Wer aus der Kirche austritt, könnte eine neue Gemeinde gründen…

Ziemlich rebellische Vorschläge des katholischen Theologen Thomas Laufmöller unter dem Titel „Aufruhr“ (ein Buch aus dem Herder – Verlag)

Ein Hinweis von Christian Modehn

1.

Europa erlebt einen tiefgreifenden kirchlichen und religiösen Umbruch, man möchte sagen: eine spirituelle Zeitenwende. Viele tausend Christen kündigen seit Jahren schon ihre Mitgliedschaft in den Kirchen. Sie „treten aus“, wie man so sagt. Aber: Wo treten sie hin? D.h.: Treten sie irgendwann wieder in eine religiösen Gemeinschaft ein? Sind sie seit dem Kirchenaustritts (oder vielleicht schon davor?) „bloß“ Atheisten, Skeptiker, Agnostiker, Nihilisten usw.? Etliche Religionssoziologen meinen: Viele „Ausgetretene“ bleiben oft auch spirituell interessierte Menschen. Religionsphilosophen können diese These grundsätzlich bestätigen: Es gibt vielleicht so etwas wie unsichtbare Religionen und Spiritualität bei allen Menschen…

2.

Bislang sind katholische Theologen in Deutschland nicht dadurch aufgefallen, dass sie den „Ausgetretenen“ (um diesen Begriff zu verwenden) explizit sagten: Sucht doch euch die eigene Spiritualität in neuen Gemeinschaften! Organisiert euch neu in Gesprächskreisen, Gemeinden. Ihr lebt doch immer noch spirituell, befreit von der Leitung der Hierarchie, befreit von vielen kaum nachvollziehbaren katholischen Traditionen (Zölibat, Papst-Amt usw., um nur katholische Beispiele zu nennen). Und ihr seid befreit von vielen nicht nachvollziehbaren, belastenden und verstörenden Dogmen, wie der Erbsünde. Die ewig wiederholten Glaubensbekenntnisse des 4. und 5. Jahrhunderts versteht doch kein kritischer Mensch der Gegenwart.“

3.

Soweit und so diffenziert geht der katholische Theologe Thomas Laufmöller in seinem Buch „Aufruhr!“ nicht, seinen Aufruf zur Aufruhr könnte man so zusammen fassen: „Ihr ausgetretenen Katholiken gründet doch eure neuen Gemeinden, zum Beispiel kleine Hausgemeinden, Treffpunkte, Gesprächskreise und entdeckt die schlichten gemeinsamen spirituellen Feiern von Brot und Wein, dabei kann man sich der Worte Jesu von Nazareth erinnern…“. Laufmöller schreibt: „Ich möchte als Seelsorger mithelfen und unterstützen, dass die lebenserfüllende Botschaft Jesu nicht durch die institutionellen Strukturen der Kirche gebremst, vielleicht sogar erstickt wird.“ (S. 187). Gleich am Anfang schreibt er: „Ich möchte, dass wir weiter nach unseren Wegen des Glaubens suchen, dass wir den Glauben in Gemeinschaft leben.“ (S. 12). Thomas Laufmöller gestaltet auch als „entlassener“ bzw. „ausgetretener“ Priester neue (!) Formen von Gottesdiensten, von „Messen“ spricht er nicht: „ Ich bin also ein gutes Beispiel dafür, dass sich auch in unserer Zeit etwas Neues rund um den christlichen Glauben aufbauen lässt. Inzwischen treffen wir uns einmal im Monat zum Gottesdienst, und es kommen viele Menschen.“ (S. 176).

4.

Das ist die „zentrale Message“ des sonst eher biographischen Buches von Thomas Laufmöller. Wie gesagt, mit dem sehr anspruchsvollen Titel „Aufruhr!“ Tatsächlich: Der katholische Theologe deutet seinen Vorschlag zur Gründung neuer Gemeinschaften und Gemeinden als Aufruhr, also als Aufstand und Rebellion. Aber Aufruhr gegen wen? Gegen die etablierte Kirchenhierarchie. Und Aufruhr wozu denn eigentlich? Es geht Laufmöller leidenschaftlich um die Gestaltung neuer elementar – christlich orientierter Gemeinden bzw. Gemeinschaften. Sie möchte der katholische Theologe als Wiederbelebung der Urkirche verstehen , also jener immer wieder idealisierten kleinen bescheidenen Gemeinden, in denen angeblich „alle alles gemeinsam“ hatten, wie es in der „Apostelgeschichte“ (Apg., 2,44) heißt. Der Ursprung also als Utopie gelten: Laufmöller plädiert in gewisser Weise für einen „Rebellion nach hinten“, in eine idealisierte urkirchliche Vergangenheit des 1. bis 3. Jahrhunderts, „vor Kaiser Konstantin“ und seiner Staatskirche.

5.

Auf dieses Thema „Gemeindegründung sozusagen „von unten“, „ohne bischöfliche Kontrolle“, laufen die Ausführungen auf 192 Seiten hinaus. Lang und breit berichtet der katholische Theologe auch von der Beendigung seines Priesteramtes im Bistum Münster im Jahr 2023, das er viele Jahre gern und offenbar mit großer Zustimmung der Gemeinden ausübte… Bis ihn eben sein zuständiger Bischof Genn von Münster, bürokratischen Üblichkeiten folgend, versetzen wollte: Mit anderen Worten: Pfarrer Laufmöller sollte aus seiner weithin anerkannten Gemeindearbeit in eine andere „vertrieben“ werden. Dagegen regte sich der Widerstand der Laien, vergeblich, bei den bekannten amtlichen katholischen Strukturen. Pfarrer Laufmöller trat aus dem Priesteramt aus und „löste sich von der Institution Kirche“ (S. 183, Details auch S.90 f.)

6.
Seit einem Jahr also ist Thomas Laufmöller freier Gestalter von Hochzeits-, Segnungs – und Trauerfeiern, er ist sozusagen privater Seelsorger und privater theologischer Referent . Siehe etwa die website Thomas Laufmöllers: https://www.thomas-laufmoeller.de
7.
Der Gedanke ist schon interessant: Sollen doch die „Ausgetretenen“, wenn sie denn wollen, aus eigener Initiative neue Formen eigener, persönlicher Spiritualität in Gemeinden, Gemeinschaften, Gruppen usw. entwickeln. Die Frage, ob „die“ „Ausgetretenen“ das noch wollen, lassen wir hier beiseite. Wenn das Projekt aber gelingt. Dann sollten politische Reflexionen in diesen neuen Gemeinden eine Rolle spielen, genauso wie die Sensibilität für Fragen des seelischen Wohlbefindens. Und: Wer käme als kompetente ModeratorIN für diese Gruppen in Frage? Braucht man später dann auch Organisationen, braucht man Vernetzungen der neuen Gemeinden? Entsteht dann doch wieder eine neue Art (säkularer ?) Kirche? Fragen über Fragen, die es aber verdienen, mit Religionssoziologen und aufgeschlossenen Theologen weiter diskutiert zu werden. Vor allem: Ist die Idee, die „Ausgetretenen“ zu einem eher diffusen Modell „Urkirche“einzuladen, wirklich hilfreich? Heute geht es letztlich um die Rettung der Welt, um die gute Zukunft der Menschheit, etwas großspurig formuliert. Also konkret um die Eingrenzung der Klimakatastrophe, um den Widerstand gegen den zunehmenden Faschismus, um nur zwei globale Herausforderungen zu nennen. Das ist nicht nur ein politisches Thema im engeren Sinn, es hat auch spirituelle Dimensionen, etwa wenn es um geistige Widerstandsreserven der Demokraten geht. Deswegen müssen sich alle Menschen stärker verbinden und verbünden als Gemeinschaften des demokratischen Widerstands. Allein demokratische Gemeinschaften, demokratische Gruppen, demokratische NGOs, demokratische Parteien können wirksam sein in dieser individualistischen Gesellschaft mit den zu Konsumenten reduzierten Personen.
8.
Trotzdem: Das genannte zentrale Thema Thomas Laufmöllers verdient Beachtung der Theologen, Philosophen, Soziologen und hoffentlich auch der Bischöfe. Denn die Zeit der alten etablierten Kirchen als Systeme und Machtstrukturen ist – in Europa – definitiv vorbei. Es geht heute um eine neue überkonfessionelle, den Dialog liebende Spiritualität in diesem nun zunehmend kirchenfernen und kirchenfreien Europa.

Thomas Laufmöller, „Aufruhr! Warum wir eine neue Urkirche brauchen“. Herder Verlag 2024, 191 Seiten, 20 €.

Copyright: Christian Modehn, religionsphilosophischer-salon.de