Gibt es „das“ Böse? Oder “nur”die bösen Menschen?

„Das Böse“ entsteht aus der Freiheit der Menschen.
Ein Hinweis von Christian Modehn.

Die These:
„Das Böse“ zeigt sich nur im Tun nicht-guter, oft inhumaner Taten durch den Menschen. Böses – Tun ist Ausdruck einer freien Tat des Menschen. Nur diese Analyse bringt Klarheit in der traditionellen komplexen Frage: Was ist „das“ Böse?
Die Antwort, kurz gefasst vorweg genommen: „Das“ Böse ist nur die Objektivierung nicht guter Taten freier Menschen.
Dazu folgen die Hinweise, die in einem Vortrag im Kreis „philosophisch Interessierter“ zur Diskussion gestellt wurden.
Diese Hinweise sind wichtig, weil wir überflutet werden von Beiträgen, im Film, in der Literatur usw., die einer Faszination für „das Böse“ Ausdruck geben. Dass der Krieg Putins gegen die Ukraine und die demokratische Welt ein Geschehen „des Bösen“ sei, wird allgemein naiv formuliert und oft behauptet. Dabei ist auch der böse Krieg Putins Ausdruck einer freien Entscheidung des russischen Herrschers und der Seinen. Wer nicht sieht, dass es einzig auf der Verständnis „der Bösen“ (der bösen Menschen) ankommt, klammert sich an stets verworrene, irritierende (Wahn)-Ideen und Vorstellungen von „der irgendwie und irgendwo  herumgeisternden, irgendwie alles bestimmenden Idee des Bösen“.

Einige Erläuterungen:

1.
Man spricht im Alltag von „dem Bösen“. Als ob es sich dabei um eine unsichtbare geistige Über-Macht handelt, eine mysteriöse Kraft, die immer wieder von sich aus willkürlich das Geschehen der Welt der Menschen bestimmt: Im Mord und Totschlag, im Betrug, in der maßlosen Gier, in Angriffskriegen, in der Missachtung der Menschenrechte, in diktatorischen Regimen, im fundamentalistisch-religiösen Wahn und so weiter: Menschen werden dann zu Instrumenten „DES Bösen“ und seiner Herrschaft.

2.
Welchen Erkenntnisgewinn bietet diese ewige Klage und das Jammern über die Herrschaft „DES Bösen“? Welche praktischen Konsequenzen werden dann gezogen?
Immer wird im Glauben an „DAS Böse“ eine bestimmte Gruppe, ein Volk, als Inkarnation „DES Bösen“ von den religiösen und politischen Herrschern festgelegt: Als böse Menschen werden sie fixiert und dann als „Träger DES Bösen zur Auslöschung freigegeben, etwa Juden, bestimmte „ungewöhnliche“ Frauen (Hexen), Homosexuelle, Ungläubige, Heiden… Sie werden von einer Gesellschaft, die „DAS Böse“ analytisch und kritisch gar nicht versteht, nicht analysieren kann und will, ausgegrenzt und getötet. In diesem üblichen Morden zur Überwindung „des“ Bösen zeigen sich aber keine greifbaren und dauerhaften Konsequenzen, keine Ansätze zur Überwindung „des Bösen“, „das“ Böse wird eher immer umfassender.

3.
Das Christentum, vor allem die katholische Kirche, hat als Ort der Überwindung „des Bösen“, kirchlich verstanden „der Sünde“, für den einzelnen Menschen den Beichtstuhl erfunden: Da werden wirkliche oder bloß der Beichtverpflichtung wegen erfundene „böse Taten“ dem Priester gestanden, mit ihm ultra-kurz besprochen, dann bereut, etwas Buße wird geleistet („Drei Vater Unser beten“)… und.. das war es dann auch. Eine tiefere Erklärung der Wirklichkeit „des Bösen“ im Menschen blieb aus: Mit „dem Bösen“ muss man also leben, man kann ja immer wieder beichten und die Belastungen durch „das“ Böses-Tun sozusagen himmlisch mit Gott (durch das Priesters Vermittlung!) verhandeln, alles spielt sich auf einer rein geistigen, man könnte sagen „metaphysischen Ebene“ ab.
Im kirchlichen Leben wird theologisch der Kampf des einzelnen Individuums gegen „das Böse“ als geistige, spirituelle Auseinandersetzung eingegrenzt. Hingegen: Im politischen und religiösen, auf Macht besessenen Denken der Hierarchen wird „das Böse“ dann doch mit Gewalt politisch bekämpft, weil die Herrscher zu wissen meinen, wer die bösen Feinde des eigenen Staates oder der eigenen Kirche sind. Die Feinde der Herrschaft werden zu Inkarnationen „des Bösen“ erklärt.

4.
Die Hilflosigkeit der offiziellen (katholischen und orthodoxen) Kirche im Verständnis „des“ Bösen zeigt sich im Glauben dieser Kirche an den Teufel.
Der Kampf gegen den Teufel wurde wichtiges Ereignis in der christlichen Moral: Man soll dem Teufel widerstehen, dem Verführer, dem Lügner, heißt es. Alle klassische kirchliche Moraldoktrin lebt von diesen geistigen Kampf gegen den Teufel, dabei ist er nichts als eine imaginäre Gestalt.

Zum Profil des Teufels: Es gilt als der Herr der Lüge, der Herr der (sexuellen) Verführung, die Macht, die zu den Todsünden verleitet. Aber es wird übersehen: Auch die Todsünden, etwa die Gier bzw. die Habsucht, haben immer auch konkrete menschliche Gesichter: Zum Beispiel: Völlig vom Egoismus beherrschte Milliardäre und Multimillionäre, denen der Zustand der Welt und das Allgemeinwohl völlig egal ist. Oder: Autokraten, Diktatoren, Folterknechte, Kriegstreiber, auch ideologisch-theologische Kriegstreiber, wie der Patriarch Kyrill von Moskau, der als Putin Freund und KGB Mann unbedingt Mitglied im Weltrat der Kirchen (Genf) bleiben soll.
Erst wenn diese Leute als konkrete Übeltäter, Verbrecher, benannt werden, kann eine politische Auseinandersetzung beginnen und eine Überwindung der bösen Taten und Haltungen.
Diese Überwindung „des Bösen“ läuft darauf hinaus, durch demokratische Gesetze zum Beispiel das maßlose Eigentum dieser von Gier beherrschten Herren zu begrenzen. Dieser politische Umgang mit „DEN Bösen“ (also bösen Menschen) ist etwas anderes als die Praxis der klassischen Theologie, die den Teufel nur herbeizitiert. Dies ist auch etwas anderes als das viel besprochene „Mysterium der Bosheit und des Bösen“, um die teuflische Gier oder Habsucht zu benennen. Dieser Appell an das Mysterium zu glauben, ist nur eine Art Denkverbot, eine Erstarrung vor dem Nicht Guten, das man Böses nennt. Der Hinweis auf das Mysterium des Bösen soll irgendwie durch religiöse Praktiken den Teufel einschränken, durch geistliche Buß – Übungen und Gebete etwa.
Wer das Böses – Tun zum Mysterium erklärt, gleitet ab ins Diffuse, Neblig-Trübe, in dem keine Klarheit des Denkens mehr möglich ist.

5.
Die entscheidende Frage ist: Gibt es denn eine sichtbare Realität, die diesen abstrakten „metaphysischen“, rein geistigen Oberbegriff ,„das Böse“ , anschaulich, greifbar und dadurch tatsächlich überwindbar macht? Das ist nicht der Fall. Es gibt nicht „das Böse“ als eine eigenständige metaphysische Wirklichkeit.
Die einzig weiterführende Frage also heißt: Sind die genannten Phänomene „DES Bösen“ nicht immer nur als sichtbare Taten konkreter Menschen zu verstehen, als Taten der Freiheit? Diese Taten werden real durch eine innere Reflexion m Menschen, im Nachdenken, in der Auseinandersetzung mit einer unabweisbaren Stimme im Gewissen, die auffordert, den Normen des Guten zu entsprechen. Alle Taten des Menschen, auch die Taten, die der Humanität widersprechen, objektivieren sich in der Gesellschaft, im Staat, in den Religionen. Sie verfestigen sich also wie alle anderen geistigen Taten der Menschen strukturell. Eine böse Welt als Resultat freier Entscheidungen wird so erlebbar, siehe den Krieg Putins gegen die Ukraine und die demokratische Welt. Bewusst geförderte Hungerkatastrophen, soziale Ausgrenzung, Sklaverei, Menschenhandel usw. sind Ausdruck von freien Entscheidungen der Menschen gegen das Humane, gegen das Gute.
Man sollte also nur von den Bösen, also von den bösen Menschen, sprechen. Dabei aber nicht in ein “Schwarz-Weiß-Denkschema” geraten, als wären nur die extrem Bösen wirklich böse. Alle Menschen haben die Fähigkeit und Freiheit böse zu sein, böse zu handeln. Nur einige Schwerstverbrecher, oft Diktatoren, sind aber Inbegriff  “der bösen Menschen”:

6.
Mit dieser Konkretisierung der bösen Taten der Menschen wird nicht eine Hexenjagd auf böse Menschen eröffnet. Hexenjagden gab und gibt es, wie oben gezeigt, wenn man „das Böse“ in einer nur ideellen, metaphysischen Weise auffasst und dann je nach Herrscherlaune einzelne Gruppen für negative Erscheinungen (Krieg, Hungersnöte…) verantwortlich machte.
Dabei gibt es Abstufungen des Böses-Tuns: Wer ein Pfund Äpfel stiehlt und dadurch den Händler etwas schädigt, ist auf andere Weise böse als ein Hitler oder Stalin … oder jetzt aktuelle Kriegstreiber.
Wer das Böse versteht als Tat der Bösen eröffnet keine Hexenjagd, weil in diesem Verständnis, die Täter des Bösen nach demokratischen Gesetzen bestraft und entsprechend resozialisiert werden.
Wer also die Frage nach „dem” Bösen zur Frage nach den bösen Menschen umgestaltet, respektiert die demokratischen und hoffentlich gerechten Gesetze der Demokratie zur Überwindung „des“ Bösen.
Wer auf diese Weise „das“ Böse versteht, weiß aber auch: Jeder Mensch handelt in seiner Freiheit auf die eine oder andere Art, mit Abstufungen also, gegen die Normen der Humanität.

7.
Schwieriger wird es, wenn demokratische Staaten, den Menschenrechten verpflichtet, sich mit Diktatoren und Kriegstreibern in der näheren oder weiteren Nachbarschaft auseinandersetzen müssen. Da hilft die Erkenntnis: Kriegstreiber müssen mit Mitteln der Demokratie bekämpft, das heißt in ihrem Tun des Bösen (im Krieg) eingeschränkt und auch schlimmstenfalls mit Waffen der Verteidigung im Angriffskrieg entmachtet werden. Dabei ist es für die Demokratien in der näheren und weiteren Nachbarschaft dieser Diktaturen entscheidend, schon bei den ersten Anzeichen der verbrecherischen Taten dieser Leute zu handeln und diese zu isolieren, zu bestrafen usw. Widerstand hat nur Sinn, wenn er rechtzeitig und früh geschieht.
Nebenbei: Leider haben gute Widerstandskämpfer manchmal Pech: Der Nazi-Gegner Johann Georg Elser war viel reflektierter und mutiger als die späteren adeligen Widerstandskämpfer von 1944: Elser hatte am 8. November 1939 einen umfassenden Sprengstoffanschlag auf Hitler im Bürgerbräukeller in München vorbereitet, der Anschlag scheiterte leider, weil Hitler und die Seinen 13 Minuten vor der Explosion der Bombe das Gebäude verließen.

8.
Muss man noch – förmlich als Illustration des philosophischen Hintergrundes – an elementare Erkenntnisse erinnern?
Zentral ist die Erfahrung der Normen des Humanen in jedem Menschen!
Im Erleben des Menschen gibt es die Einsicht: Ich habe Böses getan. Oder auch: Ich nehme wahr: Der andere hat Böses getan, ganze Gruppen, ein Volk, haben Böses getan. Es gibt also unabweisbar im Bewusstsein der Menschen (sofern sie nicht unter physischen Störungen ihrer Gehirnfunktion leiden) das Bewusstsein von den elementaren Normen der Humanität. Es gibt das faktisch sich im Gewissen zeigende Wissen: Es gibt moralische Grenzen des eigenen Handelns, es gibt ungeschriebene Gebote und Gesetze zu dem, was ich nicht tun darf, und was kein Mensch tun sollte.
Solche Einsichten des absolut Verwerflichen sind tatsächlich universal und nicht nur auf einen europäischen Kulturkreis begrenzt: Kein Mensch würde es normal und richtig und gut finden, wenn Kinder die eigene Mutter töten … aus bloßer Lust am Töten. Kein Mensch, nirgendwo, würde es normal finden, wenn Menschen sich an einem Tisch satt essen und schlemmen und direkt in Sichtweite Hungernde sitzen und im Laufe der Mahlzeit vor den Augen der Schlemmenden unter Schmerzen sterben. Diese Situation ist in gewisser Weise real, auch wenn einige hundert Kilometer zwischen Berlin und dem Südsudan oder dem Süden von Madagasca liegen. Weitere Beispiele, dass es „evident Verwerfliches“ gibt, kann jeder und jede leicht finden.

9.
Die Korrektur im Verständnis „des“ Bösen führt also zu einer Analyse der bösen Menschen. Sie befreit von verworrenen Denken, das leicht ins Phantasieren abgleitet. Die Klimakatastrophe ist Ergebnis von freien Entscheidungen bestimmter, dem Namen nach bekannter Unternehmen, nur an Karriere denkender Politiker und sehr vieler „einfacher Bürger” vor allem in der reichen Welt. Es sind die Chefs gieriger internationaler Firmen, die auf der Suche nach Gold etwa die Nebenflüsse des Amazonas verseuchen und das Wasser für die armselig dort lebenden Bewohner ungenießbar machen. Da zeigt sich nicht „das Böse“, sondern da handeln bestimmte böse Menschen, die die Weltgemeinschaft und die Staaten zur Rechenschaft ziehen müsste. Aber der Amazonas ist weit entfernt, was interessieren uns die „Indianer“ in den Urwäldern in Peru. Sehr oft sind es noch die dort lebenden katholischen Gruppen, katholischen Priester und Ordensleute, die am Amazonas den aussichtslosen Kampf gegen die bösen multinationalen Industriellen des Nordens (Europa, Kanada, USA, China usw.) führen und dabei ihr Leben riskieren.

10.

Der Kampf gegen das Böse als ein Kampf gegen die extrem Bösen bedeutet: Die ethische Bildung aller Menschen zu fördern, die Erkenntnis und das Erleben des Gewissens zu bilden. Kant sagt: Es geht im Kampf gegen „das“ Böse um den praktischen Respekt des Kategorischen Imperativs. Wer es etwas schlichter will: Es geht um den Respekt der „goldenen Regel“, die von allen großen Religionen gelehrt, aber von ihnen selbst selten respektiert wird.
Kategorischer Imperativ und „goldene Regel“ erschließen sich nur im Nachdenken eines jeden Menschen, in der Entwicklung der eigenen kritischen Urteilskraft, die zur Basis humanen Lebens gehört.
Philosophie muss an solche elementaren Erkenntnisse erinnern, die alles andere als „Sonntagsreden“ sind.

11.
Hören wir also auf, vom „dem Bösen“ als einer mysteriösen Realität zu sprechen. Wenden wir uns der Analyse und Kritik DER Bösen zu. Das könnte diese zerstörte Welt etwas menschlicher machen. Man könnte sie besser verstehen, und die politische Aktivität wäre nicht erstickt vor der Angst vor “DEM” Bösen.  Es geht um den Kampf gegen extrem böse Menschen. Maßstab bleiben die universell geltenden Menschenrechte.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

„Beichtväter“ plaudern: Ein Skandal zur Schweigepflicht der Priester.

Das absolut geltende Beichtgeheimnis wird „ein bisschen“ gebrochen
Die Neuerscheinung „Je vous pardonne tous vos péchés“ von Vincent Mongaillard

Ein Hinweis von Christian Modehn am 13.3.2021. Am Ende dieses Beitrages siehe auch eine von vielen Stellungnahmen in Frankreich.

1.
Ein Skandal: 40 katholische Priester in Frankreich berichten jetzt vom Inhalt der Beichten, die sie von Frommen und weniger Frommen „gehört“ haben. Und diese Plaudereien sind so umfassend, dass sich daraus ein Buch von 480 Seiten machen ließ, das sehr preiswert für 14,90 € im Verlag „Edition de l Opportun“ (Paris) am 12.März 2021 veröffentlicht wurde, also im „Verlag des Günstigen“, der seinen interessanten Untertitel auf der Website mitteilt: „Découvrir, rire et surprendre“, also “Entdecken, Lachen, Überraschen bzw. Überrumpeln“. Ein Verlag, der durchaus seriös ist, auch wenn er in der intellektuellen Szene nicht so bekannt ist; zum Verlag gehört auch der auf Studenten spezialisierte Verlag „L Etudiant éditions“.

2.
Zum Lachen (rire) ist das Buch für die Katholiken und ihre Bischöfe und Theologen ganz und gar nicht. Denn es ist das Dokument eines ungeheuerlichen Tabubruches: Erst im Juli 2019 hatte Papst Franziskus eindringlichst gelehrt: „Das Beichtgeheimnis betrifft das Wesen der Kirche und des Christentums. Das Beichtgeheimnis muss durch den Priester absolut bewahrt werden“. Auch der offizielle Katechismus von 1993 betont im § 1467, „dass jeder Priester unter strengsten Strafen verpflichtet ist, über die Sünden, die seine Pönitenten ihm gebeichtet haben, Stillschweigen zu wahren…Dieses Beichtgeheimnis lässt keine Ausnahmen zu…“

3.
40 Priester haben sich jetzt diese Ausnahme erlaubt: Sie sprechen von den Sünden ihrer Pönitenten (Beichtenden), aber sie nennen keine Namen, die Priester wie die Beichtenden bleiben im Nebel des Anonymen. So entsteht trotzdem ein soziologisch interessantes Bild: Welche Sünden heute und in den letzten Jahren im Beichtstuhl einem Priester anvertraut wurden.

4.
Aber so 100 prozentig anonym sind dann doch die Berichte der Priester nicht: Die katholische Tageszeitung La Croix weist etwa darauf hin, dass auch Namen von Städten genannt werden, auch die Namen von weiteren Orten, „so dass gewisse Leute sich wiedererkennen oder erkannt werden“. Einer der plaudernden Priester berichtet etwa von Beichten, die er „gehört“ hat, bei großen Pfadfindertreffen im Wallfahrtsort Paray-le-Monial. Die Pfadfinder werden wohl in Zukunft nicht mehr so begeistert ihre Pfade zu einem Beichtstuhl finden…

5.
Das Buch von Vincent Mongaillard ist systematisch gegliedert, je nach der „Natur“, d.h. der Schwere und Bedeutung der Sünde. Der Autor ist als Journalist auf religiöse Themen spezialisiert in der eher populären Tageszeitung „Le Parisien“ (Auflage 2020 ca. 180.000 Exemplare) seit mehr als 20 Jahren tätig. Er betont in seinem Vorwort, die Bekenntnisse der Beichtenden seien präzise wiedergegeben. „Wir haben darauf geachtet, dass kein Sünden – Bekenntnis das hochheilige Geheimnis der Beichte verrät. Denn wir wollen nicht, dass wir, die „Wohltäter der Information“, nun förmlich entblößt dastehen aufgrund unseres profanen Werkes (Buches).“

6.
In jedem Fall ist das Vertrauen der Katholiken erschüttert, sie werden kaum noch den Drang verspüren, überhaupt noch zur Beichte gehen. Tatsächlich hat die Praxis des „Bußsakramentes“ in den Beichtstühlen seit Jahren rapide abgenommen. Während sich noch vor 50 Jahren lange Schlangen vor den Beichtstühlen bildeten, zumal vor Ostern, sind die Beichtzeiten in den Kirchen heute auf ein halbes Stündchen pro Woche geschrumpft.

7.
Insofern fördert dieses Buch den weiteren Niedergang der Beichte. War dies vielleicht auch die Absicht der 40 Priester, die da den Tabubruch begehen? Weil sie wissen, wie wenig seelische Hilfe tatsächlich eine Beichte im Beichtstuhl bieten kann, die meistens nicht länger als 3 Minuten dauert. Vielleicht sehen die anonym bleibenden Priester auch das Defizit der Beichte: Denn die Priester können dem Sünder nur empfehlen, die Schuld, die er gegenüber anderen Menschen auf sich geladen hat, zu korrigieren. Über die Motive der Priester, an dem Buch mitzuarbeiten, wird man noch weiter forschen, falls die Priester überhaupt noch einmal etwas sagen.

8.
Papst und Bischöfe werden die 40 Priester nicht zwingen können,ihre Identität preiszugeben. Die kirchlichen Autoritäten stehen also sehr hilflos da. Strafe ist aufgrund der Anonymität unmöglich. Und auch der Staat wird nicht eingreifen können, er lässt die Kirche doch ohnehin nach eigenen Gesetzen im Staat gewähren. Und dass sich ein Beichtender so präzise wiedererkennt, ist unwahrscheinlich.

9.
Warum also dieses Buch? Weil das Thema förmlich in der „Luft liegt“ bei all den nicht enden wollenden Affären zum sexuellen Missbrauch durch Priester. Im Tagesspiegel vom 13.3.2021, Seite 3, wird berichtet, dass ein Beichtvater einer jungen Frau die Abtreibung empfohlen hat, der Vater war ein anderer Priester. Im Beichtstuhl “brennt” es, wenn ein Priester dort das schlimmste aller Übel in der Sicht katholischer Moral empfiehlt: die Abreibung, eine Empfehlung, die übrigens schon der Priester – Vater der jungen schwangeren Frau gegeben hatte. Wieder einmal: Der gute Ruf des Klerus ist sogar wichtiger als der viel beschworene Lebensschutz. Wahrscheinlich geht de Beichtvater nach dieser Beicht – Empfehlung zu einer “Pro – Life – Demo….”

10.
Das Buch „Ich vergebe euch alle eure Sünden“ wird die letzten Phasen der Debatte über die Beichte erneut noch einmal beleben, das Buch wird zu der Frage führen: Wie kommt der Klerus eigentlich dazu, als Mittler zwischen dem einzelnen und Gott, zwischen dem Sünder und Gott, aufzutreten und bindend und lösend zu agieren? Zumal der Verdacht des sexuellen Missbrauchs jegliches Ansehen des Priesters verdorben hat. Und nun auch die 40 französischen Priester, die etwas aus dem Beichtstuhl plaudern…Das ist sozusagen ein weiterer „Gau“ im Katholizismus.
Die Debatte wird also noch mal über die anmaßenden Rechte des Klerus gehen, ein Thema, das seit der Reformation virulent ist. In ihrer wissenschaftlichen Studie. „Pratiques de la Confession“ (Praxis der Beichte), Edition du Cerf, Paris, 1983, weisen die Autoren darauf hin, dass über die Beichte bis dahin wenig studiert und publiziert wurde. Das Detailwissen ist im allgemeinen gering. Erst im 7. Jahrhundert wurde in Irland die individuelle Beichte eingeführt (S.17). Die Studie weist auch auf die klerikale Macht hin, denn bis ins 19.Jahrhundert war der Beichtvater meist der Gemeindepfarrer. Er kannte also viele seelischen Aspekte seiner Mitbewohner, hatte ein geheimes Herrschaftswissen. Er kannte die Familien, wusste, welche Kinder aus welchen „guten“ Familien vielleicht mit einem kirchlichen Stipendium zu fördern seien und welche nicht. Zu Ostern mussten ohnehin alle Angehörigen einer Pfarrei zur Beichte gehen, sie erhielten nach der Beichte ein Zettelchen oder ein Heiligenbild, das die erfolgte Beichte dokumenterte. Nur wer dieses Dokument vorweisen konnte, durfte an der Osterkommunion teilnehmen.

11.
Einem Bekannten kommt diese Buchpublikation etwas mysteriös vor. Ich will gern den – wahrscheinlich doch wohl unbegründeten – Verdacht eines auch mal anonym bleibenden Bekannten weitergeben: Nichts ist leichter für einen Autor, der etwas Aufsehen erregen und Geld verdienen will, als ein Buch zu schreiben, in dem anonym Priester von der Beichte plaudern und von den Süden der Beichtenden erzählen. Niemals wird bewiesen werden können, ob die Stories authentisch sind oder der Phantasie eines Kenners entsprungen sind.
Wie gesagt: Die Kirchenführung hat kein Mittel, die 40 Priester, falls es sie gibt, zum Sprechen zu bringen. Und der Staat auch nicht. Und auch den Autor kann wohl kein Staat zwingen, Namen zu nennen. Die Kirche kann höchstens die Zeitungsredaktion so lange bearbeiten, bis der Journalist seinen Job verliert…
Aus diesem Stoff ließe sich gut ein „Tatort“ oder ein ähnliches Krimi-Stück realisieren. Die Geschichte: Erst wenn der erste plaudernde Priester identifiziert ist und stirbt und dann auch der Journalist angeschossen wird, kommt die Sache „ins Rollen“. Diese Idee hat Christian Modehn am 13.3.2021 formuliert.

12.
„Ins Rollen“ ist die Beichte in jedem Fall gekommen, sie wird wohl “fortrollen”. Die Beichte wird als flüsterndes Gespräch bzw. Getuschel in eher unbequemen, manchmal etwas muffigen Beichtstühlen mindestens in Europa verschwinden.Weil auch das Bewusstsein schwindet, ob der Mensch nun Sünden begangen oder schwere Fehler gemacht hat. Der Gott mit dem drohenden Zeigefinger ist verschwunden.
Leider sind die besseren Seelsorger, also die Psychotherapeuten, absolut ausgebucht.

13.
In einigen Staaten wird darüber debattiert, ob das Beichtgeheimnis der Priester bei „schweren Verbrechen“ gelten kann, so in Australien (Vicoria) oder im Bundesstaat Louisiana, USA.
Nach kirchlichem Recht hat der „Beichtvater“, wenn ihm ein schweres Verbrechen gebeichtet wird, nur die Pflicht, den Übeltäter aufzufordern (!), sich den staatlichen Justiz – Behörden zu stellen. Eine sehr vornehme Art der Kirche, mit beichtenden Schwerverbrechern umzugehen. Dies gilt besonders auch fürs süditalienische Mafia-Milieu, die Maffia Bosse haben ja bekanntlich ihre eigenen Wallfahrtsorte und damit Orte des Beichtens, wie etwa die Kirche Notre Dame de Polsi in Calabrien. “Le Monde” berichtete darüber am 12.2.2021, Seite 19.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

…………………………………………….
Ein Beitrag des Radio – Senders Europe1 am 11.3.2021:

Dans “Je vous pardonne tous vos péchés”, Vincent Mongaillard a recueilli les confidences de 40 prêtres qui, tout en préservant l’anonymat des fidèles, ont accepté de lever le voile sur ce qu’ils entendent en confession. Si certains aveux prêtent à sourire, d’autres relèvent du Code pénal.
C’est une règle d’or depuis des siècles : face aux fidèles venus faire pénitence de leurs péchés, les prêtres sont tenus au secret. Les paroles chuchotées dans la petite alcôve d’un confessionnal sont protégées par le silence du clerc, quelle que soit la gravité du crime avoué. Dans Je vous pardonne tous vos péchés, publié ce jeudi par Vincent Mongaillard aux Éditions de l’Opportun, 40 prêtres dévoilent ce qu’ils ont pu entendre en confession au fil des années, tout en préservant l’anonymat de leurs ouailles.

Un travail de longue haleine pour le journaliste du Parisien, à qui il a fallu trois ans pour arriver à bout de ce livre.”On a établi un rapport de confiance avec ces prêtres et on a gardé que le prénom. Qu’ils se rassurent, ils ne seront pas excommuniés puisqu’ils ne brisent pas le secret de la confession. On ne peut pas identifier les pénitents”, assure-t-il au micro d’Europe 1. Mais comme il l’écrit, certains secrets sont plus lourds à porter que d’autres.

Un crime confessé devant le prêtre

Il y a en effet les petits péchés, comme ce chauffeur de taxi qui confesse prendre des chemins plus longs pour faire payer plus cher ses clients, ou encore ce septuagénaire qui raconte, 60 ans plus tard, avoir bu du vin de messe lorsqu’il était enfant. Il y a également ce jeune scout qui a tué une fourmi. Mais le livre évoque aussi des secrets très lourds. Ainsi, cet homme en détention provisoire qui a confessé son crime à un prêtre. Quelques mois plus tard, il plaide non coupable devant la justice des hommes et se voit acquitté. De quoi placer un énorme poids sur les épaules du prêtre, mais qui assume, comme tous les autres, le secret absolu de la confession.
Les prêtres encaissent en confession beaucoup de souffrance et doivent parfois improviser des solutions pour empêcher le pire. Vincent Montgaillard raconte comment l’un d’eux décide de récupérer l’arme d’un jeune homme de 20 ans qui vit en roulotte avec sa mère… dont il veut se débarrasser. Le prêtre finira par déposer le revolver au commissariat sans donner l’identité de son propriétaire.

C’est très dur pour eux parce qu’ils portent sur leurs épaules tous les vices, toute la misère de notre société. Certains vont vous dire que c’est le Seigneur qui fait le travail mais après une journée de confessions, ils sont épuisés. C’est extrêmement éreintant”, reconnaît l’auteur.
Des confessions plus cocasses
“Certains prêtres m’ont confessé que deux tiers des pêchés étaient liés au-dessous de la ceinture, à des histoires d’adultère, d’addiction”, a encore expliqué Vincent Montgaillard. Comme cette confession cocasse d’un couple : la femme raconte tromper son mari avec un ami du couple, mais juste après, le mari confesse lui aussi tromper sa femme avec un ami. Le prêtre comprend vite qu’il s’agit de la même personne. Mais l’avantage, c’est que tout, devant Dieu, est pardonnable.