfahren. Die Kirchen erlauben seit einiger Zeit auch die Feuerbestattung, offenbar wissen sie: Der Verstorbene lebt, geistig, auch wenn sein Körper zu Asche wurde.
Und nebenbei: Wäre der Auferstandene mit seinem alten, gekreuzigten Körper „auferstanden“, hätte er ja als ein Mensch noch einmal sterben müssen, was wäre dann aber passiert? Ein erneuter Prozess gegen ihn, den Kritiker des strengen religiösen Systems? Sinnlose Spekulationen sind das.
Der katholische Theologe Hans Kessler, Autor einer umfassenden Studie zum Thema, schreibt: „Wenn vom leeren Grab gesprochen wird, so ist dies nur eine Veranschaulichung der Auferstehung Jesu, ein Bild, ein Symbol, das die Erzählung farbiger machen soll. Der Osterglaube wird nicht vom leeren Grab begründet. Der Gedanke des leeren Grabes ist kein notwendiger Bestandteil des christlichen Auferstehungsglaubens. Eine im Grab aufgestellte Video-Kamera hätte den Auferstehungsvorgang nicht aufgenommen. Wer als religiöser Mensch auf einem leeren Grab besteht, leugnet das Menschsein Jesu Christi. Aber dass Jesus ganz Mensch ist, bleibt eine unaufgebbare Einsicht der Christenheit“. Zum Buch von Hans Kessler: LINK

8.

Wann gibt es die ersten schriftlichen Zeugnisse vom Glauben der Gemeinde an die Auferstehung Jesu?
Die erste schriftliche Äußerung hat der Apostel Paulus im Jahr 50 in seinem „Ersten Brief an die Gemeinde in Thessalonich“ notiert, also knapp 20 Jahre nach Jesu Tod am Kreuz. Auch Paulus nennt kein Datum der Auferstehung. Paulus kennt aber den bereits lebendigen Auferstehungsglauben der Gemeinde, er spricht von der gemeinsamen, alles entscheidenden Überzeugung: „Wenn Jesus gestorben ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zu Herrlichkeit führen“ (4. Kapitel, Vers 14). Mit anderen Worten: Die Verstorbenen werden wie Jesus „auferstehen“. Damit sagt Paulus in seinen Worten das aus, was oben gezeigt wurde: Weil alle Menschen im Geist mit dem Ewigen verbunden sind, werden auch sie – wie Jesus – zur Herrlichkeit Gottes gelangen. Der katholische Theologe Giuseppe Barbaglio von der Universität Mailand schreibt in der theologischen Zeitschrift CONCILIUM (2006): „Jesus Christus ist als der Auferstandene unser älterer Bruder. Was ihm widerfuhr, wird uns widerfahren. Seine Auferstehung ist das Anheben unseres neuen Lebens … und unserer Auferstehung“.

9.

Die Rede vom „Ewigen im Menschen“ hat als notwendigen theologischen Hintergrund eine vernünftige Deutung des biblischen Bildes von der „Schöpfung“ der Welten durch Gott oder das Göttliche oder den Ewigen.
Nur diese kurze Erläuterung: Wenn „Gott“, der Ewige, die Welten „schafft“, dann kann Gott, der Ewige, dies nur realisieren, wenn diese Welten mit ihm, dem Göttlichen, verbunden sind. Wären die geschaffenen Welten total selbstständig, also außerhalb der Wirklichkeit des Ewigen, dann wäre Gott nicht mehr der Göttliche, der Alles Stiftende und Umfassende. Die gottlose Welt wäre eine Konkurrenz zu einem Gott, der dann keine göttlichen Qualitäten mehr hätte.
Die Welt und die Menschen können also nur in einer tiefen geistigen Verbundenheit mit Gott, dem Ewigen, dem lebendigen GEIST, verstanden werden. Eine Überlegung, die vor allem der Philosoph Hegel energisch vorgetragen hat.

10.

Die Gegenwart des Ewigen wird inmitten des Lebens erfahren und nicht nur theoretisch gedacht. Das ist die Überzeugung der frühen Christengemeinde, die der  Autor des 1. Johannesbriefes im Neuen Testament ausspricht, es ist ein Text, der am Ende des 1. Jahrhunderts geschrieben wurde. Der Autor schreibt:
„Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod”. (1 Joh 3, 14). Und im 4. Kapitel, Vers 12, heißt es: “Niemand hat Gott je geschaut, wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet”.

Mit anderen Worten: In der Liebe wird das Ewige in diesem menschlichen Leben erfahren.

Nur weil die Menschen lieben, also Liebe (er)leben (und Liebe ist immer mehr als Caritas, sie ist immer auch erotische Liebe), erfahren sie und denken sie das Göttliche, das im Menschen lebt. Dieses inmitten des Lebens präsente Göttliche wird den Tod überdauern. Diese Erkenntnis spricht der 1. Johannes Brief lapidar aus im Vers 6, Kap. 4: „Wir aber sind aus Gott”.

11.

Die Welt als eine „Schöpfung des lebendigen göttlichen Geistes“ verstehen: Dies ist das einzige Wunder, mit dem sich kritisches theologisches Denken auseinandersetzen muss. Andere „Wunder“ braucht kein Christ, kein religiöser Mensch. Der evangelische Theologe Prof. Stefan Alkier (Uni Frankfurt.M) schreibt in seinem Buch „Die Realität der Auferstehung“ (2009) diese entscheidenden Sätze: „Die Welt, alles Leben und auch das je meinige Leben entspringen […] nicht einem blinden Zufall, sondern der intentionalen Kreativität des sich liebevoll in Beziehung setzenden Gottes…Wer diese Hypothese nicht teilt, kann auch nicht mit den Schriften des Neuen Testaments […] von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sprechen“ (S. 238).

12.

Die Auferstehung Jesu sollte eine Lebensphilosophie inspirieren. Die Theologin Elisabeth Moltmann – Wendel schreibt: „Wenn wir aufmerksam werden auf die verwandelnden Kräfte, die schon hier unser Leben verändern, die uns anders sehen, fühlen, hören, schmecken lassen, dann können wir auch erwarten: Solche Kräfte werden nicht mit unserem biologischen Leben zu Ende sind. Wir können dem Schöpfersein Gottes zutrauen, dass es Energien gibt, die über unseren eigenen Lebenshorizont hinausreichen“.

13.

Man könnte fragen: Kann die hier angedeutete Interpretation der Auferstehung Jesu von Nazareth trösten?
Sterben und Tod gehören zwar zum „Wesen“ der Menschen, aber das Sterben wird verschieden erlebt und erlitten: Im Krieg viel brutaler genauso auch in Hungerkatastrophen, dieses Sterben ist gewalttätiger als in einem gepflegten Hospiz in Europa. Immer sollte es dabei um die gemeinsame Frage gehen: Wie hätte das vorzeitige Sterben noch verhindert werden können? Durch eine Friedenspolitik, durch eine solidarische Politik oder, möglicherweise durch den Respekt für einen gesunden Lebensstil im reichen Europa.
Aber selbst wenn diese Fragen durchgearbeitet sind, drängt sich die eine Frage auf: Ist mit dem Tod alles vorbei? Ist das Versinken im Nichts die Antwort? Waren die jungen Soldaten im Krieg Russlands gegen die Ukraine nichts als „Kanonenfutter“, nur „lebendes Fleisch“, das dann durch den „Fleischwolf“ des Krieges geschickt wurde, wie kürzlich ein Kriegsreporter in einer Talkshow sagte?
Wer an das Versinken des Verstorbenen im Nichts behauptet, verkündet seine Glaubensüberzeugung, genauso wie es eine Überzeugung, eine Glaubenshaltung ist, die Ewiges im Menschen, in jedem Menschen, erkennen kann.
Angesichts des Todes denken – dabei kann man, wie immer bei existentiellen Fragen, keine Evidenz erreichen, wie man sie in den Naturwissenschaften oder der Mathematik gewöhnt ist. Eigentlich ist dies eine Selbstverständlichkeit.

14.

Mystiker gehen soweit zu sagen: Die Menschen sind mit göttlichem Geist begabt, beschenkt, sie haben „den göttlichen Funken“ (Meister Eckart) ins sich. Viel mehr Worte sind dann nicht mehr nötig, um das Thema der Auferstehung anzusprechen, also das Thema „Das Ewige im Menschen, das den Tod überdauert“.

15.

Eine Frage bleibt: Gilt das auch für die schlimmsten Verbrecher, Kriegstreiber, Mörder, Diktatoren? Dass sie als Menschen die Chance hatten, der vernünftigen Kraft ihres Geistes und ihrem Gewissen zu folgen, steht außer Frage. Nur: Sie haben sich dann offenbar im Laufe des Lebens stets für das Böse entschieden. Und sie sind dabei selbst böse geworden und haben sich damit selbst bestraft. Was mit diesen Leuten sozusagen post mortem passiert, entzieht sich jeder ernsthaften philosophischen oder theologischen Aussage… Die klassische Theologie kennt die neutestamentliche Erzählung vom Endgericht – und da wird eine deutliche Sprache gesprochen.

16.

Diese Überlegungen sind keine abstrakten Spekulationen, sie haben auch politische Bedeutung. Wenn die Menschen wissen, sie sind mit dem Ewigen verbunden, dann haben alle Menschen eine besondere Würde. Dabei ist die wesentliche Gleichheit aller Menschen der Mittelpunkt der Menschenrechte, eine Gleichheit, die im Zusammenleben in einer gerechten Weltordnung realisiert werden muss.
Inspirierend bleibt dabei das „Auferstehungsgedicht“ des Schweizer Dichters Kurt Marti (1921-2017).
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme,
erst dann die Herrschaft der Herren,
erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer!
Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
so weiterginge wie immer.
Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren!“

17.

Die klassische Lehre heißt: Jesus von Nazareth hat den Tod überwunden. Aber das muss man verstehen und deuten: Mit Jesus haben alle Menschen Anteil am ewigen göttlichen Geist: Aber dies ist nur eine Dimension von Ostern.

18.

Genauso wichtig ist das Eintreten für die Menschenrechte und die Menschenpflichten. Ostern ist also auch ein politisches Fest, das Fest der universalen gleichen Würde aller Menschen.
Dass diese gleiche Würde aller Menschen endlich Realität wird, ist die zentrale Aufgabe der Kirchen, wenn sie behaupten, dem Auferstandenen zu folgen. Aber die Kirchen sind zur Zeit fixiert auf sich selbst, zumal die katholische Kirche („Synodaler Weg“, Zölibat etc.), so dass sie ihre entscheidende Aufgabe der Weltgestaltung beinahe vergessen. Diese Weltgestaltung wird in dem schönen biblischen Symbol „Reich Gottes“ ausgedrückt, als einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens. Darin liegt der Lebenssinn für Menschen, die sich Christen nennen.

19.

Ich habe schon mehrfach Hinweise zum Thema “Die Auferstehung Jesu von Nazareth vernünftig verstehen” publiziert, etwa in einer Ra­dio­sen­dung für den RBB im April 2016, der TEXT: LINK

Ein etwas ausführlicher Essay (2021) zum Thema Ostern und die AuferstehungJesu: LINK

Und speziell ein Hinweis “Kant und die Auferstehung Jesu”: LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

„Verräterkind“: Ein Roman von Sorj Chalandon. Widerstand in Frankreich gegen ein autoritäres Regime.

Der Roman hat zwei „Protagonisten“: Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“ und einen Kollaborateur, den Vater des Autors.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Ein neuer Roman des französischen Autors und Journalisten Sorj Chalandon (geb.1952) mit dem Titel „Verräterkind“ (DTV, 2022, übersetzt von Brigitte Große): Über die Literaturkritik hinaus ist der Roman ein Anlass, weiter zu fragen. Was bedeutet die Kollaboration vieler Franzosen mit den Nazis? Warum sollte die Résistance in Deutschland (wieder) entdeckt werden? Wer unterstützte den „Schlächter von Lyon“, den SS-Mann und Gestapo-Chef Klaus Barbie, nach 1945? Und wie ist die Beziehung der Katholiken zu Pétain und der Résistance?

Teil 1: Hinweise zum Roman „Verräterkind“

1.
Der Roman spricht von Verbrechen der SS in Frankreich, besonders von den Untaten des Gestapo-Chefs Klaus Barbie in Lyon von Februar 1943 bis September 1944.
Im Mittelpunkt: Der Prozess gegen Barbie in Lyon im Jahr 1987.
Parallel dazu erzählt Sorj Chalandon von der Geschichte seines Vaters in der Zeit des Pétain – Regimes. Er war damals ein „salaud“, ein Dreckskerl, sagte der Großvater dem Enkel. Und dieser Typ, so will es der Autor, tritt dann im Roman als Beobachter des Barbie-Prozesses auf, während sein Sohn Sorj zugleich im Gerichts-Saal anwesend ist. Er berichtet als Journalist für die Pariser Tageszeitung „Libération“.
Sorj Chalandon muss gleichzeitig zwei unterschiedliche Prozesse verarbeiten: Den gegen Barbie und seinen privaten Prozess, den er nun gegen seinen Vater, den „Dreckskerl“, führen will. Er will ihm zeigen, dass er die Wahrheit über den „Verräter-Vater“ kennt.

2.
Der Roman ist unter dem Titel „Enfant de salaud“, also: „Kind eines gemeinen Kerls“, eines „Dreckskerls“, erschienen. Der französische Titel ist umfassender und deutlicher als „Verräterkind“. Der Vater des Autors hat sein Kind und die Mutter Jahre lang belogen, seine wahre Identität verschwiegen und riesige Lügenwelten, angeblich heldenhafter Taten, von sich selbst verbreitet. Die Realität ist: Er hat sich als Kollaborateur durchgeschlagen. Nach dem Ende des Pétain-Regimes wurde er angeklagt, verurteilt und zwei Jahre, von 1944 bis 1946, inhaftiert.
Erst im Jahr 2020 konnte Sorj Chalandon in die Strafakten seines Vater (Anklage: als Kollaborateur) einsehen, zwei Jahre später veröffentlichte er den Roman. Er lässt also seinen Vater mit diesem Wissen im Roman an dem Barbie-Prozess von 1987 teilnehmen.

3.
Diese kunstvolle Verbindung zweier unterschiedlicher Prozesse offenbart eine Gemeinsamkeit beider Täter: Weder Barbie noch sein Vater sind zum Bekenntnis der eigenen Schuld bereit und in der Lage. Beide sind seelisch erkaltete, moralisch „erstorbene“ Gestalten, selbst wenn die Bedeutung der Verbrechen Barbies sehr viel grausamer sind als die Lügen des Vaters.
Barbie ließ 44 jüdische Waisenkinder in Izieu deportieren, er gab sie dem sicheren Tod im KZ preis. Barbie war auch für die Folterung und Ermordung von Mitgliedern der Résistance, auch für den Tod des vorbildlichen Jean Moulin verantwortlich. „Barbie folterte mit Schneidbrennern, glühenden Schürhaken, Elektroschocks, kochendem Wasser und einer ganzen Sammlung an Peitschen, Werkzeugen und Knüppeln, die bei Verhören vor ihm auf dem Schreibtisch lagen“, berichtet wikipedia im Beitrag „Klaus Barbie“.

4.
„Dass der Barbie-Prozess überhaupt stattfand, ist in Frankreich schon als Erfolg und als Sieg über die Partei des Vergessens gewertet worden; nicht ganz ohne Grund, denn in den vier Jahren vor dem Prozess war vor einer öffentlichen Abrechnung mit der Vergangenheit gewarnt worden, die alte Wunden aufreißen und die Einheit der Nation gefährden könne“, schreibt der Journalist Lothar Baier, ein Spezialist für französische Politik, in seinem Buch „Firma Frankreich. Eine „Betriebs-Besichtigung“ (Berlin,1988, Seite 98 f.). Barbie wurde 1987 zu lebenslänglicher Haft verurteilt, er starb 1991 im Alter von 77 Jahren im Lyoner Gefängnis an Krebs. Er war wegen „Verbrechen gegen die Menschheit“ zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.

Zweiter Teil: Weiterführende Hinweise zur Politik und zu den Kirchen

5.
Barbie, 1913 in Bad Godesberg geboren, konnte sich gleich nach Kriegsende in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands niederlassen. Er wurde von den amerikanischen Behörden als Agent beschäftigt, als Mitarbeiter des CIC (Counter Intelligence Corps), gegen ein gutes Honorar suchte er angeblich untergetauchte Nazis.

6. Der Klerus hilft Klaus Barbie bei der Flucht
Im Jahr 1951 gelang Barbie die Flucht nach Bolivien, vor allem durch die großzügige Hilfe des katholischen Klerus. Bekannt ist diese Hilfsbereitschaft der Kirche für Nazi-„Größen“ als so genannte „Rattenlinie“, treffender wurde sie auch als „Klosterlinie“ bezeichnet, wegen der großzügigen Verstecks der flüchtenden Nazis in Klöstern, etwa in Südtirol: Führende Mitarbeiter der Kirche (allen voran der Österreicher Bischof Hudal, 1885-1963), halfen vom Vatikan aus Hunderten Tätern des Nazi-Regimes, etwa Adolf Eichmann oder Josef Mengele und eben auch Klaus Barbie.
Der Historiker Prof. Peter Hammerschmidt hat sich in seiner Dissertation (von 2013) auch ausführlich mit der Barbie-Flucht mit Hilfe des Klerus befasst. Hammerschmidt erwähnt die geradezu „vorzügliche“ Hilfsbereitschaft des aus Bosnien-Herzegowina stammenden Franziskaner-Paters Krunoslav Draganovovic (1903-1983) für Barbie und seine Familie in Genua: „Verunsichert, aber dennoch optimistisch betrat die Familie Barbie am 12. März 1951 italienischen Boden und wurde in Genua von Pater Krunoslav Draganovic empfangen: In seinen Memoiren schreibt Barbie: Ich schaute mich nach einem Geistlichen um und sah ihn nicht weit von uns entfernt stehen. Er kam auf uns zu, nannte mich beim Namen und zeigte mir ein Passfoto von mir, das er in der Hand versteckt hielt.“
Draganovic organisierte für die Familie „Altmann“ (dies war der neue Name Barbies) zwei entscheidende Dokumente: Ein bolivianisches Einreisevisum und eine Reiseerlaubnis des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Am 16. März begleitete der Priester die Neuankömmlinge zum bolivianischen Konsulat in Genua, wo Klaus Barbie die Anträge mit seinen neuen biographischen Daten ausfüllte…Barbie zeigte sich noch in seinen Memoiren tief beeindruckt von Draganovics Organisationstalent und seiner Hilfe bei der Beschaffung der begehrten Dokumente…„Draganovic bewerkstelligte diese Angelegenheit mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die ich bis heute noch bewundere. Alle Türen zu den Behörden standen ihm offen“, so Barbie in seinen Memoiren (S. 245 in Hammerschmidts genannten Buch). (Quelle:  LINK )

7. Barbie – der BND Mitarbeiter
In Bolivien war Barbie enger Mitarbeiter des Diktators Banzer, er war viele Jahren dort zuständig für Techniken der Unterdrückung und Folter, aber auch für Waffenhandel und Drogenschmuggel.1966 arbeitete er von dort aus sogar einige Monate für den Bundesnachrichtendienst BND, unter seinem Namen „Klaus Altmann“… “Dass Barbie überdies gute persönliche Kontakte in Westdeutschland hatte, ist erst 2011 bekannt geworden“, so Peter Hammerschmidt. „Dieses Aktenmaterial legt die Vermutung nahe, dass Barbie bei seinen Reisen, die nachweislich bis 1980 in die Bundesrepublik durchgeführt wurden, eben auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz protegiert wurde, zu einem Zeitpunkt, als Barbie identifiziert war, und – so zeigt das Aktenmaterial – offenbar hat Barbie in Deutschland auch neofaschistische Organisationen aufgebaut und hat eben dort auch Waffendeals abgewickelt.“ (Quelle: LINK )

Barbie wurde in Bolivien, auch aufgrund der Recherchen des Ehepaars Klarsfeld, entdeckt und, nun unter demokratischen Verhältnissen in Bolivien, 1983 nach Lyon ausgeliefert…

8. Die Organisation „Die stille Hilfe“ (der Nazis) in der BRD

Nach 1945 sammelten sich in der BRD Nazi-Freunde in einem Verein, um ihre geliebten Nazi-Verbrecher zu schützen und zu stützen. Sie nannten ihren Verein „Stille Hilfe“. Zu den „Betreuten“ der „Hilfe“ gehörte auch Klaus Barbie. In ihrem zweiten Rundbrief aus dem Jahr 1991 meinten die „Stillen Helfer“ , Barbie habe „im Kriege seinen Dienst für die deutschen Besatzungsaufgaben getan“.(Quelle: DER RECHTE RAND, Nr. 15 vom  Januar / Februar 1992, S. 3 ff.).
Die Gründung der „Stillen Hilfe“ fand 1949 in München statt, im Haus der Erzbischöflichen Ordinariates München mit Weihbischof Neuhäusler unter dem Titel »Komitee für kirchliche Gefangenenhilfe«, aus dem dann 1951 die „Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte e.V“ hervorging, gegründet von Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg. Neuhäuslers Rechtsberater und Geschäftsführer des Komitees, Rudolf Aschenauer, vertrat vor Gericht Kriegsverbrecher und war im rechtsextremen Milieu aktiv..
Präsidentin des Nazi-Vereins „Stille Hilfe“ war Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg (* 6. April 1900 in Darmstadt als Gräfin von Korff genannt Schmising-Kerssenbrock; † 24. Januar 1974 in Heiligenhaus)
Sie hatte am 30. April 1930 Wilhelm Prinz von Isenburg und Büdingen (1903–1956) geheiratet, der 1937 Professor für Sippen- und Familienforschung in München wurde und die Rassenideologien des NS Regimes vertrat. Sie selbst wurde von der Hitler Partei als „politisch zuverlässig“ eingestuft.
Auch hohe protestantische Geistliche (wie Bischof Theophil Wurm, 1888-1953) gehörten zur „Stillen Hilfe“, aber der hohe katholische Klerus ließ sich seine Hilfsbereitschaft für Nazis nicht nehmen: Im Jahr 1955 wurde der Kölner Weihbischof Wilhelm Cleven (1893-1983) ins Präsidium der „Stillen Hilfe“ berufen.
Der Nazis fördernde Verein wurde als „gemeinnützig“ anerkannt: „Bis 1993 war der Verein, der in dieser Zeit 27 Mitglieder und ein paar Hundert Spender zählte, als gemeinnützig anerkannt. Der Verfassungsschutz stufte ihn als “harmlos” ein. Nach außen sprach Gudrun Burwitz (die Tochter Heinrich Himmlers) nicht darüber: Sie helfe, wo sie könne, sagte sie 1998 der “Times”. Mehr gab sie nie preis, SPIEGEL am 29.6.2018 (Quelle: LINK

9. Die Résistance:
Unter den vielen Aspekten der Résistance wird hier an das in Deutschland weithin unbekannte, vorbildliche Engagement der Bewohner der kleinen Stadt Cambon-sur-Lignon (Département Haute Loire, Auvergne) erinnert.

In Chambon-sur-Lignon (2.400 Einwohner heute) leben vor allem Protestanten, die sich in der entlegenen Gegend vor der Verfolgung durch das katholische Königreich zeitweise schützen konnten. Die Bewohner dieser „protestantischen Insel“ in Frankreich haben den Geist des Widerstandes bewahrt … und während des Pétain-Regimes Juden geholfen, die der Willkür der deutschen Besatzer und der Kollaboration der Franzosen hilflos ausgesetzt waren. Die Protestanten dort haben in ihren Häusern und Wohnungen ingesamt 5.000 Juden versteckt, eine unglaubliche Leistung in dieser Zeit. Es waren vor allem die protestantischen Pastoren André Tocmé und Edouard Theis, die zu dieser Hilfsbereitschaft aufriefen. Sie erinnerten an die Verfolgungen, die die Vorfahren im 18. Jahrhundert unter den katholischen Herrschern erlebt hatten: Und diese Erinnerung war mehr als eine rein geistige, spirituelle Idylle. Die Bürger von Chambon-sur-Lignon begleiteten unter großen Gefahren Juden bis zur Schweizer Grenze, auf Wegen, die ihre Vorfahren im 18.Jahrhundert schon gehen mussten.
1990 hat der Staat Israel die damaligen Bewohner des Stadt Chambon-sur-Lignon und die benachbarten Dörfer als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Diese „kollektive Ehrung“mit dem herausragenden Titel „Gerechte unter den Völkern“ ist einmalig… 2007 wurden diese ungewöhnlichen Menschen auch vom französischen Staat durch eine Zeremonie im Pariser Pantheon geehrt. Einer der Juden, der dort im Versteck überleben konnte, Erich Schwam hat dem Dorf eine Erbschaft von 3 Millionen Euro hinterlassen. Damit will er helfen, dass die Kinder des Städtchens eine gute Zukunft haben…. Jerome Lévy hat über Erich Schwam einen Dokumentarfilm realisiert. LINK

Nebenbei: Auch Albert Camus hatte enge Verbindungen zu dieser kleinen Stadt: Er lebte seit 1942 öfter dort, um zu schreiben und der guten Luft wegen, um seine Tuberkulose zu heilen. Und er erfuhr wohl von der Hilfsbereitschaft der Menschen dort. Die Geschichte seines Romans „Die Pest“ verdankt sich vielen Eindrücken dort, dem Ort des Widerstandes.. (Siehe das Stichwort Chambon-sur-Lignon in: „Dictionnaire Albert Camus“, ed. Laffont, Paris 2009, S. 127f.)
Informationen zu Chambon-sur-Lignon:LINK  

10. Die katholische Kirche im Pétain-Regime und die katholische Résistance.

Die Verehrung der Katholiken für Pétain, besonders in den ersten Jahren des Regimes, war sehr umfassend. Die meisten Bischöfe waren froh, dass Pétain eine „révolution nationale“ repräsentierte, in einem autoritären Staat, das den Namen Republik oder Demokratie nicht mehr beanspruchte. Die von Katholiken so sehr gefürchtete Dominanz der Freimauer, Sozialisten und „Laizisten“ war mit Pétain überwunden. Dass er und seine Minister mit Hitler sehr eng verbunden waren, wurde in Kauf genommen. Pétain gewährte den katholischen Schulen endlich wieder alle finanziellen Vorteile; Kreuze schmückte die öffentlichen Räume, das autoritäre Motto „Arbeit, Familie, Vaterland“wurde als Inbegriff des Christlichen interpretiert. Die meisten Bischöfe schwiegen, als Juden deportiert wurden. „Wegen eines unmittelbaren und letztlich nebensächlichen Vorteils für die Kirche opferten die Bischöfe die Proklamation der wichtigsten Prinzipen des Christentums, der menschlichen nämlich“, so die Historiker Francois und Renée Bédarida, zit. in Christian Modehn,“ Religion in Frankreich“, Gütersloh 1993, s. 83). Einige katholische Priester und Laien waren auch in der Résistance aktiv, aber vergleichen mit der kommunistischen Résistance waren es doch kleine Gruppen. Es ist bezeichnend, dass General de Gaulle die Befreiung Frankreichs in der Pariser Kathedrale Notre Dame ohne die Anwesenheit des politisch belasteten Kardinals Suchard feiern wollte. Neun Bischöfe wurden im Rahmen der „Reinigung“ aus ihren Ämtern entfernt, de Gaulle hatte eine viel umfassendere Befreiung von bischöflichen Pétain- Sympathisanten verlangt. Aber, vom Vatikan unterstützt, setzte sich in der Kirchenführung der Wille durch, das Schweigen der Bischöfe und die hohe Anzahl der Priester als Kollaborateure für die Zukunft zu ignorieren. „Die Kirche versuchte nicht, ihre eigene Vergangenheit anzunehmen und mit Mut ihre Verfehlungen anzuerkennen. Staat dessen hat sie es vorgezogen, Winkelzüge zu machen und zu spintisieren und tausend Rechtfertigungen zu finden“ (F. Und R. Bedarda, a.a.O, s 84).

11. Der Chef der Milice in Lyon, Paul Touvier, findet Zuflucht in Klöstern, bloß weil er „so katholisch erschien“…

Paul Touvier war 1943-1944 Chef der (mit dem Vichy-Regime Pétains kollaborierenden) Milice in Lyon. Er hat dort systematisch Juden verfolgt und Mitglieder der Résistance. „Der Judenmord war ihm ein persönliches Anliegen“, betonen Historiker übereinstimmend. Schon am 10.9. 1946 wurde er in Lyon – in Abwesenheit – zum Tode verurteilt.
Der Fall Touvier ist etwas Besonderes: Der katholische Miliz-Chef konnte sich viele Jahre, bis zum 24.Mai 1989, den Gerichten entziehen, weil er auf die Hilfe von Klerikern zählen konnte und in verschiedenen französischen Klöstern der offiziellen katholischen Kirche Zuflucht und Unterkunft fand. Von der Polizei entdeckt wurde er in Nizza, im dortigen Priorat der traditionalistischen Pius-Bruderschaft, der Gemeinschaft des schismatischen Erzbischofs Marcel Lefèbvre.
Paul Touvier wurde 1915 geboren, er wuchs in einer streng-katholischen Familie auf. Wie sehr viele französische Katholiken zu der Zeit lehnte er die republikanischen, „laizistisch“ genannten Werte Frankreichs ab zugunsten des autoritären, nazifreundlichen Pétain-Regimes.
Als 1966 das Todesurteil verjährte (nach 20 Jahren, so war das damals in Frankreich üblich), setzte sich Erzbischof Villot von Lyon für Touvuier ein, 1971 wurde Touvier sogar von Staatspräsident Pompidou begnadigt. Dies löste weite Empörung aus, zumal bekannt war, dass Touvier „das meiste des von ihm beanspruchten Vermögens tatsächlich von deportierten Juden geraubt hatte.“ (Quelle: wikipedia, Paul Touvier).
Ein weites Netzwerk aus Klerus und Klöstern unterstützte Touvier auf seiner Flucht vor der Justiz weiterhin. Vor allem das Hauptkloster der Kartäuser „La Grande Chartreuse“ muss erwähnt werden, das mit dem flüchtenden Touvier „enge und ausdauernde Verbindungen“ unterhielt (zit. in „Paul Touvier et l église“, Ed. Fayard, 1992, S. 136): Ähnliche enge Verbindungen gab es mit dem Benediktinerkloster Hautecombe und dem Trappistenkloster Tamié. Touvier verbreitete bei seinen, manchmal sogar ahnungslosen Gastgebern diese Lüge, unschuldig zu sein, er habe nur der legitimen Macht gedient und dabei versucht, das Schlimmste von einen Mitbürgern abzuwehren.
Um 1957 fand Touvier entschieden Hilfe von Monsignore Charles Duquaire, dem Sekretär des Lyoner Kardinals Gerlier. „Monsignore Duquaire hat im wahrsten Sinne Paul Touvier und seine Familie adoptiert. Er hat sich in dessen Dienst gestellt, er wurde sein Beschützer, sein Stratege. Die vielen Unternehmungen Duquaires zwischen 1959 und 1973 waren nicht nur seine Hauptsorge, sondern seine wichtigste Aktivität. Duquaire, 1907 geboren, hat als Priester in Rom Kirchenrecht studiert und wurde in dem Fach promoviert. Seit 1950 arbeitete er als Sekretär von Kardinal Gerlier, 1956 wurde er Prälat seiner Heiligkeit, des Papstes. „Die Verteidigung Touviers wurde in gewisser Weise Duquaires zweite Berufung“ (S. 159). In dem Buch „Paul Touvier et l église“ wird Duquaire eine „komplexe Persönlichkeit genannt (S. 161), er fühlte sich allen Ausgegrenzten gegenüber als der „barmherzige Samariter“. So ist für ihn der Paul Touvier „ein Opfer der Ungerechtigkeit“. Und das sagte Duquaire im Wissen, dass die Milice, die Touvier leitete, „einen widerwärtigen Charakter hatte.“ (S.162).
1994 wurde Touvier wegen Verbrechen gegen die Menschheit zu lebenslanger Haft verurteilt, er starb an Krebs 1996 im Gefängnis Fresnes.
In der traditionalistischen Haupt-Kirche St.Nicolas du Chardonnet (Paris) wurde ein Requiem für Paul Touvier gefeiert. Auch das ist bezeichnet für die rechtsextremen Sympathien der Pius-Bruderschaft in Frankreich.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

………..

Die Bestattung und das Requiem der Traditionalisten und ihrer reaktionären Freunde zugunsten des Milice-Chefs Paul Touvier, ein Bericht der Tageszeitung „Liberation“, Paris, 26. Juli 1996. Als Beispiel für die unglaubliche Präsenz reaktionärer rechtsextremer Gruppen in Frankreich.

„Requiem pétainiste pour Touvier. Messe intégriste à Paris et inhumation à Fresnes pour l’ancien milicien“.
par Renaud DELY et Jean HATZFELD
publié le 26 juillet 1996 à 7h48   LINK

Quelle: https://www.liberation.fr/france-archive/1996/07/26/requiem-petainiste-pour-touvier-messe-integriste-a-paris-et-inhumation-a-fresnes-pour-l-ancien-milic_176198/)

Die Affaire Moro: Leonardo Sciascias Roman in neuer Übersetzung.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 14.3. 2023.

1.
Aldo Moro: Er war einer der bedeutenden Politiker Italiens: 1945 wurde er im Alter von 29 Jahren Mitglied der „Democrazia Cristiana“ (DC), und seitdem machte er große Karriere, er hatte viele maßgebliche Positionen in der DC Regierung und der Partei inne, zuletzt war er deren Parteichef.

2.
Am 16. März 1978 wurde Aldo Moro von den „Roten Brigaden“ in Rom entführt, fünf seiner „Wächter“ wurden sofort erschossen. 55 Tage verbrachte er im „Volksgefängnis“ der Roten Brigaden. Am 9. Mai 1978 wird Aldo Moro tot in einem Auto im Zentrum Roms aufgefunden, in der Nähe der Parteizentralen seiner DC und der Kommunistischen Partei: Beide Parteien sollten sich, so das neue, gewagte politische Projekt Moros in diesen Tagen, weiter politisch annähern und sogar kooperieren. Aber aufgrund der Entführung Moros und seiner Erschießung kam dieses Projekt, der „historische Kompromiss” der DC mit der kommunistischen Partei (Parteichef Berlinguer), nie zustande. Eine Kooperation von Christdemokraten, d.h. letztlich von Katholiken in Abhängigkeit vom Vatikan, und Reformkommunisten, passte den herrschenden konservativen Katholiken gar nicht. Und die extremste Linke, die Roten Brigaden, fürchteten um ihre so genannte proletarische Revolution, bei so viel Kooperation mit den Bürgerlichen. Aber im Vorhaben Moros und Berlinguers hätten die Chancen bestanden, dass zwei große Parteien Italien als eine Demokratie neu gestalten, die den Namen verdient.

3.
Die 55 Tage Moros als Geisel im Gefängnis der “Roten Brigaden“ hat der nicht nur in Italien hoch geschätzte Autor, Mafia-Spezialist und (linke) Politiker Leonardo Sciascia (1921-1989) in einer Art „dokumentarischem Roman“ untersucht. Das Buch erschien 1978, der Autor bezeichnete es als sein wichtiges, zentrales Werk. Es konzentriert sich auf eine tiefe Analyse einiger Briefe, die Moro aus seinem Gefängnis an Politiker seiner Partei wie an seine Familie schreiben konnte. Vor kurzem hat die Edition Converso eine neue Übersetzung dieses Buches von Sciascia veröffentlicht, aus dem Italienischen übersetzt von Monika Lustig, die schon zahlreiche italienische Autoren ins Deutsche übertragen hat.

4.
Sciascia Analysen zur sprachlichen Gestalt der Briefe Moros verdienen viel Aufmerksamkeit, er analysiert die Andeutungen Moros, die Implikationen seiner Forderungen, seiner Ängste.
Sciascias dokumentarischer Roman gehört nicht in die Reihe der zahlreichen „Moro-Enthüllungsbücher“. Der Text will in aufmerksamen Analysen zeigen, wie der von Terroristen gefangene Aldo Moro gerade im Schreiben seiner (insgesamt mindestens 30) Briefe seine Würde bewahrt, gegen die Sturheit seiner ehemaligen Parteifreunde in staatlicher Verantwortung ankämpft: Sie sind entschlossen, den einzelnen, den hilflosen Menschen zu opfern. Sie wollen in dieser Radikalität die Stärke des italienischen Staates gegenüber den Terroristen beweisen. Die Polizei bleibt untätig. So ist der einzelne Mensch hilflos der Staatsräson ausgeliefert: Das ist das Thema Sciascias.  Er will dem ermordeten Moro seine menschliche Würde zurückgeben, wie Fabi Stassi im Nachwort schreibt (S. 211).

5.
Je mehr Sciascia sich in die Briefe Moros vertieft, um so sichtbarer wird seine Nähe, wenn nicht Sympathie für den führenden Politier der Democrazia Cristiana, einer Partei, der Sciascia eigentlich mit heftigster Kritik gegenüberstand. Er spricht im Blick auf allerlei Machenschaften der DC von einem „christdemokratischen Regime“ (10) oder von einer „christdemokratischen Mafia“ (16). Aber Moro wird dann doch für Sciascia „zu einem der Allernächsten“ (211). Jenseits aller Staatsräson sieht der Autor den einzelnen, das Opfer der Terroristen, und vor allem: den offiziell von Politikern zwar bemitleideten, de facto aber von ihnen längst dem Tode preisgegebenen, hilflosen Menschen. Seine Parteifreunde (auch Kirchenführer) sind so dreist, und erklären Moro im Laufe der Gefangenschaft für geistig verwirrt, „anders, befremdlich geworden“, nur weil er dringend darum bittet, vor dem Erschießen bewahrt zu werden: Indem nämlich endlich die Politiker in Verhandlungen treten mit den Entführern und Moro freikaufen im Austausch mit den gefangenen „Genossen“. Die Rettung unschuldigen Lebens ist für Moro als Christen das höchste Gut. Die Bindung Moros an Grundsätze christlicher Ethik und damit auch seine tiefe Bindung an die katholische Kirche werden von Sciascia eher am Rande erwähnt: Sein Freund, Papst Paul VI. setzt sich für Moros Rettung öffentlich ein. Aber er fordert schlicht und einfach nur die Freilassung des politischen Freundes, diese allgemeine Forderung, ohne Gegenleistung des Staates, können die Rote Brigaden gar nicht erfüllen. Insofern steht also auch der Papst auf der Seite der offiziellen Staatsräson. Und seine päpstliche Zeitung, der Osservatore Romano, letztlich auch. Diese geringe Hilfsbereitschaft der Kirche(nführer) muss den sehr frommen Katholiken Aldo Moro besonders hart getroffen haben. 1973 war er in den so genannten “Dritten Orden” der Dominikaner als Laienmitglied eingetreten (siehe die Zeitschrift “Wort und Antwort”, 2013, ein Beitrag von Alessandro Cortesi OP, LINK).

6.
So weiß Moro kurz vor seinem Tod, dass der italienische Staat, in seinem “Staatskult” (S. 63) Härte und angeblich Würde zeigend, ihn, den Hilflosen zum Tode verurteilt. Er wird also hingerichtet. Direkt berührend ist der Abschiedsbrief an seine Frau (144 f.) Darin distanziert er sich erneut „verbittert“ (146) von seiner Partei. „Welches Böse kann aus diesem Bösen (d.h. seinem zugelassenen Tod) entstehen?, fragt Moro (147). In seiner zugelassenen Hinrichtung, ohne jede Verhandlungsbereitschaft mit den Entführern, sieht Moro ein „Staatsmassaker“ (146). Er hat ausdrücklich gefordert, dass bei seiner Totenfeier und Bestattung kein Vertreter der Partei, des Staates, dabei sein darf. Am 10. Mai 1978 schon wurde Moro in engstem Familienkreis im Städtchen Turrrita Tiberina beigesetzt. Eine Totenmesse ohne Leiche fand dann am 13. Mai 1978 in der Basilica San Giovanni im Lateran statt, Papst Paul VI.hielt die Predigt.

7.
Warum ist das Thema „Mord an Aldo Moro“ heute so wichtig: Weil die Hinrichtung Moros weite und breite Wirkungen zeigt. Die DC ist verschwunden, als starke Kraft zeigte sich dann die Eventpartei des Medien-Herrschers und Aufschneiders Berlusconi, jetzt ist eine neofaschistisch geprägte Ministerpräsidentin an der Macht mit sehr rechten Koalitionspartnern. “Treten die schlimmsten Befürchtungen ein, so wäre der politische Mord an Aldo Moro auf lange Sicht auch ein Mord an der Politik“, schreibt der Historiker Michael Sommer in dem Buch „Politische Morde. Vom Altertum zur Gegenwart“, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, im Jahr 2005, dort S. 238. Und der Autor Fabio Stassi sagt im Nachwort zu Sciascias Buch: Die Literatur, auch die Darstellung und Interpretation von Aldo Moros Leiden,  sei “ein beharrlicher Protest gegen das Verschwinden der Vernunft” (S. 207).

Leonardo Sciascia, „Die Affaire Moro. Ein Roman“. Übersetzt von Monika Lustig. Sie hat auch ein kurzes Nachwort geschrieben: „Von der Pflicht, die Affaire Moro zu übersetzen“. Mit einem Nachwort von Fabio Stassi. Und einer Zeittafel.
 Edition Converso, Karlsruhe, 236 Seiten, 2022, 24€.

Am 15.3. 2023 um 21.55 und am 16.3.2023 um 22.30 sendet ARTE den FILM “Und draußen die Nacht” über Aldo Moro, auch in der Mediathek. LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Papst Johannes Paul II.: In Krakau, schon als Erzbischof, ignorierte er den Missbrauch im Klerus. Als Papst war er mit dem Täter P. Maciel befreundet.

Es gibt keine (klerikalen) Vorbilder: Der 2. Teil.   Der 1. Teil weist auf Kardinal Karl Lehmann, Mainz, hin.

Von Christian Modehn am 10.3.2023

Die katholische Journalistin Christine Pedotti (Paris) schreibt in der Wochenzeitung “Témoignage Chrétien” (16.3.2023): “Man müsste nun im Kirchenrecht die Kategorie der Rückgängigmachung der Heilig-Sprechung festlegen”.  Konkret meint sie:  Johannes Paul II. dürfte eigentlich nicht länger als “Heiliger” verehrt werden.

Er wurde als Papst wie ein Heiliger verehrt: PAPST JOHANNES PAUL II. (geb. 1920, als Papst gestorben 2005). Sofort nach seinem Tod forderten sehr viele Fromme, “santo subito”, er sollte sofort heilig gesprochen werden. Und das taten seine Nachfolger dann auch: Seit 2013 dürfen alle Katholiken den heiligen Papst Johannes Paul II. im Himmel um Fürsprache bei Gott anflehen. Zahlreiche, zum Teil monumentale Statuen und Denkmäler wurden vor allem in Polen zu Ehren des polnischen heiligen Helden und Papstes errrichtet.

Aber auch gegen ihn werden nun begründete Vorwürfe laut: Karol Wojtyla soll als Erzbischof von Krakau sexuellen Missbrauch von Priestern in “seinem” Erzbistum vertuscht haben. Das Motto heißt also immer wieder: Der Klerus schützt zuallererst den Klerus. Nicht die Opfer.

In Polen, dem Land des in die Kritik geratenen Papstes, werden diese Erkenntnisse wie erwartet zurückgewiesen.

Einige Zitate aus einer aktuellen Meldung des Bayerischen Rundfunks vom 6.3.2023:

Johannes Paul II. soll Missbrauch vertuscht haben
Der spätere Papst Johannes Paul II. soll ihm unterstellte Missbrauchstäter in Polen gedeckt haben. Das berichtet ein polnischer Investigativjournalist. Bereits zuvor hatte es ähnliche Vorwürfe gegeben, die aber in Polen zurückgewiesen wurden.
Von der Redaktion des Bayer. Rundfunks „Religion und Orientierung“. Am 6.3.2023.

Der verstorbene Papst Johannes Paul II. soll einem polnischen Medienbericht zufolge vor seiner Papstwahl Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche Polens vertuscht haben. In seiner Zeit als Kardinal und Bischof von Krakau habe Karol Wojtyla von Pädophilie-Fällen gewusst, berichtete der Privatsender TVN am Sonntag unter Berufung auf Recherchen des Journalisten Marcin Gutowski.

Bericht: Karol Wojtyla war über Missbrauchstäter informiert
Dem Bericht zufolge soll Wojtyla Priester seiner Diözese, über deren Taten er informiert war, in andere Gemeinden versetzt haben, um Skandale zu vermeiden. Einer der Priester wurde demnach von dem späteren Papst nach Österreich geschickt. Kardinal Wojtyla habe für ihn ein Empfehlungsschreiben an den Wiener Kardinal Franz König geschrieben, ohne ihn über die Vorwürfe gegen den Priester zu informieren.
Bereits Anfang Dezember 2022 erhob der niederländische Journalist Ekke Overbeek in einem Enthüllungsbuch schwere Vorwürfe gegen den früheren Papst und Vorgänger von Benedikt XVI. In Dokumenten hätte Overbeek Informationen zu konkreten Fällen gefunden, in denen Wojtyla wissentlich Missbrauchspriester in andere Bistümer versetzt habe.
Polnische Medien wiesen Vorwürfe gegen Papst Johannes Paul II. 2022 zurück
Polnische Medien gelangten damals zu einer anderen Einschätzung über die Rolle des späteren Papstes in seiner Zeit als Erzbischof. Kardinal Wojtyla sei “nach Aktenlage entschieden gegen einen Priester vorgegangen, der mehrere Kinder sexuell missbraucht hat”, schrieb die Zeitung “Rzeczpospolita”. Als Beispiel wird ein Fall genannt, in dem Wojtyla schnell und wachsam reagiert habe.
Der polnische Investigativjournalist Gutowski sprach nun für seine Recherchen mit Opfern pädophiler Priester, deren Angehörigen und ehemaligen Angestellten der Diözese. Er stützte sich auch auf Dokumente der ehemaligen kommunistischen Geheimpolizei SB und Dokumente der Kirche. Bereits vor zwei Jahren habe er die ersten Hinweise bekommen, dass Wojtyla vom sexuellen Missbrauch der ihm unterstellten Pfarrer gewusst und sie gedeckt haben soll, sagte Gutowski gegenüber TVN24. Die Diözese Krakau habe ihm allerdings den Zugang zu ihren Archiven verweigert, sagte der Journalist.

Katholische Kirche verweigerte Herausgabe von Dokumenten
Die katholische Kirche in Polen hatte sich bereits in der Vergangenheit geweigert, Dokumente herauszugeben – selbst an die Justiz oder an eine öffentliche Kommission, die Missbrauchsfälle untersuchte. Ein Zeuge, der anonym bleiben wollte, bestätigte, er habe Kardinal Wojtyla persönlich von pädophilen Handlungen eines Priesters im Jahr 1973 berichtet. “Wojtyla wollte zuerst sichergehen, dass es sich nicht um Bluff handelt”, sagte der Zeuge. “Er sagte, er würde sich darum kümmern und bat, es nirgendwo zu melden.”

Thomas Doyle, ein ehemaliger katholischer Priester aus den USA, nannte die Enthüllungen des Journalisten “revolutionär” Sie zeigten, “was viele Menschen schon seit Jahren vermutet haben: Dass Johannes Paul II. von diesem Problem wusste, bevor er Papst wurde”, sagte der Experte für Kirchenrecht, der als einer der Ersten über Missbrauchsfälle durch katholische Geistliche in den USA berichtet hatte. (Quelle: Mit Informationen von AFP und KNA, BR)

Ergänzung am 16.3.2023 von Christian Modehn:

Wir werden zurecht von einigen LeserInnen daran erinnert: Auch als Papst hat Karol Wojtyla sexuellen Missbrauch durch Priester ignoriert. Mit dem bekannten Täter Pater Marcial Maciel , Gründer und Chef (“Generaldirektor”) des Ordens der Legionäre Christi, war Johannes Paul II. eng verbunden, wenn nicht befreundet.  Dieser  vielfache Täter sexuellen Missbrauchs, an Seminaristen, aber auch an den eigenen Söhnen, Pater Marcial Maciel, war den vatikanischen Behörden spätetstens seit 1970 “einschlägig” bekannt. Diese Tatsache war dem ja sonst sehr aufmerksamen Papst Johannes Paul II. sicher nicht unbekannt. Aber er ignorierte diese Tatsache, weil er diesen Orden und seine vielen jungen Priester angesichts des Priestermangels einfach für seine klerikalen Ambitionen (“Neuevangelisierung” etc.) “brauchte”.

“Der Klerus zuerst” war also offenbar das Leitprinzip des Papstes. Verheimlichen, vertuschen, mit den Tätern befreundet sein, das war päpstliches Prinzip.

Pater Marcial Maciel erläutert in seinem Buch, mit dem, auf seine Petson bezogen, geradezu skandalösen Titel, “Christus ist mein Leben”, 2005, Edizioni ART, Roma, etwa S.180, ausführlich die enge Vertrautheit zwischen ihm und  Papst Johannes Paul II… Den Chef der Legionäre Christi erlaubte sich dann Papst Benedikt XVI., nach dem Tod des polnischen Papstes, einen Verbrecher zu nennen.

Johannes Paul II. hatte den Chef der Legionäre Christi ausersehen, ihn auf den Papstreisen nach Mexiko zu begleiten, der Legionär war auf päpstlichen Wunsch hin Teilnehmer an lateinamerikanischen Bischofskonferenzen und an römischen Bischofssynoden. Der Generaldirektor der Legionäre Maciel schreibt in dem genannten Buch: “Bei anderen Gelegenheiten wurde mir die Gnade zuteil, mit dem Heiligen Vater im Apostolischen Palast zu Mittag oder zu Abend zu essen…Der Heilige Vater brachte den Legionären Christi und unserer Laienorganisation Regnum Christi stets vorbehaltlose Unterstützung (sic) entgegen” (S- 180). Und der Ober-Legionär erinnert sich an die vielen gemeinsamen Gottesdienste und Empfänge für ihn und die Seinen in wunderbarer Herzlichkeit und Vertrautheit mit dem “Heiligen” Vater… Infos zu den Legionären Christi und deren Generaldirektor Pater Marcial Maciel.

 

Copyright:BR und Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Es gibt keine Vorbilder mehr. Kardinal Karl Lehmann (Mainz) wird ein Heiligenschein genommen. 1. Teil.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 8.3.2023.  Siehe auch den Hinweis auf Papst Johannes Paul II. LINK

Der Anlass dieses philosophischen Hinweises zum Thema Vorbilder:

Nun distanzieren sie sich offiziell von ihrem zuvor hoch verehrten, vorbildlichen Mainzer Bischof (dort von 1983-2016) und Kardinal Prof.Dr. theol. und phil. Karl Lehmann: Der heutige Bischof von Mainz Peter Kohlgraf sagte am 8.3.2023:
Lehmanns fehlende Verantwortungsübernahme habe sexuellen Missbauch begünstigt. Lehmann, der “ein menschenfreundliches Gesicht gezeigt” habe, der habe in der Begegnung mit Betroffenen sexualisierter Gewalt “unglaubliche Härte und Abweisung” an den Tag gelegt. Zugleich kritisierte Kohlgraf Gemeinden, die bis heute Priester auf ein Podest gehoben haben, das sie unangreifbar macht“. (Quelle: https://www.domradio.de/artikel/mainz-waechst-die-distanz-zu-kardinal-lehmann)

1. Bischof und Kardinal Karl Lehmann – Lobeshymnen für einen “klaren Kopf”
Wer Verstand hatte, musste doch sehr schmunzeln, als am 16. Mai 2016 in der „Rheingold-Halle“ in Mainz (vom SWR übertragen) zu Ehren Kardinal Lehmanns eine pompöse Festveranstaltung stattfand. Es war wie ein Witz: Ein großer Chor auf der Bühne schmetterte ein selbst verfasstes Loblied auf seine Eminenz, es war fast zum Schunkeln: „Karl Kardinal Lehmann, wir danken dir“, und immer wieder: „Karl Kardinal Lehmann wir danken dir“. Und kaum jemand konnte sich sich vor Freude und Rührung bremsen bei dieser Fast-Heiligsprechung eines lebenden Klerikers. Das alles fand seinen festlichen Höhepunkt in dem genannten Lied, es wurde zu der populären Melodie Edward Elgars für den Song „Land of Hope and Glory“ gesungen. Die Lobeshymnen auf den Kardinal, auch von Politikern aller Couleur und einem katholischen Theologieprofessor, Thomas Söding (Bochum), waren fast ein kleiner Akt der Heiligsprechung. Söding sagte u.a.: „Erst lernen, dann lehren – das ist Ihre(Lehmanns) Devise: mit einem großen Herzen und einem klaren Kopf.“ (Quelle:https://bistummainz.de/organisation/ehemalige-mainzer-bischoefe/kardinal-lehmann/aktuell/nachrichten/nachricht/Unterwegs-auf-der-Suche-nach-Gott/)
Diese Huldigung Södings stimmt nicht mehr … spätestens seit März 2023.

Auf You tube ist der Song “Karl Kardinal Lehmann wir danken dir” (ab 1.2.00 49″ ) unter dem Titel “Geburtstagsfeier Kardinal Karl Lehmann”  noch zu “bewundern”, siehe: https://www.youtube.com/watch?v=ONdOT3RSo44   (gesehen am 8.3.2023)

Vom “Vorbild Kardinal Lehmann” sprach auch Bischof Fürst von Rottenburg-Stuttgart anläßlich des Todes von Karl Lehmann:  Als “glaubwürdiges Vorbild in Glauben und Leben” hat Bischof Gebhard Fürst den am Sonntag verstorbenen Mainzer Alt-Bischof, Kardinal Karl Lehmann, gewürdigt. Lehmann habe als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz unermüdlich unterschiedliche Positionen zusammengeführt und damit unschätzbare Beiträge zur Einheit der katholischen Kirche in Deutschland geleistet, erklärte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart. (11. März 2018, 10:13 Uhr. Süddeutsche Zeitung.

5 Jahre später musste die Süddeutsche Zeitung  (Seite 7, am 4/5. März 2023) diesen Titel zu Kardinal Lehmann durcken:” Abwehren, vortäuschen, rausreden”. “Die Missbrauchsstudie bescheinigt Kardinal Lehmann nun schwere Fehler.”

2. Bischof Lehmann schützte die Täter
Das Bistum Mainz ist nämlich jetzt alles andere als ein Land von „Hope and Glory“. Denn nicht nur Kardinal Lehmann, auch seine Vorgänger in Mainz, die Bischöfe Stöhr und Volk, sind nun des heftigen Versagens in der Aufklärung von sexuellem Missbrauch durch Priester im Erzbistum Mainz überführt worden, durch Rechtsanwalt Ulrich Weber in Mainz. „Laut Gutachten hätten bei Kardinal Karl Lehmann die Betroffenen von Missbrauch fast nie eine Rolle gespielt,“ heißt es in der wissenschaftlichen Studie zum sexuellen Missbrauch im Bistum Mainz, „und Kardinal Karl Lehmann wird ein Gegensatz zwischen seinem öffentlich-medialen Auftreten und seinem persönlichen Handeln attestiert. Betroffene spielten fast nie eine Rolle, vielmehr wurde darauf geachtet, das System katholische Kirche zu schützen.“ Dies berichtet übereinstimmend die Presse, unser Zitat: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/missbrauch-im-bistum-mainz-studie-wirft-bischoefen-schweres-versagen-vor.
„Die Mitarbeiter der Missbrauchs – Studie untersuchten 25.000 Seiten an Akten – und Archivmaterial und führten 246 persönliche, schriftliche oder telefonische Gespräche. Nach einer statistischen Analyse waren für den Zeitraum von 1945 bis 2019 zunächst 657 Betroffene und 392 Beschuldigte ausgemacht worden. Dann wurde genauer geprüft, wie sich der jeweilige Tatbestand genau darstellt und wie plausibel der Fall erscheint. Letztlich blieben für die weitere Untersuchung 401 Betroffene und 181 Beschuldigte übrig“. (Zeit-Online)

3.“Karl Kardinal Lehmann wir danken” – ein insgesamt peinlicher Song
Den Sängerinnen und Sängern der fast ins Blasphemische abrutschenden Hymne „Karl Kardinal Lehmann, wir danken dir“ haben sich gewaltig geirrt, wie so viele treue KatholikInnen waren sie zu sehr Klerus-ergeben und Klerus-treu, es waren doch die Hochwürden, die Herren Pfarrer, die Herren aus dem geistlichen Stand… Sie freuten sich über jedes progressiv erscheinende Wort ihres Kardinals Lehmann, das im Vatikan allerdings nie langfristig erfolgreich war. Aber allein die Tatsache des maßvollen und letztlich devoten Widerspruchs machte den Herrn Bischof und sehr späten Kardinal beliebt. Sie feierten ihn als Vorbild, denn sie brauchten vielleicht ein klerikales Vorbild: Aber das haben sie nun nicht mehr. Sie müssen nun selber denken.

4. Vorbilder und der Kult um Vorbilder
Uns interessiert hier vor allem die große Problematik des „Vorbildes“: In Zeiten, in denen sich die Menschen, auch die Gläubigen, nicht selbst durch eigene Vernunft und Überlegung orientieren können oder wollen, klammern sie sich an Autoritäten, etwa an einen Bischof, der ja wie im Falle Karl Lehmanns tatsächlich intellektuell so klug und gebildet war. Die Fußnoten zu seinen vielen Vorträgen waren kaum zu zählen. So konnte er auch mit seiner Belesenheit (Heideger, Rahner…) bei den anderen Bischöfen glänzen, deswegen war er ja viele Jahre Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz.
Es ist schon traurig, wie Menschen sich begeistern und irreführen lassen, und sich die Zeit noch nehmen, so dumme Songs wie „Karl Kardinal Lehmann, wir danken dir“ zu ersinnen. Wenn schon etliche Menschen„Objekte“ ihrer Verehrung brauchen, dann sollten diese nie offiziellen Autoritäten, nie Stars und Berühmtheiten sein, schon gar nicht katholische Kleriker. Bestenfalls kann eine Person in einer sehr begrenzten, bestimmten Hinsicht Vorbild sein. Kinder brauchen vielleicht Vorbilder, aber alle Erziehung legt wert darauf, dass älter werdende Kinder, Jugendliche, sich von der Bindung an die Vorbilder wieder lösen. Schrecklich für mich, wenn erwachsene Männer, wie Kinder, Fussball Stars „ihrer“ vergötterten Mannschaft, etwa Hertha BSC, verehren und jedes Tor jedes ihres Star noch herbeizitieren können. Eine geistig arme Fussball-Welt, würde ich sagen.
Vorbilder können, ethisch gesehen, immer nur vernünftige humane Werte sein, Freundschaft, Solidarität, Gerechtigkeit, denen es auf je eigene Art nachzustreben gilt. Und das ist mühevoller und verlangt mehr Nachdenken als die Verehrung eines Fussball-Clubs oder eines Bischofs.

5. Ein Hinweis auf Erich Fromm

Der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm (1900 – 1980) hat sich mit der Bindung an Vorbilder in seinen Studien zur „analytischen Sozialphilosophie“ auseinandergesetzt. Erich Fromms Erkenntnisse gelten auch für die „Vorbild-Bindungen“ frommer katholischer Laien an „ihre Pfarrer“, die sie oft noch „Hochwürden“ nennen oder Exzellenzen und Eminenzen oder, auch das noch,„heiligen Vater“: Tatsächlich werden prinzipiell alle Priester, vor allem in der romanischen Sprachwelt, mit dem problematischen Titel „Pater“, Père, Padre, in England auch Father genannt. Zölibatäre Kleriker sollen also als die „wahren Väter“ gelten, so väterlich, zuverlässig, ohne Interesse an sexuellen Übergriffen usw…Allerdings waren und sind diese „Patres“, trotz des Zölibatsgesetzes, oft, sozusagen leiblich gesehen, Väter von eigenen Kinder. Diese Tendenz kindlicher Aussagen „Mein Vater ist Pater“ nimmt allerdings ab, weil immer mehr Homosexuelle Priester sind. Dadurch sparen sich die Bischöfe die Zahlung von Alimenten an die allein gelassenen Mütter mit Kind. Schlimmer ist jetzt der in allen Ländern geradezu massenhaft aufgedeckte sexuelle Missbrauch durch diese vorbildlichen Patres, Fathers, Exzellenzen, Eminenzen usw.

Schon in seinen Studien über Autorität und Familie (1936) hat sich Erich Fromm mit der Bindung an Vorbilder kritisch auseinandergesetzt.
Hier nur diese seine Hinweise zum weiteren Studium, etwa in der „Gesamtausgabe“ der Werke Erich Fromm Band I. (Stuttgart, 1980).

„Es gehört zu den schwersten Erschütterungen im kindlichen Leben, wenn das Kind allmählich sieht, dass die Eltern in Wirklichkeit den eigenen Anforderungen (als Vorbild) nur wenig entsprechen. Aber indem das Kind später durch die Schule, durch die Presse etc. neue Autoritäten an die Stelle der Alten setzt, und zwar solche, die es nicht durchschaut, bleibt die ursprünglich erzeugte Illusion von der Moralität der Autorität bestehen. Dieser Glaube an die moralische Qualität der Macht wird wirkungsvoll durch die ständige Erziehung zum Gefühl der eigenen Sündhaftigkeit und moralischen Unwürdigkeit ergänzt. Je stärker das Schuldgefühl und die Überzeugung der eigenen Nichtigkeit ist, desto heller strahlt die Tugend der Oberen! Der Religion und der strengen Sexualmoral kommt die Hauptrolle bei der Erzeugung der für das Autoritätsverhältnis so wichtigen Schuldgefühle zu“ (S. 184).

6. Klerikale Vorbilder verlieren ihren “Heiligenschein” – zum Beispiel in Frankreich
Der katholischen Kirche gehen jedenfalls jetzt die Vorbilder absolut verloren. Und damit sicher auch die Heiligen. Wie viele angeblich heilig mäßige, „ganz großartige“ Kleriker und Laien wurden in den letzten Monaten vom Thron der Vorbildlichkeit gestürzt….Beispiele aus Frankreich: Da hat der Sturz der vielen angeblichen Vorbilder in den letzten Monaten, 2022, 2023, die Kirche um ganzen selbst erschüttert. Ich nenne nur das bis vor kurzem von vielen hoch verehrte Brüderpaar Philippe, beide waren Priester im Dominikanerorden, sie wurden der „heftigen Pflege von sexueller Abhängigkeit“ gegenüber Laien und Priestern überführt. Oder man denke an den zu Lebzeiten fast heilig gesprochenen Freund der geistig Behinderten (in seinen ARCHE-Gemeinschaften), den Laien Jean Vanier, der seine Mitarbeiterinnen heftigst sexuell belästigte. Ich denke an die hoch verehrte Mystikerin Marthe Robin mit ihren angeblichen Wundmalen Christi, ich denke an den allgemein noch hoch geschätzten Gründer der neuen, jetzt international agierenden Mönchsgemeinschaft „Jerusalem“ in Paris, Père Pierre Marie Delfieux, oder man denke an den in ganz Frankreich bekannten Pater und Buchautor JeanFrancois Six, den Spezialisten für Mystikerinnen (Theresia von Lisieux!), der etliche seiner ihm treu ergebenen Anhängerinnen missbrauchte.
Sie alle, die Hochverehrten, hatten eines gemeinsam: Sie lebten angeblich zölibatär, waren also offiziell weder mit einer Frau noch einem Mann verheiratet. Und bedienten sich des klerikalen Schutzschirms.
Von dem berühmten Priester-Künstler, dem Jesuiten Marko Ivan Rupnik in Slowenien wäre zu sprechen oder dem engsten Freund der Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI., dem Kölner Kardinal Joachim Meisner. Er führte einen eigenen Aktenordner mit dem Titel „Brüder im Nebel“, darin sammelte er Papiere zu seinen Priestern, die mit sexuellem Missbrauch zu tun hatten. Den Gerichten übergab er seine „Brüder im Nebel“ nicht, es waren ja seine MITbrüder!
In Berlin wurde der Name eines Pfarrers der St. Ludwig Gemeinde aus einer Gedenkplakette an seiner Kirche ausgelöscht, weil er, der berühmte Stadtpfarrer Benno F., des sexuellen Missbrauchs überführt wurde…

7. “Bediene dich deines eigenen Verstandes, dann brauchst du keine Vorbilder, schon gar nicht klerikale Vorbilder”
Die Liste der nicht-vorbildlichen „Vorbilder“ ließe sich endlos fortsetzen, sie muss hier beendet werden. Unsere Hinweise dienten dem Zweck, ein für alle mal einzuschärfen: Nehmt bloß niemanden zum „totalen“ Vorbild, schon gar nicht zölibatäre Kleriker, ihr irrt euch gewaltig. Denkt lieber selber nach, wie ihr euer Leben menschlich mit anderen gestalten könnt. „Bediene dich deines Verstandes“, ein nahezu heiliges Wort des Philosophen Immanuel Kant.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.